Max Kalbeck (1850-1921) - Liebesgedichte

 

Max Kalbeck
(1850-1921)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Die Blume auf dem Felsen

Es blüht eine blaue Blume
Auf steiler Felsenwand,
Sie hebt den schlanken Stengel
Aus Moos und dürrem Sand.

Leichtgaukelnd um die Blume
Ein bunter Falter schwebt,
Goldschillernde Farben spielen,
Wenn er die Flügel hebt.

Die Blume neigt das Köpfchen
Verschämt zu stillem Gruß,
Er aber raubt verwegen
Dem Kelche Kuß auf Kuß. -

Du arme Blume! Schon morgen
Stirbst du im Sonnenstral! -
Dein Falter aber umflattert
Lachende Rosen im Thal!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 6)

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Trübe Ahnung

Gelehnt an's Birkengeländer
Schaut' ich hinunter in's Thal:
Tannen und Felsenränder
Glänzten im Abendstral.

Und horch! Nun mußt' ich lauschen,
Es rief im Grunde der Bach
Mit seinem düsteren Rauschen
Mir düstre Gedanken wach.

Die Augen wurden mir trübe,
Das Herz ward mir so schwer,
So schwer, ob meine Liebe
Verloren für ewig wär'!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 8)

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Nächtliches Wandern

Im Walde wandr' ich einsam.
Wie ist so kühl die Nacht!
Die Wipfel träumender Tannen
Schwanken und rauschen sacht.

Tief schlafen die riesigen Berge
In Nebelwolken gehüllt,
Schweigend liegen die Thale,
Von Mondenglanz erfüllt;

Und auch die Vöglein schlafen,
Verklungen ist ihr Lied,
Der Quell allein ist munter
Und plätschert nimmermüd.

O Quell, sei du mein Bote,
Springe hinab in's Thal,
Vorüber der Liebsten Hause
Und grüße vieltausendmal!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 19)

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Junge Liebe

Zwei Knospen sind am Strauche
In einer warmen Nacht,
Geküßt vom Frühlingshauche,
Zum Blühen aufgewacht.

Doch ach! zu ihrem Leide
Kam bald ein kalter Hauch . . .
Und wie sie blühten beide,
So welkten sie beide auch.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 22)

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Es singt so süß die Nachtigall

Es singt so süß die Nachtigall,
Wenn sich der Tag zu Ende neigt,
Wenn sich verloren jeder Schall,
Und Alles ruht, und Alles schweigt.

Der Wind kühl durch die Trauben weht
Vom duftenden Hollunderbaum,
Darunter eine Rose steht,
Sie träumt den ersten Liebestraum.

Vom Baume tönt's wie Sehnsuchtslaut,
Die rote Rose bebt und lauscht,
Bis sie von Thränen ganz bethaut,
Bis sie von Liebe ganz berauscht.


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 23)

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Nicht viel vermocht ich dir zu sagen

Nicht viel vermocht ich dir zu sagen,
Und auch das Wen'ge nur versteckt,
Wenn du die Augen aufgeschlagen,
Hast du mich immer tief erschreckt.

Du weißt es nicht, indeß zum Scherzen
Sich mühsam zwang der blöde Mund,
Was ich gefühlt in meinem Herzen,
In meinem tiefsten Herzensgrund;

Du weißt es nicht, daß all mein Wollen,
Mein Denken ist bei dir allein,
Daß in dem Blick, dem seelenvollen,
Tief innen liegt der Himmel mein!

Und wenn du's weißt - ob dir's mein Wesen
Verrathen, oder dies Gedicht,
Ob du's gesehen, ob gelesen -
Was kümmert's dich - du liebst mich nicht!?

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 24)

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Da schwebt mir entgegen ihre vielliebe Gestalt!

Da schwebt mir entgegen ihre vielliebe Gestalt!
Und fort zieht es wieder mich mit Allgewalt.
Die Grübchen in den Wangen und im runden Kinn,
Die nehmen ja gleich meine ganze Seele hin! -

Nun schlägt sie die langseidenen Wimpern in die Höh,
Daß ich wie bezaubert in die Augen ihr seh;
Die haben ein leuchtend geheimnisvolles Braun,
Hinein könnt' ich träumend mein Lebelang schaun!

Ach! Und der rosige, süßlachende Mund!
Ich möcht' ihn wol küssen eine ganze lange Stund!
Ich küßt' ihn ohn' Unterlaß stürmisch immerfort
Und raubt ihm von den Lippen jedes feindliche Wort!

Und träfe mich dann zu neuer Herzensqual
Strafend aus den Augen ein blitzender Stral,
Mit Küssen auch schlöss' ich die Augen ihr zu,
Dann hätte doch das Herze wol einmal seine Ruh!

Mir ist's, ob eine Sonn' in mein Herz hinabgeglüht,
Mit klingenden Stralen erfüllt ist mein Gemüt; -
Und nun ziehe du, mein Lied, wie heller Sonnenschein
In ihr tiefdunkles Herz mit deinen Gluten hinein!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 25)

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Friedhof im Thal

Es war im Lenz. Der Sonnenschein
Stahl sich verlockend zu mir herein
In den engen düsteren Zimmerraum.
Es klopft' an meines Fensters Scheiben
Mit blühenden Zweigen der Apfelbaum,
Als mahnt' er: Willst du thöricht bleiben?
Den Lenz versäumen im dumpfen Haus? -
Auf! Komm in's sonnige Freie hinaus!

Ich schritt hinaus. Am Himmelsbogen
Leichthin silberne Wolken flogen,
Wie Schwanenzüge zum fernen Süden.
Ueber der Natur lag ein tiefer Frieden;
Nicht wagte der Wind im Laube zu rauschen,
Nicht über die Wasser hinzusäuseln
Und Furchen zu ziehn und Wellen zu kräuseln,
Er hielt den Athem an zu lauschen;
Es bebte die Luft nur von einem Schall:
Im Hollunderbusch sang die Nachtigall.

Mir war so träumerisch seltsam zu Sinn!
Nachdenklich ging ich vor mich hin,
Und als ich hob den Blick empor,
Stand ich vor eines Friedhofs Thor.
Ich sann nicht lange und trat hinein,
Durchschritt die Gänge bei Kreuz und Stein.

Die sich im Leben geliebt und genarrt
Hier wurden sie bei einander verscharrt.
Sie haben geduldet, sie haben gelitten,
Geliebt, gehaßt, sich versöhnt, gestritten,
Sie sind gewelkt und endlich gestorben
Und haben sich nichts als das Grab erworben.

So ist des Todten ganzer Schatz
Nichts als ein kleiner Ruheplatz
Mit Hügel und Kreuz, die ihm errichtet;
Und Lügen stehen darauf gedichtet,
Die prahlerisch den Trost verkünden
Von Unsterblichkeit und Wiederfinden,
Von Nimmervergessen, Nimmerverschmerzen
Verwaister und verwittweter Herzen. -

Dem Menschen ist die Zeit gemessen:
Er wird begraben und vergessen!
Der schmerzlich heiße Thränenbronnen,
Der ihm geflossen, ist bald verronnen.
Die Welt hat kosende Schmeichelwinde,
Die trocknen die Augen gar geschwinde,
Und Seufzer und Klageruf verhallen! -

Sieh, dort das Kreuz ist umgefallen
Und hat das Grabgeländ' zertrümmert! -
Niemand sich weiter drum bekümmert.
Des Epheu's Grün verdeckt mitleidig
Die falschen Schwüre, die meineidig
In goldner Schrift sich wollten brüsten. -

Wenn es die armen Todten wüßten,
Daß einst ihr Grab, von Allen verlassen,
Nur treu der Epheu werd' umfassen,
Und daß der Regen und Thau alleine
Auf ihre Gruft herniederweine! -

So dacht' ich und schaute ernst hinab
Auf das zerfallene, traurige Grab -
Da rauscht' es heran, wie ein seiden Gewand,
Leise berührt' es meinen Arm,
Mich faßte sanft eine weiche Hand
Und drückte die meine fest und warm,
Und wie ich mich staunend umgewandt,
Mein liebes Clärchen vor mir stand.
Sie sprach: Schon lange sah ich dich stehn
Und auf das Grab hinuntersehn;
Du blickst so ernst! Gewiß erfüllen
Den Kopf dir wieder quälende Grillen! -

Hast recht gesehen! Du kommst mich erlösen
Zu guter Stunde, mein Lieb, von bösen
Verhängnisvollen Schicksalsfragen,
Die an dem Menschenherzen nagen.
Du hast sie allesammt verbannt:
Dein süß bezaubernder Liebesblick
Versöhnt mich mit des Menschen Geschick. -

Wir gingen schweigend Hand in Hand,
Uns still vergnügend am stillen Land,
An Blütenbaum und grünem Strauch,
Und Blumenduft und Lenzeshauch.
Die Sonne sank zum Untergehen,
Alles war goldig anzusehen.
Ueber der Natur lag ein tiefer Frieden;
Leichthin rosige Wolken zogen
Ueber des Himmels tiefblauen Bogen
Wie Friedensgrüße zum fernen Süden.
Nicht wagte der Wind im Laube zu rauschen,
Er hielt den Athem an zu lauschen:
Im Hollunderbusch mit süßem Schall
Sang Liebeslieder die Nachtigall.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 30-33)

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Dein Bild

Nicht länger sollt' ich leben
Allein mit meinem Weh,
Du hast es mir gegeben,
Daß ich dich immer seh',
Und wenn auch nur im Bilde,
Es ist doch dein Gesicht,
Das schaut so lieb, so herzlich! -
O, Bildnis, lüge nicht!

