Gustav Kühne (1806-1888) - Liebesgedichte

Gustav Kühne



Gustav Kühne
(1806-1888)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



 



Liebesduett
Zweiundzwanzig Elegien
(Berlin 1834)

1. Der Gefangene
Weckt mich nicht aus meinen Träumen,
Ach! der Schlummer ist so süß!
Und in goldgewirkten Säumen
Wogt und webt mein Paradies.

Was ich weiß, - ich will's nicht wissen,
Was ich glaub', ist Seligkeit,
Und die Täuschung zu vermissen
Wär' mein tiefstes Herzeleid.

Nicht den Augen will ich trauen,
Dämmerlicht ist wundersüß;
Nicht in's Helle mag ich schauen:
Laßt mich still im Burgverließ.

Goldumsponnene Gitterstäbe
Schmücken meine Kerkerwand,
An dem Fenster schmiegt die Rebe
Sich hinauf zum Dachesrand.

Seht! so sitz' ich hier im Dunkeln,
Selbst den Himmel schau' ich nicht;
Aber Sterne seh' ich funkeln,
Und ich fühle Glanz und Licht.

Wenn sich meine Augen schließen,
Seh' ich nur ihr sanftes Bild;
Duft und Dämmerung umfließen
Meine Seele warm und mild.
(S. 173-174)


2. Stille und Bewegung
Der Gesträuche Balsamfluthen
Wogten durch die Gartenflur,
In der Sonne dunklen Gluthen
Schwamm und bebte die Natur.

Tief betäubt von würz'gen Düften
Hängt der Kelch der Blume schwer,
In den angstbeklommnen Lüften
Regt kein Athem sich umher.

Müde von dem Sonnenwege,
Der sich nach dem Walde bog,
Standen wir im Laubgehäge,
Das die Wölbung um uns zog.

Und sie saß im grünen Schatten,
Der nur wenig Kühlung gab,
Und die brennend heißen Matten
Schwiegen wie ein tiefes Grab.

Alles still. Auch mir im Herzen
Wogte stumm ein Feuerbrand,
Ob in Lust, und ob in Schmerzen,
War mir selber unbekannt.

"Himmel! welche Todtenstille
Drückt uns, sprach sie, denn so schwer!
Mitten in des Reichthums Fülle
Scheint die Welt mir plötzlich leer!"

Und sie sprang und hüpft' und lachte
Jubelnd in den Wald hinein,
Bis das Echo rings erwachte
Fern wie stille Bergschalmei'n.

Wo sie hinflog, wogte Regung,
Und ich haschte sie im Lauf;
Eine bebende Bewegung
Taucht' in allen Blumen auf.

Und die Geister in den Blüthen
Gaukelten aus ihrem Traum,
Und die Abendstrahlen glühten
Sanfter von dem Bergessaum.
(S. 174-176)


3. Erstes Duo
"Sag', was willst du, guter Schäfer?"
Sprach sie und entwand sich mir.
"Und gesteh' es, stiller Schläfer,
Wachst du oder träumst du hier?"

"Laß mich bei des Abends Schwühle,
Deine Hand ist brennend heiß:
Warte bis zur Morgenkühle, -
Weiß ich doch schon was ich weiß!"

""Du nur kannst die Gluth verscheuchen,
Lindern meiner Seele Pein!
Willst Du mir die Hand nicht reichen:
Gönne mir's, Dir nah zu sein.

Schneeweiß glänzen Deine Flügel,
Täubchenzartes Mädchenbild!
Wie der Wind vom Morgenhügel
Bebt Dein Athem frisch und mild.""
(S. 176-177)


4. Ueberraschung
Und sie bot der duft'gen Wangen
Zarten, pfirsichweichen Flaum,
Und im drängenden Verlangen
Stand ich zitternd wie im Traum.

Ach! sie bot worum ich flehte,
Ihrer Huld beglückte Lust:
Plötzlich wie der Frühling wehte
Mir ihr Hauch aus tiefster Brust.

Kühlste Stille im Gemüthe -
Und nun plötzlich Hocherguß!
Und der Lippen Kirschenblüthe
Wölbte sich zum Wonnekuß.

Warum zittern, warum beben?
Liebeshuld ist kurz und süß:
Wem's die Götter plötzlich geben,
Schaut das schönste Paradies.

Ach! ich sann und konnt's nicht fassen,
Daß das ferne Glück so nah, -
Und im tödtlichen Erblassen
Saß ich wie ein Bildniß da.

Meine Pulse hielten stille,
Und der Athem stockte tief,
Meiner Seele regste Fülle -
War es doch als wenn sie schlief.

Und sie bog sich rasch von hinnen,
Und ihr Lächeln wurde Schmerz,
Eine Perle sah ich rinnen,
Und geschlossen war ihr Herz.

Ihre Perle lockte Fluthen
Mir aus der erwachten Brust:
Alle Bäche, die da ruhten,
Quollen auf zur Liebeslust.

Stürzt' ich auch zu ihren Füßen,
Ach! sie wandte still sich ab: -
Soll ich denn nun ewig büßen -
Ewig bis zum stummen Grab?
(S. 177-178)


5. Abendfeier
Wir saßen vom Laubdach tief umschirmt,
Der Himmel war rings von Wolken umthürmt,
Der Mond, er drückte die Augen zu:
Wir wünschten ihm 'ne gute Ruh.

Und mußte das Dunkel uns so umfließen,
So durften die Herzen sich frei ergießen:
Da haben wir manches uns gesagt;
Im Sonnenschein hätt' ich's nicht gewagt.

