Siegfried Lipiner (1856-1911) - Liebesgedichte

 

Siegfried Lipiner
(1856-1911)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Ein Sommertag

I.
Ich will dich küssen, Mädchen!
Zwar die schönste
Der Erde bist du nicht -
Wiewohl du lieblich bist,
Du schlanke Tochter des Dorfs, -
Allein genug:
Ich will dich küssen, Mädchen!

Und rufe sie auch herbei,
Die Schwestern und Brüder,
Und was noch sonst
Wohnet im Thal:
Auch die mir Übles gethan,
Und sie, die Verhasstesten mir,
Die Lästerzungen auch.
Und selbst des Pfarrers, des verläumderischen,
Verwachs'ne Tochter:
Ich will sie küssen, Mädchen!

Ich liebe dich, Mädchen, -
Und liebe auch
Die Andern all', -
Ich liebe dich! So komm,
Lass um den Leib dich fassen,
Lass singen uns
Und uns im Tanze dreh'n!

Was eilst du doch?
Komm, stell' ihn nieder, den Krug;
Müd' ist dir ja
Der runde Arm
Und drücken muss dich
Auf dem glattgescheitelten Haar
Die harte Last.

Komm! Noch steht sie nicht hoch,
Die Sonne - noch lange nicht
Bereitet wird das Mahl,
Und es schilt,
Ob du es recht machst oder unrecht,
Die alte Mutter.

So - nun lass dich fassen, nun lass
Im Tanz uns dreh'n -! Doch dort -
Sieh', dort auf der Flur (komm mit!)
Die Blumen! die Blumen! (komm mit!) -
Sieh', hier auf der Flur,
Vergißmeinnicht in Fülle -
Und was noch sonst!
Ich will sie pflücken dir, ich will
Sie an den Busen dir stecken,
Dass du glänzest
Vor allen Gespielinnen!

"Was hast du, närrischer Wicht?"
Ei, was ich habe,
Helllachende Tochter des Dorfs?
Ich habe
Nichts - der Beutel ist leer,
Und lange noch währt die Wanderschaft,
Aber die Sonne ist golden,
Und der Himmel ist blau,
Und es duften die Linden,
Und die Lüfte sind warm -
Und es stürzt ja,
Gleich wie ein überwund'nes Weib,
Die blühende Welt
Dem Menschen an das Herz -
Und genug:
Ich will dich küssen, Mädchen!


II.
Ihr mögt wohl gütig sein,
Glückliche Götter!

Leise zu schaukeln sich,
Wie auf dem athmenden Herzen der Welt,
Auf des Glanzäthers
Hüpfenden Wellen -
Oder, getragen
Auf goldenen Gewölkes Rücken,
Dahinzuschweben, dahin
Durch den krystallenen Raum -
So zu jagen
An den Sonnen vorbei - vorbei
An tausend kreisenden Gestirnen
Lachend und furchtlos,
Ach, ihr unsterblichen Götter, wie ihr
Wer vermöcht' es und winkte nicht
Freundlich segnend, wie ihr,
Zur Rechten hinüber und zur Linken -
Wer trüg' es, nicht
Vom Haupte oder vom Busen
Der Götterrosen, der nimmerwelken,
Manche zu pflücken und hiehin
Zu werfen oder dorthin,
Dass die Sterblichen
Erschrocken-entzückt,
Innehalten auf dem leidvollen Pfad
Und auflesen die Gaben
Und jauchzen und lachen
Und dankbar euer gedenken?

Trag' ich's doch kaum,
Da nur die Regenschauer gewichen,
Und wieder saugen darf
Den Strahl, den langentbehrten,
Und wieder sich freu'n darf
Des zornig entflohenen Liebsten,
Des Himmels, die seufzende Erde:
Trag' ich's doch kaum,
Das Herz im Busen,
Und schenkt' es gerne
Jedem, dem seines nicht genug,
Und theilte gerne
Mit Allen die Bürde des Glücks!

