Andreas Ludwig Jeitteles (1799-1878) - Liebesgedichte

 


Andreas Ludwig Jeitteles
(1799-1878)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Der Triumph des Lieds

Zwei

 Liebende wandeln zum ersten Mal
Allein;
Deß freuen sich Himmel und Berg und Thal
Und Hain.

Der Himmel: ich geb' euch mein Kleid von Azur,
Ausrief;
"Schön Dank, wir schauen in's Auge nur
Uns tief."

Das Röslein: mein Seel', ich geb' euch zur Stund'
Den Duft;
"Schön Dank, wir hauchen uns weg vom Mund
Die Luft."

Die Birke verspricht: ich flüst're leis
Euch zu;
"Schön Dank, wir flüstern auf schön're Weis'
Als du."

Die Beere vergießt ihr Herzblut und beut
Genuß;
"Schön Dank, Frau Beere, viel mehr erfreut
Ein Kuß."

Der Vogel entlockt ein rührend Lied
Der Brust:
O Lied, dir horchet ein liebend Gemüth
Mit Lust! (S. 3-4)
_____



Du weißt nicht wie

Dein Sinnen was kann's dir frommen?
Das Schicksal bezwingst du nie!
So Freuden wie Leiden kommen,
Sie kommen, du weißt nicht wie.

Im Busen die stärksten Triebe
Gar heimlich erwachen sie;
Es schleicht sich in's Herz die Liebe,
Die Liebe, du weißt nicht wie.

Dich wecken die Waldeslieder
Voll süßester Melodie:
Der Frühling, er stieg hernieder,
Hernieder, du weißt nicht wie.

Vergebens dein emsig Spähen,
Wenn Gott nicht den Arm dir lieh;
Gedanken und Blitz entstehen,
Entstehen, du weißt nicht wie.

Vorüber die Wonnestunden,
Es zittert, es wankt das Knie;
Die Liebe, das Glück verschwunden,
Verschwunden, du weißt nicht wie. (S. 33-34)
_____



Jedem das Seine
(In Musik gesetzt von Ignaz Lachner
und von Gottfried Preyer)

Sprichst du zum Vogel: komm in mein Haus,
Wird er dir sagen: mich treibt's hinaus,
Zu baden im Äther die tönende Brust,
Zu singen die Lieder, die Lieder der Lust;
Nein, nein,
Ohne Freiheit für mich nur Pein!

Sprichst du zur Blume: laß' ab vom Licht,
Wird sie dir sagen: das kann ich nicht;
Muß saugen die Strahlen bis tief in den Schoß,
Sie färben mich lieblich, sie ziehen mich groß;
Nein, nein,
Ohne Sonne für mich nur Pein!

Sprichst du zum Herzen: sei kalt wie Eis,
Wird es dir sagen: um keinen Preis;
Die Lieb' ist mein höchstes, mein heiligstes Gut,
Treibt rascher das Blut und beflügelt den Muth;
Nein, nein,
Ohne Liebe für mich nur Pein! (S. 53-54)
_____



Mit einem Kranze

Ihr Blumen, die geboren hat ein Küssen
Des Himmels und der Erde,
Sagt an, was jede von euch sprechen werde,
Wenn ihr die theure Freundin kommt zu grüßen!

"Ich Rosenblume will ihr leis vertrauen,
Daß ich von glüh'nden Trieben
Ein Zeichen bin, und wie's so süß zu lieben,
Und was man sonst noch spricht zu schönen Frauen!"

"Ich still bescheid'nes Veilchen auf den Auen:
Seit dich die Welt geboren,
Hab' ich gar viel an meinem Werth verloren,
Und was man sonst noch spricht zu zarten Frauen!"

"Ich Lilie: Laß' nimmermehr dir grauen
Vor deiner Zukunft Tagen;
Wer reines Herzens ist, darf nicht verzagen,
Und was man sonst noch spricht zu edlen Frauen!"

"Blauäugiges Vergißmeinnicht wird schauen
In's Aug' ihr, in das blaue;
Dann glänzen beide sanft im Thränenthaue,
Denn Thrän' ist Wort bei Blumen wie bei Frauen!"

Und werdet ihr auch holden Lohn erwerben
Für solch ein holdes Flüstern?
"Wir schmiegen uns an ihren Busen lüstern
Und tauschen Duft um Duft, und sterben - sterben." - (S. 55-56)
_____



Herz liegt gefangen

Herz liegt gefangen,
Herz liegt in Ketten;
Wie vor den bangen
Leiden mich retten?

Lieb' ist verderblich,
Klag' ich den Winden:
Lieb' ist unsterblich,
Hör' ich verkünden.

Kämpfen und Ringen,
Ringen und Kämpfen
Kann sie nicht zwingen,
Kann sie nicht dämpfen.

Auge, mein Auge
Sende die Fluthen;
Wasser, so sauge,
Sauge die Gluthen!

Ach ob es wasche,
Stromweis entsunken,
Unter der Asche
Glimmen die Funken.

Ach ob es kühle,
Stromweis entflossen,
Schmerzensgefühle
Wüthen verschlossen.