Wie du mit deinen Zügen
Bezaubert meinen Sinn!
Tausend Gedanken fliegen
Und drängen zu dir hin;
Sie fliegen, drängen und reihen
Sich klingend zum Gedicht,
Sie flehen nur das Eine:
O, lüge, lüge nicht!

Die Stirn umfaßt, die klare,
Der Locken welliges Gold,
So treu, ob ich die Haare
Dir leise streichen sollt'!
Der Liebe ewige Sonne
Strahlt aus dem hellen Licht
Der lieben dunklen Augen -
Ihr Augen, lüget nicht!

Dein tiefes eignes Wesen
So ganz im Bild sich zeigt,
Wer weiß die Worte zu lesen,
Welche dein Mund verschweigt?
Ich will sie auch nicht wissen,
Viel süß're Worte spricht
Dein still geheimes Lächeln -
O, Lächeln, lüge nicht!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 34-35)

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Auf dem Wasser

Mit dem Mond, dem hellen,
Auf der Wasserbahn
Gleite durch die Wellen,
Gleite hin, mein Kahn!

Froh zum Ruderschlage
Töne mein Gesang,
Und die Nachtluft trage
Ihn den See entlang

Bis zu jenen Weiden,
Die den lieben Strand
Von den Fluten scheiden
Wie ein grünes Band.

In der Büsche Finster
Liegt ein kleines Haus,
Hell aus dichtem Ginster
Schaut das Fenster aus.

Durch die Läden blitzet
Eines Lichtes Schein,
Einsam träumend sitzet
Dort die Liebste mein.

Liebes Liedchen, leise
Klingend klopfe an,
Deiner sanften Weise
Ist sie zugethan!

Freundlich wird das Lädchen
Innen aufgemacht,
Und es lauscht mein Mädchen
In die Maiennacht.

Aus dem dunklen Grünen
Neigt sich ihr Gesicht,
Zauberisch beschienen
Von des Mondes Licht. -

Mit dem Mond, dem hellen,
Auf der Wasserbahn
Gleite durch die Wellen,
Gleite hin, mein Kahn!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 36-37)

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Unter ihrem Fenster

Der Abend ist dunkel. Unter den Bäumen,
Die vor der Liebsten Hause stehn,
Verweil' ich einsam, hinauszusehn,
Zu ihr die Seele hinzuträumen.

Die Decke der Stube ist lichterhellt,
Das Fenster mit Blumen dicht verstellt,
Kaum daß ein Schimmer die Hecke durchbricht;
Nur Schatten an der Gardine schwanken, -
Doch meine Träume stört das nicht,
Sich durch die Blumen und Blätter zu ranken.

In eine Rose, von Blättern verdeckt,
Haben sich meine Gedanken versteckt,
Von dort schaun sie hinein in's Stübchen:
Beim Lampenschein am runden Tisch
Sitzt mein süßes, herziges Liebchen.
Wie glänzen die Augen! Die Wangen wie frisch!
Am Finger die Nadel hüpft geschickt
Durch's Tuch, der Faden läuft hinterdrein.
Mit blauer Seide sind zierlich und fein
Lachende Blümchen hineingestickt;
Nur fehlen noch Blätter und gelbe Sterne.
Sie sollen ein ledernes Täschchen zieren,
Ein Gruß dem Bruder in der Ferne,
Und immer ihm wieder zu Herzen führen:
Vergiß mein nicht! Vergiß mein nicht! -

So denkt mein Liebchen. Es stralt ihr Gesicht
Vor Lust, es müh'n sich die Finger, die schnellen,
Es lösen sich auf in lockigen Wellen
Die goldenen Haare und fallen hernieder
Auf's halbgeöffnete Spitzenmieder. -

Die ältere Schwester sitzt am Clavier
Und läßt die Saiten bebend erklingen,
Mit leiser Stimme beginnt sie zu singen
Von der Frühlingsnacht im Waldrevier,
Von Bäumen und Blumen und murmelnden Bächen . . .
Quellen erglänzen im Mondenschein,
Heimchen zirpen am duftigen Rain,
Die Elfen kommen hervor und sprechen
Mit bunten Blumen im thauigen Moose -
Verliebtes Gelichter und süßes Gekose! -

Die Mutter im Lehnstuhl an der Wand
Stützt sinnend den müden Kopf in die Hand.
Erst spät am Abend darf sie ruhn
Von des Tages Beschwerden und regem Thun.
Sie läßt vergangene liebe Zeiten
Im Geiste träumend vorübergleiten,
Sie denkt an den früh verstorbenen Gatten:
Wie gut er war! Wie lieb sie sich hatten!
Es schleicht in's Herz ihr ein tiefes Sehnen
Nach jenen fernen himmlischen Höhn,
Wo den Tod versöhnt das Wiedersehn,
Und leise rinnen heiße Thränen
Herab aus ihren geschlossenen Wimpern -
Da tönt ihr entgegen das lustige Klimpern,
Sie schlägt empor den weinenden Blick
Und sieht mit tröstlich stillem Vergnügen
Sein theures Bild in der Kinder Zügen,
In des Lebens blühend lachendem Glück.
"Du ließest mir reichen Trost zurück!"
So lispelt sie und faltet die Hände
Zum Dankgebet und schläft am Ende. -

Die Blumen duften, die Wanduhr tickt,
Die Sängerin auch ist eingenickt;
Sie hat sich selbst in den Schlaf gesungen,
Die Saiten sind allgemach verklungen,
Noch ruht die Hand auf den stummen Tasten,
Der Kopf ist schlummernd zurückgelehnt.
Mein Liebchen darf noch immer nicht rasten,
Und wenn sie sich gleich nach Ruhe sehnt,
Muß sie doch rüstig und munter bleiben
Und sich den Schlaf aus den Augen reiben.

Nun endlich sind die Vergißmeinnicht
Allesammt mit Blättern und Sternen geschmückt,
Nun springt sie auf mit vergnügtem Gesicht, -
Sieht Mutter und Schwester und erschrickt;
Dann eilt sie zum Fenster voll Blumen hin,
Daß sie die schönste aus diesem Gehege
Der Mutter in die betenden Hände lege,
Die duftigste Rose . . . o, weh, darin
Hat, was ich dachte, was ich gefühlt,
Sich zwischen Purpurblätter gewühlt,
Voll süßer Träume sich eingebettet . . .
Und nun . . . doch nein, bei Zeiten erweckt,
Haben sich meine Gedanken gerettet,
Noch ehe sie wurden mitgenommen,
Und sind zwar glücklich, doch sehr erschreckt,
In meine Brust zurückgekommen.

Die Nacht ist stürmisch. - Durch die Bäume,
Die vor der Liebsten Hause stehn,
Fährt brausend hin ein Windeswehn, -
Ich gehe heim, den Kopf voll Träume.


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 38-41)

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O, Mann?

Die lieben Augen sind's! die blonden Härchen!
Die vollen Wangen mit den runden Grübchen! -
Du bist mir nah und doch so fern, o Liebchen,
Wir wandeln einsam, ein getrenntes Pärchen

- Dem Himmel sei's geklagt! - schon manches Jährchen! -
Gott Amor lacht uns aus, das lose Bübchen! -
Wann kommt der Tag, wo ich im eig'nen Stübchen
Dich froh als Braut umfange, liebes Clärchen?

Wann seh ich dich im leichten Morgenhäubchen
Geschäftig in der Küche, holdes Püppchen,
Zu kochen mir ein kräftig gutes Süppchen?

Wann küss' ich dir dein wirthschaftliches Händchen
Und sage: Sieh, hier fehlt mir noch ein Bändchen,
Ein Knöpfchen hier! - Näh' mir es an, mein Täubchen!?


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 42)

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Stumme Liebe

Von Liebe war dein Herz erfüllt -
Du wolltest schweigen,
Doch sprach dein Blick so treu und mild:
Ich bin dein eigen!

Nicht Worte durften dein Gefühl
Erkennen lassen,
Denn nur dein Auge kann so viel
In sich erfassen!

Wie du mich liebst, vermag dein Blick
Allein zu zeigen, -
In deinem Schweigen liegt mein Glück:
Du bist mein eigen!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 52)

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Zwei Gräber

Sie liebten sich und mußten, ach, sich meiden!
Im Traum nur durften sie einander sehen,
Im Traum sich ihre Liebe eingestehen,
Denn eine weite Kluft lag zwischen beiden.

Da kam der stille Tod und machte Frieden,
Mit milder Hand versöhnt' er ihre Leiden,
Und während sonst im Tod die Menschen scheiden,
Hat sie der Tod vereinigt noch hienieden.

