Hanns Heinz Ewers (1871-1943) - Liebesgedichte



Hanns Heinz Ewers
(1871-1943)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Die Lieder von der goldnen Kätie

I.
Immer wieder, immer wieder
schmeichelnd weiche Sommerlieder,
immer wieder
heimlich Rauschen aus den Ulmenbäumen,
süsser Klingklang und verliebtes Träumen.
Heisse Nächte, weisse Frauenbrüste,
die die Lippen küssend kosen,
dass im Hexensabbat wilder Lüste
Hirn und Herzen toll und toller tosen,
Immer wieder
neuer Reiz für die entnervten Glieder,
dass sie nimmer eine Ruhe finden,
dass die Träume neue Träume jagen,
dass die Freuden fliehen wie die Klagen:
neue kommen und die alten schwinden.
Immer wieder
heisser Blumen schwüles Sommerküssen,
Rosen, Nelken und Jasmin und Flieder,
leichtes Neigen und verstecktes Grüssen,
immer wieder,
Und kein Sturm in diesen weichen Lüften
und kein Gift in diesen Schmeicheldüften,
leises Rauschen nur aus Ulmenbäumen,
süsser Klingklang und verliebtes Träumen.
Neuer Reiz für die entnervten Glieder,
lockend leichte Sommerlieder
immer wieder,
immer wieder - -
(S. 57)
_____



II.
Du von rechts und ich von links
kamen wir über den Weg,
kannten uns nicht und - kannten uns doch,
hole der Kuckuck das schnurrige Dings -
von rechts kamst du und ich von links
über denselben Weg.

Langsam ging meine blonde Sphinx
über den schmalen Weg -
liebten uns gar und - liebten uns nicht.
fassten die Hand, halloh, so gings,
von rechts her du und ich von links
ein Stück denselben Weg.

Närrisch sind wir und Narren rings
geleiten unsern Weg.
Wir lachen sie aus und - lachen auch nicht.
- Wir schaun auf die Flügel des Schmetterlings,
nun flattert er rechts, jetzt fliegt er links
lustig über den Weg.

Gold blinkt im Becher - stoss an und trinks:
es leb unser kleiner Weg!
Wir sehn uns wohl noch - oder sehen uns nicht -
Was tuts? Sei lustig, blonde Sphinx
und küss mich rechts und küss mich links
auf unserm kleinen Weg!
(S. 58)
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III.
Im Park

Die Kätie will, ich soll ihr ein Liedchen schreiben,
voll bunter Farben und bunter Klänge,
wie der Sonnenstrahl fällt durch die glänzenden Kirchenscheiben,
wie der muntere Bergquell springt über Felsenhänge,
ein leichtes Liedchen, aus Licht und aus Duft geboren,
ein schmeichelnd Liedchen für Käties lauschende Ohren.

Clematis brach ich, dass ich mein Liebchen mir schmücke,
Ein Sommerwehen ging durch die Ulmenbäume,
im Parke über dem Bach auf hölzerner Brücke
standen wir lange und träumten verlorene Träume,
leichte Träume von glücklichen Kinderstunden,
die nun so weit im wehenden Winde entschwunden.

Clematis brach ich, dass ich mein Liebchen mir schmücke,
dunkle Sommerblumen für ihre goldenen Locken.
Und der Schmetterling flog und es tanzte die lustige Mücke
und die Wölkchen zogen am Himmel in weissen Flocken -
oh, wir standen schon lange in bunte Träume verloren,
dort in der Sommerpracht, aus Licht und aus Duft geboren.

