Gustav Falke (1853-1916) - Liebesgedichte

Gustav Falke



Gustav Falke
(1853-1916)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Ein Unterschied

Das war einmal: ich liebe dich!
Wie Jugend wohl zu Jugend sagt,
die sich in ihrem Überschwang
an alle großen Worte wagt.

Jetzt fragst auch du nicht: liebst du mich?
Du fragst nur schlicht: hast du mich lieb?
Und lächelst, daß nach Lust und Blust
die reife Frucht am Stengel blieb.

Ich hab dich lieb. Das klingt so süß
und klingt so reif. Ein Sommerlaut,
wenn rings der Blick im Vollbesitz
auf segenschöne Felder schaut.

Gib deine Hand, und keinen Kuß,
mein Weib. Nur Blick in Blick. So. Gib.
Und hör das Sommersegenswort,
das reife Wort: ich hab dich lieb.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 6)
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Frage und Antwort

Reinstes Glück, du läßt es mich genießen.
Köstlich sind die Schalen, draus du schenkst,
und wie oft die Ränder überfließen,
nie versiegt, womit du täglich tränkst.
Sage mir, wo füllst du die Gefäße
immer wieder meinem durstigen Mund?

Wenn ich nicht an reichen Quellen säße,
kämst du bald den Schalen auf den Grund.
Doch sie tauchen jeden Abend wieder,
jeden Morgen, in die Bronnen nieder,
die für dich in meines Herzens stillen
Tiefen stark und unerschöpflich quillen.
Mit den feinen Segenshänden übt
Liebe dort das Wächteramt in Treuen,
daß mir nichts die klaren Wasser trübt,
und nicht deine Lippen davor scheuen.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 6-7)
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Im Ballsaal

Du fliegst dahin von Arm zu Arm,
du tanzst so gern,
dir werden Stirn und Wangen warm,
es reißen sich um dich die Herrn;
ich steh gelehnt am Pfosten
auf eifersüchtigem Posten.

Die hellen Flöten quälen mich.
Du tanzst so gern,
mir ist ein jeder Ton ein Stich.
Bald meldet sich der Morgenstern,
zu Hause flammt indessen
Kaminglut, still vergessen.

Ich wollt', es wär' zu Ende schon,
du tanzst so gern.
Ich höre einen sanften Ton,
der flattert wie aus weiter Fern'.
Den hat mit ihrem Bogen
die Liebe fein gezogen.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 7-8)
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Hinterm Deich

Hinterm Deich, weißt du, Schatz,
hinterm Deich den Sonnenplatz?
Überm Ginster, überm schwanken
Hafer hin das Spiel der blanken
Schmetterlinge. Jetzt ein Schrei:
eine Möwe flitzt vorbei.
Einmal auch, wie weit, weit her,
dumpfer Ruderschlag vom Meer.

Hinterm Deich, menschenfern,
kleine Nelken, Stern an Stern,
kleine rote Nelken standen,
die wir uns zu Sträußen banden,
große Kinder, ich und du,
lachten wir vergnügt dazu,
sahn dann wieder ernsthaft drein:
darf man denn so kindisch sein?


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 8)
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Tempelhüterin

Das hab ich dir zu danken,
daß du die grünen Ranken
des Glücks zu einem Zelt mir biegst,
davor du ohne Klagen
getreu an allen Tagen
als meines Friedens wache Hüterin liegst.

Du hörst die leisen Klänge,
die heimlichen Gesänge,
und horchst mit einem halben Ohr hinein,
und durch des Vorhangs Falten,
den deine Hände halten,
dringt nicht des Tages frecher Lärm und Schein.

So läßt du mich gewähren,
und weißt den Gott zu ehren,
der herrisch dich von meiner Seite scheucht,
und träumst von Ruhmessternen,
und siehst in goldne Fernen
mit einem stillen, seligen Geleucht.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 8-9)
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Schamhafte Liebe

Du schläfst, und meine blöde Liebe
darf sich auch ihrem Winkel wagen
und über dich ihr zärtlich Nachtgebet
mit leisem Mund und lautem Herzschlag sagen.

Dem hellen Tag ist sie ein schreckhaft Kind
und liebt Verstecke, hüllt sich gern in Schweigen,
verschüchtert leicht, wo andre lärmend sind.
Du schläfst, und ihre stillen Sterne steigen.
Weit öffnet sich ihr Herz, und in verschämter Pracht
erglüht die keusche Königin der Nacht.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 9)
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Auf der Jagd

Schmale Wege gingen wir
Hand in Hand,
Schmetterlinge fingen wir
hart an eines Abgrunds Rand.
Und mit jedem Falter glaubten wir
gleich das Glück, das Glück gefangen,
doch die Finger nur bestaubten wir,
und der schöne Schimmer war vergangen.

Aber nie genug.
Immer reizt der Flug
dieser bunten Gaukler uns zum Fang.
Dort, den Weg entlang,
quer jetzt. Wie er lacht.
Pfauenaugenpracht.
Hasch ihn. Da. Das Glück.
Über Tiefen. Halt! Zurück!
Hoch im Sonnenglanz
Faltentaumeltanz,
aber unten droht die schwarze Nacht.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 10-11)
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Zwei

Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
hüben ich, dir meine dunkle
sehnsüchtig entgegenneigend.

