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Karl Kraus
(1874-1936)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
-
So wird das Wunderbild der
Venus fertig (Vergleichende Erotik)
-
O schöne Augen, Blicke
abgewendet (Das zweite Sonett der Louise Labe)
-
O Unterschied im Liebesspiele!
(Wollust)
-
Sind die Wiesenglocken mir
(Schäfers Abschied)
-
Du bist mir nur von weitem
noch. Und kaum (Verwandlung)
-
Fiel ihm ein Liebesglück in
seinen Schoß (Der Erotiker)
-
Stimm' ich nimmer den
Verstimmten (Eros und der Dichter)
-
Dein Fehler, Liebste, ach ich
liebe ihn (Dein Fehler)
-
Welche Armut soll erwählt
sein! (Verlust)
-
Du bist sie, die ich nie
gekannt (Du bist sie, die ich nie gekannt)
-
Sag mir, wie lange währt die
Ewigkeit? (Dialog)
-
Was weiß die Welt, wie Weiber
sich erwärmen! (Dank)
-
Weh mir, daß deine Stille mir
versagte (Sturm und Stille)
-
Was werden sie drüben
beginnen (Religion der Liebe)
-
Du bist so sonderbar in eins
gefügt (Du bist so sonderbar in eins gefügt)
-
Als von tiefen Abendschatten
ward mein armes Herz verdunkelt (Das Wunder)
-
So brauchst du niemand außer
dir zu lieben (Und liebst doch alle, liebt dich einer so)
-
O daß nimmer mir der Mut
versage (Frauenlob)
-
Hast du die erste, wird sie
dich bedrücken (Ablaut der Liebe)
-
Sie gab ihm viel: er fühlt'
sich arm (Liebe)
Vergleichende Erotik
So wird das Wunderbild der Venus fertig:
Ich nehme hier ein Aug, dort einen Mund,
hier eine Nase, dort der Brauen Rund.
Es wird Vergangenes mir gegenwärtig.
Hier weht ein Duft, der längst verweht und weit,
hier klingt ein Ton, der längst im Grab verklungen.
Und leben wird durch meine Lebenszeit
das Venusbild, das meinem Kopf entsprungen.
(S. 11)
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Das zweite Sonett der Louise Labe
O schöne Augen, Blicke abgewendet,
o Seufzer, Klagen, o vergossne Thränen,
o dunkle Nächte, die durchwacht mein Wähnen,
o lichter Tag, vergebens mir verendet!
O Trauer du, da Sehnsucht stets verweilt,
o alle Übel wider mich bereitet,
o tausend Tode rings um mich gebreitet,
o Ewigkeit der Qual, da Zeit enteilt!
O Geigenton des Leids, Musik im Schmerz,
o Lächeln, Stirn und Haar, o edle Hand -
zu viele Flammen für ein armes Herz!
Weh dir, der alle diese Feuer trägt,
daß du sie an mein Leben hast gelegt,
und bleibst von jedem Funken unverbrannt!
(S. 242)
Nach dem Original und einer vorhandenen Übertragung.
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Wollust
O Unterschied im Liebesspiele!
Wie kommt es aus ganz andern Quellen:
bei ihr zu sein,
und sie sich vorzustellen!
Denn sie ist nur ein Schein;
doch wenn sie fern, erwachsen die Gefühle.
Kurz ist die Gier,
und man ist bald am Ziel
und fühlt nur eben, was man fühle;
das ist nicht viel.
Gern wär' man aus dem Spiele,
ist man bei ihr.
Wie bin ich anders aufgewühlt,
ist sie entrückt!
Wie wird sie vielfach neu und nah
und endlos bleibe ich verzückt,
denn sie, sie selbst ist da,
und ich, ich fühle, was sie fühlt!
(S. 243)
_____
Schäfers Abschied
Sind die Wiesenglocken mir
in den Herbst verklungen:
dauert nur der Sommer dir,
ist ein Lied gesungen.
Sehnsucht macht den Dichter stark,
glühendes Entsagen.
Darb' ich, so gedeiht mein Park
in den Thränentagen.
Zweifel drückt mir auf die Brust:
irrte so viel Liebe?
