HYPERION
ODER
DER EREMIT IN GRIECHENLAND
(Fragmente)
O selige Natur! Ich weiß nicht, wie mir geschiehet, wenn ich mein Auge
erhebe vor deiner Schöne, aber alle Lust des Himmels ist in den Tränen,
die ich weine vor dir, der Geliebte vor der Geliebten.
Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn die zarte Welle der Luft
mir um die Brust spielt. Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf
an den Aether und hinein ins heilige Meer, und mir ist, als öffnet' ein
verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich
auf ins Leben der Gottheit.
Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel
des Menschen.
Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit
wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und
Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der
Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das
kochende Meer der Woge des Kornfelds gleicht.
Eines zu sein mit Allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend den
zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle
Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, wie die Regeln
des ringenden Künstlers vor seiner Urania, und das eherne Schicksal
entsagt der Herrschaft, und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod,
und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert die Welt.
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O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er
nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein
mißratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die
ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.
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Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in
liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur
Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht
ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe.
Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgibt,
nichts wußte, war ich da nicht mehr, als jetzt, nach all den Mühen des
Herzens und all dem Sinnen und Ringen?
Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die
Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist.
Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön.
Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kind ist
Freiheit allein.
In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen.
Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens
nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.
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O es sind heilige Tage, wo unser Herz zum ersten Male die Schwingen übt,
wo wir, voll schnellen feurigen Wachstums, dastehn in der herrlichen
Welt, wie die junge Pflanze, wenn sie der Morgensonne sich aufschließt,
und die kleinen Arme dem unendlichen Himmel entgegenstreckt.
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Und wenn ich oft dalag
unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte, und
hinaufsah ins heitre Blau, das die warme Erde umfing, wenn ich unter den
Ulmen und Weiden, im Schoße des Berges saß, nach einem erquickenden
Regen, wenn die Zweige noch bebten von den Berührungen des Himmels, und
über dem tröpfelnden Walde sich goldne Wolken bewegten, oder wenn der
Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam mit den alten Jünglingen,
den übrigen Helden des Himmels, und ich so sah, wie das Leben in ihnen
in ewiger müheloser Ordnung durch den Aether sich fortbewegte, und die
Ruhe der Welt mich umgab und erfreute, daß ich aufmerkte und lauschte,
ohne zu wissen, wie mir geschah - hast du mich lieb, guter Vater im
Himmel! fragt ich dann leise, und fühlte seine Antwort so sicher und
selig am Herzen.
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Wie unvermögend ist doch
der gutwilligste Fleiß der Menschen gegen die Allmacht der ungeteilten
Begeisterung.
Sie weilt nicht auf der Oberfläche, faßt nicht da und dort uns an,
braucht keiner Zeit und keines Mittels; Gebot und Zwang und Überredung
braucht sie nicht; auf allen Seiten, in allen Tiefen und Höhen ergreift
sie im Augenblick uns, und wandelt, ehe sie da ist für uns, ehe wir
fragen, wie uns geschiehet, durch und durch in ihre Schönheit, ihre
Seligkeit uns um.
Wohl dem, wem auf diesem Wege ein edler Geist in früher Jugend
begegnete!
O es sind goldne unvergeßliche Tage, voll von den Freuden der Liebe und
süßer Beschäftigung!
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Es gibt ein Vergessen
alles Daseins, ein Verstummen unsers Wesens, wo uns ist, als hätten wir
alles gefunden.
Es gibt ein Verstummen, ein Vergessen alles Daseins, wo uns ist, als
hätten wir alles verloren, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer
eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.
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Wir bedauern die Toten,
als fühlten sie den Tod, und die Toten haben doch Frieden. Aber das, das
ist der Schmerz, dem keiner gleichkommt, das ist unaufhörliches Gefühl
der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung so
verliert, wenn so das Herz sich sagt, du mußt hinunter und nichts bleibt
übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur
daß du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurück auf Erden. Ach! und
die Seele kann immer so voll Sehnens sein, bei dem, daß sie so mutlos
ist!
