Paul Leppin (1878-1945) - Liebesgedichte



Paul Leppin
(1878-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Hibiskusblüten


Tahiti

Der Südwind bringt das Heimweh mit nach blauen Küsten,
Wo die entflammten Sterne still die Nacht vergittern,
Wo eingeborne Mädchen mit entblößten Brüsten
Schämig im Schlafe seufzen und vor Wirrnis zittern.

Ich möchte tiefer mich in meinen Traum versenken,
Er haftet groß und licht als goldverklärte Gnade,
Das Meer schäumt weiß und warm bei den Korallenbänken,
Ein Palmenhain steht stumm und reglos am Gestade.

Wie war die Liebe süß auf der geflochtnen Matte! -
Das Glück war immer da, wenn ichs verlangend brauchte,
War fügsam und geduldig, wenn ich Sehnsucht hatte,
Bis aus dem Bambusdach das Morgenfeuer rauchte.

Du Inselland, in das ein Knabe sich versponnen,
Wie kamen Not und Abersinn an deine Stelle? -
Bist du im eigenen Glanz als Spiegelbild zerronnen,
Du und mein braunes Mädchen an der Hüttenschwelle? -


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 6)

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Besuch

Du kamst im losen Kleid zu mir gewandelt,
Das du in eitler Lust am Strand erhandelt. -
Du gingst wie eine Dame aus dem Norden,
Die ihrer Schönheit sich bewußt geworden.

Und meine wachen Augen, die erschraken,
Weil deine Füße in Sandalen staken;
Schon manche, die die neue Ware schmückte,
Verlor sich selbst, wenn sie der Tag verzückte.

Dann aber sah ich an den edlen Beinen
Den zarten Flaum, den maisgelb wunderfeinen,
Sah deines Angesichts jähes Erdunkeln,
In deinem Haar die Feuerblüte funkeln.

Da wußte ich: Ich werde dich behalten,
Dein buntes Blut wird nicht im Frost erkalten,
Und deine Heimat - schönstes der Asyle! -
Ist für dein herbes Herz die rechte Mühle.

Im Nebelland kennt man die Spröden, Prüden,
Du aber bist ein Kindlein aus dem Süden! -
Wer hier die Liebe brennend rot besessen,
Kann sie zeitlebens nimmermehr vergessen.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 6-7)

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Küsse am Abend

Das Meer lag hell geschliffen wie Türkise,
Die Insel war ein Fabelreich der Frommen,
Vom Ufer fernher kam die Abendbrise,
Als mich mein Mädchen in den Arm genommen.

Ich küßte ihrer Brüste holde Kühle,
Und wenn mein heißer Mund sie auch bedrängte,
Sie bot sich sanft und fraulich im Gefühle,
Daß sie ein großes Glück an mich verschenkte.

Du Zeit der gelben Sonnenuntergänge! -
Die Liebe schmerzte wie ein blankes Messer,
Wenn ungestüm mit flackerndem Gepränge
Der Tag verglomm im ewigen Gewässer.

Wann ist mir das geschehn? - Sinds tausend Jahre? -
Ich muß mich vorsehn, daß ichs nicht verschütte -
Schon zieht der Stern herauf, der nächtlich klare,
Weilt ernst und heilig über meiner Hütte.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 7)

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Liebe in Faaa

Willst du nach Papeete reisen,
Wie die lauten Händlerscharen
Glasschmuck, Tücher, scharfes Eisen
Feilbieten in den Basaren?

Ist nicht Faaa deine Bleibe,
Wo die alten Sitten gelten? -
Hier nahm dich der Mann zum Weibe
Aus des Fremdvolks weiten Welten.

Eines Rauchfangs finstre Fahne
Führt dereinst ein Schiff zum Strande,
Daß es deinen Gatten mahne
An das Heim im fernen Lande.

Und der Liebste fährt von hinnen
Mit des Schlotes Feuerfunken;
Lust und Wonne, wildes Minnen,
Sind mit einem Mal versunken.

Du wirst an der Küste lauern,
Doch es gibt kein Wiederkehren,
Nur im Haß versteintes Trauern
Und verwildertes Begehren.

Dort der Mond über den Klippen
Weiß von deines Herzens Nöten,
Küßt erbarmend deine Lippen,
Die sich nachts im Schlafe röten.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 8)

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Regenzeit

Über alten Urwaldpalmen
Dunstgeballte Wolken qualmen,
Wind hört man im Schornstein scharren
Und die Papageien knarren.

Einsam, als ein Lichtgerinnsel
Brütet Hitze auf der Insel. -
Überm Meer, dem spiegelglatten,
Hängt das Blendwerk weißer Schatten.

Hinterm Firmamente zündeln
Farben in verworrnen Bündeln;
In den Nächten blüht ein Leuchten
In der Luft, der regenfeuchten.

Auch im Blut der dunklen Frauen
Will sich das Geheimnis stauen,
Dringt als Weckruf und als Mahner
In den Schlaf der Insulaner.

Jeder Dornbusch steht im Brande,
Jeder Scherben Glas im Sande;
Von den fernen Klippenketten
Winken scheue Amoretten.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 9)

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Werbung

Laß mich deine Beine küssen,
Ach, ich zittre vor Verlangen -
Wenn wir heute sterben müssen,
Bin ich selig heimgegangen.