Süsser Zauber drang hervor aus den Ulmenzweigen,
die sich im Winde neigten und leise uns grüssten -
- nein, wir sagten uns nichts, in tiefem Schweigen
standen wir Hand in Hand - und ob wir uns küssten,
weiss ich nicht mehr - - wir waren so traumverloren
dort in der Sommerpracht, aus Licht und aus Duft geboren.
(S. 59)
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IV.
Am Morgen

"Gnädiges Fräulein!" ruft das Stubenmädel
Selma - und sie klopft an deine Türe,
"Gnädiges Fräulein, auf! Das Bad ist fertig!"
"Ja, ich komm schon!" ruft die goldne Kätie,
aber fester schlingt sie ihre Arme
um mich, zieht mich an sich: "Wieder Tag!"
- Und nach fünf Minuten kommt schon Selma
wieder, klopft: "Ach, gnädiges Fräulein, sicher
nun ists Zeit, das Bad wird wirklich kalt!"
"Ja, ich komm schon!" ruft die goldne Kätie -
Einmal noch drückt ihre weiche Lippe
leicht die meine: "So, nun musst du gehen!"
- Und ich geh in meine kalte Stube,
in mein kaltes Bett, dieweil sich Kätie
nebenan noch ihre Siebensachen
sucht - so Schwamm und Tuch, Lawendelwasser -
huscht dann überm Flur ins Badezimmer.
- Fünf Minuten sind wohl kaum entschwunden,
doch mir ist, als hätt ich meine Kätie
nicht gesehen in Jahrhunderten!
Und ich muss sie sehen! - Wer wirds merken?
Schuh und Strümpfe an! Den Mantel über!
So, nun eil ich raschen Schritts hinüber
übern Flur ins kleine Badezimmer,
wo die goldne Kätie lustig plätschert.

Oh, wir plätschern beide, und wir spielen
wie zwei Kinder, spritzen uns und lachen -
- Aber nun muss ich die Schöne küssen,
muss die Linien ihres liebes Leibes
leise kosen mit verliebtem Finger.
- Wie ich diese kleinen Brüstchen liebe!
Lottchen nenn ich eins, das andre: Lieschen,
und ich küsse Lottchen, küsse Lieschen,
dass sie zittern unter meiner Zunge -
Schmeichelnd duftet rings das weiche Wasser,
kosend spielt es rings um meine Glieder,
leis umfängt es meine goldne Kätie.

Süsser Traum der frühen Morgenstunde,
wie du kurz bist! - Wie du mir entflatterst,
wie du, lieber Traum, mir rasch entschwindest,
süsser Traum von meiner goldnen Kätie!
(S. 60-61)
_____



V.
Eh ich diesen Morgen mich von Kätie
trennte, sprach sie: "Höre, willst du haben,
dass ich heute meine Türe öffne,
wenn du klopfst und 'Kätie, Kätie' rufst,
dass ich heute deine Lippen küsse,
dass ich heute Nacht an deiner Seite
schlafe und um deinen Hals die Arme
schlinge, Hanns - - musst du am Morgen
an dem Schreibtisch sitzen, auch den Mittag,
auch den Abend - und musst Lieder dichten,
hübsche Lieder für die goldene Kätie!"

Goldene Kätie, ich wollte, du wärst meine Mutter -
In dem Künstlerhause am lieben falschen Rhein
steht auf schwerem Teppich ein alter Sessel,
gerad am Kamine.
Und in dem Sessel sitzt du,
vor dir knie ich -
was sollen diese grundlosen Tränen?
Aber in die Dämmerung leuchtet dein müdes Auge -
und versteht meine Tränen.
- Die fliessen langsam über die blauen Adern
deiner Hände,
wie ein Sehnen nach unendlichem Frieden;
meine Tränen - -
O goldene Kätie, ich wollte, du wärst meine Mutter.

Goldene Kätie, ich wollte, du wärest mein Kind,
Wo aus dem blauen Leman die blaue Rhone rauscht,
auf der kleinen Insel, wo Rousseau träumte,
wo uralte Ulmen des Himmels strahlendes Blau verdecken
und die lachende Nachmittagsonne,
da halt ich mein Kind auf dem Schloss.
Mein kleines Mädchen horcht auf das Rauschen der Rhone,
auf das Rauschen der Ulmenblätter
und auf meine schmeichelnde Stimme,
die rauschende Märchen erzählt - -
O goldene Kätie, ich wollte, du wärest mein Kind.

