Georg Forsters Frische Teutsche Liedlein - Liebeslieder




Georg Forsters Frische Teutsche Liedlein

Inhaltsverzeichnis der Liebeslieder:
 

Anmerkung:
Bei jedem Lied steht in eckigen Klammern []  dasselbe Lied in der uns geläufigeren Schreibweise; zusätzlich sind bei einigen Worten Erklärungen angefügt worden.
 

 


Lied I. 109

1. Nie grösser lieb mir zu handen kam
von wunniglichem schertzen
Dardurch mein gmüt in freuden schwam
und frewt mich in meim hertzen
Tag und auch nacht
kurtz unbedacht
was ich gantz unverdrossen
zu aller zeyt
on wider streit
trieb ich mein schwenck und possen.

2. Freundtlicher weil und kurtzweil vil
hab ich nie mer gesehen
Singen sagen und andre spil
ich wil jr guts veriehen
Mit hertz und mund
auß hertzen grund
dieweil ich leb auff erden
und glaub fürwar
in weibes schar
mag mir nit liebers werden.

3. Ey trewes hertz und weiblich zucht
solt ich bey dir pleiben
So würd gewend verlanges glück
und dürfft nicht briefflein schreiben
Yetz hin dann her
und weiß nit wer
uns beyde möcht versagen
het ich die wal
gantz überal
ich wolt nicht weiter fragen.
(S. 64-65)

[1. Nie größer Lieb mir zu Handen kam
von wunniglichem Scherzen,
|Scherzen=Freude, Vergnügen
dardurch mein Gmüt in Freuden schwamm
und freut mich in mei'm Herzen.
Tag und auch Nacht,
kurz unbedacht
|unbedacht=nicht weiter nachdenkend
was ich ganz unverdrossen,
|was=war
zu aller Zeit,
ohn Widerstreit
|=ohne Widerstand, Widerstreben
trieb ich mein Schwänk und Possen.

2. Freundlicher Weil und Kurzweil viel
hab ich nie mehr gesehen,
Singen, Sagen und andre Spiel;
ich will ihr Guts verjehen
|=Gutes von ihr aussagen
mit Herz und Mund,
aus Herzem Grund,
dieweil ich leb auf Erden,
und glaub fürwahr,
in Weibes Schar
mag mir nit Liebers werden.
|mag=kann

3. Ei treues Herz und weiblich Zucht,
sollt ich bei dir pleiben
|pleiben=bleiben
so würd gewend't Verlanges Glück
|Verlanges=Verlangens
und dürft nicht Brieflein schreiben,
|dürft=brauchte
jetz hin dann her,
und weiß nit, wer
uns beide möcht versagen.
|möcht=könnte; versagen=absagen, verleugnen
Hätt ich die Wahl
ganz überall,
ich wollt nicht weiter fragen.]
_____


Lied I. 112

1. Ernstliche klag
für ich all tag
das ich nun hab verloren
Die fasenacht
mit yrem bracht
die doch was auß erkoren
Von gutem mut
wie wee das thut
so ich darvon muß scheiden
das klag ich ser
ye lenger ye mer
und macht mir grosses leyden.

2. Fürwar ich acht
hab diß fasnacht
weibliches bild gesehen
Mit solcher schön
die ich doch krön
das muß ich ye veriehen
Vonleib und gstalt
ich darfür halt
sie sey nicht gnug zu breisen
mit jrer perd
sie ist sein werd
des kan sie wol beweisen.

3. So es die zeyt
yetz dohin geyt
sich schicken zu dem baden
Wol ist es nit
ich denck auch mit
der schön on jren schaden
Zu dienen jr
mit hertzen gir
vor allen doch auff erden
jr zucht und eer
sol al zeyt mer
von mir gepreiset werden.
(S. 66)

[1. Ernstliche Klag
führ ich all Tag,
daß ich nun hab verloren,
|=unnütz (ohne Erfolg) hingebracht
die Fasenacht
|=die Fastnacht
mit ihrem Bracht,
|Bracht=Gepränge, Lärm
die doch was auserkoren.
|was=war
Von gutem Mut,
wie weh das tut,
so ich darvon muß scheiden.
Das klag ich sehr,
|klag=beklage
je länger je mehr,
und macht mir großes Leiden.

2. Fürwahr ich acht,
|=ich bin der Meinung
hab dies Fasnacht
|Fasnacht=Fastnacht
weibliches Bild gesehen,
mit solcher Schön,
|Schön=Schönheit
die ich doch krön,
das muß ich je verjehen.
|je verjehen=immer bekennen
Von Leib und Gstalt,
ich darfür halt,
sie sei nicht gnug zu breisen;
|breisen=preisen
mit ihrer Pärd,
|Pärd=Gebahren
sie ist sein wert,
das kann sie wohl beweisen.

3. So es die Zeit
|so=da
jetz dohin geit,
|geit=gibt
sich schicken zu dem Baden,
|=daß man sich zum Baden anschickt
wohl ist es nit,
|=so ist es doch wohl nichts
ich denk auch mit
der Schön'n, ohn ihren Schaden,
zu dienen ihr
mit Herzen Gier
|Gier=Verlangen
vor allen doch auf Erden.
Ihr Zucht und Ehr
|Zucht=Wohlgezogenheit
soll allzeit mehr
von mir gepreiset werden.
|gepreiset=gepriesen]
_____


Lied I. 113

1. Mag ich zuflucht
in eer und zucht
suchen bey dir
deßhalb gib mir
bescheid und antwort
ob ich möcht fort
offt bey dir sein
zart liebste mein
bewillig das
mir kan auff erd nit werden baß.

