Otto Ernst (1862-1926) - Liebesgedichte

Otto Ernst



Otto Ernst
(eigentl. Otto Ernst Schmidt)
(1862-1926)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Walpurgisnacht

Zu Roß, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Wir müssen schnell von dannen,
Von dannen durch die tiefe Nacht,
Durch Feld und Hag und Tannen!
Hinweg von unsrer Feinde Herd,
Die uns nur Fluch und Hohn beschert
Und uns ins Elend bannen.

Blick' auf, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Walpurgisnacht ist heute!
Es schwirren um den starren Berg
Gar wundersame Leute.
Es drehen sich im Hochzeitstanz
Und treiben wilden Mummenschanz
Die grauen Hexenbräute.

Fürwahr, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Sie gleichen ganz den Fratzen,
Die unser Glück vergifteten
Mit Droh'n und süßem Schwatzen.
Die Augen stierten gläsern kalt;
Die Leiber sind verschrumpft und alt;
Sie fauchen wie die Katzen.

Hinweg, mein Lieb, mein süßes Lieb!
Hier kann das Glück nicht weilen.
Umfasse du mich ohne Graun
Und laß uns fürder eilen!
Wir finden unsre Heimat doch,
Und läg' sie in der Ferne noch
Viel hundert, hundert Meilen! -

O sieh, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Zerflattert sind die Sorgen!
Da steigt die Sonne rot empor,
Die sich so lang verborgen.
Was ferne glüht in stiller Pracht
Und was so hell in uns erwacht:
Das ist der Maienmorgen!
(S. 8-9)
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Auf dem Morgengange

Laß uns verweilen, du Liebste mein,
Schau in den tiefen Wald hinein!
Spärlich nur durch die Tannen dicht
Irrt hernieder das Sonnenlicht;
Nur einen kleinen, stillen Raum
Hüllt es in einen goldnen Traum.
Vier der Stämme ragen empor,
Die sich allein das Licht erkor;
Aber sie flimmern in hellem Glast
Wie ein lichter Zauberpalast.
Durch die Kronen huscht mit Geflimmer
Flink und behende der Morgenschimmer,
Fliegt und zittert hinauf, hinab,
Bis er alles mit Gold umgab.
Zwischen den Stämmen in der Schwebe
Hängt der Spinne silbern Gewebe;
Käfer im Goldrock, flink und munter,
Hasten die Stämme hinauf, hinunter,
Und ihr Schwirren und Summen leis
Einziger Laut im weiten Kreis! -

Also fiel auch in unsre Brust
Golden das Licht der Liebeslust,
Und inmitten der düstern Welt,
Die uns mit Sturm und Frost umstellt,
Fanden wir strahlende Einsamkeit,
Frieden und tiefe Seligkeit.
Eine stille Sommerpracht,
Uns im Herzen die Liebe lacht.
Sonne trank nun allen Schmerz.
Ahnend zittern durch unser Herz,
Wie das Licht um die hohen Bäume,
Einsame Wünsche, schweigende Träume! -
(S. 10-11)
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Frauenschönheit

In glüh'nden Worten,
In Liedern meist
Hab' ich gejubelt,
Wie schön du seist.

Du sahst im Spiegel
Dein Angesicht
Und glaubtest lächelnd
Dem Schwärmer nicht.

Wie sollte der Spiegel,
Das kalte Glas,
Dir sagen, was ich dir
Vom Antlitz las!

Ein Schlag des Herzens
In deiner Brust,
Ein leichter Seufzer,
Dir unbewußt,

Ein Hauch der Liebe
Von deinem Mund
Thut deine Schöne
Bezaubernd kund.

Wie Sonnenschimmer,
Wie Windeshauch,
So naht der Zauber,
So flieht er auch.

Und kaum geschwunden,
Erfüllt er ganz
Dein Antlitz wieder
Mit neuem Glanz.

Doch nur dem Auge,
Das sorgsam wacht
Ob deinem Leben
Bei Tag und Nacht,

Das selbst die Flammen
Der Sehnsucht zeigt,
Wenn's tief sich über
Dein Antlitz neigt -

Nur ihm begegnet
Rein und ganz
All deine Schönheit
In flüchtigem Glanz.
(S. 12-14)
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Beglückender Einklang

Es lag im leisen Abendtraume
Vor uns die jugendschöne Welt;
Wir wandelten in tiefem Schweigen
Noch immer fort durch Wald und Feld.
Verfallen warst du ganz dem Zauber
Der Schönheit, die uns mild umfing;
Es schien, du hättest mein vergessen,
Weil nur an ihr dein Auge hing.

