Emmy Escherich (1856-1935) - Liebesgedichte

 

 

Emmy Escherich
(1856-1935)



Lieder fahrender Schüler

I.
Schon steht der Strauch in Blüte -
Nun Liebchen, thu' dein Fenster auf!
Du hast ein leicht Gemüte:
Vergiß mir nicht darauf!

Du dunkelblauer Flieder,
Wie hab' ich mich nach dir gesehnt!
Lenzlust und Lenzeslieder
Die hab' ich dir entlehnt!

Ein gelber Falter gaukelt
Mit schnellem Fittig drüber hin;
So ändert und so schaukelt
Feins Liebchen seinen Sinn.

Und hast du mein vergessen,
So fahr' denn wohl, mein Herzensglück!
Und war mein Traum vermessen -
Ich geh' den Weg zurück!

Wohl steht der Strauch in Blüte -
Doch Liebchen thut kein Fenster auf.
Sie hat ein falsch Gemüte -
Vergiß mein Herz darauf!


II.
Doleo quod nimium,
Allzu weh ist mir zu Mut -
Patior exilium,
Traurig fließt mein junges Blut;
Pereat hoc studium,
Zu viel Lernen thut nicht gut,
Si non redit gaudium.
Weils das Hirn verrücken thut.


III.
Staubentrückt, waldbeglückt,
Winkt mir der Abendschein;
Lichtumhüllt, lusterfüllt
Jauchze ich drein.

Schilfumblüht, schaumumsprüht
Wiegt sich die Wasserflut;
Blütenduft würzt die Luft
Wonnig und gut.

Lerchensang, Lautenklang
Schwirrt durch den Rosenhag -
Lehrsaal fern, Klosterherrn,
Lockt mich der Tag!


IV.
Hei, wie froh ist mir zu Sinne,
Hei, wie bin ich leicht bestellt,
Denn mein Herz ist voll von Minne
Und mein Beutel leer von Geld!

Hei, wie kann ich lustig ziehen
Über Heide, Feld und Rain;
Ohne Sorgen, ohne Mühen:
Immerdar glückselig sein!

In dem Seedorf, auf der Halde
Mach ich Halt; juhei! hinein
In die Herberg nächst dem Walde;
Ei, Herr Wirt, nun bringe Wein!

Heirassa, wie blitzt das Kännlein,
Drin die Gottesgabe schäumt!
Heirassa, wie dampft das Pfännlein,
Drin ein bratend Hähnlein träumt!

Nun zum Danke laß dir drücken,
Lieber Wirt, die Hand gar sacht -
Aber willst du ganz beglücken:
Herberg mich auch noch zur Nacht!

Scheint der Mond dann in die Kammer,
Will ich segnen deinen First,
Daß von allem Erdenjammer
Nimmer du umgattert wirst;

Daß der Himmel gnädig waltet
Über deinem güld'nen Wein,
Daß er ganz zumeist erhaltet
Wonnig stets dein Töchterlein!


V.
Viel Blumen blüh'n im Garten,
Viel Buschwerk steht am Rain -
Geduldig magst du warten,
Bis du wirst glücklich sein.

Will heut das Glück nicht frommen,
So nahts beim Morgenstrahl,
Und wird's auch da nicht kommen -
So kommts ein andermal.

Es neigt mit mildem Wehen
Sich jedem süß und lind:
Du nur willst's nicht verstehen,
Du thöricht Menschenkind!


VI.
Waldgeboren, weltverloren hab ich mir ein Nest gesucht,
Eine Quelle sprudelt helle nebenan in grüner Schlucht;
Tannenwipfel, Bergesgipfel glühen dort im Abendstrahl,
Vöglein singen, Glocken klingen auf zu mir aus tiefem Thal.

Eppichranken leise schwanken um die alte Siedelei,
Und mein Sinnen zieht von hinnen, und mein Geist wird leicht und frei!
Einst verachtet, gramumnachtet, eingepfercht in engen Raum -
Nun erquicket, leidentrücket sitz' ich unterm Tannenbaum.

Heimlich leise, nächt'ger Weise, las ich einst Ovidius -
Nun mit Kosen, unter Rosen, pflück' ich süßen Liebeskuß;
All' die alten Liedgestalten sind nur wesenloser Dunst:
Frohes Singen, Becherschwingen, Minne nur - ist echte Kunst!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 94-97)
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Schön Ingigerd's Goldhaar

Jarl Thorgnyr lagert auf Jütlands Au'
In dämm'rigem Abendwehen;
Die Haide ist braun und das Fjord ist blau
Und die Wogen kommen und gehen.

Die Sonne sinkt abschiedglühend in's Meer,
In Purpur die Wolken prangen;
Dem Jarl nur ist das Herz so schwer
Und Trübsal hält ihn umfangen.

Denn sie, um die er in sonniger Stund'
In treuen Züchten geworben,
Sie ist ihm - das drückt ihm die Seele wund -
Im Jugendschimmer gestorben.

