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Henry von Heiseler
(1875-1928)
Inhaltsverzeichnis der
Gedichte:
Glut-Vogel
Glut-Vogel singt im Garten wenn es dunkelt.
Ich liege Nacht für Nacht versteckt im Busch,
Doch immer zwingt mich Schlummer wenn er naht
Und sich im krausen Kranz der Purpurstrahlen
Auf meine liebste Birke niederläßt
Und singt ... ich liege wie erstarrt im Schlaf
Und meine Hand ist machtlos ihn zu fangen.
Da nahm ich eine Laute, deren Saiten
Von Golde waren, der entquoll ein Lied,
Das mir den Vogel vor dem Dunkel noch
Zum Garten lockte . . . und der Schlaf blieb fern -
Glut-Vogel kam - es fing ihn meine Hand -
Jetzt wohnt er hoch im Käfig auf der Birke
Und sein Gefieder macht das Dunkel hell.
Er blitzt und blendet im erglühten Laub,
Doch seine Stimme schweigt - mein Garten muß
Das Lied entbehren, dem im Schein der Sterne
Die Blumen sich erschlossen - Trauer fügt
Das Laub zusammen und verhüllt den Glanz
Von allen Lichtern ...
und ich breche rasch
Das goldne Gitter auf und wende mich
Von heller Stätte in des Gartens Dunkel,
Um nicht zu sehen wie der Vogel flieht.
Nun kommt er jede Nacht im Sternenschein
Zum Baum zurück, der meine Träume schützt
Und leuchtet meinem Garten wie die Sonne.
Sein Lied fließt mit den Strahlen in das Rund.
Dann wenn des Morgens kühler Hauch mich weckt,
Liegt eine goldne Feder mir zu Häupten.
(S. 9)
_____
Der Engel der Liebe
1.
Drängt schon erneuertes Leben
Aus dem erfrorenen Reise?
Siehst du die Schollen sich heben?
Regt es sich unter dem Eise?
Morgenlich wärmendes Wehen,
Wiegen und Heben und Senken...
Was will im Innern geschehen,
Wo sich die Wurzeln verschränken?
All du verlornes Empfinden,
Seufzen und Sehnen und Lachen,
Willst du mich wieder umwinden?
Willst du mir wieder erwachen?
Schatten verwundener Schmerzen
Sind nur im Traum noch lebendig
Und in dem klopfenden Herzen
Ruft es und singt es beständig.
(S. 52)
2.
O Wunder aller Wunder! über Nacht
Wird es mit seinem Glanze dich erfüllen,
Sein Aug ist Sonne, seine übermacht
Zerreißt und spaltet blendend alle Hüllen.
Ins Dunkel stürzt vor ihm der finstre Schwarm
Mit Stürmen und Erschüttern und Erschauern,
Es tritt heran, es legt um dich den Arm,
Dann wirst du nicht mehr um Verlornes trauern.
Dann klingt ein Singen über allem Grimme,
Jung-junges Sehnen rührt dich heimatlich
Und mit dem Herzen hörst du eine Stimme
Die sagt: ich liebe dich und kenne dich ...
Dann wirst du sprechen: Freude ohne Grenzen,
Wie bist du nah, die ich so fern geglaubt,
Wie glücklich seh ich deine Augen glänzen,
Wie gehst du frei und mit erhobnem Haupt.
(S. 53)
3.
Was sieht dein Aug? nichts als den Widerschein
Des einen Lichtes sichtbar um mich her.
Was hört dein Ohr? des Namens Laut ist mein,
Der meine Welt durchrauscht mit seinem Meer.
Was brennt dein Blut? mit deinem vollen Licht
Wohnst du in ihm, es brennt verklärt und rein.
Was will dein Wille? er gehört mir nicht,
Er ist wie du geworden, er ist dein.
Was sucht dein Wunsch? er kennt im weiten All
Nur einen Fleck: wo du bist will ich sein.
Was klopft dein Herz so laut? allüberall
Wo es auch klopft, will es zu dir hinein.
Wo geht dein Weg? er geht zu dir dahin
Und führt im Kreis zurück ins eigne Sein.
Wo steht der Himmel, dessen Kind ich bin?