Deiner Kniee ranke Rundung
Ist Gebot, Heil und Enthüllung,
Spendet Labsal und Gesundung,
Eines heißen Traums Erfüllung.

Wenn sie nicht ein Wunder täte,
Wär es Liebe, Namenlose -?
Zürnst du, Mädchen aus Papeete,
Wenn ich deine Knie liebkose?

Ohne jemals zu ermüden,
Schlank und schmal sind sie beim Schreiten,
Schönes Mädchen aus dem Süden,
Willst du mir ein Fest bereiten?

Feste feiern, stolze, stete,
Möchte ich mit dir alltäglich, -
Braunes Mädchen aus Papeete,
Sieh, ich liebe dich unsäglich!

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 9-10)

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Landschaft

Urwaldzauber, dunkelgrüner,
Schmetterlinge, Blütenranken,
Fremde Vögel, wilde Hühner,
Die sich um ein Fruchtkorn zanken.

Matt getönte Wolkenstreifen
Überm Meer, dem spät besonnten,
Die nach den Rubinen greifen
Vor erglühten Horizonten.

Wirklichkeit ist weit entglitten.
- Dort ein Busch, ein arg zerzauster - -
Eine nackte Frau inmitten
Wie die Perle in der Auster.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 10)

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Hibiskusblumen

Tahititraum! - Dir hat verwegen weiland
Das Taumelherz des Knaben schon gehört -
Hat mich die Sehnsucht nach dem frohen Eiland
Am Rand des Alters abermals verstört?

Die Liebe ist ein seliges Vergeuden,
Ist Lichtgeburt, die jach zum Wunder wird -
Hat sich der Widerschein der Himmelsfreuden
Durch Zufall in dein kleines Reich verirrt?

Keimender Saft aus süß bereiften Halmen
Betaut die Erde deines schönen Lands,
Es blüht der Kirschbaum neben deinen Palmen,
Und überall, wohin du schaust, ist Glanz.

Des Mädchenvolkes dunkle Genofefen,
Der Liebe zugeneigt schon vor der Zeit,
Tragen den Blütenstern an ihren Schläfen,
Die rote Blume: Komm, ich bin bereit!

Sie ist Symbol und Haarschmuck der Erwählten,
Entbrannter Wünsche flammendes Signal -
Tahititräume, die den Knaben quälten,
Kommt ihr aufs neue zu mir noch einmal? -

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 11)

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Lepra

Hart am Walde hockt das Dörflein,
Abgestorben und gemieden,
Kinder betteln um ein Scherflein,
Frauen werken ohne Frieden.

Und der Mann im Lendenschurze,
Einst des hohen Heils Gefährte,
Denkt ans Glück, das allzu kurze,
Das nur ein paar Wochen währte.

Aussatz hat den Ort befallen,
Schält die Haut aus weißen Flecken,
Hält die Menschen in den Krallen,
Die sich hier im Busch verstecken.

Ratlos trauern trübe Augen,
Junge Weiber voller Lüste,
Die noch sehr zur Liebe taugen,
Harren hungrig, wer sie küßte.

Schlafend lauschen sie dem Nachtwind,
Und die steifen Brüste schmerzen,
Aufgereckt, wenn sie erwacht sind,
Stehn sie steil und spitz wie Kerzen.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 11-12)

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Tropennacht

Goldne Luft. Die weiten Wälder schweigen.
Zärtlich streicht der Wind durchs Lichtgewimmel.
Käfer schwärmen auf erhellten Steigen.
Groß blickt uns das Südkreuz an vom Himmel.

Hörst du meiner Pulse lautes Pochen? -
Siehst du, wie die Wipfel sich entzünden? -
Hast du jetzt den Zauberduft gerochen
Wilder Wurzeln aus entfernten Gründen? -

Tollkraut, das die alten Weiber brauen,
Gabst du listig mir im Glas zu trinken,
Schöner glühen seither alle Frauen,
Wenn sie schmachtend mit den Augen blinken.

Reich mir deinen Mund, du braune Hexe! -
Willst du denn, ich soll dich ewig lieben? -
Auch dein böses Gift aus dem Gewächse
Kann als Flugstern in der Nacht zerstieben.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 12-13)

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Tahiti-Gespenst

Schilf in Sicht - Ein Schilf der Europäer! -
Drohend mit Gestampfe und Geknatter
Kommt das ungeheuere Verhängnis näher,
Trägt ins Paradies die kalte Natter.

Lächelnd, an dem Absatz seines Schuhes,
Bringt der weiße Mann Angst und Zerstörung,
Laue Laster, Schwindsucht, Schnaps und Lues,
Der Getäuschten häßliche Empörung.

Trotzdem sind die Frauen ihm verfallen;
In dem Blockhaus, wo der Fremde siedelt,
Hört Musik man brünstig widerhallen,
Wenn des Nachts die geile Geige fiedelt.

Mystik ungekannter Länder Bräuche
Webt in seiner weichen Hand Berührung;
Kein Exempel, keine sieche Seuche,
Schützen Inselmenschen vor Verführung.