Herz liegt gefangen
Herz liegt in Ketten;
Wie vor den bangen
Leiden mich retten? (S. 56-57)
_____



Der Traum ein Zeichner

Vortrefflich zeichnen kann der Traum,
Das konnt' ich heute sehen;
Ich sah im Traum an einem Baum
Dich schelmisch prüfend stehen.

Das allerschönste Blüthchen just
Von seinen Zweigen brachst du;
Du stecktest es an deine Brust,
Die falsche Brust, dann sprachst du:

"Komm, Kind des Frühlings, edle Zier,
Du schönster Schmuck auf Erden;
Wozu doch, Blüthen, duftet ihr,
Als um gepflückt zu werden?

Du sollst mir, bin ich Morgens wach,
Die träge Zeit verkürzen
Und sollst mir Nachts im Schlafgemach
Die Luft erfreulich würzen."

Du machst es ja gerade so
Mit armen Männerherzen;
Du brichst sie, dann erklärst du froh:
Mit Herzen muß man scherzen. (S. 57)
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Laß' deinen Sinn erweichen

Laß' deinen Sinn erweichen,
Gib mir ein tröstend Zeichen,
Daß du mein Flehen mild erhören willst!
Niemals von ihren Wunden
Wird meine Brust gesunden,
Wenn du sie nicht durch linden Balsam stillst.

O wolle still erwägen:
In deiner Hand gelegen
Ist einer Seele ganzes Erdenglück;
Nichts fordr' ich als den Frieden,
Der einst mir war beschieden,
Ich fordre schüchtern ihn von dir zurück!

Aus weiter, weiter Ferne
Verkünden es die Sterne,
Wozu der Athem Gottes uns erschuf:
Ein Herz dem andern geben,
Beglückt in Liebe leben
Ist einzig menschenwürdiger Beruf! (S. 58-59)
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Frühlingstraum

Ich hielt sie glühend heiß umfangen,
Sie sprach kein Wort, sie wehrt' es kaum;
Auf Lippen küßt' ich sie und Wangen,
Doch leider war es nur ein Traum.

Als ich hinaustrat in den Garten,
Unendlich Sehnen im Gemüth:
Wie waren über Nacht die zarten
Maiblümchen rasch emporgeblüht!

Ist mir's ein Wink, daß aus der Hülle,
Die jetzt noch es verbirgt, mein Glück
Bald sich entfalten wird in Fülle?
Kehrt mir der Friede bald zurück?

Natur und Menschenherz verstehen
Einander allzeit wunderbar:
Sie reicht in unsern tiefsten Wehen
Den Balsam uns der Hoffnung dar. (S. 59)
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Anliegen

Laß' mich dir ein Wörtchen sagen
Leise, leise nur in's Ohr;
Darf ich's, Mädchen, darf ich's wagen?
Nur mit Zittern, nur mit Zagen
Brächt' ich's, Holde, sonst hervor.

Allerdings sind wir alleine,
Wer vernähme diesen Laut?
Aber, allerliebste Kleine,
Was ich fühle, was ich meine,
Wird nicht gern der Luft vertraut.

Denn die Luft schon unausbleiblich
Trüg' es in die Weite fort;
Schon die Luft ist mir zu leiblich
Greifbar für das unbeschreiblich,
Unverkündbar zarte Wort.

Mein lebendigster Gedanke
Werd' in's Ohr nur dir geweht:
Unvermittelt, ohne Schranke,
Bis zu deiner Seele ranke
Meine sich im Bittgebet.

In das Ohr nur leise, leise
Laß' mich hauchen meinen Schmerz,
Daß auf diesem Liebesgleise
Rascher mein Verlangen reise
Von dem Herzen in das Herz! (S. 59-60)
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Im Frühling

Sieh, wie das Leben sich in Fülle
Nach langer Nacht zum Lichte drängt,
Wie dort, befreit von ihrer Hülle,
Die Rose leis' erröthend hängt;

Wie Zweig und Zweig begehrlich flüstern,
Der Schmetterling im Strahl sich wiegt,
Wie Welle sich an Welle lüstern,
Wie Blume sich an Blume schmiegt!

Fürwahr, der Frühling ist ein Schmachten,
Ein wogend Meer von Glücksgenuß,
Ein bräutlich süßes Weltbetrachten,
Ein Liebesblick, ein Flammenkuß.

O gib auch du dich mir zu eigen;
Nein, länger widerstrebst du nicht!
Beredter ist dein holdes Schweigen
Als Alles, was die Lippe spricht.

Der Frühling ist die Zeit der Ernte
Für unsers Herzens stille Saat:
Wer nicht im Frühling lieben lernte,
Übt an dem Schöpfer selbst Verrath. (S. 60-61)
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Erhörung

So halt' ich wirklich dich umfangen?
Es ist kein Bild, vom Traum gemalt?
Ich darf sie küssen, diese Wangen,
Wo siegsgewiß die Schönheit strahlt?

Ich darf dich an den Busen pressen,
Ich darf in deinem Zauberarm
Auf Alles um mich her vergessen,
Auf alle Lust und allen Harm?

