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      Alfred Grünewald 
      (1884-1942) 
       
       
      Verzeichnis der Gedichte: 
  
        
       
       
      Der Späher 
       
      Wir müssen uns finden. Dein Weg ist der meine. 
      Wir suchen nach Feuer. Wir stoßen auf Steine. 
       
      Wir sind in Freuden und Fluch verbunden. 
      Wir blühen und bluten aus gleichen Wunden. 
       
      Nichts auf der Welt kann uns ewig trennen. 
      Doch möcht ich dich noch im Frühling erkennen. 
       
      Viel hundert Leben muß ich beschleichen. 
      Immer mach ich dir Zeichen. 
      (S. 26) 
      _____ 
       
       
       
      Epistel 
       
      Du brachtest dem der Freude schon Entwöhnten 
      dein freudig Wesen dar: ein Gastgeschenk, 
      und Macht ward dir gegeben als sein Dank. 
      Ein Jahr verging in schönem Sich-Verstehn. 
      Rückschauend darf ich uns Erprobte nennen. 
      Wie vieles doch geschah in deinem Zeichen! 
      Was mich bewegte, ward dir anvertraut, 
      fast ohne Wort, wie Welle rührt an Welle; 
      und sich verströmend war es dein und mein. - 
      Die Macht, der ich mich fügte, gab ich selbst 
      in deine Hand. Doch manchmal faßt mich Bangen. 
      Gedenk, was dir verliehn, und bleib, ein Gast, 
      mir zugetan mit offner Seele, gastlich; 
      weil du von lichtrer Art als ich. Ein Hort 
      war mir dein Lächeln. Und so bleib getreu, 
      daß nie dein Angesicht sich mir verdunkle. 
      Denn wer mit einem Blick zu trösten weiß, 
      vermag mit einem Blick auch zu verwunden. 
      (S. 30-31) 
      _____ 
       
       
       
      Der Zweite 
       
      Schreckt dich die Lampe? Ich will sie verschleiern. 
      - Fühle, das Zimmer ist wieder traut. 
      Komm, wir wollen Vergessen feiern. 
      Hörst du der Grille verlorenen Laut? 
       
      Draußen verwischte das Dunkel die Stätten. 
      Brücken versanken, die dich bedroht. 
      Von deinen Händen fielen die Ketten, 
      und du folgst nur dem eignen Gebot. 
       
      Alles weiß ich von deinem Weinen. 
      Heimat ward Fremde. Dann warst du allein. 
      Sieh, meine Seele ist offen der deinen. 
      Laß meine Seele dir Heimat sein. 
      (S. 31) 
      _____ 
       
       
       
      Es ist ein leerer Platz 
       
      Es ist ein leerer Platz am Tisch. 
      Es ist ein leerer Platz im Haus. 
      Wir aber gehen ein und aus 
      und schreiten rüstig, schreiten frisch. 
       
      Für unser Aug ist Himmel da. 
      Die Sonne unsre Stirne bräunt. 
      Wind weht uns an und ist uns Freund. 
      Vergaßen wir, was uns geschah?! 
       
      Ein stummer Schrei durch Fernen gellt. 
      O Liebe, halte horchend still. 
      Du weißt, was er verkünden will. 
      Ein leerer Platz ist in der Welt. 
      (S. 33) 
      _____ 
       
       
       
      Ich sagte: wir 
       
      Ich sagte: wir, und sage 
      nun: ich. Und das ist schwer. 
      Nach liebevollem Tage 
      kam Dunkel liebeleer. 
       
      Du mußtest talwärts gehen, 
      entschwandest meinem Blick. 
      Was immer uns geschehen, 
      war einiges Geschick. 
       
      Nun ist, was ich noch halte, 
      als wär es nicht mehr mein. 
      Wie fremdes Gut verwalte 
      ich all mein Einsamsein. 
      (S. 33) 
      _____ 
       
       
       
      Nie vergißt mein Traum 
       
      Träum ich auch jede Nacht von dir, 
      und träum ich dies: du bist noch hier, 
       
      wird mir kein Trost: denn nie vergißt 
      mein Traum, daß du gestorben bist. 
       
      Ich fühle bang, ich darf dir's nicht 
      verraten. - Liebes Angesicht, 
       
      scheinst du mir jetzt auch so wie eh, 
      sah ich dich doch schon weiß und weh. 
       