Wir sind nicht schlecht -
O glaubet es nur! -
Wir sind's gewiss nicht,
Ihr glücklichen Götter!
Nur elend sind wir,
Elend und arm -
Und gleichwie der Gatte,
Heimgekehrt mit leeren Händen
Von fruchtlos-abmattendem Thun,
Murrend auf und nieder
Wandelt im Gemach,
Und weinend in der Ecke sitzt
Die unrecht-gescholtene Gattin:
Also wandeln auch wir,
Vom Gestern getäuscht
Und dem Morgen wenig vertrauend,
Murrend und angstvoll
Vor dem lauernden Tod
Neben den Brüdern daher;
Und wenn oft
Auffährt mit wildem Schrei
Die allzubedrängte Seele,
Und wenn in blindem Grimm
Jäh der Arm sich erhebt:
Dem Schicksal war er zugedacht,
Dem ungreifbaren,
Der den Bruder getroffen, der Schlag!

O zürnet nicht! rächet nicht!
Ihr ewigen Götter! -
Rache üben
An einander wir Sünd'gen genug -
O segnet, segnet
Die elende Erde!
O lasset, wie ihr, uns
Glücklich sein,
Ihr Glücklichen:
Dann sind wir auch alle -
Glaubet es nur -
Gütig, ihr Guten, wie ihr!


III.
Hymne
O selig! selig,
Wer schuldbeladen
Heute wandelt
Über die Erde!

So lispelt sie keinem
Vernehmlich in's Herz
Die duftige Rede
Der Rosenflur -

So winkt es keinem
Liebend und mild,
Des blauen Himmels
Väterlich Antlitz!

Gnade! Gnade!
Winkt ihm das Antlitz -
Gnade! Gnade!
Lispelt die Flur.

Und ungehört
Und freigesprochen
Entlässt ihn der schaurig
Gefürchtete Gott.

Und froh des Ausgangs
Umdrängen den Trunk'nen,
Wie Brüdet, wie Schwestern,
Die Lüfte des Raums.

Und Keiner, wie er,
Erkennt dich, o Freude,
Und Keiner dankt dir,
Allew'ge, wie er.

Es leuchtet die Sonne
Über Gute und Böse:
Nicht Gut, nicht Bös
Bestehet vor ihr.

Wer mag dich verdienen,
Du heiliges Licht?
Wer hübe zu dir
Fordernd sein Aug'?

Ach, in die Wiege
Leget uns Allen
Das ewige Schicksal
Unheil und Schuld.

Ihr straft es nimmer,
Ihr Mächte des Himmels,
Ihr nur, die Gnädigen,
Ihr seid gerecht!

O selig, selig,
Wir Schuldigen alle!
Heil dir, o Gnade,
Heil dir, o Licht!
(S. 19-27)
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O dass ich nie dich wiedersäh!
Was rufst du mich in deine Näh'?
Wenn ich in deiner Nähe bin,
Da schwindet meine Liebe hin.

Dich lieb' ich nicht: o glaub' es mir!
Ich liebe nur den Traum von dir -
O lass mich hier im fernen Raum:
Was störst du mir den süssen Traum?
(S. 32)
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Schön bist du wohl, doch Schön're kann ich denken;
Und keinen andern Wunsch hat meine Seele,
Als dass sich jeder Zauber dir vermähle,
Als dass dir jeden Reiz die Götter schenken.

Ach, von der Schönheit mag die Blicke lenken,
Wer will, dass nimmer froher Sinn ihm fehle;
Ich aber will nur, dass sie tiefer quäle
Und alle Pfeile mag in mich versenken.

Was doch so schmerzlich süss die Schönheit rühret? -
Es fühlt die Blume ihre Kraft entschweben,
Wie ihr der Windhauch Duft um Duft entführet:

So Stück um Stück entschwebt zu dir mein Leben;
Und wie mein Herz dies lange Sterben spüret:
Will's ewig sein, sich ewig hinzugeben!
(S. 36)
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Noch ist es Tag, allein die Nacht wird kommen.
Noch seh' ich dich, als wie dich Gott gesehen,
Da er dich hiess in's Land der Menschen gehen -
Noch lieb' ich dich: allein was mag es frommen?

Die Sonne hat den Lauf nach West genommen, -
Und wollt' ich's um mein Herzensblut erflehen:
Auf mein Geheiss wird sie nicht stille stehen -
Ein Abendroth, und Alles ist verglommen.

