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Gerhart Hauptmann
(1862-1946)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Anna
Solch schönes Gefäß, solch süßer Wein
soll zerfallen und ungetrunken sein?
Ein Auge, so rein wie Sternenlicht,
nicht soll es erleuchten und wärmen nicht?
Und irren doch rings in der Welt umher
viel Seelen so licht- und so wärmeleer,
die sich sehnen so sehr nach der Liebe Strahl,
der sich nie durch die Nacht ihres Lebens stahl.
Solch süßer Leib, solch schwellende Brust
soll nie erblühen in Liebeslust?
Solch wilde Kraft austoben nie
als in kranken Phantomen der Phantasie?
Solch stolzer Bau auf ewig vergehn,
nicht im Erben einmal wieder auferstehn?
Tauschönes Bild, ich sog deinen Duft,
so leicht wie der gleitende Atem der Luft,
umgaukelte dich, ein Falter blau,
doch strich ich dir ab kein Tröpflein Tau.
Du duftest und stehest noch taufrisch im Hain,
doch der Winter bricht mit den Frösten herein.
Der Frühling gefriert, der Dufthauch erstirbt,
und der Tod um die liebliche Blume wirbt.
(S. 28-29)
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Bernstein und Koralle
Ich stand im fernen Süden,
im heißen Wunderland,
ich suchte meinen Frieden,
ich übte meine Hand.
Statt milder Stimmen Schallen,
statt der ersehnten Ruh',
da glühten mir Korallen
aus dunklen Locken zu.
Sie glühten mir von weißer,
wollustgeschwellter Brust,
sie sprachen mir von heißer,
unbänd'ger Sinnenlust.
Ich fand im Südens Gluten
den süßen Frieden nicht;
mein Herz fing an zu bluten,
fahl ward mein Angesicht.
So kam es, daß gen Norden
ich an zu wandern fing;
hört, wie mir dort geworden,
was ich zu suchen ging.
In kühler Wogen Betten
hab' ich mich eingewühlt
und die Korallenketten
vom Nacken mir gespült.
Und wie sie rings zergingen
in Nordens Wogen lind,
da hört' ich leise singen
am Strand ein Fischerskind.
Es ging mit stillen Schritten,
es spann mit weicher Hand,
und seine Blicke glitten
blauschimmernd übers Land.
Von seinem Halse blinkte
ein Kettlein blaß und rein,
aus blonden Locken winkte
ein kühler, bleicher Stein.
Und daß ich noch erwähne
das holde Wunderding:
eine klare Bernsteinträne
von jedem Ohre hing. -
Da bin ich hingesunken,
vom Friedenskuß geweiht;
da hab' ich ihn getrunken
für Zeit und Ewigkeit.
(S. 40-41)
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Tönende Liebe
Es schwirren die Saiten,
sie klingen und singen
und gellen und springen.
Die Lüfte durchreiten
viel tausend Dämonen
und winken und trinken
und sprühen und blinken
und sinken ins Herz.
Zigeuner im Hause,
im prächtigen Saale;
sie spielen beim Schmause,
beim festlichen Mahle.
Es streichet ihr Meister
die jauchzende Fiedel,
und Liedel um Liedel
entsteigt ihr und lebt.
Wie klirren die Becher
und tönen und leuchten,
berieseln, befeuchten
die Kehlen der Zecher.
Mit Sinnen und Sehnen
sitzt still und in Tränen,
mit Zöpfen von Golde,
die süße, die holde,
die leuchtende Braut.
Und rauschende Freuden
entsteigen dem Feste.
Wie jauchzen die Gäste,
vergießen, vergeuden
die Schalen der Lust.
Der Bräutigam schwanket,
kann mühsam nur lallen
und drohet zu fallen.
Schon zittert und wanket
manch silbernes Becken,
das Speisen bedecken.
Es schwirren die Saiten,
sie klingen und singen
und gellen und springen.
Die Lüfte durchreiten
viel tausend Dämonen
und winken und trinken
und sprühen und blinken
und sinken ins Herz.
Zigeuner im Hause,
im prächtigen Saale;
sie spielen beim Schmause,
beim festlichen Mahle.
Es streichet ihr Meister
die jauchzende Fiedel,
und Liedel um Liedel
entsteigt ihr und lebt.
"Nun spiele von Liebe,
von Wonne und Liebe,
von Minne, von Minne!
Zigeuner, beginne!"
so tönt's durcheinander
in wüstem Geschrei.
Aufleuchtet sein Auge,
als sei es im Dunkel,
und senkt mit Gefunkel
den Busen der Braut.
