Otto Erich Hartleben (1864-1905) - Liebesgedichte

Otto Erich Hartleben

 

Otto Erich Hartleben
(1864-1905)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

Morgenklagen

Ach! Der grösste meiner Herrn Collegen,
Goethe schon hat dieses Leid empfunden -
O du loses, leidigliebes Mädchen!

Durch zwei Treppen waren wir geschieden,
kurze Treppen, und die nicht mal knarrten -
O du loses, leidigliebes Mädchen!

Hattst es unter Küssen mir geschworen:
diese Nacht! Ich bebte vor Entzücken -
O du loses, leidigliebes Mädchen!

Lauschend harrt ich dein auf Nummro Neunzehn,
doch du schliefst auf Nummro Neunundzwanzig -
O du loses, leidigliebes Mädchen!
(S. 89)
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Als Knabe hab ich dich geliebt
und du, ein süsses Kind, auch mich:
wenn es auf Erden Reines giebt,
traf da die Gnade mich und dich.

Da schon ich heisse Lieder sang,
in mich verscheucht, fremd in der Welt,
noch stets in meinem Herzen klang
Erinnrung, phantasiegeschwellt. -

Seitdem hatt ich den Ton verlernt,
bei dem die Seele einst gebebt:
ich war dir nah und doch entfernt,
ich habe ohne dich gelebt.

Doch heut, heut sah ich dich im Traum
und küsste wieder deinen Mund.
Zwar, dich zu fühlen, wagt ich kaum,
und fühlte doch der Brüste Rund.

Das weiche, warme Braun des Haars,
der braunen Augen blitzender Schein,
das spöttische Kindeslachen wars ...
Und - bin erwacht und - bin allein.
(S. 55)
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Anstimmen wollt ich ehmals ehernen Rufes Ton,
singen das hohe Lied des Hasses meiner Zeit.
Doch wem der Blitz, das Rollen des Donners nicht
wohnt in der seelengebietenden Rechten,

der wage frevelnd niemals göttlich erhabnen Kampf!
Schau: mit des Kriegers Schwert spielt ernst erregt das Kind
und wills aufheben immer mit neuer Müh,
bis es beim Lachen der Eltern erröthet.

Auch meine Hand ist kraftlos: flattert im Morgensturm
wogend des Banners Tuch, bestrahlt vom Frührothglanz,
nicht taugt in meine Hand der bewegte Schaft,
Stärkere sollen dem Sturme begegnen!

Der süssen Freude Wohllaut lauschte mein junges Herz,
Lieder der Liebe sang ich froh mit heitrem Mund.
Noch streck ich aus, empor zu der Götter Thron
offen erhobene, freudebegehrende Hände.
(S. 97)
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In stiller Sommerluft

Das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt -
ich seh es noch, wie's dir vom weissen Kleide blitzt,
und fühle deine Hände noch auf meinem Haar ...
Die wilden Blumen dufteten rings so stark und süss.

Was sprachst du doch? - Ich höre deine Stimme nicht,
vergebens sinn ich ihrem fernen Klange nach.
Ich bin allein - in meine offnen Hände fällt
das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt.
(S. 235)
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Das war der Duft, der deinem Haar entströmt,
der mich umhüllt gleich einer Zauberwolke!
- In tiefem Sinnen sass ich still bei Nacht,
und die Gedanken sengten mir die Stirn -
da war es mir, als wehte mir entgegen
ein fremd-vertrauter Hauch aus fern vergessnen Welten - -

Ich strecke meine Arme nach dir aus!
Das war der Duft, der deinem Haar entströmte ...
(S. 151)
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Ein Erinnerungsblatt

Das war der erste Lenztag dieses Jahrs!
Der Schnee zerschmolz, die Sonne leuchtete
ins Herz der Menschen wie zum ersten mal ...

Da sind auch wir zur Stadt hinausgegangen.
Uns wunderte der Erde Wandlung nicht,
wir wussten, dass es Frühling werden würde:
Frühling! Wars denn nicht lang schon so?

Der Wald
mit seinen schwarzen, kahlen Winterästen,
die nassen Wege und das faule Laub -
traurig und hässlich war es, doch die Sonne,
die Zauberin, mit ihren warmen Armen
umfasste sie die spröde Wintererde,
bis dass vor Glück sie lachte!

