Bruno Frank (1887-1945) - Liebesgedichte



Bruno Frank
(1887-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Der Wiesenpfad

Vor meinem Fenster geht die schrägen Matten
Ein Weglein hin, zum Wald emporgezogen,
Das schlägt, bevor es noch den Blätterschatten
Erreicht, wie zögernd einen kleinen Bogen.

Oft schau ich hin, als müßte aus den Bäumen
Bald jemand treten, der, anstatt zu kürzen,
Schicksalbedenkend willig würde säumen . .
Doch dann talab in meine Arme stürzen.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 110)

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Freie Bahn

Nun liegt es schweigend, das uns trennt, das Land.
Am Tage ballt sich Lärm und Leid und Lüge
Trüb zwischen uns wie eine Wolkenwand.

Nun aber, das ich lang genug gewacht,
Hör ich zum Lohne deine Atemzüge,
Geliebte, durch die menschenleere Nacht!

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 111)

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Die nahen Träume

Vor meinen Augen arbeitsheiß und abendschwer
Schwärmen die nahen Träume wie ein Vogelheer.

Die Vögel setzen sich auf meines Bettes Rand,
Doch lieber noch auf meine zugeschlossene Hand

Und singen, daß die Hand sich auftun soll . . o soll.
Sie sei von reifer Sehnsucht Körnern voll . . so voll!

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 112)

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Krankenwache

Sind sie denn unbezwingbar, diese Schranken,
Die dich und mich, du kranke Liebste, trennen?
Mit welcher Waffe soll ich sie berennen,
Ich habe nichts als liebende Gedanken.

Ich seh dich ja gepeinigt vor mir liegen,
Ich hör dich ja in Fieberängsten klagen,
Und kann von deinen Leiden keines tragen,
Und kann die Glutgespenster nicht besiegen.

Mein Blut kreist ruhig und ist kühl geblieben,
In starren Adern selbstisch eingeschlossen,
Und ist doch alles durch mein Herz geflossen.
Armseliger ich, nichts kann ich, als dich lieben!

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 113)

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Kein Trost

Nie soll ich ihrer Haare Duft mehr spüren,
Noch ihrer Hand belebte Kühle fassen,
Nie mehr den Blick von ihrer geistig blassen
Und klaren Stirn zu ihren Augen führen.

Nur im Erinnern soll der Klang mich rühren
Von ihrer süßen Stimme, die im Hassen
Und Lieben gleichblieb, und die jetzt gelassen
Wohl nicht mehr forttönt hinter jenen Türen.

Auf fremdes Leid oft richt ich die Gedanken:
Der den es hungert, wird des meinen lachen,
Wer krank ist, würde nicht zu tauschen schwanken.

Doch dies zu wissen, kann die endlos wachen,
Die kalten Nächte des vor Trauer kranken,
Hungernden Herzen nicht gelinder machen.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 114)

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Als sie noch zu mir kam

Als sie noch zu mir kam, da war mein Schritt
Fast Vogelflug, der sich im Spielen wiegte,
Und Weg und Wolke, beide zogen mit.

Da war's ein Kind, ein Hund, ein Blütenbaum,
Drein sich mein morgendlicher Frohsinn schmiegte,
Nach Nächten, voll von ihr und ohne Traum.

Kein Wunsch war lau, noch ein Gedanke lau,
Und alles Tun quoll frisch wie Wasserschaum,
Rein war die Luft vom Atem einer Frau.

Ja, rein vom Atem dieser jungen Frau.


Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 115)

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Der Hammerschlag

Aus meinem ersten Schlaf nach jedem Tag,
Durch den der Schmerz ein wenig sanfter floß,
Schreckt dumpf mich auf ein jäher Hammerschlag.
Des Hammers Schlag, der jenen Sarg verschloß.