Du warst so hold in deinem Traume,
In deiner stillen Seligkeit -
Es ward im Anschaun deiner Schöne
Mein Herz von süßem Drange weit;
Mit heißen Küssen schon bedecken
Wollt' ich dein sinnend Angesicht:
Doch still beschied ich mich im Herzen
Und störte deine Andacht nicht.

Denn ein Gedanke, tief beglückend,
Stieg mir empor aus froher Brust:
Auch du erglühst vor allem Schönen
Und Herrlichen in reiner Lust;
So ist mein Ahnen und mein Hoffen,
Mein Träumen länger nicht verwaist:
Auch dich erhebt aus Erdenschatten
Der Schönheit göttlich hoher Geist.
(S. 15-16)
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Unentrinnbar

Oft wenn am Fenster glüht die Lampe
Und du mir winkst den Scheidegruß,
Weilt unten noch im stillen Garten,
Gebannt durch Zaubermacht, mein Fuß.

Dann trifft mich noch aus deinen Augen
Ein Blick so wundersam und tief,
Wie er nur je aus meinem Innern
Empor der Sehnsucht Flamme rief.

Er bannt mein Herz an deinen Zauber,
Wenn dich mein Leib verlassen hat;
Er überfließt, wenn heim ich schreite,
Mit goldnem Leuchten meinen Pfad.

Er haftet mir in Haupt und Herzen
Und führt mich durch den dunklen Wald,
Wenn längst du hingestreckt zum Schlummer
Die schönheitprangende Gestalt.

Ich seh' noch spät, wie du im Traume
Nach mir die Arme sehnend hebst -
So hängt an deinem Bilde immer
Die Seele, die nur du belebst.

Und noch wenn Schlummer mich umschattet,
Verlockt kein Traum mich himmelwärts;
Von deines Auges Strahl umkettet,
Im Bann der Erde ruht mein Herz. -
(S. 17-18)
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Bitte

Du sollst mir nicht so scheu bewundernd,
So staunend in die Augen sehn;
Nicht soll mein Bild so übermächtig,
So stolz vor deiner Seele stehn.

Du sollst nicht wähnen, daß mein Denken
Sich frei im reinen Lichte wiegt,
Daß über jegliche Versuchung
In mir ein starker Wille siegt.

Ich bin zu dir, o Kind, gekommen,
Um dir ins süße Angesicht
Mit treuen Worten zu bekennen,
Was mir an hohem Wert gebricht.

Was ich gewonnen und verloren
In der verrauschten Tage Spiel,
Du sollst es wissen - und erkennen,
Wie oft ich strauchelte und fiel.

Und wenn ich alles dir bekenne,
Dann bebe nicht mehr stumm zurück,
Als träfe dich in meiner Liebe
Ein ewig unverdientes Glück.

Vielmehr, wenn still aus meinen Augen
Ein Tropfen rinnt auf deine Hand,
So denke, daß in deinen Armen
Ein irrend Herz den Frieden fand.
(S. 19-20)
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Lieb' und Traum

Rings umschattet uns schweigendes Waldesgrün;
Atmende Dämmrung hebt sich sacht zu den Wipfeln;
Nur durch die Lichtung glänzt und glitzert
Des Stromes rinnender Spiegel.
Da faßt du mich lächelnd bei beiden Händen
Und fragst mich, halb scherzend, halb zürnend:
Garstiger Schweiger, was träumst du? -
Was ich träume, fragst du mich, Mädchen?
Hörtest du nicht den leise flötenden,
Lieblich lockenden Ton der fernen Nachtigall?
Sanft zuerst wie ein Hauch, dann schwellend und endlich verklingend;
Und der Ton, wie er sanft erschwoll und zitternd verklang,
Nahm mich hinweg in sinnendes Träumen. -
Still war alles. -

Da kam ein Wehen von den Wipfeln der Bäume,
Und silbern blitzte des Stroms erzitternder Spiegel.
Doch balde, bald versank das silberne Raunen
Und ließ mich drüben allein am Ufer der Träume.
Da traf mich dein Wort wie der Heimat Stimme -
Da schau ich nun dir in dein liebliches Antlitz,
Blick in dein helles, Unschuld lächelndes Auge -
Sieh, und das war mein Traum:
O, daß dies Glück nicht verhallte wie Nachtigallsang,
Nicht dahinstürbe wie Wellengeflüster!
(S. 21-22)
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Das verwandelte Lied

