Wolf Graf von Kalckreuth (1887-1906) - Liebesgedichte




Wolf Graf von Kalckreuth
(1887-1906)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 



Fragment aus 'I
meroV (Sehnsucht)

Ob man der Wahrheit zu entgehn sucht,
Sie bleibt, und flöhst du noch so fern . . .
Die wahre Lieb' ist eine Sehnsucht
Nach einem nie erreichten Stern.
(S. 12)
Dievenow, 2. August 1905
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Erinnerung

Die zarten Mädchenwangen, die ich küßte,
Der Nacken und das braungelockte Haar,
Die lieben Hände und die süße Büste,
Das lebensfrohe, dunkle Augenpaar . . .
O daß ich sicher und gewiß es wüßte,
Daß alles, was so lieblich ist und war,
Noch tausendmal ich neu durchleben müßte.

Rasch kam das Glück, nicht minder flüchtig schied es,
Und Wolkenschatten decken grau die Flur,
Doch preise ich noch stets in meinem Lied es,
Was mir im Licht der Schönheit widerfuhr.
Die Eisenketten alles Leids durchzieht es
Mit Rosenfesseln, ja mit Rosen nur,
Den goldnen Festgeschenken Aphrodites!
(S. 14)
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Der Abendhorizont vergangner Stunden,
Der zitternd mein ermüdet Auge bannt,
Rankt seine weißen Blüten, zartgewunden,
Aufhellend, um das traumbetaute Land.
Und liliengleich sprießt alles, was entschwand,
Als ob ein fremder Hauch es aufwärts triebe -
Und zitternd flimmern durch die Nebelwand
Der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Wie Weihrauchduft, durch fern Gewölb empfunden,
Hat sich ein Schleier über ihn gespannt,
Daß fast dem weiten Äther er entschwunden,
In dem er leise knisternd aufgebrannt.
Es ist, als ob auf lieblichem Gewand
Gestreifter Blumen Goldstaub haften bliebe.
So hingeweht perlt er am Himmelsrand,
Der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Ein Dunkel ohne Morgen deckt die Wunden,
Die ich betastet mit entweihter Hand.
Und deren Schmerz so köstlich ich erfunden,
So oft die Sonne scheiden sich gewandt.
Doch wie ein silbern, windentwehtes Band
Hält mich der Strahl, ob alles auch zerstiebe,
Und zaubert über Flut und weißen Strand
Den Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Du, Liebste, hast allein mein Herz gekannt.
Und wann der Zukunft Machtwort es zerriebe,
Stets strahlt mir, ein entwichner Diamant -
Der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.
(S. 20)
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Wohl, Liebste, leuchtet in dem Reigen
Der Zeiten manch entschwundnes Jahr.
Ich freute mich an schwanken Zweigen
Und an der Sterne lichter Schar,
Daß uns bei Trennung und Gefahr
Die Seelen kühner nur erglühten -
Und nun gleicht alles, was da war,
Dem schwachen Duft verwelkter Blüten.

Denn unser Sein ist zart und eigen
Und unsre Seele wandelbar:
Versunken bald in totem Schweigen,
Bald tönend sonnenhell und klar.
Ach, niemals wird uns offenbar,
Warum wir kämpften und uns mühten -
War es der Glanz in deinem Haar?
Der schwache Duft verwelkter Blüten?

Den Thron der Freude zu ersteigen,
Erschien uns süß und wunderbar.
Nun, da sich bleich die Sonnen neigen,
Bring ich des Trankes Neig' dir dar . . .
Und es erlischt der Festaltar.
Und es erstirbt der Stürme Wüten. -
Nur eins bleibt in der Öde wahr:
Der schwache Duft verwelkter Blüten.

Nie, Kind, soll solch ein seltsam Paar
Vergangner Lust Gedächtnis hüten . . .
Der Menschen Glück ist immerdar
Wie schwacher Duft verwelkter Blüten.
(S. 24-25)
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Wann deiner Lippen weinbenetzte Süße
Gleich einer Frucht auf meinen Mund sich prägt,
Durchfühl ich staunend fernster Zeiten Süße,
Da noch die Liebe sich in uns geregt.

Des Lebens mächtger Strom, auf dem wir trieben,
Hat uns mit seinen Stürmen nicht verschont.
Jedoch das fremde Lächeln ist geblieben,
Das anmuthvoll auf deiner Stirne thront.

Wir wollen unsre Liebe nicht versuchen
Wie einst in jenen Tagen heitren Lichts . . .
Was hülfe es, der kalten Leere fluchen?
Wir beide kosteten vom Trank des Nichts.

Als ob dein Leib mich schwer mit Gram belüde,
Fühl ich der Sinne stolzen Flug gebannt.
Und selbst der kühnsten Freuden bin ich müde,
Denn rings umschließt uns die metallne Wand.

Die Wand, vor der ohnmächtiges Erinnern
An Unschuld und Begier in Staub zerfällt,
Die uns bedrückt und quält in tiefstem Innern,
Bis unser Haupt an ihrem Erz zerschellt.
(S. 32)
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In meiner Brust wohnt kein Verlangen,
Und keine Freude fühlt mein Blut,
Daß je auf deinen bleichen Wangen
Mein schmales Lippenpaar geruht.

