Max Geissler (1868-1945) - Liebesgedichte

 

Max Geissler
(1868-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Hand in Hand

Komm, wir gehen noch einmal
Hand in Hand durch stille Wiesen,
Sehn, ob Blumen noch im Tal
Uns die kalten Winde ließen.

Kam ein Wetter über Nacht,
Und ein Regen hat gestoben,
Wo die liebe Sommerpracht
Bunt ihr Blütennetz gewoben.

Ging der Herbstwind durch die Au,
Ging - ein später Mäher - mähen
Feld und Wiesen kahl und grau,
Und im Nebel flattern Krähen.

Sonnenschein und Sommerglück
Schlichen fort auf leisen Sohlen,
Doch wir haben uns ein Stück
Heimlich in das Herz gestohlen.
(S. 14)
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Mädchenlied

Meine Liebe ist eine Nachtigall
Und über Tag in Zagen.
Doch wenn der Abend in sanftem Fall
Den Tau ins Feld geschlagen,
Da muß sie ihr klingendes Sehnen all
Den goldenen Sternen sagen.
(S. 20)
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In deinen Augen träumt ein Licht

In deinen Augen träumt ein Licht,
Ein frommes Licht aus fernen Weiten;
Und doch ist es die Sonne nicht,
In die sich stolze Düfte breiten.

Ich kenn' den Tag, da es erwacht,
Ich sah sein Leuchten nie bei andern
Und weiß: bin ich in tiefster Nacht,
Werd' ich nach diesem Lichte wandern.
(S. 21)
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Aus stiller Zeit

Die Glocken klingen Abendfeier,
Die Herden läuten heim zum Stall.
Die Nacht schlingt heimlich Nebelschleier
Um Aveklang und Blätterfall.

Von frischgestürzten Ackerkrumen
Ein Krähenruf noch dann und wann.
Ein Duft von späten Wiesenblumen
Geht suchen, wo er schlafen kann.

Die kahlen Weidenzweige klopfen
An unser Hüttenfenster sacht.
Das Schilf klirrt und die Erlen tropfen,
Als weinten still sie in die Nacht.

Und dir ist bang, das Scheit zu zünden,
Das traulich unsre Kammer hellt,
Weil Lichter mir die Träne künden,
Die scheu dir von der Wimper fällt.

Laß nur des Herdbrands Flammen scheinen,
Wenn auch der Blick in Tränen starrt;
Wir haben manches zu beweinen,
Was mit dem Sommer müde ward.
(S. 29)
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Zigeuner

Mein brauner Liebster, nun sage mir:
Wann halt ich im Walde Hochzeit mit dir?

"Wer schneid't uns den Häcksel?" - Wenn ich dich hätt',
Dann hätt' ich ein goldenes Stroh im Bett.
Die Mäuse unter uns beiden,
Die müssen den Häcksel schneiden.

"Wer harkt das Feld? Und wer sät das Korn?" -
Die Hühner des Bauern, die harken im Dorn;
Den Wind bestell' ich zum Säen,
Das braune Rößlein muß mähen.

"Und hast du auch schon dein Hochzeitskleid?" -
Ein Kleid aus wunderweicher Seid';
Der September webt's in die Erlen,
Und die Nacht behängt es mit Perlen.

"Mein Mädel, wie bist du so wild und so fein"
Heut soll im Wald unsere Hochzeit sein!"
(S. 30)
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Sturmnacht

Ein Lied ist in den Winden -
Ich kann das Wort nicht finden,
Das in die Weise klingt:
Der Sturm saust um die Ecken,
Der Regen schlägt die Hecken,
Die düst're Herbstnacht singt.