Mit meinem Lieb durchstrich ich deutschen Wald,
Und froher Rausch aus grünem Licht und Duft,
Aus Windes-Orgelklang und Bergesluft
Ergriff die freudeoffenen Herzen bald.
O Kuß in eines Walds geheimstem Grund!
Fern oben über Wipfeln rauscht die Welt
Und weiß es nicht, daß unten Mund auf Mund
Zwei Welt- und Selbstvergessene versinken!
Der Lippen Duft wie junges Tannengrün,
Und tief im trunken-stillen Blick ein Licht,
Das hoch herab von heiliger Wölbung fällt!
O sternendunkler Abgrund, ende nicht,
Und laß uns ewig deine Dämmrung trinken - -

Doch ach - ein Eichhorn, tückisch, schadenfroh,
Zerbricht ein Reis - und bricht den Zauberbann.
Sie huscht davon - ein Strahl im nächtigen Tann! -
Und steht - und neigt das Haupt - ein Kuckuck ruft
Fern, märchenfern im Lande Irgendwo.
Und wir, mit Küssen, zählen: Eins - und zwei -
Und drei - und vier - schon schweigt er?
Weiter, Schuft!
Und er gehorcht! Nun fünf - und sechs - und sieben -
Und schüttet uns von Leben und von Lieben
Die Herzen voll so ohne Maß und Ziel,
Daß sie mich von sich stößt und ächzt: "Nun wird's zu viel!"
Zuviel, zuviel der Lust! Das Herz thut weh
Von so viel Kraft und Glück, und könnt' ich schrei'n
Wie -

Still! Da fällt ein fremder Klang herein -
Von fern ertönt ein Horn - o je, o je!
Genießen müssen wir - da giebt es kein Entflieh'n -
Die Weise "Wenn die Schwalben heimwärts zieh'n".
Nicht übel blies der gute, ferne Mann;
Doch wenn man nun einmal ein Lied nicht leiden kann -
Und seltsam: meinem Lieb ging's ebenso:
Es war ein traurig Lied und stimmt' uns herzlich froh.
Gefühlvoll blies er sehr vom Abschiedsbangen -
Wir näselten und dudelten's ihm nach
Wie zwei der Zucht zu früh entlaufne Rangen.
Und lachten, lachten - - und verstummten jach.
Denn uns entgegen kam am Stock gegangen
Ein Mensch - war's noch ein Mensch?
War's noch ein Geh'n?
Zu jedem Schritt mußt' er die Kraft erst sammeln;
Ein Tasten war sein Gang, ein banges Stammeln -
Nie hab' ich solch ein arm Gesicht geseh'n!
Und jeder Zug darin ein zuckend Müh'n:
"Nur diesen Sommer säh ich gern verblüh'n!"
Und aus den Augen - ach, aus diesen Augen,
Die sich mit langem Blick ins Hirn mir saugen,
Sprach mehr zu mir als Leiden, mehr als Leid:
Schrie bettelnd jener herzgrundtiefe Neid:
"Warum gebt ihr mir nichts von eurem Leben!
Ihr seid doch überreich und könntet gern mir geben,
Und drückt euch stumm vorbei -"

Als wir vorübergehen,
Berührt sein Stab den Saum von ihrem Kleide.

Wir schritten weiter, ohn' uns anzusehen.
Von selbst und heimlich flocht sich Hand in Hand,
Und ferngewandten Auges sah'n wir beide
Mit großem Blick ins dunkle Schicksalsland.

Willkommne Rast am birkenkühlen Hang -
Und wieder hallte herüber des Hornes Klang
Und klagte: "Ob ich dich einst wiederseh'?" -
Da ward uns beiden ums Herz zum Weinen weh.
Es war ein Lied - mocht's viel, mocht's wenig taugen -
Ein Lied war's mit zwei sterbenden Menschenaugen. -
(S. 23-27)
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Liebesglaube
(Die Geliebte spricht:)

Ach, mit gepreßtem Herzen
War ich aufs Lager gesunken;
Ich hatte heimlich-verschwiegen
Den Kelch des Leids getrunken.

Ich wähnte das Glück verloren;
In bangen Zweifelstunden
Hatt' ich in seinen Augen
Die Liebe nicht gefunden.

Doch heut' in früher Stunde
Weckte mich leises Ahnen;
Es pochte in meinem Herzen
Ein starkes Frühlingsmahnen.

Da fand ich die Morgensonne
In meiner Kammer zu Gaste;
Es sang mit lautem Schalle
Ein Vogel vom Lindenaste.