Nur wenn die Wellen tödlich gähnen,
Dann neige lächelnd dich herbei -
Daß voll von wesenlosem Sehnen
Mein Leben wie mein Sterben sei.
(S. 32-33)
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Durch tausend Felder bin ich heut geritten,
Die Weidenbäume flogen rechts und links,
Der Feldweg widerhallte von den Tritten,
Durch gelbe Meere reifer Ähren gings.

Schon regte sich die fremde Schwermut wieder,
Die schattenhaft vor meiner Liebe wich,
Doch selbstbezwungen stählt ich meine Glieder,
Denn all mein Fühlen lebt nur noch für Dich!
(S. 40)
Hoeckricht, 12. Juli 1906
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Nichts gleicht der Süße Deiner lieben Worte,
Die tränenschwer ins tiefste Herz mir sinkt.
Mir ist, als spränge eine ehrne Pforte,
Aus der die Lichtflut klarer Liebe dringt.

Nicht meine Kunst, die gramvoll sich verschleiert,
Nicht meine Rede, die sich unnütz müht,
Hat solche Güte zarten Worts gefeiert,
Wie aus den Zeilen Deines Briefs sie blüht.
(S. 41)
(Antwort auf einen Brief)
(Hoeckricht, 13. Juli 1906)
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Das Grün der Bäume und des Äthers Blässe
Erfüllen uns mit leiser Bitterkeit,
Was hilft es, daß man träume und vergesse,
Unsterblich lebt in unsrer Brust das Leid.

Für jedes Schattens leichten Flug erglüht' ich
Und folgte jedem irrenden Gelüst,
Bis daß du schweigend und unendlich gütig
Auf die befleckten Lippen mich geküßt.

Ihr Nachtgebilde, die das Herz ihr peinigt,
Nun fließt zum Abgrund nieder und zerstiebt,
Von allem Grauen fühl ich mich gereinigt,
Da mich ein Mensch in diesem Dunkel liebt.
(S. 42)
(1906)

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Ich darf mein Herz an niemand Liebes hängen,
Von dem mich nicht das Leben grausam risse . . .
Ach so allein sein Fühlen einzuengen
Im Gram der schlummerlosen Finsternisse!

Wo ist der Mut, der mich beseelen sollte?
Wo ist das Feuer, das mir Kampf geboten?
Ach, alles schwindet, was ich halten wollte,
Und all mein Leben ist das Wort der Toten.

Ihr Flüstern regt sich in der öden Tiefe
Und zeigt den Tod in träumender Verzückung.
O daß das Schattenreich mich zu sich riefe
Aus dieser qualvoll brennenden Bedrückung!

Doch tötet mich die graue Nebeldecke,
So möge mir ein letztes Sehnen sprießen,
Daß deine Hände, wann ich bleich mich strecke,
Mir liebend die gebrochnen Augen schließen.
(S. 42-43)
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Wie sich die Augen froh erschließen
Dem ewig jungen, milden Licht,
Das klare Blau des Himmels bricht -
Ein Schein von zärtlichem Genießen,
In dem erinnernd Träume sprießen:
So, Liebste, ward mir dein Gesicht.

Der holden Lippen süße Röte
Entschleiert das vergeßne Einst,
Wie du den Klang der Silberflöte
Mit morgendlichem Ruhn vereinst.
Ob auch der trübe Zug der Nöte
Im Herzen alle Liebe töte . . .
Unsterblich lebt, was du beweinst.
(S. 45)
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O Süßigkeit des Lieds, die leise
Aus dunkelklarer Flut du quillst,
Daß unsre Qual in starrstem Eise
Vor deiner stillen Wärme schmilzt . . .

Entführe stumm zu ihrem Herzen,
Das einzig meinem Gram gefällt,
Den Strahl der Hoffnung und der Schmerzen,
Der meine Öde bleich erhellt.

Sprich mit des Ährenfeldes Demut,
Das sich dem Sommerregen neigt,
Daß meiner Liebe ferne Wehmut
In ihre Seele niedersteigt.

Laß meines Zweifels banges Schwanken
Zu ihren Füßen zärtlich ruhn,
Die späten Blüten der Gedanken
Und all mein hoffnungsloses Tun.

Daß sie die eigne Güte spiegelnd
In meinem Herzen möge sehn . .
Der Schatten seltsam Glück besiegelnd,
Die flüchtig kommen und vergehn.

Kannst du der Wolken Zug, der blasser
Gen Westen gleitet, hemmen? - sag!
Ach, wie das Rieseln klarer Wasser
Entfließt zur Nacht mein grauer Tag!

So laß sie sich als Strahl empfinden,
Der durch mein tiefes Dämmern bricht,
Vor dem die Wolkenschatten schwinden,
O letztes, bald entrücktes Licht!

Laß nur das Bild der Hoffnung sprießen,
Die meinem trüben Blick zerrann.
Und deiner Milde mich genießen,
Daß ich mein Leben tragen kann.
(S. 56-58)
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Der Duft der Blumen, die dein Bild beschatten,
Vermählt sich zärtlich zeitvergeßnem Traum.
Und was wir Liebes uns zu sagen hatten,
Durchstrahlt den schmalen, lichterglänzten Raum.