Ein Lied ist in den Winden -
Ich kann das Wort nicht finden,
Weil deine weiße Hand
Auf meiner Stirn gelegen,
Weil deiner Seele Segen
Den Frühling mir gesandt.
(S. 32)
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Komm an mein Herz

Komm an mein Herz, wenn dich der Sturm umtobt,
Komm an mein Herz, und ruh dich aus vom Tage;
Das stand in Wettern und ist sturmerprobt,
Komm an mein Herz und lausche seinem Schlage.

Das zagt nicht mehr: sein Weg war ungesternt,
Und keine Sonnen, die ihm Strahlen streuten,
Hat es gekannt. Und trutzig hat's gelernt,
Sich selber seinen Feiertag zu läuten.
(S. 36)
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Reue

Ein Kirschbaum stand am Berg in Blut.
Es fiel ein kalter Schnee.
Mir war mein Herz so frohgemut,
Nun tut mein Herz so weh.

An einen Eichbaum lehnt ich mich,
Des trag' ich bittre Reu.
Der Ast zerbrach, der Stamm, der wich.
Mein Schatz war ohne Treu.

Du Winterwind, nun komm und weh',
Trag alles Laub zur Ruh.
Und deck mit einem tiefen Schnee
Meine müden Augen zu.

Hätt' ich gewußt, wie Liebe kränkt,
In einen goldnen Schrein
Hätt' ich zuvor mein Herz versenkt
Und den Schlüssel im grünen Rhein.
(S. 38)
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Der Weggesell

In Blüten und im grünen Gras
Lag Sommerduft und Sonnenschein,
Und irgendwo im Felde saß
Das Glück - uns Weggesell zu sein.

Das war ein Wandergang in Glanz
Durch Sonnenblumen, roten Mohn.
Bis einst zu fremdem Spiel und Tanz
Leis unser Weggenoß entflohn.

Da ging ein Sichelklang im Klee,
Da ging ein Wind durch Mohn und Korn;
Der tat im Gras den Blüten weh
Und brach die Rosen aus dem Dorn.

Wir aber zogen Hand in Hand
Die Straße aus dem Heimattal. -
Vielleicht sehn wir im fremden Land
Den Weggenossen noch einmal.
(S. 39)
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Fliegende Seide

Das war der Mai, der Blumen gab;
Im Spätwind reifen die Schlehen.
Ich hab' einmal einen Schatz gehabt -
Wo soll ich nun hingehen?

Daheim, daheim ist zu die Tür.
Der Wind weht über die Heide.
Was weht der Wind herfür?
Schneeweiße Seide;
Die spinn' ich, die web' ich,
Ein Hemdlein web' ich für mein Kind,
Für mich ein Tuch aus Seide.
Drein hüll' der Wind uns beide,
Wenn wir gestorben sind.
(S. 41)
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Liebeslied

Der Abend waltet:
Die Welt wird Ruh.
Im Felde faltet
Der Klee sich zu.

Mein Herz und die Glocken
Sind spät noch laut.
Die Wachteln locken,
Die Mondnacht taut.

Baut silberne Stufen,
Baut Bahnen aus Licht;
Und wie wir dich rufen -
Kommst du denn nicht?
(S. 42)
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Riport' a me
(Piemontesisches Volkslied)

So durch die Gassen
Im Silberlicht
Sing ich verlassen -
Du hörst mich nicht.

Sieh, alle Sterne
Sind ohne Schein -
Komm aus der Ferne,
Sei wieder mein!

Zum Leid geboren -
Du warst mein Glück!
Was ich verloren,
O, bring's zurück.
(S. 43)
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Erwarten

Nun schneit der weiße Blütenschnee
In den goldnen Frühlingswind.
Nun blüht der Klee, der rote Klee -
Sie fragen nach dir, mein Kind.

Das Brünnlein, das dein Spiegel war
Im grünen Tannengrund,
Sehnt sich nach deinem goldnen Haar
Und deinem roten Mund.