      Dein Auge, das mich jetzt beglückt, 
      ich hab es dir schon zugedrückt. 
      (S. 34) 
      _____ 
       
       
       
      Stimme der Verzauberten 
       
      Wenn Gesichte dir zerfließen 
      und die Schatten sich vereinen, 
      deine Lieder dich verließen 
      und die Nacht, ein schwarzes Weinen, 
      alle Himmel dir verdüstert, 
      daß die Sterne nicht mehr sind: 
      wenn dein Beten sich verflüstert 
      und die Worte nichts mehr meinen, 
      wach ich wieder auf im Wind, 
      will ich wieder dir erscheinen. 
      (S. 35) 
      _____ 
       
      
       
       
      Morgenfeier 
       
      Die ihr noch in Jugendgluten 
      flammet, euch sei Ruhm und Rang. 
      Euch, den Hellen, Hochgemuten, 
      töne freudvoll mein Gesang. 
       
      Die Beschwörung eurer Schöne 
      gibt den Worten Maß und Zucht. 
      Der ich heilgem Werke fröne, 
      euch gelob ich seine Frucht.
      
      (S. 37) 
      _____ 
       
       
       
      Vision 
       
      Wir sehn dich ganz im Hellen wandeln, 
      so schwebend wie auf Wellen wandeln. 
      Und wie sich jetzt die leisen Töne 
      zum süßen Lied im Schwellen wandeln, 
      sehn wir mit Staunen dir zur Seite 
      die heiligen Gazellen wandeln. 
      (S. 37) 
      _____ 
       
       
       
      Präludium 
       
      In der Jugend heitrem Glanze, 
      mit Gebärden flink und zier, 
      regst du dich in leichtem Tanze, 
      zeigst dich allen, zeigst dich mir. 
       
      Kind, wie deine Schritte schweben, 
      wie dein Auge loht und lacht! 
      Weckest mich zu neuem Leben, 
      mich gemahnend meiner Macht: 
       
      daß ich nicht mehr länger säume, 
      da mein Herz ja schon begann. 
      Ein Gebieter meiner Träume, 
      schau ich deine Schönheit an. 
      (S. 37-38) 
      _____ 
       
       
       
      Zur Laute 
       
      Braunhaar ist schön, und Blondhaar ist schön; 
      und auch die kupfernen Locken, die lieb' ich, 
      zärtlich Gestammel und Silbergetön 
      lachender Lippen. Den Sanften verschrieb ich 
       
      feurig mein Herz - und den Kecken nicht minder. 
      Liebe die Törigen, liebe die Schlauen, 
      lieb' die verzagten, die schüchternen Kinder. 
      Augen, die braunen, und Augen, die blauen, 
       
      wecken mir beide ein himmlisch Gelüsten. 
      Ach, und die weißen, die elfischen Hände, 
      und auch die goldnen, von Sonne geküßten, 
      wollt' ich versengen mit Küssen ohn' Ende. 
       
      Lieb' die Verschwiegnen und jene, die plaudern, 
      liebe die Zierlichen, liebe die Ranken, 
      Stürmische lieb' ich und solche, die zaudern. 
      Allen schon hab ich ein Lied zu verdanken. 
      (S. 38) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Der Jugend Reiz macht Götter selbst begehrlich, 
      und Lippen ohne Flaum sind leicht versehrlich. 
      Doch jener Knabe dort, ein Held der Spiele, 
      dem Spiel entwachsen schon - ihr fändet schwerlich 
      ein Antlitz, stolzer, fröhlicher denn seines -: 
      er scheint gefährdet minder denn gefährlich. 
      (S. 39) 
      _____ 
       
       
       
      Lied im Frühling 
       
      Wieder streif' ich durch die Straßen 
      müden Herzens, müden Schrittes. 
      Daß du schiedest! - Und ich litt es, 
      war mein Leid auch sonder Maßen. 
       
      Lächle wieder, Strahlenauge! 
      Ach, wie blickt das meine trübe, 
      nun ich mich von neuem übe, 
      zu erspähen, was mir tauge. 
       
      Du vielleicht, mit deinen schlanken 
      Beinen? Komm doch näher, Lieber, 
      daß ich, taumelnd wie im Fieber, 
      überschreite alle Schranken! 
       
      Oder du, die blonden Haare 
      in die sanfte Stirne hangend? 
      Sieh mich einsam und verlangend 
      nach der Anmut deiner Jahre! 
       