Morgens erst, nach halb verschlafnen Räuschen,
Öffnet sich die Blockhaustür von innen,
Und das dunkle Weib steht in dem keuschen
Frühschein fröstelnd mit betrognen Sinnen.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 13)

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Südseeliebe

Ich liebe deinen wundgeküßten Mund,
Süß wie der Honig in den gelben Waben,
Den überm wilden Eibischstrauch im Grund
Die Bienen duftbetäubt gekeltert haben.

Aus deiner Hütte steigt der bittre Rauch
Versengter Blätter und verkohlter Hecken,
In deinem Atem ist der herbe Hauch
Welk schon verblühter Hanfrosen zu schmecken.

Glaub mir, Geliebte, ich habs nicht gewußt,
Wie deine Lippen glücklich machen können -
Ich kose deine nackte Mädchenbrust
Und will beseligt lichterloh verbrennen.

Ach du, sahst du den silbernen Fasan
Sich weltentrückt mit seinem Weibchen paaren? -
Purpurne Wolken ziehen ihre Bahn
Heute und morgen wie vor hundert Jahren.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 14)

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Späte Liebeslieder


Bitte

Daß ich die Lieder dichte, die dich preisen,
Ist mein die Schuld, hält mich dein Bild im Bann? -
Daß Sehnsucht aufklingt in den scheuen Weisen,
Verzeih es gnädig einem alten Mann.

Mich hat das Mißgeschick sehr hart getroffen,
Ich dachte schon, dies alles sei vorbei -
Wenn jetzt ein Feuer züngelt ohne Hoffen,
Sei gut zu einem, der dich liebt. - Verzeih!

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 15)

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Träumelein Marianne

Ein Träumelein kam im Dunkeln
In meine verarmte Welt,
Es hat mit Glitzern und Funkeln
Mein altes Herz erhellt.

Mein altes Herz ist süchtig,
Es hungert nach dem Tod;
Mein Traum ist jung und flüchtig,
Mit Lippen feucht und rot.

Erscheint er mir, dann singen
Die Glocken im fernen Land,
Dort war ich bei glühheißen Dingen
Vormals ein schwärmender Fant.

Von allen irdischen Seuchen
Ist Liebe die schmerzlichste Pest,
Weil sie sich nicht verscheuchen,
Nicht abtun und leugnen läßt.

Ich will mein Träumlein hüten,
Es ist so blank wie Glas,
Zart wie der Dufthauch der Blüten
Im silbernen Sommergras.

Mag sichs auch manchmal entfalten
Als Irrwisch und herbstsüße Pein, -
Gott gebe, es bleibt mir erhalten
Mein holdspätes Träumelein.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 15-16)

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Reisegepäck

Ein Aberwitz unter vielen
Steckt mir im Reisesack,
Heimabwärts nach lichtfremden Zielen
Treibt führerlos mein Wrack.

Mein Wünschen und Begehren
Gab ich den Geiern zum Fraß,
Ein Fünklein will mich verzehren,
Das ich zu löschen vergaß.

Vor Irrfahrt auf Nebellands Flüssen
Möcht ich noch einmal im Traum
Verliebt deine Füße küssen
Und deines Gewandes Saum.

Dann wäre das Wogen und Wälzen
Des Nordmeers von Gnade durchkielt;
Eisberge müssen schmelzen,
Wenn sie der Golfstrom bespüllt.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 16)

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Dir ins Stammbuch

Deine lieben Blumengedanken
Haben mirs angetan;
Sobald sie reifen und ranken,
Fiebernd an Schönheit erkranken,
Fängt der Hochsommer an.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 17)

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Wehes Wunder

Was Liebe ist? - Ein Gluten
Über Gethsemane,
Ein heimliches Verbluten,
Der Blütentod im Schnee.

Der Ruf aus Gottes Ländern,
Ein Nachen, der zerschellt,
Ein Spiel mit bunten Bändern
Wie alle Lust der Welt.

In deinem ranken Röcklein
Erscheinst du dann und wann,
Ein lichtes Rosenstöcklein,
Bei einem müden Mann.

Ein Märlein, linde labend,
Will süß als Duft verwehn. -
Es ist schon später Abend,
Ich muß nach Hause gehn.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 17)

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Zwischen Berg und Fluss

Beim Haus an der Moldaubrücke,
Neben dem wildgrünen Hang,
Liegt immer ein Abglanz vom Glücke,
Ein seliger Überschwang.

Im Zimmer, das eine der Grazien,
Frau Marianne, bewohnt,
Hat zärtlicher Duft der Akazien
Ein Stelldichein mit dem Mond.

Es trägt der Wind die Gefährten
Lichtblauer Zeiten heran:
Blüten aus Altprager Gärten. -
Dann freut sich Frau Mariann.

Sie lebt als verzauberte Dame
Schneewittchen im böhmischen Land,
Ihr Herzlein, das wundersame,
Ist mit dem Mondschein verwandt.

Es ist ein in Traumgold gefaßter
Geheimnisvoll roter Rubin,
Eine Mischung aus Alabaster,
Mozartmusik und Jasmin.

Wenn das Mariannenherz läutet,
Dann fühlen, die es verstehn,
Was Liebe auf Erden bedeutet:
Es ist ein Wunder geschehn!