O unaussprechlich süße Stunde,
Wenn Seel' in Seele sich ergießt,
Wenn endlich von dem theuern Munde
Das Jawort reiner Liebe fließt;

Wenn wilderregt die Pulse klopfen,
Das Herz vor Sehnsucht steigt und schwillt,
Wenn von dem Aug' in heißen Tropfen
Die Thräne des Verlangens quillt!

Laß' diese Thräne rasch mich trinken,
Eh' neidisch sie der Wind verweht;
Laß', Göttliche, mich niedersinken
Vor dir im stillen Dankgebet!

Vorfühl' ich schon ein künftig Leben,
Schon bin ich himmlisch hoch beglückt;
Was kann das Paradies mir geben,
Das mehr beseligt, mehr entzückt? (S. 61-62)
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Verwandlung

Wie schien mir das Leben so nichtig und schal,
Das Antlitz der Erde so düster, so fahl,
Da traf mich der Liebe gewaltiger Strahl,
Nun glänzt mir der Berg und nun lacht mir das Thal.

Wie war ich dem schwindelnden Abgrund so nah',
Ich taumelt' und wußte nicht, wie mir geschah;
Erst seit ich in's Auge dir, Himmlische, sah,
Ist Freud' und ist Fried' und ist Seligkeit da.

Nicht immer fürwahr ist die Tugend beglückt,
Doch leicht wird das Glück mit der Tugend geschmückt:
Erst seit ich an's Herz dich, mein Engel, gedrückt,
Bin allen Gefahren der Welt ich entrückt.

Bei dir, nur bei dir bin ich sicher in Huth;
Wenn du mich verlässest, verläßt mich mein Muth;
Du rettende Gottheit, du Seele voll Gluth,
Nimm hin, was ich habe, mein Gut und mein Blut!
(S. 62)
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Politik des Schweigens

Kein Ton, kein Hauch, kein Blick verrathe
Der argen Welt, mein himmlisch Kind,
Daß Amor uns beglückend nahte,
Daß wir durch Schwur verbunden sind.

Wenn Andre sich im Tanze drehen,
Als triebe sie der Wirbelwind,
Wir wollen schweigend seitwärts stehen;
Hörst du, mein angebetet Kind?

Und wär' es nur beim Spiel mit Pfändern
Ein Druck der Hände leis' und lind:
Laß' uns den Schein von Frost nicht ändern;
Hörst du, mein angebetet Kind?

Begegnet Eins etwa dem Andern
Auf off'ner Straße, laß' geschwind
Uns zwei verschied'ne Wege wandern;
Hörst du, mein angebetet Kind?

Daß wir im Kampf nicht unterliegen,
Gab uns ein Gott zum Angebind'
Den schlauen Sinn: drum sei verschwiegen;
Hörst du, mein angebetet Kind?

Kein Ton, kein Hauch, keine Blick verrathe
Der argen Welt, mein himmlisch Kind,
Daß Amor uns beglückend nahte,
Daß wir durch Schwur verbunden sind.
(S. 62-63)
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Sprechen oder Küssen?

Er
Es ist mein Herz von Zweifeln voll,
Die mich betrüben müssen:
Ich weiß nicht, was ich wünschen soll,
Dein Sprechen oder dein Küssen?

Das kleinste Wörtchen, das du sprichst,
Es klingt wie Engelsgrüßen:
Doch wenn du, Schatz, dein Schweigen brichst,
So kannst du leider nicht küssen.

Wie kann dein feurig Küssen mir
Den herbsten Schmerz versüßen!
Doch fehlt, Geliebte, wieder dir
Der Sprache Zauber beim Küssen.

Wer sagt mir, wen ich missen soll
Von zweien Hochgenüssen?
O lehrte dich der Gott Apoll
Die Kunst, mich sprechend zu küssen!

Sie
Wie du so kalt vernünfteln kannst,
Ich weiß es kaum zu fassen;
Erst wenn die Kälte du verbannst,
Wird auch der Zweifel dich lassen.

Wir sind ein andrer Menschenschlag,
Wir Mädchen fühlen wärmer:
Was auch dein Wort verkünden mag,
An Freude macht es mich ärmer.

Ach träge schleicht ein Redefluß
Durch lieber Lippen Pforte;
Der beste Redner ist ein Kuß,
Was noch bedarf es der Worte?

O Kuß, du heißest wohl mit Grund
Ein Trauring zweier Seelen:
Wer kann wie du zu festem Bund
Das Herz dem Herzen vermählen?
(S. 63-64)
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Des Mädchens Klage

Über die Berge fliehen
Morgens die Wolken, als hätten sie Schwingen;
O wie sie weiter ziehen,
Ohne mir Kunde von ihm zu bringen!

Abendlich kühle Winde
Streifen das Fenster und sausen von dannen,
Ohne mir armen Kinde
Fort aus dem Herzen das Weh zu bannen! -

Wie arm bist du, Natur, daß du zur Wolke sagen
Nicht kannst: "Verweil' und erzähle!"
Zum Winde nicht: "Verweil' und stille sanft die Klagen,
Die Pein der liebenden Seele!"

Wenn sich der Himmel röthet,
Flamme nach Flamme bricht aus dem Gemache,
Welche verheert und tödtet,
Springen die Funken von Dach zu Dache.