Nur einen seh ich, er schließt alles ein.
(S. 54)
4.
O Liebe, welch Vollenden
Dein Kommen mir gewann,
Ich weiß in deinen Händen
Was mir geschehen kann.
Du gibst mir und erfüllst mich
Allmächtig überall,
Du hütest mich und hüllst mich,
Ein Himmel von Kristall.
Es flieht vor solchem Schilde
Gespenst von Mensch und Tier,
Die Schatten, die Gebilde,
Du läßt sie nicht zu mir.
Was jemals Augen sahen
Im Wechsel immerzu,
Nichts andres kann mir nahen,
Nichts in der Welt als du.
(S. 55)
5.
Sieh, du kannst mich nicht erringen,
Mich nicht bannen und nicht zwingen,
Dein Gebot kann mich nicht rufen,
Dein Gebet gewinnt mich nicht.
Leise auf kristallnen Stufen,
Ungefragt und ungebeten,
Will ich lächelnd zu dir treten,
Flüchtig wie ein Traumgesicht.
Sieh, du kannst mich nicht zerstören,
Nur gehorchen und nur hören,
Was mein Mund zu deiner Seele
Mit dem Ton der Liebe spricht.
Keine Furcht, daß ich dir fehle,
Nichts ist tödlich, nichts ist trennend,
Ruhig durch die Zeiten brennend
Steht mein Licht und endet nicht.
(S. 56)
6.
Ich mache dich in allen Sinnen wanken,
Ich weck das Blut, zerrütte die Gedanken,
Ich binde dich so fest in mein Gesetz
Du liegst verstrickt im großen Zaubernetz.
Nun ist's ein Rausch, der sich an dir vollendet,
Die Welt ward wie ein Mantel umgewendet,
In Stücke splittert was dich hegt und hemmt,
Dein Fernster wird dir nah, dein Nächster fremd,
Süß lockt dich Torheit mit Gekling von Schellen,
Dein Blut reißt dich dahin auf seinen Wellen,
Weisheit ward Irrtum, Wahnsinn wird Vernunft,
Des Glückes Flucht dünkt dich wie Glückes Kunft.
Du fürchtest keine Scham und keine Schwere,
Selbst nicht Verrat an deines Herzens Ehre,
Dir ward das All im fiebernden Gemüt
Vom einen großen Blühen überblüht.
(S. 57)
7.
Doch ein geheiligter Rat
Läßt seine Ordnung nicht brechen,
Aus den zerrissenen Flächen
Steigt um so reicher die Saat.
Wohnlich erneut sich das Haus,
Ruhig verrinnen die Tage
Und auf der ewigen Waage
Wiegen die Dinge sich aus.
Um die Zerstörung des Seins
Mühen sich Stürme vergebens.
Tod ist Verwandlung des Lebens,
Welken und Blühen sind eins.
Alles was wird und verfällt
Muß sich im Reigen bewegen,
Immer der Sonne entgegen
Wachsen die Kinder der Welt.
(S. 58)
8.
Wie langsam gehn die nächtlichen Stunden,
Noch hast du keine Ruhe gefunden.
Was zirpt und knistert, klopft in den Wänden,
Wann wird die träge Dunkelheit enden?
Und Stunden kommen, kommen und gehen.
Was dich beschäftigt, soll es geschehen,
Was du erlangtest, wird es verblassen,
Die schönen Träume, wirst du sie fassen?
Und läßt du dich von Träumen umranken
Und wahr ist alles nur in Gedanken?
Tu ab dein Forschen, Sorgen und Fragen,
Laß dir vom Morgen Schöneres sagen.
Und neu beginnen flimmernde Kreise
Den gleichen Wandel luftig und leise,
Umschattung zieht sich dichter und dichter
Und fern so zarte spielende Lichter ...
(S. 59)
9.
Der Engel schwang sich auf in einem Schwall
Von Flammen und Gewölk und Blitze schlugen
Auf seinen Spuren nieder überall.