2. Darumb betracht
was mich ursacht
ist dir geklagt
vertrawlich gsagt
on list und gfar
alle beschwar
ich trag mit dir
dergleich thu mir
mags müglich sein
ich bit hertzlieb
erbarm dich mein!

3. Lenger die zeyt
nit gar zu weit
es ist für dich
so wol als mich
dann ich wil nicht
dz hastu bricht
das dich verletz
mit trew ergetz
mich meiner bit
erfrewt mich wol und schat dir nicht.
(S. 66)

[1. Mag ich Zuflucht
|mag=kann
in Ehr und Zucht
suchen bei dir,
deshalb gib mir
Bescheid und Antwort,
ob ich möcht fort
|möcht=könnte, dürfte; fort=forthin, weiterhin
oft bei dir sein,
Zartliebste mein!
Bewillig das,
mir kann auf Erden nit werden baß!
|baß=besser

2. Darumb betracht,
was mich ursacht!
|ursacht=dazu veranlaßt
Ist dir geklagt,
vertraulich gsagt,
ohn List und Gfahr.
|=in Wahrheit und ohne Umschweife
Alle Beschwar
|Beschwar=Beschwernis, Last
ich trag mit dir;
dergleich tu mir,
|=mir gegenüber
mag's müglich sein!
|=wenn es möglich sein kann
Ich bitt, Herzlieb, erbarm dich mein!

3. Länger die Zeit
|länger=ziehe hinaus
nit gar zu weit!
Es ist für dich
sowohl als mich;
dann ich will nicht,
|dann=denn
- das hast du Bricht -
|=das weißt du
das dich verletz.
|=etwas, das dich verletzen (beleidigen) könnte
Mit Treu ergetz
mich meiner Bitt!
Erfreut mich wohl und schad't dir nicht.]
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Lied I. 116

1. Ich gwarts noch gut
wie wee es thut
an liebes brust
hertzlichen lust
nit auß zu lon.
schöns lieb ich han
kein freud on dich
dz last hertzlieb genissen mich.

2. Ich gwarts noch gut
in stiller hut
zu seiner zeyt
sich offt begeyt
ein sach mit fug.
zart frewelein klug
thu fleiß darzu
mein aller liebste keiserin!

3. Ich gwarts noch gut
auß freyem mut
und hoff zu jr
ergetz mich schir
vil kummer und schmertz
dann oft mein hertz
getragen hat
hertzlieb eyl vast kumm nit zu spat!

4. Ich gwarts noch gut
kein tropfen blut
ist in meim leib
zart werdes weib
der dir args gund
des klaffers mund
glaub nit von mir
dann ich pleib ewig grecht an dir.
(S. 68)

[1. Ich gwart's noch gut,
wie weh es tut,
an Liebesbrust
herzlichen Lust
|Lust=Herzensfreude
nit auszulohn.
|=nicht auszulassen
Schöns Lieb, ich han
|han=habe
kein Freud ohn dich;
das laßt, Herzlieb, genießen mich.
|=daran laß du, Herzlieb, mich Freude haben

2. Ich gwart's noch gut,
in stiller Hut,
zu seiner Zeit
sich oft begeit
|begeit=begibt
ein Sach mit Fug.
|=in Angemessenheit, in passender Gelegenheit
Zart Fräulein klug,
tu Fleiß darzu,
mein allerliebste Kaiserin!

3. Ich gwart's noch gut
aus freiem Mut
und hoff zu ihr.
Ergetz mich schier!
|schier=bald
Viel Kummer und Schmerz
dann oft mein Herz
|dann=denn
getragen hat.
Herzlieb, eil fast, kumm nit zu spat!
|fast=sehr

4. Ich gwart's noch gut,
kein Tropfen Blut
ist in mei'm Leib,
zart, werdes Weib,
der dir Args gunnt.
|=etwas Arges gönnt
Des Klaffers Mund
|Klaffer=Schwätzer
glaub nit von mir!
|=dem Gerede des Schwätzers über mich glaube nicht
dann ich pleib ewig grecht an dir.
|dann=denn; pleib=bleib; grecht=rechtschaffen]
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Lied I. 117

1. Ach edler hort vernim mein klag
die ich senlich im hertzen trag
hülff mir auß not
mein hertz mit todt
sich enden ist
in kurtzer frist
daran hertzlieb du schuldig bist.

2. Nicht biß so hart dem diener dein
mit strengem wee ein schwere pein
durch klaffers haß
der mir on maß
leid hat zu gricht
durch sein falsch ticht
darumb mein hertz vor leid sich bricht.

3. On end hertzlieb schrey ich und rüff
erhör mich noch send mir dein hülff
mit trostes schein
dem hertzen mein
durch hoffnung wan
mein trew sich an
du bist die der ich als guts gan.
(S. 68-69)

[1. Ach edler Hort, vernimm mein Klag,
die ich sehnlich im Herzen trag,
hülf mir aus Not!
Mein Herz mit Tod
sich enden ist
|=mein Herz geht mit (durch) Tod zu Ende
in kurzer Frist,
daran, Herzlieb, du schuldig bist.