Wie arm bist du, Natur, daß du vom Liebesfeuer
Nicht einen Funken kannst springen
Und dringen lassen aus der Seele, die uns theuer,
Um in die unsre zu dringen! -
(S. 64-65)
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Mädchen und Knospe

Mein zartes Knöspchen, du dauerst mich!
Du blinzelst in die Welt so sacht,
So scheu und sacht,
Weil stachlig rauh und ängstlich dich
Dein böser Vormund Kelch bewacht.

"Jetzt blick' ich furchtsam noch, allerdings;
Doch warte, bis ich Blume bin,
Ich Blume bin,
Dann schau' ich rechts, dann schau' ich links
Nach Freiern ungezwungen hin.

Mir fehle, denkst du dir, Kind, vielleicht,
Der Liebe Vorgefühl? O nein,
Mein Schätzelein, nein!
Weißt du's doch selbst, die Diebin schleicht
Sich schon in Knospenherzen ein."
(S. 65)
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Der Astrolog

Ja, ich bin ein Astrolog,
Warum soll ich es verschweigen,
Den es zieht und immer zog
Zu der Sterne munt'rem Reigen.

In den Sternen, glaub' es fest,
Steht des Menschen Los geschrieben;
Segen mir, daß doch ein Rest
Alter Kunst mir treu verblieben!

Wer geschickt zu deuten weiß
Der Gestirne Glanz und Stellung,
Plötzlich ohne Müh' und Schweiß
Wird ihm Aufschluß und Erhellung.

Ahnst du wohl, geliebtes Kind,
Ernsten Sinn im Räthesspiele?
Deine lieben Augen sind
Das Gestirn, worauf ich ziele.

Langgewohnt aus deinem Blick
Wonne mir und Pein zu saugen,
Les' ich ängstlich mein Geschick
Tag für Tag in deinen Augen.
(S. 66)
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Briefwechsel

Er
Wo nicht hinkommt Sonnenschein, -
Pflegt zu sagen man gemeinhin, -
Dorten kommt des Arztes Kunst
Und der Arzeneien Pein hin.

Dieses Wortes tiefen Sinn
Hab' ich schmerzlich durchempfunden,
Seit mir deiner Augen Glanz
Ganz ist aus dem Aug' entschwunden.

Meines Lebens Sonne du,
Die ich nimmer kann entbehren,
Weil ich sonst in Qualen mich
Ohne Zahl muß bang verzehren:

Wolle wieder dich mir nah'n,
Lichtverbreitend, wärmegebend,
Neubelebend all' mein Blut,
Den gesunk'nen Muth erhebend!

Arzt und Arzeneien nicht
Können mich vom Leid befreien;
Sie zu dreien bringst du mit:
Sonn' und Arzt und Arzeneien!


Sie
Zeigt die Sonne sich im Osten,
Öffnet man die Fensterlädchen:
Willst der Liebe Glück du kosten,
Öffne sich dein Herz dem Mädchen.

Sonne will im Zimmer sehen
Jedes Winkelchen und Eckchen:
Mädchen will das Herz durchspähen
Bis auf's allerkleinste Fleckchen.

Was du frisch nicht weggenießest,
Wird dir, eh du's ahnst, entschwinden;
Wenn du finster dich verschließest,
Ei wie soll das Glück dich finden?

Kranke müssen sich dem Willen
Ihres Arztes lenksam zeigen;
Sau're Tränke, bitt're Pillen
Schlucken sie mit ernsten Schweigen.

Wirst du deiner Freundin grollen,
Weil sie schriftlich schmollt und mündlich?
Wisse: wenn wir Mädchen schmollen,
Lieben wir euch just recht gründlich.
(S. 66-68)
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Mündlich

Himmlisch zart sind deine Briefe,
Süßes Leben, holde Lust,
Denn sie kommen aus der Tiefe
Deiner unschuldvollen Brust.

Doch, warum zu necken liebst du
Mich nach Mädchenart so sehr?
Morgen, mein Geliebter, schriebst du,
Morgen sag' ich mündlich mehr.

Wisse, theures Kind, daß gründlich
Feind ich bin gemeinem Brauch;
Küssen, Engel, sollst du mündlich:
Mündlich spricht ein Andrer auch.
(S. 68)
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Stelldichein

"Am Wiesenrain, am Wiesenrain,
In meines Vaters Garten,
Werd' ich zur Schäferstunde dein,
Du guter Junge, warten!"
Sie ruft's und sieht so hold mich an,
So hold mich an,
Herz, Herz, was hat man dir gethan?

Der Argwohn schnarcht, die Wanduhr summt,
Hilf, Himmel, mir entwischen!
Das Pförtchen knarrt, der Haushund brummt,
Im Trüben ist gut fischen;
Husch schleich' ich an den Bäumen hin,
Den Bäumen hin,
Der Schäfer zu der Schäferin.

Mein Lenz! Mein Licht! Mein Heil! Mein Schmuck!
Mein Leben! Meine Sonne!
Zum Druck vom Wort, zum Kuß vom Druck,
Von da zu neuer Wonne;
Und schwänden nicht die Sterne dort,
Die Sterne dort,
Die Liebe, sie triebe, - ja wahrlich, sie trieb' es
noch lange so fort!
(S. 68-69)
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Unter sechs Augen

Knabe
Nicht wahr,
Wenn es anfängt zu dunkeln,
Am Himmel die Sterne funkeln,
Dann hat's nicht Gefahr:
Dann lässest du mich ein
In dein Kämmerlein?

