|
Heinrich Lautensack
(1881-1919)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Mädchenträume
Diese Dichtung ward
einstmals am meisten mißverstanden.
Mit etlichem Grund: der Verfasser hatte es unterlassen,
ein paar szenische Anmerkungen diesem Monolog eines
jungen Weibes mit auf den Weg an die Öffentlichkeit
zu geben. Szenische Anmerkungen (die ich natürlich längst
nicht mehr weiß) - gleichzeitig mit den Versen entstanden -
von jener Art, wie sie zu den "Improvisationen der Liebe",
jenem Vorspiel zu "Medusa", heute noch existieren und
wie zu "Die blinde Harfnerin bei den Felsen" ("Dokumente
der Liebesraserei") ebenfalls verlorengegangen sind.
Es wäre wohl gewagt, es nun irgendwie rekonstruieren
zu wollen. Das käme einer Neuschöpfung gleich, die hier doch
nirgend beabsichtigt ist. Also sei zu besserem Verständnis
nur die Vorgeschichte bemerkt: Ein junger Edelmann hatte
am späten Nachmittag vor diesem mitternächtlichen
Monolog die Hände des Mädchens tiefdunkel genug
mit Lippen von Frauen vergleichen zu müssen geglaubt.
Daher die ganze seelisch-sinnliche Verwirrung in dem
von diesen Worten gleichsam angezündeten Mädchenleib! H. L.
Mädchenhände sollen wie Frauenlippen sein -.
Ein garstig Nachtgebet . . . ich weiß:
ich betete es diese Nacht,
ehe ich schlief . . .
Jetzt war's, als ob's aus fernsten Träumen
herüberrief!
und ich erwacht -
Mädchenhände sollen wie Frauenlippen sein -.
*
Mädchenhände
sollen wie Frauenlippen sein?
Wie wenn die Sinne sich in Händen fingen,
in Fingern, die von Lust gebogen,
und meine Seelen all durch Klingen gingen!
*
Hab' an deinen Lippen gesogen.
Glitt mein Haupt in deinen weißen Schoß.
Wollte wissen, was Frauen wissen,
nachts, auf den gequälten Kissen.
Ließest meine Hände nicht los.
Meine Hände.
Lag mein Mädchenhaupt in deinem Frauenschoß.
Mädchenhände
sollen
wie Frauenlippen sein?!
*
. . . Weiße Nächte. Drin dunkle Monde schwimmen.
Über flammendem Schoße: Erlöserstimmen.
Mädchenhände -
. . . Weiße Nächte. Drin dunkle Monde schwammen.
Jagende Flammen!
Hast mich auf eine Höhe geführt.
Hast an hängende Windsaiten gerührt.
Die Winde sangen
wunderbar . . .
Waren's die Saiten? war's mein Haar? . . .
Ich stand mit kalten Wangen.
*
Mädchenhände mit bleichem Beben
wissen nichts von Nehmen und Geben.
Spielten noch nie mit den seltenen Steinen
aus der Krone, der Krone der Nacht.
Spielen mit Perlen nur
aus einer Perlenschnur:
Perle um Perle aus müden Sternen:
Die Mädchen müssen das Weinen lernen.
Müssen weinen, müssen weinen
nach der Krone, der Krone der Nacht.
(S. 29-31)
_____
Die Sünde
(Ein Tagebuch)
Dein dunkles Haus ist angefüllt mit Nacht
und Rausch und Rauch und Küssen fremder Lippen
- soviel! - und Tränen eines, der nun tot.
*
Dein Blick ist Glanz. Dein Blick ist Glanz, nicht Glut,
nicht wilde Glut - dein Blick ist kühler Glanz
wie Monde - ist ewiger Glanz - ist Gottheitglanz!
- Ich schlief
bei einem Weibe, deren Leib so sehr
dem deinen glich - und fand in ihrem Auge
nur wilde Glut - und wollte Glanz, nicht Glut -
ewigen Glanz!
Nicht Bettleraugen, deren Hungerglühen
vor Brot vergeht - die Augen eines Spielers,
die Augen eines Spielers, ihren Glanz,
den Gottheitglanz der Augen eines Spielers!