Mich überfloß berauschend
Der goldne Strahlenregen;
Aus meinen Kissen lacht' ich
Dem Morgenglanz entgegen.

Er kann der frommen Treue,
Der Liebe nicht vergessen!
Er kann das Herz nicht töten,
Das er im Glück besessen - -!

Und ich entschlief. Entschweben
Sah ich den bleichen Kummer.
Mit Blumenträumen bedeckte
Mich leise der Morgenschlummer.
(S. 28-29)
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Am Hochzeitstage

Laut rollt der Hochzeitswagen durch die Gasse.
Wir ruhen drin, zu stillem Glück geeint.
Sieh, wie die Sonne glänzt durch Regenwolken -
Die Hoffnung lacht - und die Erinnrung weint.

So ist's ein Fest der Wonne wie der Trauer.
Ich fühl's, da neue Liebe mich beglückt,
Wie lang genossne, unvergoltne Liebe
Mit schwerem Vorwurf meine Seele drückt.

Der Eltern denk ich, der verlassnen, alten.
Und während mich dein Zauber hold umgiebt,
Erfaßt es mich mit wehmuthsvoller Mahnung,
Wie zärtlich sie mich je und je geliebt.

Sie ließen mich den Traum der Jugend träumen.
Leicht schlug mein Herz! - ihr Haupt war sorgenschwer;
So zweifle nicht, wenn sich mein Auge feuchtet!
Der Sommer prangt - ein Frühling kommt nicht mehr.

Wie rasch der Wagen rollt! Wir fliegen selig
Und zukunftstrunken in die Welt hinaus.
Euch Sternen meiner Jugend send' ich Grüße
Ins abendrotumkränzte, stille Haus.

Verzeiht dem heißen Drang der jungen Seelen,
Der euch des vielgeliebten Sohns beraubt -
Unsterbliches Gedächtnis eurer Liebe,
Und Segen über euer greises Haupt!
(S. 30-31)
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Thränen im Glück

Du weinst? und uns erblüht ein junges Leben!
Mit Leib und Seele bist du mir gegeben;
Du bist mein Weib - was wir ersehnten einst,
Hat herrlich sich vollendet - und du weinst?

Doch sieh! Versenkt mein Blick sich in den deinen,
So will es mir im tiefsten Herzen scheinen,
Als ob auf deiner feuchten Augen Grund
Sich seliges Genüge gäbe kund.

O stille nur! Schon hab ich dich verstanden.
Die bangen Tage deiner Leiden schwanden,
Die Tage, da dich Finsternis umfing
Und über Dornen deine Straße ging.

Da hast du nicht geweint. Selbst deiner Kammer
Vertrautest du nicht einsam deinen Jammer;
Auch vor dir selbst bliebst du gefaßt und groß
Und gabst dich nicht der Heldenstärke bloß -

Nun aber mag sich ungehemmt ergießen
Der Strom des Leids, die Thränen mögen fließen;
Die Sonne leuchtet uns zum Lebensmai;
Der alte Schmerz wird seiner Bande frei. -

Mitfühlend kann ich deine Lust verstehen.
Du hast des Glückes schönsten Teil ersehen:
An treuer Brust in glückbesonnter Zeit
Die Thränen lösen um vergangnes Leid.
(S. 32-33)
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Liebesschauer

Von seliger Wonne
Zu düsterem Grausen
Schwankt die genießende,
Bangende Liebe.

Du liegst mir im Arme
Mit glühenden Wangen,
Geschlossenen Auges,
Die schwellenden Lippen
Wie träumend erschlossen
Vor lechzender Sehnsucht
Nach brennenden Küssen.
Und immer, immer
Mit neuen Flammen
Durchjagt's mir die Seele,
Und immer, immer
Die zitternden Lippen
Von neuem press' ich
Auf Mund dir und Wangen,
Als müßt' ich dir rauben
Den süßen Atem,
Als müßt' ich ersticken
Dein warmes Leben,
Als müßt' ich dich küssen
Unersättlich,
Bis tot an die Schulter
Dein Haupt mir sänke,
Vor Glück entseelt. -

