Justinus Kerner (1786-1862) - Liebesgedichte

Justinus Kerner

 

Justinus Kerner
(1786-1862)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



 

Dauernder Eindruck

Bald mir schwand, als du gegangen,
Aus dem Sinn dein Angesicht;
Ob du bleich, ob rot von Wangen,
Wie dein Wuchs? ich weiß es nicht.

Aber auf dem Grund, dem trüben,
Ist mir einzig wunderklar,
Gutes Kind! von dir geblieben
Ein gar liebes Augenpaar.

Wandrer, der im Abendscheine
Still hinpilgert durch die Flur,
Dem erscheint in Au' und Haine
Hell das Bildnis der Natur:

Aber zieht die Sonne ferne,
Wird es um ihn Nacht zur Stund',
Schaut er nichts mehr als die Sterne
Leuchten auf dem schwarzen Grund.
(S. 129-130)
_____

 

An Sie im Alter

1.
Bin ich auch noch so alt geworden,
Starb doch die junge Liebe nicht,
Und gern, wie in der frühsten Jugend,
Seh' ich dir noch ins Angesicht.

Ja lieber noch: denn was uns freute,
Und was uns schmerzte, liegt nun hier,
Es singt nicht mehr bloß Frühlingszüge,
Mein ganzes Leben blickt aus dir.

Und wie nach noch so vielen Wettern
Ein Stern in gleichem Lichte scheint,
So blieb dein Aug' das alte, klare,
Hast du's auch oftmals trüb geweint.


2.
Liegt dein Herz gedrückt an meines,
Kann ich wahrlich niemals sagen:
Sind's die Wellen meines, deines,
Die in solcher Liebe schlagen?

Wollte nur, ich könnte legen
In dein Herz mein Herz, zu fühlen
Schmerz und Lust in gleichen Schlägen,
Gleiches Lieben, gleiches Zielen,

Daß, wenn Frieden meines fände,
Frieden dann auch fände deines,
Daß, wenn deins im Tode stände,
Dann auch ständ' im Tode meines.


3.
Auf den Fildern, unter den Bäumen,
Wo die goldnen Äpfel sind,
Wo der Kohl wie Silber glänzet,
Spielte sie, ein lichtes Kind.

Auf den Fildern, unter den Bäumen,
Wo die Biene emsig schafft,
Lernte sorgen sie und sammeln
Einer Hausfrau Wissenschaft.

Auf den Fildern, unter den Bäumen,
Schwabenlandes echter Flur,
Wuchs sie auf zur treusten Tochter
Württembergischer Natur.

Auf den Fildern, unter den Bäumen,
Gab einst Gott den Segen ihr:
Lerne lieben, schaffen, dulden,
Sprach er: Kind, ich bleib' bei dir!

Über den Fildern, über den Bäumen,
Auf der Achalm hohem Haupt
Fand ich sie im Gold des Morgens,
Hat sie mir das Herz geraubt.

Über die Filder, über die Bäume
Stieg die Lerche himmelwärts,
Sang ihr Lied, als ich sie drückte
Da auf ewig an das Herz.

Mit dem Namen »die Filder« wird einer
der früchtereichsten Landstriche unseres
Vaterlandes unweit Stuttgarts bezeichnet.


4.
Verlör' ich ganz der Augen Licht,
Würd' dennoch mich nicht Nacht umgeben,
Solange du, mein lichtes Leben,
Du, meine Sonne! scheidest nicht.

Dein Herz treibt meines Herzens Schlag,
Weil es das meine ganz umfangen,
Und meine Augen blind empfangen
Von deinen Augen ihren Tag.

Nicht Nacht, ein lichtes Morgenrot
Wird, weil du lebest, vor mir stehen;
Werd' einst statt dessen Nacht ich sehen,
Werd' ich erkennen, daß du tot.


5.
Würdest sterben du vor mir,
Würd' dein Tod den Tod mir geben,
Denn wie könnt' ich, ach! noch hier
Mit zerteiltem Herzen leben?

Wäre wie der alte Baum,
Den der wilde Sturm gespalten
Bis zur Wurzel, daß er kaum
Kann sich überm Abgrund halten.

Sinken muß er in die Kluft,
Der zerrißne, blätterlose. -
Sänke bald in deine Gruft,
Daß uns deckten gleiche Moose.


6.
Es kann ein Aug' entbehren
Der Mensch, und wenn er muß,
Mit einem Ohre hören,
Bestehn mit einem Fuß.

Doch reißt von seinem Herzen
Sich ab der halbe Teil,
Das kann er nicht verschmerzen,
Da wird er nimmer heil.


7.
Schon lieget sie in tiefem Schlummer,
O würden sel'ge Träume ihr!
Indessen ich in herbem Kummer
Noch wach' an ihrem Lager hier.

Ich fühle ihres Busens Wallen,
Ich hör' das Atmen ihrer Brust,
Und meines Auges Tränen fallen
Heiß auf ihr Herz, ihr unbewußt.

Ihr Tränen! störet nicht ihr Träumen,
Auf daß sie nicht zum Schmerz erwacht,
Sie walle unter Edens Bäumen,
Nur ich in sternenloser Nacht.

Die Welt verschwind' ihr bis zum Morgen
Mit ihren Menschen, ihrer Pein.
Erwacht, da brennt ihr Herz voll Sorgen;
Schlief' ich mit ihr auf ewig ein!


8.
Werd' ich einst gestorben sein,
Werden dies und das sie sagen,
Dir doch ist bekannt allein,
Wofür hier mein Herz geschlagen.

Laß sie schwatzen immerhin
Über dem verscharrten Herzen,
Stumm, wie ich im Grabe bin,
Sei du stumm in deinen Schmerzen.

Meinen Schatten sollen nicht
Stören deines Auges Tränen,
Wenn er aus dem Sarge bricht,
Zu dir schwebt in seinem Sehnen.

Denn solang du lebest hier,
Kann ich nicht die Erde lassen,
Ohne dich, ich sag's nur dir,
Würd' ich selbst den Himmel hassen.