Die Winde suchen dich im Korn,
Die Falter dich zum Tanz.
Und draußen sitzt der Mai am Born
Und windet dir einen Kranz.
(S. 45)
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Nachtigallen

Mein Sehnen wollte stille sein,
Wo sonst die leisen Träume gingen,
Mein Sehnen wollte stille sein,
Nun hört es alle Zweige klingen.
Nun irrt es wie der Glockenschlag
Durch Silberlicht und Duft von Flieder
Und weiß nicht, wo es ruhen mag;
Die Nachtigallen,
Die Nachtigallen schrecken's immer wieder.
(S. 49)
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Das Geheimnis

Küßten wir uns heut im Gras,
Ging der Wind durchs Korn und sah's,
Harft's in Halm und Weiden.
Und die Blumen an dem Rain
Schwangen all und klangen drein,
Klangen's über die Heiden.

Tausend kleine Glöcklein dort
Klangen's an und schwangen's fort,
Grad' als ob sie's wüßten,
Daß im grünen Gras im Tal
Wir uns heut zum erstenmal
Küßten, küßten, küßten.
(S. 53)
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Das Glück

Wir trafen das Glück im Felde,
Am blühenden Heckendorn:
Es ging durch Mohn und Melde,
Durch Blumen und hohes Korn.

Sein Kleid war blaue Seide,
Gold wob um seinen Gang,
Ging über die rote Heide
Im Morgenglockenklang.

Dir war's noch nie begegnet,
Ich hatt' es nie gesehn;
Nun hat es uns gesegnet
Still im Vorübergehn.
(S. 54)
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Ernteluft

Ährenrauschen um den Rain,
Ernteruh im Felde.
Wir inmitten ganz allein.
Lerchensang und Sonnenschein,
Duft von Mohn und Melde.

Ernteluft und Reife spinnt
Weich auf allen Wegen.
Und in Ähren steht und Wind
Unser junges Glück und sinnt
In den Erntesegen.
(S. 55)
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Sommersegen

Im Grase stimmt
Ihr Spiel die Grille.
Der Heuduft schwimmt
Süß durch die Stille.

Augustwind wellt
In weichem Streifen
Das Korn. Im Feld
Der Traum vom Reifen.

Und durch den Glanz,
Drin Lerchen klingen,
Geht still ein Tanz
Von Schmetterlingen.

Ein Segen streicht
Sacht durchs Gelände;
Der kommt und reicht
Mir seine Hände.
(S. 56)
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Sommerharfe

Die hohen Gräser hör' ich wiegen,
Die weißen Wolken seh' ich ziehn.
Am Zaun, umblitzt von goldnen Fliegen,
Weht eine Wolke von Jasmin.
Und tausend blanke Sonnensaiten
Sind in das Mittagslicht gespannt,
Und Lieder klingen drin von weiten,
Von Tagen, die ich einst gekannt.

Ich höre deine weißen Hände
Durch meine Sommerharfe gehn.
Denkst du an einst, weil die Gelände
In Blüten und in Sonne stehn?
An einst, weil weiße Seidenbänder
Dein Kind sich um die Myrte flicht?
Das klingt wohl über sieben Länder,
Wenn alte Liebe leise spricht.
(S. 65)
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Die Post

Trara! Trara! Hell mahnt das Horn.
Die Herbstnacht weht um die Dächer.
Trara! Am Dorfplatz rauscht der Born,
Graunebel spinnen um Baum und Dorn -
Rasch noch den letzten Becher! . . .
Die Straßen leer. Der Regen tropft
Aufs Wagendach, und der Nachtwind klopft
Und irrt um die nassen Fenster.

Die Mitternacht geht leise mit,
Durchs Tal ruft eine Glocke.
Die Gäule trotten Schritt vor Schritt,
Das Glück macht still die Reise mit,
Der Schlaf sitzt auf dem Bocke.
Und trüber wird der Lampe Schein -
Man braucht kein Licht zum Seligsein
Und keine Leuchte zum Küssen.
(S. 67)
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Holdedienst

Wir bauten in gelben Ähren
Uns ein verschwiegenes Nest,
Wir erzählten uns alte Mären
Und feierten ein Fest.