Tot ... entseelt ...
Und wenn er erschiene
Am andern Tage,
Der bleiche Allmächt'ge,
Des tags und nächtens
Die Erde durchschreitet
Und aus den atmenden,
Blühenden Leibern
Unstillbaren Durstes
Das Leben saugt -
Und er nähme mir dich!
Und würfe zum Staub
Deinen blühenden Leib! - -
Dann käme ein andrer
Als du mir ins Zimmer,
Mit kalten, feuchten,
Knöchernen Fingern
Die Hand mir reichend
Zu ewiger Freundschaft,
Ein seltsamer Fremdling!
Zur Seite mir wär' er
Bei Nacht und am Tage,
Bald irre Klagen
Ins Ohr mir raunend
Vom Glück der Liebe -
Bald gellend und lachend
Ins Ohr mir schreiend
Verrückte Geschichten
Vom Glück der Liebe! -
Das wäre der Wahnsinn.
Vorahnend schaut ihn,
Entrückt, meine Seele,
Und schon in der Ahnung
Packt er mein Innres,
Als wollt' er mir Nerven
Und Adern zerreißen - -
- - - - - - - - - - - -
Du aber fürchte
Dich nicht, Geliebte,
Weil wild meine Augen
Starren ins Leere;
Schon sink ich dir wieder
Ans pochende Herz:

Von seliger Wonne
Zu düsterem Grausen,
Schwankt die genießende,
Bangende Liebe! -
(S. 34-37)
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Freundliche Nähe

Geliebter Menschen traute Nähe
Ist wie der Quelle ferner Sang,
Der leis herüberklingt vom Garten
Den schönen Sommertag entlang,

Ist wie ein frischer Duft vom Walde,
Den laue Winde hergeweht
Und der von früh bis spät uns labend
Und läuternd durch die Seele geht. -

Oft hör' ich dich im Hause schalten,
Geliebtes Weib; durch Thür und Wand
Vernehm ich fernes Lachen, Singen
Und hör' ich rauschen dein Gewand;

Mir ist, als fühlt' ich deine Lippen
Wie Tau auf meiner Wange ruhn:
Mein Haupt umschwebt ein selig Glänzen,
Und Segen ruht auf meinem Thun. -
(S. 38)
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Ewiges Glück

Langsam durchschnitt ein Schiff die schwarzen Fluten.
Weit dehnte sich das Meer, unnennbar groß,
Und über ihm im bleichen Mondenstrahle
Stand schimmernd eine Möve, regungslos.

So schwebten unsre Seelen still im Lichte.
Du saßest an des Schiffes Bord gelehnt;
Ich stand vor dir und Auge sank in Auge,
Und unser war, was wir so lang' ersehnt.

Kein Laut entheiligte das süße Schweigen;
Voll war das Herz, und Worte waren weit.
Das Glück war unermeßlich; aus den Fluten
Und in den Herzen klang's: Unendlichkeit!

Gedenken muß ich jener fernen Stunde,
Da wieder vor uns wogt das blaue Meer.
Hell glänzt der Tag - die Woge rollt zum Strande,
Sie rauscht und sprüht - sonst Stille ringsumher.

Wir ruhn am Ufer, traumversunken beide.
In jener lauten Welt, der wir entflohn,
Da reden sie vom Glück der reinen Liebe
Fast nur mit Lachen noch und kühlem Hohn.

Wo hastiges Gewinnen und Genießen
Die Seelen eint und von einander reißt,
Da raunten sie mir in das Ohr, daß Liebe
Auch nur ein Rausch für kurze Stunden heißt.

Ins Meer blick ich hinaus: Noch immer haucht es
Ins Herz mir Schauer der Unendlichkeit.
In deinem Auge such ich deine Treue,
Und ruhig lächelt's: "Für die Ewigkeit!"
(S. 45-46)
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Rhapsodie

Fortuna, quem nimium
fovet, sapientem faciat.

Als ich geboren ward,
Rauschte der Sturm im Wald.
Auf nachtumschatteten Schwingen
Flog er durch nebelumgraute Weiten,
Trug er den Tod ins blühende Land.
Durch Thore und Gassen
Trieb er die Wolken erstickenden Staubs
Und warf an die Fenster
Dürre Blätter und tote Blumen. - -
- - - - - - - - - - -

Als ich, geliebtes Weib,
Einst mit fiebernder Glut dir
Preßte die zarte Hand,
Als ich dich bebend gefragt:
"Liebst du mich denn?"
Als du ans Herz mir sankst,
Zitternd und heimlich bejahend:
Sieh! da troff unendlicher Regen
Aus grauer, wolkenumschleierter Höhe,
Und wir standen in herbstdurchschauerter Nacht. -
- - - - - - - - - - - - - - - - -
So erwachte mir oft
Glückbringend ein Frühling im innersten Herzen,
Während durchs All,
Durch die zagenden Seelen der Menschen
Bebten die Schauer des Leids
Und die Seufzer herbstlich müden Entsagens.