Es rollten die Locken vom schönen Haupt;
Wie ein Rosenbusch saß sie reich umlaubt.
Und wie ich geküßt die dunklen Locken,
Da wollt' es mich weiter noch verlocken!

Der Stern des Auges hält streng Gericht;
Doch ich schaute nicht mehr ihr Augenlicht.
Ich hörte der Nachtigall süßes Flöten -
Ich sah nicht mehr ihr stilles Erröthen.
(S. 179)


6. Duo
Ach! Du schaust mir in die tiefste Seele;
Sag mir, Holde, was erspäht Dein Blick?
Sahst Du meine Tugend, meine Fehle -
Nimm was drinnen ist und gieb's zurück.

"O! ich sehe nur ein gährend Feuer;
Mensch, Du bist nicht fromm, bist jäh und wild
Tief im Innern ist Dir's nicht geheuer,
Deiner Wünsche Maß ist unerfüllt."

Laß mich, Holde, drum noch länger schauen,
Gönne mir Dein süßes Sternenlicht,
Das der dunklen Nacht geheimstes Grauen
Mit dem Strahl der Gnade still durchbricht.

"Weh, Du Mann, vor Deinem dunklen Blicke
Löst sich mir ein feuchter Thränenthau.
Ach! in unsrem trauten Liebesglücke
Wölbt sich uns der Himmel nicht mehr blau."

Laß uns doch die tiefste Nacht umdunkeln,
Wo nur Liebesschmerz und Kummer wohnt;
Wird kein Himmelsstern uns mehr umfunkeln,
Wandelt doch Dein Auge drin als Mond.

"Dunkler Mann, ich sah Dich nimmer lächeln,
Ist Dir ewiger Schmerz so eng vertraut?
Sprichst mir ja, daß Engel Dich umfächeln,
Und doch wird die Freude niemals laut!"

Schau mir nur bis in mein tiefstes Leben,
Gönne mir's, und halte treu und fest,
Alles Nachtgeflügel wird entschweben,
Wenn Du Deine Sterne leuchten läßt.
(S. 180-181)


7. Sprach sie zu mir:
Nein, Du darfst Dich nicht anklagen,
Du bist ewig warm und gut.
Meine Küsse dürfen's sagen,
Daß in Dir mein Himmel ruht.

Bist Dein eigener Verräther,
Wenn die Lust durch Schmerzen bricht:
Hinter dem umwölkten Aether
Lacht der Sonne treues Licht.

Nein, ich kenne Dich im Glücke,
Kenne Dich im tiefsten Harm,
Und ich weiche nicht zurücke
Vor der Nachtgespenster Schwarm.

Deine dunkelsten Ergüsse
Waren lieb und treu und gut,
Deine fieberhaften Küsse
Brannten eine ewige Gluth.

Zieh in Zweifel meine Scherze,
Ob es nicht blos Täuschung war;
Aber trau' dem düstern Schmerze:
Schwermuth spricht nur treu und wahr.
(S. 181-182)


8. Sprach ich wieder zu ihr:
Weib, Du kennst ja alle Mächte,
Alle Träume rufst Du wach,
Und die Wunder dunkler Nächte
Wechseln mit dem lichten Tag.

O so laß mit Wechseltönen
Heilig süßer Melodien,
Um die Welten zu versöhnen,
Uns durch's weite Leben zieh'n.

Alle Sphären zu durchfliegen,
Wundersamster Hochgenuß!
Streiten, sühnen - kämpfen, siegen, -
Ewiger Fried' im ewigen Kuß!
(S. 182)


9. Unisono
Ich bin nicht ich mehr, wenn ich Dich erblicke,
Du bist nicht Du mehr, schaust Du mir in's Herz,
Und ach! in diesem süßen Wechselglücke
Zerfliegt die stille Seele himmelwärts.

Im Rausch der Liebe zähl' ich keine Stunden,
Im Rausch der Seele giebt es keinen Raum.
Vergangenheit und Zukunft sind verbunden,
Und Alles, selbst die Gegenwart, ist Traum.

Und ist es aus mit unsrem Traumesleben,
Auch jenseits finden wir nicht Raum noch Zeit,
Kein Ich, kein Du, - in Gottes Schooß entschweben
Wir alle still in alle Ewigkeit.

Dort werden wir uns bald zurechte finden:
Wir wissen hier schon wie das All zerfließt,
Und wie die Leuchten dieser Welt erblinden,
Wenn sich das Herz dem Herzen tief erschließt.
(S. 182-183)


10. Auferstehung
All dies göttergleiche Leben,
Diese himmelstrunkne Lust,
Meiner Fibern heilig Leben,
Sonn' und Mond in tiefster Brust -

Meiner Wangen Glanzerröthen,
Meine Stirn so licht, so hell,
Meiner Seufzer leises Flöten,
Meiner Thränen Freudenquell -

Sprich, gabst Du mir alles dieses,
Maßest Du so reich, so voll?
Krone meines Paradieses,
Dir gebührt des Dankes Zoll.

Alle meine Geister schwiegen
Tief im Busen starr und todt:
Ich bin aus mir selbst gestiegen
Frei zum lichten Morgenroth.

Meine Kerker sind entriegelt:
Stumm sinkt meine Nacht hinab,
Meine Seele ist beflügelt
Und erlöst aus ihrem Grab.

Christus ist mir auferstanden,
Wie er stieg zum Himmelszelt,
Und aus meinen dumpfen Banden
Schweb' ich frei durch alle Welt.
(S. 183-184)


11. Metamorphose
Sprach sie dagegen:
Auch mir hast Du den Erlöser gebracht;
Meine Seele lag tief in der Wiege,
Das Kind schlief still, - nun ist es erwacht,
Nun kennt es die Himmelsstiege.