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 18)

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La Paloma

Das war im Süden, wohl vor hundert Jahren,
Als wir mitsammen in der Barke fuhren,
Himmel und Meer erglommen in dem klaren
Lichtfarbenspiel orangen und azuren.

Und deine schöne Hand lag in der meinen,
Irgendwoher kam eines Schiffers Singen,
Ich konnte nicht dafür, ich mußte weinen,
Er sang von Frauentreu und solchen Dingen.

Nun find ich dich in einem neuen Leben
Nach bunt durchwirkter, langer Zeiten Spanne,
Wars Glück, wars Herzleid, was du mir gegeben,
Damals im Land der Liebe, Marianne? -

Ich seh dich an und meine Augen brennen,
Hör ich das welsche Lied und seine Klage,
Die Melodie läßt mich nicht recht erkennen
Beginn und Ablauf jener fernen Tage.

Doch lausch ich schärfer, wenn die Tränen rinnen,
Dann meldet zaghaft sich bei mir der Glaube:
Es war ein großes Glück, rein wie ein Linnen,
Und du, mein Kind, warst meine weiße Taube.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 19)

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Gala-Einzug

Immer kommst du aus dem Osten,
Wo im Park die Beete sprießen,
Alte Linden stehn dort Posten,
Um dich duftend zu begrüßen.

Abgeblüht ist längst der Flieder
Mit den freudigbunten Fahnen,
Doch im Blattwerk wispert wieder
Schon das nächste Frühlingsahnen.

Kies knirscht unter deinen Sohlen,
In dem frohen Reim befangen,
Spatzen schilpen unverhohlen:
Marianne kommt gegangen! -

Biegst du dann in unsre Gasse,
Wird es auch im Westen lichter. -
Wolkenwände, regennasse,
Schneiden freundliche Gesichter.

Ringsum ist ein Raunen, Winken,
Sonnenschein ist dein Begleiter,
Schmetterlinge, Meisen, Finken,
Geben flugs die Botschaft weiter.

Eine kleine goldne Spinne,
Jung und glitzernd, heiß und töricht,
Wirft sich, heimgesucht von Minne,
Dir zu Füßen in den Kehricht.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 19-20)

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Der neue Hut

Frau Spatz im Neste klatschte
Und lästerte und log,
Sie hechelte und quatschte,
Daß sich der Birnbaum bog.

"Sahst du Frau Marianne
Mit ihrem neuen Hut?" -
Sprach sie zu ihrem Manne
In schlecht verhehlter Wut.

"Ich hasse dieses Protzen
Mit ihrem Firlefanz;
Der Hut war doch zum Kotzen,
Nicht wahr, geliebter Franz?"

Franz dehnte sich und faulte
Im Bette kolossal,
Was seine Gattin maulte,
Das war ihm baß egal.

Er lauschte im Gezweige
Dem altvertrauten Lied, -
Dann rief er plötzlich: "Schweige! -
Den Schnabel zu! - Es zieht!" -

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 20-21)

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Das blaue Kleid

Dein blaues Kleid ist irgendwie versöhnlich,
Kornblumenfarben, schön und ungewöhnlich.
Es hat den kühlen Hauch der Brunnenkresse,
Der tiefen Mondnacht milde Silberblässe.

In bösen Augenblicken der Verliebnis
Ist so ein Kleid ein Trost in der Betrübnis. -
Sandiger Wüste quälende Ekstase
Besänftigt sich beim Anblick der Oase.

Wenn schwere Not sich in die Herzen senkte,
Stellt Himmelsglanz sich schützend vor Bedrängte;
Erfahrne Frauen wissen es genau:
Rot ist die Leidenschaft, die Liebe blau.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 22)

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Spätes Liebeslied

Du bist so jung, du wunderschöne Frau,
Ach wüßtest du, wie heiß ich dich beneide! -
Dein Lächeln strahlt, dein Himmel leuchtet blau -
Wie lieb du aussiehst in dem neuen Kleide!

Bevor zur Reife völlig aufgetan
Deines gebenedeiten Sommers Prangen,
Bin ich dem Heil entfremdet und profan
Schon lang in meinen Winter eingegangen.

Ich liebe deine Stirn, die unbeschwert
Nach Honig duftet ausgeschwärmter Bienen,
Und deines Herzbluts festliches Konzert,
Versüßt vom Goldton weher Violinen.

Halb holdes Weib und halb verklärtes Kind
Hast du die Anmut eines Frühlingsfalters,
Und deine frohbesonnten Augen sind
Die letzten Lichter meines müden Alters.


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 22-23)

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Abgesang

Deine Schönheit hat viele Bekenner,
Man huldigt dir allerseits,
Gelehrte und wichtige Männer
Verkündigen deinen Reiz.

Dein Alltag ist vom Getriebe
Heiß flackernder Wünsche umsonnt,
Es werben um deine Liebe
Bewunderte Helden der Front.

Nur ich habe nichts zu bieten
An Ansehn und irdischer Macht,
Mein Leben hat mir nur Nieten,
Unrühmliches Siechtum gebracht.

Und doch: Wenn in unfernen Tagen
Der dunkle Engel mich labt,
Dann wirst du wissen und sagen:
Er hat mich am liebsten gehabt!