Bis gebrochen auch dein Herz,
Löst sich nicht mein Bann hienieden,
Dann erst schweb' ich himmelwärts
Mit dir in der Sterne Frieden.
(S. 207-210)
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Liebesplage
An Sie im Alter

Daß Liebe paaret sich mit Pein,
Hab' ich dem Himmel oft geklagt,
Geklagt, daß meine Lieb' dich plagt,
Und möchte dir nur Liebe sein;

Dich plagt, wenn ich um Mitternacht,
Wenn du mich glaubst in Schlafes Ruh',
Leis deinem Atmen höre zu,
Ob du noch lebst zu haben acht;

Dich plagt, wenn mir getrübet scheint
Dein Auge sonst so mondenhell,
Und ich angstvoll dich frage schnell:
Bist krank du, oder hast geweint?

Dich plagt, wenn ich, im Innern trüb,
Vermein', mich lieb' kein Menschenkind,
Und dann dir ruf': o sag' geschwind
Mein Lieb! hast du mich denn noch lieb?

O sage nicht: das sei geplagt!
Sag': Liebe nur hat das getan,
Und daß er es nicht ändern kann,
Hat er mir selbst im Lied geklagt.
(S. 229-230)
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In der Krankheit
An Sie

Du blickst mich an so trüb!
Was hat es denn gegeben?
Ich hatte ja so lieb
Dich durch mein ganzes Leben!

Siehst wohl den Tod mir an,
Ach! er ist nicht mein Wille,
Ist meines Gottes Plan,
Dem muß ich folgen stille.

Muß lassen deine Hand,
Dem Tod die meine reichen,
Der führt den Leib ins Land
Vorangegangner Leichen.

Doch meine Liebe nicht!
Zur Leiche wird nicht Liebe,
Sie bricht, ein ew'ges Licht,
Aus aller Gräber Trübe.
(S. 230-231)
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Nähe der Fernen

Durch Licht und Dunkel,
Durch Weh und Lust,
Trag' ich dich stille
In meiner Brust.

Es trennen Meere
Mich wohl von dir,
Doch mein' ich, schwör' ich,
Du seist bei mir!

Fühl' dich so innig
In mir, in mir!
Und ach! dies Herze
Will nicht von hier,

Will sich nur legen
So mit dir, ach!
Tief in die Erde,
Ins Brautgemach.
(S. 173-174)
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Dauer des Herzens

Ein Saumtier träget still
Und sanft die Zentnerlast,
Wohin der Treiber will,
Begehrend keine Rast.

Ein Wagen rollt daher,
Die Schildkröt' ihm nicht weicht,
Und wär' er noch so schwer,
Trägt seine Last sie leicht.

Doch all die Last ist Scherz,
Bedenkst du das Gewicht,
Das oft ein Menschenherz
Still träget und nicht bricht.
(S. 25)
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An das Herz im Frühling

Es wollen Vögel wieder singen,
Es wollen Blumen wieder blühn,
Mein Herz, kannst du dich nicht bezwingen,
Nur einmal noch der Lust erglühn?

Was nimmer Leben durfte hoffen,
O sieh! das blickt jetzt frisch hinauf,
Hat dich so sehr ein Frost getroffen,
Daß du dich nimmer richtest auf?

Es schafft, es klopft, es möcht' sich heben,
Doch kann es nicht, es ist zu krank!
So schafft, so klopft, man hört's mit Beben,
Im Sarge der Scheintote bang.

Dann kommen eilend seine Lieben,
Befrein ihn aus des Grabes Graus.
Du Herz aus dieser Brust, der trüben,
Kommst du, ach! nimmermehr heraus?
(S. 181-182)
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An Sie, nach Ihrem Tode

1.
Fort, fort sind meine Rosen.

Fort, fort sind meine Rosen,
Fort ist mein schöner Traum.
Die wildsten Stürme tosen
In meines Gartens Raum.

Die Freunde kommen, sehen,
Wie Nacht mein Herz, mein Haus,
Und gern sie wieder gehen
Aus dieser Nacht hinaus.

Wohl möcht' ich vieles sagen,
Doch stumm, stumm muß ich sein!
Wehlaute und ihr Klagen,
Schließt fest ins Herz euch ein!

Verhalte, Aug'! die Tränen,
Verstumme, bleicher Mund!
Sprächst du, sie würden wähnen,
Dein Kopf sei nicht gesund.


2.
Klage.
Keine Muse hab' ich mehr!
Seit sie ist von mir gegangen,
Meiner Leier Saiten sprangen,
Hab' ich keine Muse mehr.

Keinen Himmel hab' ich mehr!
Seit das Auge sie geschlossen,
Draus ein Himmel mir geflossen,
Hab' ich keinen Himmel mehr,

Hab' ich keine Erde mehr,
Irr' ich, wie vom Sturm verschlagen
Eine Möwe irrt voll Klagen
Überm bodenlosen Meer;

Über einem Meer voll Nacht,
Über einem Meer voll Kummer,
Wo nicht Ruhe ist, nicht Schlummer,
Kalte Wirklichkeit nur wacht.

Ew'ge Liebe! führe du
Fort mich aus dem Meer, dem trüben,
Auf zum Lichte meiner Lieben
Oder ew'gem Schlummer zu!


3.
Wüßt' ich, wüßt' ich, wo sie wär'!
Wüßt' ich, wüßt' ich, wo sie wär'!
Wär' sie in den fernsten Landen,
Löst' ich mich von allen Banden,
Schifft ich durch das weite Meer.

Wüßt' ich, wüßt' ich, wo sie wär'!
Wäre sie auf Gletschers Höhen,
Würd' ich durch die Wolken gehen,
Wieder sie zu holen her.

Wüßt' ich, wüßt' ich, wo sie wär'!
Wäre sie in Meereshallen,
In den Gärten von Korallen,
Holt' ich sie aus tiefem Meer.

Tot, o! tot kann sie nicht sein!
Immer fühl' ich ihre Nähe;
Doch wo ist sie? sagt's! ich flehe. –
Wo sie ist, weiß Gott allein.


4.
Keine Heimat mehr!
O daß du mich verlassen,
Du liebe, treue Hand!
Den Wanderstab zu fassen,
Bin ich nicht mehr imstand.
Nur durch die Zimmer geh' ich
Mit Füßen müd und schwer,
Die alten Wände seh' ich,
Doch keine Heimat mehr.
Geh' durch des Gartens Räume
Im Sonn- und Mondenlicht,
Seh' wohl die alten Bäume,
Die alte Heimat nicht.
Die sank, seit du verschieden,
Ins tiefe, tiefe Meer,
Hab' keinen, keinen Frieden,
Hab' keine Heimat mehr!