Sein Grab umkletterten blühnde Rosenranken;
Sie sind vom Hügel sacht hinabgestiegen,
Sich zärtlich an das Immergrün zu schmiegen,
Das ihrem Grab entsprießt; die Blätter schwanken

Und flüstern traulich leis im Abendwinde -
Man meint der Seelen Zwiegespräch zu hören,
Kein böses Wort kann ihre Ruhe stören,
Und beider Grab beschattet eine Linde.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 55)

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1. Corinther, Cap. 13, V. 1-7

"Wär' ich mit Menschen- und mit Engelszungen
Begabt, - und hätt' ich in der Brust kein Herz
Voll Liebe, wär' ich nur ein tönend Erz,
Nur eine hohle Schelle, die erklungen;"

"Und fänd' ich selbst im Fluge der Gedanken
Des künftigen Geschickes dunkle Spur,
Erschlöss' ich alle Rätsel der Natur
Und überstieg ich allen Wissens Schranken;"

"Und sollt' ich einen Glaubensmut besitzen,
So stark, daß er die Berge heben kann,
Und hätte der Liebe nicht - was wär' es dann,
Was würde Alles ohne sie mir nützen?" -

"Die Liebe suchet nimmermehr das Ihre,
Sie ist nicht trotzig, sie ist mild und gut,
Dem Herzen giebt sie Zuversicht und Mut,
Daß es sich ganz in ihrer Macht verliere."

"Sie ist genügsam; wenn ihr sonst nichts bliebe,
Sie bleibt sich selbst genug, sie duldet, hofft" - -
Wenn ich die Worte lese, seufz' ich oft:
O, Clärchen, hast du je erkannt die Liebe!?

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 57)

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Im Mai, im grünen Maien

Im Mai, im grünen Maien,
Da dufteten die Bäume,
Da träumt' ich unter Blüten
Die duftigsten der Träume.

Die Träume wurden Lieder,
Sie klangen, dich zu grüßen,
Ich legte liebestrunken
Sie nieder dir zu Füßen.

O, selig, wen die Liebe
Zum ersten Mal durchdrungen!
O, selig, wer zum ersten
Ein eignes Lied gesungen!

Gott sei's geklagt: die Blätter
Nun wieder sich entfärben,
Sie hängen welk am Baume,
Und mögen doch nicht sterben!

Vom Mai, vom grünen Maien,
Von meinem jungen Lieben,
Bist du mein armes Lied mir
Als letzter Trost geblieben!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 59)

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Nacht

Unheimlich bebt das Licht, fast ausgebrannt,
Sein Schein zuckt über das Papier, sein trüber,
Ans Pult sitz' ich noch immer festgebannt,
Schon lange ging die Mitternacht vorüber.

Ein Tag floß träg ins Meer der Ewigkeit,
Und trostlos bald beginnt ein neuer wieder, -
Ach! Wie das Gestern war, so wird das Heut!
Mir fallen zu die müden Augenlider.

Der Kopf sinkt aufs Papier, ich schlummre ein,
Das Leben ist auf kurze Zeit vergessen.
Wie meint's der Traum so gut! Ich geh im Hain
Durch die verschwiegnen, düsteren Cypressen.

Von ihren Stämmen neigen sich zum Gruß
Vor mir die dunkelgrünen Epheuranken, -
Hier ist's! Hier gab sie mir den ersten Kuß!
Hier bleib ich stehn, verloren in Gedanken.

Doch horch! Ein leises Rauschen trifft mein Ohr,
Und lichterfüllt sind rings die grünen Räume, -
Dort theilt sich das Gesträuch - sie kommt hervor,
Sie selbst, die Lichtgestalt der schönsten Träume!

An meine Lippen press' ich ihre Hand,
Mein Haupt hält sie an ihre Brust geschlossen,
Wir sinken selig nieder, übers Land
Hat sich ein zaubrisch Dämmerlicht ergossen. - -

Da wacht' ich auf. - Dahin der letzte Halm!
Dahin der Hain mit seinen Freuden allen!
Das Licht lischt zischend aus in dichtem Qualm,
Der Morgen graut, und meine Thränen fallen.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 61-62)

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Berührt mich leise deines Kleides Saum wieder

Berührt mich leise deines Kleides Saum wieder,
Kommt mir der alte, süße Frühlingstraum wieder.

Ich hör' es leise wie Blätter im Abendwind säuseln,
Ich seh den schlanken, blühenden Lindenbaum wieder.

Dort küßt' ich dich zum ersten Mal - o, Traum, fliehe,
Mein armes Herz hat für dein Glück nicht Raum wieder!

Es zuckt und möchte wild mir aus der Brust springen,
Berührt mich leise deines Kleides Saum wieder!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 64)

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Eine rote Wolkenrose

Eine rote Wolkenrose,
Glüht mein junges Lied,
In der Sonne meiner Liebe
Purpurn aufgeblüht.

Nüchtern blickt der Tag auf meine
Rose, nebelgrau, -
Von dem Kelch muß leise sinken
Trüber Thränenthau.

Läßt die Hoffnung auch erstehen
Aus den Thränen mild
Noch zu Abend siebenfarbig
Meiner Sonne Bild;

In die Nacht, die sternenlose,
Des Vergessens zieht
Eine weiße Wolkenrose,
Doch zuletzt mein Lied.


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 65)

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Unter der Linde

Das ist der blühende Lindenbaum
Mit seiner Schattenkühle!
Jahre verrannen - ich weiß es kaum,
Es leben die alten Gefühle.

Und wieder umrauscht mich das schattige Dach!
Rings hat sich nichts verändert,
Da fließt auch der lustige Wiesenbach,
Von schwellendem Grün umrändert!

Hier unter dem blühenden Lindenbaum
Hielt ich sie oft umschlossen, -
Mir ist es wie ein Traum, ein Traum,
Der erst die Nacht verflossen -

Und doch! Es ist Alles, Alles hin!
Denn was die Liebe versprochen,
Das ist vergessen mit leichtem Sinn,
Ob auch das Herz mir gebrochen.

Wol traurig war's, als ich Abschied nahm,
Fern stand das Wiedersehen,
Doch trauriger war's, als ich wiederkam, -
Ich möchte wieder gehen,

In die Ferne gehn, denn Ruhe, ach,
Ruhe kann ich nicht haben,
Und wollt' ich selber dort im Bach,
Im rauschenden Bach mich begraben!

Die Ruhe doch ich nimmer fänd',
In der kühlen Wassertiefe,
Die Seele wieder auferständ',
Die Sehnsucht wach sie riefe. -

Es klingt mir im Herzen das alte Lied
Von Scheiden und Verlassen:
Sie weinte, als ich trostlos schied,
Und konnte sich nicht fassen.

Mir war es, wie ich von ihr ging,
Als ging ich aus dem Leben! -
Beim Abschied hat sie mir einen Ring
Zum Pfande der Treue gegeben.

Begraben will ich das Ringelein
Hier unter der blühenden Linde
Und schneiden den Tag und die Stunde ein,
Wo ich ging und kam, in die Rinde.

Und wenn sie dereinst vorübergeht,
Wird sie die Schritte lenken
Hieher, wo der Liebe Grabmal steht, -
Und traurig meiner gedenken.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 68-69)

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Es war in trauter Dämmerstunde

Es war in trauter Dämmerstunde,
Du saßest am Clavier,
Mit liebevoll beredtem Munde
Pries ich die Zukunft dir.

Du schwiegst und spieltest. - Wie ein Säuseln
Der Luft, wie Lenzeswehn
Erklang's - ich sah ein Wellenkräuseln
Durch Wasserspiegel gehn;

Die Sonne sah ich goldig sinken,
Und aus der Abendpracht
Zog dann der Mond mit stillem Blinken
Ins Dunkelblau der Nacht. -

Den Wellen gleich sprang auf und nieder
Die kleine, süße Hand,
Wie Mondlicht war mein Auge wieder
Fest auf sie hingebannt. -

Doch horch! Nun seufzte durch die Saiten
Ein schwermutvoller Klang, -
Es war wie fernes Glockenläuten,
Wie leiser Grabgesang;

Nun sah ich auf den Wellen schweben
Tiefgrauen Nebelflor,
Der Mond, von Wolken rings umgeben,
Schien bleich und trüb hervor.

Zuletzt verklang die düst're Weise,
Als wenn die Nachtluft summt
Im dürren Schilfe trauernd leise -
Und mählich dann verstummt. -

Den blonden Kopf zur Seite neigend
Sahst du nach mir zurück,
Du sahst mich an so trostlos schweigend
Und senktest still den Blick.

Wol Monde sind dahin geflossen,
Seit uns das Schicksal schied,
Doch bleibt dein Blick ins Herz geschlossen
Für ewig und dein Lied!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 75-76)

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Ihr Schatten

Nächtens zog mich's durch die Gassen zu dem alten, lieben Platz:
Dort das Haus und die vier Fenster! Deine Fenster süßer Schatz!

Gab dir wol so manchen Abend das Geleite bis ans Haus!
Heute steh' ich hier allein und schaue nach den Fenstern aus.

Trübe schimmert Licht hernieder; über die Gardine zieht
Hin und her dein leichter Schatten, nähert sich und ach, entflieht!