Mädchen
Ja, wenn ich wüßte -

Knabe
Was denn, mein herzigs Kind?

Mädchen
Doch nein!
Wie die Menschen sind
Mit ihrem Gelüste
Zu schwatzen, zu schaden:
Ich käm' in's Geschrei.

Knabe
Wir werden sie nicht erst laden;
Es ist ja Niemand dabei
Als wir drei.

Mädchen
Gar drei? Wie ginge das zu?

Knabe
Nun, Amor, ich und du. (S. 69-70)
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Schilt mir die Nacht nicht!

Schilt mir die Nacht nicht! - Ist sie nicht des Schönen
Getreue Freundin, ernste Pflegerin?
Die Lieder der Gesangskönigin,
Der holden Nachtigall, wie lieblich tönen
Sie in der Nacht durch's Waldesdickicht hin!

Schilt mir die Nacht nicht! - Manches zarte Köpfchen
Von einem allerliebsten Blumenkind
Erhebt, geweckt von seinem Buhlen Wind,
Sich aus den Beeten so wie aus den Töpfchen
Nur in der Nacht und duftet süß und lind.

Und eine Wunderblume, farbenprächtig -
Ein jeder Hauch von ihr ist Melodie -
Erblüht zur Nachtzeit; missen möcht' ich nie
Das edle Gut um Schlösser, groß und mächtig,
Es ist die Wunderblume Phantasie.

Schilt mir die Nacht nicht! - Mahnen deine Locken,
Und mahnt uns deiner Augenwimpern Kranz,
Ja deiner Augen so tiefdunkler Glanz,
Daß Jedem, den er trifft, die Sinne stocken,
Nicht an die schwärzeste der Nächte ganz?

Schilt mir die Nacht nicht! - O wie fest umschließt mich,
Wie gluthvoll fest zur Nacht dein treuer Arm!
Wie schlägt dein Herz an meinem Nachts so warm!
Und welches Meer von Freude Nachts ergießt sich
Auf mich, der ich am Tag so freudenarm!

Schilt mir die Nacht nicht! - Sieh', von Sonnenfunken
Die Krone, die der Tag um's Haupt sich flicht,
Was ist sie als ein täuschendes Gedicht,
Da deine Gluth auch Nachts nicht ist versunken? -
Nein, meine Sonne, schilt die Nacht mir nicht!
(S. 70-71)
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Mädchen, willst mich küssen?
(Im Volkston)

"Mädchen, ich bin dir gut!
Mädchen, willst mich küssen?
Ich schenke dir einen Federhut;
Oder willst du lieber von Seid'
Ein blaues, himmelblaues Kleid?
Ich leg' es dir zu Füßen."
Mädchen schaut ihn zornig an;
Hat er ihr was zu Leid gethan?
Mädchen will nicht küssen.

"Mädchen, ich bin dir gut!
Mädchen, willst mich küssen?
Zu Haus in meinem Kasten ruht
Manch blanker Thaler, manch Edelgestein,
Es soll für immer dein eigen sein,
Ich leg' es dir zu Füßen."
Mädchen schaut ihn zornig an;
Hat er ihr was zu Leid gethan?
Mädchen will nicht küssen.

"Mädchen, ich bin dir gut!
Mädchen, willst mich küssen?
O sei mir gut, sei wohlgemuth:
Sollst werden mein herzliebstes Weib,
Mir gefällt dein schöner, schlanker Leib,
Ich lege mich dir zu Füßen!"
Mädchen schaut ihn freundlich an;
Hat er ihr was zu Lieb' gethan?
Mädchen will schon küssen.
(S. 71-72)
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Kuß, Genuß, Verdruß

Zwischen Kuß und zwischen Kuß
Unterscheid' ich billig:
Jenen geb' ich, weil ich muß,
Diesen nur gar zu willig.

"Guten Tag, Frau Schwägerin!
Guten Tag, Frau Base!"
Gleich berührt sich Kinn und Kinn,
Nase berührt die Nase.

Ist's doch eine wahre Last,
So sich zu begrüßen;
Wahrlich sie erdrücken fast
Einen vor lauter Küssen.

Ach wie anders, wenn der Mund
Hängt an süßem Munde!
Gern in Küssen gibt sich kund
Liebe zu jeder Stunde.