In dem breiten Strome, der uns
scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen,
sich zu finden, sich zu fassen.

Und so stehn wir, unser Stammeln
stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
und wir können nichts als unsre
stummen Sehnsuchtswinke tauschen.

Leis, gespenstig, zwischen unsern
dunklen Ufern schwimmt ein wilder
schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
unsre blassen Spiegelbilder.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 18-19)
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Die Lilie

Sieh, diese Lilie bring ich dir,
und keiner Rose heiße Glut,
nein, dieser Lilie weiße Glut
und meine Liebe bring ich dir.

Sieh in den keuschen Kelch hinein
und weide dich an seinem Glanz,
an seinem Glanz und deinem Glanz:
kein Spiegelbild kann treuer sein.

Und sieh im weißen Kelchbett tief
den Fruchtstaub, wie er leuchtend ruht,
als ob aus Blut, aus unserm Blut
ein Kronring da zusammenlief.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 19)
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Liebe

Die lange Nacht war schwarz und schwül,
in dumpfen Süchten dumpf befangen
entfernt ich mich von mir, von dir,
nun seh ich wieder über mir
das Leuchten reiner Sterne hangen.

Und eine Stimme, hold vertraut,
nimmt mich ans Herz: der wilden Triebe
schwälende Flamme löscht der Wind.
Sieh, heiter sind
die ewigen Lampen unserer Liebe.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 20)
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Heimkehr 1

Du weißt, ich hab dich lieb gehabt,
und immer gleich, an jedem Tag,
ob ich ein wenig Glück uns fing,
ob still in Sorgen abseits ging.

Da kam ein Frühlingssonnenschein
und kam ein junger Rosentag,
ich stand in lauter Rausch und Traum
an eines fremden Gartens Saum.

Aus holder Morgenlieblichkeit
klang da ein Lied, so süß, so süß,
daß ich im Lauschen mich verlor
und hatt für deinen Ruf kein Ohr.

Doch gab des Gartens Tür nicht nach,
ein zweifach Schlößlein lag davor,
das hat den Träumer aufgeweckt,
ihn auf sich selbst zurückgeschreckt.

Er riß sich los und kehrt nun heim
und drängt sein Herz an deines hin.
Trotz Rausch und Traum, du fühlst, es blieb
das alte Herz und hat dich lieb.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 21)
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Neue Liebe

Blühst du meinen späten Tagen,
süße Liebe, noch einmal?
Bäumen, die schon Früchte tragen,
lacht ein zweiter Frühlingsstrahl?

Zwischen Blüten, zwischen Früchten
hab ich nun die schwere Wahl,
möchte pflücken, möchte flüchten -
neue Liebe, neue Qual.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 101)
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An ***

Was ich dir verdanke?
Goldenen Tag und Traum,
des Glücks eine blühende Ranke
um meinen Lebensbaum,
eine Liebe, die im Verzichten
schweren Sieg errang,
und für mein Singen und Dichten
einen reinen, keuschen Klang.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 101)
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Auf Flügeln

Herz, erträgst du diese Freude,
trägst du so viel Seligkeit?
Himmel, Erde: Eine Sonne
und Ein Blühen weit und breit.

Wo die überglühten Wipfel
baden hoch im Morgenhauch,
wo die weißen Mauern winken,
wohnt der schöne Frühling auch.

Jeder Schlag der raschen Pulse
ruft das holde Ziel heran,
und die Ferne wird zur Nähe,
und die Liebe hat's getan.

Durch den Garten, über Stiegen,
wie auf Flügeln hebt es dich;
schneller als die schnelle Schwalbe,
höher schwingt die Liebe sich.

Himmelspforten, welch Willkommen!
öffnen glänzend sich und groß,
und der kecke Vogel flattert
einem Engel in den Schoß.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 101-102)
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Märchen

In deiner lieben Nähe
bin ich so glücklich. Ich mein',
ich müßte wieder der wilde,
selige Knabe sein.

Das macht deiner süßen Jugend
sonniger Frühlingshauch.
Ich hab dich so lieb. Und draußen
blühen die Rosen ja auch.

O Traum der goldenen Tage!
Herz, es war einmal.
Abendwolken wandern
über mein Jugendtal.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 106)
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Eine Liebe

Fast noch ein Kind und hast Gewalt schon, bist
schon Herrin über mich, der nun sein Glück
einzig an deiner Huld und Güte mißt,
demütig dein, und kann nicht mehr zurück.
O junge Herrin, unter gütigem Stern
sind meine stillen Jahre hingegangen,
doch träumte mir von einer Insel, fern,
ach so traumfern, wo solche Lieder klangen,
wie sie mein waches Ohr niemals vernahm,
süß wie das Singen lockender Sirenen,
und wo verschwiegenem und tiefstem Sehnen
selige Erfüllung hold entgegenkam.
Ein neuer Stern ist leuchtend aufgestiegen,
in seinem Licht seh' ich das Ufer liegen,
an das die Wasser meiner Sehnsucht schäumen
in wehem Wachen und in kranken Träumen,
und all mein Leben zittert ihm entgegen.
Laß mich die Hand in deine Hände legen,
auf deinen Schoß die heiße Stirne senken,
und wenn mich dann dein leiser Atem trifft,
glauben, das Meer der Sehnsucht sei durchschifft,
und meine Seele sich im Hafen denken.

