Franz Grillparzer (1791-1872) - Liebesgedichte

Franz Grillparzer

 

Franz Grillparzer
(1791-1872)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Sehnsucht nach Liebe

Alles liebet, alles scherzet
In der fröhlichen Natur;
Alles küsset, alles herzet
Auf den Höhn in Wald und Flur!

Läßt der holde Lenz sich nieder,
Sanft umschwärmt vom lauen West,
Senkt der Vogel sein Gefieder,
Bauet liebend sich ein Nest.

Und der Löwe flieht das Morden,
Das sonst höchste Lust ihm schafft;
Er verläßt der Brüder Horden,
Huldigt Amors Zauberkraft.

Und dir soll ich mich entziehen,
Die uns menschlich fühlen lehrt?
Liebe! ach, dich soll ich fliehen,
Die der Tiger selbst verehrt?

Ich allein nur soll dich meiden,
Holde Spenderin der Lust?
Ich soll wilde Tiere neiden
Um das Fühlen ihrer Brust?

Nein! dem schönsten aller Triebe
Sei mein fühlend Herz geweiht!
Schenke mir Themirens Liebe,
Amor, Gott der Zärtlichkeit!
(S. 18)
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Rangstreit

Ich arme, kleine Rose,
Ich steh an ihrem Fenster
Und soll ihr Fenster schmücken -
Doch ach, die Augen aller
Sehn nur nach meiner Herrin,


Und keines sieht nach mir hin!
Bin ich denn nicht die Rose,
Die Königin der Blumen,
Warum denn schaut ihr mich nicht,
Und schaut nur nach der Herrin?

Strahl ich nicht rötlich schimmernd,
Von Purpur übergossen? -
Zwar ihre zarten Wangen
Färbt Morgenrot, wie meine,
Und gern, wie gerne! tauscht ich!

Seht meine schlanken Stengel -
Zwar schlank ist sie wohl selber,
Und wer sie darf umfassen,
Gern mißt er meine Dornen.

Doch was gleicht meinen Knospen
Im Westwind lieblich spielend?
Und doch - als sie am Fenster
Sich, niederschauend, beugte,
Gewahrt ich Zwillingsknöspchen,
Gleich meinen rund und härtlich,
Gleich meinen halbgeschlossen,
Gleich meinen rötlich strahlend,
Gleich meinen leise wogend
Und strebend nach Enthüllung.

Doch seht im Blätterdunkel
Den vollen Kelch der Rose,
Mit kleinem Laub umsäumet,
Vom Rande, voll und schwellend,
Nach innen sanft sich wölbend,
In holder Scham errötend,
Ein Labyrinth von Blättern,
Die selber sich beschattend,
Gleich einer Grotte Dunkel,
Sich tief und immer tiefer
In Dämmernacht verlieren. -

Wann saht ihr an der Herrin
Wohl einen Reiz, gleich diesem?
Darin mag sie mir gleichen,
Dann will ich erst ihr weichen,
Dann reich ich ihr die Krone,
Und nenne sie die Rose,
Ich sie, die Rose selber.
(S. 118-119)
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Der Bann

Leb wohl Geliebte, ich muß scheiden,
Es treibt mich fort in Angst und Qual,
Fort von der Wohnstatt meiner Freuden,
Fort von dem Weibe meiner Wahl.

Nicht dieser Blick und diese Zähren!
Verbirg dein holdes Angesicht!
Du kannst das Scheiden mir erschweren,
Doch mir ersparen kannst du's nicht.

Denn wisse, wenn du mich umschlungen,
Umschlangst du keinen freien Mann,
Der Abgott deiner Huldigungen
Er ist belegt mit Acht und Bann.

Der Fürstin, der die Welt zu eigen,
Der alles huldigt was da lebt,
Vor der sich alle Wesen beugen,
Hab ich im Wahnsinn widerstrebt;

Mit ihrer Schwester, sinnverwirret,
Die ohne Heimat, ohne Haus,
Durch Erd und Luft und Wellen irret,
Zog ich in wilder Jagd hinaus.