2. Nicht bis so hart dem Diener dein!
|nicht bis=sei nicht
Mit strengem Weh ein schwere Pein
durch Klaffers Haß,
|Klaffer=Schwätzer, Verräter
der mir ohn Maß
Leid hat zugricht't
|zugricht't=zugerichtet
durch sein falsch Ticht.
|Ticht=Gelüge
Darumb mein Herz vor Leid sich bricht.

3. Ohn End, Herzlieb, schrei ich und rüf:
|rüf=rufe
Erhör mich noch, send mir dein Hülf
mit Trostes Schein
dem Herzen mein
durch Hoffnung Wahn!
|=Glauben an Hoffnung
Mein Treu sich an!
|sich an=sieh an
Du bist die, der ich alls Guts gann.
|gann=gönne]
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Lied I. 118

1. Ich beut dir da
frundtliches A.
gantz willig pflicht
Doch nit gedenck
dich solichs bekrenck
an eren nicht.
"Verhüt gut gsel
groß ungefel
mir drauß entstient
wann ich begint."
solt dann mein dienst nit angnem sein
A we hertzallerliebste mein
so schrey ich dann rumb her ia rumb
bleib stet bis ich her wider kumm.

2. "Mein schuld ist nit
das ich deinr bit
kein gnüge thun
ein anders ist
Das mir brist
du merckts wol nun."
ist doch das klein
hertz eynigs eyn
Das dich erman
drumb nimm es an
"ich darffs nicht thun das weystu wol."
a wee das ich erleben sol
so schrey ich dann rumb her ja rumb
bleib stet biß ich herwider kumm.

3. Laß ab dein klag
und nit verzag
hertz liebster freund
leicht kumbt die zeyt
Das ich on neid
dir freud erzint
so ich on forcht
und one sorg
von dir mag han."
On argen wan
so scheidt ich hertzigs K. mit freud
a wee bringt mir yetz kein leid
doch schrey ich dann rumb her ja rumb
pleib stet biß ich herwider kumm.
(S. 69)

[1. Ich beut dir da
|beut=biete
freundliches A.,
ganz willig Pflicht;
|Pflicht=Dienst
doch nit gedenk,
|gedenk=denke
dich solichs bekränk
|solichs=solches
an Ehren nicht!
|=daß solches deine Ehre kränke (mindere)
"Verhüt, gut Gsell
|verhüt=behüte, d.h. laß ab; Gsell=Gesell
Groß Ungefäll
|Ungefäll=Unglück
mir draus entstiend,
|entstiend=entstünde
wann ich beginnt."
|=wenn ich damit beginnen würde
Sollt dann mein Dienst nit angnehm sein,
a weh, Herzallerliebste mein!
|a weh=au weh
So schrei ich dann: rum her, ja rum,
bleib stet, bis ich herwieder kumm!
|stet=beständig, treu

2. "Mein Schuld ist nit,
daß ich deinr Bitt
kein Gnügen tun.
|tun=tue
Ein anders ist,
das mir brist,
|brist=fehlt, gebricht
du merkst wohl nun."
Ist das doch klein,
|klein=wenig
herzeinigs Ein,
|=herzeinziges Eines
das dich ermahn;
|=an das ich dich mahne
drumb nimm es an!
"Ich darf's nicht tun, das weißt du wohl."
A weh, das ich erleben soll!
So schrei ich dann: rum her, ja rum,
bleib stet, bis ich herwieder kumm!

3. "Laß ab dein Klag
und nit verzag,
herzliebster Freund!
Leicht kummt die Zeit,
|leicht=vielleicht
daß ich ohn Neid
dir Freud erzind,
|erzind=entzünde
so ich ohn Forcht
|so=ebenso
und ohne Sorg
von dir mag han."
|mag han=kann haben
Ohn argen Wahn
so scheid ich, herzigs K., mit Freud;
a weh, bringt mir jetz gar kein Leid!
Doch schrei ich dann: rum her, ja rum,
pleib stet, bis ich herwieder kumm!
|pleib=bleib; kumm=komm]
_____


Lied I. 121

1. Ich rew und klag
das ich mein tag
nicht liebers hab verloren
Nach dem ich mir
zu freud und gir
ein lieb hab auß erkoren
Das mich so hoch
al stund und noch
mit schmertzen thut krencken
erbarm mich hart
ich beyt und wart
biß mein glück thut bedencken.

2. Dann unfal groß
an freuden bloß
hat mich mit leid umbgeben
Mit seiner macht
in trübsal bracht
und trawren auch daneben
Das ich nun die
die hertz het ye
zum höchsten thun erfreyen
erst solt verlon
wie wirts jr gon?
mein hinfart thut mich rewen.