***

Ja holde Herrin, fast noch Kind, und schon
vom Schicksal ausersehn für einen Thron,
so herrlich wie kein König ihn besteigt,
nimm hin mein Herz, das sich dir willig neigt,
dies reiche Herz, das eine Welt umschließt
und heiße Lebensströme in sie gießt,
ein Herz, so reich, daß es sich arm nicht gibt,
und das sein Alles hingibt, wo es liebt.
O Lieb, dies sind nicht rasche Schwärmerworte,
nicht Schwüre eines leicht entflammten Knaben.
Ein Jahr lang hielt verschlossen ich die Pforte,
warf hinter mich den Schlüssel. Mählich haben
die Riegel sich gelockert, und nun drängt
gefangne Glut, bis sie die Pforte sprengt.

***

Nie hat es keuschere Leidenschaft gegeben,
wenn Leidenschaft denn keusch sein kann und ist,
die ja ihr Recht nur an sich selber mißt.
Liebe sucht Liebe, Leben will zu Leben,
und wenn es sucht und sehnt: nenn's Leidenschaft
nenn's Liebe, Mädchen, keusch ist jede Kraft,
die Leben wirkt. Und also lieb ich dich,
und so, in Keuschheit, will ich dich für mich.

***

Es darf nicht sein! Ich hab' ein liebes Weib
und liebe Kinder. Meine Seele ringt.
Ist's auch nicht Sünde, was sie niederzwingt,
daß wie im Fieber schauern Herz und Leib,
die Tage elend, meine Nächte schwer,
schlaflos, oder von wilden Träumen krank -
Es darf nicht sein! So grundlos wälzt kein Meer
sich zwischen zwei getrennten Ufern hin,
als ich von dir durch die geschieden bin,
die älteres Recht auf Liebe, Treue, Dank,
auf alles, was ich hab' und bin, ihr nennen.
Würd' ich in ihrer Augen reinem Spiegel,
den nie ein Argwohn trübt, mich wiederkennen,
zerbräch ich die beschworenen heiligen Siegel,
verriete sie und träte vor sie hin
mit Schmeichelwort, ein andrer als ich bin,
küßt' sie mit Lippen, d'rauf dein Kuß noch blühte,
mit Worten, d'rin heimliche Glut noch glühte
verstohlenen Glücks, das nicht ihr Glück, und legt'
heuchelnd den Arm um die, die schwach und blaß
mich täglich mahnt, daß sie von allem, was
mich eh an ihr entzückt, den Kindern gab,
und ihre ehrfurchtwürdige Armut trägt
wie ein Fürstin, deren Altersstab
der edle Stolz erfüllter Pflicht allein
und ihres kleinen Volkes Liebe? Nein,
es darf nicht sein! Doch meine Seele schreit
laut auf in ihrem fürchterlichen Streit.
Ist's auch nicht Sünde, weil es Liebe ist,
nicht Sinnengier, die schlangenzähnig frißt -
Mein Tag ist elend, meine Nächte schwer,
schlaflos oder von wilden Träumen krank,
und Sünde kann es werden, nackt und blank.
Ach, süßes Lieb, ich liebe dich so sehr.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 106-109)
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Geh nicht!

Leb wohl! Wie ruhte Hand in Hand
so kalt. Ich litt.
O, daß ich nicht ein Wort des Herzens fand!
Du gehst und nimmst den Frühling mit,
nimmst Tag und Licht. -
Geh nicht!


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 110)
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Seliger Eingang

Vorm Himmelstor, o süßer Traum,
treffen wir uns wieder,
hängt über die Mauer ein Apfelbaum
seine weißen Blüten nieder.

Hockt auf der Mauer ein Englein quer
und baumelt mit den Füßen,
kommen ans Tor zehn andere her,
uns liebreich zu begrüßen.

Schlagen zwei die Flügel leis,
will jedes ein Röslein geben,
die rote mir und dir die weiß',
und uns beiden das ewige Leben.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 112)
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Sonnenaufgang

Tage, die ich ohne dich verbracht,
waren Tage nicht, sie waren Nacht,
nun von deiner Rückkehr mir ward Kunde,
warte ich auf meine Morgenstunde.

Wenn das Licht sich aus dem Dunkel hebt,
alles Leben ihm entgegen bebt,
klingt, wie von verborgenen Zaubersaiten,
hell ein Klang durch alle Welt und Weiten.

Ein um dich verträumtes Leben harrt
deiner wundertätigen Gegenwart.
Komm! Es will mit lautem Liebessingen
selig seinen Morgengruß dir bringen.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 112-113)
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Weiße Narzissen

Weiße Narzissen leuchten
über dein Bild her und sagen
mit leisen Märchenstimmen
von heimlichen Frühlingstagen.

Von heimlichen, warmen Tagen,
wo sich Blumen verfrühten,
stille weiße Sterne
aus meinem Herzen blühten.

Stille weiße Sterne
der Liebe, um dich zu schmücken,
aber du gingst vorüber,
durftest sie nicht pflücken.

Irgendwo warten,
gewiegt von zärtlichen Winden,
rote Rosen deiner,
du wirst den Weg wohl finden.