Im Mondenglanz, auf flücht'gem Fuße,
Schlang ich mit ihr den Geisterreihn,
Und alles Wirklichen Genusse
Entsagt ich um den holden Schein.

Da sprach die Fürstin zornentglommen,
"Verschmähst du so was ich dir bot,
So sei's auf immer dir genommen,
Du vogelfrei bis an den Tod.

Von Wunsch zu Wunsch in ew'ger Kette
Und rastlos wie du bist, so bleib,
Dir sei kein Haus und keine Stätte,
Kein Freund, kein Bruder und kein Weib;

Ein Büttel aber beigegeben,
Mit dir, in dir, laß er dich nie,
Der peitsche rastlos dich durchs Leben,
Der wilde Dämon Phantasie.

Er heiße dich nach allem fassen
Was irdisch schön mit raschem Geiz,
Doch hältst du's müssest du es hassen
Und Mängel sieh in jedem Reiz;

Verdammet Schatten nachzujagen,
Buhl doch um Augenblickes Kuß,
Es fehle Kraft dir zum Entsagen
Und Selbstbegrenzung zum Genuß.

Die Sprache will ich dir verwandeln,
Dein Hörer sei der Mißverstand,
Mißlingen sei mit deinem Handeln
Entzweit auf immer Kopf und Hand;

Die dich liebt flieh! die du begehret,
Sie schaudere zurück vor dir!
Und sagt sie: ja, hat sie gewähret,
So töt ihr Ja dir die Begier.

Und daß der letzte Trost versaget,
Verewigt Rache sei und Leid,
So zweifle der, dem du's geklaget,
An deines Leiden Wirklichkeit.

Zieh hin um all dein Glück betrogen,
Und buhl um meiner Schwester Gunst,
Sieh, was das Leben dir entzogen,
Ob dir's ersetzen kann die Kunst."

Da fiel's mich an mit Nachtgewalten
Und Wahrheit war es was sie sprach,
Das Herz im Busen mir gespalten
Und jener innre Dränger wach.

Seitdem irr ich verbannt, alleine,
Betrüge andre so wie mich:
Du aber, armes Weib, beweine
Den du verloren ewiglich.
(S. 84-86)
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Liebe und Wollust
An Molly

Schwestern sind sie, doch sie meiden
ewig sich ohn Unterlaß;
wählst du eine von den beiden,
mußt du von der andern scheiden,
schwörest du der andern Haß!

Schwestern sind sie, ähnlich scheinen
sie beim ersten Blicke, doch
wer sie suchet zu vereinen
wird den Irrtum bald beweinen,
denn er nimmt der Wollust Joch.

Unter mancherlei Gestalten
schleichet sich die List'ge ein,
läßt du einmal sie obwalten
weiß sie schlau dich festzuhalten,
mußt du stets ihr Sklave sein!

Ihren schimmernden Altären
nahet sich die halbe Welt;
ihre süße Macht verehren
die selbst unter Schmerzenszähren,
die ihr Stachel teuflisch quält.

Schön ist ihre Außenseite,
lieblich lacht ihr Rosenmund,
aber lockend lacht sie heute,
und stößt morgen ihre Beute
wild in der Verzweiflung Schlund;

in der hocherhabnen Linken
hält sie schmeichelnd den Pokal,
aber folgst du ihren Winken,
willst den süßen Nektar trinken,
mordet dich ihr scharfer Stahl.

Ruhig, mit bescheidnen Mienen
naht die zweite, sanft und mild;
und wohl denen die ihr dienen
rein und makellos; wohl ihnen
all ihr Sehnen wird erfüllt.