Dein Blick ist Glanz - verträumter Schwachheit
ewiger Hohn und Stachel - Glanz der Welt -
*
- - Und deine Hände - deine Lippen!
Hände und Lippen eines reifen Weibes,
die über einem Jünglingsleibe
noch einmal blühen. In dem vollen Haar
Duft von Vergangenem, von Fremd- und Fernem.
In dem noch vollen, oft geküßten Haar.
Dein Leib so oft zerwühlt, so wild zerwühlt -
uralte Erde, über die
ein junger Pflug hingehen soll!
*
Nun lastet dein geliebter Leib auf mir
wie über dieser Erde
Unendlichkeit von Sternenglanz und Götter.
Des Himmels Lichter sinken tief in mich -
Des Himmels Sterne tief in meine Augen -
in meinem Blick wohnt Gott.
*
Gemisch von Mann und Weib, Mädchen und Greisin
von unerklärtem, knabenhaftem Reiz,
Erzrätsel du! Ein Weib mit Elfenfüßen
und mit dem Nacken eines jungen Stiers!
Verrat an deiner Selbst! Du Gotteslüge -
urewige Wahrheit -
*
- Tag und Traum vergeht.
Du selbst nur aus keinem Tag noch Traum -
enthüllst dich ganz. Von deinen reinsten Lippen
fließt das Verschwiegenste - - im Hurenlied.
Wir sind uns bis ins Tiefste offenbar -
bekannt und ähnlich und einander gleich!
Lust! Wir sind eins! Unser Geschlecht
ist eins geworden.
*
Du bist nicht du - du bist nicht mehr - die Zeit:
mein Gotthauch löscht dich wie ein Licht.
Ich bin die Sünde, die der Ewigkeit
Ewigkeitskränze um die Stirne flicht!
Ich bin die Sünde! - - - -
(S. 37-39)
_____
Die Votivtafeln der Liebe
Das Lied des Haremswächters
Mir liegt die Welt, ein Buch voll Sprüchen, aufgeschlagen.
Ihr, ihr könnt Verse sagen, wo mir ein Weisheitsspruch.
Mir ist das Weib ein Bild, ein ungestilltes Sehnen,
wo euch mit ein paar Tränen das Höchste sich erfüllt.
Mir ist der Gott ein Traum. Ich bin des Traums Verkünder . . .
Ihr, ihr seid Gottes Sünder und eßt von seinem Baum . . .
(S. 45)
_____
Pan
Ein Weib spricht, im
Traum eines Mannes:
Die Himmel
ausgebrannt: die große Glut;
und Dämmer wogt: wie Rauch von rotem Brande;
wogt und verwogt.
Nun schwillt es heiß am Himmelsrande:
von Sternen eine Silberflut;
nun stehen Sterne über blauem Lande . . .
Nun möchten Glocken, wo Menschen wohnen,
Glocken mit weichen weißen Tönen
wie weiche weiße Sammetflügel
die Menschen mit ihrem Gott versöhnen.
Nun soll ein Gott die Müdigkeiten
wie Boote über goldne Wasser
zu Abendufern der Ruhe leiten.
Weit über die Wasser Glocken vom Hügel;
die Boote tragen goldne Fracht
aus Tagestraum und Traumerwachen
zu stillen Ufern stiller Nacht;
und leises Lied aus jedem Nachen . . .
Fernher aus Träumen, mit Traum behangen,
an allen Ufern von Traum empfangen,
kommen die Menschen ans Land gegangen.
Die Boote wiegen goldne Fracht
aus Tagestraum und Traumerwachen
an stillen Ufern stiller Nacht
- - - - - - - - - - - - - - - - -
Ich hab mich einem Traum ergeben,
wie eine Mutter ihrem jungen Leben.
Auf dunklen Abendstämmen meine Hand,
wie letzte Sonne aus dem roten Brand,
von dem wie Rauch ein Dämmer wogt, verwogt . . .
Mir ist, als müßt in heißen Bäumen
im Schattenlaub ein Gott verträumen,
im Niederschauen mein begehren,
mein in der Sterne Silberglanz,
und über mich käm es wie Tanz:
ich könnte meinem Gott nicht wehren.
Und meine Hand
riefe ihn nieder in Blumen und Sand,
und eine Gotthand löste
Reifen mir und Gewand:
Pans kühle Hand . . .