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 23)

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Vorzeitige Mahnung

Du warst ein Sommererlebnis,
Ein Feuer von ungefähr;
Im Herbste ist mein Begräbnis,
Im Winter ist gar nichts mehr.

Am Stadtrand schreien die Raben,
Es ist noch reichlich verfrüht:
Sie wollen die Rosen haben
Aus meines Herzens Geblüt.

Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 23)

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Klage

Ich sehne mich nach sommerlichen Teichen,
Wo Abendschatten uferwärts entweichen,
Einsamen Bänken hinter Blütendolden,
Weltweiten Sternen rätselhaft und golden.

Nach heißen Frauen mit dem heißen Flüstern,
Wenn die Gewitter jäh den Mond verdüstern,
Nach süßer Liebe heimlichem Verstecken,
Winkeln im Park, Weinstubenecken -

Nach dem Versunkensein im Namenlosen,
Hellgelbem Wein im Glas und dunklen Rosen,
Beschwingten Liedern von der Jugend Prächten,
Fiebernden Küssen endlos in den Nächten.

Statt dessen liege ich auf meinem Lager,
Die lahmen Glieder abgezehrt und mager,
Das ganze Leben unsinnig veraltet,
Das Blut getrübt, das bittre Herz erkaltet.

Die schändlichste der Schwächen und Beschwerden,
Das ist, mit wachen Sinnen alt zu werden.
Verflucht der Geist, der mir dergleichen brachte,
Der mich unselig unter Seligen machte!


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 28-29)

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Glück bei Frauen

Was auch die Neidischen schwatzen,
Mein Glück bei den Frauen war arm,
Bedrängt von lustlosen Fratzen,
Von Wolfszahn und blutgeilen Katzen
Und vom gespenstischen Schwarm.

Meine erste Liebe, die währte
Kaum einen Sommer lang,
Seither war Gram der Gefährte,
Der meine Jugend verzehrte
Und in die Niederung zwang.

Über spitzen Schotter und Schiefer
Ging wahllos mein Weg im Zick-Zack,
Er führte mich tiefer und tiefer
Zu Rattengezücht und Geziefer,
Zu hinterhältigem Pack.

Wohl hab ich mitunter inzwischen
Hellgoldene Stunden verlebt,
Es haben die Kecken und Frischen,
Die Sanften und Schwärmerischen
An meinem Halse gebebt.

Ich hab in der Ehe erworben
Einen wunderbar guten Verbleib,
Zum Schluß ist alles verdorben,
Unser Herzensjunge gestorben. -
Enttäuschung verhärmte mein Weib.

Jetzt darf ich beim Giftschmerz, dem herben,
Der tödlicher Liebe entstammt,
Mein Glück bei den Frauen beerben,
Zu dem mich das Schicksal verdammt;
Gequält, - unter Tausenden einer! -
O Herrgott, erbarme dich meiner!


Aus: Paul Leppin Der Gefangene Gedichte eines alten Mannes
Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XXXVI
Hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha
Universität - Gesamthochschuhe Siegen 1988 (S. 29-30)

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Rosenhistorie

Ich kenne ein Herz von klingendem Stein,
Da wachsen wildrote Rosen hinein.
Und geht die einsame Frau durch den Park,
Dann wird seine Sehnsucht jung und stark,
Dann weiß es und kennt es mit einem Mal
Die selige Schönheit seiner Qual.

Der Mutter Gottes im leuchtenden Kleid,
Der ist das steinerne Herz geweiht,
Die stolze Demut in ihrem Sinn
Und ihre Schmerzen sind darin
Und ihrer Bitten bange Gewalt
Und ihre Lieder süß und alt.

Der Dorn der Rosen schmerzt und nagt
Und kommt die schöne Frau und fragt,
Und legt die Hand auf den klingenden Stein,
Dann fällt ihm das Lied von der Liebe ein:
Sie kam in sein Leben im heiligen Jahr,
Dann ist sie gestorben und ging und war.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 1)

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Altes Stück

Ein Mädel hab' ich einmal gekannt
Mit langen Träumerhaaren,
Das nie mehr seine Jugend fand,
Die es verlor vor Jahren.

Sie suchte sich alt und suchte sich blind
Des Abends in den Straßen -
Es ward aus ihr ein müdes Kind,
An das die Leute vergaßen. -

Ihr schlug weh in der kranken Brust
Das Herz mit seinen Wunden,
Und endlich hat sie sterben gemußt
Nach tausend Dulderstunden.

So ist sie stumm und tränenschwer
An ihren Schmerzen verdorben,
Doch noch im Grab ist niemals mehr
Ihre Sehnsucht gestorben.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 2)

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Den Traum, den dunklen und alten . . .

Den Traum, den dunklen und alten,
Der durch mein Leben geht,
Der trauernd in meiner kalten
Und schmerzenden Seele steht,

Der meine Nächte und Stunden
Mit blutenden Lichtern färbt,
- Ich hab' ihn von bleichen und wunden
Und einsamen Dichtern geerbt.