***

Wenn ich sterbe dereinst,
Mög es herrlich prangender Frühling sein!
Mit hellstrahlendem Glanz
Grüße durchs Fenster mich singend und klingend,
Grüße mich jubelnd der letzte Tag!
Mein brechendes Auge schaue
Einmal noch die Wiedergeburt des Lebens,
Schaue die Schönheit in allerverlockendster Jugend!

Dann sei gefaßt, mein Herz!
Ohne beneidendes Beben
Füge dich still in dein Los;
Dich auch trifft der Wandel der Dinge.
Selbstlos atme mein Auge
Den letzten Glanz des Lebens ein,
Selbstentäußert öffne die keuchende Brust sich
Dem einen erhabenen Troste:
Daß die Schönheit der Welt
Und der Menschen heilig sehnendes, ewiges Streben
Immer doch noch überdauert
Ein brechendes Herz.
Neidlos sterben im Frühling,
Wenn zum Genusse alles dich lockt:
Unnennbarer Triumph selbstvergessender Liebe!
So nur trüg' ich die Schuld ab,
Die sich mir aufgewälzt,
Als des Glückes ich friedlich genossen,
Während viel andre gewandelt
Einsam den Pfad der Dornen.
Nimmer darum auch zürne dereinst,
Von hinnen scheidend, meine Seele,
Daß der Tag, der vielen zur Wonne glänzt,
Mir die welkende Wange bleicht
Und auf mein Antlitz
Ewige Schatten des Todes legt.
(S. 47-50)
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Blühendes Glück

Als wir für das Leben uns verbanden,
Ganz in Blüte stand der Apfelbaum,
Und sein weißer Schimmer floß wie Segen
Über uns und dieser Stube Raum.

Fast zu reich war dieser Blütensegen;
Denn die Früchte kamen schwer und dicht.
Um uns hüpft und lacht und lärmt und jubelt
Manch ein apfelwangig Angesicht.

Schwer hast du der Mutter Last getragen,
Und vor Sorgen war ich glücklich kaum;
Doch zum Trost an jedem Hochzeitstage
Tausendblütig prangt der Apfelbaum.

Wohl ich weiß! Es möchte kindisch scheinen,
Daß wir dessen nicht schon längst gewohnt.
Blüten hat man leicht am Hochzeitstage,
Wenn man sich vermählt im Maienmond.

Traun, kein Kunststück! Jeder Narr berechnet
Dieses Wunder an den Fingern dir -
Und trotz alledem: ein süßes Wunder
Ist es immer meinem Weib und mir,

Dünkt uns, wenn wir still am Fenster stehen,
Wie ein Zauber, wie ein sel'ger Traum,
Daß an jedem Hochzeitstage wieder,
Immer wieder blüht der Apfelbaum.
(S. 60-61)
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Natur und Liebe

Fordre nicht, daß ich mit Worten sage
Was mich quält und peinigt jeden Tag!
Müde bin ich, daß ich keine Worte
Auch von deinen Lippen hören mag.

Menschen haben mir so viel mit Weisheit
Und mit leerem Troste zugesetzt,
Daß vor ihrer wortbehenden Liebe
Wahrlich sich mein scheues Ohr entsetzt.

Laß du mich in deine weichen Hände
Stumm vergraben Stirn und Wangen nur;
Dann empfind ich schauernd deine Liebe
Wie den leisen Odem der Natur.

Und zu dir zieht mich dieselbe Lockung
Ewigen Friedens, der ich oft gelauscht,
Die aus Quellen flüstert und aus Blumen
Und von hohen, heil'gen Bäumen rauscht.
(S. 71)
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Ein Memento

Was streichelst du so sorglich mir die Stirn
Und küssest sie, wenn ich im Arm dich halte?
Ich ahn' es wohl: verscheuchen möchtest du
So gern die eine tiefgegrabne Falte.

Umsonst, mein Kind; sie grub ein schneidend Weh,
Das mir das Herz versehrt in jungen Jahren,
Und nimmer schwinden wollte sie seither,
Was ich auch Liebes je durch dich erfahren.

Ach, nur aus deinen Augen kamen mir
Die Sonnenblicke, die mich je getroffen -
Allein sie kamen! Und das war genug,
Nach jedem Schiffbruch wieder neu zu hoffen.