Weile, weile lieber Schatten, weile nur ein einzig Mal!
Husche nicht so schnell vorüber, nicht vorüber meiner Qual!

Liebst du mich auch nimmer, Schatten, thu's dem Armen doch zu lieb,
Dem von allem seinen Lieben nichts mehr als der Schatten blieb!


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 79)

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Was liegt der Himmel heute

Was liegt der Himmel heute so tiefblau und weit?
Was blickt er denn so sonnig? Ist die Erde doch verschneit!
Von den Stralen, die sein Auge so freundlich niederlacht,
Nicht einer, ach, nicht einer eine Blume blühen macht!

Ein Schnee deckt meiner Liebe junggrünes Maiengras,
Und die Rosen darunter sind worden welk und blaß;
Da kommst du mir entgegen frischblühend, lebensrot,
Und du lachst mir in mein Herz, und mein Herz - das ist todt!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 80)

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Am Waldessaum, im Schatten

Am Waldessaum, im Schatten verweilt' ich gar gern,
Zu sinnen und zu träumen von nah und von fern.
Die Gedanken flogen den grünen Wald entlang,
Zum Haus mit den vier Fenstern am hellen Wiesenhang.

Sie trafen dort ihr Lieb, rosig frisch und hold,
Den schlanken Hals umringelt von lichtem Lockengold,
Sie sahn ihr in die Augen, die glühten dunkelklar, -
Wie damals doch die Welt noch so weit und sonnig war!

Nun dünkt sie mich so enge, so düster wie mein Sinn,
Bang schleichen die Gedanken am todten Walde hin,
Zum Haus mit den vier Fenstern - wie bist du bleich, mein Lieb,
Die lieben dunklen Augen sind worden matt und trüb!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 86)

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Wieder Sonntag!

Mir ist, als läuteten Glocken den Sonntag wieder ein -
Ich lausche süß erschrocken: Wird es dein Sonntag sein?
Mir ist, als läuteten Glocken den Sonntag wieder ein! -
So klangen vielliebe Worte mir einst ins Herz hinein.

Mein Herz, mein Herz die Kirche! Gedanken die Beter all'!
Und meine Liebeslieder Gesang und Orgelschall!
Das klang aus allen Registern, das brauste mächtig und voll, -
Der hochehrwürdige Pastor, der wurde vor Liebe toll.

Der hochehrwürdige Pastor, das war im Kopf der Verstand,
Er hatte Vernunft gepredigt, bis sie ihm selber schwand.
Ach! Unter seiner Kanzel in der Kirche saß ein Gebild
Der süßesten, weichsten Träume, das schaute so lieb, so mild!

Das schaute mit leuchtenden Augen andächtig zu ihm empor;
Mit jauchzenden Liebesliedern fiel ein der Kirchenchor. - -
Mein Sonntag ist lang vorüber. Die Kirche ist worden leer;
Da huschten Schatten und Träume gespenstisch hin und her.

Es ist nicht hell und nicht dunkel, unheimlich dämmert es drin,
Spinnweben wie Trauerflöre ziehn an den Wänden hin.
Hernieder vom Thore tönt zuweilen ein schriller Klang,
Wenn dort eine Saite wieder von einer Geige sprang.

Hier zittert wie ein Irrlicht ein bleiches, verschwommenes Bild,
Und in der gebeugten Kanzel, da spukt es und tobt es wild;
Da haust der tolle Pastor - er ist auch ein Schatten jetzt,
Und hat mit den lustigen Armen sich lachend die Kutte zerfetzt.

Er lacht so gellend! Dann strecket die Händ' er aus und weint, -
Das bleiche Bild dadrunten hinunter zu winken scheint. -
Nur wenn mit ihren Träumen die Nacht hernieder sinkt,
Dann ist's, als ob es wieder so süß wie einstens klingt.

Doch klingt es zugleich tieftraurig und leis, - ich hör' es kaum, -
Ach! Durch die verödete Kirche zieht dann ein alter Traum! - -
Nun tönt es aller Enden so klar und trostesvoll -
Das ist kein Traum! Ich weiß nicht wie ich mich fassen soll!

Mein Herz! Mein Herz! O sage: kommt wol mit seinem Glück,
Mit seinem Singen und Jubeln dein Sonntag dir zurück?
Mir ist als läuteten Glocken den Sonntag wieder ein -
Ich lausche süß erschrocken: Wird es dein Sonntag sein?


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 88-89)

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Die Liebe spricht so hold

Die Liebe spricht so hold - mein Herz vernimmt es -
Durch deinen Blick;
Doch hält mich ein Gefühl, ein unbestimmtes,
Von dir zurück;

Nicht zages Bangen, nicht ein trübes Ahnen
Von künft'gem Leid -
Nein! Nein! Es ist ein bitter ernstes Mahnen
Vergangner Zeit.

Verblichen ist, doch nimmermehr vergessen
Ein altes Bild,
Das meiner Seele Tiefen unermessen
Auf ewig füllt.

Zu bald nur ist dein junges Herz vergeben, -
Bedenk' es dir:
Mit schmerzlicher Vergangenheit ein Leben
Nimmst du dafür.

Nur lindern kannst du, aber niemals heilen! -
Fühlst du dich stark
Ein tiefes Seelenleid mit mir zu theilen?
Der Lohn ist karg! -

Wol wird Entsagung mich zu Grunde richten,
Mein Herze bricht, - -
Doch auf die alten Träume zu verzichten
Vermag es nicht.


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 90)

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Eine Locke

Ein theures Unterpfand ersehnt die Liebe,
Ihr bedeutungsschwer, ein vielberedtes Zeichen,
Das, sollt' auch ihrer Sonne Glanz verbleichen,
Als Hoffnungsstern am dunklen Himmel bliebe.

Geläng's, des Kusses flüchtiges Genießen,
Der dunklen Augen liebeglühend Blicken,
Ja, selbst ein Lächeln nur, ein freundlich Nicken
In ew'ge Formen dauernd fest zu schließen;

Du könnt'st mit einem Lächeln deiner Holden,
Ob du der Trennung Wehe auch erfahren,
Noch spät, in hoffnungslosen Leidensjahren
Von Schmerzen einen Abgrund übergolden.

Doch, ach! Die Reize lassen sich nicht bannen,
Und Gruß und Kuß verschweben und verrauschen,
Vergebens dann dein Sinnen und dein Lauschen;
Denn Alles flog, so wie es kam, von dannen! -

Das Bild, zum letzten Abschied dir gegeben,
Das leicht beschriebne Blatt mit buntem Rande,
Das alte Buch mit dem verblichnen Bande
Sind Sonnenstralen in dein düstres Leben.

Kein todtes Bild soll mich an dich erinnern,
Es könnte mich vielleicht dereinst belügen,
Weil andres doch in geistig schönren Zügen
Du lebst, nie ausgelöscht, in meinem Innern.

Kein Blatt und auch kein Band zum Angedenken!
Wie ich mich selber ganz dir hingegeben,
So sollst du, Holde, mir von deinem Leben,
Sollst mir von dir ein kleines Theil auch schenken;

Sollst eine Locke dir vom Haupte schneiden,
Wenn es beseelt von liebenden Gedanken!
Sie, die herabfließt um den Hals, den schlanken,
Sei mir ein Talisman in Lust und Leiden.

Vom Himmel, den die Lockenwolken säumen,
Und von den Sternen, die darunter flammen,
Von deinen Augen, deinen wundersamen,
Will ich bei deiner Locke selig träumen.


Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 91-92)

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Hochzeit

Ein Liebesgeträum' hat die Nacht mich erfreut,
Nun weckt mich der Morgen mit festlichem Geläut'.
Wie freundlich hell die Sonne durchs Fenster mir glänzt
Zum Bildnis, mit Immergrün und Myrthen bekränzt!

Immergrün ist Lieben, das treulich fest muß sein,
Und die Myrthe vor Jahren schlang die Hoffnung hinein.
Die Zweige sind lange schon verwelkt und verdorrt:
Mit Lieb' und mit Treue zog die Hoffnung all' hinfort.

Verzag' nicht, gekränktes, tiefleidendes Gemüt,
Daß ein ander Kränzlein, ein fremdes fröhlich blüht.
Hell klingt und klar der volle Glockenschlag:
Gekommen ist, gekommen der Liebsten Hochzeitstag.

Nimm Abschied vom Bild, das zu dir so freundlich lacht,
Du hast es ja geherzt und geküßt die ganze Nacht! -
In der Luft verklinget der Kirchenglocken Ton,
Eile dich, mein Herz, man wartet deiner schon!

Geschmückt ist der Altar mit Cypressen, dunkelgrün,
Hinstreut weiße Lilien und duft'gen Rosmarin!
Hinter dem Pfeiler will ich warten und sehn,
Hier werd' ich doch Niemand im Wege mehr stehn!

Sie kommen! Sie kommen! Geräusch geht durch die Reihn,
Mit mächtigem Schall braust die Orgel herein.
Was zitterst du? Was drückt dir die Brust gar so schwer?
Und du, mein treues Herz, was pochst du denn so sehr?

