Albert Geiger (1866-1915) - Liebesgedichte

 

Albert Geiger
(1866-1915)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Geheimnis

Weiß wohl, warum du traurig bist,
so lustig der Tag dir lacht.
Weiß wohl, warum du traurig bist:
Dich hat ein goldener Traum geküßt
in der Nacht, in der schweigenden Nacht.

Ein Traum von der Liebe seligstem Glück,
der streifte die Lippen dir sacht.
Ein Traum von der Liebe seligstem Glück, -
da kam der Tag, und er wich zurück
in der Sehnsucht dämmernde Nacht.

Ich weiß es wohl und du hehlst mir's nicht,
mir tut's dein Antlitz kund.
Ich weiß es wohl und du hehlst mir's nicht:
Mir sagt's dein Aug', das vom Traum noch spricht
und dein leise zuckender Mund.
(S. 9)
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Letzter Abschied

Wenn einst des ewigen Schlafes süßer Bann
dies Herz bezwang, das Frieden nie gewann,
und von den bangen Lippen starb das Wort,
wie auf der Harfe zitternd ein Akkord,
so wirst auch du, Geliebte, zu mir treten,
an meinem Sarg ein letztes Mal zu beten.

Umblüht von Blumen, ruh' ich still und bleich,
doch ach, so schmerzlos und so friedensreich,
auf meinem Antlitz, frei von ird'scher Pein,
strahlt der Versöhnung sanfter Wiederschein.
Und siehst du mich so süß gebettet liegen,
wird deiner Tränen heißer Quell versiegen.

Laß dann auf des Entschlafenen Gesicht
noch einmal ruhn die Augen, blau und licht,
so zärtlich und voll holder Traurigkeit
wie oft, wenn du mich sahst von Qual entzweit!
Das wird mir mehr als Tausender Gedenken,
gibt's einen Gott, bei ihm Erbarmen schenken.

Und eine Blume nimm von meinem Sarg!
Denk, wie mein Leben war an Blumen karg,
und wie die schönste Blume, deine Lieb',
mir frisch und blühend bis zum Tod verblieb,
und wie so oft zu meinen schwersten Stunden
in ihrem Duft ich einzig Trost gefunden.

Dann geh! Und willst du mild wie Engel sein,
so küß zum Abschied noch die Lippen mein!
Verhauch in diesem Kuß den letzten Schmerz,
den dir veratmend zugefügt mein Herz:
So kannst du mein, wenn uns das Grab geschieden,
gedenken, wie man Toter denkt, in Frieden.
(S. 10-11)
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Alte Weise

Halbdunkle, windbewegte Nacht,
die Wolkenschatten gleiten.
Mein Herz, mein Herz ist aufgewacht
und plaudert sacht
mit mir von alten Zeiten.

Vom Nachbargarten kommt ein Duft
mit schmeichlerischem Kosen.
Ein Vogelschall durchbebt die Luft
und lockt und ruft
zu frischerblühten Rosen.

Und in dem Garten immerzu
rauscht ein vielkühler Bronnen,
hat keine Stunde seine Ruh',
mein Herz, wie du,
mit deinen Schmerzen und Wonnen.
(S. 12)
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Die Rose

Eine weiße Rose hab' ich gebrochen
von deinem Grab, von deinem Grab.
Aus deinem Leib ist sie entsprossen,
hell hat die Schönheit sie umgossen,
die modernd ihr das Leben gab.

Wie süß ihr Duft, wie hold ihr Schimmer!
Sie mahnt mich dein, sie mahnt mich dein.
Ich lächle sanft, wenn ich sie sehe:
Sie ist mein duftgeword'nes Wehe,
mein Sein hängt nur an ihrem Sein.
(S. 15)
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O Kind des Unglücks

O Kind des Unglücks, süßes, teures Kind,
des Unglücks liebstes Kind, weil du mich liebst,
was bin ich denn, daß du mir hold gesinnt,
was geb' ich dir, da du dein Herz mir gibst?

Bin ja nicht reich und schön nicht von Gestalt,
ist sanft und freundlich meine Rede nicht,
was ist es denn für mächtige Gewalt,
die dich so eng mit mir zusammenflicht?

Mein Dichten, arme Kunst, erwirbt nicht viel,
Gemächlichkeit kennt nicht mein rascher Schritt,
weit ist der Weg und ungewiß das Ziel,
und doch, du Unglückskind, doch ziehst du mit?

Dein Antlitz sanft, dein Haupt gelockt so blond
soll ruhen an des Kummers harter Brust,
und deine Augen, drin der Himmel wohnt,
erspähen in den meinen karge Lust.

Und wenn mein Ende nicht in Ruhm und Glanz,
nein, wenn's in Trauer und in Dürftigkeit,
wenn uns Enttäuschung flicht den Dornenkranz,
wer lohnt dir dann dein selbstgewähltes Leid?