Sage nur, wie kannst du, Kuß,
Lust und Leid uns bringen;
Mit Genuß und mit Verdruß
Sonderbar dich verschlingen?
(S. 72)
_____



Privatcollegium

Du fragst mich, was die Liebe sei?
Laß mich's gestehen frank und frei:
Ich weiß es selbst nicht zu sagen.
In jenen glücklichen Tagen,
Da sich das Herz, noch völlig unbewußt
Der ächten Trauer wie der ächten Lust,
Mit einemmal entfaltet,
Gleich diesem Röschen hier an deiner Brust,
Und Amor nun sein Herrscheramt verwaltet,
Wird uns so wunderlich zu Muth,
Wir möchten die ganze Welt umspannen;
Und begegnen wir einem hübschen jungen Blut,
So laufen wir tölpelhaft von dannen.
Doch Amor ist ein schlauer Wecker,
Man wird von Tag zu Tage kecker:
Die Flamme leuchtet vom Gesicht,
Es schweigt der Mund, das Auge spricht;
Man fängt einander sich zu nähern an,
Ungefähr so, wie wir Beide gethan;
Man drückt sich die Hand - schon das ist Genuß! -
Man umfaßt sich mit süßem Erbeben;
Und hat man nur erst einen Kuß,
Das Übrige muß sich geben - -
Ich meine die Ehepakten. -
Doch so was läßt sich nicht demonstriren;
Wozu das Theoretisiren?
Komm, küsse mich geschwind,
Ich bin kein Freund des Abstrakten;
In der Liebe, mein schönes Kind,
Sind wir Alle nur Autodidakten.
(S. 73)
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Von den freien Künsten die achte

Willst du wieder mich erschrecken?
Frage doch nicht stets nach Zwecken,
Amor weiß von keinem Zweck;
Grübeln kann er sehr verübeln,
Denn mit launenhaftem Grübeln
Kommt man leider nicht vom Fleck.

Freier Künste sind nur sieben,
Steht in Büchern zwar geschrieben,
Doch den Büchern fehlt Vernunft;
Glaube du dem frischen Leben,
Bessern Aufschluß wird es geben
Als der Philosophen Zunft.

Die, mit keinem Zwang beladen,
Alles dankt des Himmels Gnaden,
Heißt mit Recht die freie Kunst;
Solche Kunst ist auch das Küssen:
Nur ein Wollen ist's, kein Müssen,
Und ich dank' es deiner Gunst!
(S. 74)
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Amor als Homöopath

"Wer sein Leben will verlängern,
Nicht verkrüppeln will zum Zwergen,
Muß mit Lebenslust sich schwängern,
Wie sie weht auf hohen Bergen,

Vor dem Wind und vor dem Wetter
Muß dich Wind und Wetter schützen:
Wand're, wenn vom Baum die Blätter
Fallen und vom Kopf die Mützen.

Kannst du Kälte nicht ertragen,
Stürze dich in's kalte Wasser,
Und es wird in wenig Tagen
Ein Bewund'rer aus dem Hasser.

Nur durch Übung wird man stärker,
Nur durch Trägheit wird man schwächer;
Freund! ein Zimmer ist ein Kerker,
Die Natur ein Freudenbecher.

Soll der Jüngling einst auf Erden
Zu den Auserkor'nen zählen,
Darf er nicht verweichlicht werden,
Muß die Kraft beizeiten stählen.

So verkehr' auch viel mit Mädchen,
Rührig wie die kleinen Fischchen,
Ob sie spinnen an dem Rädchen
Oder nähen an dem Tischchen;

Ob sie sitzen bei den Tasten,
Bei dem Buch mit gold'nen Rändern
Oder von der Arbeit rasten,
Spielend mit geliebten Pfändern.

Ist vielleicht dein Herz entzündlich,
Allzurasch und heftig brennbar:
So nur kannst du's heilen gründlich,
Andre leiden oft unnennbar."

Amor sprach's, der lose Junge,
Der so viel schon hat gesündigt,
Und ich that, was seine Zunge
Mir als Arzenei verkündigt.

Dumpfem Bücherkram entwischt' ich,
Schüttelte den Staub herunter,
Unter hübsche Kinder mischt' ich
Ganz geschmeidig mich und munter.

Aber ach! das Mittel machte
Nur das Herzensübel schlimmer;
Statt zu löschen, schürt' und fachte
Grausam es die Gluth für immer.

Ehedem ein einzig Feuer
Hatt' ich in der Brust zu kühlen,
Jetzo wogt ein ungeheuer
Meer darin von Schmerzgefühlen.

Welche freundliche Gestalten,
Schalkhaft nach den Männern blickend,
Gleich dämonischen Gewalten
Magisch unsern Sinn bestrickend;

Durch Entfaltung ihres Reizes
Liebreich jeden Wunsch erfüllend,
Nicht ob allzustrengen Geizes
Dies und das in Tücher hüllend!

Jene Blonde mit dem Nacken,
Weiß, wie frischgefall'ne Flocken,
Fischt nach mir mit Angelhaken,
Sucht mich in ihr Netz zu locken.

Dieser Braunen mit den Augen,
Feuriger als Lavagluthen,
Würd' ich zum Geliebten taugen,
Also muß ich wohl vermuthen.

Hier die Große, dort die Kleine
Schießt mit Pfeilen, sengt mit Flammen;
Und ich möchte nicht nur Eine
Sondern Alle gleich zusammen. -

Nein, du Gott der schlau'sten Lügen,
Aller Charlatane Meister,
Der du schnöde zu betrügen
Liebst uns arme Menschengeister:

Anderswo mag Übung frommen
Und ein Kampf mit Fährlichkeiten;
Immer wird zu Schaden kommen,
Wer versucht mit dir zu streiten.