Indessen leuchten die stillen
großen Narzissensterne
über dein Bild, wie aus weiter,
weißer Märchenferne.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 113-114)
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Der letzte Schmerz

O Herz, nun alle die Blumen
und alle die Düfte im Garten
und draußen in Feld und Wiese -
Worauf willst du denn warten?

Kannst du dich nicht ermannen?
Kannst du denn nicht vergessen?
So manches Herz hat alles,
was du beweinst, besessen,

und mußte es lassen und lernte
sich wieder des Frühlings freuen.
Du mußt nur auch den letzten
großen Schmerz nicht scheuen:

Begrabe dein Lieben und Hoffen!
Des Frühlings lächelnde Güte
wird es mit Sonne bedecken
und leuchtender Lebensblüte.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 114)
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Gib dich darein

Ich wollte das Reis ausreuten,
das mir aus dem Herzen trieb,
wund riß ich den Boden,
aber die Wurzel blieb.

Die tiefklammernde Wurzel
tötete ich nicht,
treibt immer neue Keime
und neue Blüten ans Licht.

Rote, brennende Blüten,
die spotten meiner: Tor!
wir schießen wie rote Funken
aus der alten Glut hervor.

Wir kommen immer wieder,
gib dich doch darein.
Deine größten Schmerzen sollen
deine tiefste Freude sein.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 114-115)
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Vergebliche Bitte

Maiblumen, deinem Herzen nah,
blühten an deinem Kleide.
Ich bat: "Schenk mir den Frühling da."
"Nein," riefst du mir zu Leide.
"Es war nur Spiel, war nur zum Scherz,
daß ich mich damit schmückte."
Und wie ein Stich ging mir's durchs Herz,
als deine Hand die Blumen schnell
vom Busen riß und auf der Stell
zerpflückte, zerpflückte.

Was gabst du mir die Blumen nicht,
mir, dem die Jugend schwindet,
und der auf deinem Angesicht
ihr letztes Glück noch findet?
Mir war's, als so umsonst ich warb
um diese Frühlingsspenden,
als ob nun mit den Blumen starb
auch meiner Jugend goldner Tag,
und seine letzte Blüte lag
zerpflückt von deinen Händen.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 115-116)
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Liebesgestammel

Es ist alles nicht auszusagen,
was ich um dich gelitten.
Du mußt meine schlaflosen Nächte fragen,
da ich mit Beten um dich gestritten,
mit Wünschen und Sehnen und Hoffen viel
trieb ein törichtes Liebesspiel.

Und am Tage ging ich umher,
eine einsame Seele, die keiner versteht.
Sie bangt um ihren Himmel sehr
und weiß nicht, wo die Straße geht,
schlägt in rastlosem Sehnsuchtsspiel
tausend Brücken nach ihrem Ziel,
über die mit zitternden Knien
all ihre weinenden Wünsche ziehn.

Ich bin dein,
o wärst du mein!
Hülfe mir Beten, hülfe mir Bitten -
aber ich will mich des Hoffens entschlagen.
Es ist alles nicht auszusagen,
was ich so lange um dich gelitten.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 116)
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Und also lieb ich dich

So keusch und zärtlich, wie Geschwister lieben,
die eines Blutes gleicher Puls belebt,
so lieb ich dich und wünscht', ich wär' dein Bruder,
der seine schöne junge Schwester schützt,
Gespiel ihr und ein Freund in Lust und Leid,
und Lehrer, Rater so wie ältere Brüder
bei kleinen Schwestern gern den Vormund machen.
O reine Liebe, ohne ein Begehren,
weil sie ja alles, was sie hold beglückt,
schon von Natur fraglos zu eigen hat.

Und wieder lieb ich dich, der ich an Jahren
so weit voraus dir, daß ich Mann schon war,
als deiner ersten Erdenträume Nest
noch die umwachten Wiegenwände waren.

So liebt ein Vater seine junge Tochter,
ganz Glück, ganz Sorge und ganz Zärtlichkeit,
voll heißer Wünsche täglich und Gebete,
in seltsamer und fast verschämter Liebe,
voll stiller Rührung, die die Lippen meidet
und nur die reine Mädchenstirne küßt.
O heilige Liebe, selbstlos, nichts verlangend,
und nur bestrebt, zu sorgen und zu segnen.

Und anders lieb ich dich, wie Liebe liebt,
die ganz Begehren und ein einziger Schrei
nach ihrem Himmel ist. Ich schließ die Augen,
und vor mir steht dein Bild; ich öffne sie,
und alles Leben webt nur wie ein Schatten
und lautlos um dein Bild. Dein Name löst
sich unbewußt von meinen Lippen, wie
traumhaft sich eine Blüte löst vom Zweig
und leuchtend niederschwebt. Red' ich, ist's nur
so hingesprochen, denn ein andres spricht
indessen meine Seele, Zwiegespräch
mit holden Träumen, Anruf deines Bildes:
Herz, Welt, Geliebte! Alles voll Begehren,
in süßer Wirrnis und mit Sehnsuchtshänden,
mit immer ausgestreckten Sehnsuchtshänden,
und Lippen, die nach deinen Küssen dürsten.
O süße Liebe, süße schlimme Liebe,
die so mit Rosen peitscht, daß unser Blut
die Schwelle färbt, wo unsere Sehnsucht kniet.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 117-119)
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Aus Liebestiefen

Als ich heute deiner gedacht,
hat mich mein Töchterchen angelacht.
Holdseliges empfand ich da
und war dir, wie noch niemals, nah.