Rotseidene Decken und Fahnen
Wob der Abend um unsern Altar.
Du trugst aus blauen Cyanen
Einen Kranz in dem goldenen Haar.

Du standest im Ährengolde,
Der Mohnduft schwamm überm Grund.
Da wurdest du mein, Frau Holde.
Da küßt' ich dich auf den Mund.

Die Glocken am Raine schwangen
Und läuteten dazu.
Und hohe Lerchen klangen
In unsre Sonntagsruh.
(S. 73)
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Gib acht!

Wie leis die Liebe geht,
Wer kann's ermessen?
Leiser als Maienduft
Weht um Cypressen.

Wie leis die Liebe kommt,
Wer mag's verstehen?
Silberner Mondenschein
Kann nicht so gehen.

Und selbst die Engel nicht,
Die um die Reiser
Tanzen zur Frühlingsnacht;
Liebe geht leiser.

Mägdlein, horch auf, horch auf
Und gib fein acht:
Leg' dir ein Schloß vors Herz.
Liebe kommt sacht!
(S. 75)
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Das Lied des Glücks

Ach, wir spähen nicht nach weiten Zielen.
Auf dem Herd brennt unser Feuer, Kind;
In das Lied, das Rohr und Binsen spielen,
Lauschen wir und in den Abendwind.

Ferne zieht das laute Leben Kreise,
Tausend Fackeln schrecken dort die Nacht.
Und das Lied des Glücks ist doch so leise,
Und es wandert gern in Sternenpracht.
(S. 77)
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Spät im Feld

Nun zittert Reif und Sternenlicht
Schon durch die Spätnacht um und um.
Der Wandrer Wind nur schläft noch nicht
Und läuft im Stoppelfeld herum.

Und sind doch keine Blumen mehr,
Die Blätter fielen welk und rot . . .
Es laufen zwei im Feld umher,
Und was sie suchen, das ist tot.
(S. 78)
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Opfer

Der Herdbrand brennt so still und klar,
Wie frommes Opferfeuer loht.
Dein Mund ist heiß und seiden dein Haar.
Der Herdbrand brennt so still und rot.

Die Nacht steht vor der offnen Tür
Und hält den Atem an und lauscht.
Die Eulen fliegen sacht herfür.
Ein fernes Frühlingswasser rauscht.

Frau Holde geht durch den Mondenschein,
Durch Tann und Tau und junges Land.
Ein Duft von Veilchen duftet herein:
Frau Holde weiht den Opferbrand.

Die Quellen springen aus dem Grund,
Und alle Hüllen sinken sacht.
Dein Haar ist seiden und heiß dein Mund -
Frau Holde segnet die Frühlingsnacht.
(S. 82)
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Das verlorene Lied

Einst wußt' ich ein schönes Lied vom Mai;
Ich habe die Weise verloren.
War wonnig zu blasen auf der Schalmei
Im Grünen vor den Toren.

Es klang von heimlicher Liebe darein
Und klang von minnigen Küssen.
Nun duften die Kirschen wieder am Rain,
Und das Junglaub haucht von den Nüssen.

Ich reite vorüber, ich reite vorbei
Dem sanften, sehnsüchtigen Sagen.
Einst wußt' ich ein schönes Lied vom Mai,
Das haben die Stürme verschlagen.

Ein Klingen klingt aus der Frühlingsau;
Ich seh' sie zum Tanze schreiten . . .
Mein Rappe niest in den klaren Tau -
In den Bergwald wollen wir reiten.