5.
In der Nacht.
Gern wollt' ich ja am Tage Schmerzen leiden,
Verdorren sehen meines Lebens Baum,
O! käme nachts von meinen alten Freuden
Zu mir nur einmal noch ein schöner Traum.
Doch schlaflos blick' ich stets nach jener Stelle,
Von der mir nachts oft ihre Stimme klang,
Und war es auch nur ihres Atems Welle,
Hat mir's getönt wie leiser Engelsang.
Doch schlaflos muß ich nachts zur Stelle blicken.
Von der mir bald kein süßer Laut mehr kam,
An der ich, sie zum letztenmal zu drücken,
Die kalte Hand in meine heiße nahm.
Was hab' ich noch? Ein Auge müd und trübe,
Das dennoch sich nicht schließen kann zur Ruh',
Ein Herz, weit offen für den Schmerz der Liebe.
Komm, lieber Tod! schließ mir die beiden zu!


6.
Verlassensein.
Wie oft hab' ich mein Herz geleget,
Als ich noch jung war, an ihr Herz,
Als noch kein Schmerz mein Herz beweget,
Nur Liebe, Freude, muntrer Scherz.

Jetzt, wo mein Alter ist voll Kummer,
Sie tot ist, ich noch lebend bin,
Wo in den Nächten ohne Schlummer
Soll legen ich mein Herz noch hin?

Hin, wo kein Herz mir schlägt entgegen,
In tiefer Waldnacht ganz allein
Will ich mein heißes Herz nur legen
An einen kalten stummen Stein!


7.
Wie bin ich alt!
Lang lebte sie, doch wurde sie nicht alt,
Jung blieb sie stets an Geist mir, an Gestalt,
Und jung auch ich; jung, jung mein Herze schlug,
Das ich bald siebzig Jahr' lang in mir trug,
Doch als der Tod sie plötzlich von mir nahm,
Da fühlt' ich erst, woher die Kraft mir kam;
Von ihr kam mir der Jugend langer Halt,
Sie ging – und o mein Gott! – wie bin ich alt!


8.
Daß du von mir gegangen.
Daß du von mir gegangen,
Du liebes, treues Herz!
Das war nicht dein Verlangen,
Mein Schmerz war auch dein Schmerz.
Natur hat dich gerissen
Aus meinen Armen fort.
Warum? – wird diese wissen,
Hier hat der Mensch kein Wort.


9.
Die Hälfte.
Füglich nannt' ich meine Hälfte sie, mein gutes, liebes Weib,
Fünfzig Jahre lang verwachsen mit mir ganz mit Seel' und Leib.
Nun da sie von mir gerissen, bin ich eine Halbheit nur,
Denk' nur halb, fühl' nur halb noch, lieb' nur halb noch die Natur.
Schmerzlich zieht mich's nach der Hälfte! – Tod, end' dieser Halbheit Pein!
Führ' mich hin, hin wo ich wieder mit ihr darf ein Ganzes sein!


10.
Sie starb.
Sie starb, mit ihr bin ich gestorben,
Doch war mein Tod ein Scheintod nur.
Sie aber starb und hat erworben
Sich eine schönere Natur;
Doch ich, ich lebe, wie der lebet,
Der, vom Scheintode aufgewacht,
Vergebens aus dem Grabe strebet
Aus einem Herzen voll von Nacht.


11.
Wie dir so mir.
Wie dir geschah, so soll's auch mir geschehn,
Nur wo du hinkamst, will auch ich hingehn:
Ich will ins Licht nur, wirst im Licht du sein,
Bist du in Nacht, so will ich in die Nacht,
Bist du in Pein, so will ich in die Pein.
Von dir getrennt hab' ich mich nie gedacht,
Zu dir, zu dir will ich allein, allein!


12.
Wunsch.
Daß du vor mir gestorben,
O Herz! geschah wohl nur,
Weil du dir früh erworben
Hast himmlische Natur.

Ich aber, der voll Erde,
Muß noch auf Erden sein,
Bis daß wie du ich werde
Zum Licht der Himmel rein.

Send' mir ein Zeichen nieder,
Daß ich mich täusche nicht,
Daß ich zu dir komm' wieder,
Bin licht ich wie du licht.

Doch kann mir's nicht gelingen,
Daß je dein Licht mir lacht,
Bitt' Gott: er woll' mich bringen
Doch in die stillste Nacht.


13.
Wohin ist sie gekommen?
Wohin ist sie gekommen?
Wer hat sie mir genommen?
Der Tod? – wohl zum Verwesen
Der ird'schen Hülle nur?
Im Buche der Natur
Ist solches nicht zu lesen.

Drum Buch! drum Wort! gegeben
Von Gott dem Erdenleben,
Laß einzig dich mich fassen,
In dich mich gläubig sehn,
Ich fühl's in meinen Wehn:
Wer dich läßt – ist verlassen.


14.
Sie in mir.
Oft, wenn ich etwas sprechen will,
Spricht's erst ihr Geist in mir ganz still,
Dann sprech' ich's nach mit frohem Mut,
Denn was sie sprach – war recht und gut.


15.
Recht! Recht!
"Nur recht! nur recht!" war oft dein liebes Wort,
Recht, recht hast du gesorget immerfort,
Recht mitgeteilt, geliebet recht und echt!
O bleib in mir so lang, bis ich bin tot recht, recht!


16.
Ihr Todestag.
Kann euch nicht den Tag benennen, dran dem Tode sie erlag;
Denn es ist seitdem mir jeder, jeder Tag ist Todestag.


17.
Des Herzens Stillstand.
Als dein Leben mit dem meinen
Noch zerfloß, du gutes Weib!
Wie hat da mein Herz geschlagen
Jung selbst noch im alten Leib!
Seit dein Leben floh aus meinem,
O, wie schlägt mein Herz so matt!
Als wär' von ihm fortgerissen,
Was es sonst beweget hat.
Als der alten Uhr ich lauschte
Heute nächtlich an der Wand,
Leise ging sie, immer leiser,
Bis sie endlich stillestand.
Nach der Kette wollt' ich greifen,
Sie zu ziehen wieder auf,
Doch das Hauptrad war zersprungen
Und zu Ende so ihr Lauf.
(S. 372-378)
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Abschied

Geh' ich einsam durch die schwarzen Gassen,
Schweigt die Stadt, als wär' sie unbewohnt,
Aus der Ferne rauschen nur die Wasser,
Und am Himmel zieht der bleiche Mond.