Die Mutter meiner Kinder hält
in ihrer Güte eine Welt,
versteht und weiß, wie Liebe tut,
und daß alles in göttlichen Händen ruht.

Das gibt mir meinen heiligen Halt
und hat über alles Begehren Gewalt,
so tief meines Kindes Augen sehn,
kann mein Herz vor ihm bestehn.

Betende Hände hab ich bewegt
um seinen kleinen Nacken gelegt,
für dich betende Hände. Nie war
meine Seele so fromm und lebensklar.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 119)
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Fromm

Der Mond scheint auf mein Lager,
ich schlafe nicht,
meine gefalteten Hände ruhen
in seinem Licht.

Meine Seele ist still, sie kehrte
von Gott zurück,
und mein Herz hat nur einen Gedanken:
Dich und dein Glück.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 119-120)
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Trüber Tag

Ein feuchtes Wehen wühlt im Laub und streut
ins nasse Gras ringsum den Tropfenfall,
und wo noch gestern laute Lust, träumt heute
schwermütiges Schweigen überall.

Die frühen Rosen frieren so im Wind.
Gestern, als heißer Mittag darauf lag,
brach ich die schönste dir. Wo bist du, Kind?
Wo ist die Rose? Wo der helle Tag?

Auch morgen, wenn die Sonne wieder scheint,
und ganz voll Duft mein kleiner Garten ist,
ruft dich mein Herz und weint
und weiß nicht, wo du bist.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 120)
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Vision

Die Tage gingen, und die Jahre gingen,
und ich war alt und liebte dich noch immer,
und der Erinnerung duftige Rosen hingen
noch um dein Bild mit erstem Jugendschimmer.
Ich wußte nicht, ob du noch lebtest. Weit
hatt' uns des Schicksals harter Zwang getrennt
und früh getrennt, nach einer kurzen Zeit
herbsüßen Glücks. Doch die Liebe kennt
nicht Raum und Zeit. - Wie nun die Jahre gingen,
ward kälter ich vor Menschen und vor Dingen
und war nur noch der Erde müder Gast,
der heim sich sehnt zu einer langen Rast,
von tausend bunten Täuschungen genarrt,
nur auf den Schluß des schalen Festes harrt.

Ich war im Strahlenkreis des ewigen Lichts
und stand vor Gottes Thron und brachte nichts
als meine Liebe mit, denn sie war alles:
Mein größtes Glück und meiner Seele Schmerz,
die süße Ursach meines tiefsten Falles
und meines Lebens schönste Tat. Das Herz
des Höchsten tat sich liebreich auf und brannte
wie ein Rubin, und seine Lippe nannte
den lieben Namen, der von meinem Munde
zu ihm entfloh in meiner Todesstunde.
Und also sprach er mit ihm und durch ihn mich selig.

O diese Schauer, als du selbst nun kamst
und meinen reinen Gruß entgegennahmst.
Er führte dich, ihr schrittet Hand in Hand,
der ehemals deinem Herzen näher stand
als ich und deiner Küsse Wonne trank,
da ich am Wege dürstend niedersank;
ich hatt' ihn nie gesehn und sah nun auch
sein Antlitz nur gleich eines Traumes Hauch.

Und wie ein Schatten wallte die Gestalt
zurück vor mir. Du aber machtest Halt
und standest, ganz in reinem, weißen Licht,
reglos vor mir, und war dein Angesicht
das alte, liebe, unvergessene, war
Leib und Gestalt gealtert um kein Jahr.
Eh schienst verjüngt du mir, nicht schöner, nein,
doch so in deiner Schönheit holdem Schein
durch nichts entstellt, daß ich den Blick nicht wandte
und scheu nur deinen lieben Namen nannte.
Da regtest du die Lippen mir entgegen
und küßtest mich mit also süßem Segen
und sprachst mich selig.

Die Tage gehen, und die Jahre gehen,
und immer lieb ich dich.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Erster Band: Herddämmerglück
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 122-124)
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Psyche

Schuf der Wunsch die holde Dichtung?
war es wirklich? Warum drohte
reinstem Herzensglück Vernichtung?
Flammen starben, kaum entlohte.
Liebe kam, Liebe ging,
wie ein schöner Schmetterling.
war's ein Traum?

Eine kindlich scheue Haltung
nahm mich flugs für sie gefangen,
und die zierlichste Gestaltung,
die zwei Arme je umschlangen.
Nackte Füße, braune Haut,
eine kleine Bettelbraut
stand sie da.

Amor brachte selbst das Kind mir,
Führte ritterlich die Kleine,
und sein Blinzeln fragte: Sind wir
guten Leute auch alleine?
Segnete uns Hand in Hand,
einen kurzen Ehestand,
eine Nacht.

Liebe sie, sie hat dich gerne.
Frierend stand sie auf der Straße,
Pilgerin aus weiter Ferne,
Tochter einer fremden Rasse.
Heißes Blut, heißer Sinn
zwang sie nach dem Liebsten hin,
ohne Halt.