Deine Schafe, deine Lust -
irgendwo sind Diebe.
Steht wie ehmals Stern an Stern -
Insel schwand und Schwäne.
Sterne sind noch, Einer fern
fiel herab als Thräne.
Sommernächte - wie erhellt
war die Lust vom Lichte,
unterthan die ganze Welt
glänzendem Gesichte!
Ach, das war die schönste Zeit,
ich vergess' sie nimmer.
Du trugst nachts ein grünes Kleid
in dem weißen Zimmer.
Wie verklärte sich der Pfad
unter deinem Scheine!
Steine, die dein Fuß betrat,
waren Edelsteine.
Springbrunn, himmelhoch und hell,
ist er mir verflossen
und dafür ein Thränenquell
in die Welt gegossen?
Tagwärts in die dunkle Zeit
ist dein Bild verronnen.
Aber nachts das süße Leid
weckt mir deine Wonnen.
Sonne schien in Alp Laret
loderndem Verlangen.
Daß mein Herz nicht untergeht,
war sie aufgegangen.
Sonnentrunkner, heißern Blicks,
irrt mit blauem Flügel
durch Vallorbe, das Thal des Glücks,
helle Lust zum Hügel.
Selig hat mich aufgethaut
ein lebendiger Wille.
Tönte mir dein Klagelaut,
war der meine stille.
Ach, geschäh' es noch einmal,
in den bessern Zeiten!
Dahin sei der Trennung Qual
inneres Geleiten.
Segen deinem stolzen Schritt
in die fernste Richtung!
Du nahmst meine Seele mit.
Ich bewahr' die Dichtung.
(S. 244-245)
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Verwandlung
Du bist mir nur von weitem noch. Und kaum
an meinem Horizont ein Rand mehr, nur ein Saum
purpurnen Abschieds. Nur noch eine Spur.
Schien mir die Sonne? Nein, sie schien mir nur!
Du bist es nicht! Den Brand noch im Gesicht,
ruf' ich dir nach: Bist du nicht, warst du nicht!
Warum verglommst du mir? - Doch warst du, doch!
Du warst, du bist es: denn ich seh' dich noch.
Wohin entsinkst du mir? Zurück bleibt Nacht.
Wo lebst du, leuchtest jetzt? Wohin die Pracht?
Noch spielt mein Geist mit deinem Licht; im Wähnen
um das lebendige, stets nachgezogen,
schaff' deinem Schimmer ich durch meine Thränen
den nie verlöschend letzten Regenbogen.
Ich weiß von Wüsten, wo ein Mittag war
und nichts als Lust,
und alles wurde klar.
Aufriß das große Licht mein Menschenauge,
daß ihm die dunkle Welt nicht tauge;
und aller Ursprung wurde mir bewußt.
Und über mir war Mittag, stand die Zeit,
und eine Weile war Unendlichkeit,
ein Teil von dir. Mit Armen hielt ich sie,
da war kein Anfang und das Ende nie!
Dein Strahl traf durch mein Haupt und diese Welt
brach auf in Flammen, die mein Herz verbrannten.
Als alle Sinne dich erkannten,
war ihnen gleich der Geist gesellt.
Naturhaft jedes Ding um uns; der Mond
nannte dich Schwester, und ein weher Wind
war Stimme dir, die Stürme übertönt,
und Sterne flohen, schwebten wir vorbei.
Vorbei du mir! Dies ist der andre Herbst,
dem niemals mehr entwandelt die Natur;
sie ging ins Grab, woraus ich sie empfing.
Und überall ist nichts als Zeit, und nichts
auf Erde. Und du ließest nichts zurück
als die Gewalten, die mich rückwärts rufen,
und alles Opfer, das umsonst sich bietet,
Herzuntergang in gnadenloser Weite,
irres Gebet zu niemand und um nichts,
gottlosen Altar, sternenlose Nächte,
furchtbare Mächte der Gewesenheit!
Ich renne rasend durch die Erdenzeit
zurück in dich und finde dich nicht mehr!
(S. 247-248)
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Der Erotiker
Fiel ihm ein Liebesglück in seinen Schoß,
so war er im Erlebnis gar nicht tüchtig;
und nie genoß er es in vollen Zügen,
wenn es gelang, den Gatten zu betrügen.