Goldene Kätie, ich wollte, du wärest mein Weib,
Über Ravello liegt der Mond, der allmächtige Mond;
da leuchtet die Sarazenenstadt.
Und die Wolken leuchten
und die Berge
und das tiefe, italische Meer,
Wir treten hinaus aus unserm Palast
auf den hohen Balkon
und wir schaun all die gewaltige
geheimnisvolle Pracht - -
Dein Arm löst sich aus meinem
und legt sich mir auf die Schulter,
aber tief aus der Brust
dringt dir das Wort:
"Ich liebe dich!" - -
O goldene Kätie, ich wollte, du wärest mein Weib!

Goldene Kätie, du bist meine Herrin.
Meine Mutter bist du,
die diese grundlosen Tränen
versteht,
Bist mein artig Kind,
reitest auf meinem Knie
und lauschst meinen rauschenden Träumen,
bist mein stolzes Weib,
das all seinen Stolz
und den Leib und die Seele
mir gibt mit dem einen Worte:
"Ich liebe dich!"
O goldene Kätie, du bist meine liebe Herrin!
(S. 62-63)
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Sehnsucht

Ich sehne mich nach einem blonden Kinde,
Fünf Jahre muss es sein, hat Sammethändchen,
ein weisses Kleid mit weissen Flatterbändchen,
und seine Locken spielen leicht im Winde.

Es nennt mich: Vater. - "Vater, lass mich reiten
auf deinem Knie!" - "Nun musst du mir erzählen
ein Märchen, Vater!" - Ja, so wird es quälen.
Und durch die Dämmerung meine Träume gleiten

zum Maerlarsee, zu einer alten Linde -
Da schläft die Mutter. Und die Blüten neigen
sich auf das Grab, daraus die Wurzeln steigen -
Ich sehne mich nach meinem blonden Kinde.
(S. 64)
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Aus Stenies Wäschekorb

Illusionen

Stenie: "Je voudrais que tu avais encore
tes 18 ans et toutes les illusione;
tu m'aimerais bien avantage!"

Zählt ich achtzehn erst und hätt noch
alle meine Illusionen,
würd noch grössere Lieb in meinem
Herzen, meinst du, für dich wohnen?

- Ach, ich zähl schon fünfundzwanzig
und der bunte Traum der Jugend
ging verloren, Stenie, wie dein
Mädchentum und deine Tugend!

Ja, du musst schon, kleine Ratte,
dich begnügen mit den Restern,
aber schilt mich nicht - beklage
dich bei deinen schönen Schwestern.

Sieh, in jedem Sommer wollte
mir im Herz als Herrin thronen
eine Andere - - aber keine
hielt etwas auf Traditionen.

Das regierte kunterbunter,
hatt zum Wahlspruch sich genommen
des Herrn Metternich Devise:
"Mag die Sintflut nach uns kommen!"

Das schmarotzte mir im Herzen
wie ein Völkchen wilder Drohnen,
frass und raubte - - und zum Teufel
gingen meine Illusionen.

Nun regiere du, begnügen
musst du dich mit kleinen Restern.
Aber schilt mich nicht! Beklage
dich bei deinen schönen Schwestern!
(S. 67-68)
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Interieur

Wenn sich Stenie längelang
hinwirft in die Kissen,
knarrt das Wackelkanapee,
dass die Fetzen rissen.

Hoch ruht sie auf einem Berg
bunter Seidenlappen,
und ein Loch im linken Strumpf
ist ihr stolzes Wappen.

Hält noch immer in der Hand
Pinsel und Palette
und natürlich in dem Mund
ihre Zigarette.

Um sie ist ein stolzer Kreis,
traun, ein genialer:
Hanns der Dichter, Kurt der Graf,
Jens und Sepp, die Maler.

Und mein Gräflein sitzt und plauscht,
zeigt die hübschen Zähne,
doch der Seppl glättet sich
seine Künstlermähne.