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Hier - ich möchte sprechen
können, mein Bellarmin! möchte gerne mit Ruhe dir schreiben!
Sprechen? o ich bin ein Laie in der Freude, ich will sprechen!
Wohnt doch die Stille im Lande der Seligen, und über den Sternen vergißt
das Herz seine Not und seine Sprache.
Ich hab es heilig bewahrt! wie ein Palladium, hab ich es in mir
getragen, das Göttliche, das mir erschien! und wenn hinfort mich das
Schicksal ergreift und von einem Abgrund in den andern mich wirft, und
alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll dies Einzige doch
mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen, in
ewiger, unzerstörbarer Klarheit!
So lagst du hingegossen, süßes Leben, so blicktest du auf, erhubst dich,
standst nun da, in schlanker Fülle, göttlich ruhig, und das himmlische
Gesicht noch voll des heitern Entzückens, worin ich dich störte!
O wer in die Stille dieses Auges gesehn, wem diese süßen Lippen sich
aufgeschlossen, wovon mag der noch sprechen?
Friede der Schönheit! göttlicher Friede! wer einmal an dir das tobende
Leben und den zweifelnden Geist besänftigt, wie kann dem anderes helfen?
Ich kann nicht sprechen von ihr, aber es gibt ja Stunden, wo das Beste
und Schönste, wie in Wolken, erscheint, und der Himmel der Vollendung
vor der ahnenden Liebe sich öffnet, da, Bellarmin! da denke ihres
Wesens, da beuge die Knie mit mir, und denke meiner Seligkeit! aber
vergiß nicht, daß ich hatte, was du ahnest, daß ich mit diesen Augen
sah, was nur, wie in Wolken, dir erscheint.
Daß die Menschen manchmal sagen möchten: sie freueten sich! O glaubt,
ihr habt von Freude noch nichts geahnet! Euch ist der Schatten ihres
Schattens noch nicht erschienen! O geht, und sprecht vom blauen Aether
nicht, ihr Blinden!
Daß man werden kann, wie die Kinder, daß noch die goldne Zeit der
Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens und der Freiheit, daß doch
Eine Freude ist, Eine Ruhestätte auf Erden!
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Wir sind, wie Feuer, das
im dürren Aste oder im Kiesel schläft; und ringen und suchen in jedem
Moment das Ende der engen Gefangenschaft. Aber sie kommen, sie wägen
Aeonen des Kampfes auf, die Augenblicke der Befreiung, wo das Göttliche
den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holze sich löst und siegend
emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte
Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurück in
die Hallen der Sonne.
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Ich war einst glücklich,
Bellarmin! Bin ich es nicht noch? Wär ich es nicht, wenn auch der
heilige Moment, wo ich zum ersten Male sie sah, der letzte wäre gewesen?
Ich hab es einmal gesehn, das Einzige, das meine Seele suchte, und die
Vollendung, die wir über die Sterne hinauf entfernen, die wir
hinausschieben bis ans Ende der Zeit, die hab ich gegenwärtig gefühlt.
Es war da, das Höchste, in diesem Kreise der Menschennatur und der Dinge
war es da!
Ich frage nicht mehr, wo es sei; es war in der Welt, es kann
wiederkehren in ihr, es ist jetzt nur verborgner in ihr. Ich frage nicht
mehr, was es sei; ich hab es gesehn, ich hab es kennen gelernt.
O ihr, die ihr das Höchste und Beste sucht, in der Tiefe des Wissens, im
Getümmel des Handelns, im Dunkel der Vergangenheit, im Labyrinthe der
Zukunft, in den Gräbern oder über den Sternen! wißt ihr seinen Namen?
den Namen des, das Eins ist und Alles?
Sein Name ist Schönheit.