      Oder du und du und jener? 
      Kommet einzeln, kommet alle! 
      In die offnen Arme falle 
      der Ersehnte dem Ersehner! 
      (S. 39) 
      _____ 
       
       
       
      Dithyrambus des Sehnsüchtigen 
       
      Wenn mich schwarze Schollen drücken, 
      nach der zugemeßnen Frist, 
      wähnet nicht, daß mein Entzücken 
      dann mit mir vergangen ist. 
       
      Denn verfiel ich auch der Erde, 
      kann mein Schauen nicht vergehn. 
      Und mit Sternenaugen werde 
      ich die Lieblichen erspähn. 
      (S. 40) 
      _____ 
       
      
       
       
      . . . 
       
      Verliebter Mund will stets den einen Namen sagen. 
      Und wenn die Lippen dir zur Nacht erlahmen, sagen 
      ihn immer noch und dann im Traum 
      des Herzens Schläge. 
      Wer wollte beten, Freund, und wollt' nicht Amen sagen!
      
      (S. 41) 
      _____ 
       
       
       
      Gleichnis der Liebenden 
       
      Gerne erinnern wir uns, 
      ausruhend auf sonnigem Gipfel, 
      des steiler werdenden Steiges, 
      der uns - ein sachter Verführer - 
      allmählich zur Höhe gelockt. 
       
      Also gedenken wir gerne, 
      Erfüllung genießend und spendend, 
      der ersten Lächeln und Blicke 
      und ihres zagen Erwiderns: 
      des süßen Beginnes der Lust. 
      (S. 41) 
      _____ 
       
       
       
      Lieblicher Verrat 
       
      Wie du bist? - Was kann es taugen, 
      solche Fragen je zu stellen?! 
      Bist du nicht in deinen Augen?! 
      Bist du nicht in deinem hellen 
      Lachen?! Deine Hände, Kind, 
      Bürgen deiner Zartheit sind. 
       
      Magst du dich mir auch verschweigen, 
      horchen lernt ich um so feiner. 
      Magst dich bar der Güte zeigen, 
      sieh, als deines Neins Verneiner 
      gibt ein scheuer Blick sich preis; 
      und so weiß ich, was ich weiß. 
       
      Länger nicht mehr auf der Suche 
      will ich sein nach deinem Herzen. 
      Denn gleichwie in einem Buche 
      - deine Augen sind zwei Kerzen - 
      les' ich bei so mildem Licht 
      im geliebten Angesicht. 
      (S. 41-42) 
      _____ 
       
       
       
      Trennung nach erstem Besuch 
       
      Kann es denn sein, daß ich dich wiedersehe?! 
      Dies Zimmer war verzaubert. Deine Nähe 
       
      gab leise Glorie jedem Ding und war 
      schon fast Erinnerung. Dein helles Haar 
       
      berührte diese Kissen. Fänd ich doch 
      die Schmiegung deines schönen Hauptes noch! 
       
      Dies Glas, das eingereiht im Schranke steht, 
      du trankst daraus. Welch heiliges Gerät! 
       
      Du hieltest dieses Buch in deinen Händen. 
      Nur zitternd kann ich seine Seiten wenden. 
       
      Durch jene Türe tratst du schüchtern ein. 
      Der Spiegel fing dein Bild. O blieb' es mein! 
       
      Dort saßest du und dort. - Ich fass' es kaum: 
      Altäre standen im vertrauten Raum. 
      (S. 42) 
      _____ 
       
       
       
      Dithyrambischer Herbst 
       
      Dem Herbst obsiegtest du, mein schöner Gast, 
      da du die Tage dunkelnden Verzichtes 
      mir mit der Helle deines Angesichtes 
      so übergoldet, überfrühlingt hast. 
       
      Durch Gärten, des Septembers nicht bewußt 
      in ihres Laubes unverletztem Prangen, 
      bin ich, ein Märzbegnadeter, gegangen, 
      der Lieder liebevollstes in der Brust. 
      (S. 43) 
      _____ 
       
       
       
      Frühes Gespräch 
       
      Welch ein Präludium! Entzückte Geige 
      hebt an mit überstürzter Melodie, 
      verstummt betörend. Schweigen wie noch nie, 
      erfüllt von allem, was ich dir verschweige, 
       
      wird nun beredt gleich zartem Fingerzeige. 
      Wie schön dein Lächeln schwand und neu gedieh! 
      Wie mir dein Blick, halb zürnend, schon verzieh! 
      Vor deiner Anmut geht mein Herz zur Neige. 
       