Wenn dich mein Lied nicht zu den Sternen hebt,
wenn ungehört mein Saitenspiel verklang,
hast du umsonst im Elend hingelebt
ein trostlos fortgeschlepptes Leben lang -

Doch wenn ein Einziger das Lob dir gibt,
daß du den düstern, friedelosen Mann
so treu, wie niemand Treue fand, geliebt:
O Kind des Unglücks, wärst du glücklich dann?
(S. 16-17)
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Einsam

Lieg' ich des Nachts einsam in meiner Qual,
so möcht ich wohl, du kämst zu mir einmal.

Du solltest gar nichts tun, als kosend leis,
die Hand mir legen auf die Stirne heiß.

Und fühlt ich so die zarten Finger dein,
geschäh mir wohl, und lächelnd schlief' ich ein.
(S. 18)
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In der Mondnacht

Der Mond steht hoch in blauer Mitternacht.
Da fühl' ich deine Hand - und bin erwacht.

Sie kam zu mir aus blassem Träumereich.
Wie Kinderhand, wie Mondenstrahl so weich.

Still blickt der Mond in's feuchte Nebelland.
Ich liege stumm und denke deiner Hand.

Und meine Decke, weiß vom Mondenlicht,
wird feucht vom Tau, der mir vom Auge bricht.
(S. 22)
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Still, still! Wir wandeln auf goldener Höhe.
Still, still! Unter uns schläft das Wehe,
über uns schlummert der Götter Neid.
Still, still! Daß wir sie nicht erwecken.
Still, still! Daß wir das Glück nicht schrecken,
das scheue Kind, ewig zur Flucht bereit.
(S. 25)
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Der goldne, goldne Sonnenschein
liegt noch auf Berg und Tal,
bricht auch die Herbstzeit schon herein
und macht die Bäume fahl.

Zwei Falter fliegen übern Weg
mit Necken in den Wald,
die Schelme sind noch fröhlich reg,
ist auch die Luft schon kalt.

Ich sehe in den Wald hinein,
und trübe wird mein Blick.
Den Faltern im Spätherbstsonnenschein
gleicht unser junges Glück.
(S. 26)
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Wie Palmenrauschen wandelt's durch meinen Sinn,
seh' ich dich nahn, o schöne Gebieterin.

O wären wir dort, wo Palmen rauschen am Strand,
o weilten wir in der Sehnsucht goldenem Land!

Umsproßt, umblüht von Myrten und Veilchen dicht,
besonnt von glänzender Lüfte sanftem Licht.

Sähn auf das stille, das blaue, das weite Meer,
die weißen Segel schwimmen darüber her.

Vom Berge aus Weinlaub ein weiches Lied ertönt,
das sanft des Scheidens zitterndes Weh versöhnt.

Und unser Dasein so ruhig, so weich, so weit,
ein leichtes Schaukeln im Meer der Seligkeit.

Hier aber wird's Winter bald und tiefer Schnee,
und nichts kann ich dir bieten als großes Weh.

Nichts kann ich dir geben als den stolzen Schmerz,
an dem verblutet ein sehnend Menschenherz.
(S. 27)
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Pan, der Alte, hockt im Schilfe,
Pfeifen schnitzt er sich vom Rohr.
Still! Nun prüft er eine Weise.
Wie sie schwellt so süß und leise
aus dem zitternden Schilf hervor!

Still! Der Wind schon hält den Atem,
schläft schon bald und regt sich kaum.
Und die dunkeln Wälder lauschen,
ferne, fern verklingt ihr Rauschen
wie ein Sommermittagstraum.

Auch der helle blaue Himmel
müde blickt er auf die Welt.
Schon in einem grauen weichen
Schleier seh' ich ihn erbleichen,
den er schlummernd vor sich hält.

Alles schläft. - Nun leise, leise
komm hervor, mein scheues Lieb!
Halte zitternd mich umfangen,
leis ein köstliches Verlangen
überschleicht uns wie ein Dieb.

Holdes Sommermittagszwielicht,
deinen Schutz umbreit uns sacht!
Nun die Welt in Schlaf gesungen,
hält sich kecke Lieb umschlungen.
Pan, der Alte, sieht's und lacht.
(S. 28-29)
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Ihr seligen Monde meiner Nächte,
geliebte Brüste,
Wie schimmert ihr durch die Dämmrung
in blasser, blasser Schönheit!
Noch zittert auf euch
ein Hauch unsterblicher Sehnsucht,
und sanfter Tau,
meiner Augen und Lippen Feuchte,
erhörungschluchzende Küsse,
wollustentquollene Tränen
benetzen euch noch,
geliebte Brüste.

O ihr, die liebliche Heimat,
Heimat des scheuen Verlangens,
das den Tag flieht
und am Abend wandelt
auf bebenden Füßen,
mit furchtgeschlossenen Augen
zum Lande der Freiheit -
o ihr, geliebte Brüste,
ihr seligen Monde meiner Nächte.

Ihr seligen Monde meiner Nächte,
in weicher Rundung
schmiegt ihr euch meinen kosenden Lippen
und plaudert noch leise
vom Schöpfungsgeheimnis,
von der Nacht der Urwelt,
die das rosig zitternde Licht gebar,
von der leuchtenden Nebelmacht,
die zu schwebenden Sonnen und Monden
sich sanft gerundet,
als leise schwellend
erklang der Schönheit heiliger Hymnus.
(S. 30-31)
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Du willst nicht mehr küssen?
So schlafe! Schlafe!
Du bist ja so müde -

o goldene Müdigkeit,
köstlicher Schlummer!
Wie so sacht dein Atem geht!
Im Traum bewegst du die Lippen
und lächelst -
träumst du von Küssen?
Ging noch nicht alles Verlangen zur Ruh?