Er will sie nicht lassen
und will sie erfassen,
als wär' sie sein eigen,
als könnt' er entsteigen
im Liede mit ihr.
Er winkt den Gesellen;
da brechen die Töne
aus dunklen Quellen,
in feuriger Schöne.
Dann kommen die Wetter
und peitschen die Saiten
und wachsen und schreiten
wie Riesen einher.
Entlang dem Gewände
auflohen die Brände,
ein feuriges Meer.
Dämonische Reigen
beginnen die Geigen
und wollen nicht schweigen
und schweigen nicht mehr.
Ihr schwinden die Sinne;
da halten sie inne.
Bleich führt man von dannen
die liebliche Braut.
Wie ward ihr so bange,
als er sie so lange,
so feurig beschaut.
Die Lichter verglommen,
die Nacht ist gekommen,
verödet die Räume,
zerstoben die Lust.
Der Ampel Schimmer
im bräutlichen Zimmer
umleuchtet ein Weib
an des Gatten Brust.
Der Meister alleine,
beim Mondlichtscheine
im trübe durchdämmerten Hochzeitssaal.
Da packt er zusammen
verflackerte Flammen,
gestorbene Töne,
in einsamer Qual. (S.
64-67)
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Die Apsaras
Den Büßer, den echten,
zu reißen aus rechten,
grundheiligen Gleisen, beschließet der Geist,
der alles bezwinget,
der alles durchdringet,
es weise beherrschet und Indra heißt.
Die Apsaras wallen
die Schönsten von allen,
die Boten der Götter, zum irdischen Herd.
Weichpurpurne Binden
wollüstig sich winden
um Lilienhügel, von Rosen beschwert.
Im heiligen Haine,
im dämmernden Scheine
des Mondes ein Klingen und Tönen gar leis,
ein Huschen und Walten
von lichten Gestalten;
sie nahen, sie wandeln zu Indras Preis.
Wie zittert die Palme;
wie säuseln die Halme
des moosigen Grundes, von Sehnsucht bewegt!
Wie hätten so gerne
die blinkenden Sterne
zu Füßen der Apsaras still sich gelegt!
Sie sinken und steigen,
sie flüstern und schweigen
und winden die Glieder im lieblichen Tanz.
Um schwellende Leiber
der himmlischen Weiber
schlingt selig der Mond seinen silbernen Kranz.
O Büßer, du rauher,
du alter, du grauer,
du knochiger, finsterer, trüber Gesell!
Sie kommen, sie kommen,
von Wollust umschwommen,
und bringen der Freude heißflammenden Quell.
Da steht seine Hütte
in dämmernder Mitte
des Haines, umfächelt vom duftigen Süd.
Sie dringen ins Zimmer
mit bräutlichem Schimmer
und tränken mit Träumen sein stilles Gemüt.
Sie schmücken die Wände,
sie regen die Hände
und zünden der Fackeln stillglimmende Glut;
sie winken und schweben
und bringen die Reben
und pressen zu Bechern die schäumende Flut.
Sie tragen die Kissen
mit wiegenden Füßen
in leisem Geplauder zum Lager heran.
Und lächeln zuzeiten,
indem sie's bereiten
dem einsamen, stillen, dem heiligen Mann.
Dann sinken die Schleier,
dann bebet die Leier
im glühenden Takte gar heimlich und leis.
Der Himmlischen Glieder
umschlingen sich wieder
zum lautlosen Tanze im zaubrischen Kreis.
In Seufzern der Lüste
aufwogen die Brüste,
lustatmende Rosen die Wangen erblühn.
Die Hüften sich biegen
weißschimmernd und wiegen;
Glutfackeln der Sehnsucht die Augen erglühn.
Wie ringeln der Locken
schwarzglänzende Flocken,
mit Lotos durchflochten, um Schultern und Brust.
"Erwache, Entsager,
erstehe vom Lager,
erstehe zum Leben, zur bräutlichen Lust!"
Da regt der Brahmane
sich, schauet im Wahne
umher und erkennet die himmlische Schar.
Er läßt sie zu Ringen
sich regen und schlingen
und hüllt sich bedacht in den weiten Talar.
Er lächelt und gehet
und suchet und stehet
und bricht eine Lilie mit sorgsamer Hand.
Er drückt an die Lende
ihr quellendes Ende,
gen Osten die betenden Lippen gewandt.
Und Glieder entquellen,
die wachsen und schwellen
zu wonnigen Formen, zur lieblichsten Maid.