Dann denk ich wieder eine ganze Nacht
Nur an dies Eine, daß du nicht mehr bist.
Und daß ich Tor noch Kummer dir gebracht.
Und daß jetzt nichts mehr, nichts zu bessern ist.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 116)

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Das Kleiderbuch

Den weichen Armen, die mich sonst umfingen,
Reckt' ich Verbliebener mich zu,
Doch hielt ich mich und wies mich noch zur Ruh:
Es ist nicht recht zu rufen, die im Frieden schläft,
Und konnte meine Wünsche zwingen.

Und als dann Worte wieder in mir klangen,
Die sie am letzten Tag gesagt,
Da konnt ich denken: nicht geklagt!
Wenn in mir noch die liebe, süße Stimme blieb,
Ist sie nicht ganz hinweggegangen.

Heut morgen aber fiel mir in die Hände
Ihr kleines, schwarzes Kleiderbuch,
Darin der Preis für Seide, Band und Tuch
Nach Mark und Pfennig von ihr aufgeschrieben steht.
Da war es doch mit mir zu Ende.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 117)

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Im andern Jahr

Sie liebte solche sonnenheiße Stunden:
Die Mulde da im Sand wär' recht für sie,
Ach, in den Wellen, die sich stählern runden,
Schimmert ihr nacktes Knie.

Die starken Lüfte, die mich wieder grüßen,
Sind mir auf eine wehe Art vertraut.
Sie kommen mit dem herb und süßen
Hauch ihrer nackten Haut.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 118)

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Keine Weisheit wieget dich

Wußtest sonst, daß Stunde und Ort
Schleiernde Nebel sind:
Gleiche Sträucher, unverdorrt,
Wehn im gleichen Wind.

Wußtest: wie die stürzende Flut
In der Gestalt sich hält,
So beharret Menschenblut,
Und so steht die Welt.

Keine Weisheit wieget dich,
Seit dir dies Leid geschah:
Stimme schwieg und Blick verblich.
Sie sind nicht mehr da.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 119)

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Nachtwache

Es ist schon tief in bodenloser Nacht,
Ich habe Herz und Denken matt gewacht.

Und meine Seele sinkt der Eisenzaun
Und öffnet sich für Schatten und Geraun.

Unheimlich glänzt der Lampe enger Kreis,
Das totenstumme Zimmer brodelt leis,

Am weißen Vorhang gleiten Namen hin,
Von denen ich der letzte Samen bin.

Nicht sie allein. Es scheint im bleichen Ring
Der Einen Zeichen, die von hinnen ging.

Verlassensein - nicht das ist, was mich preßt,
Jedoch ich bin ein schlechter, schaler Rest.

Mir ist, als müßt' ich sie zu Ende tun,
Die Taten Jener, die vollendet ruhn:

Des Ahnherrn Blick und Griff, der Kranke heilt,
Ist meiner Unmacht strenge zugeteilt,

Und ward sein Enkel großem Werk entrafft,
Es heischt Vollzug von meiner schwachen Kraft.

Doch du zumeist, die wie ein Lächeln schwand,
Wirst du mich leiten mit der Geisterhand?

Du läßt kein Werk, nur eines Wesens Schein,
Wie aber soll ich dessen teilhaft sein,

Wie eine volle Gasse, einen Saal,
Aufleuchten lassen unter deinem Strahl?

Ich hab dein Lachen nicht, nicht deinen Gang.
Verlorener Schimmer, ach, und toter Klang!

Es ist so viel, ein schönes Weib zu sein,
Und schöne Worte sind so arm und klein.

Es ist so viel, ein großes Herz zu sein,
Doch wen erlöst ein Dichter aus der Pein!

Es ist schon spät und kalt. Viel ruht auf mir.
Ich fass' es an, ich soll's, ich bin noch hier.

Die Lampe höher! Mittag oder Nacht,
Ich bin von uns der Letzte, der noch wacht.

Und meine Seele steigt der Eisenzaun
Und schließt sich gegen Schatten und Geraun.