Brust an Brust geschmiegt
laß uns entschlummern!
Zwei scheue kleine Waldvögel
hören wir drinnen,
die singen uns leise zwitschernd in Schlaf.
Lausch, o Geliebte!
(S. 32)
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S' ist etwas, das uns stille macht,
wir haben wohl zu viel gelacht.

Der Tag ist hin, die Luft ist fern,
die Nacht ist feucht und ohne Stern.

Es zittert süß und matt ein Duft
gestorbner Blumen in der Luft.

Ein ahnend Schweigen fragt uns bang:
Wie nur das Freun uns je gelang?

Wir haben allzuviel gelacht,
S' ist etwas, das uns stille macht -
(S. 33)
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Ueber die bernsteingelbe Wüste
schießen schräger und schräger
die blondbefiederten Sonnenpfeile.
Die Dämmerung,
der kurze leichte Seufzer
des sterbenden Tropfentages,
zerfließt in die leise schauernde Luft.
Auf schwärzlichen Fittigen
von den farbigen Rändern des Himmels
schwimmt der Abend heran.
In seinen Fittigen
Birgt er die Nacht.

Nacht - Nacht
o du Balsam auf brennende Augen
der müden, irrenden Wanderer!
Du sanfte Weise,
die den scheuen Schlaf lockt
auf das Schmetterlingsfeld des Traumes!
Du süßestes Lied
für die Ungeduld
brünstig harrender Liebe!
Nun nahst du, nun nahst du,
und die Erde zittert und dehnt sich
wie ein Weib in wollüstiger Schläfrigkeit.

Ueber der Wüste
tanzt in irren Wirbeln
gespenstiger Staub.
Er fliegt und dreht sich
mit weißen Knöcheln.
Und am Rand der nahen Oase
steigen blaue Flammen
unstät flackernd
in die kühle klare Luft.
Sind es Seelen? Sind es Schatten?
Farbgewordene Schemen des Lebens,
das der durstige Wüstensand eintrank
und das nun die Kühle der Nacht
erlöst aus dem Staubgefängnis?
Und horch, nun durch die Stille
wiegt sich ein Klang
und fällt und sinkt
in unruhig süßer Bewegung,
laut, leise,
langsam, schneller,
ein arabisches Tanzlied.
Zwischen vier Tönen
schweifte unermüdlich die seltsame Weise,
wie ein eingesperrtes Mädchen
zwischen den Zimmerwänden
auf und nieder, hin und hergeht,
und draußen harrt der Geliebte.

Dunkler wird es und stiller -
auch das Lied schweigt!
Die blauen Flammen verlöschen.
Nicht sichtbar mehr ist der Staub.
Vom schwarzblauen Himmel
flackern die Sterne,
als ob durch die Risse und Löcher
des uralten Königinmantels der Nacht
hindurchquölle
das gierige Licht.
Lichtbüschel
quellen hervor.
Unter Lichtbüscheln
schläft nun das müde Wild: die Welt.

Aus dem Dunkel
schleicht sich eine Gestalt.
Eine Gazelle
späht zitternd hinaus in die Nacht,
scheut, stutzt, flieht,
kehrt wieder, wird kühner,
biegt rechtshin, linkshin
den schlanken Hals,
hört ein fernes Murren und Drohen
und schaudert über den ganzen Leib.
Aber dort ist der Quell!
Sie schreitet näher,
sie beugt sich nieder,
sie trinkt -

Da über sie her
mit gewaltigem Sprung
ein prächtiges Ungeheuer
die Löwin
lautlos,
von Riesenpranken umklammert,
knickt die Gazelle zusammen -
mit der Beute
schleppt sich die Räuberin
über die sandige Wüste
und die schweigende Nacht
weiß nichts mehr vom Raub.

Wie geschah mir doch?
Was träumte mir,
als jüngst auf einsamem Lager
du mich überfielst, o Liebe,
o prächtigste Löwin Liebe,
Löwin Begierde!
(S. 36-39)
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Ich will schlafen -
mein Herz ist schwer und müde vom Glück.
Laß leise noch flüstern deine Lippen,
so ist's wie ein Hauch in Rosenbüschen,
und deine Augen, die lieben, stillen,
laß über mir leuchten,
so seh' ich hinauf an die Sterne
und schlafe ein.

Wo sahet ihr schönere Rosenbüsche?
Wo ging der Wind auf weicheren Füßen?
Wo lächelten milder und sehnsuchtsvoller
freundlich bezaubernde Sterne?
Ach, hier ist der Seligen Insel,
hier im Schoß der Geliebten!
Hier will ich rasten.