Jens sitzt stumm und schaut herum
mit verdrossener Miene -
und es lacht der Hanns und spielt
auf der Mandoline.

"Lustig, Kinder! Lustig heut!
Jens, was sinnst du böse?
Nimm die Gläser, giess hinein
grünliche Chartreuse!

Prost! Ich trink auf euer Wohl,
lustige Rivalen,
mögt ihr bald mit Stenies Lieb,
ihren Küssen prahlen!

Kinder, wischt euch aus dem Hirn
dumme Spinneweben,
Skal! stosst an! es lebe hoch
das Zigeunerleben!
(S. 69-70)
_____



Wandschmuck

Stenies seidne Unterhöschen
hängen über meinem Bett,
hängt dabei ein rotes Röschen
und ein römisches Stilett.

Blassrot ist das letzte Röschen
vom verwelkten Ballbukett,
Stenies liebe Spitzenhöschen
schimmern weich in Violett.

Aber hell wie die Rakete
blinkt mein spitziges Stilett -
sind die drei an der Tapete
nicht ein lustiges Terzett?

Sind drei Tröpfchen auf dem Röschen
roten Blutes, wundernett,
drei auf Stenies Unterhöschen,
dreie auch auf dem Stilett.

Drei am Röschen? - Ja, das Händchen
ritzte sie sich am Kollett,
als sie von der Brust das Bändchen
heftig riss und das Bukett.

Durch das Hemd drei Tröpfchen glitten
auf mein zitterndes Stilett,
als ich hastig durchgeschnitten
ihr die Bänder am Korsett.

Blut vom Händchen färbt mein Röschen,
Blut vom Rücken mein Stilett -
Doch wie kam in Stenies Höschen
Purpurrot in Violett?

Purpurrot in Spitzenhöschen?!
Und das Tröpfchen prunkt kokett!
- - Höschen und Stilett und Röschen
Kichern über meinem Bett!
(S. 71)
_____



Empfindsamkeiten

Das Mädchen spricht:

Irgendwo - - irgendwo,
weit in der weiten Welt,
harrt mein ein junges Herz.
Harrt mein in wehem Schmerz,
glühheiss von Lieb geschwellt -
Wo? - - wo?

Irgendwann - - irgendwann,
weit in der Zeiten Gang,
warten zwei Arme mein.
Warten in stiller Pein,
warten lang, warten lang -
Wann? - - wann?

Irgendwann - -  irgendwo,
fern unter blauem Zelt,
find ich den Liebsten auf.
Weit in der Zeiten Lauf,
weit in der weiten Welt -
Wann? - - wo?
(S. 76)
_____



Wechsel

War ein Bub von sechzehn Jahr,
als sie mich gefangen,
mir den Strick von Mädchenhaar
um den Hals gehangen.

Lili pfiff ein narrig Stück
aus verschleimter Kehle,
doch ich glaubt an die Musik
wie an meine Seele.

Lili pfiff! Und feierlich
schwang ich meine Beine,
wie ein Äffchen tanzte ich
stolz an ihrer Leine.

Heut spiel ich zum Tanze auf,
rausche und posaune,
und die Mädchen schaun herauf,
springen meiner Laune.

Polka hopst Elisabeth,
Walzer schleift mir Ella,
Cancan tanzt die schwarze Gret,
Stenie Tarantella.

Ach, wie gerne gäb ich doch
Fiedeln, Hopsen, Schleifen,
tanzt als Äffchen einmal noch
ich nach Lilis Pfeifen!
(S. 77)
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Andalusisch

Liebste, nimm die Blutorange,
die ich tief im Garten brach.
Liebste, nimm die Blutorange.

Doch nicht schneid sie mit dem Messer,
denn du wirst mein Herz zerschneiden,
mitten in der Blutorange.

Liebste, brich die Blutorange
mitten durch mit raschem Finger,
Liebste, brich die Blutorange.