Der trübe Pfad durch all die Labyrinthe
Liegt stumm im Regen, der durchs Weinlaub fließt -
Was blühen Rose, Nelke, Hyazinthe,
Wenn du sie nicht mit liebem Auge siehst?

Dem Land der Sehnsucht ist das Herz entrissen.
Vom Äther rinnt ein kummervoller Schein.
Betaut von Tränen schwanken die Narzissen -
Und sollt ich froher als die Blüten sein?
(S. 58)
(Hoeckricht, 13. Juli 1906)

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Der Liebe und Verwesung sing ich,
Dem blutverwandten, grauen Paar.
Und tausend tote Keime bring ich
Den Schrecklichen als Opfer dar.

Die Tränen, die nicht fließen konnten,
Der Haß, der tödlich mich verzehrt,
Der Gram von toten Horizonten,
Wann sich die Sonne nachtwärts kehrt.

Und wie zwei Liebende erglühen,
Wann sie verbotne Liebe zwingt,
So fühl ich, wie der Liebe Blühen
Dem Sterben sich entgegenringt.

Wann schließt dies hoffnungslose Schauen,
Das mir durch Kerkerstäbe bricht?
Für ewig schwanden Lust und Grauen.
Du hoffst umsonst! Sie leben nicht!

Verhaßt ist mir der Sonne helles Licht!

Ein Faden fesselt mich ans Leben -
Ein unbezwinglich Machtgebot -
Ich kann mir selbst den Tod nicht geben,
Die ihn erflehn, verschmäht der Tod.

Ich beuge mich und trage dies Gebot.

Noch hat kein Strahl die Nacht durchdrungen . . .
Doch einstmals wird das Frührot leuchten
Wie Blut am Stahl des blanken Beils . . .
In spätesten Erinnerungen
Des schweren, zugemeßnen Teils:

Wann leuchtet er - der hehre Tag des Heils!
(Eines der letzten Gedichte - vielleicht das letzte.) (S. 67-68)
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Die Zeit, da Lippe sich an Lippe preßt,
Daß schmerzend vor den Zähnen sie erblassen . . .
Ich will sie nie aus meinem Herzen lassen.
Ich halte sie in allen Stürmen fest.

Es schwindet des Erinnerns letzter Rest
Wie Abendschein in dunklen Wolkenmassen,
Doch wird das stolze Glück mich nicht verlassen,
Bis mich des Lebens letzter Hauch verläßt.

O nicht der Stahl der schwankenden Gefechte
Und nicht das Meer der blauen Sternennächte
Bleibt so wie jener Kuß in unsrer Brust.

Du fühltest zwischen Wellenzug und Scheitern,
Wie der verbrannten Wunden qualvoll Eitern,
Was du getan und was du tragen mußt.
(S. 95)
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Verbanne träumend jeglichen Gedanken
Und neige schlummerstill dein liebes Haupt,
Daß keine Sehnsucht dir die Ruhe raubt
Im Schattenland der Blätter und der Ranken.

Kein Kuß soll auf den müden Lippen kranken,
Der täuschungssüß an neues Leben glaubt.
Das sinkende Gezweig ist reich belaubt.
Es ruht der Winde und der Wolken Schwanken.

Und aus den Wäldern und dem dichten Rohr
Quillt wie gedämpft ein lauer Hauch hervor,
Der unsre Seele von Vergangnem reinigt.

Und ein Empfinden, das ich fremd gewähnt,
Erhebt sich unerfüllbar, kaum ersehnt:
Ich stürbe gar zu gern mit dir vereinigt.
(Im Garten in Stuttgart, Sommer 1905) (S. 102)
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Trennung

Wann einst die Stunde kommt, da wir uns trennen,
So laß uns ungebeugt den Kampf bestehn.
Bald sterben in der Zeiten eis'gem Wehn
Die Herzen, die in bittrer Sehnsucht brennen.

Wer mag die Keime schauen und erkennen,
Die im zerstörten Busen untergehn?
Wer mag dem letzten Sturm entgegensehn?
Ich fühl ihn nicht! Ich wag ihn nicht zu nennen!

Ich bin Soldat im Herzen, und ich werde
Es wahrhaft sein, trotz Trübsal und Gefährde,
Wann sich der Schatten künft'ger Dinge naht.

Der Fels in all den Wellen, die zerstäuben,
Vergessenheit, Errettung, Sieg, Betäuben -
Die Krone unsres Lebens ist die Tat.
(Sommer 1906) (S. 110-111)
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Fragment

O nie versinken können im Gelüste,
Das in vergessend Meer uns niederzieht!
Nie hören mehr das trunkne Siegeslied
Der Wangen und des Nackens und der Brüste!

Kaum jener Lippen ferne Blumenküste,
Lockt einen Hauch, der wie ein Kuß entflieht!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

O daß zum Himmel bleich und gramverschwiegen
Von dem verkohlten, trauernden Gebreit
Glutrote Flammen glüh'nder Liebe stiegen!