(S. 45-46)
_____
Die blinde Hafnerin bei den Felsen
Das Weib spricht, im
Traum eines Mannes:
Dies Schweigen sagt
mir, daß es Abend ist,
und meine Harfe, die von selbst tönt.
Wie viele Lieder wußt ich unter Tag,
wie viele Töne meiner Harfe. Jetzt
will eins anheben, das am Tage schwieg,
ein seltsam Lied, das keine Hörer mag,
das zu sich selber redet:
Ich . . . bin . . . blind.
Blind für die vielen Wege mancher Fraun,
wenns Abend ist. Ich find mich nicht zurecht,
wo viele Wege gegen Abend träumen
hin unter Bäumen, die voll Dunkel sind.
Ich steh, und wage keinen Schritt zu tun,
wenns Abend ist . . .
An solchen Abenden
hungert der Tod nach meinem Fleische! Blut
aus allen meinen Wunden, heiß!
und meine Klagen gehn wie durch den Herbst,
in rauhem Wind, wie mit verwöhnten Füßen
hin über abgefallen, schwarz Geäst . . .
Und naht die Nacht, und sind die Fraun
bei ihren Männern . . . alle Not,
die ich am Tage sang, flammt doppelt rot!
Ich seh von Bäum und Bergen eine Welt
und Wasser viel und Boote, die im Traum
hingleiten; Wege, eng gesellt;
und grelle Lichter über Heimlichkeiten.
Da zwingt ein Mann ein Weib mit einem Fluch,
da betet eines Mannes Brunst zur Hure,
da reden Zweie wie ein Buch,
dort heben sich vier Hände hoch zum Schwure,
da nahn sich zwei, von dumpfer Lust entstellt,
verzerrt, und überbieten
sich sinnlos an ererbter Kraft,
dort rinnet eines Alten Saft
gelb und vergelbt hin unter jungen Blüten . . .
da bin ich sehend! überhell
strömts in mich, in mich, dreimal klar!
dreimal verflammt mein dunkles Haar
in eisigen, vereisten Winden!
in meinem Leib verächzt die Glut!
bin eine Seherin über Blinden!
und wie dies weh, wie Sterben, tut,
so weh - - - -
- - - - - - - - - - - - - - -
Spät lieg ich bei den großen Steinen
wach wie bei Männern, . . . o so rauh!
Nun bin ich aller Steine Frau
mit einem unerlösten Weinen . . .
(S. 47-48)
_____
Zeugung
Ein Mann, im Traum,
spricht:
Wieder fesselt mich
dein Bild,
Mutter meines jungen Weibes,
an der Frühfrucht deines Leibes
blieb ich seltsam ungestillt.
Komm, mit deinen Frauenhänden:
kniend küßt du meinen Schoß,
kniend löst du meiner Lenden
unterbundne Wünsche los,
du, mit deinen Frauenhänden.
- - - - - - - - - - -
Leben, das aus Leben drängt,
Säfte, Kräfte, ohne Ende:
sieh, nun sind dir deine Hände
lebenswundervoll besprengt.
Leben, das das Leben sucht,
heiße Blüten, weiße Brände:
bald, bald tragen deine Hände
Frucht . . . (S.
48-49)
_____
Die Magd
Der Herr spricht:
Du bist ganz Magd,
ganz Dienerin. Von Antlitz
gemeißelt nicht so sehr wie Meine Herrin;
und auch an Leib nicht allsosehr verfertigt
von Künstlerhand, so Elfenbein und Silber
und Mond.
Dein Haar ist Dienerinnenhaar; wie Herbst
und überreife Trauben sind die Brüste;
dein Knie zu wohlig, und dein Schoß zu weh,
zu fern das Lachen, gleichwie Tränen um
Nichts näher . . .
Mich sticht seit sieben Tagen der Geruch
von dir! von deinem Leibe und Gewand
und Bett! wie einen Hund ein Feindsgeruch! . . .
Dein Atem hungert fühllos, und dein Blut
verzeiht hilflos und tatlos, stumpf, wie tot,
alles Getane, eh es noch getan . . .
- - - - - - - - - - - - - - -
Liegts nicht wie Biblisch Land vor uns?