Der Glückliche, er war ja ahnungslos -
dagegen jener für ihn eifersüchtig.
Oft hat er, wenn sonst alles hätt' geklappt,
die Frau beim Ehebruch mit sich ertappt,
und den Beweis hielt er in seinen Armen.
Hier half kein Leugnen. Da er's selbst gesehn,
so mußte sie, was sie getan, gestehn;
und seine Liebe kannte kein Erbarmen.
(S. 261)
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Eros und der Dichter
Eros
Stimm' ich nimmer den
Verstimmten,
der mich immer suchend fand?
Wenn die Gluten dir verglimmten,
oh wie dunkel wird das Land!
Du, der mir auf allen Spuren
rannte nach in Brand und Hast,
aller Formen und Naturen
nie ersattend gier'ger Gast -
Dichter
- noch genießend im
Gedenken,
lebt' ich nie die Fülle aus!
Willst du ferner sie mir schenken,
so verschließe ich das Haus.
Laß die Gluten mir verglimmen,
auf den Kopf die Asche streun!
Nimmer wirst du mich bestimmen,
nie mehr wird es sich erneun!
Eros
Fliehen mich die
Halben, Leeren,
meinem Geiste unverwandt -
soll ich nun auch dich entbehren,
dem aus Nichts die Welt entstand?
Wie ein Schwacher sich ergänze,
wenn er eine Ganze schwächt,
bleib' ich fern von solcher Grenze
und es bleibe im Geschlecht.
Dichter
Ja, das war wohl
unsre Richtung,
wir verstanden uns im Nichts.
Nun entbehre meine Dichtung
auch noch dieses Schwergewichts.
Ach wie waren wir verloren
doch an das geringste Ding!
Selbst gezeugt und selbst geboren
hatte man auf deinen Wink.
Eros
Brauchte nur was
hinzuhalten
und gleich hatte es Gestalt
und im Wechsel der Gestalten
war der schönste Aufenthalt.
Himmelwärts erwuchs die Gasse
und der Nacht entflammt' ein Licht.
Wir erkannten der Grimasse
göttergleiches Angesicht.
Dichter
Aber immer doch vom
Weibe
ging die ganze Wohltat aus.
Suche solchem Zeitvertreibe
endlich dir ein andres Haus!
Wie das Himmelreich aus Plunder
einem Augenblick ersteht,
ausgelernt ist dieses Wunder,
lehr ein anderes Gebet!
Eros
Wie du heute mir
verwehrend
und verzichtend auch verzagst,
wie du in dich selber kehrend,
immer klagend mir entsagst -
durchgebrannt von deinen Gluten,
reißt es dich von mir nicht fort.
Willst du dich auch noch so sputen,
nehm' ich schneller dich beim Wort!
Dichter
Ach beim Wort, es
eilt, verweile,
hab ich dich, schon ist es fort,
welche wonnevolle Eile,
wie erregt mich dieses Wort!
Hinter ihm mit einem Satze,
dichter schon auf seiner Spur -
welcher liederlichen Fratze
form' ich feurig die Figur!
Eros
Du erkennst sie, die
du immer
nah bei solchem Ding erkannt.
Himmlisch wird ein Frauenzimmer
erst durch solchen Höllenbrand!
Nimmer hältst du mich vom Leibe,
du, der mich so stolz bekriegt.
Hier ist keine Spur vom Weibe
und ich hab' dich doch besiegt!
Dichter
An der andern Welt
Gestade
staun' ich, wie du's mit mir meinst.
Ganz verwirrt von deiner Gnade,
fühl' ich reicher sie als einst.
Werde jenen holdern Bildern,
welchen meine Lust entfernt,
dankbar doch in Worten schildern,
was ich ihnen abgelernt!
(S. 331-333)
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Dein Fehler
Dein Fehler, Liebste, ach ich liebe ihn,
weil du ihn hast,
und er ist eine deiner liebsten Gaben.
Seh' ich an andern ihn, so seh' ich fast
dich selbst und sehe nach dem Fehler hin,
und alle will ich lieben, die ihn haben!