Vergällt ist Zukunft und Vergangenheit . . .
Die Gegenwart bleibt stumm und arm an Siegen -
Ja, besser sterben als dies ew'ge Leid!
(S. 111)
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Ich fahre hin auf fahlen Meereswogen,
Bald auf den Gipfel blinden Glücks gejagt,
Bald niederstürzend finster und verzagt,
Vom Wirbel in die tiefste Nacht gezogen.

Die Hoffnung auf den Tod hat mich betrogen,
Das Sterben bleibt den Leidenden versagt,
Kein Felsriff, das aus öden Wassern ragt -
Doch auch kein Stern am dunklen Himmelsbogen.

Ich glaube, ich bin krank und schwach und lahm.
Mein Leben siech - mein Herz verzehrt der Gram -
Als ob ein Wrack sich am Geklipp zerriebe . . .

Und wenige erschaust du sicherlich
Verlogner und verächtlicher als mich -
Und dennoch sag ich dir, daß ich dich liebe!
(S. 113)
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Was könnte je ich diesem milden Ruhn,
Was dieser linden Schattenrast vergleichen?
Ein abendliches Wehn in Wellenreichen,
Die Freude der Geliebten wohlzutun.

Und wie dem Halbertrunknen im Taifun
Des Lebens Bilder nicht vom Herzen weichen,
So seh ich über Winterfrost und Leichen
Erfüllend Hoffnung nahn für einst und nun.

Und weil ich weiß, daß alles wesenlos,
Erscheint mir doppelt schön und doppelt groß,
Mir Träume zu gestalten und zu bilden -

Die tiefste Schwäche und das letzte Blut.
Und doch es klingt so süß und fühlt sich gut . . .
Ein blauer Himmel über Schneegefilden.
(S. 113-114)
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Gesegnet seist du, die mein Herz erwärmt
Mit spätem Lächeln milder Abendsonnen!
Mein hoffend Leben ist in Sand zerronnen.
Mein Mut ward in verlorner Glut verschwärmt.

Nun gleitet still von eis'ger Flut umlärmt
Das Fahrzeug hin, das froh die Fahrt begonnen.
Ich habe viel gehofft und nichts gewonnen,
Und um Vergangnes endlos mich gehärmt.

Ich möcht es nicht zum zweiten Male fühlen,
Wie Meer und Seewind uns das Herz durchwühlen.
Doch lieb ich jenen milden Sternenschein,

Der in dem Äther aufglimmt, freundlich blinkend.
Auf den verlornen Schwimmer niedersinkend,
So, Liebste, soll mir dein Gedächtnis sein.
(S. 115)
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Gleichklang

In späten Jahren angenahter Reife
Will einst ich schmale, lichte Reime bauen -
Voll Süßigkeit und zärtlichem Vertrauen,
Wenn ich dich recht erfühle und begreife.

Daß dich ein letztes Dämmerleuchten streife
Aus meines Himmels müdem Abendgrauen,
Will ich dein dunkles Haar umgeben schauen
Von roten Blüten und metallnem Reife.

Die Sterne sind ins tiefe Blau getreten,
Die sich im blassen Äther flimmernd drehten,
Und ruhn wie Silberstaub auf fernstem Raum.

Bald liegt der Nachen in dem stummen Hafen -
Ach unsres Daseins Preis ist Schlafen, Schlafen!
Und unsres Fühlens Tiefe ist der Traum!

(Sommer 1906) (S. 117-118)

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Wie tief der Duft der Ähren alles tränkt!
Das dunkelnde Gefilde überweht er,
Die Luft erfüllt, durch Herz und Sinne geht er,
Nun sich der Sommerabend näher senkt.

Still ist die Seele, die an dich nur denkt,
Denn alles Leid bringt früher oder später
Mein Herz zurück dem unbewußten Äther,
Der meine Sehnsucht zu dir, Fernen, lenkt.

Von kaltem Selbstbeschaun verzehrt im Leben
Empfand mein Herz, das stumm und liebeleer,
Ein dämmerhaftes, heimliches Bestreben.

Da kamst du lächelnd deines Weges her
Und gabst ein Glück, das keine mir gegeben . . .
Seitdem vergesse ich dich nimmermehr.
(Hoeckricht, Sommer 1906) (S. 118)
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Erinnerung

Für immer wird mein Herz an dich gedenken,
Im Nebelmeer, das auf den Wiesen schwimmt,
Im letzten Abend, der in Nacht verglimmt,
Wann sich die roten Sonnen schweigend senken.

Und wie die Silberquellen, die uns tränken,
Ein Antlitz spiegeln kühl und gleichgesinnt,
So soll mein Lied, das dich zum Bild sich nimmt,
Mit eigner Schönheit Abglanz dich beschenken.

Ist nicht das Dämmern blauer Ozeane,
Da Luft und See sich eint in müdem Wahne,
Ein Zeichen, daß die Zukunft uns verwischt?

Doch soll dein Name das Gestad erhellen
Im Lichtgewoge leiser Abendwellen,
Das murmelnd an dem ew'gen Strande lischt.

(Sommer 1906) (S. 119-120)

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Die Sonne ist ein roter Feuerball,
Im blauen Dunst der Wälder mählich schwindend.
Die harten Farbentöne sanft verbindend
Gießt Dämmerung sich durch das blasse All.