Rings weicht die stille Menge erwartungsvoll zurück,
Auf Bräutigam und Braut ruht jeglicher Blick.
Sei mir tausendmal gegrüßt, viel holdselige Braut,
So schön hat mein Auge noch nimmer dich geschaut!

Ein Perlenschmuck liegt dir im goldlockigen Haar
Aus Thränen, von der Liebe vergossen licht und klar;
Hell stralt auf der Brust dir ein seltener Rubin,
Da fiel heiß ein Tropfen roten Herzblutes hin.

Erblüht auf einem Grabe ist weiß ein grüner Strauß,
Sie wanden dir aufs Haupt ein Myrthenkränzlein draus.
Sei mir tausendmal gegrüßt, viel holdselige Braut,
So schön hat mein Auge noch nimmer dich geschaut! - -

Still! Sie erbebt! Sie hebt wirr den Blick empor:
Sie flüstert: Was tritt dort für ein Schatten hervor?
Wer hat den Altar mit Cypressen mir bekränzt?
O, Gott, das ist kein Thau, was an den Blumen erglänzt!

Blutiges Naß ist auf die Lilien hingestreut, -
Haltet ein mit dem dröhnenden Glockengeläut'!
Was sie singen auf dem Chore, das ist kein Choral! -
Das ist seine Stimme! - Er sang das Lied einmal! -

Er sang' an einem Grabe - es war im Monat Mai,
Er sang mir's und küßt' mich auf die Lippen wild dabei, -
O, weh mir, es brennt auf der Brust mir heiß,
Ach, und der Kranz liegt in den Haaren wie Eis! - -

Was träumest du? - Sieh: Zusammen in die Knie
Sinkt Bräutigam und Braut, den Ring nehmen sie, -
Schon sprach sie das leise, bejahend süße Wort, - -
Hinaus! Die Pfeiler stürzen, - hinaus jetzt und fort!

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 98-100)

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Zum letzten Mal

Zum letzten Mal
Am Abend, bevor
Die Sonne versinkt im Nebelflor,
Blickt noch ein leuchtender Stral
Aus dämmerndem Grau empor
Und läßt in flammenden Gluten
Die Bergeshöhen, das Thal
Mit dem Himmel zusammenfluten.
Dann muß der Tag sich neigen
Zum Untergange;
Die Nebel des Thales steigen,
Und es trauert die Nacht, die lange.

Zum letzten Mal
Im Abendstral
Des früh gesunkenen Glückes
Erglüht mein Gemüt.
Und es schwingt sich das Lied
Mit den Gluten des Augenblickes
Als letzter Gruß von mir,
Mein Lieb, zu dir.

Der hellsonnige Tag,
In schnellen Zügen genossen,
So bald dahingeflossen,
Gehe noch einmal vorüber!
Daß ihn die Seele noch einmal mag
In schnellem Gedenken genießen.
Schon wird die Erinnerung trüber
Und sehnt sich die Augen zu schließen.

Ermüdet von schmerzlichen Thränen.
Dann soll der Tag sich neigen,
Die Nebel sollen entsteigen,
Verhüllend das selige Wähnen.
Bald kommt die dunkele Nacht
Mit ihrem traurigen Schweigen;
Dann sei mein Lieben und Sehnen
Für immer zur Ruhe gebracht!
***

Wie liegt sie so weit,
Die selige Zeit
Zurück, zurück
In ferner Vergangenheit,
Wo ich dich, mein Glück,
Wo ich dich, mein Leid,
Gesehen zum ersten Mal!

Der Winter zwängte die Lande
In seine frostigen Bande.
Das Dämmerlicht
Brach früh herein
Im wallenden Nebelgewande.
Nun lockt' es nicht
Im flüsternden Hain
Auf traulichen Pfaden zu gehen,
Wann leis in den Lüften vewehen
Melodische Nachtigallstimmen;
Nicht winkte der silberne Mondenschein
Den rauschenden Strom entlang
In schaukelnder Gondel zu schwimmen
Bei Bechern Weins und Gesang.
Vom Reif war der Wald, der entlaubte, weiß,
Und im Bette des Stromes krachte das Eis.

Zu schönerer, höherer Lust
Ladet der zeitige Abend,
Mit edlerer Nahrung erlabend
Die sehnende Menschenbrust.
Begeisterte Hörer treten
Still in die erleuchteten Hallen,
Im heiligen Tempel der Wissenschaft
Und Kunst, eine Stunde zu beten,
Wo Worte ewiger Weisheitskraft
Von belehrendem Munde schallen.
Da war es, wo ich dich gesehn.
Wie warst du so lieb, so schön!
Ich kannte dich nicht;
Mich bewegte dein liebes Angesicht,
Umflossen vom Scheine der Kerzen,
Versenkt in Lauschen;
Die Augen so groß emporgeschlagen,
Als wollten sie suchen und fragen
Nach einem mitfühlenden Herzen
Um Trauer und Lust zu tauschen.
Ahntest du nicht, daß so nah dir ein Herz
Entgegenschlug zu Lust und Schmerz?
***

Es barst das Eis, der Schnee zerschmolz,
Zarte Knospen entsprangen dem Holz,
Das winterüber
Erstarrt gestanden in eisigen Schauern.
Am heiligen Osterfeste,
Am Tag, wo der Herr zum Leben erwacht,
Erstand auch mein Geist aus Grabesnacht
Und schüttelte ab sein Trauern.
Die Vögel trugen zu Neste,
Und über die weiche Erde hin
Zog frisch das erste, schwellende Grün. -
Ich sah dich wieder.
In der Gesellschaft trostlosem Sand
Ich dich, du klare Quelle, fand;
In der Gesellschaft, wo verhöhnt
Die Wahrheit, versteckt ihre leiseste Spur -
Wie hat mich mit ihr dein Wesen versöhnt
Und deine unbefangene Natur!

Unter geputzten Damen und Herrn
Saß ich dir zu Tisch gegenüber.
Ich sah dich so gern
Und mit jeder Minute lieber!
Auch du hast oft mich angesehn,
Du mochtest meine Gedanken verstehn;
Die Augen schlugst du nieder
Und nipptest verlegen am roten Wein, -
War es nur sein Wiederschein,
Der flüchtig über die Wangen
Dir hingegangen?
Du hobst die Augen wieder
Und sahst mich an
So lieb, so verlegen!
Wie herzlich man doch sprechen kann,
Ohne die Lippen zu regen! -

Nach Hause schritt ich spät in der Nacht
In Gedanken versunken,
Und liebestrunken
Hab ich im Traum noch dein gedacht. -
***

Eine trübe Zeit ging vorbei,
Da kam der lachende Mai!

Ich trug den ganzen Himmel
Und die Erde in der Brust, -
Der Himmel so freundlich blau,
Die Erde so grün, so grün!
O, du selige Frühlingslust!
Der Blumen buntes Gewimmel
Im Garten und auf der Au!
Der Bäume schneeiges Blühn!

Ein fröhlicher Falter flog mein Sinn
Ueber die duftigen Lande hin
Zu dir, zu dir mein süßes Lieb!

Die Knospe träumte vom Blühen,
Von Frucht die Blüte am Baum;
Das selige Glück der Liebe,
Das war mein schöner Traum!
***

Die Tage enteilten in schneller Flucht,
Die Blüten fielen, es schwoll die Frucht,
Die Sommermonde vergingen.
Wie bald, wie bald
An den Bäumen im Wald
Die welken Blätter hingen.

Die Blumen waren lang
Verblichen und verblüht,
Und die wandernde Schwalbe sang
Ihr Abschiedslied.
Es rauschte das Laub zu meinen Füßen.

Auch an der Hoffnung grünem Baum
Waren die Blätter welk geworden,
Zuweilen nur im Traum
Schien mich der Lenz zu grüßen, -
Und es brausten die Stürme aus Norden.
***

Doch wieder ertönten die Osterklänge.
Des Welterlösers Todestag
Verkündete traurig der Glockenschlag;
Zur Kirche wallte die dunkle Menge.

Versteckt auf einem entlegenen Platz,
Gesichert vor neidischen Späherblicken,
Konnt' ich mich in eine Ecke drücken -
Du mir zur Seite, mein süßer Schatz.

Der rauschenden Choräle
Mächtiger Strom
Erfüllte den Dom.
Wehmütig klagende Lieder
Tönten vom Chor hernieder.
Wie rührte mich der fromme Gesang
So wunderbar,
Wenn es auch nur ein schöner Klang
Für meine Seele war!
Und tief bewegt
Hatt' ich meine Hand in die deine gelegt.
So saßen wir da mit bebendem Herzen.
Im Schiff der Kirche brannten die Kerzen,
Ueber die hohen Säulenbogen
Kam ein dämmernder Stral gezogen
Und umfloß dein Angesicht
Mit zauberischem Licht.

Da schwang
Sich der Gesang
Mit vollerem Chor
In rauschenden Accorden
Zum Siegestriumph empor!

Dann schwiegen die mächtigen Klänge,
Und es verlief sich der Menschen Gedränge.
Die Kirche war leer geworden.
Hoch glühten deine Wangen,
Ich wollte so viel dich fragen,
Doch nichts vermocht' ich zu sagen,
Und wir sind still von einander gegangen.
***

Nun ward es auch wieder Mai.
Mir war das Herz so leicht und frei -
Du liebst mich! Du liebst mich!