Fehlst du mir einst und fehlt dein Fehler mir,
weil du dahin,
wie wollt' ich, Liebste, lieber dich ergänzen
als durch den Fehler? Ach ich liebe ihn,
und seh' ich ihn schon längst nicht mehr an dir,
die Häßlichste wird mir durch ihn erglänzen!
Doch träte selbst die Schönste vor mich hin,
und fehlerlos,
ich wäre meines Drangs zu dir kein Hehler.
Ihr, die so vieles hat, fehlt eines bloß
und alles drum - ach vermiss' ich ihn -
ihr fehlt doch, Liebste, was mir fehlt: dein Fehler!
(S. 344)
_____
Verlust
Welche Armut soll erwählt sein!
Welch ein trauriger Verzicht!
Meinem nächtlichen Gequältsein
abgewendet dein Gesicht!
Zum Verlust war ich erkoren
weil du so dich mir verlorst.
Doch du selbst warst dir verloren,
als du dich dir selbst erkorst.
Was kann uns denn uns ersetzen?
Du auch darbst, weil ich entfernt.
Wie sich deine Augen netzen,
seit mein Himmel unbesternt!
Nie war tiefere Verwandtschaft
zweier Seelen in dem All.
Wie betrübt ist alle Landschaft,
wie versiegt der Wasserfall.
Nie mehr wird die Wiese grünen,
niemals mehr ein Himmel blaut.
Ach wie schmerzlich muß ich sühnen,
daß ich dich zu groß geschaut!
Aber ist's nicht größre Sünde,
was Natur an mir verbrach?
Denn es stürzen alle Gründe
und ich stürze ihnen nach.
(S. 344-345)
_____
Du bist sie, die ich nie gekannt
Du bist sie, die ich nie gekannt,
die ich nicht nahm, die ich nicht hatte.
Du keine Gattin, ich dein Gatte
in einem andern Eheband.
Du bist ein Wahn und bist ein Wille,
ein himmlisch Wesen, Erdenwurm.
Du rufst, und rings um dich ist Stille.
Du schweigst, und rings um dich ist Sturm.
Du bist der Baum in seiner Blüte.
Du bist das Tier in seiner Kraft.
Du bist die reine Gottesgüte.
Du bist die dunkle Leidenschaft.
Du bist mir da und bist mir dorten,
ein tiefer Ton, ein weiter Schall.
Du bist Musik zu meinen Worten,
ein Nirgend und ein Überall.
Des Tags bist du ein Traumgebilde;
in jedem Traum bist du mir nah.
Zuständig bist du dem Gefilde,
das ich mir vor der Zeit ersah.
Bei Tag und Nacht streift eine Wonne
vorüber meinem Horizont;
und sinkst mir unter du als Sonne,
so steigst du wieder auf als Mond.
Du lebst in Tiefen, webst in Höhen,
du schwebst und fällst in Lust und Qual,
Um dein heroisch Auferstehen
sieht man dich manchesmal banal.
Nie bleibst du an der Erde haften,
du stehst in einem höhern Plan;
vereinigst alle Eigenschaften
und bist doch keiner untertan.
Lebst ohne Ruh und ohne Reue,
es schwindet mir auf deiner Spur,
und immer nur hältst du die Treue
dir und der liebenden Natur.
Hab ich gewonnen die Verlorne,
bestreitet sie mir den Gewinn.
Entschwand sie mir, erstand dem Sinn
die nie gekannte Schaumgeborne.
(S. 345-346)
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Dialog
"Sag mir, wie lange währt die Ewigkeit?"
"Nicht länger, als den Augenblick
das Glück,
das ich empfange und gewähre."
"Nicht die! Die andre, die auf Zeit;
die du versprachst,
eh du die Treue brachst."
"Versprach ich sie auf Ehre?
Du Tor, da ich sie dir versprach,
da war ich doch so schwach, nicht weniger schwach,
als später, da sie nach und nach,
ich weiß nicht wie, 's ist eine Ewigkeit,
und heut
ist's mir unendlich leid,
mir brach.
Sei's wie es sei,
dies Glück ging mir vorbei zum Glück.
Und da es doch vorbei,
ist's einerlei
im Augenblick.