Du solltest
hoch auf dem hohen, widerwilligen, stolzen
vom HERRN verschlossnen Schoße meiner Herrin
Mir einen Sohn gebären - - - -
(S. 49-50)
_____
Die Heiligsprechung der Hetäre
Du fragst: ob je mich einer lind verführt?
(Oh wie so oft, daß mich wer lind verführte! . . .)
Und fragst: ob je mich wer rauh angerührt?
(Wie öfter noch, daß mich wer rauh anrührte! . . .)
Ich schwör es dir - bei was du auch verlangst:
Nur meine Seele ist nicht frei von Makel
und windet sich darob in Höllenangst - - - -
jedoch mein Leib ist wie ein Tabernakel!
(S. 50)
_____
Der Traum der Eifersüchtigen
Um die zuckenden Lenden bin
ich gegürtet - unsichtbar.
Mein Nabel ist der Smaragd darin,
und der Gürtel ist von dem gelben Haar
meiner Rivalin, die - niemals war . . .
(S. 50)
_____
Kaspar Münichs Liebe zu Lola Schmitt
Einmal schrieb Kaspar
an Lola
Dies brennende Mal in
allen meinen Träumen,
vom Tod selbst eingebrannt, aus Niedertracht!
Dies brennende Mal in allen meinen Träumen:
- - - -
Noch wagte ich es nicht, danach zu fragen,
ob dieser Schein, der umgeht, Hand zu Hand - -
Noch wagte ich es nicht, danach zu fragen,
ob dies Papier denn einzuwechseln wäre
für just so viel als wie bar Geld, bar Geld - -
ob dies Papier denn einzuwechseln wäre?
Ich glaub' noch immer: 's ein übler Streich,
dir angetan, aus jenen "Schieber"-Kreisen . . .
ich glaub' noch immer: 's ist ein übler Streich.
Du kannst nicht sein wie die, die Frauen lieben!
Dein Auge leugnet's, und dein Mund, dein Haar!
Du kannst nicht sein wie die, die Frauen lieben,
du wärst sonst nicht unendlich Weib geblieben!
dein Aug' ist wahr! dein Mund ist wahr! dein Haar . . .
du wärst sonst nicht unendlich Weib geblieben!
- - - -
so: wie der Abglanz deiner nackten Füße,
wenn sie am Abend (weißt du noch?) hinliefen,
so: wie der Abglanz deiner nackten Füße
dem nächsten Morgen erst ganz Glanz und Süße
aufdrückte, da die Blumen noch alle schliefen . . .
dem nächsten Morgen erst ganz Glanz und Süße!
und wie dein Haar den gelben Flimmer auslieh,
daß sich der neue Tag fein schmücken konnte!
oh, wie dein Haar den gelben Flimmer auslieh,
daß sich die ganze, ganze Welt draus sonnte!
- - - -
- - - -
Es ist nicht! Kann nicht sein! ich darf's nicht glauben!
und ob ich hunderttausend Tränen wein' . . .
es ist nicht! Kann nicht sein! ich darf's nicht glauben!
und meine Träume sollen mir nichts lügen -
und sein sie millionenmal vom Tod -
und meine Träume sollen mir nicht mehr lügen -
dein Leib ist Brot, dein Leib ist heilig Brot,
und deine Küsse sind wie Kypernwein,
und - - also harr' ich, wurzelnd tief im Glauben,
so wie Märtyrer einst zutiefst im Herrn . . .
Am Himmel meiner Seele steht ein Stern . . .
(S. 51-52)
_____
Die Documente der Liebesraserei
Das Lied zur Laute
Dein Leib, der ist ein Garten reich,
darin ich selig weide;
in seiner Mitten glüht ein Teich . . .
Über den Spiegel beug ich mich hin,
schau mein eigen Bild darin,
über den Spiegel beug ich mich hin,
schau mein eigen Bild darin,
tu meine Lippen bis an den Flaum
des Wassers - aufspritzt Schaum,
heißer Schaum,
weißer als weiße Seide.
Dein Leib, der ist ein Garten reich,
darin ich selig weide.
In seiner Mitten glüht ein Teich . . .