Bleib' ich lang vor jenem Hause stehen,
Drin das liebe, liebe Liebchen wohnt,
Weiß nicht, daß sein Treuer ferne ziehet,
Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.

Breit' ich lange sehnend meine Arme
Nach dem lieben, lieben Liebchen aus,
Und nun sprech' ich: »Lebet wohl, ihr Gassen!
Lebe wohl, du stilles, stilles Haus!

Und du Kämmerlein im Haus dort oben,
Nach dem oft das warme Herze schwoll,
Und du Fensterlein, draus Liebchen schaute,
Und du Türe, draus sie ging, leb' wohl!«

Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,
Schauend rückwärts oft mit nassem Blick,
Schließt der Wächter hinter mir die Tore,
Weiß nicht, daß mein Herze noch zurück.
(S. 126)
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Blinde Liebe

Heda! wer klopft da draußen
So spät noch in der Nacht?
»Almosen einem Blinden,
Den Liebe blind gemacht!«

Wer blind ist, geht geführet,
Nicht so in Nacht allein! -
Da schlägt er auf sein Auge,
Funkelnd wie Sonnenschein.

Wohlan! du lieber Blinder;
Herein aus kalter Nacht!
Dein Auge, ach, dein Auge
Hat mich nun blind gemacht.
(S. 100)
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Herz und Auge

1.
Herz! - wie bist du inniglich
Mit dem Auge doch verbunden!
Schlägt die Welt dir blut'ge Wunden,
Zeigt im Aug' die Träne sich.

Aber wird dir Wonne, Herz!
Sonnig dann das Auge funkelt!
So wie's wieder sich verdunkelt,
Kehrt in dich zurück der Schmerz.

Grün das kranke Auge hellt -
Bist du, Herz, in Weh und Nöten;
Schneller als der Menschen Reden
Heilt dich 's Grün in Wald und Feld.


2.
Das Auge und das Herze sind
Zwei Liebende, eng im Verein,
Wenn lang das Herze leidet Pein,
Wird gern das Auge trüb und blind.

Und wird das Auge blind und trüb,
Das Herze gern im Tode bricht;
»Gern brech' ich,« es zum Auge spricht,
»Dann siehst du wieder, treues Lieb!«
(S. 26)
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An Sie

1.
1824
Herz! gedenkst du noch der Stelle,
Wo einst unser Frühling war,
Lustnaus üpp'ger Blütenbäume,
Der verlassenen Kapelle,
Jenes Himmels wunderklar?
Ach! es waren kurze Träume,
Schmerz der Trennung lange Jahr'!

Herz vom Herzen weggerissen,
Wandelnd in der Fremde bang,
Ward dein Stern dein frommer Glaube,
Meiner in den Finsternissen
Meine Liebe, mein Gesang;
So der Welt ward keins zum Raube,
Bis ich gänzlich dich errang.

Jetzt, was kaum ich sah in Träumen,
Bildete sich wirklich aus!
An dem Berg der Frauentreue
Stehet unter grünen Bäumen
Freundlich unser kleines Haus,
Und geliebter Kinder dreie
Hüpfen fröhlich ein und aus.

Und dahin sind Schmerz und Sehnen,
Die das Lied in mir erregt,
Auch das scherzende, - entsprungen
Ist auch dies nur stillen Tränen,
Nur dem Gram, der mich bewegt.
Herz! - und ich hab' ausgesungen,
Weil du allen Schmerz gelegt.
(S. 21)
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Geisterzug

Ich geh' in düstrer Nacht allein
Durchs tiefe, tiefe Tal,
Die Mühle schweigt, es ruht ihr Stein.
Herz! könnt'st du ruhn einmal!

Der Himmel ist so sternenleer!
So öd die Erde ist!
Hab' keine, keine Heimat mehr,
Seit du gestorben bist.

Wie lag so schwer auf mir der Tag!
Du stille Nacht, sei mild! -
Da schwebt ja durch das grüne Hag
Sein stilles Totenbild.

Hör', Lieber, mich! Gibst keinen Laut,
Schwebst stumm voran mir nur!
Ja! lieber, lieber Schatten traut,
Will folgen deiner Spur!

Sanft weht ein kühler Hauch mich an,
Der ziehet mich nach dir.
Das hast, Geliebter! du getan!
Und fort muß ich von hier.

Fort ziehst du mich, muß heute noch
Mit dir zu Grabe gehn.
Ihr Lieben! Lieben, laßt mich doch!
Ade! auf Wiedersehn!
(S. 97)
_____


Ständchen

Ich kam vor Liebchens Fensterlein,
Tät viele Stunden stehen,
Ob nicht im milden Abendschein
Die Liebe wär' zu sehen.

Was fühlt dies Herz? So Lust als Weh,
Sie kömmt! o süßes Bangen!
Ich sah wohl zitternd in die Höh' -
Da kam der Mond gegangen.

Doch jetzt, doch jetzt, was fühlt dies Herz?
Gewiß! sie ist nicht ferne!
Ich sah wohl zitternd himmelwärts -
Da stunden tausend Sterne.

Dann drüben an dem Fensterlein
Sich mir ihr Bildnis zeigte;
Es war des Himmels Widerschein,
Was sich herunterneigte.
(S. 103)
_____


Rückkehr

In dem Tal, wo Burgen hangen
An manch wald'ger Bergeswand,
Wo du oft als Kind gegangen
Sorglos an der Unschuld Hand,

Ging ich jüngst verlassen, Liebe!
Einsam und entfernt von dir.
Wie ich's so bedachte trübe,
Tratest du als Kind zu mir,

Zeigtest mir aus schönem Tale
Eine Blume licht und blau,
Wunderhell im Morgenstrahle
Sah aus ihrem Kelch der Tau.

Über Berge sah ich fliehen
Dann dein kindlich liebes Bild,
Wie sich Wölklein still entziehen,
War es bald dem Blick verhüllt.

Ist mir auch das Kind verschwunden,
Ist es doch die Blume nicht,
Wieder hab' ich die gefunden
Heut in deines Auges Licht.
(S. 43)
_____



Ruhe bei Ihr

In diesen bangen Tagen
Was kann man Beßres tun,
Als, jeder Sorg' entschlagen,
An treuem Herzen ruhn?