      Ich bin besiegt und bin doch allgewaltig. 
      Ich bin verwandelt in mein tiefstes Ich. 
      Im Rausch der Reden, den ein Wort ernüchtert, 
       
      und schwelgend auch im Schweigen schau ich dich. 
      Und meinem Staunen scheinst du vielgestaltig: 
      gelassen, kühn und wie ein Kind verschüchtert. 
      (S. 43) 
      _____ 
       
       
       
      . . .  
       
      Was ängstigt dich? Meinst du, ich will entfliehen? 
      Nur rasten will ich nach der langen Fahrt. 
      Die Stimmen, die nach Zeiterlöstem schrein, 
      beruhigt eine schöne Gegenwart. 
       
      Mein Tag und meine Nacht sind dir verliehen; 
      denn dein Erwachen war mir aufgespart. 
      Die Wünsche, aus Erfüllung mir gediehen, 
      sind immer nur um deine Huld geschart. 
       
      O wende nicht dein Antlitz! Meine Seele 
      sucht keine Fernen. Nur dein Licht erhellt, 
      was dunkel ist. Die Wege, die ich wähle, 
       
      sind deinem Wandeln sehnsüchtig gesellt. 
      Wie wird jetzt unser Leben sein? Erzähle! 
      Denn deine Rede weissagt eine Welt. 
      (S. 44) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Wie damals unsere Gespräche waren! 
      Freuden und Sorgen mußtest du bekennen 
      und mir die Namen deiner Freunde nennen. 
      Du kanntest viele Spiele und Gefahren. 
       
      Oft kam ein tiefres Licht in deine klaren, 
      enthüllten Blicke. Sanftestes Entbrennen 
      wies deine Wange. Glanz, der nicht zu nennen, 
      lag ausgebreitet über deinen Haaren. 
       
      Gedenkst du, Knabe, noch des Anbeginnes, 
      da unsrer Rede Fäden sich verbanden 
      und viele Dinge neue Deutung fanden? 
       
      Und die Beglückung ihres süßen Sinnes 
 uns weit entführte auf den schönen Fährten, 
      und Träume kamen, die den Tag verwehrten. 
      (S. 44-45) 
      _____ 
       
       
       
      Bekenntnis 
       
      Ewige Rätselworte: Du und Ich. 
      Umpanzert sind wir, jeglichem verschlossen. 
      Ist dieses Bild, das lang mein Blick beschlich, 
      nicht aus des Blickes Fülle nur erflossen? 
       
      Ist es kein Trug? Bist du ein Wesen, sprich, 
      aus deinen Wurzeln in den Tag gesprossen? 
      Fand ich in allen Freuden nicht nur mich, 
      in allen Tränen, die ich dir vergossen? 
       
      Muß ich ein ganzes Leben dir verleihn 
      mit meiner Liebe, die dir weinte, lachte? 
      Werd ich nicht einst dein großer Schuldner sein, 
       
      weil ich dich meinem Traum gefügig machte? 
      Ich bin der Nie-Gestillte, Nie-Erwachte. 
      O liebe mich! Du mußt mir viel verzeihn. 
      (S. 45) 
      _____ 
       
       
       
      Erlebnis 
       
      In des Sommers reifer Lust 
      überkam dich Herbst. Du neigtest, 
      wissend und doch unbewußt, 
      Haupt und Blick. Im Schreiten zeigtest 
      du mit ausgestreckter Hand 
      auf ein Beet mit hellen Blüten; 
      standest plötzlich wie gebannt, 
      und mit Worten, die sich mühten, 
      sprachst du bittend: "Sing die Weise, 
      die du einmal mich gelehrt." 
      "Welche?" fragt' ich abgekehrt. 
      "Von der Demut", klang es leise. 
      (S. 45-46) 
      _____ 
       
       
       
      Genesung 
       
      Aber heut ist dies alles nicht mehr! 
      Und ich bin bei dir und bin in Frieden. 
      Und deine Blicke fragen nie: Woher? 
      Und mein Gestern ist von mir so sehr geschieden, 
      daß nichts von all dem Grauen zu mir findet. 
      Ich bin erblindet 
      und ward wieder sehend. 
      Um neues Leben flehend, 
      kam ich zu deiner Güte. 
      Und was in mir in Enge war und geschändet, 
      besudelter Traum, gebrochene Blüte, 
      wurde reines Gefühl, das sich verschwendet. 
      Deine Hände heilen, 
      was jemals wund in mir war. 
      Bald ist meine Seele wie Sterne klar. 
      O laß mich weilen! 
      (S. 46) 
      _____ 
       
       
       
      Erhebung 
       
      Last ward mir beschieden, 
      daß ich lächeln lerne. 
      Unrast gab mir Frieden. 
      Dunkel gab mir Sterne. 
       