Wir steigen wohl auf und niederwärts
Durch aller Welten Räume,
Es jubelt und weint und lacht das Herz
Und macht sich bunte Träume.

Es blieb der Traum, obschon ich erwacht -
Wir wachen - und träumen doch immer;
Es schwand die Sabbathstille der Nacht
Mit ihrem Friedensschimmer.

Es zogen wohl Schmerzen in meine Brust,
Und früher kannt' ich nur Freuden,
Und doch! wer tauscht nicht für stumme Lust
Der Liebe geschwätzige Leiden!
(S. 184-185)


12. Mußt' ich wieder reden:
O wundersamer Liebesrausch,
Wer faßt dein geheimstes Leben?
Unnennbar süßer Seelentausch,
Wie deine Zauber weben!

Du gabst Dich mir, ich gab mich Dir
Im Wechselspiel der Liebe,
Daß Lust und Leid nun für und für
In ewiger Eintracht bliebe.

Es brach Dein stiller Kindertraum
Vor meinem Schmerz zusammen,
Und unsrer Freude Weihnachtsbaum
Steht doch in hellen Flammen.
(S. 185-186)


13. Ziel des Lebens
Alles strebt zum hellen Lichte
Und sinkt dann in seine Nacht,
Das Geschehene zum Gedichte:
Das ist seine Zaubermacht.

Was nicht Lied wird und Gedanke,
Wuchert hin und wuchert her;
Wie es sich auch mühsam ranke:
Eignes Sein erringt es schwer.

Aus des Chaos dunkler Gährung
Ringen sich die Stoffe los,
Und zur seligsten Verklärung
Lockt der Liebe süßer Schooß.

Alles sehnt sich zum Genusse,
Das ist alles Strebens Ziel,
Und im innigsten Ergusse
Stirbt der Seele Dranggefühl.

Schwäne zieh'n im ruhigen Gleise
Sanft vermählt und sehnsuchtsstill,
Und die Woge schmiegt sich leise,
Wunderseltsam tief und still.

Lauschend schweigt der Winde Kosen,
Bebend liegt die Welt im Traum,
Dunkler röthen sich die Rosen,
Und die Espe zittert kaum.

Ist das Freude? ist das Trauer? -
Schweig, ich weiß es selber nicht;
Das ist Liebesandachtschauer,
Das, Natur, ist dein Gedicht.
(S. 186-187)


14. Sprach sie zu mir:
Laß mich zittern, laß mich beben,
Aber zweifle länger nicht,
Daß ich mein geheimstes Leben
Dir geweiht zu süßer Pflicht.

Lippen, Herz und Mund und Wangen,
Und der Seele tiefster Schooß -
Eint mit Dir sich im Verlangen;
Dich zu lieben ist mein Loos.

Deine Zweifel können tödten -
Und doch wär' ich sterbend Dein:
Sieht die Nacht nicht mein Erröthen,
Kann ich frei und offen sein.

Du zerstörst mir meinen Himmel,
Mühst Dich selbst in bittrer Qual, -
Jage fort Dein Angstgewimmel,
Sei doch fromm und still zumal!

Küss' ich Dich, so muß ich zittern,
Denn Dein Athem glüht und bebt:
Warum soll es denn gewittern,
Wenn die Sonn' uns hell umschwebt?

Nasche doch vom Glück der Stunden,
Zukunft liegt mir viel zu weit:
Als ich Dich, Du mich gefunden,
Der Moment hat Ewigkeit.
(S. 187-188)


15. Nachtgeheimniß
Andächtig lauschend, sinnend still versunken,
Als wenn ein ferner Geisterton mich rief,
Hab' ich am Liebesurquell tief getrunken,
Berauscht, betäubt, als wenn die Seele schlief.

Geheimnißvolles Licht! dein Sterngefunkel,
Ich sah es wogen leis' im Dämmerschein.
Es war mir hell im nächtlich stillen Dunkel,
Ein süßer Schauer floß durch mein Gebein.

So sind die Schranken alle denn entriegelt,
In's Bad des Lebens taucht' ich wonnescheu,
Der Räthsel räthselvollstes liegt entsiegelt,
Ein altes Wunder und doch ewig neu.

Ich glaubte sonst, die Welt sei dumpf verschwiegen:
Nun hat sie ihr Geheimstes ausgehaucht;
Den Schooß des Daseins seh' ich offen liegen,
In den sich meine Seele tief getaucht.

Nun weiß ich, was den Lauf der Sterne zügelt:
O süß Empfängniß, heilig, wunderbar!
Nun weiß ich, wie zur Brautnacht still beflügelt
Gott und Natur verschmilzt auf immerdar.
(S. 188-189)


16. Beschämung
Wer hat die Lippen Dir entbunden?
Was sprichst Du aus, Du dunkler Mann!
Was ziehst Du unsre Weihestunden
Zum lichten Tag der Welt heran?

Das ist sonst ungesagt geblieben;
Selbst denken sollst Du's nicht einmal.
Ach Himmel! einen Dichter lieben,
Welch' namenlose Herzensqual!
(S. 189-190)


17. Vorschlag
Laß mich reden, dumpfes Schweigen
Sprengt des Herzens enge Kluft;
Willst Du mir Dein Ohr nicht neigen,
Schrei' ich's durch die weite Luft. -

Aber ach! sie senkt die Wimper,
Nimmt die Zither, schmollt und lauscht:
Mach' Dir doch ein still Geklimper,
Wenn mein Lied zu üppig rauscht.