Ich seh euch nicht. Ihr bleibt mir immer nah.
Ich hör euch, Liebe, nicht. Doch ihr seid da.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 120-121)

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REQUIEM
Emma Ley zum Gedächtnis

Du darfst nun, Liebste, freier dich bewegen,
Dich Abgeschiedne bindet Sitte nicht.
Du trittst mir Nachts aus meiner Tür entgegen,
Mit einem kleinen Licht ins Sternenlicht,
Im leichten Wind seh ich dein Haar sich regen,
Im Schein und Lächeln regt sich dein Gesicht . . .
Entwichene Figur. Gelöschte Kerze.
Eintret ich in mein Haus, in Todesschwärze.


Wohl sah ich, Dunkler, dich der Freundin winken,
Doch hab ich nicht an deinen Wink geglaubt.
Wirst du die Tränen nun vom Aug ihr trinken,
Da du mir kaum den letzten Kuß erlaubt?
Ich sah sie matt an deine Schulter sinken,
An deine Schulter lehnte sich ihr Haupt,
Hält nicht ein süßes Haupt dein Arm umfangen,
So weich die Haare und so zart die Wangen?

Ach, wenn dein Arm Vereinigung beschiede,
Ich hätte lang dich Säumigen gemahnt,
Doch wen er hält, den hält ein tauber Friede,
In den die Sehnsucht keinen Weg sich bahnt.
Ich weiß zu gut, daß hinterm schweren Lide
Der Schlummernde die Schlummernde nicht ahnt.
Und besser ist's, von wachen Schmerzen brennen,
Als ihr zur Seite ruhn und sie nicht kennen.


Oh Trösterarme, die mir offen waren,
Oh Tröstermund, der sich zum Kuß erschloß,
Oh starker, süßer Duft aus dunklen Haaren,
Oh Frau und Freund, Geliebte und Genoß!
Not war ein Spiel und Lüge die Gefahren,
Als noch dein Dasein mir im Blute floß.
Um was ich stritt, des konnt ich mich entschlagen,
Und was mir wert war, hatt ich heimgetragen.

Doch holden Trostes Worte und Gebärden
Sie mundeten mir wie ein kühler Trank.
So kam ich wohl mit minderen Beschwerden,
Nur müde war ich, und ich schien dir krank.
Jetzt aber kann ich nicht mehr heiter werden,
Erinnerung tut weh, und Hoffnung sank.
Ja, heute braucht' ich Trost aus deinen Händen.
Und eben heute kannst du ihn nicht spenden.


Ich kann es leichter noch am Tage tragen,
Vor dessen hellen Blicken mir nicht graut,
Kaum aber darf ich's mit dem Dunkel wagen,
Das aus gehöhlten Augen auf mich schaut.
So müßig ist es für mein Herz, zu klagen,
Da es doch längst auf keine Tröstung traut,
Und immer will es hoffend sich betören,
Als müßte Einer dasein, es zu hören.

Als dürfte solch ein Schmerz nicht sinnlos wühlen,
Als müßte, so wie sich ein Wetter ballt,
Der dumpfe Sturm von irrenden Gefühlen
Sich staun zu einer wirkenden Gewalt,
Als könnt er, statt im Nachthauch hinzuspülen,
Sich formen zu der einzigen Gestalt!
Kein Ding, das ohne Wirkung steig' und falle.
Aber ein Herz ist weniger als alle.


Ich hab nicht Licht mehr: unter hohen Brauen
Sind deine Augen nimmermehr erhellt,
Nicht Form, nicht Farbe: nimmer werd ich schauen,
Wie sich das leichte, braune Haar dir wellt,
Die starre Welt wird nimmer für mich tauen,
Da sie dein junger Atem nicht mehr schwellt.
Ach, alle Freude ist für mich erfroren,
Dein Lachen, ach, dein Lachen ist verloren!