(S. 53)
_____
Von der Judentochter die Novelle
Es war eine schöne
Jüdin,
ein wunderschönes Weib,
sie hatt ein schöne Tochter,
ihr Haar war schön geflochten,
zum Tanz war sie bereit.
(Des Knaben Wunderhorn)
I.
Sei fremder zu mir, fremd. Laß toten Raum
von jetzt sein zwischen meinem Atem und
dem deinen. Denn heut wissen wir ja kaum
die Grenze mehr von deines Busens Rund
zu meinen Augen, deines Schoßes Schaum
zu meinen Lefzen, Lefzen wie ein Hund.
Komm mir mit Lippen, Zähnen, Zung und Gaum
so nicht entgegen mehr! Flieh mich, du Schlund!
Drei Tage waren, daß ich dich sah,
seit wir uns kennen. Und in dieser Zeit
grub ich drei Zeichen in die Ewigkeit,
in den drei Tagen, die du mir nicht nah . . .
Nun wieder aber stehen dir die Zitzen
geil ab vom Leibe, spitz wie Nadelspitzen!
II.
Küßt mir den Mund und saugt, ihn küssend: "Nennt
er, den ich küsse, mich denn nie mehr wieder
scherzend wie oft: Mein Altes Testament . . .?
Weißt du, das singt, das klingt! Wie Marsch und Lieder
einst an die Mauern Jerichos, so rennt
das wider all mein Blut! . . . Ja! hier durchs Mieder
bohrt Judenmädchenbusen! . . . Ein Percent
vom Juden, Christ, hast auch!"
Und ihre Glieder
aufrauschen wie der Wildstrom in dem Walde
in meiner Heimat. Und ihr Haar ist Sausen
in Wipfeln. Ihre Brüste Speere. Grausen
zielt nach mir, und ich bin gehetzt.
"Du! Skalde!
Barde! Sing mir des Judenvolkes Schrei,
als ob es Jagd in Odins Wäldern sei!"
III.
Eß ich den Staub von deinen Füßen: wie
von Wüste Staub so schmeckt er. Und vermengt
mit Manna mundets. Opferblutbesprengt
auch. Deine Füße, deine Sohlen, sie
haben Vernarbtes, blasse Narben, die
sind, weil der Väter Fuß einst ward versengt,
von gottzornglühenden Splittern ward versengt
aus jenen weggeschmissenen Tafeln. Und nie nie
mehr heilt das vollends . . .
"Wie? Und euere Füße?
Wateten euere denn nicht in Meth,
bis an die Knöcheln in Honigbier? O Süße,
längst abgestandener Zucker! O noch weht
mich euer Meth-Rausch an aus deinem Mund!
Iß dich von meinen Füßen nüchtern und gesund!"
IV.
Und dieses Spiel, grad eh der Vorhang fallen muß:
Eine Judenwohnung. Juden an den Wänden
auf Bildern. Aus der Abgemalten Lenden
lebendige Juden um den Tisch hier. Allen
ist Gleiches eigen. Und sie schweigen. Und gefallen
sich in dem Schweigen . . . Wie soll ichs beenden,
der ich hier steh, wie mit gefesselten Händen?
Wie? welche Worte mir zum Wurfe ballen
und schleudern auf sie alle?
Da! vom Wein
Trunkene könnten nicht so ähnlich schrein
als die Entsetzenstrunkenen hier -
Trat ein
die meine, durch die Tür, ganz nackt am Leibe.
Und sang: "Ihr Judenvolk!" Und tanzte fein:
"so hatte je und je er mich zum Weibe!!"
(S. 54-56)
_____
Von der Ehe die Komödie
Pierrot medisiert
Der Mond, der Mond,
der Mond, der lästert mich! -
Schlittert er nicht (seht, seht!) auf glitzernd Füßen
mit meinem schwangren Fräulein minniglich
jetzt unter jenen Sommerbaum: zu süßen
dem zitzenstarrnden Weiberleib und sich
den bittren Erdentrunk? - aus speichelnd Drüsen
aus seinem Mund erst feuchtend ihren Strich
und dann unter viel zotigen Exküsen
mit seiner blauen Sichel (quasi läutend:
so sirrts, so sirrts!) ihr ihre fettste Mahd
abmähnd -
Und Colombine schrie und schrie und schrie,
den letzten Rest des Hymens weg sich häutend
und ganz auftrennend ihres Schoßes Naht,
schrie: "Käm schon jetzt mein Söhnchen -
oder nie . . . ."