3. Dadurch mein hertz
tregt wee und schmertz
las dich mein leid erbarmen
Und denck doch die
trew dienst und mühe
des diener dein vil armen!
Bit ich nun dich
von hertzen freundtlich
du thust mich des geweren
und wöllest nit
in trewen bit
dein diener thun verkeren.
(S. 71)

[1. Ich reu und klag,
daß ich mein Tag
nicht liebers hab verloren,
nach dem ich mir
zu Freud und Gier
|Gier=Wunsch, Verlangen
ein Lieb hab auserkoren,
das mich so hoch
|hoch=sehr, heftig
all Stund und noch
mit Schmerzen tut kränken.
|kränken=krank machen
Erbarm mich hart,
|=ich daure mich sehr, heftig
ich beit und wart,
|beit=warte
bis mein Glück tut bedenken.
|mein=meiner; bedenken=sich besinnen

2. Dann Unfall groß
|dann=denn; Unfall=Unglück
an Freuden bloß,
|bloß=arm
hat mich mit Leid umbgeben,
mit seiner Macht
in Trübsal bracht
|bracht=gebracht
und Trauren auch daneben,
daß ich nun, die
mein Herz hätt je
|je=immer
zum höchsten tun erfreien,
|erfreien=erfreut hat
erst sollt verlohn.
|erst=jetzt, nun; verlohn=verlassen
Wie wird's ihr gahn?
|gahn=gehn
Mein Hinfahrt tut mich reuen.
|Hinfahrt=Fortreise, Abschied

3. Dadurch mein Herz
trägt Weh und Schmerz.
Laß dich mein Leid erbarmen
und denk doch die
|=und denke an die
treu Dienst und Mühe
des Diener dein, viel armen!
|viel=sehr
Bitt ich nun dich
von Herzen freundlich,
du tust mich des gewähren
|du=daß du
und wöllest nit,
in Treuen bitt,
|bitt=bitte ich
dein'n Diener tun verkehren.
|verkehren=entlassen, fortjagen]
_____


Lied I. 122

1. Ich hoff es sey vast wol müglich
drumb ich
in hoffnung ste
dz es mir ge
nach allem meinem willen.
Von art ist sie ein reine frucht
jr zucht
ist eren wert
jr weis und berd
thut mir mein kummer stillen.
Darumb ich bin
lang zeit vorhin
gelegen hart
und hab gewart
auff jr gnad
biß sie mich hat
mit jrem trost
auß sorg erlost
darumb dann ich
nit unbillich
hoff es sey vast ser wol müglich.

2. Ich hoff es sey fast wol müglich
drumb ich
von dir nit weich
und ob es gleich
den klaffer solt verdriessen.
Ich bin dir hold in rechter trew
kein rew
hab ich ja nit
darumb ich bit
du last mich das geniessen
Und thust an mir
als ich an dir
vertrawen hab.
ich stel nit ab
von dir kein stund
mein hertz und mund
giebt dir den preiß
mit gantzem fleiß
darumb dann ich
nit unbillich
hoff es sey vast ser wol müglich.

3. Ich hoff es sey fast wol müglich
drumb ich
nit weiter tracht
das hat gemacht
dein gantz freundlichs erzeygen
Das du yetz thust mit gantzer gir
gen mir
in trewen scheyn
darumb sich mein
hertz gibt dir gantz für eygen
On als verding
und ist mir gering
du hertzigs bild
als was du wilt
bistu gewert!
mein freud sich mert
wann ich gedenck
der freundtlich schwenck
darumb dann ich
nit unbillich
hoff es sey fast ser wol müglich.
(S. 71-72)

[1. Ich hoff, es sei fast wohl müglich,
|fast=durchaus, sehr
drumb ich
in Hoffnung steh,
daß es mir geh
nach allem meinem Willen.
Von Art ist sie ein reine Frucht,
ihr Zucht
|Zucht=Wohlgezogenheit
ist ehrenwert,
ihr Weis und Bärd
|=ihre Art und Weise (Lebensart) und ihr Gebahren
tut mir mein'n Kummer stillen.
Darumb ich bin
lang Zeit vorhin
gelegen hart
und hab gwart't
auf ihr Gnad,
bis sie mich hat
mit ihrem Trost
aus Sorg erlost.
Darumb dann ich
nicht unbillig
hoff, es sei fast sehr wohl müglich.

2. Ich hoff, es sei fast wohl müglich,
drumb ich
von dir nit weich,
und ob es gleich
den Klaffer sollt verdrießen.
|Klaffer=Schwätzer, Verräter
Ich bin dir hold in rechter Treu,
kein Reu
hab ich ja nit,
darumb ich bitt,
du laßt mich das genießen
|du=daß du
und tust an mir
als ich an dir.
|als=wie
Vertrauen hab!
Ich stell nit ab
|=ich weiche nicht, ich verlasse dich nicht
von dir kein Stund,
mein Herz und Mund
gibt dir den Preis
mit ganzem Fleiß.
Darumb dann ich
nit unbillig
hoff, es sei fast sehr wohl müglich.

3. Ich hoff, es sei fast wohl müglich,
drumb ich
nit weiter tracht;
das hat gemacht
dein ganz freundlichs Erzeigen,
das du jetz tust mit ganzer Gier
|Gier=Verlangen, Begierde
gen mir
in treuem Schein.
Darumb sich mein
Herz gibt dir ganz für eigen
ohn alls Verding,
|=ohne jede Bedingung
und ist mir gring,
|gring=gering
du herzigs Bild,
alls, was du willt,
bist du gewährt.
Mein Freud sich mehrt,
wann ich gedenk
|wann=wenn
der freundlich Schwänk.
Darumb dann ich
nit unbillig
hoff, es sei fast sehr wohl müglich.]
_____


Lied I. 123

1. Tröstlicher lieb
stetz ich mich yeb
wie ich erhieb
und huld erlangt eins frewlein zart
Dem ich mit fleiß
in stiller weis
noch dien zu preiß
so helt mir dz gantz wider part.
Wer het geacht
dz sol sein gmacht
ein weiblich bild
von sin und mut so vest und milt?