Sonst mochte mir mein gläubig Wort genügen:
Dein ist es nicht, was dich die Menschen lehren, -
Dein Blick ist wahr und deine Worte lügen. -

Nun trüg' ich mich und kann dem Trug nicht wehren
Und muss verhasstester Gewalt mich fügen -
Schon flieht der Tag und wird nicht wiederkehren.
(S. 40-41)
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Trostlos

Du hast in mir die Liebe hingeschlachtet,
Und hast mir nicht gegeben, dich zu hassen;
Ach, nun erst hat mich alles Glück verlassen,
Nun, da so tief mein Wesen dich verachtet.

Das Einzige, woran ich ewig glaubte,
Der Lieb' Unsterblichkeit, hast du genommen;
Was mögen mir die Leichenkränze frommen,
Da mir das Grab das hehrste Leben raubte?

O tröstet mich mit Dem nicht, was ich habe!
Ihr guten Thoren, was wollt ihr ersetzen?
Werthlos ist Alles, was euch mag ergetzen,
Und aller Werth liegt nun in Einem Grabe!

O tröstet nicht! Nein, sagt mir nur das Eine:
Dass trostlos ich - sagt wieder es und wieder!
Dass doch erschauern die erstarrten Glieder,
Dass doch vielleicht das heisse Auge weine.

Es zagt ja, wie auch tief das Leben quäle,
Es zagt ja vor dem Tode alles Leben:
So sagt mir, wollt ihr noch zum Licht mich heben:
Dass bis zum Tod verwundet meine Seele.

Sagt, dass ein jeglich Fühlen ewig dau're,
Ob auch kein Staub von Sonn' und Sternen bliebe -
Sagt, dass nicht ganz gestorben meine Liebe,
Da ich um sie noch trau're, trostlos trau're.
(S. 45-46)
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Ich weiss ja, wie ich könnt' genesen:
Ich träte vor dein Angesicht,
Da wärst du hold, wie du gewesen
Und würdest auch erröthen nicht.

Und säh' ich so dich vor mir stehen:
Was noch in mir von Liebe brennt,
Es müsst' auf ewig ganz vergehen,
Und Alles, Alles wär' zu End'!

Dann wär' ich wieder froh auf Erden
Und stille wär's im Busen mir;
Allein so soll es nimmer werden:
Ich kehre nimmermehr zu dir.

Dich soll kein Gott aus mir vertreiben,
Du sollst in mir unsterblich sein:
Ja, bleiben sollst du mir, und bleiben
Soll meines Herzens ew'ge Pein.
(S. 49)
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Tannhäuser

Und noch ist's, noch ist's nicht genug!
Noch seufzest du, o Herz!
Wohlan! Wohlan! Nimm kühnern Flug
Und schwing' dich sonnenwärts!
Dort, mitten in der Sterne Tanz,
Wirf dich hinein in ihren Glanz,
Auf dass zum Lichte werde ganz
Dein Feuer und dein Schmerz!

Was dich, wie urgewalt'ge Schuld,
So bange hat bedrückt,
Was dich in sel'ger Gnadenhuld
Dem trüben Wahn entrückt -
Was nun so hell dich lachen heisst:
O sing' es aus, wie du es weisst,
Und singe Dank dem guten Geist,
Der dich so süss beglückt! -

Doch sieh': o dort am Pilgerstab,
Wer ist der müde Mann?
Und wer ist's, der da schwebt herab
Und scheucht der Hölle Bann?
Und zum Verzagten tritt er hin
Und weiset zur Erlöserin,
Zu ihr, zur Liebeskönigin,
Das müde Aug' hinan!

Und in die Seele tönt mir still
Ein Märchen, alt und neu; -
Was mir die Stimme künden will,
Wer mag es sagen treu?
Es raunet so geheimnisvoll;
Und seit die Stimme mir erscholl -
Ich weiss nicht, wie ich's denken soll -
Ward mir's so wohl, so frei!

Ich höre, ich erkenne dich,
Du heilig Gnadenwort!
O sei gepriesen ewiglich,
Mein Retter und mein Hort!
Du hast mir Lust in's Herz gesenkt,
Du hast den Frieden mir geschenkt,
Hast mich mit Himmelsthau getränkt,
Da ich war ganz verdorrt!

O niemals, seit ich dich ersah,
Erblickt' ich so dein Bild!
Wie stehst du stark und freudig da,
Wie lächelst du so mild!
Die Sonne ist hinabgeeilt,
Kein Stern die trüben Wolken theilt -
Doch, wo dein lichter Blick verweilt,
Da leuchtet das Gefild!