Verschämt mit zagendem Munde
Hast du in süßer Stunde
Gelöst der Verschwiegenheit Banden
Und mir's bebend eingestanden:
Du liebst mich! Du liebst mich!

Singet freudiger, Nachtigallen,
Grünet heller, ihr Bäume
Rauschet lauter, ihr Wasser! -
Ich möchte jauchzend an die Brust dir fallen,
In trunkenem Selbstbergessen
Dich innig in meine Arme pressen
Und sterben an deinem Herzen -
Du liebst mich! Du liebst mich!
***

Mit deinen dichten, schattigen Büschen
Sei mir gegrüßt, du lieber Ort!
Gegrüßt, ihr trauernden Cypressen,
Gegrüßt, ihr grünen Gräber dazwischen!
Wol sprecht ihr so manches bittere Wort
Von Lieben und Vergessen,
Wol mahnt der dürre Erdenstaub,
Wie Alles der Vergänglichkeit Raub,
Doch zog der Zeit versöhnende Hand
Schwellenden Rasen über das Land
Die traurige Spur zu verwischen.

Eherne Kreuze hat der Glaube
Entwachsen lassen dem Erdenstaube,
Und die Erinn'rung grub in den Stein
Geliebte Namen und Zeichen ein.

Die ehernen Kreuze des Glaubens sanken,
Die Steine sind verwittert, zersprungen,
Doch hat um Alles liebend geschlungen
Der Epheu ewig grünenden Ranken.

Du stiller Ort, in deinem Frieden
War mir das höchste Glück beschieden;
Ein neues schönes Leben
Hast du mir, Stätte, des Todes, gegeben!

So schnell sind uns die Stunden
Der Liebe dort entschwunden! -
Wie mich dein Reiz entzückte,
Wie mich dein Kuß beglückte,
Nicht Worte können's fassen.
Wir schwuren uns treu zu bleiben,
Uns nimmer zu verlassen. - -

Ihr traurigen Cypressen,
Am lieben, stillen Ort,
Ihr sprecht so manches Wort
Von Lieben und Vergessen!
***

Und wieder ist in Hoffen und Bangen
Ein Jahr vergangen.
Der Liebe Frieden
Ist längst geschieden.
Wol hab' ich über Alles dich
Herzinniglich geliebt, -
Was that ich dir, daß bitterlich
Du mich in den Tod betrübt?

Sage nicht, daß die Welt
Sich zwischen uns stellt!
Sage nicht, daß das Geschick
Vernichte unser Glück!

O, nein! O, nein!
Das sind nur Schlummerkissen
Für dein Gewissen.
War dein Lieben so klein?
Stark sollt' es sein
Zu trotzen den Schranken
Der neidischen Welt mit tausend Gedanken.

Für dich hätt' ich mein Leben
Freudig dahingegeben.
So gehe du hin
Mit leichtem Sinn -
Wir müssen scheiden!
Ob ich verzweifle, was hast du's Acht?
Du läßt mich's leiden! -

Du hast es dir wol nimmer bedacht,
Wie tiefen Schmerz ich oft empfunden,
Wie ohne Schlummer so manche Nacht
Im Gram um dich mir entschwunden?
Dir hat es wol nimmer Sorge gemacht,
Daß du ein Leben, so reich an Hoffen,
Tödtlich getroffen,
Mit tändelndem Schlage,
Der Zukunft Tage
Verdunkelt für immer? -
Doch zürn' ich dir nimmer.
Sei glücklich, mein Clärchen! In Trauer und Qual
Segn' ich dich scheidend viel tausend Mal!
Wol hast du in leichtem Vergessen gebrochen,
Was du mir in seliger Stunde versprochen, -
Ich gebe dir willig zurück dein Wort.
Gern küßt' ich noch einmal dich auf den Mund
Und weinte dazu aus Herzensgrund,
Doch muß ich mich fassen - die Freud' ist fort,
Das Glück ist weit
Und bleibt mir fern in Ewigkeit.
Dich hab' ich geliebt, dir hab' ich gesungen,
Die letzten Töne sind schmerzlich verklungen, -
So sinkt sie nieder,
Die Sonne der Lieder
Und erstehet nicht;
An den dunkel aufsteigenden Wolken bricht
Sich ihr letztes düsteres Stralen:
Das ist dies wilde, zerrissne Gedicht
Mit seinen Gluten und Qualen. -

Zum letzten Mal
Am Abend, bevor
Die Sonne versinkt im Nebelflor,
Blickt noch ein leuchtender Stral
Aus dämmerndem Grau empor
Und läßt in flammenden Gluten
Die Bergeshöhen, das Thal
Mit dem Himmel zusammenfluten.
Dann muß der Tag sich neigen
Zum Untergange;
Die Nebel des Thales steigen,
Und es trauert die Nacht, die lange.

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 103-114)

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Du mir Verlorene, ich denke dein!

Der Tag versinkt. Die Abendglocken klingen,
Und leise rauscht es in den dunklen Bäumen.
Mich führt hinunter ein gewohntes Träumen
Zum Teiche, wo wir oft zusammengingen.
Im Osten wird der tiefe Himmel blasser,
Vom Westen her im letzten Sonnenschein
Erzittert leuchtend das bewegte Wasser; -
Du mir Verlorene, ich denke dein!

Trüb wie der Mond im Teich, geht mir im Innern
Dein vielgeliebtes Bildnis auf in Thränen,
Rings will mich Alles nur an dich erinnern:
Hier folgte unser Blick den stolzen Schwänen,
Bis drüben sie im schlanken Schilf entglitten,
Hier ruht, im Gras versteckt, der graue Stein,
In den wir unsre Namen eingeschnitten, -
Du mir Verlorene, ich denke dein!

Das ist der niedre Ring von grünem Rasen,
Wo du, von meinen wilden Küssen trunken
Mir taumelnd an das heiße Herz gesunken,
Wo wir in unsern Augen glühend lasen,
Was die verwirrten Lippen nimmer sagten! -
Nun lieg ich an dem Rasen hier allein
Mit meinem Herzen, meinem schmerzgeplagten,
Du mir Verlorene, und denke dein! -

Aus: Aus Natur und Leben Gedichte von Max Kalbeck
Zweite Auflage Breslau A. Gosohorsky's Buchhandlung
(L. F. Maske) 1873 (S. 117)

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Von Osten

Heut in der Morgenstunde
Hat sie wol mein gedacht!
Von Osten ward die Kunde
Mir in den Wald gebracht.

Es fiel durchs Laub der Buchen
Ein goldner Frührotschein,
Als käm' er mich zu suchen
Dort, wo ich saß allein.

Von Osten sah ich steigen
Zur Sonne einen Aar,
Es ging in allen Zweigen
Ein Rauschen wunderbar.

Zugleich ein östlich Läuten
Vom Thal herüber drang;
Und fröhlich konnt' ich deuten
Mir jenen reinen Klang:

Heut in der Morgenstunde
Hat sie wol mein gedacht!
Von Osten ward die Kunde
Mir in den Wald gebracht.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 21-22)

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Trüber Morgen

Wie ist der Morgenhimmel
So schläfrig trüb und grau!
Kaum daß von ferne blinzelt
Ein Streiflein blasses Blau!

Verdrießlich seine Zweige
Der müde Laubwald streckt,
Das Thal mit seinen Häusern
Hat schwerer Dunst bedeckt.

So warte nicht vergebens,
O Wald mit Stein und Moos:
Nicht reißt dein fahrender Sänger
Vom Stubenzwang sich los!

Da seinen Sinn tief innen
Ein sanftes Licht verklärt,
Er Sonnenschein und Waldfahrt
Am Berghang gern entbehrt.

Sein Herz ist Licht und Sonne,
Und hell auffingen kann's,
Er sieht die Welt erschimmern
In Regenbogenglanz.

Was thut es, daß du heute
Langweilig bist und grau?
Ihm leuchten die blauen Augen
Von einer schönen Frau!

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 30-31)

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Laß den Blick verweilen!

Laß den Blick verweilen! Schlage
Nicht die schönen Augen nieder!
Meines Lebens Blütentage
Leuchten mir aus ihnen wieder.

Alle die geliebten Bilder
Der zu bald vergangnen Zeiten
Seh ich dort erinnerungsmilder
Schmerzlos mir vorübergleiten.

In der Welt, die mir verloren,
War ich selber mir entschwunden,
Nun in dir wie neugeboren
Hab ich wieder mich gefunden.

Mit der Sehnsucht leiser Klage
Grüßen mich die ersten Lieder, -
Laß den Blick verweilen! Schlage
Nicht die schönen Augen nieder!


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 32)

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Singe, Geliebte!

Laß sich erfreun die zum Tode Betrübte,
Laß die Gesunk'ne sich wieder erheben,
Schenke der sterbenden Seele das Leben,
Schenk' es ihr wieder: Singe, Geliebte!