      Sonne geht zur Rüste. 
      Abend tritt ins Zimmer. 
      Der dich niemals küßte, 
      sieh, er küßt dich immer. 
      (S. 46) 
      _____ 
       
       
       
      Epilog 
       
      Dich preisen in beflügelten Gedichten 
      ist Dankes nicht genug, der dir gebührt. 
      Ich nahm auf meine Seele hohe Pflichten, 
      denn deine Reinheit, Kind, hat mich gerührt. 
      Mach, daß ich würdig bleibe meiner Lieder. 
      O nimm sie hin! So gibst du mir sie wieder. 
      (S. 47) 
      _____ 
       
      
       
       
      Geheimnis 
       
      Als sie mich fragten, woher ich kam, 
      verriet ich keinem, von dir. 
       
      Und als sie mir sagten: "Du glühst wie in Scham!", 
      kühlt' ich die Wangen mir. 
       
      Und als sie staunten: "Was macht dich so froh?", 
      tat ich dem Lächeln Gewalt. 
       
      Doch als sie raunten: "Was zitterst du so?", 
      sprach ich: "Die Nacht kommt bald."
      
      (S. 49) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Habt ihr doch auch dieses Antlitz gesehn! 
      Und ihr könnt leben, als sei nichts geschehn? 
       
      Fühltet ihr keiner die stürzenden Sphären? 
      Gott mußte alle Himmel verheeren, 
       
      eh' er den letzten in Schauer erschuf. 
      Höret ihr nicht den unendlichen Ruf? 
       
      Stimme von Anfang. Urworte der Väter. 
      Gott ward am strahlenden Werke zum Beter. 
      (S. 49) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Des Rätsels Lösung wirst du niemals finden, 
      daß dir allein ein Antlitz göttlich leuchtet 
      und dir im Schauen schier die Sinne schwinden, 
      indes umnachtet bleibt der Blick der andern, 
      die nichts von allem, was du fühlst, empfinden. 
      (S. 50) 
      _____ 
       
       
       
      Flüchtender Eros 
       
      Ich trage Tod. Mein Leben brennt. 
      Ihr fürchtet meine Feuer. 
      Mein Lachen, das ihr gut erkennt, 
      ist blutig wie das Firmament, 
      wenn Nacht, das Ungeheuer, 
      im Niederflug die Welt entflammt. 
      Ich trage Tod und ziehe 
      von Herz zu Herz. Ich bin verdammt. 
      Ich bin die Qual, der ihr entstammt. 
      Ich bin der Feind und fliehe. 
      (S. 50) 
      _____ 
       
       
       
      Alte Weise 
       
      O du mein Liebstes auf der Welt, 
      mög Gott sich mild uns zeigen! 
      Gehetzt von Haß, von Schmach umstellt, 
      so wurden wir uns eigen. 
       
      Wie war die Nacht so weh und arm, 
      als wir uns Liebe klagten! 
      Der Herr sich unser doch erbarm 
      und aller so Verjagten! 
      (S. 50) 
      _____ 
       
       
       
      Schwermut 
       
      Vollstreckt ist alles, seit ich dich gesehn. 
      Was soll mit meinem Leben noch geschehn? 
       
      Mit meinem Leben, deiner Liebe bar. 
      Sinnlose Worte: morgen, übers Jahr ... 
       
      Mein Herz verwelkt. Es stockt der Strom der Zeit 
      und steht als Mauer vor der Ewigkeit. 
       
      Mein Leid sehnt sich nach Ewigkeit und Licht 
      und findet aus dem Erdendunkel nicht. 
       
      Zu fest bin ich an Zeitliches gebunden. 
      Ein Blinder, schau ich in erstarrte Stunden. 
      (S. 51) 
      _____ 
       
       
       
      Klage des Minos 
       
      Nun ist des Lebens Gold verwirkt. 
      Es losch die Fackel der Epheben. 
      Der Tanz zerstob. Erinnyen heben 
      ihr fahles Haupt. Ich bin umzirkt. 
       