Es war verlockend, wie nur Frauen lachen,
Und hatte doch so guten, freien Klang.
So lachen Freunde, die am Abend wachen
In einem Feld, an einem Hügelhang,
Die, wie sie ruhn und nur das Feuer fachen,
Nichts wissen mehr von Kampf und Beutegang,
Nur ihre Treu. Die läßt sie fröhlich werden
In windiger Nacht und auf der harten Erden.


Kein Panzer hat ein stärker Herz gehalten
Als dieses leichte, farbige Gewand,
Und immer war's, als wehte um die Falten
Ein freier Wind aus deinem freien Land.
Wenn andre Mädchen alte Ketten schalten,
Dich Niegebundne hielt die eigne Hand:
Du warest fest genug, um viel zu wagen,
Und was man wagt, das darf man sich versagen.

Du bist ja nicht der erste Mensch gewesen,
Den ich geliebt und der von hinnen schied,
Allein du warst so stark und auserlesen,
Unsterblich schienst du mir, an Geist und Glied.
Warst du auch krank, du mußtest ja genesen,
So sicher war ich, daß mich Sorge mied.
Und als sie schon mit Kreuz und Tüchern kamen,
War mir noch alles fremd und ohne Namen.

Kennt Liebe, die im Glück ist, keine Dauer,
Und ward mein Glück mir darum fortgeweht?
Ist die Gestalt der höchsten Liebe Trauer,
Und fleht am längsten, wer so bitter fleht?
Es sucht mein Blick die ferne Kirchhofsmauer,
In der nun deine schmale Urne steht.
Es hängt an jenem unerschlossnen Munde,
Mein wundes Herz und weint, nach einem Grunde!


Wenn er nicht fest in meiner Seele stände,
Dein armer Name wäre heimatlos.
Denn nie und nie in diese süßen Hände
Hauch ich ihn mehr und nie in diesen Schoß.
Allein ich will nicht, daß er völlig ende,
So Großes rief er: er sei dauernd groß.
Er ist nur noch ein Klang: er soll erklingen,
Ich sprech ihn nicht mehr, doch ich will ihn singen . . .

Was blend ich mich und denke meiner Lieder,
Als flögen sie in die Unendlichkeit!
Die Felsenwände schauen ringsum nieder
Auf mich und auf dies schmale Tal der Zeit.
Mitleidig einmal hin und einmal wider
Schickt Echo Namen, Glück und großes Leid.
Ein Murmeln dann, ein mütterlich Vergrollen . . .
Es sind so Viele, die noch singen wollen.


Im ersten Lichte blick ich aus den Kissen,
Da scheint der junge Tag mir abendalt,
Die Blicke finden, treu und qualbeflissen,
Dich, ewig gleichgewandete Gestalt,
Dich, dämmernde Erscheinung, kaum umrissen,
Von der ein Wunsch so wie von Eisen prallt:
Jung ist der Tag, und offen sind die Weiten
Und jeder Schritt wird mich ins Nichts geleiten.


Ich meine nicht, daß nun der Jahrlauf säume,
Weil deines Herzens Schlag ihn nicht mehr mißt:
Schon wärmt ein Frühling diese hohen Räume,
Aus denen du hinweggetreten bist,
Bald strahlt ein Juliblau durch dunkle Bäume,
Bald prunkt der Herbststrauß wie zu deiner Frist:
Sie leuchten und sie wissen, was sie taugen,
Und keines ruft nach deinen lieben Augen.

Mir aber, der in solcher Welt geblieben,
Fehlt nun die Milde zärtlichen Gerichts,
Ich las die Tafel, wo mein Wert geschrieben,
Ja nur im sanften Scheine deines Lichts.
Blickt selbst auf Große, ohne sie zu lieben,
Und jeder ist erbärmlich und ein Nichts,
Wie soll da ich noch bauen und mir trauen,
Da deine Augen nicht mehr auf mich schauen!