Ja, komm, du Herz voll Liebe,
Du Kind, o süßer Klang!
Du Mai im Winter trübe,
Du Tag in Nächten bang!

Wie Blumen ohne Schmerzen
Beim Schein der Sonne sind,
Wie an dem Mutterherzen
In Wonne ruht ein Kind;

Wie Vogel ohne Sorgen
Bei Kraut und Blume tut,
Wie tief im Wald verborgen
Ein Reh beim Borne ruht;

So laß mich bei dir bleiben,
Daß von der Menschen Qual,
Von all dem bangen Treiben
Dies Herz ausschläft einmal.
(S. 95-96)
_____



Stille Liebe

Könnt' ich dich in Liedern preisen,
Säng' ich dir das längste Lied,
Ja, ich würd' in allen Weisen
Dich zu singen nimmer müd.

Doch was immer mich betrübte,
Ist, daß ich nur immer stumm
Tragen kann dich, Herzgeliebte!
In des Busens Heiligtum.

Und daß du, was laut ich sage
Oder preis' in Sangeslust,
Meinest, daß ich tiefer trage
Als dich, Herz, in warmer Brust.

Dieser Schmerz hat mich bezwungen,
Daß ich sang dies kleine Lied,
Doch von bittrem Leid durchdrungen,
Daß noch keins auf dich geriet.
(S. 155)
_____

 

In der Mondnacht

Laß dich belauschen,
Du stille Nacht!
Nur Wasser rauschen,
Nur Liebe wacht.

Vom Walde drüben
Tönt süßer Schall,
Es singt von Lieben
Die Nachtigall.

Der Vogel schweiget,
Der Mond entwich,
Zur Blume neiget
Die Blume sich.

Der Liebe Fülle
Durchströmt die Flur,
In Nacht und Stille
Sinkt die Natur.
(S. 341)
_____



Episteln
Andreas an Anna

1.
Liebes Mädchen! sahst du nicht, wie gestern
Ich auf hohem Berge lang gelegen,
Blickend auf das weiße Kreuz im Tale,
Das die Flügel deines Fensters bilden!

Glaubt' ich schon, du kämst durchs Tal gewandelt,
Sprang ich auf, da war's ein weißes Blümlein,
Das sich täuschend mir vors Auge stellte.

Lange harrt' ich, aber endlich breiten
Auseinander sich des Fensters Flügel,
Und an seinem weißen Kreuze stehst du,
Berg und Tal ein stiller Friedensengel.

Vöglein ziehen nah an dir vorüber,
Täublein sitzen auf dem nahen Dache,
Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,
Blicken all dir keck ins blaue Auge.

Steh' ich einsam, einsam in der Ferne,
Habe keine Flügel hinzufliegen,
Habe keine Strahlen hinzusenden,
Steh' ich einsam, einsam in der Ferne!

Gehst du, sprech' ich mit verhaltnen Tränen:
»Ruhet süß, ihr lieben, lieben Augen!
Ruhet süß, ihr weißen, weißen Lilgen!
Ruhet süß, ihr lieben, lieben Hände!«

Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,
Sprachen's nach die Blumen in dem Tale.
Weh! o weh! du hast es nicht vernommen!


2.
Sage mir, mein liebes Mädchen:
Was bedeutet dieser Traum?

Vor dem Fenster meiner Zelle
Steht halbwelk ein Rosmarin.
Träumte mir: es sei aus ihm heut
Schnell ein Rosenstock gesprossen,
Voll der düftereichsten Rosen,
Hätt' sich auch ein Lorbeer grünend
Um den Rosenstock gewunden.

»Rosmarin ist Wehmut, Trennung,
Rosen deuten Lieb' und Freude,
Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.«

Darum fülle, blaues Auge!
Dich fortan nicht mehr mit Tränen,
Laß allein mein dunkles Auge
Still umwölkt in Tränen stehn.

Darum blicke, blaues Auge!
Nimmer trübe an den Himmel,
Sieh! sonst blickt er wieder trüb.

Und wohin kann ich noch schauen
Als gen Himmel, wenn ich nimmer
In dein Auge schauen kann?


3.
Blick' aus deinem Fenster, Liebe!
Schaue über die blauen Berge:
Denn dort will ich an den Himmel
Dir ein licht' Gemälde malen.

Steigen aus der Näh' und Ferne
Hohe Berge an den Himmel,
Stürzen helle, kühle Quellen
In ein blumicht, grünes Tal.

Stützt der Wanderer im Tale
Auf den Stab sich, einzuatmen
Jugend, Freiheit, Liebe, Kraft.

Steht gelehnt an einen Felsen,
Unter Laub und Rebenblüte
Dort ein kleines Haus verborgen,
Steh' ich vor dem kleinen Haus.

Kommt vom Bache, Kräuter tragend,
Dort ein liebes, junges Wesen,
Bist du es - die Meine längst.

Ist kein Lauscher mehr zu fürchten,
Drück' ich dich, du süßes Wesen!
An ein treues Herz voll Liebe,
Offen vor des Himmels Aug'.

Aber weh! o wehe, Mädchen!
Siehst du dort nicht jenen Raben?
Ächzend fliegt er durch den Himmel
Und verlöscht mit schwarzem Fittich
Mein Gemälde, weh! o weh!


4.
Bin ich wie ein Kind, das seine Mutter
Erst verloren, weinend in der Nacht steht:
Sieh! so bin ich, seit ich fern gezogen.

Stund im Traum' ich heut auf unserm Berge,
Blick' ich in das tiefe Tal hernieder.
Such' dein Haus ich, aber find' es nimmer.

Seh' ich eine einsame Kapelle
Auf der Stelle, wo's gestanden, stehen,
Tret' ich in die heilige Kapelle.

Hallet lange jeder meiner Tritte
Im verlassenen Gewölbe wieder;
Blicken ernst und fragend mich die heil'gen
Bilder an von den geweihten Wänden.

Tret' ich vor den Hochaltar zu beten,
Knieest du in einem weißen Kleide
Bleich auf schwarzem Teppich am Altare,
Lilien und Tulpen um dich her.

Steht der Rosenstock zu deinen Füßen,
Blütenreich vom Lorbeer schön umwunden,
Kehr' ich nie aus der Kapelle wieder.


5.
Nicht im Tale der süßen Heimat,
Beim Gemurmel der Silberquelle -
Bleich getragen aus dem Schlachtfeld
Denk' ich dein, du süßes Leben!