Pierrot läßt uns (in
einem Brief an seine nunmehrige Braut)
einen Einblick in seine Dichterwerkstatt tun
Gleichschön gewölbt die Nägel deiner Zeh'n
und deiner Augen Weißes, diese beiden
erschimmerten, als schimmerten sie seiden
oder wie Perlen oder Mond - vor Schier-vergehn
nach mir! - Und wie Harzruch entquolls den zween
bräutlichen Brüstlein dir! - Und wie von Weiden,
aus denen sich die Knaben Flöten schneiden
um Ostern an den österlichen See'n:
von solchem Safte war dein Herz erfüllt
und strömte über . . . durch die Herzschlucht brausend
herab! herab! . . . so wie ein Sturzbach brüllt -
Ich aber lag vor deiner schlanken Pforte
und formte mir - in Fiebern, wie mit tausend
Zungen und Zungenspielen - nie erhörte Worte.
Pierrot bemerkt
ausdrücklich, daß er an diesem ersten Sonett
Colombinens: "Farbenlehre" geheißen, welchen Titel indes noch
nicht als der endgültige angesehen werden soll,
nichts . . . vornehmlich nichts als aller Interpunktion geändert
Mein Mond - erfüllte sich. (O Weibes Not! . . .)
Ich schlief - getrennt von dir. Da scholl Gewinsel
- von meinem Hund - vor meiner Tür. (Gerinnsel
von Blut - die Schenkel längs - - wie tat das rot! - -
weckte mich vollends . . .) Auf. Zu dir . . . Und bot
dir meine Hände: ("daß sie eine Insel
seien dir Uferlos-hintreibendem! - Ja - eine Insel!")
Die Hände - schwer -; - schwer wie ein bleiern Lot
sanken sie mir - in deinen Schoß hernieder -
(Mein Mund - derweil - sog Küsse aus der leeren Luft . . .)
und ruhten da - die Hände - immer wieder - -
und ruhten doch nicht, eh daß blauer Duft
aufquoll! aufquoll! aus einem weißen Gischte . . .
eh daß ( o Leibes Mystik!) Blau mit Rot sich mischte - - - -
Pierrot, da er seinen
Vater begraben hatte
Pieta
Ihn, der mich zeugte . . .! (Zeugte? Was ein Sinn!
Zähren, versiegt, versiegt! - Man "zeugt" nicht: man
faßt eine Dralle um die Hüfte an
und krault ihr scherzend um das flaumige Kinn
und langt ihr unter ihre Röcke dann
und - - grad als wüschest du ein altes Zinn
mit heißem Zinnkraut . . . wie die Kellnerin - -
fingern die deinigen Finger dann und wann - - - -)
Ihn, der mich zeugte . . .! Ihn begraben haben . . .!
Und nun zurückgekehrt von all dem sein . . .!
- Soll ich mich ewig nur an Trauer laben
und nie mehr trinken feuriger Brüste Wein
und nie mehr hegen neue schießende Stöcke? -
Entblöß die Brüste und enthüll die Röcken!
Vom Übermut einer
Tänzerin zur Nacht
So hantiert ein stämm'ger Fischer
tief gebückt in seiner Zill'n
an sein'm Netz -
Die Beine breit -
mit den Schuhen schier ausgleitend
rechts und links die Seitenwänd'
schier hochgleitend -
und die ganze Zill'n, die wackelt dabei wie ein einz'ges Brett -
so wie ich jetz', jetz' und jetz'
von dem pflasterten Boden der Besinnung verlassen
und die gache Böschung der Gesittung einfach rrrrrunterg'saust
in den'm Bett steh -
in . . . dein'm . . . Bett -
*
Segel mein Korsett,
So war ich dir noch nie zu Will'n.
(S. 56-59)
_____
Aus: Heinrich Lautensack Das verstörte Fest
Gesammelte Werke
Herausgegeben von Wilhelm Lukas Kristl
Carl Hanser Verlag München 1966
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Lautensack_(Schriftsteller)
|