Weisst du, Ellen:
den Tag kann ich nun niemals mehr vergessen!
Ich will nicht sagen, was geschehen, was
dein Mund mir gab und sagte. Wenn du einst
dies Blatt, schon gelb, in deiner Mappe findest,
auch du wirst jenes Tages dich erinnern.

Du wirst gedenken, wie die Sonne sank,
und es uns doch immer lichter wurde -
du wirst gedenken, wie die Lippe schwieg,
und was das Herz, das Herz doch jubelnd sagte
Du wirst gedenken!

Wenn ich einst mit dir
den Pfad durch diese Welt gefunden habe,
dann wollen wir vereint dem Wandrer gleich,
der einen Berg hinangeht, oft sich wendet
und einen Blick ins schöne Thal hinabwirft,
dann wollen oft wir, Arm in Arm verschränkt,
zurückschaun auf die Schönheit jener Stunde.
(S. 74-75)
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Die Fremde

Der düstre Hauch, der deine Stirn umweht,
der stille Zug, der um Erbarmen fleht,

das Zucken, das die Lippen dir bewegt,
hat wunderbar die Seele mir erregt. -

Dein Antlitz spricht von kaum verwehtem Leid,
verlornem Sinnen ist dein Blick geweiht,

wie welken Blumen, die die Häupter neigen,
scheint dir der Erde Sonnenlust zu schweigen.

Und doch! - Ein Etwas flammt noch von Verlangen,
ein Etwas will an diesem Leben hangen,

ein Etwas drängt nach ungefundner Lust -
o fändest du das Glück an meiner Brust!
(S. 70)
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Dich sah mein Auge in der Abendröthe! -
Um deine Locken flimmerte das Gold,
ein heilig Haupt schien die Natur zu krönen,
die Pracht der Welt, sie stand in deinem Sold!

Auf einem Hügel säumtest du in Träumen
und sahest her zu mir, hinaus ins Land,
auf das die Nacht sich schon herniedersenkte.
Ich sah dich in der Sonne, unerkannt! -
(S. 88)
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Die du so fern bist in der grossen Stadt,
Ich grüsse dich, die mein vergessen hat.

Einst hast du meiner Tag und Nacht gedacht,
Stunden des Glücks mit mir verbracht, verlacht.

Froh unter Scherzen schlossen wir den Bund -
funkelt dein Auge noch, und lacht dein Mund?
(S. 92)
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Die Liebe hab ich je und je gesucht,
in der ich ruhen darf und mich verlieren
und wähnen, niemals mehr allein zu sein.
- So war es deine Liebe, die ich suchte?

Ja - lege deine weiche, kleine Hand
auf meine Stirn, dann schliess ich meine Augen.
Und bald vergass ich mich - und bin bei dir -
es starb die Welt - verloren und entschlafen.
(S. 153)
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Die Stätte, wo ein Glück zerfiel,
bleibt ohne Frucht für alle Zeiten.
Stumm, ohne Hoffnung, ohne Ziel
sollst du die Bahn hinuntergleiten

und fluchen jenem Flammenmorgen
auch fluchen ihr, die dich geliebt,
denn ohne sie blieb dir verborgen
dies Wissen, dass es Selge giebt.

Dich quälte diese kalte Öde,
des Herzens jähe Leere nicht.
Ja! Nur wer ewig blind und blöde,
wer nie geschaut das heilge Licht,

wem nie ein unbarmherzger Thor
erzählt vom Blüthenglanz hinieden,
nur er, der nie ein Glück verlor,
ist glücklich - eins mit sich - zufrieden.
(S. 86)
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Elegie

Du meines Blutes Unruh, heimliche Liebste du,
die du verstohlen nur die dunklen Blicke schenkst,
o lass aus deinen schweren Flechten braune Nacht
um meine Sinne strömen - lass Vergessenheit
sich breiten über niegestillte Lust und Qual.