All die Freunde sind gefallen,
Sollt' ich weilen hier der eine?
Nein! schon naht der bleiche Bote,
Der mich leitet zur süßen Heimat.

Flecht ins Haar den Kranz der Hochzeit,
Halt bereit die Brautgewande
Und die vollen, duft'gen Schalen:
Denn wir kehren alle wieder
In das Tal der süßen Heimat.


6.
Anna
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Schon steht im Hochzeitkleid
Die bleiche Braut bereit,
Erwartend euch zum Feste.

Herbei! herbei! zum Tanz
Die bleiche Braut zu führen, -
Seht! ihre Haare zieren
So Ros' als Lilienkranz.

So Mond und Sterne kränzen
Lichtvoll das dunkle Tal,
Lampen im Hochzeitsaal,
Die Leichensteine glänzen.

Und weil nach Tanz und Lauf
Der Ruh' wir nötig hätten; -
Schloß ich zu Schlummerstätten
Die stillen Gräber auf.

Seht! eure Betten kränzet
Der Rosen stolze Art,
Doch eine Lilie zart
Am Bett der Braut erglänzet.

Die Hochzeit ist bereit,
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Es öffnen sich zum Feste
Die schwarzen Tore weit!
(S. 36-39)
_____

 

Auf der Wanderung

Morgen kommt mit lichtem Gruße
Und Natur beginnt ein Fest,
Mancher noch mit heißem Kusse
An das Herz was Liebes preßt.

Aber irre und verlassen
Treibt es mich durch Land und Meer;
Was ich innig möcht' umfassen,
Führt nicht Mond, nicht Sonne her.

In der Blume seh' ich's blühen,
Hör's im Nachtigallensang,
Mit den Sternen seh' ich's ziehen
Still und mild das Tal entlang.

Doch umsonst blickt voll von Tränen
Auge nach ihm himmelwärts;
Ungestillt in bangem Sehnen
Stirbt dahin dies warme Herz.
(S. 94)
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An Sie

2.
1847
O süße Täuschung! ja! den Friedensbogen
Hast du wohl oft ums kampfesmüde Haupt,
Wenn ich nicht mehr gehoffet und geglaubt,
Ein Engel, mir mit milder Hand gezogen.
Und wie man Öl gießt in die stürm'schen Wogen
Des Meeres, daß sich lege ihre Wut,
So gossest du mir oft ins stürm'sche Blut
Ein Öl, das es zur Ruhe hat bewogen.
Doch sieh! der Grundton meines Lebens ist
Der Schmerz, den du mir scheinbar nur entrissen,
Im Innern fort der Born des Schmerzes fließt,
Wenn außen auch die Lippen lächeln müssen.
Mein kleines Lied, das nur des Schmerzens Kind,
Wird wie der Born des Schmerzens niemals stocken,
Wird tönen fort, verhallend in die Glocken,
Die euch Verkünd'ger meines Todes sind.
(S. 22)
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An ihre Hand im Alter

O, wär' ich Alter noch imstand'
Ein junges Lied zu heben an,
Wie säng' ich euch von ihrer Hand,
Und was die Liebes hat getan.

Die liebe Hand, die fleiß'ge, die
Die Spuren ihrer Arbeit trägt,
Geschrieben hat ein Buch sie nie,
Sich nie auf dem Klavier bewegt.

Die liebe Hand, die fleiß'ge Hand,
Die Spindel hat sie oft gedreht,
An manchem Hemde und Gewand
Bis in die späte Nacht genäht.

Sie hat gekocht, sie hat gestrickt,
Daß sie die Arbeit machte rot;
Oft hat ein Wandrer sie gedrückt,
Dem vollauf Speis' und Trank sie bot.

Noch fühl' ich ihren ersten Druck
In meiner Hand zur jetz'gen Stund',
Wie mächtig mit magnet'schem Zug
Er fuhr in meines Herzens Grund.

Und wenn die liebe treue Hand
Sich mir aufs Herz, das bange, legt,
Wird mir der Zauber wohl bekannt,
Den diese Hand still in sich trägt.

Mein Mund küßt sie mit Jugendglut,
Aus blindem Auge fällt auf sie
Oft meiner Tränen heiße Flut.
Ist diese Hand nicht Poesie?
(S. 228)
_____

 

Poesie

Poesie ist tiefes Schmerzen,
Und es kommt das echte Lied
Einzig aus dem Menschenherzen,
Das ein tiefes Leid durchglüht.

Doch die höchsten Poesien
Schweigen wie der höchste Schmerz,
Nur wie Geisterschatten ziehen
Stumm sie durchs gebrochne Herz.
(S. 23)
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Der schönste Anblick

Schön ist's, wenn zwei Sterne
Nah sich stehn am Firmament,
Schön, wenn zweier Rosen
Röte ineinander brennt.

Doch in Wahrheit! immer
Ist's am schönsten anzusehn:
Wie zwei, so sich lieben,
Selig beieinander stehn.
(S. 127-128)
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Liebesklage

Schwarzes Band, o du mein Leben!
Ruh' auf meinem Herzen warm;
Liebe hat dich mir gegeben,
Ohne dich, wie wär' ich arm!

Fragt man mich, warum ich trage
Dieses schwarze schlechte Band,
Kann ich's nicht vor Weinen sagen:
Denn es kommt von Liebeshand.

So ich sollte ruhig schlafen
In dem Bettlein, kann's nicht sein;
Habe stets mit dir zu schaffen,
Schwarzes Band! du liebe Pein!

So ich sollte zu mir nehmen
Etwas Speise oder Trank,
Kann ich nicht vor lauter Grämen
Sagen Dank: denn ich bin krank.

Krank sein, es nicht dürfen klagen,
Ist wohl eine schwere Pein;
Lieben, es nicht dürfen sagen,
Muß ein hartes Lieben sein!
(S. 96-97)
_____



Er und Sie

Er
Seh' ich in das stille Tal,
Wo im Sonnenscheine
Blumen prangen ohne Zahl,
Blick' ich nur auf eine.
Ach! es blickt ihr Auge blau
Jetzt auch auf die Auen;
Im Vergißmeinnicht voll Tau
Kann ich es erschauen.