Hier will ich rasten -
fernab liegt in bläulichen Schleiern
des Daseins verworrenes Land.
Fernher rauscht das Meer der Zukunft,
das silbergraue, geheimnisvolle.
Fernher murmelt der Fluß der Vergangenheit,
der dunkle, gräberbespülende.
Klänge,
die mich Einsamen wiegen in Schlaf.
O klinget sanft -
Ich will schlafen!

Ich will schlafen -
was ist mir die Welt
und der Strom mit den Gräbern
und das Meer mit den silbern spielenden Wellen?
Hier ist die Heimat!
Aus deinen Augen fließen mir Tränen,
der heilige Quell der Muse,
und über mein Herz geht ein Traum,
ein Traum von ewiger Liebe -
so will ich schlafen.
(S. 40-41)
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Behaglich liegen im Dunkeln
Kater und Kätzelein;
der Herr ist aus dem Hause,
nun können sie lustig sein.

Sie liegen im Himmelbette,
im weichen Flaumengrab.
Erstaunt lugt durch das Fenster
der Mond, der blaue, herab.

Es leuchten grün ihre Augen
aus dem blassen, knisternden Pelz,
geheime Funken sprühen
beim zärtlichen Reiben des Fells.

Es schnurrt und murrt und dehnet
vor Lust der Kater den Leib,
es kraut ihm kosend die Ohren
das schmachtende Kätzchenweib.

Die linden Sammetpatschen
sie um den Hals ihm legt,
des Katers Herz am Herzen
der Kätzin zitternd schlägt.

Die Krallen, die weißen Zähnchen
zeigt sie mutwillig im Spiel,
dann wieder umschlingt sie ihn mauend,
so pflegen der Wonnen sie viel.

Doch horch! Es rauscht im Gange!
Das mag der Herr wohl sein -
mit einem Satze verschwinden
Kater und Kätzelein.

Im leeren Himmelbette
sucht der Mond das Katzenpaar.
Auf der Decke liegt einsam
ein blondes Kätzchenhaar.
(S. 42-43)
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Zwischen weißen Schlehdornhecken
blühen still verschämte Veilchen.
Zwischen weißen Schlehdornhecken,
liebe Herrin,
laß uns ruhn ein süßes Weilchen.

Sicher ist ein edles Wild hier
vor der Menschenjäger Jagen.
Sicher ist ein edles Wild hier,
liebe Herrin,
Mich zu küssen darfst du wagen.

Weithin ist nur grauer Himmel
und der Einsamkeit Erschaudern.
Weithin ist nur grauer Himmel,
liebe Herrin.
Heimlich kann die Lust hier plaudern.

Diese Küsse deinen Augen -
und die letzten Zweifel schweigen!
Diese Küsse deinen Lippen,
schöne Herrin -
Und nun sei du ganz mein eigen!
(S. 45)
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Gewitterluft hing über's Land
mit drohend schweren Wolken.
Da hast du dich hinausgewandt
und zitternd mußt ich folgen.

Ein Blick, ein Blick, ein langer Blick
durch Rauch und Kerzenschimmer,
ein langer Blick - und mein Geschick
vollendet war's für immer!

Der Garten lauschte still und tief;
ein Hauch von Nachtviolen,
im Buschwerk eine Amsel rief
gar zärtlich und verstohlen.

Nachtaugen fahl mit Dämmerschein
aus Wolkenwimpern grüßten;
das blasse Land sog gierig ein
die Milch aus Himmelsbrüsten.

Wie hingepreßt im Liebesdrang
am Fluß die Weiden hingen,
ihr Wollustatmen seufzend bang,
wir hörten's leis verklingen.

Auf grau verdämmerndem Gefild
stand weiß dein Leib, der schlanke,
gleichwie in matterem Gefild
ein farbiger Gedanke.

Wir sahn uns in die Augen tief,
ein Atmen schwer und lange.
Ein rötlich Blitzen flackernd lief
weit über's Land, das bange.

Der Liebe Glück ward uns erkauft
seither mit Qualen bitter,
drum hat das Schmerzenskind getauft
der Himmel im Gewitter.
(S. 46-47)
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Kleine Lieder

Draußen liegt, o wunderschöne Frau,
Sonnenschein auf sommergrünem Rasen.
Tief auf meines Herzens kühler Au
der Gedanken Rehe einsam grasen.

Locke sie nicht in den Sonnenschein,
wo auf sie die tausend Jäger zielen!
Komm du lieber sacht zu mir herein,
mit den weißen Rehlein sollst du spielen.
(S. 54)
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Wem soll ich denn geben den Veilchenstrauß,
den ich im Tal gepflückt?
Ich hab ihn mit Seufzen so manches Mal
an Brust und Lippen gedrückt.

Wem soll ich denn schenken zum Angebind
das Band in meinem Buch?
Mit Perlen hab ich darein gestickt
von heimlicher Lieb einen Spruch.

Wem soll ich denn geben zum Eigentum
dies kleine furchtsame Herz?
Ach, ahnt' es doch Einer, wie sich's verzehrt
in scheuverborgenem Schmerz!