Die kann wie die andern
sich wiegen und wandern,
verdunkelt sie alle an Lieblichkeit.
Und Klarheit verbreitet
sich, wo sie auch schreitet.
In strahlender Reinheit nur leuchtet ihr Blick.
Die Apsaras weichen
zu himmlischen Reichen,
zum Busen des Büßers die Schöpfung zurück.
(S. 67-70)
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Anna
Heut warst du bei mir im Grasegarten
mit den fleißigen Händen, den häßlichen, harten.
dem feinen Näschen, dran vibrieren
verräterisch die feinen Flügel,
über die Fülle der warmen Hügel,
den starken Hüften, die dich zieren,
du Bauernvenus, mein früher Traum!
Voller Früchte wie ein Apfelbaum
stehst du da: verborgen im Stamme
glüht die süße, verzehrende Flamme:
ihr opfre ich alles, was ich habe.
Sei mein, du berauschende Honigwabe!
Sei mein Haus, mein Hof, mein Herd!
Erd' und Himmel bist du mir wert!
Anna, darben mit dir ist Genuß,
mit dir arm sein Überfluß.
Rapallo, 6. März 1937
(S. 139-140)
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Liebes Lenchen
Liebes Lenchen, schönes Kind,
oh, wie war dein Auge lind
und so tief wie Meeresflut!
Oh, wie saß dein Schäferhut,
goldgefleckt, mit bunten Bändern,
über deiner Lockenflut!
Leicht in seidenen Gewändern
schrittest du den Sommer hin.
Eine märchenhafte Blume
aus des Paradieses Krume:
ging es oft mir durch den Sinn.
Ihr, Helenen, aller Frauen
schönster, schienst du mir verwandt.
Ich verlor mich selbst im Schauen,
wenn sie bei der Schwester stand.
Durfte denn sie mit der Hohen,
Stolzen wie mit ihresgleichen
sprechen, ohne des zum Zeichen
zu erbeben, zu erbleichen?
Stunden, Tage, Wochen flohen,
immer lag sie mir im Sinne,
stets von neuem im Erblicken
ward ich ihrer Hoheit inne.
"Wem wird dieses Wunder werden?"
fragt ich einst die kluge Schwester,
"lebt ein solcher Mann auf Erden?"
Und sie sagte: "Guter, Bester,
wenn er lebt und sie erringt,
möge keiner ihn beneiden.
Eine Glocke, die nicht klingt,
ob der Glöckner sie auch schwingt,
nenn' ich sie, ein Ding aus Erz,
taub, so wie ein geizig Herz."
Lachend aber sprach sie dann:
"Was fängt ein gesunder Zahn
wohl mit tauben Nüssen an?"
War es so? O bittres Los!
Konnte deiner Mutter Schoß
dich so überköstlich bilden,
und du bliebst doch seelenlos?
Strahlt dein Lächeln zwar den milden
Geist der Liebe in mich ein,
aber nur als leeren Schein?
Sollten Golems und Lemuren
deine wahren Eltern sein?
Oh, wie gerne mich erbarmen
möcht' ich, Kind, und dich erwarmen!
Über deinem Hause steht
eines Flammensternes Bild.
Eines Sternes Flamme wild
meiner Liebe Blut durchweht.
Sollte nicht das Wunder glücken,
dich zu schmelzen in den Feuern
ganzen Seins und zu erneuern?
uns zu Gottes Thron entzücken
und in unsrer Liebe Lodern
deine Seele nachzufodern?
Rapallo, 20. Februar 1938
(S. 140-141)
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Seltsam genug, mein Herz war frei
Seltsam genug, mein Herz war frei,
mein Wesen rein in sich gekehrt,
da ging ein Kind vorbei.
Mein Sinn war wie ein Vogel aufgestört,
er flatterte, er flog dahin und dort.
Mein Schatz war ausgeleert,
die Kleine fort.
Seltsam genug, mit deinem vollen Haar,
kaum vierzehn Jahr,
und schmiegend dich an deine Mutter: ach,
nie war ein Herz so zitternd mein,
ergeben, rein,
was deine scheue Seele schweigend sprach:
"Ich grüß' dich, guter Freund,
schon Hand in Hand." -
Ich rede, doch mein Sein ist mir entwandt,
weil ich verloren, was ich eben fand.
Agnetendorf, 19. Juli 1907
(S. 144)
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Aus: Gerhart
Hauptmann Sämtliche Werke
Herausgegeben von Hans-Egon Hass
Band IV: Lyrik und Versepik
Propyläen Verlag 1962-1974
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhart_Hauptmann
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