Sie
Tret' ich an mein Fensterlein,
Wann die Sterne scheinen,
Mögen alle schöner sein,
Blick' ich nur auf einen;
Dort gen Abend blickt er mild
Wohl nach Himmelshöhen,
Denn dort ist ein liebes Bild
In dem Stern zu sehen.
(S. 180)
_____


Von Ihr

Sonnenblume, die in Wonne
Sich nach goldner Sonne sehnet,
Wird zum Bild der klaren Sonne,
Ihre Liebe sie verschönet.

Schein' ich gut dir, süß Verlangen!
Wie das Herz so gerne wähnet,
Ist von Augen dein und Wangen
Ruhe auf mich übergangen,
Schein der Glorie, die dich krönet.
(S. 55)
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Liebespein

Still hingegeben
Ganz ihr allein,
Geht, Menschen, gehet!
O ihr nicht fasset
Der Liebe Pein!

Von Lieb' zerrissen
Ein armes Herz,
Wird durch euch kränker,
Fühlet noch tiefer
Der Liebe Schmerz.

Blumen, o Blumen
Der stillen Flur!
Ihr, ach, nur heilet,
Ihr, ach, verstehet
Dies Herze nur.

Sterne! o lasset
Mich nicht allein!
Blumen und Sterne
Ach, ihr nur kennet
Der Liebe Pein.
(S. 87)
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Von Ihr, im Winter

Vom Winter zu gesunden,
Flog Lerche himmelwärts;
Noch stand, das Herz voll Wunden,
Ich da im stummen Schmerz,
Da fandest du den Armen
Und nahmst ihn mit Erbarmen
Ins jugendliche Herz.

In dir sich ihm entfaltet
Ein Leben wunderbar,
Fortan ihm neu gestaltet
Die ganze Erde war,
Kampf war aus ihr geschieden,
Er sah sie nur in Frieden
Aus deinem Auge klar.

Was jüngst ihm bös geschienen,
Erschien ihm fromm und gut,
So wollt' er Feinden dienen
Mit Armen und mit Blut;
Gestillt war alles Sehnen,
Getrocknet eitle Tränen
In frommer Liebe Glut.

Jetzt, da die Welt in Schmerzen
Kalt liegt und blütenarm,
Umfängt in deinem Herzen
Ihn noch ein Frühling warm!
Fern von der Welt Getümmel
Ruht dort ein Stern im Himmel,
Fühlt nicht der Erde Harm.
(S. 86)
_____

 

Lust der Sturmnacht

Wann durch Berg' und Tale draußen
Regen schauert, Stürme brausen,
Schild und Fenster hell erklirren
Und in Nacht die Wandrer irren,

Ruht es sich so süß hier innen,
Aufgelöst in sel'ges Minnen;
All der goldne Himmelsschimmer
Flieht herein ins stille Zimmer.

Reiches Leben! hab' Erbarmen!
Halt mich fest in linden Armen!
Lenzesblumen aufwärts dringen,
Wölklein ziehen, Vögel singen.

Ende nie, du Sturmnacht wilde!
Klirrt, ihr Fenster! schwankt, ihr Schilde!
Bäumt euch, Wälder! braus', o Welle!
Mich umfängt des Himmels Helle.
(S. 60)
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Winterklage

Wann in lichten Sommertagen
Leiden dieses Herz getragen,
Schlug es bald am Wiesenbach,
Bald in Waldesdämmerungen,
Wo die Nachtigall gesungen,
Mildern Melodien nach.

Jetzt in trüben Wintertagen,
Ach, wer stillet seine Klagen?
Nachtigall und Wiesenbach?
Wiesenbach ruht eng gebunden,
Nachtigall hat Tod gefunden,
Singt nicht mehr die Blumen wach.

Blumen auch sind rings verdorben,
Mutter Erde ist gestorben,
Und ihr Kind verwaist, allein.
Einsam blickt's in blaue Ferne,
Komm! so rufen alle Sterne,
Hier ist ew'ger Maienschein!

Herz, so hör' denn auf zu schlagen!
Sieh! in diesen trüben Tagen
Singt kein Vogel, wallt kein Bach.
Willst dich nicht gefangen geben,
Treibst mit schmerzlich bangem Beben
Eine Well' der andern nach!
(S. 100-101)
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An Sie, als Sie noch lebte

1.
Klage
Wär' meine Not euch Lieben klar bewußt,
Die Sorge, die mir Liebe aufgeladen,
Den reichsten Edelstein am zärtsten Faden
Zu tragen durchs Gewühl an meiner Brust!

O Liebe, du, du bist der Edelstein!
Der zarte Faden ist dein zartes Leben!
In steter Angst, daß dies zerreiße, schweben –
O Liebe! Liebe! welche stete Pein!


2.
Im Alter
Gern möcht' ich oft vergessen,
Wie lieb, wie lieb du bist,
Auf daß nicht meine Liebe
Zu dir zu heftig ist.

Will ich mich mühn zu finden,
Du seist nicht lieb so sehr,
Find' ich in dir des Lieben,
Weh! immer, immer mehr.


3.
Beim Tischdrehen
Legst die liebe Hand du auf den Tisch,
Sie bewegt den Toten lebensfrisch. –
Leg' die Hand mir auf das Herz – bewegen
Wird das müde sich in muntern Schlägen,
Doch nach Norden nicht, nein! rasch voll Wonne
An dein Herz voll Liebe und voll Sonne.


4.
Glück des Zusammenseins
Wenn uns in dieser bangen Welt,
Du liebes Kind! bald alles fällt,
Die Kraft des Leibs und Geistes weicht,
Und Freund um Freund leis von uns schleicht,
So sind wir nicht verlassen, Kind!
Wenn wir nur beieinander sind;
Sind wir nur beieinander, ach!
Im Häuschen unter einem Dach,
Auf das, seitdem wir's uns erbaut,
Der Stern der Liebe niederschaut,
So sind wir nicht verlassen, Kind!
Wenn wir auch ganz verlassen sind.


5.
Trost beim Erblinden
Bald, bald durch meiner Augen Nächte
Nicht mehr ein Strahl der Sonne bricht;
Dann nimmer, nimmer kann ich schauen
Ihr liebes, liebes Angesicht.
Daß süßer noch Musik ertönet
In Nächten als im Sonnenschein,
Wird wegen ihrer lieben Stimme
Mir dann noch eine Tröstung sein.