Es ahnt es Keiner - mir wird so schwer,
der Abend geht übers Land.
Da steh' ich - es fallen Blumen und Buch
mir aus der zitternden Hand.
(S. 55)
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Und wär's auch nur ein Druck der Finger,
tief in die Seele sanft gedrückt,
ein Kuß auf deine blonden Flechten,
und was so zaghaft sonst beglückt
in jener Erstlingszeit der Liebe,
die freundlich wie ein Märzentag
vorüberrauscht an heitern Augen
mit silberhellem Flügelschlag -
es würde doch von diesem Glücke
der blasse stille süße Schein
auf immer über unserm Leben
gleich wie ein Blick des Himmels sein.
(S. 56)
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Es duftet so süß vom Lindenbaum,
und rings das blühende Feld
das regt sich leise und atmet kaum,
und ferne verzittert die Welt.

Das leise Atmen, das Duften sacht
in dieser Sommerruh,
das hat eine wundersame Macht,
es drückt uns die Wimpern zu.
(S. 56)
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Wenn es Abend wird,
fliegen die Tauben tief.
Sucht jede ihr Nestchen,
dahin die Sehnsucht sie rief.

Oft es Abend ward
und ich stand allein,
da konnte von Herzen
mir bange sein.

Nun hab ich mein Nestchen,
mir ist's wie ein Traum.
Ich schließe die Wimpern
und atme kaum.
(S. 58)
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Rote Nelken

Im Garten bei den roten Nelken,
da war's, wo er das Schweigen brach.
O hätt' er nie zu mir gesprochen!
Dann ging' ich nicht in Not und Schmach.

Was lockten mich die roten Nelken
duftschwül aus lauter Sommernacht?
Was hieß ihn just zu dieser Stunde
die Gartentüre öffnen sacht?

Ihr habt die Schuld, ihr roten Nelken,
habt so verwirrt die Sinne mein!
Ich hätte Ja nicht sagen dürfen
und konnte doch nicht sagen Nein . . .

Im Garten bei den roten Nelken
da sitz ich nun so manchen Tag,
und sinne nach, wie sie verwelken,
wann ich wohl selber sterben mag?
(S. 61)
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Aus goldner Schale gießt der Mittag
den Segen auf das stille Feld.
Es blüht das Korn in weiter Runde.
So traut und heimlich ist die Stunde,
die unser Glück umschlossen hält.

Du gehst nach langen Schmerzenstagen
zum erstenmal an meiner Hand
die alten, liebgewohnten Wege,
die schmalen und versteckten Stege
dahin ins sonnenfrohe Land.

Den Arm um deine schlanke Hüfte,
wie wandelt sich's so leicht, so gut!
Dein Auge strahlt, vom Glück gefeuchtet,
dein liebes, blasses Antlitz leuchtet
so stille unterm Schattenhut.

Nicht Wort, noch Kuß! In tiefstes Schweigen
hat unser Glückstraum uns versenkt.
Nur wenn ich leis mich an dich schmiege,
fühl ich, wie einer kleinen Wiege
daheim - daheim dein Herz gedenkt.

Dort schlummert unter leichten Schatten
mit offnem Mund der kleine Held . . .
Du blickst mich an so mild, so heiter.
Wir lächeln, und wir schreiten weiter,
und immer schöner wird die Welt!
(S. 66-67)
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Was nur mein Herz hat?

Was nur mein Herz hat,
daß es so laut mich ruft?
Daß es wie junges Grün,
drängt in die Luft?
Daß es will glücklich sein?
Ist denn dies Herz noch mein?

Gleich einer Amsel Lied
lockt mich sein Schlag hinaus.
Gassen hin, Gassen her
streif' ich die Kreuz und Quer,
nur nicht ins Haus!
Schäme mich meiner fast,
Solch ein Hans Ohnerast.

Wie eine Mutter ihr
spät noch Gebornes wiegt,
zitternd vor Glück und Scham,
daß es so wundersam
im Arm ihr liegt,
wieget meiner Sehnsucht Schmerz
dies neue fröhliche Herz.
(S. 73)
_____



Waldidyll

Es ist auf Erden nichts wohler getan
an einem schönen Sommertag,
als wenn sein Lieb man herzen kann
im duftenden Himbeerschlag.

Da draußen geht der Sonnenschein,
sucht die verlaufenen Kinderlein.
Die sitzen still im kühlen Grund,
pflücken Beerlein von Strauch und Mund
und werfen sich endlich zum Spaß
zwischen den Sträuchern ins hohe Gras.

Das Gras, das schließt gar leise sich,
Kein Mensch mehr findet dich und mich.
(S. 74)
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Annemarie

Was warst du für ein Sonnenkind,
liebe kleine Annemarie!
So flink und frisch wie Märzenwind
und doch so heimlich lieb und lind
wie Amselmelodie.
Da war kein Tag so blau und licht,
liebe kleine Annemarie,
daß er noch wurde bläuer nicht,
wenn er dir sah ins süße Gesicht,
liebe kleine Annemarie!

Du wuchsest wie die Beer' am Dorn
des Lebens, Annemarie.
So lachend wie die Blum' im Korn,
die noch nichts weiß von Wetterzorn,
liebe kleine Annemarie.
Dein junges Herz in weißer Hand,
liebe kleine Annemarie,
wie eine Rose durch das Land
trugst du's in deiner weißen Hand,
liebe kleine Annemarie!