Und ich nahm die mir Geschenkte,
nahm sie aus den Götterhänden.
Die vor Scham die Wimper senkte,
wollte halb zur Flucht sich wenden,
aber in des Gottes Blick
unerbittliches Geschick
hielt sie fest.

Auf das harte Lager zog ich
die Erglühte zärtlich nieder,
und auf ihre Lippen bog ich
küssend wieder mich und wieder,
nästelnd ärmlichstes Gewand
zitterte die heiße Hand
ungewohnt.

Laß, so wehrt sie, Ungeschickter,
wirrst die Fäden nur zum Bösen!
Könnt ein Ungeduldverstrickter
auch so seine Knoten lösen?
zierlich lockert sie die Schnur,
zeigt die lieblichste Natur
unverhüllt.

Leichtgebräunte Meerschaumtöne,
draus sich rosige Lichter heben,
eine knospenhafte Schöne,
Frühlingsfülle, Frühlingsleben,
wunderholde Blütenpracht,
mir im Lenzrausch dargebracht:
pflücke mich!

Liebesfeier, trunknes Lallen.
Deinen Namen laß mich kennen.
Namenlos will ich gefallen,
tausendfach kannst du mich nennen.
Nenne mich mit Liebeslaut,
nenn mich einzig deine Braut,
die ich bin.

Leicht beschwichtigt sie den Frager.
Liebe traut auch Namenlosen,
Liebe ruht auf dürftigem Lager
wie auf Teppichen von Rosen.
Liebe kennt nicht Zeit noch Raum,
Liebe lebt in Glück und Traum
fragelos.

Amor hielt die Wacht am Fenster,
und er hob des Vorhangs Falte.
Auf die Liebesnachtgespenster
fiel das Tageslicht, das kalte.
Tote Glut. Ein Schattenleib.
Geisterhauch. Was fliehst du? Bleib!
War's ein Traum?

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 11-13)
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Auf dem Maskenball

Die Geigen girren leise,
die Flöten flüstern so fein,
die Masken drehn sich im Kreise
plump fährt die Pauke drein.

Die Bläser blähen die Backen,
das Bombardon poltert wie wild,
da dreht sich auf zierlichsten Hacken
auf einmal das zierlichste Bild.

Ein Seufzer der Klarinette,
ein zärtliches Ach der Obo';
tanze mit mir, Pierette!
- kein Füßchen tanzte je so.

Die Geigen girren leise,
die Flöten flüstern so fein,
die Masken drehn sich im Kreise,
ein Pfropfenknall fährt drein.

Die Bläser blähen die Backen,
das Bombardon winselt wie wund.
Den Arm um den reizendsten Nacken,
such ich den reizendsten Mund.

Ein Seufzer der Klarinette,
ein zärtliches Ach der Obo';
küsse mich, Pierette!
- kein Mündchen küßte je so.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 13-14)
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Viola d'amour

Holde Königin der Geigen,
der die Liebe Namen lieh,
Liebe spielt dich zart und eigen,
lockt und löst aus Traum und Schweigen
süße Melodie.

Liebesgeige, alles schönen,
alles tiefsten Zaubers reich,
Schmerz und Schmerzen zu versöhnen,
stimmst du mit den Silbertönen
Herz zu Herzen weich.

Und ich hör dein Liedchen singen,
wie ein Hauch, ein Seufzer nur,
schwirrt es, und die Lüfte klingen
zärtlich unter seinen Schwingen,
Viola d'amour.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 16-17)
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Singe Mädchen

Singe Mädchen, dein Gesang
ist ein flüchtig Schleierheben,
deine scheue Seele zeigt
unverhüllt ihr Blumenleben.

Seelen sind wie stille Seen,
wer mag in die Tiefe dringen?
nur vereinzelt sich ans Licht
ihre weißen Rosen ringen.

Aus den lichten Kelchen steigt
eine holdverschämte Kunde
von den Schätzen, die sich keusch
bergen auf dem stillen Grunde.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 17)
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Erinnerung

Wie liegt das alles weit, so weit:
Das kleine Haus am Tanngehege,
die wundervolle Einsamkeit,
das stille Glück versteckter Wege.

Doch hab ich noch im Ohr den Gruß
der Vögel, die im Garten sangen,
und ist es mir, als wär mein Fuß
erst gestern durch den Wald gegangen.

Und mach ich beide Augen zu,
ganz still in mich hineinzulauschen,
hör ich, und komm um alle Ruh,
den Bach leis durch die Buchen rauschen.

Und höre, Mädchen, noch den Klang
des einen Worts aus deinem Munde.
Denkst du noch an den Abendgang,
an diese eine süße Stunde?

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 37-38)
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Der Liebende

Wie schön, wie schön das stille Land,
der stille Fluß im Abendschein.
Ich lege fühlend Hand in Hand
und sammle mich und denke dein.

Die Wolken, die da oben stehn,
von einem roten Gold umsäumt,
die Wellen, die da unten gehn,
von einem schwarzen Schilf umträumt,

Sie sind der dunkle Untergrund,
worauf dein liebes Bildnis brennt,
sie sind der immerlaute Mund,
der deinen lieben Namen nennt.