6.
Des Weibes Liebesklage
O, laß dir, Lieber!
Die Liebe sagen:
Zu liebe Liebe
Ist schwer zu tragen.
"Liebst du mich nimmer!"
Fragst du oft schmerzlich,
Und ach! ich lieb' dich
Ja noch so herzlich!
Du willst, ist's weh mir,
Vor Weh vergehen,
Daß ich muß doppelt
Ein Weh bestehen.
Sprech' ich vom Sterben,
Die Tränen fließen,
Träumst von Erdolchen
Und von Erschießen.
O, Lieber! dämpf'
Der Liebe Flammen!
Wie lange sind wir
Auch schon beisammen!
"Was, lange? (rief er)
Daß Gott bewahre!
(Und küßt mich flammend)
Erst fünfzig Jahre!"


7.
In Ihrer Krankheit
Selbst die Liebe zu betrüben
Bin ich durch die Lieb' gekommen,
Liebesschmerz hat mich getrieben
Zu dem Wunsche, dem unfrommen,
Daß so allzu heißes Lieben
Werde meiner Brust genommen.

Seh' ich sie so stille leiden,
Muß ich still auch Leiden tragen,
Bis ich nimmer kann vermeiden,
Auszubrechen laut in Klagen.
Gott! dann spricht sie vom Bescheiden,
Daß ich frei werd' ihrer Plagen!

Ja! dann heb' ich meine Hände
Auf zu Gott: Mach' diesen Schmerzen,
Dieser Quel der Lieb' ein Ende,
Löschend meines Lebens Kerzen,
Oder Vater! Vater! sende
Einen Panzer meinem Herzen.
(S. 348-350)
_____


Ade

Was macht dir, Herzliebster!
Die Wange so blaß?
Was macht dir das Auge
Von Tränen so naß? -

O Liebchen! Herzliebchen!
Wohl ist es mir weh;
Weit muß ich von hinnen,
Weit über die See!

Und mußt du von hinnen -
Dort über der See
Gibt's wohl noch ein Liebchen.
Herzliebster! ade!

Es scheinen viel Sterne
Am Himmelsgezelt,
Doch keiner von allen
Wie Luna gefällt.

So nimm nur dies Ringlein
Von Golde so schwer,
Und wird es zu eng dir,
So wirf's in das Meer.

So steck' nur dies Blümlein
Ans klopfende Herz;
Und duftet's dir nimmer,
Verging auch dein Schmerz.
(S. 84-85)
_____


Frauen

Was wär' die Erde ohne Frauen?
Das fühlt das Herz, ist's Auge blind.
Ein Garten wär' sie anzuschauen,
In welchem keine Blumen sind;
Wär' wie ein Tag, der ohne Sonne,
Wie eine Nacht ohn' Sternenlicht,
Hätt' nie gefühlt der Liebe Wonne,
Geglaubt auch wohl an Engel nicht!
Dann hätte wohl auch Gottes Liebe
Kein fühlend Herz auf sie gestellt;
Denn wie langweilig, kalt und trübe
Wär' ohne Frauen dann die Welt!

Preis jeder Stunde, wo gegeben
Gott dieser Welt ein weiblich Kind
Zu lichtem, warmem Frauenleben,
Und wenn es noch so viele sind!
(S. 338)
_____


An Amalia
1809

Wie, wer an Himmelshöhen
Aus Wolken schnell den Mond erblickt,
So hab' ich dich gesehen
Und stand in deinem Licht entzückt.

Bald warst du weggeschwunden,
Es kamen wieder Wolken dicht,
Ich stand, ein Herz voll Wunden,
Ein Wandrer nächtlich ohne Licht.

Doch bist du mir geblieben
Recht wie ein lieber, lichter Traum.
Es träumt vom Lenz dort drüben
Am kalten Bach ein welker Baum.

So mögen denn dich grüßen
Die Quellen, die aus meinem Tal
Nach deinem Meere fließen,
Viel tausend, tausend, tausend Mal!
(S. 91)
_____

 

Am Tage meiner Geburt
An Sie

Wohl blickt der Himmel tränentrübe
Und bang am Tag, der mich gebar,
Er stellte, wärest du nicht, Liebe!
Ein Bild von meinem Leben dar.

Nacht schien mein Leben, Nacht auf immer,
Ich sah die Sonne untergehn,
Da kamest du, mit mildem Schimmer
Ein Stern in dieser Nacht zu stehn.

Ein stetes Licht, kein Lichgefunkel,
Strahlst du, o Stern! mit mildem Schein
Durch der umflorten Augen Dunkel
Mir tief ins kranke Herz hinein.
(S. 230)
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Stummsein der Liebe

Wohl neigt nach goldner Sonne
Sich stumm die Blum' der Au,
Doch spricht von ihrer Wonne
Im Kelch der helle Tau.

Halt' ich die Lieb' umwunden,
Gedrückt ans Herze ganz,
Schweigt Lippe fest gebunden,
Spricht nur des Auges Glanz.

Ein armes Herz, entschlagen
So plötzlich aller Pein,
O Liebe! kann nichts sagen,
Das kann nur stille sein.
(S. 59)
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Das Schwerste
An Sie im Alter

Wohl ward schon manches mir genommen,
Das ich geliebt wie's Augenlicht,
Doch eines ist noch nicht gekommen,
Und bete, daß dies komme nicht.

Dies ist, o Herz! vor mir dein Sterben!
Wie könnt' mich halten noch die Welt?
Ich müßte wie ein Baum verderben,
Dem man die Wurzel halb gefällt.

Dies ist, o Herz! vor dir mein Scheiden!
Was wärst du noch? – ich glaube fast
Nichts als ein stummes, bleiches Leiden,
Ein von dem Baum gerißner Ast.

Ließ doch der Himmel nie geschehen,
Daß zwei so innig lieben sich,
Daß, wenn das eine mußte gehen,
Das andere fortatmet siech!

Möcht' schlagen er die Todeswunde
Solch Liebenden zur gleichen Stund',
Daß sie umschlöss' im treuen Bunde
Ein Sarg und eines Grabes Rund'!
(S. 229)
_____


 

Alle Gedichte aus: Justinus Kerner Werke.
Herausgegeben mit Einleitung und Anmerkungen von Raimund Pissin. 6 Teile in 2 Bänden
Berlin Leipzig Wien Stuttgart
Deutsches Verlagshaus Bong & Co
Georg Olms Verlag Hildesheim New York 1974
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1914)

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Justinus_Kerner


 

 


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