Und wird es Nacht und lischt der Schein
Der Sterne in den Winden -
Wir schlagen uns Funken aus dem Stein
Und wollen den Weg schon finden.
(S. 85)
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Nixenbrunnen

Es liegt ein Born in Moos und Gras;
Wildrosen umblühn das Gerölle.
Zerbricht ein Stein sein Spiegelglas,
Der sinkt in die Tiefen der Hölle.
Und wer in Nacht und Maientau
Den heimlichen Weg gefahren,
Den fängt die bleiche Nixenfrau
In ihren schimmernden Haaren.

Unterm Sichelmond im jungen Korn,
Wir hörten die Wachteln lachen.
Frau Nixe, zeig uns das Schloß im Born! -
Da schwamm ein silberner Nachen.
Die Sterne gingen an strahlendem Rund
Durch die Tiefe in goldenen Scharen,
Und drunten lachte ein roter Mund,
Lag ein Scheinen von goldenen Haaren.

Die Nixenfrau trägt bitteren Harm,
Ist kalt wie Schnee der Firne;
Die drunten umschlingt mich mit ihrem Arm
Und neigt im Kusse die Stirne
Und reicht mir zum küssen den roten Mund
Aus goldenem Sternengewimmel - -
Wir saßen auf einem Brunnenrund
Und saßen mitten im Himmel.
(S. 87)
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Abendlicht

Das ist des Tages goldne Stunde,
Die Rosen in mein Zimmer trägt
Und lauscht, die Hand am Flüstermunde,
Ob leiser nun die Standuhr schlägt,
Ob von dem Glück der Erdenrunde
Ein Schimmer an mein Fenster fällt;
Das ist des Tages goldne Stunde,
Die Lieder in den Händen hält.
(S. 90)
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Die Seerose

Was lacht im Vollmondschein?
Seliges Geigen.
Wassermanns Töchterlein
Will dazu reigen.
Wassermanns Töchterlein
Wiegt um die Erlen.
Ihr Haar ist seidenfein,
Trägt Reif und Perlen. -
Küsse mich, Knabe!

Nimm dir mein Gürtelband
Und meine Krone,
Muscheln und Silbersand,
Mein Schloß zum Lohne. -
"Dort friert der Sonnenschein!
Dort wohnt das Sterben!
Wollt' ich dein Buhle sein,
Müßt' ich verderben." -
So küß' ich dich, Knabe!

Wehe! - Er ist entflohn.
Tropfen verklingen.
Fern höhnt ein Geigenton,
Fern tönt ein Singen.
Und in die Mitternacht
Weint sie ihr Weh,
Weint, und der Wind singt sacht. -
Im Heidesee
Schwimmt ihre Krone.
(S. 116-117)
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Die Schifferbraut

Der Herbstwind heult; an der Bootswand bricht
Und raschelt das Rohr. - "Jan, siehst du ein Licht?" -
Der Regen rinnt, und die Moorgans klagt.
Man Tölken steuert und schaut, ob's tagt.

Und grämlich graut es. "Was starrst du, Jan?" -
"Die Schifferbraut! Reff' das Segel, Man!
Stopp! Siehst du sie nun? Streicht die durchs Moor,
Wir müßten verbiestern in Sumpf und Rohr."

Sie bliesen die Flammen im Torfbrand wach;
Der Regen schlug auf das Kojendach,
Und der Nebel spann. Jan zog die Uhr:
"Sind siebzehn Jahr', daß ich mit ihm fuhr.

Knut Harm stand achter im andern Boot.
Da hört' ich ihn rufen durch Nacht und Not:
'Hilf, Jan! Hilf, Schiffer!' Ein Krach. Ein Schlag.
'Grüß ook mien Deern!' - Dann kam der Tag.

Und ich fuhr allein. Der Wind ward sacht.
Sein Ruder hab' ich ihr heimgebracht.
Am Himmel brannte blutiges Rot:
'Nun faß dich, Deern - Knut Harm ist tot.'

'Ist tot?' - Das Auge vergeß ich nie! -
Wenn der Sturmwind wild um die Kate schrie,
Da lief sie hinaus in Moor und Graus
Und suchte Knut Harm und rief ihn nach Haus.