Dann kam die dunkle Juninacht,
arme kleine Annemarie,
sie hat die Liebe dir gebracht
und deiner Lust ein End gemacht,
stille kleine Annemarie.
Von Goldlackduft die Nacht so heiß,
blinde kleine Annemarie,
und ein Dieb, von dem kein Wächter weiß,
und ein Kuß und Schwur, so schwer und leis -
dumme kleine Annemarie!

Dein Herz, du trugst es hoch und hehr,
liebe kleine Annemarie.
Nun gehst du längst mit Füßen schwer,
und deine Hände sind dürr und leer,
liebe kleine Annemarie.
Dein Herz, das rollte in den Kot,
liebe kleine Annemarie.
Dein Auge ist von Tränen rot,
und vor der Türe sitzt der Tod -
liebe kleine Annemarie!
(S. 75-76)
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In der Dämmerung

O zünde nicht der Lampe Licht,
eh ganz die Nacht herniedersinkt.
Raub mir den Strahl des Auges nicht,
der durch die Dämmerung mir blinkt!

Jetzt wandelt auf geheimster Bahn
die Sehnsucht ihrer Heimat zu,
ich fühle jeden Blick mir nahn
wie ein unendlich süßes "Du".

Wie ein geheimstes Liebeswort,
von dem das Licht nichts weiß noch kennt,
und das nur in der Dämmrung Hort
sich schauernd von der Seele trennt.

O zünde nicht der Lampe Licht,
eh ganz die Nacht herniedersinkt.
Raub mir den Strahl des Auges nicht,
der durch die Dämmerung mir blinkt!
(S. 78)
_____



An Beatrice

So sah ich dich zuerst: im jungen Wald,
umblüht von Primeln und von Anemonen.
Sie schimmerten im Wind mit lichten Kronen
und drüber deine wiegende Gestalt.

Der Schlehdorn streifte sacht dein blondes Haar,
mit seinen Sternchen rührt' er dir die Wangen.
Du kamst in schwarzem Samt dahergegangen:
wie das ein Bild voll zarter Farben war!

Auf deinen schmalen lieblich blassen Wangen
und um des Mundes weiches Lippenpaar
lag es noch wie ein Hauch von Winterbangen.

Doch in den braunen Augen wunderbar
glomm auf ein zärtlich lichter Widerschein
von blauem Himmel und von jungem Hain.
(S. 79)
_____



Oft ist es mir, als lebe dein Gedächtnis
durch alle meine Tage, meine Stunden.
Tief liegt's in mir, auch wenn es nicht empfunden,
unwandelbar, ein köstliches Vermächtnis.

Wie käm es sonst, daß bei gleichgült'gen Dingen,
im Arbeitsdrang, beim Schalle müß'ger Worte,
es dasteht jählings an des Herzens Pforte,
von deinem Wesen Kunde mir zu bringen?

Und daß ich halb im Schlummer deinen Namen
mit süßem Schreck auf meinen Lippen finde,
so wie ein Kind des Nachtgebetes Amen?

Wie ganz dein holdes Sein ich nachempfinde,
dem gleicht nur, wie in seines Herzens Rahmen
des Licht's Erinnerung hegt der arme Blinde.
(S. 80)
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Ich weiß es noch - denn mir ist alles wach,
wenn du auch jene Stunden längst vergessen -
wie ich des Nachmittags bei dir gesessen,
wir zwei im kühlen dämmrigen Gemach.

Ein Schachspiel zwischen uns, zum Scheine fast;
denn unsre Hände säumten müßig immer,
so oft aufblickend deines Auges Schimmer
in meinem hielt willkommne süße Rast.

Dann hielt wohl deine schlanke weiße Hand,
die Hand, von so viel feinem Reiz umflossen,
wie träumend eine Schachfigur umschlossen.

Mir war's, als halte sie auch so umspannt
mein Herz, noch ungewiß, zu welchem Ziele,
in solchem leichten träumerischen Spiele.
(S. 81)
_____



Liebeslied

Stille liebeshelle Nacht,
da die Seele wandern geht,
an dem Weg die Sehnsucht steht
und der Mond auf Hügeln lacht.
Düfte kommen süß und schwer
von der Jugend Gärten her.
Leises bräutliches Verlangen,
dich im Traume zu umfangen!

Sieh, ich trete zu dir ein,
körperlos, doch wesenhaft.
Mit des tiefsten Wunsches Kraft
sprech' ich flüsternd: werde mein!
Reiche dir kristallen klar
der Erfüllung Schale dar.
Still und hoch zwei Silberflammen
brennen Herz in Herz zusammen.

Und du regst dich wie im Traum,
wie ein Kind die Lippen regt.
Fühlst nur leis, was dich bewegt,
dumpf und süß. Und lächelst kaum.
Doch wenn morgens du erwachst
und ins junge Leben lachst,
blieb nicht an den zarten Wangen
meiner Träume Schimmer hangen?
(S. 82-83)
_____



Bitte

O laß mich küssen deine Flechten,
daß sich mein blasser Mund erwärmt,
sing mir von blauen Mondscheinnächten,
darin verzückte Liebe schwärmt.