Zwei Schwalben fliegen zu Neste all' beid',
Dieweil sie im Spätwind erschauern;
Da fährt er empor in trotzigem Leid:
"Was soll ich nur einsam vertrauern?

Was soll ich vertrauern die Sommerzeit
Mit wehmuthumflortem Sinne?
Mein Herz ist noch jung und stark und weit -
Ich sehne mich nach der Minne!"

Da wirft eine Schwalbe ihm in den Schoß
Ein Knäulchen, gleichschimmernd dem Golde,
Ein einzig Menschenhaar ist es bloß,
Doch manneslang. !Wer ist die Holde,

Der solches eignet?" Der Jarl da sinnt:
"Und müßt' ich darob verderben,
Das liebliche, goldhaarumflossene Kind
Will ich mir zum Eh'gemahl werben!" -

Das Mondlicht fließt über Jütlands Au'
In thauigem Nachtwindswehen;
Die Haide ist braun und das Fjord ist blau
Und die Wogen kommen und gehen.

In Thorgnyr's Halle, beim brennenden Span,
Lehnt der Jarl in Träume versunken!
Sein Harfenmeister sitzt nebend'ran,
Das Methorn ist ausgetrunken.

""Was fehlt Dir, mein Jungherr, was denkst Du, mein Held?""
Fragt Biörn, der getreue Skalde.
- "Zwei Schwalben flogen wohl über Feld,
Ueber Meerstrand und Haidenhalde;

Die brachten mir Zeichen von einer Magd,
- Spricht Thorgnyr - ihr eignet mein Sinnen!"
Und wie er die Märe zu Ende gesagt,
Da ruft er: "Sie muß ich gewinnen!"

Und Biörn, der Alte, der lächelt fein,
Er kennt alle Fürsten der Runde;
Er weiß auch von jedem Jungfräulein
Wahrhaftige, sichere Kunde.

Er sinnt nicht lang, wer die Jungfrau wert,
Die der Jarl zum Gemahl sich erkoren:
""König Hreggnid's Tochter, schön Ingigerd,
Allein hat solch' Goldhaar verloren!""

Drob jauchzt der Jarl und rüstet zur Fahrt.
Wie die Morgenwolken sich färben,
Da sprenget, den Troß er um sich geschart,
Nach Reußenland hin, um zu werben. -

Schön Ingigerd's Auge lacht blau und klar,
Es gleicht ihre Locke dem Golde,
Es fällt ihr seidenweich schimmerndes Haar
Wie ein Mantel rings um die Holde.

Jarl Thorgnyr reitet in's offene Thor,
Vor Hreggnid's Königshagen,
Den Goldhaarknäul, den die Schwalbe verlor,
Hochwehend als Helmschmuck getragen.

Und vor Ingigerd wirft sich in stürmischer Eil'
Der Jarl in's Knie: "Wie auf Flügeln
Hat her mich gezogen ein mächtiges Seil -
Dein Zeichen - zu diesen Hügeln".

Und dann springt er empor und haschet ihr Haar,
Die güldenen, wallenden Massen,
Und küßt ihre Stirn' und umhalset sie gar:
"Nun will ich Dich nimmer lassen!" - -

Jarl Thorgnyr lagert auf Jütlands Au'
In wonnigem Morgenwehen;
In den Armen hält er die lieblichste Frau,
Die die Sonne jemals gesehen.

Und der Skalde sitzet zu Füßen dem Paar,
Es rühret die Harfe der Reine -
Er singet die Märe von Ingigerd's Haar
Und seinem goldfarbenen Scheine.

aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 59-60)
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Biographie:

Escherich, Frau E., Ps. E. Felshof, früher München, derzeitiger Aufenthalt unbekannt, wurde am 11. März 1856 zu München geboren und erhielt von ihrer geistig bedeutenden Mutter eine vortreffliche Erziehung. Eine unglückliche Ehe fiel wie ein Frühlingsreif auf das ideal veranlagte Mädchen und beschleunigte ihre volle Entwickelung. Nach erfolgter Scheidung widmete sie sich wissenschaftlichen und poetischen Arbeiten, besonders kulturhistorischen Studien über Münchens und Bayerns Vergangenheit. Nach Thom's "Deutsche Dichter in Wort und Bild" soll E. Escherich in Berlin als Redaktrice und Schriftstellerin thätig sein.

- Aus Münchens vergangenen Tagen. Kulturgeschichtl. Erzählgn. München 1891
- Des Masskrugs Lebensgeschicht'. Illust. v. W. Schade München 1893
- Fürstenminne. München 1891
- Isaria. Kulturgeschichtl. Erzählgn. v. d. Ufern d. grünen Isar. Augsburg 1886
- Runkelstein. Erzählg. München 1881
- Saga. Geschichten a. alter Zeit. Stuttgart 1884
- Was sich die Frauentürme erzählen. München 1892

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
 


 

 


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