Und einst - 's war schon dämmrig in Ried und Rusch,
Da irrte sie wieder durch Binsen und Busch,
Da blies ihr der Wind in das graue Gewand
Und dehnt' es und dehnt's über Moor und Land.

In die ferne Kate kehrte sie nicht;
Doch streift sie noch zwischen Düster und Licht,
Und der wandernde Wind erfaßt ihr Kleid
Und weht's um die Schiffer - zu Tod und zu Leid" . . .

Er sann so ins Feuer. Dann sah er empor:
Da hob sich das schleichende Grau im Rohr,
Und der Nebel verflog. "Lös die Ketten, Man,
Nun fahren wir!" - sprach der Schiffer Jan.
(S. 118-119)
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Pan und die Hirtin
(Ein Echospiel)

Pan schläft. Der Sommerwind entwich.
Im Gras der Matten geigt die Grille.
Ein Duft von Blumen tastet sich
Mit weichen Fingern durch die Stille.
Pan schläft. Im Mittagslicht, dem blanken,
Weht leise weiße Sommerseide.
Der Ziegenglocken Klänge schwanken
Verträumt so durch die Bergesheide.
Da rauscht's im Busch, knackt's in den Föhren,
Der Hirtin Herz schreckt froh der Klang:
"Du scherzest - und ich soll's nicht hören.
Komm, Liebster, dich verriet dein Gang!"

Kein Ton mehr. Einer Schwinge Schatten
Umstreift der Felsenzacken Saum.
Der Hirtin Ruf schallt in die Matten
Und scheucht vom Auge Pans den Traum.
Er birgt sich lächelnd hinter Ranken
- Der Alte ist heut gut gelaunt -
Und sieht, wie drunten in Gedanken
Die Hirtin in die Stille staunt.

"Was kommst du nicht?" ruft sie zum Hange.
Und: "Kommst du nicht?" fragt Pan und lacht.
"Nein, du zu mir!" - Fast wird ihr bange.
"Zu mir!" tönt's aus dem Strauche sacht.
"Was hält dich dort, wo du geblieben?"
Und: "Lieben, lieben" klingt's zurück.
"So hast du mich in Schmach getrieben!
Ade, mein Glück!" - "Ein Glück - ein Glück!"
"Gott hör' ihn!" - "Törin" hallt es wieder.
"Magst du mich nicht?" - "Ich nicht." - O weh.
Und schluchzend sinkt die Hirtin nieder
Und leise weint sie in den Klee.

Die Ziegen läuten um die Steine.
"Maria!" ruft es froh vom Hang,
Und lustig schallt im Sonnenscheine
Des Hirten lockender Gesang.
So kann die Falschheit nimmer singen!
So jauchzt, wenn es zu trügen wüßt',
Kein Herz! - Bis Aveglocken klingen
Sind all die Tränen fortgeküßt - - -
Bergblumen duften drum und schwanken.
Pan sieht's und lächelt hinter Ranken.
(S. 134-135)
_____



Erlkönigs Minne

Graufelsen stehn so starr und wild,
Die Wasser schäumen und dröhnen,
In die Klammen blitzt des Mondes Schild.
Da klingt's wie Weh und Stöhnen,
Da geht ein Klagen todeswund
Aus der Bergschlucht Dämmernissen;
Des Echos hundertstimmiger Mund
Ruft's fort in Runsen und Rissen.

Das ist am Fels die Nebelfrau,
Das ist Erlkönigs Minne;
Die thront in der Klüfte Nebelgrau -
Eine trauernde Königinne.
Einst rauschte brausend in Mitternacht
Die wilde Jagd durch die Klammen.
Grauzwerge barg der Berge Schacht,
Um die Felsen loderten Flammen.