Er hat mit Liedern und Fragen
Mein armes Herz zerquält
Und hat mir seltsame Sagen
Von blassen Frauen erzählt

Mit wunderweichen Haaren
Und Augen groß und blind,
Die schon seit tausend Jahren
In meinen Wünschen sind.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 3)

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Wunsch

Nach tausend müden und elenden Stunden
Hab ich ein altes Wünschen gefunden -
Die Liebste verließ mich aus jenen Jahren,
Die traurig wie unser Schicksal waren.
Und eine Sehnsucht ist mir gekommen
Nach einer Stillen und Blassen und Frommen,
Nach sonnigen Fenstern, arm und verblindet,
Wo endlich mein Heimweh die Heimat findet.
Wo hinter Epheu und Blumentöpfen
Ein Mädel wartet mit blonden Zöpfen,
Wo heimliche Uhren leise ticken
Und liebe Hände Sammtblumen sticken . . .

Und wo mein Herz verschlafen und schwer
In einem uralten Glückstraum wär. -

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 4)

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Winter

Mein schönstes Lied aus sommerjungen Jahren,
Das Lied verdarb im blinden Winterwind,
Der Duft war drin aus deinen heißen Haaren -
Mein schönstes Lied - weißt du, wie es beginnt?

Die junge Frau, die bleichgeküßten Hände,
Nimm sie von meinem Herzen fort und laß es los,
Sie waren treu im Anfang - hart am Ende,
Und meine Träume waren groß -

Das Wort, das meine Sehnsucht übersonnte,
Das wilde Wort - tat es dir weh? -
Verzeih mir doch, daß ich dich lieben konnte,
Das böse Wort erfror schon lang im Schnee -


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 5)

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Feier

Im Garten meiner Seele
Da ist es wunderbar,
Da gehn meine weißen Träume
Mit Chrysanthemen im Haar.

Im Garten meiner Seele
Da singen sie märchentief
Von der großen Sehnsucht der Liebe,
Die jahrelang in mir schlief.

Und leise wandelt der Abend
Wie eine verwunschene Frau
Mit großen, verträumten Augen -
Die Fernen leuchten blau. -

Durch's stille Land geht leise
Die Liebe und winkt mit der Hand,
Sie trägt einen goldenen Gürtel
Wie flammenden Sonnenbrand. -

In mir ist ein heiliges Singen,
Es tönt tief wundersam
Von der großen Sehnsucht der Seele,
Von der Liebe, die endlich kam. -

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 6-7)

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An mein Mädel mit den Muttergotteshänden

Das war ein glücklich-glückseliger Tag,
Voll Glanz und Tanz und Reigen,
O sag' mir, du blasses Mädchen, sag',
Weißt du wie damals wild und zag
Aufjubelten die Geigen?

Da haben wir ein Wort getauscht,
Ein Lebenswort, ein tiefes,
Und haben seinem Klang gelauscht,
Der toll durch die Musik gerauscht,
Und aus den Geigen rief es:

"Das ist das Wort, das dich jung gemacht,
An dem deine Sehnsucht gestorben,
Sie starb im Jauchzen der Geigen sacht
Und hat im Sterben geweint und gelacht,
Da du im Rausch dieser seligen Nacht
Die Liebe, die Liebe erworben -"

Das klang so stark wie der lösende Wind
In roten Frühjahrstagen,
Ich saß bei dir, du blasses Kind,
Und sprach von den Wundern, die licht und lind
In deinen süßen Augen sind -
Und wollte dir alles sagen,
Was meine Seele getragen.

Ich war so jung und gut und froh,
Und die Geigen klangen und sangen so.

Das war ein glücklich-glückseliger Tag,
Es jubelte und flehte,
Durch unsere Herzen gingen zag
Uralte Kindergebete.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 8-9)

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Lied

Mädel mit den weichen Wangen,
Gib mir deine Hände her,
Die nach einem Glück verlangen,
Dem ich selbst auf müden, bangen,
Fremden Wegen nachgegangen,
Und das ohne Ende wär.

Mädel mit den seidnen Haaren
Und den Augen tief und scheu,
Komm, wir trotzen den Gefahren,
Die in unserer Sehnsucht waren,
Unser Herz ist stark und neu.
Mädel mit den seidnen Haaren
Und den Augen groß und treu!

Sieh, das Leben schenkt und spendet!
Und die Liebe macht so jung,
Weißt du, daß sie niemals endet,
Daß sie ihre Ritter sendet
In ein Land voll Spiel und Prunk,
Wo kein dunkler Schmerz sie schändet,
Weit - in die Erinnerung?

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 10)

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Hohe Stunden

In tiefe Nächte will ich dich entführen
Und wartend spähn,
Wenn leise die goldenen Gartentüren
Im Schloßpark gehn,
Wenn die Träume kommen mit ihrem Singen
Und wundersame Sagen bringen.

Wenn die Fontäne hinter grünen Kronen
Einsam fließt
Und in den Liedern, die in ihren Wassern wohnen,
Ein Klingen ist,
Daß die Königin im Schloß beim Fenster lauscht,
Was heute durch die Nacht so seltsam rauscht.

Wenn der Silberteich mit den Schwänen
Schweigend ruht,
Und die steinernen Löwen am Ufer sich dehnen
In der Mondenflut,
Wenn leise an den goldkiesigen Wegen
Die Rosen sich im Schlafe regen.