Wußtet ihr, was ihr wolltet? Noch weiß ich es nicht, doch ahn ich es,
der neuen Gottheit neues Reich, und eil ihm zu und ergreife die andern
und führe sie mit mir, wie der Strom die Ströme in den Ozean.
Und du, du hast mir den Weg gewiesen! Mit dir begann ich. Sie sind der
Worte nicht wert, die Tage, da ich noch dich nicht kannte -
O Diotima, Diotima, himmlisches Wesen!
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Was sind Jahrhunderte
gegen den Augenblick, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?
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Wir sprachen sehr wenig
zusammen. Man schämt sich seiner Sprache. Zum Tone möchte man werden und
sich vereinen in Einen Himmelsgesang.
Wovon auch sollten wir sprechen? Wir sahn nur uns. Von uns zu sprechen,
scheuten wir uns.
Vom Leben der Erde sprachen wir endlich.
So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne gesungen worden.
Es tat uns wohl, den Überfluß unsers Herzens der guten Mutter in den
Schoß zu streuen. Wir fühlten uns dadurch erleichtert, wie die Bäume,
wenn ihnen der Sommerwind die fruchtbaren Äste schüttelt, und ihre süßen
Äpfel in das Gras gießt.
Wir nannten die Erde eine der Blumen des Himmels, und den Himmel nannten
wir den unendlichen Garten des Lebens. Wie die Rosen sich mit goldnen
Stäubchen erfreuen, sagten wir, so erfreue das heldenmütige Sonnenlicht
mit seinen Strahlen die Erde; sie sei ein herrlich lebend Wesen, sagten
wir, gleich göttlich, wenn ihr zürnend Feuer oder mildes klares Wasser
aus dem Herzen quille, immer glücklich, wenn sie von Tautropfen sich
nähre, oder von Gewitterwolken, die sie sich zum Genusse bereite mit
Hülfe des Himmels, die immer treuer liebende Hälfte des Sonnengotts,
ursprünglich vielleicht inniger mit ihm vereint, dann aber durch ein
allwaltend Schicksal geschieden von ihm, damit sie ihn suche, sich
nähere, sich entferne und unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit
reife.
So sprachen wir. Ich gebe dir den Inhalt, den Geist davon. Aber was ist
er ohne das Leben?
Es dämmerte, und wir mußten gehen. Gute Nacht, ihr Engelsaugen! dacht
ich im Herzen, und erscheine du bald mir wieder, schöner göttlicher
Geist, mit deiner Ruhe und Fülle!
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Diotimas Auge öffnete sich
weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschließt, schloß das liebe
Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und
Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor
gestreckt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit
den Füßen die Erde.
O unter den Armen hätt ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen
Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln.
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Was ist alles, was in
Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen Einen Augenblick der
Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur!
dahin führen alle Stufen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir,
dahin gehn wir.
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Wer will die Traube nicht
lieber voll und frisch, so wie sie aus der Wurzel quoll, als die
getrockneten gepflückten Beere, die der Kaufmann in die Kiste preßt und
in die Welt schickt? Was ist die Weisheit eines Buchs gegen die Weisheit
eines Engels?
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Wir waren eine Blume nur,
und unsre Seelen lebten in einander, wie die Blume, wenn sie liebt, und
ihre zarten Freuden im verschloßnen Kelche verbirgt.
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Eh es eines von uns beeden
wußte, gehörten wir uns an.
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Unsere Seelen lebten nun
immer freier und schöner zusammen, und alles in und um uns vereinigte
sich zu goldenem Frieden. Es schien, als wäre die alte Welt gestorben
und eine neue begönne mit uns, so geistig und kräftig und liebend und
leicht war alles geworden, und wir und alle Wesen schwebten, selig
vereint, wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen, durch den
unendlichen Aether.
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Ja! eine Sonne ist der
Mensch, allsehend, allverklärend, wenn er liebt, und liebt er nicht, so
ist er eine dunkle Wohnung, wo ein rauchend Lämpchen brennt.