So zürne nun der treuen Falte nicht,
Will von der ernsten Stirne sie nicht weichen!
Daß deiner Lieb' und Langmut ich bedarf,
Sei dieser Schatten dir ein stilles Zeichen.
(S. 72-73)
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Lux in tenebris

Zu tiefer Finsternis warst du mein Licht! -
Sie kam zu mir in meiner Einsamkeit,
Des Wahnsinns grauumhüllte Schreckgestalt;
Sie legte mir aufs Haupt die kalte Hand,
So schwer, daß meine Schläfen hämmerten.
Gedanken schwirrten wild mir durch den Kopf
Wie dürre Blätter, die der Herbstwind peitscht.
Im Herzen schwoll die fürchterliche Angst:
"Es naht, das hohlgeäugte Ungetüm,
Um langsam dich mit seinem grauen Netz,
Auf ewig unzerreißbar, zu umspinnen." -
Und plötzlich sank tief unter mir die Welt;
Lautlose Stille war's um mich; ich saß
Auf eines Felsen starrgezacktem Gipfel,
Und über, unter mir ein graues Nichts!

Da sah ich dich zu meinen Füßen knieen,
Und sieh! Aus deinen Augen licht und tief
Ist die Erleuchtung über mich gekommen. -

Durchs Fenster wieder drang der Blüten Duft,
Ein bunter Falter flatterte herein,
Der Sonne Licht vergoldete dein Haupt,
Und weinend zog ich dich an meine Brust:
In tiefer Finsternis warst du mein Licht. -
(S. 75-76)
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Tiefglücklich

Das ist der Segen dieser trüben Stunden,
Die mir ein sorgengrauer Himmel sendet:
Die sel'ge Mahnung, daß ich dich gefunden,
Zu der mein Blick aus jeder Nacht sich wendet,
Der Trost, daß meiner heißen Stirn nicht fehle
Die milde Tröstung deiner weichen Wange
Und ich im tiefsten Leid von ganzer Seele
Doch stets nach dir und nur nach dir verlange.
(S. 77)
_____



Liebeszeichen

So lieb ich dich, so liebst du mich,
Daß selbst bei frohem Spiel und Scherz
In heilig ernsten Schauern oft
Geheim erzittert unser Herz,

Daß uns inmitten lauter Lust
Ein schweigendes Erinnern rührt
An jene Treue, die uns einst
Durch alle Not und Qual geführt -

So mag's geschehn, daß Blick in Blick
Mit sel'gem Lächeln sich ergießt
Und eine Thräne doch zugleich
Verstohlen auf die Wange fließt.
(S. 78)
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Angelika

Von der raschen Lebenswelle,
Die mein Herz durchfloß,
Die in sel'ger Stundenschnelle
Brausend dich umschloß,

Von der Liebe Schönheitsrausche
Taumelnd übermannt,
Hab ich oft im Liebesrausche
"Engel" dich genannt. -

Schweigend Platz an unserm Tische
Längst die Sorge nahm;
Deiner Wangen holde Frische
Tilgt ein früher Gram.

Seh's mit nagender Beschwerde,
Seh's mit stiller Qual,
Wie du jenen Gast am Herde
Nährst mit deinem Mahl;

Und ich seh' es doch voll Wonnen,
Die kein Wort beschreibt,
Daß so fest und treugesonnen
Deine Liebe bleibt.

Hielt' ich gern ein Leid verborgen,
Nimmst du's dennoch wahr;
Denn die Sprache stummer Sorgen
Ist dir offenbar.

Was uns einst so fest umschlungen,
Hält uns noch geeint:
Thränen, die ich still bezwungen,
Hast du still geweint. -

Oft umspinnen lichte Träume
Die Gedanken mir,
Durch des Hauses traute Räume
Folgt mein Auge dir:

Eine Hülle seh ich fallen
Wie ein irdisch Kleid,
Einen Schimmer dich umwallen
Wie aus künft'ger Zeit.

Und in solcher Liebesstunde
Ernst verschwiegnem Glück
Kehrt mir immerdar zum Munde
Jenes Wort zurück,

Jenes Wort, im Rausch gesprochen
Und im Traum der Lust,
Noch im Klange ungebrochen
Klingt's in meiner Brust:

Denn der Liebe sonder Klage
Rührende Gewalt
Wandelt mehr mit jedem Tage
Dich zur Lichtgestalt.
(S. 79-81)
_____



Nächtliche Wanderung

Ich schreite einsam durch den Wald,
Die Nacht webt schwarz um düstre Tannen;
Vor meinem Geist steht Weh und Lust
Der langen Jahre, die verrannen.

Hat mehr des Leides, mehr der Lust
Mich angefaßt im Weltgetriebe? -
Ob allem, was verweht, vergeht,
Stand ewig leuchtend deine Liebe!