Doch Wert und Würde, die mir früher galten,
Sind jetzt Gespenster, die mein Herz nicht kennt.
So gaukelt Leid in allerlei Gestalten,
Mich kümmert wenig, wie sich jede nennt.
Nur einmal, süßer Schatten, laß dich halten,
Zwar bin ich nichts, doch meine Wunde brennt.
Hast du mich wirklich ganz allein gelassen?
Laß dich doch fassen, einmal laß dich fassen!


Ich lag im Fenster, mich am Wald zu freuen
Und erster Frühluft eines schönen Tags,
Da stieß, herniederzuckend aus den Bläuen
Und sausend durch die Tannen unsres Hags,
Ein Habicht an mir hin und ließ mich scheuen,
Es streifte mich der Wind des Flügelschlags:
Der lebt nun, fiel mir ein, und hat ein Heute
Und spürt die Sonn und stößt auf seine Beute!

Und mit dem Worte waren auch die Binden
Tröstenden Schlafs gelöst von meinem Haupt:
Läßt eine Welt kein Leben wiederfinden,
Die so das Leben hinstreut, schenkt und raubt,
Läßt sich kein frischer Stundenkranz mehr winden
Und deine Stirn, zu dunkel nun umlaubt?
Oh aller Schöpfung gnadenreiche Fülle!
Oh der Geschöpfe gnadenlose Hülle!


An den Gedanken bin ich noch gebunden,
Daß ich, ich selbst nun arm und einsam bin.
Zu wenig hab ich noch dein Teil empfunden,
Viel gab ich hin, doch du gabst alles hin.
Ward der Kristall mir aus der Hand gewunden,
Durch den die Welt so schön und leuchtend schien:
Noch seh ich sie, und liegt sie gleich im Grauen.
Du aber darfst nicht dasein, nichts mehr schauen!

Dies Wort, daß Tote selbst den Tod nicht wissen,
Es wäre sanft? Es ist ein Hammerschlag.
Ja, glücklich wir in den verweinten Kissen,
Wir weinen doch und warten auf den Tag!
Du, mir vom leeren Strudel weggerissen,
Du, die mir gestern in den Armen lag,
Kann ich dir nichts als feile Trauer geben?
Es ist nicht recht. Ich sollte nicht mehr leben.


Wie war ich, eh dies Leid mich schlug, so weise:
Vergehn und Werden hießen mir ein Spiel,
Die großen Worte waren meine Speise,
Von großen Dingen wußte ich nicht viel.
Gelassen floß ein ewiger Strom im Kreise,
Sich selbst genug, sich selber Sinn und Ziel:
Ein wenig Schäumen wohl, ein wenig Rauschen,
Doch Wellen nur, die ihren Ort vertauschen.

So furchtbar ist mir nun das Dunstgewebe
Vom Haupt gezerrt, dem ich mich eitel bot:
Ich sehe nicht, daß alles ström' und lebe,
Ich blick in eine Welt von Not und Tod.
Kein Wesen schwindet, das sich gern ergäbe,
Ach, immer ist ein Köstliches bedroht.
Was auch der Dinge inneres Gesicht ist,
Einzig und groß ist jedes, das im Licht ist!

Die weißen Blumen wehen auf und nieder.
Mich selber hat der Schmerz im Kreis geführt,
Vor tränentrüben Augen scheint mir wieder
Die Wahrheit, die als Knabe ich gespürt.
Nein, für die schlanke Einheit deiner Glieder,
Darin so holdes Leben sich gerührt,
Sei sie mir nicht als Tröstung angemutet,
Die leere Dauer, die im Dunkeln flutet.


An deine Urne lehnte ich die Wange
Und meinte dir ein wenig nah zu sein,
Man nahm sie mir, die dunkle birgt sich lange
Nun überm Meer im dunkleren Gestein.
Es löst sich alles, was dem kranken Hange
Noch Stillung bot, ich bleibe ganz allein.
Die Stimmen, die den holden Namen summen,
Sind schwächer schon und werden ganz verstummen.