Schon halt ich auf dem gelben Höhenwall,
Den Kummer langer Nächte überwindend.
Doch schau ich, nichts als Bitterkeit empfindend,
Im Sieg den Gram, im Schimmer den Zerfall.

Die Luft erbebt von nahen Finsternissen,
Mein Mut ist lahm, mein Herz ist mir entrissen,
Und regungslos schau ich dem Unheil zu.

Der Kraft beraubt, als ich zu siegen wähnte . . .
Welch Irrtum, daß ich Fremdes je ersehnte,
All meines Lebens Süße bist nur du!
(Hoeckricht, 17. Juli 1906) (S. 120)
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Im goldnen Duft des reichen Honigs ruht
Die Heide, sich dem Sommer zärtlich neigend.
Wie so der blasse Himmel klar und schweigend
Hinabschaut auf der Blüten ros'ge Flut!

Was glänzt dies süße längstvergeßne Gut
Aus grauem Nebel, ferne Tage zeigend?
O jene Freude, licht vom Äther steigend,
O jener frühen Liebe zarte Glut!

Glück, Sommer, Liebe, engvereinte Dreiheit . . .
Jetzt liebe ich den Tod in seiner Freiheit,
Der lautlos durch die schwarzen Nächte schwebt.

Doch hindern mag ich nicht, daß mir im Innern
Vergangner Tage Hoffen und Erinnern
Mit stiller Wärme durch die Seele bebt.
(Herbst 1906) (S. 121)
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Die Gärten in dem Schoß der großen Wüste,
Weit hinter fahlem Sand und Wellenblauen,
Wo Sommerwolken duftig niedertauen:
Sie sind die Heimat meiner Sehnsucht, Süßte.

Die Schar der Träume, die mich leuchtend grüßte,
Wann ich entschlief im leisen Abendgrauen,
Sie ließen jenes holde Land mich schauen,
Und Sonnenlicht - das zärtlichste und frühste.

Durch den Jasmin verrieseln klare Quellen,
Und blaue Winden spiegeln in den Wellen,
Die um die Lauben rinnen lautren Scheins.

Und wie die Liebe sorglich uns geleitet,
Stand im Gefild ich, das sich prangend breitet -
Und du und jene Gärten waren Eins.
(Wahrscheinlich 1906) (S. 121-122)
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Für Sie (1)

Nach all den Tränen, all dem schweren Bangen,
Nach all der Gier und dem verhaltnen Groll
Fühl ich mich wieder still und ruhevoll,
Nun da dein Arm so sanft mein Herz umfangen.

So süß bist du zur Seiten mir gegangen,
Da meine Brust von Bitternissen schwoll -
Jetzt eint ein Band, das niemand lösen soll,
Mich dir, von der ich all dies Glück empfangen.

Gleich einem Kind, das fiebernd und ermattet
In Schlummer sinkt, umdämmert all mein Tun
Dein Lächeln, das der kranken Seele schattet.

Nach deiner Güte Maß laß ewig nun
Auf mir, der Glück und Furcht im Grab bestattet,
Den Blick der mütterlichen Süße ruhn.
(S. 122)
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Für Sie (2)
1. Fassung

Von jenem Schimmer, der auf Kindern ruht,
Blieb nichts mir übrig als ein leises Weinen.
Was, Liebste, sollt ich anders dir erscheinen!
Das Herz befleckt, den Blick getrübt vom Blut!

Doch weckst du, Zarte, ferngeglaubte Glut,
Und wie ein Kind neigt sich mein Geist dem deinen!
Wie scheu, sich solcher Süße zu vereinen,
Voll Staunen tastend nach so lichtem Gut.

Und wahrlich, meine Adern gössen besser
Das Leben aus, das du zum Dank empfingst,
Durchschnitten von dem oft gezückten Messer,

Und tropften, wann du nicht mein Herz mehr zwingst,
Ihr Rot hin wie versiegendes Gewässer,
Eh du, Geliebte, mir verloren gingst!
(S. 123)
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Für Sie (2)
2. Fassung

Von jenem Schimmer, der auf Kindern ruht,
Blieb nichts mir übrig als ein leises Weinen.
Was, Liebste, sollt ich anders dir erscheinen!
Das Herz befleckt, die Augen trüb vom Blut.

Doch weckst du, Zarte, ferngeglaubte Glut,
Und wie ein Kind neigt sich mein Geist dem deinen;
Wie scheu, sich solcher Süße zu vereinen,
Voll Staunen tastend nach so lichtem Gut.

Und wahrlich, meine Adern gössen besser
Das Leben aus, das du zum Dank empfingst,
Durchschnitten von dem unbarmherz'gen Messer . . .

Und tropften, wann du nicht mein Herz mehr zwingst,
Das rote Naß wie ein verstreut Gewässer,
Eh du, Geliebte, mir verloren gingst!
(September 1906) (S. 124)
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Für Sie (3)

Und wie du selbst im Traume mein gedacht,
So denk ich dein, wie an beglänztem Hafen,
Wo traumgewiegt die wunden Nachen schlafen,
Im Sterngefunkel blauenthauchter Nacht.