Nein, deiner Augen Wundermacht
Hab' so ich nie erkannt!
So hat mir niemals Trost gebracht
Das Kreuz in deiner Hand!
Sie sagten ja, dass du verdammt,
Was rein und schuldlos mich durchflammt -
Und was ich nannte gottentstammt,
Sie hiessen's Höllenbrand!

Wie haben sie dein Wort verkehrt
Und deinen Sinn entstellt!
Du hast die Freude uns gelehrt,
Du todesfreud'ger Held!
Und um den Hass in unsrer Brust
Gabst du uns heil'ge Liebeslust,
Und um der Erdenreiche Wust
Gabst du die ganze Welt!

Was fühlt' es Schuld, - o Wahn! o Trug! -
Dies liebeheisse Herz?
Sie sprachen mir von Schuld genug
Und wiesen himmelwärts!
O Held des Himmels, nimm mich hin,
Der du selbst ihr, der Sünderin,
Um's Krüglein Öl die Schuld verzieh'n
In königlichem Scherz!

Ja, da ich so mich aufgerafft:
Du warst's, den ich erreicht.
Dich sah ich nicht - doch fühlt' ich Kraft,
Der keine andre gleicht!
Die Welt, die sie gelästert blind,
Wie jauchzte sie, gleich einem Kind!
O wohl, o wohl! Dein Joch ist lind
Und deine Last ist leicht.

Noch ist in deinem Garten nicht
Das Unkraut ausgerauft, -
Mit Wasser nur und nicht mit Licht
Wird noch dein Volk getauft.
Noch ist's nicht Tag im Menschenland, -
Und wo dein Name wird genannt,
Da wirst du tausendmal um Tand
Verrathen und verkauft!

Doch lang' nicht mehr! Der Schleier fällt -
Im Osten dämmert's bleich:
Bald strahlst du ob der ganzen Welt,
Dem Tageshimmel gleich!
Und die in deinem Namen droh'n,
Sie sinken hin mit Schmach und Hohn, -
Und herrschen wird der Menschensohn,
Und kommen wird dein Reich!
(S. 61-64)
_____



Das Lied vom Tannhäuser

Da fing er an und sagte zu seinen Jüngern:
Zum ersten, hütet euch vor dem Sauerteig
der Pharisäer, welcher ist die Heuchelei.
Ev. Luc. XII,1

Wem soll ich aber dies Geschlecht vergleichen? . . .
Johannes ist gekommen, ass nicht und trank nicht,
so sagen sie: Er hat den Teufel. Des Menschen Sohn
ist gekommen, isset und trinket: so sagen sie:
Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und Weinsäufer,
der Zöllner und der Sünder Geselle?
Ev. Matth. XI, 16, 18, 19

Nun wollen wir aber heben an
Vom Tannhäuser zu singen,
Von süssen Wonnen, die er gewann,
Von herrlichen Wunderdingen.

O dass getreu des Sängers Mund
Die frohe Botschaft deute,
Dass dein Geheimnis werde kund,
Das stille, unentweihte:

Gieb sel'gen Klang und holde Ruh',
Frau Venus, diesem Liede:
Denn alle Seligkeit bist du,
Und nur in dir ist Friede.
(S. 65)


I.
Tannhäuser war ein Rittersmann,
Gar stark und stolz zu schauen,
Manch hehren Sieg sein Schwert gewann,
Ihn priesen Männer und Frauen.

Und wie ihm geworden Glanz und Ehr'
Nach seinem Dichten und Sinnen:
Da wollt' er der Ehren mehr und mehr
Und zog, sie zu gewinnen.

Da ward ihm mehr und überviel,
Es mocht' ihm nicht behagen, -
Es jagt' ihn ohne Rast und Ziel,
Fast wollt' sein Herz verzagen.

Einst ist der Ritter in nächtiger Stund'
Zum Venusberg gekommen:
Da sang es herauf aus tiefem Grund:
Er zitterte, da er's vernommen.

Er drang in den Berg, und roth und heiss
Umfing's ihn, wie endlos Feuer, -
Der Ritter hoffte zu neuem Preis
Ein neues Abenteuer.

Er zog aus der Scheide sein gutes Schwert, -
Das Schwert, es mocht' ihm nicht taugen;
Er warf es hin und sank zur Erd'
Und hüllte sich beide Augen.

