Wilhelm Jordan (1819-1904) - Liebesgedichte

Wilhelm Jordan



Wilhelm Jordan
(1819-1904)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Beredtes Schweigen

Ich war, indem wir schieden,
Noch immer unzufrieden
Daß meine Lippen so gezagt.
Ich hatte mir beim Kommen
So Vieles vorgenommen –
Das Beste ließ ich ungesagt.

Doch wenn ich mich besinne
Was Dir mein Herz gewinne,
So ist es eben diese Kraft
Die meine Gluthgedanken
Mit leisen Zauberschranken
Zurückhält in des Schweigens Haft.

Ich möcht' es nimmer zeigen
Und muß gestehn durch Schweigen
Von deiner Huld bekehrt zu sein.
Dich wild und heiß umfangen
Das war mein erst Verlangen,
Das zweite – deiner werth zu sein.
(S. 50-51)
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Ich denke dein

Ich sitz' in milder Sommernacht
Im Garten ganz allein.
Der Linde Grün in stiller Pracht
Durchstrahlt der Mondenschein.
Die Lüfte wiegen sanft und kühl
Die Welt in stilles Wohlgefühl
Und ich gedenke Dein.

Das Wölkchen dort zerfließt wie Rauch,
Läßt Sterne schon herein.
In Allempfindung möcht ich auch
So licht zerflossen sein.
Umsonst, ein feurig Sehnen hält
Mein Herz geschieden von der Welt,
Denn ich gedenke Dein.

Nun träumt ein einzig Element
Die ganze Welt zu sein
Und fühlt sich wieder ungetrennt,
Nur ich bin ganz allein.
Des Friedens Strömung fühl' ich wehn
Und muß gebannt am Ufer stehn,
Denn ich gedenke Dein.

O dürft' ich nur minutenlang
In diesen Strom hinein,
Vergessen allen Thatendrang
Und alle Sehnsuchtspein!
Wo find' ich diese stille Lust?
In deinem Arm, an deiner Brust
Allein, drum denk ich Dein.
(S. 54-55)
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Beim Meeresleuchten

Es trägt uns der Nachen hinaus in die Nacht,
Es wiegen die Wellen uns wohlig und weich,
Wir sitzen in seeligem Sinnen.
Hoch über uns stehen die Sterne so still
Und unter uns rieselt vom Ruder erregt
Ein Geleise von lebenden Lichtern.

Dies reizende Räthsel, wie deut ich es recht?
Was zündet entzückend dies Zauberlicht
Und entfacht in der Feuchte die Funken?
Beneiden die Nixen der Nacht ihren Schmuck
Und bemühn sich zu modeln der Milchstraße Pracht
Aus magischen Meerdiamanten?

Doch nirgend sonst flimmert die nächtliche Fluth
Als da wo das Boot mit uns Beiden an Bord
Die Finsterniß fahrend gefurcht hat.
Was uns strebend und streitend die Herzen umstrickt,
Entströmt es der Brust? Macht dies Wellengestrahl
Offenbar was wir Beide verbergen?

Wir wagen kein Wort, wir wissen zu wohl,
Es läg' entlarvt im leisesten Laut
Der Herzen holdes Geheimniß.
Doch von unserm Gemüth ist das mächtige Meer
Ein Gleichniß geworden: es glüht und erglänzt
Von Lust und Verlangen und Liebe.
(S. 62-63)
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Fort

Des Dampfers Rauch verweht am Horizonte,
Du bist an Bord.
Nun ist der Punkt der Dich bedeuten konnte
Im Fernrohr fort.
Noch fühl ich nach den Ton vom Scheidegruße,
Den Druck der Hand;
Des Meeres Welle rauscht vor meinem Fuße
Am öden Strand
Und wann sie schäumend bricht,
Dann spricht
Sie immer nur das eine Wort:
Fort!

Ich schließe mich in meine enge Zelle
Und schwelg in Leid.
Ich wandre hin zu jeder lieben Stelle
Die du geweiht.
Das ist die Spur die deine Sohle drückte
Im Dünensand
Als deine Hand vier Binsenhalme pflückte
Und Knoten band.
Es ward ein Kranz; du sprachst erfreut:
Erneut
Wird unser Glück an diesem Ort –
Fort!