Auch heute, da durch Nacht und Graun
Mein müder Fuß zum Ziele schreitet,
Fühl ich so tief, wie mich dein Geist
In dieser Einsamkeit begleitet.
(S. 82)
_____



Abend
(Nach einem alten Holzschnitt)

Lehnst an meine Schulter du
Sanft dein Haupt mit Schweigen,
Spiel ich dir ein altes Lied
Auf der alten Geigen.

Und die Seele, mild gerührt
Ob dem süßen Klingen,
Fliegt zum hellen Abendrot
Auf der Hoffnung Schwingen.

Und im Auge dir und mir
Glänzt die stille Frage:
Bleiben Lieb' und Seligkeit
Bei uns alle Tage?

Wenn die Rosen sind verblüht,
Wenn die Saiten sprangen,
Wird ob unserm Haupte dann
So der Himmel prangen? -

Stumm noch lauschst du meinem Lied,
Ob ich schon geendet;
In die Weite traumeshell
Ist dein Blick gewendet.
(S. 83-84)
_____



Beredtes Verstummen

Ich hatte schweres Unrecht dir gethan,
Mit rauhen Worten tief dein Herz verletzt
Und deinem flehend sanften Widerspruch
In Blindheit mich verschlossen bis zuletzt.

Da schwiegst du ganz und sahst mit feuchtem Blick
So gut und liebevoll mich an, wie je,
Als dächtest du: "Dir dank ich alles Glück,
Wohl überwind ich einst auch dieses Weh."

Da fiel's wie Schuppen von den Augen mir!
Die Glut des Zornes wich der Glut der Scham,
Die jäh wie Feuersflut vom Himmel mich
Vor deiner stillen Größe überkam.
(S. 85)
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Schuldbewusst

Die schwarze Nacht ruht in den Straßen;
Der Glanz des Tages ist verwischt;
Noch einen Blick nach deinem Bilde! -
Die Lampe flackert und verlischt ...

Weh mir! Traf aus umflorten Augen
Mich nicht ein Schmerzensblick zuletzt?
Der Friede weicht von meinem Lager;
Mein waches Auge starrt entsetzt.

Ward jenes tote Bild lebendig?
Hat es ein Zauber jäh durchglüht
Mit deinem Leben, armes Mädchen,
Mit deinem trauernden Gemüt?

Noch einmal sei entfacht die Lampe! -
Nun lächelst du in süßer Huld -
Und sie entwirrt mir jenes Rätsel,
Die mir am Herzen nagt - die Schuld.

Daß ich dich einst um eine Andre
Vergaß in wilder Sinnenglut,
Daß ich vergiftet deinen Glauben,
Das stachelt der Erinnyen Wut.

Das läßt in jeden düstern Winkel
Die ruhelosen Augen spähn
Und vor den schreckgebannten Blicken
Geheimnisvollen Trug erstehn.

Zu Wesen werden die Gedanken
In der Erinnrung stillem Lauf,
Und selbst im ewig Regungslosen
Wacht ein geheimes Leben auf.

So kam's, daß ich auf deinen Zügen,
Bevor das Licht der Lampe schwand,
Die stumme Klage tiefer Schmerzen
Und still geweinte Thränen fand. -
(S. 86-87)
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Freudiges Erwachen

Wie still du liegst im Sarg! Ein heilger Odem
Umzittert deinen hingestreckten Leib.
Ein Engel starb in dir; ich aber breche
Zusammen, schmerzenstumm. Du warst mein Weib! -

Da preßt ein Mund sich warm auf meine Lippen,
Und ich erwache: - Lächelnd stehst du da,
Mit roten Wangen, so lebendig blühend,
So jugendschön, wie ich nur je dich sah.

So bist du nur im Traum mir tot erschienen?
Ich presse dich ans Herz im Tagesschein,
Noch voll des Jammers, daß ich dich verloren,
Und voll Entzücken, weil du mein noch, mein! -

Ich fühl's mit Beben, fühl's mit tiefen Schauern
Wie eine Mahnung durch die Seele gehn:
Ich soll in Jubel dich und Ängsten lieben,
Als könntest morgen du von hinnen gehn.
(S. 91-92)
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Aus: Gedichte von Otto Ernst
Der "Neuen Gedichte" zweite, der "Gedichte" dritte,
gesichtete und revidierte Auflage
Leipzig Verlag von L. Staackmann 1902
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Ernst_(Schriftsteller)



 

 


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