Wenn die Sehnsucht mit dunklen Füßen
Beim Tore steht,
Und die Fenster wunderbar grüßen
In den Abend spät,
Wenn die Sehnsucht hinauf zur Königin steigt
Und ins Zimmer tritt und sich neigt.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 11-12)

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Stimmen am Abend

Ich will nicht die heißen Lichter,
Die in den Wolken sind,
Ich bin ein Träumer und Dichter,
Uralter Märchen Kind.

Ich will in verlorenen Tönen
Ein Wundereiland sehn
Und dort mit meinem Sehnen
Allein durch den Frühling gehn.

Und sanfte Farben möcht' ich
Tief auf des Himmels Grund
Und eine Blume prächtig,
Vor der ich staunend stund. -

Und daß mein Wünschen und Trauern
In ihren Düften wär,
Nach rissigen Klostermauern,
Nach Liedern süß und schwer. -

Nach all der alten Romantik,
Nach versunkenem Sagenspiel,
Nach dem Zauberkarfunkel kantig
Und Lippen rot und kühl . . .

Und süßer Frauen Prunken,
Mit Augen wunderbar,
Deren Trauer ich einmal getrunken
Vor manchem verklungenen Jahr.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 13-14)

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Ein Lied aus einem jungen Jahr

Ich bin ein verliebter Pilger
Nach deiner seligen Stadt,
Ein Büßer und ein Tilger
Mit meinen tiefsten Gebeten,
Was jemals mein Herz in Nöten
Getan und gesündigt hat.

Seit mich mit seinen Küssen
Dein Mund zur Qual verdammt -
Da werd ich wandern müssen,
Bis über goldenen Dächern
Der Glanz von den singenden Bechern
Unsrer Liebe flammt.

Dann trink ich bei jubelnden Messen
Dein schmerzgeweihtes Blut,
Dann will ich verzeihn und vergessen,
Wie oft ich auf Marterwegen
Auf meinen Knien gelegen,
Wie weh deine Liebe tut.

Und wenn auch die Menschen sagen,
Daß Gott dieser Stadt gedroht, -
O, ihre Kirchen ragen
Aus leuchtenden Gemäuern
Mit tausend heißen Feuern
Ins himmlische Abendrot.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 16-17)

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Der König

Ich weiß einen König im Reiche,
Dem man die Krone stahl,
Jetzt trägt er die blutige, bleiche
Dornenkrone der Qual.

Jetzt muß er beten und dienen,
Die Stirn zur Erde gesenkt,
Mit dunklen Perlengardinen
Sind seine Burgfenster verhängt.

Und wo in der Kapelle
Das ewige Feuer flammt,
Dort kniet er an der Schwelle
Im schwarzen Kleid aus Sammt.

Und seine Worte suchen
Den Traum, den er verlor,
Und seine Schmerzen fluchen
Den Schwüren, die er schwor.

Mit tausend goldnen Galeeren
Entfloh ihm sein Weib zur Nacht,
Sie hat ihm nie mehr den schweren
Goldreif der Liebe gebracht.

Und nie mehr hat er erfahren,
Wo sein Reich versank,
Und wo die Ufer waren,
An denen vor bösen Jahren
Sein böses Glück ertrank. -

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 18-19)

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Vision

Du hast so dunkle Augen,
Sieh mich nicht an, mein Lieb,
Meine Seele duldet und trauert,
Meine Lieder sind alle trüb.

Deine Küsse sind süß und sündig
Von deinem verbuhlten Mund,
Geh', sing mir das Lied von Harald
Und von dem Schloß am Grund.

Da nimm die Harfe und singe
Wie du so oft getan:
"Es war einmal ein König -"
Aber sieh mich nicht an!

Meine Seele ist krank und traurig
Und dunkel und wunderbar
Und voll von den alten Liedern
Von König Harsagar.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 20)

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Andacht

Das sind die traurigen, schlanken,
Blonden Frauen,
Die aus tiefdunklen und kranken
Augen schauen,
Die uns mit weißen und sehnsüchtigen Händen
Die Liebe aus rotgoldenen Schalen spenden. -

Und die des Abends auf einsamen Teichen
Im dunklen Kahn
Sich träumend wiegen auf der weichen
Wasserbahn,
Deren Seele ganz wund und voll heiligem Sang ist,
Und deren Blut wie ein süßer und seltsamer Trank ist.

Die wie aus fremden Landen
Wandernd kamen
Und eine Sehnsucht am Wege fanden
Ohne Namen,
Die an des Abends tiefbrennenden Kerzen
Das Opfer entzünden ihrer Schmerzen -

Die bei des Opferweins Funken
Träumend stehn
Und lächelnd mit ihren Qualen prunken
Im Weitergehn,
Die stolz uns noch in Wunden und Sünden
Die Schönheit ihrer Liebe künden. -


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 33-34)

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Mein Märchen

Wie hieß das Märchen nur, das ich einmal gelesen,
Darin die Treue und die Liebe scherzt?
- Viel gold'ne Kronen sind darin gewesen -
Es war einmal. Das Leben drückt und schmerzt.

Und blonde Träume bettelten und baten,
Es war ein schönes Märchen, ernst und tief -
Und meine blinde Sehnsucht ward verraten,
Als sie voll banger Angst ins Dunkel rief.