Zwar lockt nicht mit frechen
Blicken sie dich an die keusche Brust,
doch wen ihre Gaben schmücken
füllt das reine Herz Entzücken,
Seligkeit und Himmelslust!

Wohl dem edlen Erdensohne,
der ihr ew'ge Treue schwor,
denn der reinen Liebe Krone
reicht sie ihm zum schönen Lohne,
hebt zu Göttern ihn empor!

Ich auch habe sie gefunden,
mich auch schmückt ihr Rosenband,
meine Stirn hat sie umwunden
in der seligsten der Stunden,
als ich meine Molly fand!

Mich reizt nicht das Glück der Toren,
nicht der Wollust Vollgenuß,
Liebe, dich hab ich erkoren
als ich Molly Treu geschworen,
bei der Holden ersten Kuß!

Weg da mit dem eiteln Ruhme
feiler Wollust Knecht zu sein!
in der Liebe Heiligtume
blüht mir eine schönre Blume,
Molly, Molly du bist mein!
(S. 48-50)
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Als sie, zuhörend, am Klavier saß

Still saß sie da, die Lieblichste von allen,
Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob;
Das dunkle Tuch war von der Brust gefallen,
Die, nur vom Kleid bedeckt, sich atmend hob;
Das Haupt gesenkt, den Leib nach vorn gebogen,
Wie von den flichnden Tönen nachgezogen.

Nenn ich sie schön? Ist Schönheit doch ein Bild,
Das selbst sich malt und nur sich selbst bedeutet,
Doch Höheres aus diesen Zügen quillt,
Die wie die Züge einer Schrift verbreitet,
An sich oft bildlos, unscheinbare Zeichen,
Doch himmlisch durch den Sinn, den sie erreichen.

So saß sie da, das Regen nur der Wangen
Mit ihren zarten Muskeln rund und weich,
Der Wimpern Zucken, die das Aug umhangen,
Der Lippen Spiel, die Purpurlädchen gleich,
Den Schatz von Perlen hüllen jetzt, nun zeigen,
Verriet Gefühl, von dem die Worte schweigen.

Und wie die Töne brausend sich verwirren,
In stetem Kampfe stets nur halb versöhnt,
Jetzt klagen, wie verflogne Tauben girren,
Jetzt stürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt,
Sah ich ihr Lust und Qual im Antlitz kriegen
Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen.

Mitleidend wollt ich schon zum Künstler rufen:
"Halt ein! Warum zermalmst du ihre Brust?"
Da war erreicht die schneidendste der Stufen,
Der Ton des Schmerzes ward zum Ton der Lust
Und wie Neptun, vor dem die Stürme flogen,
Hob sich der Dreiklang ebnend aus den Wogen;

Und wie die Sonne steigt, die Strahlen dringen
Durch der zersprengten Wetter dunkle Nacht,
So ging ihr Aug, an dem noch Tropfen hingen,
Hellglänzend auf in sonnengleicher Pracht;
Ein leises Ach aus ihrem süßen Munde,
Sah, wie nach Mitgefühl, sie in die Runde.

Da trieb's mich auf; nun soll sie's hören!
Was mich schon längst bewegt, nun werd ihr's kund!
Doch blickt sie her; den Künstler nicht zu stören
Befiehlt ihr Finger schwicht'gend an dem Mund,
Und wieder seh ich horchend sie sich neigen
Und wieder muß ich sitzen, wieder schweigen.
(S. 103-104)
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Cherubin

Wer bist du die in meines Herzens Tiefen,
die nie der Liebe Sonnenblick durchstrahlt,
mit unbekannter Zaubermacht gegriffen?
Wer bist du süße, reizende Gestalt?
Gefühle, die im Grund der Seele schliefen,
hast du geweckt mit magischer Gewalt;
gefesselt ist mein ganzes, tiefstes Wesen,
und Kraft und Wille fehlt das Band zu lösen!