Im Vollmond steh ich wo wir Beide standen
Am Klippensaum.
Die See durchwächst mit tausend Lichtguirlanden
Ein Silberbaum.
Doch Du verweilst am fernen Wipfelende,
Ich hier am Fuß.
O daß dein Herz mein Sehnen mit empfände
Als Geistergruß!
Dein Bild ist mir seit ich dich sah
So nah
Zu jeder Zeit, an jedem Ort –
Fort!
(S. 62-63)
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Klage

Die Zeit verfiel in Schneckengang,
Ich, der Poet, in Klügeln.
O Muse, sende mir Gesang
Die Stunden zu beflügeln!

Zur Wüste wird mein Leben mir
Wenn keine Verse quillen;
Ich kritzle Schnörkel auf's Papier,
Portraits gefangner Grillen.

Ja, Verse sind es, aber schaal,
Nur werth, sie zu vernichten.
Ein liebevoller Augenstrahl
So kann ich wieder dichten.

So führe, gütiges Geschick,
Mir die Gestalt entgegen
Mit holder Zauberkraft im Blick,
Mich wonnig aufzuregen.
(S. 64-65)
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Herbstblüthe

Wie im Herbst zum zweiten mal
Manche Bäume blühen,
So beginnt mein altes Herz
Jugendlich zu glühen.

Sei vernünftig, halte fest
Deine stolze Kühle;
Laß nicht keimen aus dem Scherz
Innige Gefühle.

Spürst du nicht schon wann sie kommt
Wonniges Erschrecken?
Willst du, völlig hoffnungslos,
Lieben, Liebe wecken?
(S. 66)
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Blumenorakel

Weißt du wie du die Blume brachst
Vom Wegesrand
Und ich, was Du so leise sprachst,
Nur halb verstand?
Es war ein Maaßlieb, zart geschmückt
Mit weißem Sternenkragen
Und sollte nun, von mir zerpflückt,
Sein hold Orakel sagen.

Mit scharfem Auge hatt' ich flugs
Genau gezählt
Und schlau danach des Kettenspruchs
Beginn gewählt,
Um bei dem Odergarnichtschluß
Das letzte Blatt zu brechen,
Damit in reizendem Verdruß
Du möchtest widersprechen.

Verkehrt, für Dich, zu fragen fiel
Mir gar nicht ein;
Du wußtest mir schon viel zu viel
Vom Augenschein.
"Sie liebt mich" – fing ich an. – Bevor
Ein Blatt ich ausgerissen
Riefst Du schon, roth bis unter's Ohr:
"Das will ich gar nicht wissen!"

Von dir belehrt begann ich neu:
"Ich liebe dich . . ."
Und sah dir's an, wie bange Scheu
Dein Herz beschlich,
Es möchte sich der Blumenstern
Bei kaltem Spruch entlauben.
O wie belauscht' ich dich so gern
Aus süßem Aberglauben.

Ach, in der eignen Schlinge war
Ich nun verstrickt!
Allein ich mied die Schlußgefahr
Nicht ungeschickt.
Erfundne Reime pascht' ich glatt
In eines Sprunges Lücken
Um nun der Blume letztes Blatt
Beim besten Spruch zu pflücken.

Da sprach dein lächelnd Angesicht:
"Schelm, du betrügst!
Doch zürn' ich nur, wofern du nicht
Die Wahrheit lügst."
Im klar durchschauten Spiel noch fand
Dein Herzensglaube Nahrung;
Auch sicher, harrtest du gespannt
Der Blumenoffenbarung.

Nun sagte mir ein Freudenstrahl:
Schon vor der Zeit
Entnahm dein Blick der Blätterzahl
Den Schlußbescheid.
Das letzte fiel; es warf das Loos:
"Ich liebe dich über die maaßen"
Und flockte weiß in's grüne Moos
Wo wir der Welt vergaßen.
(S. 67-69)
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Scheiden

Noch immer hält da droben
Der Sonne Abendgold
Des Berges Haupt umwoben –
Uns ist sie längst hinabgerollt.
Noch halt' ich deine Hände
Mit meinen warm umpreßt
Und noch nicht ganz zuende
Ist dieses schöne Lebensfest.

Die Bergesgipfel färben
Sich purpurn, bläulich, fahl;
Die frohen Lichter sterben
Und graue Dämmrung fällt in's Thal.
Dort hör' ich kommend schnauben
Den Zug – bald wird er gehn
Dich mir hinweg zu rauben
Und leicht auf Nimmerwiedersehn.