Klimpre Du auf Deiner Leier,
Und ich singe laut und voll;
Das ist doppelt hohe Feier -
Hält uns auch die Welt für toll.
(S. 190)


18. Ewig?
Ich soll's beschwören, ernstlich sagen,
Ob unser Glück ein ewiges sei?
O Faust, o Faust, mit Deinen Fragen,
Mit Deiner Spürkraft Grübelei!

Soll denn die Rose ewig blühen
Sie reift nur für den Augenblick,
Und wenn die Winde herbstlich ziehen,
So bleicht sie still und sinkt zurück.

Sie fragt gar nicht nach Blüthendauer,
Selbst sterbend schwimmt sie im Genuß;
In der Erinnerung süßem Schauer
Da fühlt sie noch der Biene Kuß.

Fühlt noch des Schmetterlinges Kosen,
Wenn Blatt und Blume schon verbleicht:
Das ist das Schicksal aller Rosen -
Und Liebe hat nie mehr erreicht.
(S. 190-191)


19. Höchstes Glück
Nenne mir der Augenblicke
Seligsten im Liebesharm!
Denk' an alle Zeit zurücke,
Wo wir ruhten Arm in Arm.

Welcher aller Hochgenüsse
Mag für uns der schönste sein?
War's der Wirbelhauch der Küsse?
War's der Sehnsucht Wonnepein?

War's, wie Du zum ersten Male
Mir in's tiefste Herz geschaut?
Oder mit dem Augenstrahle
Mir Dein Seelenglück vertraut?

War's, wenn unsre Adern glühten?
Oder in der Zweifel Noth,
Ob die Augenblitze sprühten
Leben oder Liebestod?

War's, als durch den Thränenschleier
Sich Dein Blick in Wehmuth brach?
War's die heilig dunkle Feier,
Als die Nacht still um uns lag?

O du tief geheimstes Beben!
Ich durchschwelgte all' dein Glück,
Aber Eins im Liebesleben
Kehrte niemals mir zurück.

Als Du gabst warum ich flehte,
Stiller Blicke Zauberlicht,
Keuscher Morgenathem wehte
Um Dein schüchtern Angesicht.

Zitternd reichtest Du die Lippen,
Erster Regung Stillgenuß -
Ach! es war nur scheues Nippen,
Reinster Liebe erster Kuß.
(S. 192-193)


20. Da sprach sie unwillig:
O du undankbarer Wähler,
Der die Blüthe sich zerpflückt,
Und sich selbst ein ewiger Quäler
Seinen Liebestraum zerstückt!

Du - mit Deinem trunknen Herzen
Hast den Morgenthau verscheucht,
Der in spielerischen Scherzen
Uns die Knospe still gereicht.

Deine flügelschnellen Küsse,
Deiner Worte glüh'nder Wein,
Deiner Seele Fluthergüsse,
Deine drängend heiße Pein -

Das sind alle die Verräther,
Die Dein Erstlingsglück zerstört
Und den frischen Morgenäther
In den schwühlen Tag verkehrt.

Ach! vom jungen Morgenhügel
Siehst Du auf die Lerche zieh'n,
Aber matt senkt sie die Flügel,
Fängt der Himmel an zu glüh'n.

Schnell verstummt sind ihre Lieder,
Und sie taumelt niederwärts; -
Ach! so klammert mein Gefieder
Matt und krank sich an Dein Herz!
(S. 193-194)


21. Lebe wohl!
Ich kann es länger nicht verhehlen -
Ja, wer die Wahl, hat auch die Qual,
Und dennoch will auch ich nun wählen
Die liebste Speis' am Liebesmahl.

Ist Liebe reicher als das Leben? -
Ach! Leben zieht sich lang und weit,
Und Alles möcht' in Einem geben
Der Liebe Lust und Herzeleid.

Die Liebe engt die fernsten Weiten,
Wie sie das Nächste tröstlich dehnt;
In Einem Blick ruh'n Seligkeiten,
Die Du auf Erden nie gewähnt.

Was zart und groß, was fromm und düster,
Und was das Leben bunt umspielt,
Das wird in Einem Kußgeflüster
Der tiefsten Liebe durchgefühlt.

Nun denn, ihr süßen Liebesflammen,
Der Welt verborgen, still und scheu,
Ich fass' euch alle noch zusammen,
Ich fühl' euch alle ewig neu.

Und ob ich nun auch weinend scheide,
Doch schmeck' ich wie im ersten Glück
All meines Herzens Leid und Freude
Im letzten Kuß, im letzten Blick.
(S. 194-195)


22. Der lyrische Dichter
Schlußgedicht
Er singt sich selbst, er giebt sich hin -
Und wär' auch Höll' und Himmel drin.

Er gab es was er heimlich barg:
Nun sitzt er stumm, nun sitzt er karg.

Ach! mit der Liebe starb sein Lied,
Ein kurzer Lenz hat ihm geblüht!

O furchtbar Loos: der Dichter ist todt,
Der Mensch ist immer noch frisch und roth.

O Nacht, Nacht! wende dich bald zurück,
O Leben! wiege sein dunkel Geschick.

Ach! innen todt und außen blind,
Er tappt umher, ein greises Kind!

Er hat die Ewigkeit geschaut:
Drum sind ihm alle Farben ergraut.

Er war im Glück ein Feuermeer,
Nun ist sein Hirn verbrannt und leer.

Er war im Glück ein Flammenstrahl,
Er schwelgte an der Götter Mahl:

Und nun - wer liebt, wer duldet ihn hier?
Er wankt, ein Bettler, von Thür zu Thür. -

Erbarmer der Welt, errette mich:
Ich lebte, liebte, litt für dich!
(S. 195-196)
_____



Die vier Elemente der Liebe

I.
Luft wär' meine Liebe
Die nicht haften bliebe
Für die Ewigkeit? -
Ohne Dich zu kränken,
Laß mich's überdenken,
Was Dein Wort mir beut!