Ich seh uns wandeln unterm kahlen Winterwald,
ins Morgenrot, durch streifende Lüfte ging der Weg.
Wir Frohen schritten Hand in Hand und beteten stumm
und glaubten an den Frühling, als der Schnee noch lag ...
- du sollst nicht weinen - gib mir deine liebe Hand! -

Der Frühling kam, uns beide fand er nicht vereint;
in Sommernächten duftete süss der Lindenbaum -
wir aber durften nicht in Liebe beisammen sein.
Nun ward es wieder Winter und es starrt der Schnee,
doch still aus Schmerzen spriesst uns wohl ein spätes Glück,
das leise webt und langsam um uns beide her.
Lass uns umhüllt von deinen braunen Haaren sein,
du meines Blutes Unruh, heimliche Liebste du.
(S. 222)
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Prosa der Liebe

1.
Ehmals glaubt ich im Rausch mich flammender Liebe ergeben,
Jünglingslieder voll Gluth sang ich in schmachtendem Ton.
Besser nun kenn ich mich selbst und meide den lyrischen Dusel,
und es erhellt mir die Nacht ruhiger heitrer Genuss.


2.
Leise, ganz leise vor Scham erbebte die wonnige Kleine,
als ich sie traf mit dem Kuss, den sie mir lange verwehrt,
doch dem beredten Gelispel des lautlos flüsternden Mundes
gab sie allmählich sich hin, zuckend, im Tiefsten besiegt.


3.
Zum erstenmale giebst du
dich hin der vollen Lust -
drängst dich, als wolltest du mein Blut,
bebend an meine Brust ...

Zwängst dich an meine Glieder
in glühender Sinne Wuth -
ersterbend, forderst du von mir
lechzend die gleiche Gluth ...

Heil deiner jungen Wonne!
Heil deinem jungen Leib!
Auch dir erschloss das Leben sich -
Heil dir - du wurdest Weib!


4.
Hast einen weiten Weg zu mir gemacht,
dein Knie ist heiss und rosig angehaucht.
Es war der Wind, der durch die Strassen ging
und deinen Schritt zu mir beflügelte,
es war die stille Gluth in deinem Herzen,
die dich so schnell in meinen Arm geführt.
Nun ruhe aus. Ich lege meine Bücher
bei Seite nun. Zu deinen Füssen kauernd -
auch ich will ruhn. Des wohligen Gefühls
mich freuend, das des Schiffers Brust durchströmt,
liegt er im Hafen seiner Heimath wieder,
schmieg ich mein Haupt an diese weichen Kniee,
die vor dem Weg zu mir erröthet sind,
die auf dem Weg zu mir so heiss geworden.


5.
Wie heimlich dann im Bett an deiner Brust!
Aus Morgenträumen Arm in Arm erwacht,
bestaunen wir den lustigen Sonnenstrahl,
der keck zu solchen Heimlichkeiten drang.
Behaglich recken wir die schlafgestärkten
und schon von neuer Lust durchbebten Glieder,
und selig lächelnd schauen wir uns stumm
in Augen, die der Schlaf noch kaum verliess.
O meine süsse, weisse Hede, komm -
lass deine Haare fliessen! Diese Spitzen -
o lass mich - lass mich: du bist schöner so,
und freier schweifen meine Küsse - ah!
Zieh deine Hände von den Augen, Kind:
was schämst du dich? Der Sonnenstrahl ist keusch -


6.
... O wüsstest du, wie hold mit Übermacht
das Zucken jeder Fiber dich durchwühlt,
wenn meine Lippen sprachlos Wonne flüstern
in deinen Leib ... O wüsstest du, wie wild
im Taumel deine Glieder beben lernen,
als wollten sie dem Leben sich entwinden
und ewig glühn in Wollustfieberflammen ...
O wüsstest dus! - Es ist ein Wunder, ja!
Und wer da zweifelt, wird es nimmer finden,
doch glaube nur, ach, lehne dich zurück,
gieb über deine Glieder mir Gewalt -
und wie dem Trüben, dem die Sonne langsam
aufschliesst das Herz, bis sie ihn warm durchströmt,
so wird auch dir ein unaussprechlich Glück,
berauschend ein Geheimnis sich enthüllen.


7.
Dass deine Brüste hocherbaulich sind,
hat auch der Theologe tief empfunden
und will dich nun in keuscher Liebe retten.
Du gutes Kind! Welch Seelenzwist für dich!
Ich kenne das, auch ich war einmal fromm
und hab ein schönes Mädchen retten wollen.
Du armes Kind! Heut bin ich lasterhaft,
und mich entzückt dein junger, weisser Leib
weit mehr, als deine Tugend je vermöchte.
So geh zu ihm und lass dich retten. - Nein?
Mich hast du lieb, der dich nicht anders will,
als dich die gütige Natur geschaffen? Wie?
- O Kind: du bist so lasterhaft, wie ich!
In sündigen Gluthen schlingst du deine Arme
um mich, dein Mündchen spottet zügellos
des reinen Jünglings, der dich retten möchte -
dem deine Brüste hocherbaulich sind.