Nun sucht, schon halb im Traume,
Der Berg im Nebelhut
Am fernen Erdensaume
Den letzten Streifen Abendgluth.
Wir müssen scheiden, scheiden
Da wir uns kaum erkannt;
Nun zahlt das Herz mit Leiden
Die Wonnen die es voll empfand.

Vom Süßen geht's zum Herben,
So ist es nun einmal.
Die letzten Lichter sterben
Und tiefe Nacht bedeckt das Thal.
Die Räder auch verhallten
Schon längst, die dich entführt;
Die Schiene fühl' ich kalten
Die lauschend noch mein Ohr berührt.
(S. 70-71)
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Nachtgesicht

Allabendlich vor Schlafengehn
Muß ich der Liebsten Bild besehn.
Dem sag ich leise gute Nacht
Und frag es: hast du mein gedacht?

Und lösch' ich dann der Lampe Licht
So taucht dein holdes Angesicht
Hervor aus finsterm Hintergrund
Wie aus Gewölk des Mondes Rund.

Da lächelst du so liebevoll
Und winkst mir daß ich folgen soll;
Du reichst mir helfend deine Hand,
Schlägst auch um mich ein Lichtgewand.

Wir halten innig uns umfaßt
Und schweben, frei der Erdenlast,
Bis in ein Land voll Sonnenschein –
Da bin ich dein, da bist du mein.

Doch ach, dies Land ist nur ein Wahn
Und wachend find ich nie die Bahn.
Mein Glück hat nicht im Leben Raum,
Es ist und bleibt ein schöner Traum.
(S. 72-73)
_____



Ein Wintermorgen

Ich ging spazieren
Im Nebelgrauen
Des Wintermorgens,
Und wieder lenkten
Sich meine Schritte
Nach ihrem Hause.

Ich war schon häufig
Zur gleichen Stunde
Dahin gewandert.
Schon das ist Wohlthat,
Zu sehn die Mauern
Die sie umschließen.
Ein Walten fühl' ich
Geheimen Zaubers
In ihrer Nähe;
Beglückend weckt es
Die Seelenkräfte
Zum Dichtertagwerk.

Doch immer hatt' ich
Verhangen gefunden
Der Liebsten Fenster.
Nur stille Wünsche
Hinaus zu senden
War mir gestattet,
Mir vorzuschmeicheln
Den süßen Glauben
Daß meine Sehnsucht
Verkörpert oben
Auch mich ihr zeige
Im Traum des Morgens.

Sie hatte gestern
Von mir vernommen
Mein frühes Wandern.
Wie hoben sich heute
Doch meine Schritte
So rasch und elastisch!

Die kahlen Bäume
Versteckten die Wipfel
Im grauen Nebel;
Die Amseln huschten
Mit feuchtem Gefieder
Herum am Boden;
Sie suchten ihr Frühstück
Und zwitscherten klagend
Als ob sie fröre.
Die Essen dampften
Auf allen Häusern
Von schwarzen Wirbeln;
Es rieben sich knirrschend
Im Strome die Schollen
Des jungen Eises.

Südöstlich aber
Begannen die Wolken
Sich licht zu färben,
Und eine Feder,
Aus Nebel gebildet,
Erhob sich, glühend
Von rosigem Scheine,
Ob ihrem Dache.

Ich zog den Mantel
Ein wenig dichter
Um meine Schultern,
Um fest zu halten
In meinem Herzen
Die wohlige Wärme.

Nun wich der schwarze
Blattlose Wipfel
Der Linde zur Seite
Von ihrem Fenster
Und springen fühlt' ich
Mein Herz vor Freude.

Dort oben blitzte
Ein liebes Lichtchen
Und sprach: sie wacht schon;
Sie dachte deiner;
Für dich entsagt sie
Dem Traume des Morgens.

Doch nun erlischt es. –
Dort also hob sich
Die liebe Hand jetzt
Die ich so gerne
Bedecken möchte
Mit tausend Küssen.

Ob sie mich wahrnahm?
Will sie's verbergen
Daß ich sie weckte?
Horch – Klingen und Klirren!
Da geht ein Fenster –
Das ist sie selber.

Sie schaut hinunter.
Sie winkt, sie grüßt mich –
O könnt' ich fliegen.