Auf den, bei meiner Ehre,
auf den nur kommt es an, von Zeit zu Zeit,
und ach, er währt, den ich empfange und gewähre,
glaub mir, so lange wie die Ewigkeit!"
(S. 347)
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Dank
Was weiß die Welt, wie Weiber sich erwärmen!
Mit seinem Maß nur mag der Mann sie messen,
was drüber ist, verachten und vergessen,
und was darunter, minniglich umschwärmen.
Moral des Mangels will die Lust verhärmen
und bindet sie an Normen und Intressen;
läßt sie sich ins Prokrustesbett nicht pressen
fängt jener ob der Größe an zu lärmen.
O Welt, die niemals zu der Quelle dringt,
durch die sie lebt - an jedem Tage neuer
empfängt der Geist sie und das Werk gelingt!
Dich Gnadenvolle fühl' ich ungeheuer,
der meine Seele in Äonen singt.
Ich stürze mich in deine Abenteuer!
(S. 348)
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Sturm und Stille
Weh mir, daß deine Stille mir versagte,
als ich in meinem Sturm zu dir mich wagte.
Allgegenwärtig war, was mich verzückte!
Und nie im Leben traf ich die Entrückte.
Weh mir, daß ich das Beste, was ich wußte,
dich selber, selbst vor dir verbergen mußte.
An dir empor: welch grenzenloses Wagen!
Erlangt, erlebt - und konnt' es dir nicht sagen.
(S. 348)
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Religion der Liebe
Was werden sie drüben beginnen,
die vorzeitig Abgestorbnen
mit ihren verdorbnen,
mit ihren verrauchten
Gluten und Sinnen,
den unverbrauchten?
Man ist nur einmal tot.
Seht, wie Natur zerschellt
an jenem Lustverbot:
Erlaubt ist, was mißfällt.
(S. 422)
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Du bist so sonderbar in eins gefügt
Du bist so sonderbar in eins gefügt
aus allem, was an allen mir behagte.
Du hast etwas von einer, die belügt,
und von der andern, die die Wahrheit sagte.
Du hast den Blick, der mir zum Glück genügt,
die Stimme, die es fühlte und nicht sagte;
begrenzt wie die, an die der Wunsch sich wagte,
unendlich an Erfüllung angeschmiegt.
Die Züge der Besiegten, die besiegt,
sind Spiegel aller Wonne, die mich plagte
und allen Zwistes, der am Herzen nagte,
und daß ich mich vergnügte und verzagte,
und wie ich im Gewinn Verlust beklagte
von Federleichtem, das ein Leben wiegt.
(S. 446)
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Das Wunder
Als von tiefen Abendschatten ward mein armes Herz verdunkelt,
sah ich plötzlich, daß ein Stern noch mir in deinem Auge funkelt.
Und durch deine Züge zog ein Leuchten wie von jenem Lichte,
als der Schöpfer sich erkannte in der Schönheit Urgesichte.
Da ich schaudernd mich vermutet außer des Naturglücks Grenzen,
unvermutet übergoß mein armes Haupt ein großes Glänzen.
Denn durch deine Züge zog ein Leuchten wie von jenem Lichte,
und es standen Nachtgedanken strahlend auf als Taggedichte.
(S. 447-448)
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Und liebst doch alle, liebt dich einer so
So brauchst du niemand außer dir zu lieben
und liebst doch alle, liebt dich einer so.
Und länger weilt der Augenblick, wo hüben
dein Auge blickt, der Ewigkeiten froh.
Und Freudenfeuer brannten lichterloh,
als ich aus jenes Zweikampfs Kräftemessen
in deine unbesiegte Ohnmacht floh,
und Wissen sank in seliges Vergessen.
Sag mir die Landschaft, die dein Auge sah,
da du dir nichts und alles ließt gefallen,
und welcher Himmelskörper war dir nah?
Und welche Sphäre hörtest du erschallen?
Denn außer dir war nichts zur Liebe da,
und sie war nicht von einem, nur von allen.
(S. 448)
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Frauenlob
O daß nimmer mir der Mut versage,
jenen Duft zu suchen, unverloren
fühl ich ihn im Traum und wie dem Tage
dringt das Traumgefühl in alle Poren.