2. Phebe dir gschach
auch also gach
do eylest nach
Daphne der junckfrawen ungezaum
Die dir entgieng
zustund anfieng
mit laub umbhieng
und ward ein schöner lorper baum.
Dir nicht mer wart
von bletlein zart
dann nur ein krantz
den du noch  tregst umb jr lieb gantz.

3. Ach wer ich der
dem yetz nicht mer
von der ichs ger
möcht werden dann ein krentzlein fein!
Dar zu in gunst
damit umbsunst
nit als der dunst
vergieng on frucht die liebe mein
Erst würd ich tröst
von pein erlöst
mein gmüt gantz ring
villeicht mir fürter baß geling.
(S. 72-73)

[1. Tröstlicher Lieb
stets ich mich ieb,
|ieb=übe
wie ich erhieb
|erhieb=anhübe, begänne
und Huld erlangt  eins Fräulein zart,
dem ich mit Fleiß
in stiller Weis
noch dien zu Preis;
so hält mir das ganz Widerpart.
|=so ist mir das (Fräulein) doch ganz entgegen
Wer hätt geacht't,
|geacht't=gemeint
daß sollt sein gmacht
ein weiblich Bild
von Sinn und Mut so fest und mild?
|=vom Herz und Sinn so standhaft und liebreich

2. Phebe, dir gschach
|gschach=geschah
auch also gach,
|gach=jäh, ungestüm
do eilest nach
Daphne, der Jungfrau ungezaum,
|ungezaum=unbändig, des Zaumes nicht gewöhnt
die dir entging,
zustund anfing,
|zustund=sofort
mit Laub umbhing
und ward ein schöner Lorpeerbaum.
|Lorpeerbaum=Lorbeerbaum
Dir nicht mehr ward
von Blättlein zart
dann nur ein Kranz,
|dann=als
den du noch trägst umb ihr Lieb ganz.

3. Ach wär ich der,
dem jetz nicht mehr,
von der ich's gehr,
|gehr=begehre
möcht werden dann ein Kränzlein fein,
|dann=als
darzu in Gunst,
damit umbsunst
nit als der Dunst
|als=wie
verging ohn Frucht die Liebe mein!
Erst würd ich tröst't,
|erst=dann erst; tröst't=getröstet
von Pein erlöst,
mein Gmüt ganz ring,
|ring=leicht
vielleicht mir fürter baß geling.
|fürter=künftig; baß=besser]
_____


Lied I. 124

1. Mich wunder ser
ye lenger ye mer
so ich betracht
fraw Venus macht
das sie so gwaltigklichen herscht ob allen.
Es gilt jr gleich
jung alt arm reich
in allem standt
durch alle land
mit jrem pracht thut sie gantz krefftiglich erschallen.
Kein forcht gantz blind
ist Venus kind
braucht sollich yeb
die war recht lieb
benimbt manchem grossem gwalt
in der gestalt
wie Salomon auch Samson geschah
weibs zir bracht sie in ungemach.

2. Wie möcht dann ich
yetz hüten mich
in diser schar
on offenbar
so Aristoteles ward zwungen ungebeten?
Noch mer jr send
an allen end
vil sitzen loß
gen weibes gnoß
wissend ist der schrifft das Absalon ist betretten
In disem spil
sind jr noch vil
unbillich nit
so ich hiemit
betracht das all weißheyt und kunst
so gar umb sunst
dem weibs bild nit mag gleychen
Orestes mocht auch nit weichen.

3. David der Köng
wagt es gering
mit Bersabe
darumb gschach wee
Urias jr eelich man den todt must leiden.
Holofernes
dem weibs gefäß
mocht nit entgon
Judith die schon
durch reinigkeyt bracht sie das volck auß sorg zu freuden.
Darumb hab ich
verkummert mich
so subtili
als Virgili
und ander weiß glert starck und schön
freydig und kön
seind all in diser zal on maß
durch ursach ich das spil hart laß.
(S. 73-74)

[1. Mich wundert sehr,
je länger je mehr
so ich betracht
Frau Venus Macht,
daß sie so gwaltiglichen herrscht ob allen.
Es gilt ihr gleich
Jung, Alt, Arm, Reich,
in allem Stand,
durch alle Land
mit ihrem Pracht tut sie ganz kräftiglich erschallen.
|Pracht=Gepränge, Lärm
Kein Forcht, ganz blind
|Forcht=Furcht
ist Venus Kind,
braucht solich Ieb,
|=wendet solche Übung (Art und Weise zu handeln) an
die wahr, recht Lieb
benimmt manchem Großen Gwalt
|=beraubt manchen Großen der Gewalt über sich
in der Gestalt,
wie Salomon auch Samson gschach,
|gschach=geschah
Weibs Zier
|Zier=Schönheit
bracht sie in Ungemach.