Dann fuhr er wieder aus den hellen Fugen
Des Wolkenrauchs zur Erde und ich sah,
Daß seine Hände sieben Tafeln trugen
Und eh ich's faßte was mir da geschah,
Erhob er schon die Stimme: vor den Schäden
Der Dumpfheit dich zu retten bin ich da,
Nun laß ich jede meiner Tafeln reden,
Daß jede deinem zagen Griff ein Seil
Der Hilfe werde, denn auf einer jeden
Steht meines hohen Fugs ein Siebenteil,
Ein Bach, der in den Strom der Sieben mündet,
Der sieben Liebeswunder ewiges Heil.
Vernimm denn, was die erste Reihe kündet.
(S. 60)
10.
Ehe dir mein Licht
Aufging über den Landen
Hast du die Freude nicht
Und nicht das Leiden verstanden.
Bande schlossen sich dicht
Um alle deine Gedanken,
Alles im Gleichgewicht,
Alles in Maß und Schranken
Jetzt soll des Himmels Macht
Dir zur Erneuung taugen,
Jetzt ist dein Herz erwacht
Und wach sind deine Augen.
Bald unter meinen Händen
Reift was reifen sollte
Und du wirst dich vollenden
Wie Gott dich wollte.
(S. 61)
11.
Die zweite spricht: mit meiner Kraft bekleidet
Vermagst du erst das Seiende zu schauen,
Mit der Gestalt und Farbe des Gesichtes
Wird dir zugleich sein Innres offenbar.
Dein Blick ward meines Wunders voll und weidet
Sich an der Pracht und Holdheit junger Auen,
Nun freut dich erst die Lauterkeit des Lichtes,
Die Wolkenherde und die Blumenschar.
Wer dann ist froh wie du und so beneidet
Um seinen Gang in Wissen und Vertrauen?
Wen dünkt so leicht das Grauen des Gerichtes?
Wer schläft so lächelnd ohne Alb und Mahr?
Wo sich die Bahn von Licht und Dunkel scheidet,
Wirst du das Haus der Liebe auferbauen
Und in dem Wandel schönen Gleichgewichtes
Bringt sich das All dem reinen Herzen dar.
(S. 62)
12.
Die dritte spricht: wer an dich glaubt,
Er schafft dich groß, er schafft dich rein,
Er legt den Kranz dir um das Haupt.
Wer an dich glaubt, ganz ohne Nein,
Ganz ohne Furcht, ganz bis zum Grund,
Er wird dein Schutz und Führer sein.
Wer an dich glaubt zu jeder Stund,
In jedem Glanz, in jeder Nacht,
Wer bei dir steht mit Herz und Mund,
Er ist dein Schild und deine Wacht,
Er ist dein Bund, er ist dein Band,
Er führt dein Schwert in jeder Schlacht,
Er hält dich fest am steilen Rand,
Er ist das Licht, das niemals irrt,
Er zeigt im Sturm das nahe Land,
Er ist der Stern, der helfen wird.
(S. 63)
13.
Jetzt gib dein Leben hin, dein Herz gib hin,
So endlich folgst du sicher deinen Sternen,
Verliere dich und finde dich darin,
Erwirb nicht mehr - du sollst das Geben lernen.
Und denke nicht, daß du ein Großes tust,
Wenn du dich schenkst und hingibst ohne Ende,
So viel nur heißt es, daß du sicher ruhst
In jeder Not und jeder Zeitenwende.
Und tausend Stimmen werden um dich klingen
Mit immer stärkrem Hall und Widerhall
Im weiten Kreis, in dem die Welten schwingen,
Und ohne Grenzen wohnst du überall.
Du gehst nicht länger unter eignen Lasten,
Hin trägt es dich auf reißendem Gewell
Und deine Augen die mein Bild umfaßten,
Sie wurden wach und weit und himmelhell.
(S. 64)
14.
Die fünfte spricht:
Ich mach dich reich,
Das Fernste wird
Dem Nächsten gleich,
Wie du mich fragst
So frag ich dich:
Bin ich das Du?
Bist du das Ich?
Und jedes sagt:
Es ist die Welt
Und jeder Stern
Und jedes Feld
Und aller Sturm
Und alle Ruh
Nur Wink und Wort
Von Ich und Du.
(S. 65)
15.