Trinke, trink mit heissen Lippen
und du wirst mein Herzblut trinken
mitten aus der Blutorange.
(S. 78)
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La Paloma

Rote Kirschen in der Schale
von Kristall,
Josephshöfer im Pokale,
heiler Gläserschall -
Und sie holt die Zigaretten
vom Gesims,
sie, die liebste der Koketten,
Dona Mims!

Kleine, weisse Waschbärzähne,
kerngesund,
blonde Locken Schüttelmähne,
roter Kirschenmund -
Und die grünen Nixenaugen
kichern hell:
"Senor, soll das Leben taugen,
lebt es schnell!"

Rote Kirschen in die Locken
flecht ich ihr,
während ihre Finger locken
Schmeicheltöne vom Klavier.
La Paloma! - Weisse Taube!
- Weiss wie du!
Rauschegold und Märchenglaube
klingt mir zu.

Schuh und Strümpfe meiner Süssen
zieh ich aus,
Küsse brennen auf den Füssen
meiner wilden Maus.
Rote Kirschen wind ich leise
um die Zehn - -
La Paloma - Nixenweise -
Schifferflehn.

Rote Kirschen - Nixenaugen,
Kuss um Kuss
heisser Lippen, die sich saugen
in den weissen Fuss -
Rauschegold und Märchenglaube
klingt mir zu -
- La Paloma - Weisse Taube - -
weiss wie du!
(S. 79-80)
_____



Ähnlichkeiten

Wenn ich manchmal denke, meine Lieder
könnten Hinz und Kunz und Kaspar gleichen,
möcht ich gern den vollgereimten Plunder
in die Flammen meines Ofens werfen!

Und ich ging zu meinem Freund und Maler:
"Hast ja meine Lieder jüngst gelesen,
sprich, an wen erinnern diese Lieder?"
- Denkt er nach - dann sagt er: "An Rosetti!"
"An Rosetti? - Dem mag Swinburne gleichen,
dem Burne-Jones und Crane - ich gleich ihm nicht!"

Und ich ging zur klügsten Frau in Deutschland,
frug: "An wen erinnern meine Lieder?"
- Sprach die Dichterin der roten Kressen:
"Wie es kommt, ich könnt es dir nicht sagen,
könnt dir kein warum, weshalb nicht sagen,
aber wenn ich deine Lieder lese,
denk ich immer -" Nun, was denkst du, Klara?"
"- Denk an Shakespeare!" - "Sacre nom de Dieu!
Über Kunstwerk soll man Laien fragen,
keine Künstler! - Der spricht von Rosetti,
du von Shakespeare?" - Doch ihr seht durch Brillen,
durch verschliffene, buntgefärbte Gläser!"

Und ich ging zu meiner schönsten Freundin,
las ihr schnell die besten meiner Lieder:
"Sag mir, Liebste, sag mir du die Wahrheit,
wie dus fühlst - wem gleichen diese Lieder?"
"Wem sie gleichen?" - und die Schönste lächelt,
lieblich lächelnd küsst sie meine Wangen -;
"Nun, sie gleichen - -  mir!"
(S. 81)
_____



Westindische Sonette

Abend auf St. Thomas

Nun fallen Worte wie Akazientrauben
mit fernem Abendläuten in mein Ohr,
ein Klang, der sich in stiller Bucht verlor,
sucht heim zum Schlag wie sturmverflogene Tauben.

Ihn jagt vom Strand ein schriller Seemannspfiff -
da flieht er hastend zwischen Mangobäumen
und birgt sich ängstlich in das leise Träumen
der Kokospalmen am Korallenriff.

- Und durch die Gärten geht ein Frauenschritt,
wie weiche Windenglocken tönt sein Gleiten
und nimmt die Sehnsucht meiner Sinne mit.

So wie Mimosen scheu nach allen Seiten
klingt zitternd ihr Gewand bei jedem Tritt
und will mich weit in süssen Traum geleiten.
(S. 85)
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Galeotto

- - noi leggevamo, un giorno, per diletto
di Lancilotto, come amor lo strinse,
soli eravamo e senza alcun sospetto.