Und wenn der letzte blasse Strahl
erlischt, und ist kein andrer Schein,
und rauscht in das verstummte Tal
leis der verhüllte Fluß hinein,

dann kommst du wie der Mond herauf,
den ungetrübter Glanz umgibt;
die Nacht beflügelt ihren Lauf
und bringt dein Licht dem, der dich liebt.


aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 38-39)
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Das göttliche Schweigen

Wenn die letzte Nacht sich weitet,
kommt ein Engel auf die Erde,
weiße Flügel ausgebreitet,
paradiesische Gebärde.

Stummes Winken. Und die Sterne
tanzen um uns ihren Reigen,
wie wir in die Sehnsuchtsferne
hoch und höher aufwärts steigen.

Und auf eines namenlosen
Sternes sanftem Uferhügel,
und inmitten weißer Rosen,
schließt er seine weißeren Flügel.

Und er führt mich in den Garten,
wo die reinen Seelen gehen,
und auf ihren Bruder warten,
in die Augen ihm zu sehen.

Paarweis wandeln sie im Hellen,
Hand in Hand, an stillen Flüssen,
wo sich auf den weißen Wellen
stille weiße Schwäne küssen.

Wandeln unter weißen Bäumen,
zwischen weißen Blumengängen,
dran, wie in verzückten Träumen,
weiße Schmetterlinge hängen.

Nur mit Blicken, nicht mit Worten,
reden diese seligen Scharen,
öffnen sie die Herzenspforten
Heimlichstes zu offenbaren.

Reden nur mit einem weichen
leisen Spiel der weißen, schlanken
Hände, stumme keusche Zeichen
unaussprechlicher Gedanken.

Wandle, spricht der stille, reine
Blick des Engels, mit den andern.
Eine Seele geht alleine,
und zu zweien sollt ihr wandern.

Und schon kommt sie zwischen lichten
Lilien traumhaft hergegangen,
um mit einem stummen, schlichten
Gruß nach meiner Hand zu langen.

Kein Erstaunen, kein Erfragen,
nur ein seliges Sichfinden
zweier, die seit Anfangstagen
unlösbare Fäden binden.

Und so wandeln wir zusammen
Hand in Hand im hohen Reigen
wie zwei reine weiße Flammen,
die sich ineinander zweigen.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Dritter Band: Der Frühlingsreiter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 39-40)
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Die gelben Margeriten

Drei gelbe Margeriten
in meinem grünen Glas
nicken von schlanken Stengeln,
eine Sense hör ich dengeln,
ihr gelben Margeriten
in meinem grünen Glas.

Die lauen Lüfte wehen,
in Sonne liegt das Feld,
die Ähren alle biegen
und beugen sich und wiegen
sich wie die Lüfte wehen,
in Sonne liegt das Feld.

Die Ähren und die Halme,
die Blumen und das Gras,
sie können nicht immer prangen,
vergehen heißt's, vergangen!
Die Ähren und die Halme,
die Blumen und das Gras.

Die zarten Sterne aber,
die mir die Liebste gab,
leuchten über den schmalen
Rand herüber und prahlen,
die zarten feinen Sterne,
die mir die Liebste gab.

Die gelben Margeriten
in meinem grünen Glas,
da ist der ganze helle
lachende Sommer zur Stelle:
Drei gelbe Margeriten
in meinem grünen Glas.

aus: Gesammelte Dichtungen von Gustav Falke
Vierter Band: Der Schnitter
Hamburg und Berlin Alfred Janssen 1912 (S. 69-70)
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Zu ihr!

Zu ihr! zu ihr! Es schlägt das Herz
Mit dreifach schnellen Schlägen.
O hätten Schwalbenflügel doch
Die Sohlen auch, die trägen.

Zu ihr! zu ihr! Schon bin ich da.
Wird sie wohl meiner warten?
Ich spähe um das Haus herum
Und durch den ganzen Garten.

Zu ihr! zu ihr! Um Busch und Beet
Mach' ich mich auf die Suche.
Deckt meinen Schelm mit ihrem Stamm
Die junge Frühlingsbuche?

Dort in der Hütte, regt sich's nicht?
Gefunden, ja gefunden!
Schon hat sie den verliebten Narr'n
Mit weichem Arm umwunden.

Schon herzt sie mich, schon küßt sie mich.
O Mädchen, dies Entzücken,
Von deinem sechzehnjährigen Mund
So Kuß um Kuß zu pflücken.

aus: Mynheer der Tod und andere Gedichte
von Gustav Falke
Dresden und Leipzig E. Pierson's Verlag 1892 (S. 53)
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Vision