8.
Wenn unter deinen Händen
der Leib des Weibes bebt,
wenn deines Blutes Wille nur
in ihren Adern lebt,

wenn jedes Sträuben, jede Scheu
in brünstig Sehnen sich verlor,
und hingegeben, sie zu dir,
dem Herren, dürstend schaut empor ...

dann schlürfst du erst den Feuertrank,
den Wein der Wollust dieser Welt!
Wohl mir, der diese Schale noch
randvoll an blühende Lippen hält!


9.
»Von meinen Brüsten leise schlich
dein Blick und stahl sich in die Nacht?
O sage, was bekümmert dich,
woher die Thräne, unbewacht?«

- Du Weib, das mir ergeben sich
und ruht in meiner Hände Haft,
o dürft ich erst ersehnen dich,
voll zagend keuscher Leidenschaft!

Ich sehne mich nach Frühlingsthau,
zurück nach scheuem Knaben-Sinn:
- dass ich mich nicht zu sagen trau,
wovon ich heimlich selig bin.
(S. 98-105)
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Heut ist ein Festtag,
Ellen, ein Freudentag!
Weisst du? Den ersten Kuss
raubt ich dir heut.

Ach, warst du böse
- als es geschehen war;
riebst dir die Lippen wund,
weintest beinah!

Sage doch, Ellen:
hast dich doch kaum gewehrt,
als ich dein Köpfchen nahm -
hast mich wohl lieb?
(S. 73)
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Ich dachte, wie so weit und schön die Welt,
so tausendfach von Licht und Glück erhellt.

Ich dachte, wie du einzig bist und klein -
und wie ich doch bei dir nur möchte sein.
(S. 77)
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Ich gehe hin, wo still und einsam
ich deiner nur gedenken kann,
bis deiner Augen, deiner Worte,
bis ich mich deiner ganz entsann.

Mein Blick hängt an den fernen Bergen
und wandert mit der Wolken Heer,
bis ich vergesse dieses Leben,
vergesse, dass es öd und leer.
(S. 84)
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Frauenliebe

Ihres Leibes Wunderschaft
hat so völlig ihn verschnüret,
dass ihn fürder keine Kraft
wieder auf zur Freiheit führet.

Lachend hat an seiner Not
sie das Frauenherz geweidet,
wissend, dass er bis zum Tod
duldet, liebt und für sie leidet.
(S. 249)
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Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein.
Am offnen Fenster lauschte der Sommerwind,
und unsrer Athemzüge Frieden
trug er hinaus in die helle Mondnacht. -

Und aus dem Garten tastete zagend sich
ein Rosenduft an unserer Liebe Bett
und gab uns wundervolle Träume,
Träume des Rausches - so reich an Sehnsucht!
(S. 207)
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Mein armer Kopf lag still in deinem Schooss
und dachte - dachte bis er müde wurde.
Du hattest deine leichte, milde Hand
auf meine Stirn gelegt und warst entschlafen.

Und gar ein Zauber schien mir auszugehn
von deinen weissen Fingern: Frieden sandten
sie nieder in mein Hirn, und allgemach
sah ich den Schlaf in heitrer Ruhe nahn,
und mir ward leicht, als schlief ich in den Tod.
(S. 85)
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Nur eine Monatsrose war die Liebe,
die deine Wangen färbte. - Ihr Verblühn
hab ich voll tiefen, tiefen Leids gesehn,
und meine Thränen netzten jedes Blatt,
das bald zu Boden sank und bald der Wind
verwehte. - Meinen Augen hast du nun
den Schmuck geraubt, der ihnen wohlgethan,
und meinem Leben raubtest du das Ziel ...
(S. 80)
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O dass ich dich noch lieben kann,
macht mir das Herz so froh, so weit!
O dass ich dich noch lieben darf,
läutert mein Herz für alle Zeit!

Ich hab gespottet, hab gehöhnt,
nicht mehr an solches Glück geglaubt,
ich hab mit frecher Knabenhand
Blüthen dem eignen Lenz geraubt ...