Du sollst mich hüten, du sollst mich halten,
Solang ich weile wird Quelle springen,
Wird Feuer brennen und nicht erkalten,
Solang ich weile wird Tat gelingen,
Wird Kampf gewonnen, und Kranz erstritten,
Wird Auge schauen und Stimme singen,
Du kannst mich fassen, doch nicht erbitten,
Ich bin nicht Beute, ich bin dir Segen,
Was dich auch treibe, ich bin inmitten
Und alle Kräfte, die dich bewegen,
Vom Licht der Sehnsucht werden sie brennen
Und sicher stürmen dem Ziel entgegen
Und mich zu ahnen, heißt schon mich nennen,
Und mich zu fühlen, heißt mich enthüllen,
Und mir zu folgen, heißt mich erkennen
Und sich gewinnen und sich erfüllen.
(S. 66)
16.
Nun spricht zu dir die siebente im Reigen
Und ist zugleich Verkündung und Geheiß:
Erwarbst du mich - ward alles dir zu eigen,
Du teilst dich mit und deine Seele weiß
Nichts Fremdes mehr in allen Lebens Weiten,
Du bist zu Hause im vertrauten Kreis,
Wo sich die unerforschten Fernen breiten.
In dir sucht jede Unrast ihre Ruh
Und alle Wunder, alle Heimlichkeiten
Sind dir gehörig, denn sie wurden du,
Die Tausendschar der Dinge und Gestalten
Ist dein geworden und gehört dir zu
Und du bist all und eines mit dem alten
Urschöpfer, der das Sein und Werden schafft
Und alle Mächte, die dir feindlich galten,
Blühn in dir in neuer Jugendkraft.
(S. 67)
17.
Welch Dunkel unerträglich schloß dich ein
In seine tiefe Nacht? im Ungewitter
Zerfällt dein Leben dir in Staub und Splitter.
Du wehrst dich noch? wie könnte dich befrein,
Daß du dem Leiden dich entgegen bäumst?
Ist nicht dein Tag verloschen und vergangen,
Ist nicht dein Wünschen rettungslos gefangen
Und jeder Traum von allen die du träumst
Nicht wie bekränzt mit Mohn und Asphodill?
Doch heimlich im zerstörenden Getriebe
Brennt dir im Herzen neben deiner Liebe
Die Hoffnung immer, die nicht sterben will.
Was beugt dich so? ward dir die Welt so schwer?
Starb alles hin im Eishauch kalter Brisen?
Und doch sind Himmelsschlüssel auf den Wiesen
Und dort liegt solch ein Schimmer überm Meer!
(S. 68)
18.
Kannst du den Stern erlangen?
Weißt du was Träume sind?
Läßt sich die Wolke fangen?
Oder der Morgenwind?
Kannst du das Mondlicht zwingen?
Oder der Felder Duft?
Oder der Vögel Singen?
Oder die stille Luft?
Öffnet sich nie die Pforte?
Findet euch nie das Licht?
Ach - und des Herzens Worte
Werden zum Liede nicht!
Nur in meinem Gehege
Endet alle Gefahr,
Menschlich verworrne Wege
Werden im Himmel klar.
(S. 69)
19.
Die Sonne sinkt, die Strahlen kommen schräg,
Nun fürchte nicht die dunkle Stundenfahrt,
Ich bin bei dir und zeige dir den Weg,
Bei Tag und Nacht bin ich von gleicher Art,
Wo Sonne glänzte, werden Sterne stehn
Und Licht ist alles was dein Blick gewahrt,
Ich sage dir: du kannst nichts andres sehn.
Es ist die stete, ewig-gleiche Flut,
Die dich umkreist im Auf- und Niedergehn.
Der Strahl, der einem Auge wehetut,
Bringt einem andren stille Heilung mit.
Du weißt es nicht, was in den Dingen ruht
Und wenn dein Herz an manchen Rätseln litt,
So magst du wissen: dieses ist vielleicht
Sein Pochen nur beim Hall von meinem Schritt
Und immer nur mein Licht, das dich erreicht.
(S. 70)
20.
Herr, sprach ich, deine Nähe
Gibt alles was ich will
Schon schweigt mir jedes Wehe
Und jedes Böse still.
Um Leiden zu ertragen
Im Glauben ruhevoll,
Darf ich dein Herz befragen
Wie ich mich fassen soll.