Denke Dir das Leben
Ohne Lust gegeben:
Lieb' ist Lebenslust.
Denke Dir die Lenze
Ohne duft'ge Kränze:
Lieb' ist Blumenduft!

Sieh die Erde schweben
Ohne Furcht und Beben,
Nur der Luft vertraut;
Ewig treu getragen
Steht der Sonnenwagen,
Eine Himmelsbraut.

Luft ist auch der Himmel!
All sein Sterngewimmel
Hängt in blauem Duft.
So die Welt bezwingend,
Ihren Leib umschlingend,
Herrscht als Geist die Luft.

Sei Du meine Erde!
Und im Frühlingswerde
Sollst Du ewig steh'n.
Ach mit Liebesbeben
Will ich Dich umschweben,
Dich als Luft umweh'n.

Hörst Du's leise rauschen?
Ew'ge Küsse tauschen
Unter'm Himmelszelt?
Bebend im Verlangen,
Allwärts heiß umfangen
Will ich meine Welt.

Wie die Himmel zittern
Und in Ungewittern
Sich ihr Schmerz ergießt,
Will ich Dich durchdringen,
Deinen Schooß umschlingen,
Wo mein Leben sprießt -

Will Dich sanft umkosen
Und in Deinen Rosen
Träumen süßen Traum.
Zwingst Du mich zum Wüthen,
Schüttl' ich Deine Blüthen
Dir vom Lebensbaum.

Wie die Luft mit Flügeln
Thalwärts und auf Hügeln
Bis zum Sternenzelt, -
So mit Athemzügen
Will ich Dich umfliegen,
Dich, Du meine Welt.

II.
Und nennst Du Feu'r, was mich verzehrt:
So weine um mein Herz,
Bis meine Fackel umgekehrt,
Bis ausgelöscht mein Schmerz.

Sei Du der Thau vom Himmel her
Und kühle diese Gluth,
Sei Du das weite blaue Meer,
Ich tauch' in seine Fluth.

Wie Regen träufle weich und mild
Vom Himmel niederwärts,
Und jeder Tropfen drückt Dein Bild
Mir tief in's heiße Herz.

Und jeder Tropfen eine Welt,
Darin Dein Auge lacht,
Dein Aug', das treulich Wache hält
In dunkler Liebesnacht.

Ein Feuerbrand der Einsamkeit
Verzehrte mich vor Dir;
Nun bin ich todt vor eignem Leid,
Du aber lebst in mir.
(S. 200-203)
_____



Der Millionär

Meine Küsse willst Du zählen?
Kind, sie sind Ein Strom.
Willst Dich mit dem Schnitzwerk quälen
An dem großen Dom?

In dem Tempel meiner Liebe
Weht ein einz'ger Geist,
Dessen tausendfach Getriebe
Nur gen Himmel weist.

Zähle nicht die Säulenschafte,
Nicht der Schnörkel Zier;
Was die Künstlerhand erschaffte,
Lebt zusammen hier.

Nenne mir der Sternenheere
Millionenzahl!
Zähl' die Tropfen mir im Meere,
Sag': Milliardenmal!

Und so sei's in Lust und Schmerzen
Maßlos ohne Zahl,
Lipp' an Lippe, Herz am Herzen
Viel millionenmal!

Runde Summen liebt die Liebe;
Reich' die Lippe her!
Ob noch Zeit zum Zählen bliebe,
Sehen wir nachher.

In den tausend Himmelszelten
Suche Gottes Spur,
Denn die Millionen Welten
Sind doch Eine nur.

Stundenlanges Lippenbeben
Ist nur Ein Erguß,
Unser süß verschlugnes Leben
Nur Ein Liebeskuß.

Unter hunderttausend Küssen
Dürst' ich nur noch mehr;
Ich bin Rothschild, mußt Du wissen,
Ich bin Millionär.
(S. 204-205)
_____



Aug' und Meer

Ich sank in einen tiefen See,
Der Himmel dehnt sich darüber;
Ich rang die Hände wund und weh,
Die Welten stürzten mir über.

Dein Auge ist der blaue See,
Der Himmel dehnt sich darüber,
Ja, meerestief ist Liebesweh,
Die Wellen stürzen mir über.

O läg' ich still im Meeresschooß,
Bis daß ich friedlich entschliefe!
Doch ach, die Welle reißt mich los
Hinauf aus dunkler Tiefe.

Da lieg' ich dicht am Meeresschlund
So still, so bleich und so todt;
Doch Sonne küßt mir Herz und Mund
Und küßt die Wange mir roth.

O sei Du mild wie Sonnenlicht
Und neig' die Lippen herüber,
In's tiefe Meer versänk' ich nicht,
Die Wellen stürzten nicht über.
(S. 206)
_____



An X.

1.
O laß mich Nachts auf meiner Sünden Pfühl,
Das ich benetzt mit bittrer Reue Thränen,
Aufschau'n zu Dir im bangen Angstgefühl,
Laß mir mein Hoffen, meines Herzens Sehnen!

Laß mir mein Hoffen, daß ein Engel einst
Die Binde mir vom dunkeln Auge löse,
Daß Du sie alle noch um Dich vereinst,
Nicht ewig scheiden willst, was gut, was böse.

Die Leidenschaft, "die selbst sich Leiden schafft,"
Ließ thun mich, was ich vor mir selbst verdamme.
Was böse schien, - es war nur irre Kraft;
Was gut, fiel nur als reife Frucht vom Stamme.


2.
Beichten möcht' ich meine Sünden,
Beugen tief mein Herz vor Dir,
Laß mich jenseits Gnade finden,
Sühn' und Frieden für und für.