Wind und Wetter, Frost und Hitze
Lernen wir am End' ertragen:
Vor des Weiberauges Blitze
Schützt am besten das Entsagen.
(S. 74-77)
_____



Amor auf einem Trinkglase

O welch ein Bündniß schlimmster Art!
Ist's nicht genug an einem Gotte?
Mit Bacchus Amor hier gepaart,
Als ob der Trinkerzunft man spotte.

Auf dem Pokal, verziert mit Gold,
Drin der Burgunder perlt und schäumet,
Kupidos Bild, zum Küssen hold,
Von Rosen und Jasmin umsäumet!

Das heiß' ich doch bescheiden sein:
Sie schlossen fest sich an einander,
Weil Jeder denkt, er wirk' allein
Nicht so gefährlich wie selbander.

Nun stürmen sie mit kühner Hand
Gemeinsam los auf Menschenseelen:
Der Eine raubt uns den Verstand,
Der Andre weiß das Herz zu stehlen.

Nicht rasten wollen sie, nicht ruh'n,
Bis ganz und gar wir unterlagen;
Nun denn, so sei's! was Götter thun,
In Demuth soll der Mensch es tragen!
(S. 77)
_____



Das Gleichniß hinkt

Den mächtigsten aller Triebe
Vergleichst du dem Element?
Ein Feuer nennst du die Liebe,
Das heimlich im Herzen brennt?

O Mädchen, mir ewig theuer,
Das hast du nicht wohl erkannt:
Denn wäre die Lieb' ein Feuer,
Ich hätte mich längst verbrannt!
(S. 78)
_____



Das Unvergleichliche

Wenn's deine Schönheit, Engel, gilt zu preisen,
Dann bin ich um ein Gleichniß nie verlegen;
Dann bin ich muthig, tapfer, kühn, verwegen,
Dann dünk' ich mich den größesten der Weisen.

Dann schreit' ich nicht in ausgetret'nen Gleisen,
Ich wandl' in ungewohnten Sprachgehegen;
Im Busen pocht's mit hörbar starken Schlägen,
Und rascher fühl' ich's in den Adern kreisen.

Des Halses Weiß beneiden Silberschwäne,
Wie Perl' an Perle reihen sich die Zähne,
Das Aug' ist Blitzstrahl, welcher trifft und zündet:

Ein solches Lob, bei dir ist's wohlbegründet;
Doch meine Sprach' ist arm, dein Herz zu schmücken;
So bleib' es namenlos wie mein Entzücken!
(S. 95)
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Der Liebende weckt

Du liegst noch gefesselt an Sinnen, mein Kind,
Und Licht wird's von außen und innen, mein Kind?
Das Antlitz der Erde schon lacht es verjüngt,
Die nächtlichen Schatten zerrinnen, mein Kind;
Schon wandelt die feurige Kugel und glänzt
Herab von den himmlischen Zinnen, mein Kind;
Sieh! wie sich die Fäden, gewoben aus Gold,
Um Wand und um Decke schon spinnen, mein Kind;
Wir wollen des Tages beschwerliches Werk
In würdiger Weise beginnen, mein Kind!
"Mit Küssen, du Schelm?" Nun, wie anders? Ein Kuß
Läßt leichter das Glück uns gewinnen, mein Kind:
Er feit uns für's Leben; wir spüren kein Weh,
Es fliehen die Sorgen von hinnen, mein Kind!
(S. 123)
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Die Liebe sieht

Wohl weiß ich, was man von der Liebe spricht:
Die Liebe sieht mit off'nen Augen nicht,
Die Lieb' ist blind, so hört' ich oft schon sagen; -
Ein schales Wort! - Wer dieses Wort ersann,
Gewiß, er war ein liebeleerer Mann,
Gar schwer mit Blindheit war er selbst geschlagen.

Die Liebe sieht, ja nur die Liebe sieht! -
Wenn's zu der Freundin dich, dem Freunde zieht
Mit unbezwingbar mächtigem Verlangen:
Dir wird alsbald Geheimstes offenbar,
Verborgenstes enthüllt, du liesest klar
Die Räthselschrift auf Stirn' und Mund und Wangen.

Denn eines Menschen Antlitz ist ein Blatt
Voll dunkler Züge; nur wer liebt, der hat
Den Schlüssel zum Verständniß dieser Züge;
Schon eine leise Regung um den Mund,
Wie macht sie dir der Seele Tiefen kund,
Wo keine Täuschung wohnt und keine Lüge! -

Aus fernen Landen kehrt ein Wand'rer heim;
Vor Jahren schied er; ach! so mancher Keim
Erwuchs indeß zum blütenreichen Baume!
Will ihn kein Aug' erkennen, das ihn sah? -
Die Lieb' erkennt ihn: blieb er ihr doch nah,
Ob auch entfernt, im Wachen wie im Traume! -

Und wenn Bedrängniß dir den Athem kürzt,
Dein Schicksal enger stets den Knoten schürzt,
Die Sorge dich verstört, der Zweifel peinigt:
Du bist zu stolz, dein Elend auszuschrei'n:
Allein die Liebe sieht des Busens Pein,
Es ist ihr Hauch, der ihn von Schlacken reinigt.