Wenn der Tag das Sommerauge schloß
Und silbernes Sternlicht taute,
Da ritt in die Schlucht auf grauem Roß
Erlkönig, der bleiche, traute;
Der küßte sie wach mit sanftem Kuß
Und kost' ihre Stirne, die weiße,
Und schimmernde Nixen im schäumenden Fluß,
Die sangen das Brautlied leise.

Nun scheuchte der Christenglocke Ton
Erlkönigs heimliches Minnen,
Nun sind die Zwerge dem Tal entflohn,
Und die Geister fuhren von hinnen.
Die Hexen sind tot, und der Jäger der Nacht
Ruft im Urwald sein Heer zum Gejaide.
Der Wind nur singt in den Bergen sacht
Zu der Nebelfrau einsamem Leide.

Ihr Auge schmerzt der goldne Strahl;
Drum löscht mit der nebelnassen,
Der bleichen Hand sie den Tag im Tal,
Im Düster der Felsengassen.
Sie harrt ihres Königs. Die Jahre gehn,
Sie webt in die Schleier ihr Sehnen,
Und wenn sie bleich in die Lande wehn,
Dann taun sie ihre Tränen.
(S. 151-152)
_____



Romanze vom mitleidigen Tod

Gott will's! Childe Ralph zieht ins heilige Land.
Rings rauschten die Frühlingshaine.
Er küßte Schön Agnes den Mund und die Hand.
Die Stute stampfte die Steine.

"Für Christi Kreuz! Und bin ich in Not,
Und ward mir mein Streitroß erschlagen,
Und ich rufe dich, naht mir der Ritter Tod -
Wirst du mir Antwort sagen?"

Ihre Augen wurden wie Sternenlicht klar,
Ihm klang's wie Himmelschöre:
"Mein Herz bleibt dein, wie's ist und war,
Ruf'! Wo ich bin, ich höre!"

Die Jahre gingen. Der Pilgerzug
Zog heim durch nordliche Tannen.
Manch einer den Arm in der Binde trug,
Blut klebte an Roß und Mannen.

"Kommst du, Childe Ralph?" - 'Childe Ralph ist tot!
Edle Jungfrau, freit aufs neue!
Euer Haar ist golden, Euer Mund ist rot . . .'
"Ich halte Childe Ralph die Treue!"

Sie lief auf die Brücke; sie spähte vom Turm.
Bang rauschte die Trauerweide.
'Herz, hörst du mich?' - Ist das nicht Rufen im Sturm? -
'Der Tod kommt über die Heide.'

Schön Agnes wanderte weit im Wind,
Und fernher trug er ein Klagen -
"Herz meines Herzens, ich sterbe Kind!
Hast du mir nichts zu sagen?"

Schön Agnes wandert. Der Nachtsturm gellt.
Ihre weißen Füße bluten.
Die Blätter rauschen; der Regen fällt;
Der Wald schlägt sie mit Ruten.

Da lag Childe Ralph, lag wund und weh.
"Wie ist das Sterben bitter!"
Und langsam nahte durch Kraut und Klee
Der Tod, der bleiche Ritter.

'Die Nacht ist so kalt!' - "Meine Brust ist warm!" -
'Der Tod muß uns doch verjagen!' -
"Childe Ralph, ich will dich auf meinem Arm
Über dreizehn Ströme tragen.

Ich trage dich über Berg und Mark,
Die Burg hat viel sonnige Erker . . ."
'Feindlieb, der Tod ist zu stark, zu stark . . .'
"Die Treue, Childe Ralph, ist stärker!"

Der Nachtwind schleifte die Nebel im Sand,
Der Nachtwind trug es hinüber.
Da hat der Tod sein Roß gewandt,
Und langsam ritt er vorüber.
(S. 156-158)
_____


Aus: Gedichte Volksausgabe
von Max Geissler
Erstes bis Fünftes Tausend
Leipzig Verlag von L. Staackmann 1908

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Geißler


 

 


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