Das Leben lächelt und berührt die Narben,
Die sich mein Herz erwarb zur stillen Zier. -
Das sind die Stellen, wo die Märchen starben,
Die jungen Märchen meiner Sehnsucht mir.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 37)

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Messe

Mein Herz ist ein goldener Becher
Mit dunklem Opferwein,
Ich bin ein sündiger Zecher
Aus diesem Herzen mein.

Ein Priester bin ich der Stunden
Voll heißer Qual und Scham
Und werde nimmer gesunden
Von meinem stolzen Gram.

Meine Schmerzen leuchten und prunken,
Sie sind heilig und sind krank,
Und sie sind wunderbar trunken
Von einem ewigen Trank.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 38)

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Liebeslied

Die Sehnsucht im goldenen Nachen
Hab' ich im Traume gesehn,
Mein wildes Herz will wachen
Und nie mehr schlafen gehn.

Ich hab' von dem Weine getrunken,
Den mir die Sehnsucht gebracht,
Es hat mich ganz versunken
Ihr dunkler Becher gemacht.

Meine Liebe hat Länder und Reiche
Ohne Ziel und Grund,
O küsse mich, du Bleiche,
Küsse mich auf den Mund.

Küsse mir fort die Fragen,
Die Worte falsch und blind!
Ach wüßt' ich nur, wo in den Tagen,
Meine wandernden Wünsche sind.

Ich suche sie in den Gassen,
Mein Traum hat keine Ruh;
Wann wirst du mich verlassen,
Du so Geliebte du?

Und wer wird nach mir erben
Mein schmerzliches Liebesfest,
Und wer wird mit mir sterben,
Wenn du mich doch verläßt? -

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 39-40)

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Gedenken

Ein Singen von schönen Frauen
Süß und schwer,
Mir klingt es aus wundersam blauen
Zeiten her -

Es steigen seltsame Weisen
Tief und weh
Empor aus dem alten und leisen
Märchensee.

Ein lange vergessenes Sehnen
Hat mich gefaßt,
Nach ihren Zauberschwänen
Im Glaspalast.

Wo sie im See seit Tagen
Sitzt und sinnt
Und ihre traurigen Sagen
Und Träume spinnt.

Nach den Fischen am grünen Grunde
Und ihrem Spiel,
Und ihrem Munde
Rot und kühl.

Nach ihrem stolzen Werben
Wild und krank
Und einem seligen Sterben
Bei ihrem Sang,

Wenn die Harfen golden klingen
Wunderbar
Und in ihrem Singen
Die Liebe war,

Die mich in dunklen Stunden
Märchensüß
An ihren Wunden
Vergehen ließ.

Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 41-42)

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Verwegene Stunde

Zu wem meine Sehnsucht fragt und irrt,
Ich weiß es ganz genau:
Es ist eine wilde, traurige,
Braune Zigeunerfrau.

In ihrem Blute hör' ich den Traum
Verjubelter Nächte rinnen,
Wenn die Geige sang und die Geige schrie
Zum Tanz der Zigeunerinnen.

Ich liebe dein trotziges Haideherz,
Ich liebe es ohne Maß,
Weil es beim Tanze und beim Spiel
So oft die Treue vergaß.

Und weil es jung und töricht ist
Und schweigsam wie ein Schwan,
Und weil es oft in Liebe stand
Und denkt nicht mehr daran.

Ich will deinen braunen, sehnsüchtigen Leib
Mit meinen Küssen verbrennen,
Und will dein Herz, dein arges Herz,
Im Taumel der Liebe erkennen,

Ich will wie du in die Schänke gehn
Zum Tanz und zu trunkenen Spässen
Und dort das Leben und den Tod
Und die Treue, die Treue vergessen.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 43-44)

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Gebet ans Leben

Du hohes Leben, höre
Mein heiliges Gebet:
Erlöse und zerstöre,
Was in mir fragt und rät.
Ich will ein Wandrer werden,
Ein Wandrer hart und stumm,
O nimm aus meinen Geberden
Das alte Martyrium.

Ich hasse den Traum und die Trauer,
Die ich von Gott geerbt,
O mach' aus mir eine Mauer
Mit blühendem Blut gefärbt
Und gib, daß zum lästernden Hohne
Mein steinernes Gesicht
Eine zackige Rosenkrone
Mit roten Tränen umflicht.

Ich will die Liebe verlernen,
Die Liebe macht arm und bleich,
Ich will nach dem finstern und fernen
Menschenkönigreich,
Wo die Glocken das Schicksal bringen
Von schauernden Türmen her,
Und wo ich bei schweigenden Dingen
Ein schweigender Büßer wär':

Die Tage will ich verbüßen,
Die ich der Sehnsucht geschenkt,
Mit blassen und blutigen Füßen,
Das Herz gequält und gekränkt -
Ich will meine Träume verstoßen
In Frost und Winter und Schmach,
Weil ich den schweren und großen
Scepter der Liebe zerbrach.


Aus: Paul Leppin
Glocken die im Dunkeln rufen Gedichte
Schafstein & Co. Verlag in Köln 1903 (S. 54-55)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Leppin


 

 


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