      Ich hab kein Weilen, keine Flucht. 
      Es ebbt mein Blut. Die Pulse stocken. 
      Ich hab kein Dürsten mehr, doch trocken 
      ist mir der Gaum. Des Wahnes Wucht 
       
      treibt mich umher in irrem Trott. 
      Mein Tag verrinnt wie Sand im Siebe. 
      Warum versiechte so die Liebe 
      in meinem Herzen, strenger Gott? 
      (S. 51) 
      _____ 
       
       
       
      Die Ungeliebten 
       
      Aus tiefster Schlucht hob meiner Tränen See 
      sich heiß empor, und seine Welle stieg 
      zu meinen Augen. - Deine Seele schwieg 
      vielleicht noch immer; aber meinem Weh 
       
      war deines nahe, zwar noch dicht verhüllt. 
      Doch brach ein Licht aus ihm, das es verriet. 
      Mein Schmerz hat lang vor deinem Schmerz gekniet, 
      und im Verweigern hast du sanft erfüllt. 
       
      Hoch über mir dein Antlitz, und doch ganz 
      in mir gespiegelt. Dunkel und im Glanz 
      von unerlöstem Feuer. Wer befreit 
       
      zu schöner Flamme die gebundnen Funken? 
      Sternloser Himmel! Deiner Sterne trunken, 
      flüchtet mein Leben in die Dunkelheit. 
      (S. 52) 
      _____ 
       
       
       
      Der Gast 
       
      Gott hat es nicht gewollt, 
      daß ich am Tag dich fand. 
      Nur mattes Abendgold 
      beglänzte noch das Land. 
       
      Der Schein war bald verweht, 
      erloschen dein Gesicht. 
      Ich sprach: "Du kamst zu spät, 
      und ich erkenn dich nicht." 
      (S. 52) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Auf den Wegen, die verschneit sind 
      und im Dämmern dämmerweit sind, 
      wo die nächtigen Gedanken 
      des Verlassenen Geleit sind, 
      triffst du, einsam dich ergehend, 
      auch Beglückte, die zu zweit sind. 
      (S. 53) 
      _____ 
       
       
       
      . . . 
       
      Des Traumes goldne Schleier sind zerrissen. 
      Die Saiten einer Leier sind zerrissen. 
      Die andern fühlen nicht das Leid der Frühe; 
      und nur die Herzen zweier sind zerrissen. 
      (S. 53) 
      _____ 
       
      
       
       
      Sakrament vom Schnee 
       
      Laß in dein Narrenherz den Winter ein. 
      In Gärten schwärmtest du mit Ungestümen 
      und wolltest lächelnd deine Blumen rühmen. 
      Da ließ der andern Lachen dich allein. 
       
      Doch oft im Dunkel wuchs aus deiner Pein 
      ein großer Glanz und lag auf allen Beeten. 
      Und plötzlich sahst du Wege, nie betreten, 
      und Garten, Nacht und Himmel waren dein. 
       
      Aus solchen Nächten aber hob die Frühe 
      sich drohend auf und sog an deiner Kraft. 
      Und matter wurde deiner Wünsche Spiel. 
       
      Laß Winter sein und sprich zu Schnee: Erblühe! 
      Der Lenz war nur unsel'ge Wanderschaft. 
      Lösch aus dein Herz. Schon schimmert dir das Ziel. 
      (S. 56) 
      _____ 
       
       
       
      Melancholie 
       
      Tor, du bautest im Traum Tempel von starrem Stein. 
      Säulen, ragend und licht, mit vergoldetem Knauf, 
      trugen griechisch Gebälk. Aber im Tympanon 
      glänzte golden ein Name dir. 
       
      Denn Vergötterung war, Träumer, dein Teil. Wer sang, 
      so ihn Schönheit bezwang, Hymnen, selig wie du! 
      Doch nun stürzt das Gebäu, und dein Gesang versiegt. 
      Stumm und gnadenlos graut der Tag. 
      (S. 59) 
      _____ 
       
      Aus: Alfred 
      Grünwald Lass meine Seele dir Heimat sein 
      Eine Auswahl 
      Zusammengestellt und eingeleitet 
      von Oskar Jan Tauschinski 
      Herausgegeben von Hans Weigel 
      Verlag Jungbrunnen Wien München 1990 
        
        
        
      Biographie: 
       
      
      http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Grünewald 
      
       
         
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