Und ob mein Herz zu neuem Tag erwacht,
Bereit, daß es die Stürme Lügen strafen,
Noch weh von allen Peinen, die es trafen -
Ob mir der Dämmerabend schmerzlich lacht . . .

Du bist mir nah - ich strecke meine Hand,
Ich spähe, wo ein Pfad dem Fuße bliebe,
Empor an glattem Hang, an schroffer Wand,

Voll Furcht, daß mir dein teures Bild zerstiebe,
Und Tagesglut verweht der Träume Land,
Und dich mit ihm, du Einzge, die ich liebe!
(S. 124-125)
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Erloschen

Bei mir war's leer geworden,
Wie wenn der Wald wird kahl,
Wenn kalt es weht vom Norden,
Kühl war's im Herz geworden.
Da sah ich sie einmal.

Ich fing sie an zu lieben,
Da ward ich wieder jung.
O wär' es so geblieben,
Daß ich könnt' ewig lieben
In trunk'ner Dämmerung.

Und als sie fortgegangen,
Da ward es wieder still,
Es schlief ein heiß Verlangen . . .
Sie, sie war fortgegangen,
Nun ist es ewig still.
(S. 300)
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Frohsinn

Das Leben wäre widerlich,
Wenn es nicht Mädchen hätte,
Kokett und hübsch und liederlich,
's ist doch das einzig Nette.
Wenn auch der Mai beglückend ist,
Verblüht er und verrinnt er,
Sie blühen, was entzückend ist,
Im Sommer wie im Winter.

Da alles Glück vergänglich bleibt
Und jede Freude matt wird,
Ist eines, das verfänglich bleibt:
Daß man der Küsse satt wird.
Doch da die Schönen zahllos sind,
Durch die das Herz besonnt ist,
So ziemt sich's, daß wir wahllos sind:
"Ob braun sie oder blond ist."

Solang die Glut der Sinne noch
Zu einem schönen Kind fliegt,
Solang für heitre Minne noch
Ein Mädchenkleid im Wind fliegt,
Solange Glück auch künftig heißt
Der Liebe süßes Nahsein,
Krönt jedem, der vernünftig heißt,
Ihr Reiz das ganze Dasein.
(Stuttgart, 17. Februar 1904) (S. 301-302)
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Begabung

Ich wünschte, ich wäre ein Dichtergenie,
Dann erhüb' ich zu einer Madonna sie,
Trotz allem Protest und Spotte.
Dann wär' ich für ihre Fehler blind,
Dann macht ich unsterblich das schöne Kind -
Eine Göttin aus einer Kokotte.

Ich wünscht', ich hätte den Leierklang,
Mit dem Petrarca Laura besang,
Deren Loblied niemals vergehn kann,
Und den Zauber des quellenden Silbertons
Der Laute des süßen Anacreons,
Den kein Wind der Zeiten verwehn kann.

Doch sie weiß von solchen Gesängen nichts,
Und der Schimmer eines hübschen Gesichts
Ist das einz'ge, was mich verrückt macht,
Was weiß sie von Sehnsucht? Zu guter Letzt
Liebt sie reizendes, leeres Kindergeschwätz,
Das stets uns von neuem entzückt macht.

Und so lebe die Torheit närrisch und hold,
Das Schicksal hat es nicht anders gewollt,
Und ich will seine Fügung begrüßen -
Ob der Dichter des hehrsten Liebesgebets,
Ob ein einfacher Reimschmidt, ich bleibe stets
Ein Sklave zu ihren Füßen!
(Stuttgart, 30. Januar 1905) (S. 302-303)
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Fragmente

Nie nach leerem Beifall sucht sie,
Ihre Stimme ist hübsch und rein,
Wenn ich es verlange, flucht sie,
Und sie trinkt von jedem Wein.
Beranger

Die Nächte, die voll warmen Lebens sind,
Voll süßen Taumels, zärtlich heißer Lust -
Sie feire heute ich, mein schönes Kind,
Zum Sang gewiegt an deiner jungen Brust.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . , sonst scheint die Zeit zu weilen,
Wenn licht der Sommer strahlt wie ein Demant.
Doch jetzt ist längst die Sonne ausgebrannt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus schwarzen Wimpern grüßt ein helles Licht
Und sagt dem ungeduld'gen, fleh'nden Frager:
Du zweifelst in Erwartung? - zweifle nicht!
Der Schönheit Glanz, ja alles, was sie spricht,
Ist nur die Folie dieses süßen Blickes!
Durch jene nächt'gen Winterstunden flicht
Sich freud'ge Hoffnung meines Taggeschickes . . .
Der Sonne Funkeln - Wolkenhauf erstick' es!
Und kürz' die Stunde, denn die Nacht allein
Und Dunkel sind die Zeugen uns'res Glückes.
Der Tag kann nicht die stille Liebe weihn,
Der alles grell enthüllt in weiter Runde -
Uns leuchte nur der Lampe milder Schein,
Wann süßer tönt das Wort aus liebem Munde!
Wie kann, ihr Götter, es auch anders sein?
Die Finsternis ist mit der Lieb im Bunde,
Doch sie verabscheut alles, was gemein -
Ah Liebe! - Liebe nur zu jeder Stunde!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ihrer Blicke zarter Segen
Nimmt vom Herz mir alle Schuld - . . .
(S. 306-307)
_____



Klarheit

Die Weiden nicken grau am Wegesrand,
Ein Lufthauch flüstert in der finstren Tanne,
Am Horizont loht ein gedämpfter Brand.