2. Wie möcht dann ich
|möcht=könnte
jetz hüten mich
in dieser Schar,
ohn offenbar,
|=ohne, daß es offenbar wird
so Aristoteles ward gezwungen ungebeten!
|so=da doch sogar
Noch mehr ihr send
|ihr send=ihrer sind
an allen End,
|=überall
viel sitzen los
gen Weibes Gnoß,
wissend ist der Schrift, daß Absalon ist betreten.
|=es weiß die Schrift davon; betreten=ergriffen, gefangen genommen
In diesem Spiel
sind ihr noch viel.
|sind ihr=sind ihrer
Unbillig nit,
so ich hiemit
|so=wenn
betracht, daß all Weisheit und Kunst
so gar umbsunst,
dem Weibsbild nit mag gleichen,
|mag=kann
Orestes mocht auch nit weichen.

3. David, der Köng,
|Köng=König
wagt es gering
mit Bersabe,
darumb gschach Weh,
|gschach=geschah
Urias, ihr ehlich Mann, den Tod mußt leiden.
Holofernes,
dem Weibs Gefäß
mocht nit entgohn,
|=konnte nicht entgehen
Judith, die Schon,
|Schon=Schöne
durch Reinigkeit bracht sie das Volk aus Sorg zu Freuden.
|Reinigkeit=Reinheit
Darumb hab ich
verkummert mich,
|=mich freigemacht von Kummer
so Subtili
|so=da doch sogar
als Vergili
|als=wie
und ander weis Glehrt, stark und schön,
|Glehrt=Gelehrte
freidig und köhn,
|=freudig und kühn
seind all in dieser Zahl ohn Maß.
|seind=sind
Durch Ursach ich das Spiel hart laß.
|durch Ursach=aus gutem Grund; hart=sehr]
_____


Lied I. 125

1. Mit willen gern
in zucht und ern
Dein hertz und trew
on alle rew
ich nimm vergut
in steter hut
und bin erlost
durch manlich trost
der güte dein
von qual und pein
drumb frew dich du lieber schlucker mein!

2. Mit willen gern
on all verkern
mein weiblich zir
versprich ich dir
kein mensch sunst
mit lieb und gunst
höchlich bewart
stet vest von art.
bhalt nur den schrein
der liebe dein
gleich mir du liebster schlucker mein!

3. Mit willen gern
mein morgen stern
erbiet ich mich
alles des sich
in eren zimbt.
kumm her und nimm
mein freundtlich gruß
und lieblich kuß
druck an dich fein
zwey brüstelein
du aller liebster schlucker mein!
(S. 74)

[1. Mit Willen gern
in Zucht und Ehrn
dein Herz und Treu
ohn alle Reu
ich nimm vergut 
|=ich nehme für gut
in steter Hut
und bin erlost 
|erlost=erlöst
durch manlich Trost
 |manlich=mannigfachen
der Güte dein
von Qual und Pein.
Drumb freu dich, lieber Schlucker mein!

2. Mit Willen gern,
ohn all Verkehrn 
|=ohne jede Veränderung
mein weiblich Zier
versprich ich dir, 
|versprich=verspreche
kein'n Mensch sunst,
mit Lieb und Gunst,
höchlich bewahrt,
stet, fest von Art.
Bhalt nur den Schrein
 |bhalt=behalte
der Liebe dein
gleich mir, du liebster Schlucker mein!

3. Mit Willen gern,
mein Morgenstern,
erbiet ich mich
alles, des sich
in Ehre ziemt.
Kumm her und nimm
mein'n freundlich Gruß
und lieblich Kuß!
Druck an dich fein
zwei Brüstelein,
du allerliebster Schlucker mein!]
_____


Lied I. 126

1. Ach hertzigs M.
mein trew vernem
und laß dirs wol gefallen!
Dann du die bist
die mich erfrist
und liebest mich ob allen.
In einichem reich
lebt nit dein gleich
dz halb ich dich thu breisen
als iung und alt
thut manigfalt
mit finger auff dich weisen.

2. Wann dein lieb mich
zwingt innigklich
und kan dein nit vergessen
Drumb bit ich mir
her wider zwir
mit gleichem maß thu messen.
So wurd als leid
gantz weit und breyt
von meinem hertzen gewendet
in freud verkert
mein gmüt verstört
und auch mein trauren geendet.

3. "Hertz liebstes H.
dir ist vast ja
besorg ich doch des klaffers stich
deß halb in still
ichs wagen wil
trew du auch an mir nit brich
Ob schon einr kem
und sich annem
uns beyde zuvertauschen
hertzlieb glaubs nit
ist höchste bit
wir wöllen auch noch rauschen."
(S. 74-75)

[1. Ach herzigs M.,
mein Treu vernehm
 |vernehm=nimm fest an
und laß dir's wohl gefallen;
dann du die bist, 
|dann=denn
die mich erfrist't,
 |erfrist't=unverletzt erhält
und liebest mir ob allen, 
|=bist mir lieb über alle
In einichem Reich 
|=im ganzen Reich
lebt nit dein gleich, 
|dein gleich=deinesgleichen
deshalb ich dich tu breisen, 
|breisen=preisen
als Jung und Alt 
|als=wie
tut mannigfalt
mit Finger auf dich weisen.

2. Wann dein Lieb mich 
|wann=denn
zwingt inniglich
und kann dein nit vergessen;
drumb bitt ich, mir
herwieder zwier 
|zwier=zweimal
mit gleichem Maß tu messen!
So wurd alls Leid 
|wurd=wird
ganz weit und breit
von meinem Herzen gewendet,
in Freud verkehrt
mein Gmüt verstört
|=mein verwirrtes Gemüt
und mein Trauren geendet.