Laß im dunkeln Weltgetriebe,
Will mir schwinden Kraft und Muth,
Laß mich seh'n auf Deine Liebe,
Nimm mich still in Deine Hut.

Mußtest Du gen Himmel steigen?
Ließest Deine Kinder hier.
Mußt Du dulden, mußt Du schweigen
Selbst an Gottes Himmelsthür?

Wolltest Wohnung uns bereiten,
Die Dich suchen nah und fern,
In des Himmels Seligkeiten,
Auf des Himmels schönstem Stern?

Halte Wache an der Pforte,
Wo Du Deine Palme schwingst,
Dir und uns zum sichern Porte,
Wenn Du uns herüberwinkst!
(S. 210-211)
_____



Kleine Lieder
An H.

I.
Bist Du Fisch mehr oder Blume,
Vogel oder Traumgestalt?
Bild in Gottes Heiligthume,
Oder Quell im stillen Wald?

Flatternd hängst Du mir am Herzen,
Trinkst mein warmes Lebensblut,
Singst und springst in tausend Scherzen,
Wandelst Dich in Fluth und Gluth.

Summst als Biene mir im Hirne,
Flötest mir als Nachtigall,
Schwingst Dich unter die Gestirne,
Bist mir nah und fern im All.

Heimlich still jetzt, treu geborgen,
Plötzlich wieder himmelweit, -
Machst mir tausend süße Sorgen,
Traumgestalt voll Wirklichkeit.
(S. 215)


II.
Bleib nur still an meinem Busen hangen,
Glück und Schweigen sind sich hold,
Sagt Dein Blick doch alle Dein Verlangen,
Red' ist Silber, Schweigen Gold.

Sei das Herz Du, ich der Kopf, die Sinne,
Du die Seele, ich der Geist.
So Ein Leib zu doppeltem Gewinne,
Eine Welt, die mächtig kreis't.

Träumst Du, Herz, so deut' ich Deine Träume,
Dein Prophet, Dein Dichtermund.
Tags und Nachts, durch alle Weltenräume,
Mach' ich Deine Liebe kund.
(S. 216)


III.
Und sie hat nicht 'mal gefragt,
Ob ich Christ bin oder Jude,
Namen hab' ich nicht gesagt,
Ob ich Jakob oder Lude.

Hat mich immer nur geküßt
Und geschaut in meine Augen,
Nichts gewünscht, wenn sie nur wüßt',
Ob die zwei was taugen.

Fragte Gretchen doch den Faust,
Ob er an den Herrgott glaube,
Und wie's ihr im Herzen graust,
Wenn er ihr den Himmel raube.

Schau mir nur in's Angesicht!
Alles steht mir da geschrieben,
Daß kein Gott ist, wenn Du nicht
Ewig treu und fest im Lieben.
(S. 216-217)


IV.
Mein selig Kind ist fromm und gut
Und weiß nichts von der Welt,
Weiß nur, daß Gott im Herzen ruht,
Nicht blos im Himmelszelt.

Da draußen wogt und webt Natur
So wie es ihr gefällt,
Ganz tief geheim ist Gottes Spur:
Gott ist das Herz der Welt.

Am Pulsschlag, wie er klopft und geht,
Erkennst Du, was Dich hält;
Nur wenn das Herze stille steht,
Dann erst zerbricht die Welt.
(S. 217-218)


V.
Du mein Buch, Du meine Fibel,
Einzig Alphabet,
Du mein Koran, meine Bibel,
Und ich Dein Prophet.

Kann ich's fassen, treu behalten,
Wie Dein Athem weht,
Was in Deinen Herzensfalten
Still geschrieben steht?
(S. 218)


VI.
(Als sie blaß war und krank schien)
Heilig ist die Erde,
Heilig ist Dein Herz.
Daß es göttlich werde,
Steigt es himmelswärts?

Laß mich Dich bekleiden
Mit dem Erdenrest,
An den kleinen Freuden
Halt' ich, Herz, Dich fest.

Bleibst Du mir in Gnaden,
Oder fliehst Du mich?
Ach, am seidnen Faden
Halt' ich, Vogel, Dich!
(S. 218-219)


VII.
Durch die Felder schweif' ich hin,
Singe mir ein Liedchen,
Sing' von meiner Königin,
Kühle so mein Müthchen.

Ist das noch dieselbe Welt?
Noch dieselbe Sonne?
Lieb' hat Alles wohlbestellt,
Kennt nur Glück und Wonne.
(S. 219)


VIII.
Und wenn mich Nachts das Sternenheer befällt,
Um mein Geheimniß still mir abzulauschen,
Dann fühl' ich, was mich ewig trägt und hält,
Dann hör' ich Gott mit seinem Mantel rauschen.

Gott hat die Welt in dunkle Nacht gehüllt,
Damit sich zeigt, was ewig dauernd bliebe.
Des Tages Wünsche sind im Schlaf gestillt -
Und sieh, auch selbst im Traum bleibt wach die Liebe.

Drum, laß die Welten auf und niedergeh'n,
Laß Wetter dräuen, finster, qualvoll, trübe:
Du wirst in alle Ewigkeit besteh'n,
Denn Gott ist ewig, ewig ist die Liebe.
(S. 220)


IX.
"Was nennst Du Deine Liebe schwer und groß
Und machst so kleine, fingerlange Lieder?"

Die Antwort liegt im ganzen Schicksalsloos,
Die Frage klingt im ganzen Weltall wieder.
Auch Gott hat, ist er gleich so groß und himmelweit,
Sein Herz in viele kleine Sterne hingestreut.