Die tiefe Nacht hält Wald und Feld im Banne,
Und weiche Wehmut schmelzt den bittren Sinn,
Ich denke deiner, schöne Marianne.

Nun fühl' ich erst, wie ich gefesselt bin -
In klarer Ruhe sollte ich es lernen,
Und meine Ruhe nahmst du nicht dahin.

Dein Bild lockt nur in weit entlegnen Fernen
Zu rein und hoch dem Flehn des Liebesschwurs;
Doch glänzt mir stets dein Name von den Sternen

Im milden Blau des stillen Nachtazurs.
(Aus dem Wege von Klein-Oels nach Hoeckricht, 22. Juli 1905) (S. 307-308)
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"Daß in jenen schönen Tagen
Doris einst für mich geglüht."
Goethe

Unauslöschlich ist das Hoffen,
Wann der Blick der Liebe glänzt.
Plötzlich - was uns auch betroffen,
Steht der Weg zur Freude offen,
Die du kaum am Namen kennst.

Wann sich froh die Stärke findet,
Kühn das Ringen zu erneun,
Wann sich Herz und Arm verbindet,
Ist der lichte Strahl erblindet,
Und du stehst geknickt allein.

Ihrer dunklen Augen Süße,
Ihres Kleides lichter Saum,
Ihres Händchens holde Grüße
Leuchten wie ein ferner Traum.

Und sie gab ein braunes Löckchen
Wie ihr Antlitz strahlend jung.
Und ein helles Blütenflöckchen,
Und ein Band von ihrem Röckchen
Scheidend zur Erinnerung,

Als die letzte Zeit entschwunden,
Schrieb sie flink mit zarter Hand:
Zum Gedenken an die Stunden,
Die so glücklich uns gefunden -
Ihre Doris Langelandt.
(Stuttgart, September) (S. 310)
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Was war mir noch See und lichter Azur,
Sobald ich an den Strand ging?
Ich sah ihr niedliches Füßchen nur,
Wann flink sie durch den Sand ging.

Wie glänzten die Augen dem süßen Kind
Und die braunen Locken drüber.
Der helle Mantel flattert im Wind . . .
Vorüber!
(Stettin-Berlin, September 1905) (S. 311)
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Das Antlitz, das der Seewind bräunt,
Wo froh die Sonnen glühten,
Es ist dem frohen Lächeln freund
Wie Blüten!

In dieses Lächelns Glanz entrollt
Ein Monat wie ein Stündchen,
O wie umspielt es keck und hold
Ihr Mündchen!

Die braunen Locken, die verwirrt
Des Sturmwinds Fächeln,
Das ganze Mädchenantlitz schien
Zu lächeln!
(S. 311)
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O das Gelock, das nie sich fügen wollte,
Der zarten Hand, durch die so weich es glitt,
Das lieber üppig auf die Schultern rollte.

Wann keck sie durch den scharfen Seewind schritt,
Die dunklen Flechten aus der Stirne streichelnd,
Die keine Hilfe fremder Finger litt.

Und dann dem neuen Drang der Lüfte weichend,
Gab auf den Kampf sie, ohne Lächeln nicht.
Mit süßem Blick in tiefste Tiefen reichend,

Wie ein Gestirn die dunkle Nacht durchbricht.
(Stuttgart, 2. September 1905) (S. 312)
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Der Himmel glänzt in lichtem Blau,
Gestützt auf ferne dunkle Wälder.
Der Zug durchquert die weite Au,
Vorüber fliegen Dorf und Felder.

Die Sonne strahlt, der Himmel blaut,
Wo Gram und herbes Leid zerstiebten,
Wo freudenhell das Aug' sich schaut
Im dunklen Auge der Geliebten.

Der Räder dumpfmetall'ner Klang,
Das Zittern in dem engen Raume,
Der Dampf den Schienenstrang entlang,
Vermischt sich mit dem sel'gen Traume.

Wozu noch reden? Lächle du
Der Stunde zu, der glückgeweihten,
Und laß in liebevoller Ruh
Uns durch die stillen Fluren gleiten.
(S. 312-313)
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Was soll mir noch das Leben taugen
Im harten Bann des Liebeswehs?
Ich denke ihrer braunen Augen,
Licht wie der Blick des jungen Rehs.

Mein ganzes Fühlen tauchte glühend
In diese Klarheit fort und fort,
In süßem Spiegel neu erblühend,
Und auf den Lippen starb das Wort.

Wie ihre Augen sich erschlossen,
Der Liebe erstem Hauch geweiht . . .
Aus hellen Fernen überflossen
Vom Sonnenglanz der Sinnlichkeit.
(Dievenow-Stuttgart, September) (S. 313)
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Mit weher Glut, die selbst im Bann der grausten Zeit nicht wich,
Das müde Herz von Ketten wund, lieb' ich, o Süße, dich.
Solang du hellgespiegelt dich in meinem Auge siehst,
Solang um deine Stirn das Haar in braunen Wellen fließt.