Was immer Weise raten,
All des bedarf es nicht,
Ich prüfe meine Taten
Bei deines Herzens Licht,
So tu ich all mein Tuen
Bis in den Tod hinein
Und schlafe um zu ruhen
An deinem Herzen ein.
(S. 71)
21.
Noch gehst du irr in zu viel Dunkelheit,
Blind suchend nach den Feuern, die dich führen,
Pochst du verstört an allzu viele Türen
Und deine Straße dünkt dich weltenweit.
Hab acht, vielleicht ist alles nah und leicht
Was fern dir schien und schwer wie Berges Lasten,
Ein Licht wie Menschensinne es nicht faßten,
Und kaum erblickt hast du es schon erreicht.
Und deines Herzens Glück, du siehst es nun
Nah deinem Wege hold und heimlich glänzen,
Streck nur die Hand aus und du darfst dich kränzen,
Du brauchst vielleicht nur einen Schritt zu tun.
Dann jenseits aller Trauer und Gefahr
Wird dich Erfüllung heilig überglühen,
Geknister und Gefunkel mag versprühen
Und es beginnt das Leuchten wunderbar.
(S. 72)
22.
Grillen im Dunkel, bezaubernde Stimmen,
Winzige Schmiede auf Silber und Glas,
Töne, die steigen und hallend verschwimmen,
Drinnen am Herde und außen im Gras.
Wo eure Lieder mir selig erklangen
Fühle ich Schutz, der mich hütend umkreist,
Und in den Fäden des Traumes gefangen
Wart ich des Kommenden, das ihr verheißt.
Grillen, geliebte, wie ruft ihr lebendig
Tröstlichen Schalles im ruhenden Haus
Und aus dem Herzen, dem wachenden, send ich
Wunsch über Wunsch in die Ferne hinaus.
Wunsch über Wunsch in die Weite getragen,
Taghelles Grüßen aus nächtlichem Kreis ...
Was mir die Grillen, die singenden, sagen,
Was ich im Herzen, dem klopfenden, weiß.
(S. 73)
23.
Dann hat ein Laut mich selig aufgestört:
Hier bin ich, Lieber, nimm was dir gehört.
Und überflutet von so vollem Licht
Steh ich erschüttert und die Stimme spricht:
Wie zwang ich mich in fremde Schranken ein,
Vergiß, vergiß es, ich will bei dir sein,
Umschließe mich mit jedem Bund und Band,
Ich gebe dir mein Herz in deine Hand.
Und ich, betäubt und bebend, horche still,
Ob mir der Laut nicht weiter klingen will,
Leis-leises Tönen schwillt im Wind heran
Und wieder hebt die nahe Stimme an:
Ich bin behütet, wo ich dich nur seh,
Ich liebte dich und kannte dich von je.
Still war es rings, ein Vogel sang im Nest,
Ich hielt den Ton in meinem Herzen fest.
(S. 74)
24.
Dunkel ward die Glut im Herde
Mir im Wachen, mir im Traum,
Aus der harten Wintererde
Wuchs die Trauer wie ein Baum.
Soll ich ihre Stimme hassen,
Wehren ihrer Übermacht?
Mit dem Herzen will ich's fassen,
Was ich ahne in der Nacht:
Eingehüllt in Traum-Gefieder,
In der Lichter fromme Zier,
Schöner Himmel, stehst du wieder
Als ein Wächter über mir,
Um der reinen Sterne willen
Und des Heiles Wiederkehr
Legst du diesen todesstillen
Tiefen Schatten um mich her.
(S. 75)
25.
Der Engel spricht: von hier ist keine Brücke
In des Vergangnen süße Dämmerung.
Zu deiner Kindheit jugendlichem Glücke
Rückkehrend, meinst du, wirst du wieder jung.
Heut sollst du's besser, inniger begreifen:
Den Kindern fliegt es zu als bunter Ball,
Wenn der entsprang, erblicken sie's im Reifen,
Im Sand, im Kiesel, glitzernd überall ...
Ist dies so lockend? unter leichten Flügeln
Im Unbewußten blinder Flug und Lauf?
Dein Glück ist Schicksal und du sollst es zügeln,
Mit allen Sinnen nimm es in dich auf,
Im Streit erworben, hohen Schmerz nicht missend,
Wird es dir standhaft wie Gestein und Erz,
Verstehend nur und bis zum Letzten wissend
Faßt du's mit allem Glanze in dein Herz.
(S. 76)
26.
Immer noch wandeln die Zeiten,
Wechseln die Stunden und Wetter,
Blühen und welken die Weiten,
Grünen und fallen die Blätter.
Eis auf den Quellen und Flüssen,
Schnee auf dem ruhenden Garten
Und die Gebundenen müssen
Schlafend den Frühling erwarten.
Bis die verzauberte Rinde
Splittert im Rauschen und Lärmen,
Bis die belebenden Winde
Wieder die Wiesen erwärmen.
Leben im wachsenden Schimmer,
Sterben im trüben und schwachen,
Wachen und Schlafen und immer
Wieder von neuem Erwachen.
(S. 77)
27.
O weißt du nicht, wie die vergangne Nacht
Ganz voll von Sternen war, die heilig glänzten?
In Schmerz und Stürmen hast du sie durchwacht
Allein und ausgesetzt im Unbegrenzten.
Was wußtest du? in Flammen war dein Haus,
In ihrem Schein sahst du die Welt im Brande,
Der faßte dich und hetzte dich hinaus
Mit lohem Haar und loderndem Gewande.
Und draußen trat um dich die hohe Stille
Mit immer hellrem Glanze zu dir her,
Im Schweigen sprach zu dir des Himmels Wille,
Da ward der Umkreis weit und hell wie er.
Vergiß die Qual, die in der Glut verdorrte,
Noch hält der Stern unwandelbar die Wacht
Und wieder sagt dir die ersehnten Worte
Die nahe Stimme flüsternd in der Nacht:
(S. 78)
28.
Ich bin bei dir im Schatten,
Ich bin bei dir im Licht,
Die Sehnsucht, die wir hatten,
Sie quält uns länger nicht.
Welch neues Glück beginnt hier,
Seitdem das Unheil wich?
Denn bei einander sind wir
Kein Mensch, nur du und ich.
Der Schatten ging zunichte,
Jetzt wandelt nur das Licht
Von deinem Angesichte
Zu meinem Angesicht
Und Liebe wird zu Worten
Und Sehnsucht wird Gesang
Und sprengt die letzten Pforten
In ihrem überschwang.
(S. 79)
29.
Ich sah den Engel mir erscheinen
Und faßte bebend sein Gewand:
Herr, ich bin einer von den deinen,
So nimm mein Herz in deine Hand,
In deinen Händen will ich's lassen,
Bis jedes Licht erloschen ist,
Herr, laß mich deinen Kern erfassen,
Laß mich erkennen wer du bist.
Und Jener schaute lächelnd nieder
Und sprach zu mir mit süßem Schall:
In dir, in dir kennst du mich wieder,
Nach dem du suchst im weiten All,
Dein Auge, das du zu mir wandtest,
Sieht sich gespiegelt immerzu
Wenn du dein eignes Herz erkanntest,
So kennst du mich, denn ich bin du.
(S. 80)
30.
Nun kam die Stunde und mit einem Mal
Blickst du dich um im sonst verschlossnen Saal,
Nach rückwärts wallt das Gestern wie ein Rauch,
Hier glänzt der Morgen über Feld und Strauch.
Der trübe Funke wächst zur Flamme klar,
Das Wort der Lüge krümmt sich und wird wahr,
Geläutert in des reinen Äthers Rund
Tönt es als Wort des Heils von deinem Mund.
Und dieses ward dein Fug und dies dein Heil:
Du gehst nicht mehr gesondert, du nimmst teil,
In Trümmern liegt der Zaun, der dich gehemmt,
Du bist nicht länger fern, nicht länger fremd.
Wo immer Leben lebt - du lebst es mit,
Wo Wesen wirkt - du gehst im gleichen Schritt,
Wo Liebe lieben mag - du tust es auch,
Wo Seele haucht - geschieht's mit deinem Hauch.
(S. 81)
31.
Du bist verwandelt, ganz dir selbst entwandt
Erscheinst du als Geringster der Geringen,
Nicht mehr dein eigen ist dir deine Hand,
Nicht deine Seele mehr vor allen Dingen.
Wag nur den Flug, du bist dir nicht entflogen,
Das Glück der Welten wird dein eignes Glück,
Du gabst dich hin, schon drängt in raschen Wogen
Die volle Flut dem Schenkenden zurück.
Nicht sorgst du länger, daß in wilden Träumen
Und fessellos die Seele sich vergißt,
Schon darfst du jenes wilde Einhorn zäumen,
Das nur dem Reinen willig lenkbar ist.
Und strahlend gehst du hin auf deinem Pfad.
Beglückt und froh und lächelnd unter allen,
Den Menschen in der Welt ein Wohlgefallen
Seit ich ins Herz dir meine Flamme tat.
(S. 82)
32.
Manche sind es, die den Reif gewinnen,
Wenn die hohe Gnade sie erwählte,
Manche finden die verborgne Blume
Auf der Höhe über Wald und Hang.
Und die Rune will ich dir zur Stunde
In das Herz und auf die Stirne setzen:
Wenig nützt dir deines Dankes Lächeln,
Wenig das verzückte, helle Glück.
Denn du wirst Geschenktes nicht besitzen,
Wenn die Hände es nicht halten können,
Wenn du nicht mit deinem vollen Willen
Um die Krone, um die Blume wirbst.
Stäuben wird aus ungetreuen Händen
Das erlauchte Gold und wie im Feuer
Muß die Blüte dorren und zerfallen
Und der Wind fegt deine Hände leer.
(S. 83)
33.
Vernommen hab ich oft in tiefer Nacht
Des wachen Herzens ungesprochne Worte,
Sein stetes Pochen an des Glückes Pforte,
Sein stetes Rufen zu der Himmelsmacht,
Die gibt und nimmt, begnadet und verdirbt,
So wie das Los sich fügt nach ihrem Willen.
Doch nichts mag dies geheime Pochen stillen
Des Herzens, das nicht ruht und eher stirbt
Als daß es nachläßt, noch in seinem Traum
Gewaltig mit dem Ewigen zu ringen,
Um jedes reine Glück herabzuzwingen
Zu ihren Füßen ... wachend weißt das kaum
Wie stark du da gerungen - bis zuletzt
Des tiefsten Glaubens Kraft in dir erwachte,
Ein Glaube, der die Berge wandeln machte
Und an den Himmel neue Sonnen setzt.
(S. 84)
34.
Wie süß fortan die Weise
Dir von den Lippen geht,
Seit dir im Augenkreise
Mein Licht als Hüter steht.
Dir sagt das Lied der Grillen
Im frohen Sommerfeld:
Nur, nur um meinetwillen
Sind Blumen in der Welt.
Dein Blick steigt mit den Schwalben
Zu allen Lichtes Quell,
Denn nur um meinethalben
Sind Mond und Sterne hell.
Die Unrast wird sich stillen,
Zur Ruhe geht der Lauf,
Nun bricht um meinetwillen
Dein Herz als Blüte auf.
(S. 85)
35.
Er sprach's zur Stunde seiner Himmelfahrt:
Fortan bewahre, was dein Eigen ward,
Den Ton der Stimme, die dich einst bewegt,
Hab' ich für immer dir ins Herz gelegt.
Treibt dich die Unrast hin von Ort zu Ort,
Der ferne Raum führt dich von mir nicht fort,
In Weh und Not, in Sorge und Gefahr,
Steh ich zur Seite dir unwandelbar.
Wenn du im Schatten dunkler Zeiten klagst,
Du findest mich, wenn du nur finden magst,
Fragst du nach mir - ich halte bei dir stand,
Langst du nach mir - du fassest meine Hand.
Wann immer du mich suchst in deinem Sinn,
Wirst du gewahren, daß ich bei dir bin.
Der Engel schwieg. Er grüßte noch und schied.
In seinen Flügeln klang des Windes Lied.
(S. 86)
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Alle
Gedichte aus: Henry von Heiseler Gesammelte Gedichte Karl Rauch Verlag
1938
Biographie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Henry_von_Heiseler
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