Galeotto fu il libro e chi lo schrisse
Dante, l'Inferno V. 127 ff.

Wir lasen einst - - was war es doch, Isolt?
Am Sommermittag in der Geissblattlaube -
rot war das Büchlein und der Rand war Gold

auf deiner Schulter sass die zahme Taube -
wir waren ganz allein, und grabestot
war rings die Welt, kein Lüftchen weht' im Laube

da lasen wir - war es die Liebesnot
des Paars von Rimini, durchbohrt vom Speere?
War es das Traumeslied von Lancelot? -

Was war es doch? - War es der freudeleere,
herzschwüle Sang, den Echegaray schrieb?
Wars Tristans Fahrt auf liebetrunknem Meere?

Ich weiss es nicht, was es war, doch haften blieb
mir fest im Hirn, wie leis auf meine Rechte
du deine Hand gelegt, mein süsses Lieb.

Und meine Finger lösten deine Flechte
- da sahst du mir ins Aug, und in dem Blick,
im tiefen lag das Zauberwort, das echte.

Das rechte Wort im rechten Augenblick.
Die Herzen schlugen und die Sonne brannte
und unsere Seelen fordert' das Geschick.

- Dicht war das Laub, das unsere Lieb umspannte,
wir waren ganz allein im grünen Zelt -
von lieber Fee ins Sagenland Verbannte:

Die Königin warst du, ich war der Held,
der Kuppelprinz, der unsere Liebe kannte,
der Galeotto - war die ganze Welt!! -
(S. 43-44)
_____



Die Vase

Wie mit dem Stock er
in klingenden Scherben stocherte,
fand er diese Vase,
Nun grub er im Schmutze,
da hob er sie:
Kopenhagen!
Ei! diese schöne Vase!
Dann:
von blauweissem Grunde
nimmt sein Seidentuch
Kot weg und Staub,
und die Leichtgeküsste
trägt er hinein
zwischen Mahagoni.

Drei Narzissen, fünft gelbe Haselkätzchen -
ob sie diese Wonne verstände?
So gibt er:
Zweck ihrem Dasein,
einen Grund ihrer Schönheit,
ihrem Leben die Fülle.

Wie er vor ihr steht,
so betet er.
Oder:
sein Auge freut sich dieser Schönheit
und trinkt diese Kunst,
die er schuf.

Ja! so ist sein Beten!

Nun aber zerschlägt er die Vase,
wirft die Scherben,
Narzissen, Haselkätzchen,
auf den Kehrirchthaufen -
dann: sein tiefer Atem. -

Ja! So liebe ich dich, meine Liebste!
(S. 45-46)
_____



Der Rubin
("Gioia")

Cardano: De vita propria cap. XLIII
de somniis cap. IV
de somniis cap. XXI
de subtilitate p. 338

"Führ an die Lippen den roten Rubin,
unter die Zunge lege ihn, leise,
lehn dich zurück und schliesse die Lider!"
Fressen die züngelnden Flammen,
nagen am Herzen, am müden Hirne,
helle Flammen, heisse Flammen,
Feuerflammen vom Richtplatz des Sohnes -

"Küss den Rubin,
roten Rubin,
küsse ihn, küsse ihn!"

Giftmischer war er, der liebe, geliebte,
wehe Düfte, wunde Düfte
hauchen um die Feuerscheite,
grüne Düfte in roten Flammen -

"Küsse den Rubin,
schliesse die Lider!"

Dichter der Rauch! Deckender Nebel
trübet den Blick,
hüllet die Stätte.
Weicher Nebel
kühlet die fiebernden Schläfen,
streichelt die Stirne.
- - Bilder heben sich, bunte Bilder,
schlanke Gestalten in weiten Gewändern,
streuen Blumen, streuen Blätter,
schaukelnde Blätter roten Mohnes.

- Harfen ertönen,
Klänge versöhnen,
Düfte umschweben dich,
Lüfte beleben sich:
Deinem Frieden!