Seh ich der Glieder zarte Fülle prangen,
entstellt durchs schöngeschmückte Knabenkleid
das süße Rot der schamgefärbten Wangen,
die blöde, knabenhafte Schüchternheit,
das dunkle erst erwachende Verlangen
das brennend wünscht, und zu begehren scheut,
den Flammenblick scheu in den Grund gegraben;
so scheinst du mir der reizendste der Knaben!

Doch seh ich dieses Busens Wallen wieder,
verräterisch durchs neid'sche Kleid gebläht,
des Nacken Silber, gleich des Schwans Gefieder,
vom weichen, seidnen Lockenhaar umweht,
hör ich den hellen Klang der Zauberlieder,
und was ein jeder Sinn noch leis erspäht,
horch ich des Herzens ahndungsvollen Tönen;
so nenn ich dich die Krone aller Schönen!

Schlicht diesen Streit von kämpfenden Gefühlen,
bezähme dieses siedend heiße Blut,
laß meinen Blick in diesen Reizen wühlen,
laß mich der Lippen fieberische Glut
in dieses Busens regen Wellen kühlen,
und meiner Küsse räuberische Flut
soll das Geheimnis dir im Sturm entreißen,
welch ein Geschlecht du würdigst sein zu heißen.
(S. 54-55)
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Allgegenwart

Wo ich bin, fern und nah,
Stehen zwei Augen da,
Dunkelhell,
Blitzesschnell,
Schimmernd wie Felsenquell
Schattenumkränzt.

Wer in die Sonne sieht
Weiß es, wie mir geschieht;
Schließt er das Auge sein,
Schwarz und klein
Sieht er zwei Pünktelein
Übrall vor sich.

So auch mir immerdar
Zeigt sich dies Augenpaar,
Wachend in Busch und Feld,
Nachts wenn mich Schlaf befällt,
Nichts in der ganzen Welt
Hüllt mir es ein.

Gerne beschrieb' ich sie,
Doch ihr verstündet's nie:
Tag und Nacht,
Ernst, der lacht,
Wassers und Feuers Macht
Sind hier in eins gebracht,
Lächeln mich an.

Abends, wenn's dämmert noch,
Steig ich vier Treppen hoch,
Poch ans Tor,
Streckt sich ein Hälslein vor,
Wangen rund,
Purpurmund,
Nächtig Haar,
Stirne klar,
Drunter mein Augenpaar!
(S. 102)
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Notturno
(Musik von Schubert)

Zögernd, stille,
In des Dunkels nächt'ger Hülle,
Sind wir hier.
Und, den Finger leicht gekrümmt,
Leise, leise,
Pochen wir
An des Liebchens Kammertür.

Doch nun steigend,
Hebend, schwellend
Stark und stärker, lauter, laut
Rufen aus wir hochvertraut:
Schlaf du nicht,
Wenn der Freundchaft Stimme spricht!

Sucht' ein Weiser, nah und ferne,
Menschen einst mit der Laterne;
Wie viel seltner dann als Gold
Menschen, uns geneigt und hold.
Drum, wenn Freundschaft, Liebe spricht,
Freundin, Liebchen, schlaf du nicht!

Aber was in allen Reichen
Wär dem Schlummer zu vergleichen?
Was du weißt und hast und bist,
Zahlt nicht was der Schlaf vergißt!
Drum, statt aller Freundschaftsgaben,
Sollst du nun auch Ruhe haben.
Noch ein Grüßchen, noch ein Wort!
Es verstummet unsre Weise;
Leise, leise
Schleichen wir uns wieder fort.
(S. 129-130)
_____

 


Alle Gedichte aus: Franz Grillparzer: Werke. Band III: Gedichte, Epigramme, Satiren, Autobiographische Schriften. Winkler Verlag München 1971 (Nach dem Text der historisch-kritischen Gesamtausgabe, hrsg. von August Sauer und Reinhold Backmann, Wien 1909-1948)


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Grillparzer

 

 


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