Als die Verzweiflung, die tödtliche, scharfe,
Saul nach dem schuldigen Herzen getrachtet,
Hat sein verdüsterter Sinn sich entnachtet,
Rührte ihm David die Saiten der Harfe.

Heilsam erfassen mich selige Schauer,
Die mit dem Leide die Freude versöhnen,
Denn in des Liedes verschwebenden Tönen
Findet erlöst sich die schweigende Trauer.

Wie sich die Schwalbe vom finsteren Norden
Kehrt ob des Meeres verhaltenem Grimme,
Breitet sich hin die geflügelte Stimme
Ueber den grollenden, dunkeln Accorden.

Laß sich erfreuen die zum Tode Betrübte,
Laß die Gesunk'ne sich wieder erheben,
Schenke der sterbenden Seele das Leben,
Schenk' es ihr wieder: Singe, Geliebte!

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 34-35)

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Mit meinem Bilde

O hätt' ich wie früher mit lachendem Munde
Mir Küsse geraubt von der flüchtigen Stunde,
Wo stets mir gewandelt ein leuchtender Morgen
In rosige Wolken die nächtigen Sorgen!

Doch war im Gefühl ich vergänglicher Dauer
Dem Glücke begegnet mit Zweifel und Trauer,
Und nun, da ich längst mir Bewußtes erleide,
Siehst du mich gefaßt, daß ich ruhiger scheide.

Dir bleib' ich im Bilde! Noch wird es bestehen,
Wenn Liebe und Treue die Winde verwehen;
Und bin ich dir selber verblichen im Innern,
Mag's dich als eines Verblichnen erinnern!

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 37)

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An die Liebe

Verzweifelte Herzen
Abseits Verirrter,
Armer Geängsteter
Finden dich nicht,
O Retterin, Liebe!

Verborgene Höhlen,
Die Winkel der Gassen,
Des Weges Krümmung
Beschützen den Haß:
Er wacht und lauert,
Ein mächtiger Feind.

Weh, wenn dereinst
Sein sträflicher Wandel
Im zürnenden Lichte,
Straflos und frei
Und deiner spottend
Ginge den Markt hin!

O wende nicht
Dein göttliches Antlitz
Von unserer Schwachheit!
O wende nicht
Den leuchtenden Blick
Von unserer Thorheit,
Retterin, Liebe!

Erweitre die Kreise
Häuslichen Glückes!
Den Kindern baue
Durch ihrer Väter
Ordnende Hände
Ein schützendes Dach!
Ihr Wohlstand erbe
Im Wachsen sich fort
Vom Geschlecht zum Geschlechte!
Behüte den Funken,
Verwahrt in der Asche
Des gastlichen Heerdes,
Wenn nicht vergebens
Mit bittendem Wort
Am offenen Thore
Der Fremde steht!
Gieb das Geleit
Dem verspäteten Wandrer,
Der über den Felssteig
Klettert am Abhang;
Führe ihn sicher
Zum heimischen Thale
Als freundlicher Stern!

Zerstreue den grau
Umzogenen Himmel
In flockig Gewölk
Und heiße des Monds
Sanft stralende Sichel
Den Pfad erhellen,
Welchen durch Büsche
Ueber der Gräben
Dornige Hecken
Zur treuen Geliebten
Die Sehnsucht nimmt!
Dem von der Willkür
Schuldlos Gefesselten
Führe die Schwester
Zu als Gefährtin,
Die tröstende Hoffnung!
Mit Rosenfingern
Berühre sie morgens
Die Stäbe des Gitters
Und wandle dem Trauernden
Eisen in Gold!

Nimm den Druck
Schwer lastenden Unglücks
Von duldenden Herzen
Und streue des Schlummers
Friedliches Korn
In ermüdete Augen!
Verschlossenem Leid
Gieb lösende Thränen
Und senke wieder
Geflügelter Lüfte
Kühlenden Hauch!
Blumen streu'
Auf des Sterbenden Bett!
Errege den Vogel,
Der unter der Linde
Auf Lieder sinnt,
Daß er ihm singe!
Breite die Glut
Der versinkenden Sonne
Ueber sein Antlitz
Und laß ihn ruhn!


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 56-60)

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Musikalischer Thee

Nicht ganz so, wie ich dachte, ist's gekommen.
Ich fand mich ein zur festgesetzten Stunde.
Zwar höflich, wol auch freundlich aufgenommen,
Blieb ich ein Fremder doch in fremder Runde.

Schon des Empfanges lästige Feuerprobe
Trug ich gelassen, und ich ward noch kühler,
Als mir herausklang aus der Damen Lobe:
Dein Violinspiel will man, nicht den Spieler.

Die Hoffnung, daß ich meine Schöne fände,
Ließ froher mich zum Musiciren schreiten, -
Ich fand sie wirklich, die ersehnten Hände,
Sie durften mich sogar zum Spiel begleiten!

Die schönen Hände und zwei glänzend braune,
Tiefdunkle Augen hatten mich gewonnen:
Da war der letzte Tropfen übler Laune
In einem Strom von Seligkeit zerronnen.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 66)

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Frühling

Es fiel zur Nacht der erste warme Regen,
Von Westen weht gelinder Windesodem,
Frisch aus der Erde dampft ein duft'ger Brodem
Als Opferrauch dem Monat März entgegen.

Entfesselt schäumt der Strom aus seinen Borden,
Die Freiheit läßt ihn freudig überschwellen;
Ihm sagten es die schnellen Bergesquellen,
Daß es nun Frühling in der Welt geworden.

Im Sturmesbrausen ist der Lenz gekommen; -
Von Euch, Ihr Gräser auf der öden Halde,
Von Euch, Ihr Bäume all' im tiefen Walde,
Von Dir, mein Herz, ward er wol längst vernommen!

Die Bäume haben Knospen schon getrieben,
Sie ahnen, daß sie wieder blühen sollen;
Dieselbe Hoffnung auch begrünt die Schollen, -
Und Du, mein Herz, wirst wieder blühen und lieben.


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 67)

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Beim Maitrank

Der Lärm der Stadt rauscht ferne mir zu Füßen, -
Wie gerne hab' ich sie zurückgelassen
Die Promenaden und die Backsteinmassen!
Ein Haus nur will ich froh von hier begrüßen.

Herüber scheint es auch zu mir zu sehen,
Die Fenster blitzen goldig aus dem Grünen,
Vom letzten Abendsonnenglanz beschienen,
Als ob sie könnten meinen Gruß verstehen.

Wie hier sich Blatt an Blatt drängt, Blüt' an Blüte,
Und drüber hin die bunten Falter schillern,
Wie rings die Nachtigallen freudig trillern,
So blüht und glänzt und singt mir's im Gemüte.

Der junge Frühling brachte frischen Maitrank, -
Dem Frühling gilt der erste volle Becher!
Zwei andre trinkt noch der verliebte Zecher
Den goldnen Fenstern zu als einen Weihtrank.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 71)

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Unten und Oben

a.
Was treibt Dich heut schon in der Morgenfrühe
Den oft beschrittnen Pfad entlang hinaus? -
Du willst sie sehn? - Das ist verlorne Mühe:
Geöffnet sind die Läden kaum am Haus.

Halt an! dort regt sich leise die Gardine! - -
So zeitig auf? - Ihr Fenster ist es! - Ja,
Da kommt sie selbst! - - Mit welcher frohen Miene
Sie grüßend wieder auf Dich niedersah! -

Ob Du es wagst den Kopf zurück zu drehen?
Wenn sie's bemerkte, wär' es viel gewagt! -
Und wenn Du's thust, was kann Dir denn geschehen? -
Sonst warst Du dreist, - und nun bist Du verzagt!


b.
Der Zufall will's, daß er die meisten Wege
An unserm Haus vorübernehmen muß,
Just immer, wenn ich mich ans Fenster lege; -
Mir ist es lieb, - denn heiter scheint sein Gruß.

Mir ist es lieb, - gewiß um seinetwillen!
Der arme Schelm, der selten herzlich lacht,
Plagt sich zu viel mit einem Schwarm von Grillen,
Es fehlt ihm Jemand, der ihn fröhlich macht.

Stets pflegt er düster vor sich hin zu blicken,
Ein stiller Wandrer, wallt er einsam fort.
Gekreuzt die Arme sinnend auf dem Rücken, - -
Könnt ich ihm sagen nur ein tröstlich Wort!


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 72-73)

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Aus ihrem Tagebuche

a.
Nimm Alles, was mein eigen, nimm auch mich!
Es sei Dir Leib und Seele hingegeben!
Was wäre mir ein Leben ohne Dich,
Du, meiner Tage, meiner Nächte Leben?

Verdunkelt weicht am Tag der Sonne Stral,
Ein schönrer Glanz hält meinen Blick befangen;
Und über meiner Sehnsucht süßer Qual
Bist Du zur Nacht als Sternbild aufgegangen:

Als wie im Traum verschwinden Welt und Zeit,
Vorüber rauscht ein Wechsel von Gestalten,
Es träumt mein Herz sich in die Ewigkeit,
Denn sie vermag allein Dich festzuhalten.