Wie manches Weib umfing ich schon in meinen Träumen,
Das zu umarmen ließ am Tag die Scheu mich säumen.
Gelegenheit verflog, die Frucht blieb ungepflückt,
Was half's, daß mich im Schlaf ihr Schattenbild beglückt?
Dich aber sah noch nie im Traum ich, wie im Wachen.
Wo kamst du Hohe her, von welchem Strand den Nachen
Triebst du durchs tiefe Blau des Lüfteozeans?
Ein bläulich bleiches Licht war Herold deines Nahn's.
Ein leises Zittern ging vor dir durchs Äthermeer,
Dann schwebest du heran, ein Leuchten um dich her.
Wer bist du, stolz Gebild, im Sternenfunkelkranz?
Dein Leib - Licht oder Luft? - schien nur durchsichtiger Glanz,
Und doch hob sich mein Arm, ihn brünstig zu umfangen.
Bist Schein du nur, ein Trug, was weckst du mein Verlangen?
Vor deinem Angesicht müßt' sich ein Engel beugen,
Die reinere Himmelsglut dir demutvoll bezeugen.
Doch schickt von seinem Thron des Flügelheers Befehler
Die frommen Boten als Verführer aus und Quäler?
Hätt' Satan dich gezeugt, kämst du von seinem Hofe,
Der Hölle listig Kind, der Sünde saubere Zofe?
Nun lauf' ich durch den Tag ein wacher Träumer hin,
Begierdekrank das Blut, vergiftet jeder Sinn.
Wie eine Melodie uns peinigt und nicht scheidet,
So läßt dein Bild mich nicht, das alles mir verleidet.
Schließ' ich die Augen, stehst du vor mir, herrlich Weib,
Geöffnet suchen sie in jeder Dirn den Leib,
Der so mich hat entbrannt, und wenden ekel sich,
Wenn dir die schönste selbst wie Nacht dem Tage glich.
Der heilige Anton war wahrlich schlimm daran,
Ihn griff der Teufel mit verstärkten Kräften an.
War eine einzige nur von jenen Huldgestalten
So schön wie du, woher kam soviel Kraft dem Alten?
Ich hätte schwerlich wohl so standhaft können sein,
Hätt' Keuschheit eingebüßt dabei und Heiligenschein.

aus: Mynheer der Tod und andere Gedichte
von Gustav Falke
Dresden und Leipzig E. Pierson's Verlag 1892 (S. 66-67)
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Motto

Sternepflücken, Wolkenfangen,
Immer dieses Glutverlangen,
Unbefriedigt Narrentreiben.
Willst ein Kind du ewig bleiben?

Schon mit weiß durchwirkten Haaren,
Und noch kein gesetzt' Gebahren?
Immer dieses Glutverlangen,
Sternepflücken, Wolkenfangen.

aus: Mynheer der Tod und andere Gedichte
von Gustav Falke
Dresden und Leipzig E. Pierson's Verlag 1892 (S. 79)
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Ruhm und Liebe

Kühn wollt' auch ich nach Ruhm und Ehren fliegen,
Der Sonne nah in reinem Glanz mich wiegen,
Wo königliche Vögel einsam schweben.
Nun fesselt mir ein einziger Wunsch die Schwingen:
Zu deinen Füßen sanft mein Lied zu singen
Und meine Seele ganz dir hinzugeben.

aus: Mynheer der Tod und andere Gedichte
von Gustav Falke
Dresden und Leipzig E. Pierson's Verlag 1892 (S. 82)
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Weißt du noch?

Weist du noch? Am Brunnen war es,
Und die blanken Wasser rauschten,
Und am Marktplatz die Paläste
Waren steife, stumme Gäste,
Als den ersten Gruß wir tauschten.

Westwind strich um alle Ecken
Und ein Regen sprühte nieder;
Gingen unterm Schirme weiter,
Und dein Bäschen war Begleiter.
O, das Bäschen sagt nichts wieder.

Doch das böse Bäschen plauschte.
Können Weiber jemals schweigen?
Und nun wissen's alle Tanten,
Daß wir trafen auf pikanten
Wegen uns, verbotnen Steigen.

Wie sie wohl gehechelt haben
In dem großen Lästerorden.
Klatschsucht konnt' ihr Mütchen kühlen.
Ob nun ruhn die Plappermühlen?
Bist ja nun mein Weib geworden.

Neulich, als du offnen Mündchens
Auf den Kissen mir zur Seiten
Schlafend lagst, des Brunnens dachte
Plötzlich und die Verse machte
Ich und segnete die Zeiten.

aus: Mynheer der Tod und andere Gedichte
von Gustav Falke
Dresden und Leipzig E. Pierson's Verlag 1892 (S. 88)
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Liebeslied

Wir gingen still den Fluß entlang
und sahen Schiffe ziehen,
die ihren schnellen Reisegang
sich von dem Winde liehen.

Da fühlte doppelt ich das Band,
das mich für immer bindet,
und drückte zärtlich deine Hand,
die es mit Blumen windet.

Und löstest du die Fesseln jetzt
und gäbest mich den Winden,
ich würde schweifend doch zuletzt
den alten Hafen finden.

Da breitest du vom Uferrand
die Arme mir entgegen,
um an das alte liebe Band
mein Schifflein fest zu legen. 

aus: Das Leben lebt. Letzte Gedichte von Gustav Falke
Berlin G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1916 (S. 86)
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Morgengruß an die Geliebte

Du bist am schönsten früh nach dem Erwachen.
Auf Stirn und Wangen liegt ein rein Geleucht,
wie Morgentau auf weißen Lilienbeeten.
Die Sorgen, die der fromme Schlaf verscheucht,
stehn ferne noch, und zögern nah zu treten.
Was mir der Tag vorher an Blüten bot,
und was der Traum mir pflückte zwischen Hecken,
rauscht rosenrot
als Liebesgruß auf deine weißen Decken.
Komm, leben wir den jungen Tag und freuen
der Flammen uns, die immer uns erneuen. 


aus: Das Leben lebt. Letzte Gedichte von Gustav Falke
Berlin G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1916 (S. 92)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Falke

 

 

 


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