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Es gibt große Stunden im
Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten
der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit
ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und
verlassen uns nicht.
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Wer nur mit ganzer Seele
wirkt, irrt nie. Er bedarf des Klügelns nicht, denn keine Macht ist
wider ihn.
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Und wir? o Diotima! Diotima! wann sehn wir uns wieder?
Es ist unmöglich, und mein innerstes Leben empört sich, wenn ich denken
will, als verlören wir uns. Ich würde Jahrtausende lang die Sterne
durchwandern, in alle Formen mich kleiden, in alle Sprachen des Lebens,
um dir Einmal wieder zu begegnen. Aber ich denke, was sich gleich ist,
findet sich bald.
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O komm! in den Tiefen der
Gebirgswelt wird das Geheimnis unsers Herzens ruhn, wie das Edelgestein
im Schacht, im Schoße der himmelragenden Wälder, da wird uns sein, wie
unter den Säulen des innersten Tempels, wo die Götterlosen nicht nahn,
und wir werden sitzen am Quell, in seinem Spiegel unsre Welt betrachten,
den Himmel und Haus und Garten und uns. Oft werden wir in heiterer Nacht
im Schatten unsers Obstwalds wandeln und den Gott in uns, den liebenden,
belauschen, indes die Pflanze aus dem Mittagsschlummer ihr gesunken
Haupt erhebt und deiner Blumen stilles Leben sich erfrischt, wenn sie im
Tau die zarten Arme baden, und die Nachtluft kühlend sie umatmet und
durchdringt, und über uns blüht die Wiese des Himmels mit all ihren
funkelnden Blumen und seitwärts ahmt das Mondlicht hinter westlichem
Gewölk den Niedergang des Sonnenjünglings, wie aus Liebe schüchtern nach
- und dann des Morgens, wenn sich, wie ein Flußbett unser Tal mit warmem
Lichte füllt, und still die goldne Flut durch unsre Bäume rinnt, und
unser Haus umwallt und die lieblichen Zimmer, deine Schöpfung dir
verschönt, und du in ihrem Sonnenglanze gehst und mir den Tag in deiner
Grazie segnest, Liebe! wenn sich dann, indes wir so die Morgenwonne
feiern, der Erde geschäftig Leben, wie ein Opferbrand, vor unsern Augen
entzündet, und wir nun hingehn, um auch unser Tagwerk, um von uns auch
einen Teil in die steigende Flamme zu werfen, wirst du da nicht sagen,
wir sind glücklich, wir sind wieder, wie die alten Priester der Natur,
die heiligen und frohen, die schon fromm gewesen, eh ein Tempel stand.
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Liebes Leben! ist denn
keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich
keiner mehr zurück, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit
gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Dies
Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmut
stiller Tau vom Himmel deiner Augen.
Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseligen,
göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea
dich an?
Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der
Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab ich
noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers
ist noch unverletzt in mir. Sollt ich nun hingehn und auch dies
begraben? Soll ich ruhelos und ohne Ziel hinaus, von einer Fremde in die
andre? Hab ich darum lieben gelernt?
O nein! du Erste und du Letzte! Mein warst du, du wirst die Meine
bleiben.
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Auch wir, auch wir sind
nicht geschieden, Diotima, und die Tränen um dich verstehen es nicht.
Lebendige Töne sind wir, stimmen zusammen in deinem Wohllaut, Natur! wer
reißt den? wer mag die Liebenden scheiden? -
O Seele! Seele! Schönheit der Welt! du unzerstörbare! du entzückende!
mit deiner ewigen Jugend! du bist; was ist denn der Tod und alles Wehe
der Menschen? - Ach! viel der leeren Worte haben die Wunderlichen
gemacht. Geschiehet doch alles aus Lust, und endet doch alles mit
Frieden.
Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung
ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.
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Aus: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe. Erster Band. Carl
Hanser Verlag München 1981 (3. Auflage)