Und an allen haftet diese Endung
und umrahmt den Tag mit Finsternissen.
Wie es nun sich nähert der Vollendung,
noch ein Schritt nur, und ich werde wissen.
Aufzudunkeln die vergilbten Nächte,
bis zu dem Ereignis vorzudringen,
bann ich eingemischte Lebensmächte,
daß sie mir die Spuren nicht verschlingen.
War's vom Weib? War's von dem Ungeteilten?
Wo entbrach dies wunderbare Dünsten?
Die vom ersten Erdenfall begeilten
Götter brannten so in ihren Brünsten.
Winkt mir eine jener frühen Huren
aus des Lebens holder Seitengasse?
Ahnend nah ich mich der Wachsfiguren
sinnbetörend fehlerloser Rasse.
Zirkus und Panoptikum im Prater,
immer, wo der Zugang war verboten,
um die Türe zum Provinztheater
schwebte mir die Gnade der Eroten.
Dringt Natur, daß sie in Nichts versinke,
nicht gelingt dem Sinn die Unterscheidung.
Ach wie schön am Antlitz war die Schminke
und am Wuchs wie wonnig die Bekleidung!
Wirklichkeit, geschaffen zu verschimmeln;
Moderduft bricht aus lebendigen Munden.
Ach wie wäre ich in allen Himmeln,
nicht mit Käthchen, nur bei Kunigunden!
Doch auch ihr hab ich die Treu gebrochen,
als Olympia mir einst begegnet.
Denn die hat nach jenem Duft gerochen,
womit Eros meinen Traum gesegnet.
Eines Nachts erfuhr ich's, und im Traume
tritt die Welt als Chaos aus dem Bette,
und kein Band hielt mich an Zeit und Raume,
als ich nachlief einer Marionette.
Angelangt, stand ich vor bösen Bürgern
und sie flehte mich, daß ich sie rette -
aber schon verfiel sie ihren Würgern,
denn es war Marie-Antoinette.
Oftmals noch galante Abenteuer,
mehr als in der Weiberwelt vorhanden,
hab in Gegenden, wo nichts geheuer,
hab im Grenzenlosen ich bestanden.
Losgelöst von Tätigkeit die Triebe,
blieb die Vorstellung mir unveraltet.
Luft aus Schweiß und Schierling war die Liebe
und dazu hab ich die Frau gestaltet.
Phantasie, die sich im Schaffen steigert,
leiht der Kreatur lebendigen Odem,
die ihr dankbar nimmer noch geweigert
als ein Opfer diesen heißen Brodem.
In den Orkus flucht ich die Minuten
jeder leib- und leidhaften Verbindung.
Zur Naturgestalt sich durchzubluten:
welches Wehsal der Gedankenwindung!
Vor der festgeformten Unbedeutung,
vor des Nichtseins fleischbewußtem Stolze!
Wo der Geist nach eigner Zubereitung
sich die Lust holt von weit echterm Holze.
Kann er solche Form schon nicht entbehren,
bieten sich bordellhaft ihm in Gruppen
schöner doch bekleidete Chimären,
stolzer doch gestreckte Gliederpuppen.
Welches Weib hat dieses dunkle Düften,
das mir nach verlornen Liebestaten
reicht vom Urbeginn bis zu den Grüften?
So nur, weiß ich, riechen Automaten!
(S. 496-498)
_____
Ablaut der Liebe
Hast du die erste, wird sie dich bedrücken.
Dich zu befreien, mag der zweiten glücken.
Die dritte hast du, wieder dich zu bücken,
bis du erliegst unendlichem Berücken.
(S. 514)
_____
Liebe
Sie gab ihm viel: er fühlt' sich arm;
er wollte alle ihre Gaben.
Ihn hieß der heiße Herzensharm
nach den verborgnen Schätzen graben.
Ein Leben war's, daß Gott erbarm:
Der Arme! Was muß sie gelitten haben!
(S. 515)
_____
Aus: Karl Kraus Worte
in Versen
Siebenter Band der Werke von Karl Kraus
Herausgegeben von Heinrich Fischer
Kösel Verlag München 1959
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Kraus
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