O dass ich dich noch lieben kann,
macht mir das Herz so froh, so weit!
O dass ich dich noch lieben darf,
dank ich dir nun für alle Zeit.
(S. 72)
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Oftmals, wenn ich gewahrte, wie tief und wie treu du mich liebtest,
sind mir die Worte entflohn: Ach ich verdiene das nicht.
Angstvoll sahst du mich an mit deinen leuchtenden Augen,
nieder schlug ich den Blick, küsste dir schweigend die Hand.
(S. 154)
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Liebesfeier

Siehst du die Perlen springen im krystallnen Glase,
silbern und weiss? - O küsse mich, du Geliebte!
Heut sind die unsichtbaren Festguirlanden
tiefer gehängt in stolzen und reichen Bogen.

Warum gedenk ich heute der stillen Frühlingsstunde,
da ich zuerst gebebt an deinem Mädchenmunde,
zuerst an meine Brust die jungen Brüste gedrückt,
die ersten, frühen Liebesfrüchte zitternd mir gepflückt? ...

Still! - Hörst du die Perlen klingen im krystallnen Glase,
silbern und leis? - O küsse mich, du Geliebte!
(S. 233)
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Sprödes, knospenkeusches Mädchen,
könnt ich einmal noch dich küssen
scheu wie einst, da du erröthet -
hab auch selbst erröthen müssen.

Die gesenkte braune Wimper
hielt den süssen Groll zusammen,
hielt die zage Gluth verborgen,
deines Busens erste Flammen.

Könnt ich einmal noch beklommen,
reinen Herzens so dich schauen,
da ich reuevoll und bangend
hing an deinen Augenbrauen!

Was ich gierig je genossen,
lauten Lebens wilde Lüste,
gäb ich hin für jenes Zagen,
da ich scheu zuerst dich küsste.
(S. 149)
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Die Geburt der Sterne

Weisst du, mein Lieb, wann jedesmal am Firmament ein Licht,
ein Stern entsteht? Du thöricht Kind, nicht wahr, das weisst du nicht.
Ich muss es dir erzählen, komm, und lege traulich sacht
dein Köpfchen mir ans warme Herz - andämmern lass die Nacht.

Siehst du: der dunkle Himmel dort ist ein unendlicher Garten,
drin stille Engel unsichtbar goldener Blumen warten.
Und jedesmal, wann drunten hier zwei Seelen sich entzünden,
sich, zu einander heiss gebannt, in Glück und Gluth verbünden,
dann pflanzen eine Blume sie dem tiefen Grunde ein
und segnen jede junge Lust mit jungem Sternenschein. -

O sieh: schon ist die heilige Nacht gemach herangetreten,
die Blumen leuchten ungezählt her von den ewigen Beeten,
und alle künden und zeugen nur von irdischer Menschen Liebe -
o dass auch unseres Glückes Stern ewig uns leuchten bliebe!
(S. 30-31)
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»Wie kommts, dass wenn der Mund auch schweigt,
das Herz nur um so lauter spricht -
wie kommts, dass unser Auge sich
im Einverständnis trifft?

Wie kommt es, dass dein Arm so oft
mir eine Stütze scheint,
dass in Gedanken meine Stirn
daran zu ruhen meint?«

Ich sehe, wie in deiner Brust
die Blüthe schwillt und sich erschliesst -
ich bin der Selige, den du liebst,
der ihren Duft geniesst.

Von allem, was auf Erden blüht,
ist diese Blüthe zart und jung -
ich küsse deine weisse Hand,
ich küsse deinen Mund ...
(S. 76)
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Wir hattens einst so gut verstanden,
zu küssen uns zu rechter Stund,
eh wir es selber ganz empfanden,
gefunden hatte Mund den Mund.

Ein einiger Gedanke schwebte,
war weder mir noch dir bewusst,
und plötzlich Lipp an Lippe bebte
und plötzlich bebte Brust an Brust.

Dann haben wirs vergessen müssen,
verleugnet ward die Kinderzeit,
wir trugen, statt uns froh zu küssen,
ehrbar und dumm das Heuchlerkleid.

Doch als ich heut nach langen Tagen,
dich still geliebte wiedersah -
wir hattens gar zu schwer getragen -
war Kuss und Kindheit wieder da!
(S. 29)
_____
 

 

Alle Gedichte aus: Hartleben, Otto Erich, Meine Verse.
Gesamtausgabe, Berlin (S. Fischer) 1905


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Erich_Hartleben

 

 

 


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