Dein Name ist mir süßer als die Sterne in der Nacht,
So still in blauen Weiten rings, mit flimmerheller Pracht.
Dein Name ist mir süßer als das duft'ge Heidekraut,
Wann über schwarzen Waldesrand der Mond, der goldne, schaut.

Erloschen ist mein Sonnenlicht, mein Los hat sich gewandt,
Wie Traum verwelkt mein Liebesglück, ich muß in fernes Land.
Verwelkend von den Zweigen fällt der Blätter letzte Zier,
Von allem scheiden soll mein Herz, doch nimmermehr von Dir!
(Stuttgart, 10. September 1905) (S. 313-314)
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Fragmente an Phoebe

1.
Ein weißes Flimmern war am Horizont,
Als ob der Mittag alles rings durchdringe.
Und der Verandaraum war hellbesonnt,
Auf brauner Diele spielten goldne Ringe,

Du lagst im duftgen Kleide von Battist
Auf der Chaise-longue mit gelösten Haaren.
O Gott, wie unaussprechlich süß sie ist,
Die schlanke Pracht von neunzehn jungen Jahren.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(Stuttgart, 17. November 1905)


2.
Dein Name leuchtet sonnig und antik,
Hellblond in Sinnlichkeit und starkem Sehnen,
Er klingt mir nach im Herzen wie Musik -
Als wärst du eine Dame der Hellenen.

Gewissenlose, göttlich schöne Zeit!
Die nichts von Christentum und Reue wußte -
Wir trinken im Genuß die Bitterkeit,
Liegt auch das Herz in eisenharter Kruste.
. . . . . . . . . . .
(Stuttgart, November 1905) (S. 315-316)
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Fragment

Wie eine Kaiserin erschien sie mir.
Das goldgerankte Kleid ließ frei die Brüste,
Die fühlsam meine kühle Lippe küßte.
Ihr Haupt umwand der Locken reiche Zier.

In ihrem Blick schwamm eine stille Gier,
Als ob sie nichts von glühnden Stürmen wüßte,
Und stets am Arm des Liebsten schreiten müßte
Auf weichem Pfad durch stilles Waldrevier.

Und wie die Lichter auf dem Nacken fließen,
Ist mir, als säh ich zwei uns im Genießen
An Schattenufern ruhn im späten Blau.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
(S. 330)
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Die Früchte, die meine durstigen Lippen kosten,
Sind süß wie dein Leib und dunkelrot wie dein Blut.
Gereift in einem fremden, glühenden Osten,
Wo Grausamkeit mit Liebe verschwistert ruht.

Die Glut, die mir durch schmale Adern geflossen,
Umwebt noch heut mein Auge mit trübem Licht -
Ich habe dich in meinen Gedanken genossen,
Und deiner wahren Umarmung begehre ich nicht.

Du bist der Schmerz, der in den Schläfen hämmert,
Du bist das späte Gold im scheidenden Tag,
Du bist die Müdigkeit, die fahl mich umdämmert . . .
Da ich nur Wesenloses noch lieben mag.

Mein Herz hat sich an eigenster Sehnsucht vergangen,
Da sich der schleichenden Krankheit des Traumes ergibt.
Nun formt sich dauernd mein seltsam bleiches Verlangen,
O frühverdorbnes Kind, das ich nie geliebt!
(S. 331-332)
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Die Glut der Liebe, die vergiftet ist
Von jener Öde, die das Herz umfangen,
Sie brennt wie scharfer Frost auf zarten Wangen
Und weist dir, daß du ganz verloren bist.

Das sind die Farben, die man nie vergißt!
Den Mund umspielt ein spöttisches Verlangen
Und zittert mit verzehrend leisem Bangen
Im Herzen, dessen Qual kein Mensch ermißt.

Ein Abgrund tief, wie selbstzerfreßnes Höhnen,
Ruht in dem Auge der verkommnen Schönen,
Wo ein verstohlnes blaues Flimmern tanzt;

Das ist die bleiche Stunde, die verkündigt,
Daß du dich an der Freude selbst versündigt . . .
Doch fühlst du, daß du nie bereuen kannst.
(Um Weihnacht 1905) (S. 332-333)
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Ich glaubte fast, ich liebte dich,
Erblüht' ich noch in jenem jungen Feuer.
Jedoch der frühe Traum entwich,
Und die Erkenntnis kommt uns allzu teuer.

Am Körper und am Geist gelähmt
Will ich mit keiner Faser jemals streben,
Daß man sich meiner Liebe schämt -
Das Glück ist nicht für mich bestimmt im Leben.

Wozu man sich wohl täuschen läßt?
Der Sehnsucht Suchen kannst du schwer ermessen -
Doch stähle deinen Geist und halte fest,
Einst kommt der Tod, und alles ist vergessen!
(S. 334-335)
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Aus: Wolf Graf Kalckreuth Gedichte
Erweiterte Ausgabe 1921
Leipzig Insel Verlag

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_von_Kalckreuth



 

 


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