Die Liebe sieht, sie sieht zu Gott empor!
Weit aufgethan ist ihr des Himmels Thor,
Ihr Glaube wächst, ihr Muth wird kühn und kühner;
Abwälzt sie der Gemeinheit schweren Druck,
Die Erde prangt im Paradiesesschmuck,
Und blauer wird das Blau, das Grün wird grüner.

Scharfsichtig ist die Liebe gleich dem Aar;
Nichts Arges ahnst du: dennoch droht Gefahr,
Wer anders half dir als der Liebe Warnung?
Geschah's nicht schon, daß dich ein Feind umschlich;
Du sahst ihn nicht, die Liebe sah für dich
Und riß dich los aus teuflischer Umgarnung?

Fürwahr, der Liebe Blick ist adlerscharf! -
Kein Wesen gibt's, das die Natur verwarf,
Und nimmer fehlt dem Häßlichen das Schöne:
Die Lieb' entdeckt's und klammert sich daran; -
Ha! schwatzt der Unverstand, was für ein Wahn! -
O daß sie dieses Wahns sich nie entwöhne!

Was Wunder auch? - Ein himmlisch Auge schaut
Auf den hernieder, der ihm fromm vertraut,
Es ist ein liebend Aug', ein Vaterauge;
Und fühlt ein Mensch der Liebe Lust und Qual,
Dann trifft sein Aug' ein Gottesaugenstrahl,
Daß es die Kraft zum Sehen in sich sauge.

Ja, schenk' uns allerwege deine Gunst,
Des Glückes Güter ohne dich sind Dunst,
So rufen wir zu dir, o Liebe, flehend;
Und unser Aug' erhalte frisch und frei,
Daß es zu jeder Stunde sehend sei,
Denn blind ist, wer nicht liebt; nur Lieb' ist sehend!
(S. 195-197)
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Zwei Locken

Zwei Locken sind mein köstlich Eigenthum,
Ich halte sorglich sie verwahrt im Schrein;
Dem Helden ist so theuer nicht sein Ruhm,
So werth der Fürstin nicht ihr Glanzgestein,
Als mir von grauem und von blondem Haar
Dies unscheinbare, kleine Lockenpaar.

Die graue Locke schnitt ich trauernd ab
Von meiner Mutter ewig theuerm Haupt,
Als sie den Scheidekuß gerührt mir gab,
Bevor der Tod auf immer sie geraubt! -
Der Tod! - Ihr wißt wohl Alle, was es heißt,
Wenn er die Mutter uns vom Herzen reißt.

Die blonde Locke war des Mädchens Zier,
Das einst mir Liebe, treue Liebe schwor; -
Die Seligkeit des Himmels schien in ihr
Sich zu verkörpern! - War ich nicht ein Thor
Zu glauben, daß dem menschlichen Gemüth
Des Glückes Rose frei vom Wandel blüht?

Noch denk' ich's! - Warmer Sommerabend war's! -
Die Sänger in den Hainen ruhten schon;
Nimm, sprach sie, nimm die Locke meines Haars,
Und einer Thräne glich ihr weicher Ton; -
O weile, weile Bild! - Nein, nein, flieh' hin! -
Ach schmerzlich ist dein Bleiben wie dein Flieh'n!

Wenn mich unedle Regung fassen will,
Die graue Locke nehm' ich schnell zur Hand;
Das mahnende Juwel betracht' ich still,
Das mild sich um der Edlen Schläfe wand:
Da wird mit einmal mir das Auge naß,
Die Liebe siegt, es weicht so Zorn wie Haß.

Die blonde Locke lehrt entsagen mich
Und nie vertrauen auf die Gunst des Glücks;
Zwar stets verwundend ist des Leidens Stich
Und bitter stets die Falschheit des Geschicks:
Doch steh' ich ihm gewappnet wie ein Mann;
Was gäb' es, das ein Herz nicht tragen kann? -
(S. 197-198)
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Trennung

Sprich, wozu die schöngeschmückten
Gaben mir, die du gesendet,
Nun du von dem einst Beglückten
Fremd und kalt dich weggewendet?

Nimm zurück die Liebespfänder:
Liegt die Liebe doch begraben!
Nicht die Gaben, nur den Spender
Ehren wir in seinen Gaben.

Fürchte nicht, daß meine Klagen,
Meine Seufzer dich umwehen!
Schwerstes lernt' ich ruhig tragen,
Härtestes gefaßt bestehen.

Der erfüllten Sehnsucht Thränen
Mögen wohl ein Auge zieren:
Doch im ungestillten Sehnen
Soll der Mann sich nicht verlieren.

Durch sein Streben, Wirken, Handeln,
Ob das Herz auch blutend litte,
Fluch in Segen zu verwandeln:
Das ist Mannes Art und Sitte.

Sei's! - dein falsches Bild zerstör' ich,
Aus Zerstörung blüht Erneuung;
Wieder mir allein gehör' ich,
Und ich preise die Befreiung! -
(S. 198-199)
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Aus: Gesammelte Dichtungen von Justus Frey
[Ps. von Andreas Ludwig Jeitteles]
Herausgegeben von seinem Sohne Prag 1899
J. G. Calve'sche k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Jeitteles

 

 

 


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