Wie Gott in's All die Sterne hat gesä't,
So streu' ich Dir in's Herz die kleinen Lieder.
Birg Du die Saat nur, lausche früh und spät,
Und gieb's an Liebe tausendfältig wieder!
(S. 220-221)


X.
Morgenstern und Abendstern,
Steigst Du mir hernieder,
Nur der Mittag bleibt mir fern
Mit dem Glanzgefieder.

Nicht in blutig Roth getaucht,
Ohne Gluthverlangen,
Hell und rosig angehaucht
Leuchten Deine Wangen.

Perle Du im Morgenthau,
Birg Dich vor dem Wetter
Auf der sonnenschweren Au,
Ach, verschließ' die Blätter.

Hüll' in tausend Schleier Dich,
Bis die Sterne winken,
Nachtviolen abendlich
Thau der Liebe trinken.
(S. 221)


XI.
Wenn ich weine, wirst Du zittern,
Denn ich weine schwer;
Lange muß es erst gewittern,
Sonst wohl nimmermehr!

Dann mit Millionen Fluthen
Ueberstürz' ich Dich;
Die im Schooß der Berge ruhten,
Lösen jählings sich.

Löschen einmal meine Flammen,
Dann als Sturzbach noch
Werf' ich Deine Welt zusammen
Und umarm' Dich doch!
(S. 222)


XII.
(Mit einem Armbande)
Arm und Finger kann man binden,
Aber wie das Herz? -
Muß sich selbst die Wege finden
Erd- und himmelwärts.

Muß sich selbst in Liebe binden
Täglich wieder neu,
Muß sich selbst Gesetze finden
Unumwunden frei.

Liebe läßt sich nicht begreifen,
Läßt sich "fassen" nicht;
Hätt' ich tausend goldne Reifen,
Bänd' ich, Herz, Dich nicht.

Herzen sind nur treu verbunden,
Wenn sie täglich neu
Sich in Liebe still gefunden:
Lieb' ist ewig frei.
(S. 222-223)
_____



An meinen Schmetterling

Flattre Du um meine Schmerzen,
Wie das Licht die Nacht umsäumt.
Trinke Du von meinem Herzen,
Das den Traum des Lebens träumt.

Saug' Dich voll an meinen Blüthen,
Alles Süße gönn' ich Dir.
Und ein Gott mag Dich behüten,
Alles Gift, das laß Du mir!
(S. 226)
_____



An Sie

I.
Wenn ich schlafe, wacht mein Herz;
Wenn ich wache, schläft es trunken;
So in Freude wie im Schmerz
Bin ich ganz in Dich versunken.

Lebend, Liebe, sterb' ich Dir;
Steigst Du auf, so tauch' ich nieder.
Sterb' ich, ach! dann lebst Du mir,
Kommst als Morgenstern mir wieder.

Jeden Tag bist Du mir neu,
Wie zur Nacht, der gottgeweihten,
Und so fügt sich fest und treu
Ring an Ring zu Ewigkeiten.
(S. 227)


II.
Ach, flattre um mich überall
Von früh bis spät zur Ruh
Mit morgendlichen Lerchenschall,
Mein süßer Vogel Du!

So wie Du zwitscherst, wie Du lachst,
Hebt sich die Sonne mir
Mit all den Fackeln, die Du fachst,
Und glühend leucht' ich Dir.

Und hängt das Herz mir nächtlich schwer:
Du singst Dein Morgenlied
Und wirbelst fröhlich vor mir her,
Sieh, meine Wolke flieht!

Du morgendlicher Vogel Du,
Halt' aus den schwühlen Tag;
Sonst schließt sich mir der Himmel zu
Mit Wolkenwetterdach.

Und wenn ich endlich müde bin,
Alsdann fein still und sacht
Setz' Du Dich mir zu Häupten hin
Und ruf' mir: Gute Nacht!
(S. 228)
_____



Mit dem Bild der Madonna

O liebste Nuß, Du machst mir vieles Weh,
Ja wohl, Du bist Frau Venus mir geworden,
Du nymphenhafte, leichtbeschwingte Fee
Mit Deiner Liebe heitern Lustaccorden.

Die dunkle Donna geb' ich Dir zurück
Mit ihrer Andacht feierlichen Gluthen;
Dann mischen, wie zu süßem Harm und Glück,
In Ernst und Scherz sich uns'res Lebens Fluthen.

Dann zittert nicht das bange Erdenherz,
Es weint und lacht und hat im Kampf doch Frieden,
Dann steigen Engel auf- und niederwärts,
Den Himmel birgt die Erde schon hienieden.

Frau Venus lacht mit hellem Lerchenschlag,
Madonna weint in dunkeln Dämmerungen;
Doch einst am Weltenauferstehungstag,
Da halten Beide sich versöhnt umschlungen.
(S. 234)
_____



Wie ich Dich lieb'

Ich sollt' es nicht bei Tag, bei Nacht nicht sagen,
Der Sonne nicht und nicht den Sternen klagen,
Mein süßes Lieb,
Und faßt' ich auch das Firmament zusammen,
Ich spräch's nicht aus mit allen seinen Flammen:
Wie ich Dich lieb'.
Die Lerche jubelt's nicht in Morgenlüften,
Die Ros' erreicht es nicht mit ihren Düften,
Mein süßes Lieb,
Kein Veilchen kann's verstohlen heimlich sagen,
Die Nachtigall es nicht zu Ende klagen:
Wie ich Dich lieb'!
Kein Meer kann es in seiner Tief' ermessen,
Kein Sturmwind es dem Schooß der Welt erpressen,
Mein süßes Lieb,
Und faßt' ich es in hunderttausend Reime,
Und rief' ich's laut durch alle Himmelsräume:
Wie ich Dich lieb',
Kein Himmel würd's mit seiner Macht umfassen,
Die Sonne müßt' vor meiner Gluth erblassen,
Mein süßes Lieb.
Denn mehr als Stern und Blum' und Vogelsang,
Mehr als des Himmels weiter Sphärenklang,
Mein süßes Lieb,
Schließt in sich ein das kleine Menschenherz
Mit seinem heißen Drang in Lust und Schmerz:
Wie ich Dich lieb'!
(S. 237-238)
_____



Küssen oder Trinken
(Nach Anakreon)

Schmetterling, sag, küssest Du,
Oder trinkst du von der Blume?
"Alles Eins! Laßt mich in Ruh,
Stört mich nicht im Heiligthume!"