3. "Herzliebstes H.,
dir ist fast Ja, 
|=dir ist das Ja fest zugesagt
besorg ich doch des Klaffers Stich; 
|=ich habe Sorge vor des Schwätzers Sticheleien
deshalb in Still
ich's wagen will,
Treu du auch an mir nit brich!
Ob schon einr käm 
|ob schon=wenn auch
und sich annähm, 
|=sich unterfinge
uns beide zu vertauschen, 
|zu vertauschen=auseinander zu bringen
Herzlieb, glaub's nit,
ist höchste Bitt,
wir wöllen auch noch rauschen!" 
|rauschen=uns bemerkbar machen]
_____


Lied I. 127

1. O Hertzigs S.
wie hoch mich des
erfrewt in meinem hertzen
Dein trewe lieb
die ich dick brieff
in deim lieblichen schertzen
Die du gen mir
meins hertzen gir
freundlichen thust erzeigen
darumb wil ich
gantz ewiglich
von hertzen sein dein eygen.

2. O hertzigs S.
du weist wol wes
mein hertz nach dir thut trachten
Das alle freud
mir gantz erleid
und thu sunst nichts mer achten
Dann dir zu dien
mit hertz und sin
das solst mein schatz glauben
das ich mir dich
vor alles reich
der gantzen welt wil haben.

3. O hertzigs S.
ich bit ermeß
mein groß schmertzliches leiden
Das ich wurd han
wann ich solt stan
von dir und dich müst meiden.
Das wer ein not
das mir der todt
vil besser wer dann leben
das selb bedenck
von mir nit wenck
der sich dir hat ergeben.
(S. 75)

[1. O herzigs S.,
wie hoch mich des
erfreut in meinem Herzen,
dein Treue Lieb,
die ich dick brief 
|=die ich oft wahrnehme, erkenne
in dei'm lieblichen Scherzen, 
|in dei'm=in deinem
die du gen mir,
meins Herzen Gier, 
|Gier=Verlangen
freundlichen tust erzeigen!
Darumb will ich
ganz ewiglich
von Herzen sein dein eigen.

2. O herzigs S.,
du weißt wohl, wes
mein Herz nach dir tut trachten,
daß alle Freud
mir ganz erleid't
 |erleid't=verleidet
und tu sunst nichts mehr achten,
dann dir zu dien'n 
|dann=als; dien'n=dienen
mit Herz und Sinn;
das sollst, mein Schatz, glauben,
daß ich mir dich
vor alles Reich
der ganzen Welt will haben.

3. O herzigs S.,
ich bitt, ermeß
mein groß, schmerzliches Leiden,
das ich wurd han,
 |wurd han=würde haben
wann ich sollt stahn 
|wann=wenn
von dir und dich müßt meiden! 
|von dir=abseits von dir
Das wär ein Not,
daß mir der Tod
viel besser wär dann Leben. 
|dann=als
Dasselb bedenk,
von mir nit wänk,
 |wänk=wanke
der sich dir hat ergeben!]
_____


Lied I. 128

1. Oft wünsch ich ir
auß hertzen gir
mein freundlich gruß
ach liebe thuß
bedencken!
Setz mir ein zil
heimlich und stil
bey dir zu sein
dein eüglein schein
mich krenken.
Ob ich schon dich
gleich offt an sich
und darff dir nit zusprechen
so gee und stee
ich denn mit wee
mein hertz möcht mir zerbrechen.

2. "Gesel ich glaub
das du seist taub
und gar zu ridt
ich acht nit deiner notten.
Ir seint noch me
die vor und ehe
in gleicher wad
dem affen pfad
nach tretten.
Die wilt und must
nach deinem lust
der narren vil gewesen
die sich umb mich
gleich wie das vich
in gleicher brunst embören."

3. Und das ist war
gantz überal
in disem spil
seind narren vil
geboren.
So acht ich doch
du werdst dich noch
zu deiner zeyt
wer hart und beit
verkeren.
Dann du ye bist
von scharpffer list
das thu bey dir bedencken
so hoff ich doch
du werdest mich noch
in dein freundtlichs hertz sencken.
(S. 75-76)

[1. Oft wünsch ich ihr
aus Herzen Gier 
|Gier=Verlangen
mein freundlich Gruß:
Ach Liebe, tu's
bedenken,
setz mir ein Ziel, 
|Ziel=Frist, bestimmten Zeitpunkt
heimlich und still,
bei dir zu sein,
dein Äuglein Schein, 
|=deiner Äuglein Strahlen
mich kränken! 
|=machen mich krank
Ob ich schon dich 
|ob=wenn
gleich oft ansich
 |ansich=ansehe
und darf dir nit zusprechen, 
|=und darf nicht zu dir sprechen
so geh und steh
ich denn mit Weh, 
|denn=dann
mein Herz möcht mir zerbrechen.