"Küss den Rubin!"
(S. 47-48)
_____



Schlafe, Geliebte . . .

Schlafe, Geliebte, auf ruhigem Meer.

Kein Lüftchen regt sich,
kein Hauch aus Osten
rührt dir dein Blondgelock:
weithin zur Heimat,
zur leuchtenden Sonnenheimat,
trägt dich der Kiel - -
Schlafe, Geliebte, auf ruhigem Meer,

Auf ruhigem, atemlos ruhigem Meer
gleitet dein Schiff,
kein Wogen, kein Rauschen - -
Nur vorne, da vorn, wo das Bugspriet taucht,
plätschern und schäumen die weissen Wellen.
Plätschern die Wellen,
und weisser Schaum
flattert empor, schüttelt die Flügel,
schmiegt sich zitternd an deine Füsse:
La Paloma, die weisse Taube.

Schlafe, Geliebte, auf ruhigem Meer,
träume du, träume von bunten Märchen,
die dir die weisse Taube erzählt.

"Ferne im Osten, da wohnen die Deutschen,
hässliche Menschen mit breitem Gesicht;
wirken und schaffen, fleissig und regsam,
tagüber, nachtüber, Frühling und Herbst.

Ferne im Lande der hässlichen Deutschen
fliesset die gelbe, schmutzige Saar,
widrigen Bergmanns ekele Schwielefaust
reisst dort die Kohle aus geizigem Schacht.

Staub liegt und Nebel in drückender Wolke
über den Strassen, über dem Land - -
über der Seele der hässlichen Deutschen,
russiger Kohlennebel und Staub.

In dem Lande der hässlichen Deutschen,
mitten durch Nebel und russigen Kohlenstaub,
trägt ein Knabe in zitternden Händen,
suchend, sein rotes, blutschönes Herz.

Wem er begegnet, den wird er fragen:
Fremder, sahst du ein blondes Mädchen
nirgend, nirgend im Lande der Deutschen?
Tot ist sie - tot - - und ich liebe sie.

Siehe, mein Herz, das schönste der deutschen,
will ich ihr bringen, mein blutend Herz:
fasst sie es an mit weissen Fingern,
schlingt sie die Arme mir um den Hals."

So sagt die Taube vom Lande der Deutschen.

- - Schlafe, Geliebte, auf ruhigem Meer.
Träume, zitternde Träume, zerfliessen,
siehe, die Taube zu deinen Füssen
schwindet flatternd ins lockende Meer.
Kind, - so schwindet Liebe und Glaube!
Wie sie die weissen Wellen umbranden,
kehret zum Schaume, aus dem sie entstanden:
La Paloma, die weisse Taube.
(S. 51-52)
_____



Dämmerstunde

Tränen in das Antlitz meiner Herrin dringen,
hört sie ihren Narr die bunten Lieder singen
- hier wie dort;
leise schmeichelnd erst und zögernd sacht - und schneller
dann in raschem Spiel - - zum Schluss ein greller,
harter Missakkord.

O du kluges Kind, du liebe Gigerlette -
küss die schmale Hand, wenn sie mit der Lorgnette
kokettiert -
Weiss die Hand, doch mauve ist die Manschette,
die zum matten Gelb der Toilette
seltsam harmoniert.

Kauert sich Bajazzo hin zu deinen Füssen,
gierig schlürft er der Reseden Duft, den süssen,
- - stumm sein Sang.
"Liebe Herrin, sieh, ich kann mein Lied nicht enden,
meine Laute glitt mir aus den Händen,
als die Quinte sprang."

Lustig! - Einen Fusstritt für das ärmste Luder!
Kriechend langsam fliesst das Blut mir unterm Puder,
unterm Kleid -
Blase lachend nur den Rauch der Zigarette:
auch in deinem Herzchen, o Kokette,
nagt das blinde Leid.
(S. 53)
_____


Aus: Moganni Nameh
Gesammelte Gedichte von Hanns Heinz Ewers
Georg Müller Verlag München 1918
 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Heinz_Ewers


 

 


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