Ich Narr! ich laufe
Von dannen eiligst
Als müßt' ich fliehen,
Doch kaum entzieht mir
Ihr Bild die Ecke,
So kehr' ich wieder,
Umrahmt zu sehen
Von diesem Fenster
Mein Glück, mein Leben,
Doch – nach Sekunden
Noch einmal wie närrisch
Von dannen zu laufen!

Ihr Essen, dampft nur
Auf allen Häusern
Von schwarzen Wirbeln,
Und reibt euch knirrschend
Im Strom, ihr Schollen
Des jungen Eises;
Verstecket, ihr Bäume
Die kahlen Wipfel
Im grauen Nebel;
Beklagt, ihr Amseln
In Frost und Darben
Des Lenzes Ferne:
Mich, mich erleuchtet
Von diesem Hause
Ein rosiges Glänzen;
In meiner Seele
Beginnt ein Frühling
Mit tausend Blüthen.

Ich lasse den Mantel
Von meinen Schultern
Im Winde flattern;
Nicht kühlt der Winter
In meinem Herzen
Die heißen Stürme.

Und heimwärts eil' ich
Beflügelten Schrittes
Zur Dichterklause,
Um fest zu halten
In raschen Rhythmen
Den Rausch der Freude
Und seelig zu schwelgen
Im holden Wunder
Ihrer Liebe.
(S. 74-79)
_____



Sieg

1.
Mit kalter Strenge wollt' ich heilen
Mein Herz von dieser Leidenschaft;
Ich sehe dich sie mit mir theilen
Und fühle wanken meine Kraft.

Ich hatte schon dein Bild vertrieben
Aus meinem Sinn – es kam zurück.
Ich darf es nicht, und muß dich lieben
Und träumen vom versagten Glück.

So treibt vom Ufer losgerissen
Mein Kahn in's wildbewegte Meer;
Ein Ziel verwehrt mir mein Gewissen,
Mein Fühlen jede Wiederkehr.

Dich zu begehren ist vermessen,
Zu hoffen, gegen das Gebot;
Vor dir entfliehen, dich vergessen,
Das wäre der lebendge Tod.

Wo soll ich Frieden, Freiheit suchen
Vom Zaubernetz das mich umstrickt?
Muß ich durchaus dem Tage fluchen
An dem ich dich zuerst erblickt?


2.
Und frag' ich noch? Ist nicht Verzichten
Des edeln Mannes stetes Loos?
Und kann ich denn nicht seelig flüchten,
O Poesie, in deinen Schooß?

Da wird der Seelenkampf zum Feste,
Zum Siegerstolz das bittre Muß;
Da nehm' ich doch von Dir das Beste
Für mich in seeligen Genuß.

Ja, mich verlangt nach höherm Ruhme
Als daß ich mir dein Herz gewann;
Ich will in seinem Heiligthume
Verehrt sein als ein ganzer Mann.

Drum fort mit allen weichen Klagen!
Ein hohes Glück ist mir bescheert,
Ich bin geliebt – ich muß entsagen –
Ich kanns – und bleibe deiner werth.

So wirst du denn in edler Weise,
Geliebte, dennoch ewig mein.
In meiner Dichtung Zauberkreise
Tritt nun dein holdes Bild hinein.

Ich will damit die Welt entzücken
Und wann dein Ohr das auch vernimmt
Mag der Gedanke dich beglücken
Daß Du die Lyra mir gestimmt.

So sei mir denn der Tag gesegnet
Mit allem Schmerz und Seelenstreit
An dem ich Dir zuerst begegnet
Um Dein zu denken allezeit.
(S. 95-98)
_____



Trost

Der Schmerz hat recht und nur im Schmerze
Liegt was ihn tröstet, was ihn lindert.
Nicht ewig können wir besitzen
Doch ewig lieben ungehindert.

Und wo wir ewig lieben müssen
Und was wir hatten nie vergessen,
Da wird der Schmerz verlornen Glückes
Zum Dank daß wir es einst besessen.

Und wenn nur weinend danken lernen,
Dann auferstehn wie neugeboren
In unserm Geist die theuern Todten
Und sind uns ewig unverloren.

Sie sind uns ewig unverloren,
Entrückt, erhöht und doch geblieben;
Denn ewig lernen wir besitzen
Die Theuern die wir ewig lieben.
(S. 139-140)
_____

Aus: Strophen und Stäbe
Von Wilhelm Jordan
Frankfurt a. M. W. Jordan's Selbstverlag
1871 Leipzig F. Volckmar
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Jordan_(Schriftsteller)

 

 


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