2. "Gesell, ich glaub,
daß du seist taub 
|taub=dumm, töricht
und gar zu ried, 
|ried=grob, rauh
ich acht nit
deinr Noten; 
|=dessen, was du sagst
ihr seind noch meh, 
|=ihrer sind noch mehr
die vor und ehe 
|=zu jeder Zeit, immer
in gleicher Wat 
|Wat=Kleidung
dem Affenpfad
nachtreten.
Die willt und mußt
nach deinem Lust
der Narren viel gewähren,
die sich umb mich
gleich wie das Viech 
|Viech=Vieh
in gleicher Brunst embören."
 |embören=erheben, erregen

3. Und das ist wahr,
ganz überall
in diesem Spiel
seind Narren viel
geboren.
So acht ich doch, 
|=meine, glaube
du werdst dich noch
zu deiner Zeit
- wer hart und beit - 
|=ich werde fest und warte
verkehren; 
|=umkehren (zu mir)
dann du je bist 
|dann=denn, je=immer
von scharpfer List, 
|=von klugen Gedanken
das tu bei dir bedenken!
So hoff ich doch,
du werdst mich noch
in dein freundlichs Herz senken.]
_____


Lied I. 129

1. Wer sehe dich für ein solche an
die schwürblen kan?
wie wol du dich
so erbarlich
erbieten bist
falsch heimlich list
helstu zu ruck
damit brauchstu manch heimlich stuck.

2. Als sich dein lieb mit mir anfieng
willig verhieng
on bit meiner ger
auch selber mer
an mich gebracht
het nicht gedacht
an ander gest
nur müssig gan ist mir das best.

3. Recht wie du helst dein trew an mir
also ist dir
gen andern auch
du hast den brauch
"der nechst der best"
wens offt einr west
der dich from schetz
er möcht dein nicht wenn du jn betst.
(S. 76)

[1. Wer säh dich für ein solche an,
die schwürblen kann? 
|=wankelmütig sein, sich bald hierhin bald dorthin neigen
Wiewohl du dich
so ehrbarlich,
erbieten bist, 
|=darbietest, darstellst
falsch, heimlich List
hälst du zuruck,
 |hälst=hältst
damit brauchst du manch heimlich Stuck.

2. Als sich dein Lieb mit mir anfing,
willig verhing
ohn Bitt meinr Gehr, 
|=willig meinem Begehren ohne Bitte nachgab
auch selber mehr
an mich gebracht,
hätt nicht gedacht 
|=da hätte ich nicht gedacht
an ander Gäst.
Nur müßig gahn ist mir das Best. 
|=davon lassen ist für mich das Beste

3. Recht wie du hältst dein Treu an mir, 
|recht=gerade so
also ist dir
gen andern auch,
du hast den Brauch:
"Der nächst der best."
Wenn's oft einr weßt,
 |einr=einer; weßt=wüßte
der dich fromm schätzt, 
|fromm=rechtschaffen, tüchtig
er möcht dein nicht, wenn du ihn bätst. 
|wenn=selbst wenn]
_____


Lied I. 130

1. So wünsch ich jr ein gute nacht
zu hundert tausent stunden
So ich jr lieb erst recht betracht
ist al mein leid verschwunden.
Wenn ich sie sich
erfrewet sie mich
hat mir mein hertz besessen
drumb ich in
meinem hertzen brinn
und kan jr nit vergessen.

2. In rechter trew ist sie mir lieb
der ich mein hertz hab geben
Zu dienen jr ich mich stets yeb
die weil ich hab das leben
Wann sie hat mich
so gar lieblich
mit jrer zucht gefangen
keins menschen freud
mir sie erleid
nach der mich thut verlangen.

3. On allen falsch wil ich do sein
biß an meins leben ende
Gegen der aller liebste mein
von der ich mich nicht wende
mit seufftze klag
auch nacht und tag
sie mir mein hertz thut krencken
darumb hoff ich
sie werd doch mich
in jr hertzlieb versencken.
(S. 76-77)

[1. So wünsch ich ihr ein gute Nacht
zu hundert tausend Stunden; 
|Stunden=Malen
so ich ihr Lieb erst recht betracht,
ist all mein Leid verschwunden.
Wenn ich sie sich, 
|sich=sehe
erfreut sie mich,
hat mir mein Herz besessen; 
|=hat mein Herz in Besitz genommen
drumb ich in
meinem Herzen brinn 
|brinn=brenne
und kann ihr nit vergessen. 
|ihr=ihrer

2. In rechter Treu ist sie mir lieb,
der ich mein Herz hab geben, 
|geben=gegeben
zu dienen ihr, ich mich stets ieb, 
|ieb=übe
dieweil ich hab das Leben;
wann sie hat mich 
|wann=denn
so gar lieblich
mit ihrer Zucht gefangen. 
|Zucht=Wohlgezogenheit, feiner Anstand
Keins Menschen Freud
mir sie erleid't, 
|erleid't=verleidet, leid mcht
nach der mich tut verlangen.

3. Ohn allen Falsch will ich do sein 
|do=da
bis an meins Lebens Ende
gegen der Allerliebste mein,
von der ich mich nicht wende.
Mit Seufze, Klag, 
|Seufze=Seufzen
auch Nacht und Tag
sie mir mein Herz tut kränken; 
|kränken=krank machen
darumb hoff ich,
sie werd doch mich
in ihr Herzlieb versenken.]
_____

Aus: Georg Forsters Frische Teutsche Liedlein in fünf Teilen
Abdruck nach den ersten Ausgaben 1539, 1540, 1549, 1556
mit den Abweichungen der späteren Drucke
Herausgegeben von M. Elisabeth Marriage
Halle a. d. S. Verlag von Max Niemeyer 1903
 

 

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