Baum, wenn dich der Regen näßt,
Möcht' er küssen deine Glieder.
Wahrlich, Baum, dich küßt der West,
Schlägt er um dich sein Gefieder.

Mond, du trinkest Meeresfluth,
Saugst sie auf aus durst'ger Ferne,
Nährst dich von der Sonne Gluth;
Trinken Thau doch selbst die Sterne!

Weiß ich es doch selber kaum,
Ich, der altbewährte Zecher!
Nippen wollt' ich nur am Saum:
Trink' ihn aus, den vollen Becher.

Küßt und trinkt die Welt umher,
Baum und Biene, Mond und Sonne,
Stört mich nicht mit Fragen mehr:
Küss' ich, trink' ich meine Wonne?

Reich' die Lippen, holdes Weib,
Und daß ich Dir's nicht verhehle:
Küss' ich Deinen süßen Leib,
Trink' ich Deine ganze Seele!
(S. 239-240)
_____



Der letzte Kuss

Leg' ich den Bann Dir auf Dein ganzes Leben,
Mit letztem Kuß versiegelnd Deinen Mund?
Ich frage, - will als Geist Dich einst umschweben,
Der Wächter sein für unsern Liebesbund.

Doch hebt sich neu in Dir des Blutes Welle,
Dann steig' ich gern in's dunkle Schattenreich,
Wo nie des Lebens buntbewegte Helle,
Kein Ton hindringt, wo Alles stumm und bleich

Dann ist es nur ein schöner Traum gewesen,
Daß sich in uns die Seelen auserwählt,
Dann war es nur der Sinne täuschend Wesen,
Was sich zum kurzen Liebesbund vermählt.

Ob Geist, ob Leib! Der Geist will ewig leben;
Der Leib, er wandelt Formen und Gestalt.
Unsterblich ist was Geisterhände weben,
Was Körper schaffen, wechselt den Gehalt.

Drum, drück' ich einst im letzten Kuß ein Siegel
Auf Deinen dann noch immer ros'gen Mund:
Bleib' haften nicht an meinem Todtenhügel;
Das Leben ist so schön, so reich, so bunt!

Doch muß ich Nachts im Traume Dir erscheinen,
Ein blasser Schatten aus dem fernen Land:
Mißkenne nicht mein Lächeln, nicht mein Weinen,
Ich leg' nur auf Dein Herz nochmals die Hand.

Ich frag' Dich nur, ob was Dich einst bethörte,
Als Du im süßen Rausch Dich mir geweiht,
Ob es dem Geist, den Sinnen angehörte,
Ob es ein Bund auf Zeit, auf Ewigkeit.

Nicht wie ein Schreckbild will ich Dich umschweben,
Dein Herz sei frei, es richte selbst sich nur;
Ich will nur leis' und still die Frag' erheben:
Was herrscht im All, ob Gott, ob nur Natur?
(S. 241-242)
_____



Ganz und für ewig

Nie wieder lieben, - was man lieben nennt:
Eins sein an Seel' und Leib,
Nur Eine Flamme, die gen Himmel brennt,
Ein Wesen Mann und Weib!

Willst Du es schwören? - Schwöre nicht zu balde;
Oft kommt der Tod so früh!
Die Vögel frei'n und lieben in dem Walde
In freier Harmonie!

Doch wo der Geist im Kampf den Geist gefunden,
Glückselig im Verein:
Kann da ein Herz zum zweiten Mal gebunden
Mit Leib und Leben sein?

Ich frage Dich, den Schöpfer aller Welten,
Der Du Gesetze giebst,
Die, weil Natur sie fordert, ewig gelten,
Und Lohn wie Rache übst.

Ich raubte mir die reine Kinderseele
Und schuf sie neu für mich;
War's ein Prometheusraub, und was ich fehle,
Rächt es am Felsen sich?

Nehmt hin, Ihr Götter, alle Eure Gaben,
Nehmt hin was jemals mein;
Todt will ich gern, für alle Welt begraben,
Nur hier unsterblich sein!

An diesem Baum, den ich in Sturm und Wetter
Gehütet spät und früh,
Laßt mir das stille Säuseln seiner Blätter
In süßer Melodie.

Ich hegte seine heilig reinen Blüthen,
Den frischen Erstlingstrieb,
Schützte die Frucht vor allen Sturmes Wüthen
Mir selbst und ihr zu Lieb.

Verweht die Asche mir in alle Winde,
Versink' ich still in Staub:
Wenn ich dies Eine Herz nur wiederfinde
Nicht eines Zweiten Raub!

Und bin ich einst für alle Welt verloren,
Vergessen all was mein:
Laßt in der Einen, die ich mir erkoren,
Mich still unsterblich sein!
(S. 243-245)
_____


Aus: Gustav Kühne's Gesammelte Schriften
Erster Band Gedichte
Leipzig Ludwig Denicke 1862

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Kühne

 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite