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Johann Gottfried
Herder
(1744-1803)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Lilie und Rose
Lilie der Unschuld, und der Liebe Rose,
Wie zwei schöne Schwestern steht Ihr bei einander;
Beide wie verschieden!
Du, der Unschuld Blume, bist Dir selbst die Krone:
Ohne Schmuck der Blätter, auf dem nackten Zweige,
Schützest du dich selber.
Du, von Amor's Blute tief durchdrungne Rose,
Du, von seinen Pfeilen vielgetroffner Busen,
Brauchest um dich Dornen.
(S. 16)
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Die Perle
Nimm, o Freundin, dieser Perlen,
Dieser Silbertropfen Band,
Denn die Göttin stiller Anmuth
Hat dir selbst sie zuerkannt.
Als sie aus des Meeres Wellen,
Wie ein Traum der Liebe stieg,
Kam demüthig eine Muschel,
Die sie trug und sittsam schwieg.
Wellen hüpften um die Göttin,
Weste buhlten um sie her;
Aber die gefällig-gute
Dienerin gefiel ihr mehr.
"Womit soll ich dich belohnen?"
Sprach sie, und vom Silber-Glanz
Ihrer Glieder schwamm die Muschel
Silbern schon im Wellentanz.
"Nimm den Tropfen meines Haares,
Künftig nur der Unschuld Schmuck!"
Und der Tropfen ward zur Perle
In der Muschel, die sie trug.
Ewig jetzt ein Schmuck der Unschuld,
Stiller Anmuth selbst ein Bild
Ohne Gaukelei der Farben
In bescheidnen Reiz gehüllt,
Sehnet sie sich aus der Krone
Des Monarchen in das Band,
Das der Unschuld Haar umschlinget,
Einer Göttin Haar entwandt.
(S. 22-23)
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Liebe und Gegenliebe
Als einst die Mutter der Anmuth
Den Knaben Amor gebar,
Bekränzt' er, ein einziges Söhnchen,
Mit Rosen sein lockiges Haar.
Er schuf nur Qualen den Herzen;
Die zarte, süßere Pflicht,
Mit Liebe Liebe zu lohnen,
Die kannte der Flüchtige nicht.
Und manche beleidigte Göttin
Und mancher beleidigte Gott,
Sie zürnten alle dem Knaben
Und schufen ihm Flügel zum Spott.
Bis einst Urania selber
Ein schöneres Mittel ersann;
Sie ward zur Welle des Meeres
Und blickte den Lieblichen an.
Er sieht im Meere sein Bildniß,
Und wird von Liebe beseelt;
Und fühlt nun selber die Schmerzen,
Mit denen er andre gequält.
Umfangen will er das Wahnbild,
Ihm in der Welle so nah;
Und sieh! sein schönerer Bruder
Steht vor dem Liebenden da.
"Wer bist du?" spricht er verwirret.
"Du selbst, dein Bruder bin ich!
Laß uns versuchen im Kampfe;
Vielleicht besiegest du mich."
Und seitdem ringen die Beide
Der Liebe mächtigen Streit;
Wo Einer Herzen verwundet,
Ist nie der Andere weit.
Wo Liebe, schaffende Liebe
Hinschaut mit zauberndem Blick,
Kommt ihr vom Bilde des Anschauns
Die Gegenliebe zurück.
(S. 23-24)
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Liebe und Freude
"Hüte dich, sprach einst die Weisheit,
Du, der Liebe schöner Sohn,
Und Du, seine Schwester, Freude,
Weil euch beiden Uebel drohn.
Flieh, o Knabe, jene blinde
Schlaugesinnte Eifersucht;
Und du, Mädchen, flieh den Reichthum,
Der, auch blind, dir immer flucht!"
Also sprach die gute Weisheit;
Doch vergebens war ihr Wort;
Reichthum riß so bald die Freude,
Eifersucht den Amor fort.
Und seitdem sie zu Gesellen,
Zu Geliebten die gewählt,
Wer ist, der die Uebel alle
Dieser Trugverbindung zählt?
Eifersucht betrog den Amor
Und gab Qualen ihm zu Lohn,
Nahm ihm seine holden Augen,
Denen nie ein Herz entflohn.
In des blinden Reichthums Armen
Ward die Freud' ein blindes Glück;
Und an ihrem todten Bilde
Schärft' sich ihres Mörders Blick -
So daß Eifersucht und Reichthum
Jetzt allein scharfsehend sind -
Ist es Wunder? Die Betrognen,
Amor und das Glück, sind blind.
(S. 30-31)
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Verachtete Liebe
Nach dem
Schottischen
Damon liebte Chloris; Chloris widerstand;
Doch da sie je länger, ihn je treuer fand,
Gab sie kalt und prächtig sich in seinen Arm;
Damons erste Liebe war so süß, so warm! -
Damons erste Liebe ward allmählich alt.
Am eiskalten Herzen ward sein Herz ihm kalt.
Jetzt will Chloris buhlen. Zu grausamer Scherz!
Läßt es sich erbuhlen, ein verschmähtes Herz?
(S. 31)
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Die Erfinderin der Künste
Daphne
Liebe war's, die jede
schöne Kunst erfand.
Des Geliebten Umriß schattend an der Wand
Zeichnete das Mädchen, und von Glanz umstrahlt
Hat an Amors Fackel liebend sie's gemahlt.
Daphnis
Liebe war's, die jede
schöne Kunst erfand.
Als am Marmorfelsen Amor bildend stand,
Fühlete der Marmor, und von Venus Thron
Stieg ein liebend Mädchen zu Pygmalion.
Beide
Liebe, die dem Leben
jeden Reiz erfand,
Die dem Sieger Myrten um die Schläfe wand,
Die zu Myrt' und Rosen Grazien-Gewand
Spiel' und Artigkeiten, Tanz und Kuß erfand.
Daphnis
Und mit Zaubertönen,
voll von süßem Schmerz,
Schafft sie uns im Herzen ein wie andres Herz!
Freundschaft, hohe Tugend, Braut und Vaterland! -
Liebe war's, die jede schöne That erfand.
Daphne
Liebe, die der
Sprachen schönste Sprache fand,
Was der Mund zu sagen sich nicht unterwand,
Sprach die goldne Cither; Wunsch und Sympathie
Goß sich in die Saiten; so ward Poesie.
Beide
Liebe, du der
Menschen göttlichster Verstand,
Die des Unglücks Stürme siegend überwand,
Die im Unglück fester Herz an Herzen band,
Knüpfe Seel' an Seele, knüpfe Hand in Hand!
(S. 48-49)
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Die Liebe im Todtenreiche
Ueber den Grüften seh' ich so oft verschlungene Hände;
Amor und Psyche knüpft schweigend ein ewiger Kuß.
Wohnet Lieb' in der Gruft? und birgt die Asche der Todten,
Wenn sie die Urne vereint, Funken vom ewigen Strahl?
Wanderer, lies: "nur eine Fackel erleuchtet den Orcus;
Mächtige Lieb' allein fand ein Elysium sich."
Drücke sterbend die Hand mit deiner Geliebten zusammen;
Alles trennet der Tod! Liebende ziehet er nach.
(S. 49)
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Huld und Liebe
Als die Mutter der Liebe den schönen Amor geboren,
Sprach zu den Grazien sie: "Ziehet den Knaben mir auf
Ernst und sanft. Auch lehret ihn bald die ambrosischen Künste
Wohlzugefallen; sie sind allen Unsterblichen werth."
Gerne verrichteten sie ihr Amt; o Wunder! und lernten
Jede vom Amor mehr, als sie den Knaben gelehrt.
Seitdem stehen sie, Lieb' und Huld, auf Einem Altare;
Huld macht Liebe; sich selbst nennet die Liebe nur Huld.
(S. 51)
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Amor und Psyche
Ein Seufzer, der von Mund zu Munde fliegt,
Wenn Seele sich an Seele innig schmiegt;
Der Herzen Uebergang, da leis' und still
Das süße Wort zum Wort nicht werden will;
Das süße Wort zum Wort nicht werden kann:
Verloren schauen sich die Seelen an,
Und schöpfen in der Gottheit reinstem Quell
Gedanken, Wünsche, Blicke zart und hell;
Der Hauch, der dann das Leben süß verlängt,
Der Athem, der den Busen aus sich drängt,
Der Augenblick, der Ewigkeit Genuß,
Der Wesen reinste Wollust ist - ein Kuß.
(S. 243)
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Die goldne Hochzeit
Nach dem
Schottischen
Vor manchen, manchen Jahren,
Als ich zuerst dich sah,
War deine Locke rabenschwarz,
Braun deine Wange da.
Jetzt ist die Wange blässer,
Wie Silber glänzt dein Haar,
Und dennoch bist du lieber mir,
Ja lieber,
Als mir der Jüngling war.
Des Lebens schroffen Hügel
Erstiegen Hand in Hand
Wir, wie es Wind und Wetter gab,
Hin über Fels und Sand;
Jetzt ist der Abend milder,
Wir stiegen sanft hinab,
Und dort am Fuß erwartet uns
Zusammen
Ein Brautgemach, das Grab.
Wohlauf, ihr Söhn' und Töchter,
Singt unsern Hochgesang,
Und streuet Myrten vor uns her
Den kurzen Weg entlang.
Und preiset jede Stunde,
Die uns der Himmel gab,
Je länger und je lieber,
Je lieber,
Umschatt' einst unser Grab!
(S. 249-250)
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Das menschliche Herz
In Ein Gewebe wanden
Die Götter Freud' und Schmerz.
Sie webten und erfanden
Daraus ein Menschenherz;
Du armes Herz, gewebet
Aus Lust und Traurigkeit,
Weißt du, was dich belebet?
Ist's Freude? ist es Leid?
Die Göttin selbst der Liebe
Sah es bedauernd an;
O zweifelhafte Triebe,
Die dieses Herz gewann!
Im Wünschen nur und Sehnen
Wohnt seine Seligkeit,
Und selbst der Freude Thränen
Verkündigen ihm Leid.
Schnell trat ihr holder Knabe
Hinzu mit seinem Pfeil;
Auf, meine beste Gabe
Sie werde ihm zu Theil!
Dein unbezwingbar Streben
Sey Liebe dir, o Herz,
Und Liebe sey dein Leben,
Und Freude sey dein Schmerz.
(S. 252)
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Die Göttergabe
Nach dem
Italienischen
Hört, mit welcher holden Gabe
Mich die Liebe jüngst beglückt.
Wenn ich nie entzückt gesungen habe,
Sing' ich jetzt von ihr entzückt.
Amor, als im schönsten Liede,
Ich des Gottes Siege sang,
Trat zu mir und bot mir Gruß und Friede,
Was er hatte, mir zum Dank.
"Amor, sprach ich, deine Schwingen,
Und dein Köcher und dein Pfeil
Sollen fürder keinen Sieg mir bringen,
Seit mir Chloe ward zu Theil.
Keine Herzen mehr verwunden
Will ich, bleibet Sie nur mein,
Alle meine Lebens Tag' und Stunden
Will ich ihr Gefangner seyn.
Deine Fackel? Ach, die Liebe
Fliehet ein zu helles Licht;
Wie? wenn Chloe mir nicht Chloe bliebe?
Amor, nein, die Fackel nicht! -"
"Nun, du Sohn der Täuschereien,
Nimm die Binde denn von mir;
Mehr als alles wird sie dich erfreuen,
Vieles schenk' ich dir mit ihr:
Süßen Trug und holdes Wähnen,
Das für mehr als Wahrheit gilt,
Und ein immer wachsend neues Sehnen,
Das die Seele hebt und füllt.
Träume sind in ihr verborgen,
Freund, Du kennest sie noch kaum,
Hoffnungen, mit jedem neuen Morgen
Dir ein neuer Jugendtraum.
Weise Blindheit, nicht zu sehen,
Was du froh nicht sehen willt:
Nüchternheit, nicht Fehler aufzuspähen,
Die der Liebreiz dir verhüllt.
Schonung lieget in der Binde,
Ruh' und Warten und Geduld.
Nimm sie, und sey selig gleich dem Kinde,
Oder - es ist deine Schuld!"
Seit mit dieser Göttergabe
Amor mich zum Gott entzückt,
Ist sie wechselnd mein' und Chloens Habe,
Und wir tragen sie beglückt.
(S. 253-254)
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Erwartung
Du flüsterst, kleiner Silberbach,
Im Kosen sanfter Wellen
Der Liebe süße Wünsche nach,
Die meinen Busen schwellen.
Voll Ruh, wie du,
Ist meine Vielgeliebte:
O daß nie Sturm und Ungemach
Ihr schönes Leben trübte!
Du, dieses Eichthals Widerhall,
Vernimm der Treue Lieder!
Und tön' in zwiefach starkem Schall
Den Namen Lina wieder!
Vielleicht erreicht
Der Ton des Liebchens Wohnung:
Dann harrt sie mein am Wasserfall,
Gibt küssend mir Belohnung.
(S. 255)
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Aus: Johann Gottfried
von Herder's Gedichte
Herausgegeben durch Johann Georg Müller
Stuttgart und Tübingen
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1836
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottfried_Herder
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