Laß mich vergessen, daß es Norden
rings um mich her und Wintertag,
daß ich so müd und alt geworden,
so säumig meines Herzens Schlag.

Sing mir die alte liebe Weise,
darin so süße Sehnsucht fleht,
sing mir sie leise, leise, leise,
bis daß mein Herz in Blüten steht!
(S. 84)
_____



Tristans und Isoldens Liebeszwiegesang

Isolde
Horch! Süß, doch vernehmlich, fern ein Schall!

Tristan
Tief aus dem Garten -

Isolde
Eine Nachtigall!

Tristan
Sie sehnt den Mond herbei -

Isolde
O holder Laut!
Wie durch die Sommernacht es lockt so traut!
Mir wird so wohl - und wehe doch davon
und sinn' ich nach dem zartverhaltnen Ton,
erwacht's in mir wie ein verklungen Lied.
Ich sang es, eh ich von der Heimat schied,
als Mädchen oft in lauen Sommernächten
und löste mir dabei des Haares Flechten -

Tristan
Die goldne Flut! - Laß mich in ihr versenken
dies Haupt, und was noch von des Tags Gedenken
es herbergt wider meines Herzens Willen.
Wie ruh' ich da so sanft im lieblich stillen
und duftigen Wohnsitz! Sacht mein Atem geht,
so wie auf Südens Au der Westwind weht
getränkt von Wohlgeruch. Mein Lippenpaar
trinkt Tau der Nacht aus dieser Flut so klar.
O nichts als dies! So mögen wie Minuten
sich Jahre leicht und süß ins Nichts verbluten!

Isolde
So halt ich dich mit Schlangenlist umschlungen:
den Allerkühnsten hat ein Weib bezwungen!

Tristan
O summe mir, von dem du sprachst, den Sang -

Isolde
Das Lied? Ich sang es lang nicht mehr, so lang!
Noch lebt's in mir voll wohllautweicher Schöne,
doch fass' ich es nicht mehr in Wort und Töne,
just wie das Glück -

Tristan
Wie denn?

Isolde
Wenn's von uns schied,
lebt es noch lang wie mein entfallen Lied -
lebt und doch lebt es nicht. Es scheint dir nah,
du greifst danach - zerronnen ist es da!
Weh, Tristan, denk' ich unsres Glückes -

Tristan
Stille!
So leise schläft des Schicksals dunkler Wille.
Nicht denken - und nicht sprechen - fühlen nur!
Wort und Gedanke auf des Glückes Spur
sind schlimme Jäger, scheuchen auf das Wild,
bevor es flüchtig seinen Durst gestillt!

Isolde
So küsse mich!

Tristan
O Nacht, was schwindest du!
Du Nimmermüde, kennst du keine Ruh?

Isolde
Noch ist es Nacht - und holde Liebeszeit!

Tristan
Noch ist es Nacht - und heil'ge Einsamkeit!
Noch ist es Nacht - so tiefe, stille Nacht,
daß selbst die Lust, entschlafen, nur erwacht
von unsres Atems ängstlich leisem Zug,
doch gleich, verdrossen zum gewohnten Flug,
die Schwingen senkt und sanft entschlummert wieder.
Noch keine Nacht, so stumm und dicht, sank nieder!
So küsse mich!

Isolde
Wie ich dich jetzt umfasse,
ich nimmer dich aus meinen Armen lasse!

Tristan
Sprich nicht von Jetzt und sprich mir nicht von Nimmer!
Die Worte drängen wie ein Tagesschimmer
sich frech in das Geheimnis unsrer Nacht,
zum Grübeln und Verzweifeln nur erdacht.
Laß uns entronnen aller Tagespein
in diesem Dunkel weltvergessen sein!

Isolde
Oft, wenn des Tags von dir getrennt ich liege,
verdrossen in der Kissen Last mich schmiege -
von dir getrennt - und drunten schwatzt der Fluß
und schwatzt, als möcht er so mir den Verdruß
fortplaudern von den sehnsuchtsmüden Sinnen:
da manchmal wird lebendig tief, tiefinnen
ein Schauer, eine Angst -

Tristan
O still doch! Schweige -

Isolde
Daß ich das Haupt betäubt zur Erde neige
und vor mir - wehe! Tristan -

Tristan
Nicht vollende,
Geliebte -

Isolde
Vor mir, Tristan, steht - das Ende.

Tristan
Still! Still -

Isolde
Ja, stille! (S. 85-89)
_____



Lied der Knospen

Ach, daß die dunkeln Nächte,
die feuchten Nächte kämen,
die süßen, dunkeln, feuchten Nächte
von uns die Hüllen nähmen!

Allabendlich kommt eine Jungfrau,
uns sorglich zu begießen;
aus ihrem Kännlein des Wassers Perlen
zitternd über uns fließen.

Ihr schönes, weißes Antlitz
steht über uns mit Verlangen,
ob von den vielen, vielen Knospen
noch keine aufgegangen?