Um deine letzten Briefe ist's geschehen,
Die matte Hand, sie führte leichten Stift,
Es blaßt und blaßt, kaum ist sie noch zu sehen,
Ich habe sie zu oft geküßt, die Schrift.
Zum seidnen Haartuch meine Sinne flehen
Vergebens nun, daraus kein Hauch sie trifft.
Bald mag ich mich an meinem Ziele glauben,
Was hab ich noch, was läßt sich mir noch rauben?


Ich fand mich, finster irrend unter Träumen,
In einem Tal von Leichenschweigsamkeit.
Da war kein Hauch. Doch starrte an den Bäumen
Das Astwerk wie verzerrt im Windesstreit.
Ein Wasser schien, doch gläsern stand sein Schäumen,
Ein schnellend Flußtier ragte spannenweit.
Und alles Schweigen schrie mit Drohgebärde:
Du bist allein, und dies ist deine Erde!

Und war von Schafen eine starre Herde,
Bei der ein Hund allein als Wächter stand,
Gespitzten Ohrs, und der mit Zürnen wehrte,
Und mitten in der rauhen Pflicht gebannt.
Da rührte durch die Angst, die mich beschwerte,
Mich Mitleid an, ich kost' ihn mit der Hand.
Und bellend sprang er. Luft fing an zu gehen.
Mir aber war, als hätt ich Licht gesehen.

Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
Musarion Verlag München 1919 (S. 123-138)

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Stille Reise

Du liebst es, dich an meine Brust zu schmiegen
Und niegedachten Dingen nachzudenken
Und dich in ferne Träume zu versenken
Und lange - lange unbewegt zu liegen.

In Sternenweiten war dein Sinn gezogen,
Nun kehrst du heim zu mir aus deinen Höhen -
Ich kann dir lächelnd in die Augen sehen,
Denn meine Liebe war dir nachgeflogen.

Aus: Aus der goldnen Schale
Gedichte von Bruno Frank
Heidelberg 1905 Carl Winter's Universitätsbuchhandlung (S. 3)

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Vereinsamt

Viel frohe Freunde hattest du erkoren
Zu Sang und Tanz und heiterm Liebesspiele,
Doch endlich suchtest du zum eignen Ziele
Den eignen Weg - da hast du sie verloren.

Wie kann der Wandrer nach Vergangnem fragen?
Der Wandrer geht vorbei an manchen Orten.
Wer viel geliebt und geliebt ist worden,
Der hat auch viele Toten zu beklagen.


Aus: Aus der goldnen Schale
Gedichte von Bruno Frank
Heidelberg 1905 Carl Winter's Universitätsbuchhandlung (S. 4)

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Beim Geliebten

Laß mich den Frieden dieser Stunde schlürfen,
Die Stirn in deine lieben Hände pressen:
Es ist so wonnig, alles zu vergessen,
Und endlich einmal müde sein zu dürfen.

In meinen Augen hast du's bald gelesen:
Sie haben manche Nacht durchwachen müssen,
Du mußt mich sanft wie meine Mutter küssen -
Ich bin so lang, so lang allein gewesen.

Aus: Aus der goldnen Schale
Gedichte von Bruno Frank
Heidelberg 1905 Carl Winter's Universitätsbuchhandlung (S. 19)

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Bald

Ahnst du das niegestandne Herzeleid,
Von Tod und Wandel das geheime Wissen
In deiner Liebsten heißer Zärtlichkeit,
In ihrem raschen Blick und ihren Küssen?

Schon hat der Wind manch buntes Band verweht,
Bald bleibt euch einzig, unter süßem Grauen
Die alten Berge und die Majestät
Der ewigen Gestirne anzuschauen.

Aus: Aus der goldnen Schale
Gedichte von Bruno Frank
Heidelberg 1905 Carl Winter's Universitätsbuchhandlung (S. 31)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Frank



 

 


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