Und bin ich nichts als nur ein schwaches Weib,
Ein Augenblick in Deinem reichen Leben,
Dir nur gehör' ich an: Es ist mein Leib
Und meine Seele ganz Dir hingegeben.


b.
Du weißt, Geliebter, alle meine Fehle! -
Mein Fühlen und mein Deuten ist Dir klar,
Seitdem ich ganz in Deine liebe Seele
Verlor mein eignes Wesen wunderbar.

Wol ist Dir auch bekannt der treue Glaube,
Der dort sich eine Stätte auferbaut,
Und dessen Blick, geklärt vom Erdenstaube,
Dich selig still in deiner Höhe schaut.

Da findet sich die erst Entschwundne wieder
Und theilt mit Dir ein niegeahntes Glück:
Es geben sie geläutert Deine Lieder,
Ihr selbst zum schönsten Eigentum, zurück.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 79-80)

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Abschied

O welch ein Wiedersehn! - Sie strich die Haare
Sich aus der Stirn mit hastig irrer Hand,
Ihr Augenpaar, das sonst beweglich klare,
Sah starr und trüb ins Leere unverwandt. -

Nun springt sie jäh empor. Ein Strom von Zähren,
Der plötzlich aus den starren Augen bricht,
Scheint Lindrung ihren Schmerzen zu gewähren,
Sie nimmt mich bebend bei der Hand und spricht:

"Bist Du gefaßt ein traurig Wort zu hören?
In Trümmer ward geschlagen unser Glück.
Das reiche Leben muß der Tod zerstören,
So will's des Menschen bittres Mißgeschick!

Du wirst mich künftig niemals wiederschauen:
Zum letzten Mal am Herzen liegst Du mir!
Ach, morgen schon im ersten Tagesgrauen
Reißt mich die Ferne fort von Dir, von Dir!

Wenn Du mich liebst, verschmerze Weh und Klage
Du machst mir so den schweren Abschied leicht!
Kein Laut des Leides, und auch keine Frage;
Da Dein Warum mein Schicksal nicht erweicht.

Wohin ich geh, und wo ich mag verweilen,
Sollst du erforschen nicht! - Es bleibt sich gleich,
Ob eine Meile oder hundert Meilen, -
Wir sind getrennt durch jegliches Bereich! - -

Im Antlitz fühlst Du meine Thränen brennen,
Sie werden Dich zur ew'gen Liebe weihn;
Kein Scheiden darf den Bund der Seelen trennen;
So bleibst Du mein, so bleib ich ewig Dein!" - -

Ein letzter Kuß, ein letzter Druck der Hände!
Ich segne noch mein vielgeliebtes Haus
Die oft besuchten, eng vertrauten Wände, -
Und schreite traurig in die Welt hinaus.


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 92-93)

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Begängnis

Nun kommt hervor, begrabne Liebespfänder,
Ihr Zeugen alle von vergangner Lust:
Gewelkte Blumen, ausgeblichne Bänder,
Zerdrückter Briefe dicht bestäubter Wust!

Verborgen liegt Ihr vor profanen Augen,
Der Neugier im geheimen Fach entrückt;
Denn Einem nur auf Erden könnt Ihr taugen,
Den Euer Anblick immerdar beglückt.

Und der Euch liebt, der ist auch Euer Meister,
Dem Ihr gelebt und nun im Tod gehört,
Nur er ist's, welcher die entflohnen Geister
Durch Liebesmacht zu Euch zurückbeschwört! -

Erröte wieder, blasse Seidenschleife!
Das schönste Kind begleitest Du im Tanz! -
Zu Deinem Thal, verfärbte Blume, schweife!
Neu laß Dich winden, welker Blätterkranz!

Ihr Liederzeilen, mir vor Allem theuer,
Sprecht mit der Freundin Stimme sanft und mild!
Ha! Deine matten Augen sprühen Feuer!
Du lächelst wieder, mein geliebtes Bild! - -

Euch, der Vergänglichkeit vertrauten Zeichen,
Sei diese braune Locke eingereiht!
Geleitet sanft sie zu den stillen Reichen
Der Schattenwelt in die Vergangenheit!

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 94-95)

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Ja, du bist mein! Wenn auch in eignem Sinne!
Wol einem Andern mag dein Leib gehören,
Doch mein bist du von deiner ersten Minne!

Vergebens will die Lüge dich bethören,
Die dich zum Treuebruch hat verleitet frühe,
Sie wird dich nie aus meinem Banne schwören.

Was du ersinnst, das ist verlorne Mühe,
Da ich den Geist dir doch gefangen nahm,
Daß er im meinen klopfe, zittre, glühe!

Kaum weiß er noch, von wannen er mir kam;
Er ließ sich willig seine Schwingen binden
Und leidet um den Körper stillen Gram;

Doch kehrt er nie zurück. Denn wiederfinden
Darf er die schöne Erdenhülle nicht,
Sie mußte seiner Augen Kraft entschwinden.

Vorüber geht verdunkelt sie im Licht
Und könnte Raum dem Flüchtling auch nicht geben,
Wenn's ihm gelingt, daß er sein Joch zerbricht.

Erathmend in der Welt ein fremdes Leben,
Vom Drucke der Alltäglichkeit beschwert,
Mußt du in Niedrigkeit und Sorge beben!

Und wenn im Traum verstohlen wiederkehrt
Die Zeit von deiner ersten, schönen Minne,
Wenn dich im Wachen dann der Gram verzehrt;

So bist du mein, - wenn auch in eignem Sinne!


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 107-108)

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Seitdem zu meiner Liebe Todtenfeier
Die letzte Trauerklage war verklungen,
Verstummte meine liederreiche Leier.

Sie hing bestäubt, von schwarzem Flor umschlungen;
Und manchmal scholl sie traurig von der Wand,
Wenn eine Saite klirrend abgesprungen. -

Nun ich sie wieder einmal nahm zur Hand,
Geschah es, daß ich von der Saiten sieben
Noch ihrer drei erhalten wiederfand.

Ein Dreiklang ist mir übrig noch geblieben,
Mit ihm begleit' ich meine späten Lieder,
Die nur der Nacht vertraute Stille lieben. -

Wie traurig klingt es von den Wänden wieder!


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 119)

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Die Weiber muß ich lieben und verachten!
Sie ließen mich als Einen, der entbehrt,
Im Liebesrausch verdursten und verschmachten.

Und ob mir Jede jeden Wunsch gewährt, -
Das Wünschen ist zur Ruhe nicht gebracht,
Von Sehnsuchtsqualen werd' ich stets verzehrt.

Die Liebesflamme, einmal angefacht,
Ergreift und frißt wie Stroh die besten Scheiter,
Mir grell beleuchtend alles Liebens Nacht.

Denn längst erlosch der Glanz, der bunt und heiter
Mich einst umspielt in Regenbogenfarben;
Auf schwarzen Flügeln trägt die Nacht mich weiter.

Des Wechselns muß fortan der Aermste darben,
Der satt gesehen sich am Quell des Lichts,
Wo die gebrochnen Stralen ihm erstarben;

Und ihm entgegen gähnt das ew'ge Nichts.

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 119)

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Oft, wenn mich unter fieberhaften Küssen
Die Wollust bis zur Raserei gehetzt,
Hab' ich der alten Zeit gedenken müssen.

Wie war es damals, und wie ist es jetzt? -
Vergessne Klänge trafen dann mein Ohr,
Und Thränen haben mein Gesicht benetzt. -

Ein schmucklos Haus taucht mir im Geist empor,
Vom letzten Fenster leuchtet noch ein Schimmer
Durch Blumen und Verhänge matt hervor.

Wie oft dort stand ich still und wankte nimmer,
Wenn strömend niedertroff der Lenznacht Regen, -
War's doch vor meiner Liebsten Haus und Zimmer!

Da überkam es mich wie Himmelssegen,
Wenn sie, des späten Lauschers nicht bewußt,
Im leichten Schatten schwebte mir entgegen.

Ein tiefer Friede zog in meine Brust;
Und nahm ich Abschied von den lieben Räumen
Mit meines Sehnens wunderlicher Lust,

So hofft' ich doch die Nacht von ihr zu träumen!

Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 120-121)

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Erhaben stehst du, schöne Sünderin,
Hoch über dieser schnöden Krittlerwelt,
Die spricht: Dank, daß ich nicht wie Jene bin!

Du fragtest nichts nach Titeln und nach Geld,
Als ich den Schoos der Liebste dir gesunken,
Du hast geliebt, gelitten als ein Held!

Das Feuer, das sonst nur in Rauch und Funken
Zum Himmel qualmt, hat deine Hand gereinigt
Zu einer Flamme, hell und geistestrunken.

Und hat man dich darum geschmäht, gepeinigt,
Aus der Gesellschaft höhnisch dich gestoßen
Und deinen guten Namen roh gesteinigt; -

Du duldest standhaft mit den Seelengroßen,
Die in Verachtung jedem Zorn entsagt,
Indeß die kleinen Geister sich erboßen;

Und glaubst, daß auch dein Morgen wieder tagt.


Aus: Neue Dichtungen von Max Kalbeck Breslau 1872
A. Gosohorsky's Buchhandlung (L. F. Maske) (S. 122)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Kalbeck

 


 

 


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