Ach, daß die dunkeln Nächte,
die feuchten Nächte kämen,
die süßen, dunkeln, feuchten Nächte
von uns die Hüllen nähmen!
(S. 90)
_____



Brautlied

Trete in mein Kämmerlein
frisch und rein.
Angetan mit weißem Linnen
sitz ich stille wartend drinnen.

Mit dem schmalen güldnen Reif
will ich deiner Sehnsucht winken.
Einen hellen Sonnenstreif
siehst du lächelnd drüber blinken.

Komm, du friedeloser Mann,
stille heran!
Schau mir in die Augen beide,
frei von Reue, Gram und Leide.

Sieh, ich drücke meine Lippen
auf die Hand, die schicksalsschwere.
Und ich gieße meine Jugend
in dein Herz, das sonnenleere.

Eine lichte Freudenröte
bricht aus meinen jungen Wangen.
Meines Lebens zarte Knospe
ist dir schauernd aufgegangen . . .

Tritt, Liebster, in mein Kämmerlein
hell und frisch und rein!
Angetan mit weißem Linnen
bräutlich harrend sitz ich drinnen.
(S. 91-92)
_____



Ständchen
zur Mandoline zu singen

Nun mit seinen Silberquellen
sich der Tag zum Schlafen legt,
alle Winde sanfter schwellen
und der Mond die Erde hegt,
löst sie in dem kleinen Zimmer
bei der Lampe matten Scheine
ihrer Flechten braunen Schimmer
um das Angesicht, das reine.
Lächelnd legt sie sich zur Ruh.
Nacht deckt ihre Schönheit zu.

Kosend nahe ihr der Schlummer.
Tausend weiße Engelein
hüten sie vor allem Kummer
mit der Hände Rosenschein.
Decken ihre braunen Sterne
mit der bunten Traumesdecke,
daß in ihrer Himmelsferne
sie kein Laut des Tages wecke.
Falte leis die Flügel zu,
Nacht, und wiege sie zur Ruh.

Lasse deine Märchen kommen,
die der Dämmerung nur hold,
und den Händelein, den frommen,
schenke lauter Traumesgold.
Ueber ihre zarten Wangen
lasse Sehnsucht rosig weben
und ein bräutliches Verlangen
auf den vollen Lippen beben.
So mit Träumen lächle du,
Nacht, o lächle sie zur Ruh.

Laß sie auf der Sternenwiese
zwischen Silberblumen stehn,
unter Gottes goldnem Vließe
wie ein Himmelslämmchen gehn.
Laß das Paradeis ihr leuchten
mit den seidenweichen Auen
und erwacht in ihren feuchten
Augen mich den Abglanz schauen.
Breite, Nacht, die Flügel du,
trage sie den Sternen zu!
(S. 93-94)
_____



Waldgefundenes

Es duftet warm der Ginster
vom nahen Windbruch her.
Ich lieg' im tiefen Schatten,
das Auge schlummerschwer.

Ein buntes Pfauenauge
gaukelt am Wegessaum;
ich schau ihm zu und lächle
schon halb in Schlaf und Traum.

So scheu und zierlich flatternd,
so flüchtig und so frei
flogst du in Jugendtagen,
o Lieb', an mir vorbei.
(S. 97)
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Liebeslied

Wie am zitternden Zweig der Tau hängt
in dunkler Frühlingsnacht,
so bebt ein Lied in meiner Seele,
die deine Schönheit klingen macht.

Deine weiße Hand hat in meiner geruht.
Nun ist meine Hand voll Duft und Gold.
Und alle Träume kommen zu ihr,
die meiner Sehnsucht hold.

Ich wollte: unsre Hände wären
Gespielen jeden langen Tag,
so schwesterlich, so brüderlich,
daß keins vom andern lassen mag.

Ich wollte: unsre Augen lachten
vier Blüten an dem gleichen Ast.
Und unsre Lippen hielten einmal
zusammen von der Sehnsucht Rast.

Ich wollt': ich wär' die kleinste Spange,
die dein Gewand zusammenschließt.
Nur eine Strähne deines Haares,
das Nachts um deine Schönheit fließt.

Ich wollt': du lägst am offnen Fenster.
Ich käm', ein Lufthauch, bebend kaum,
und küßte wach in deinem Herzen
den ersten scheuen Liebestraum.

Ich habe meine Hand geküßt,
die in der deinen zitternd lag.
Und fand mir so ein einsam Glück
für manchen langen Sehnsuchtstag.

O du der Goldglanz meiner Nächte!
Duft meines Lebens! Heimatland!
Die letzte Blume, die der Wandrer
auf ödem Herbsteswege fand -

Doch du? Wenn nun dies Blatt voll Schmerzen
heimlicher Liebe zu dir fliegt?
Du lächelst, spielend wie der Falter,
der sich auf dunkeln Blüten wiegt.
(S. 109-110)
_____



Aus: Albert Geiger Ausgewählte Gedichte
Verlag von Eugen Salzer in Heilbronn 1908

 


Biographie:

https://ka.stadtwiki.net/Albert_Geiger



 

 


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