Und seine Sinne wollten vergeh'n
In Wonnen und in Grauen:
Frau Venus hatte er geseh'n,
Die holdeste der Frauen.
(S. 66-67)


II.
"O du - du wunderhehrer Mann -"
Sie spricht's - und kann nicht enden;
Sie blickt hinab, er blickt hinan:
Sie mögen die Augen nicht wenden.

"O süsse Frau, o süsse Frau!"
Er stammelt's mit bebendem Munde -
"O ist es Wahrheit, was ich erschaut':
So lass mich sterben zur Stunde."

- "Sei mir gegrüsst im nächt'gen Reich,
Nun endet meine Trauer!"
Sie tritt zu ihm - da wird er so bleich,
Da fasset ihn kalter Schauer.

Sie sinkt zu ihm - da seufzt er bang
Und birgt sein Haupt in den Händen -
Und mag nicht blicken und blickt doch so lang'
Und kann die Augen nicht wenden.
(S. 67-68)


III.
"Tannhäuser, du geliebter Mann,
Was macht dich so erbeben?
O komm, und was ich geben kann,
Sei wonnig dir gegeben."

Er sah ihr tief in's Aug' hinein,
Das Sehen wollt' ihm schwinden.
"In deinem Aug' der schwarze Schein,
Er macht mich fast erblinden."

- "Erblindest du, was ist's für Harm?
Lass selig dich umfangen!
Du Thor, du fühlst doch meinen Arm,
Ob auch dein Sehen vergangen."

"Dein Arm, dein Arm, er glüht so heiss,
Wie Gluth der Sommersonnen!"
- "Mein Arm, er dünkt dich kalt, wie Eis,
Vor meines Kusses Wonnen."

"Dein Kuss, dein Kuss ist Feuergluth,
Es quält mich ungeheuer!"
- "Mein Kuss, er dünkt dich kühle Fluth
Vor meines Busens Feuer."

"Dein Busen brennt am Busen mir,
Als wie der Hölle Flammen!"
- "Tannhäuser, fühle nun in dir
Die Flammen all zusammen!"

Ihr Arm umschlang ihn stark und fest
In sel'gem Liebesbunde;
Sie hielt ihn an die Brust gepresst,
Er lag an ihrem Munde.

"Tannhäuser, du geliebter Mann,
Fühlst du mein Herz erbeben?
Tannhäuser, was ich geben kann,
Sei Alles dir gegeben."
(S. 68-69)


IV.
"Ich gab dir, was ich geben kann,
Gab Seel' und Leib und Liebe;
Tannhäuser, du geliebter Mann,
Was ist deine Stirn so trübe?"

- "O süsse Frau, wo ist mein Schwert,
Durch das ich Ehr' gewonnen?
Wie schwang ich's fröhlich auf der Erd',
Ach, droben unter der Sonnen!"

"Tannhäuser, sprich, was soll es dir,
Das Schwert, das liebeleere?
Tannhäuser, willst du flieh'n von mir?
Verlangt's dich nach weltlicher Ehre?"

- "Nach weltlicher Ehr' verlangt's mich heiss!
Nicht länger sollst du mich halten! -
Mein Schwert, mein Schwert! In Ruhm und Preis
Will wieder auf Erden ich schalten!"

"Tannhäuser, schlimm ist weltliche Ehr':
Von Wehe wirst du zerrissen!
O achtest du meiner Wonnen nicht mehr
Und schmachtest nach Bitternissen?"

- "Nach Bitternissen schmachtet mein Sinn,
Sie acht' ich mehr, als Wonnen!
In Weh' erjag' ich der Welt Gewinn,
Dort oben im Reich der Sonnen!"

"Im Reich der Sonnen ist Hass und Streit:
Wie magst du mich verlassen?
Dir hab' ich süsse Liebe geweiht,
Und sehnst dich nach dem Hassen?"

- "Ja, Hass und Streit ist's, was mir gefällt!
Nicht soll mich Liebe zwingen!
In Hass und Streit zwing' ich die Welt -
Das lass mich nun vollbringen."

"Tannhäuser, ewig jung und hold,
Weilst du in meinen Reichen;
Dein ist, was je dein Herz gewollt,
Die Wonnen ohne Gleichen.

In Sehnsucht, die kein Name nennt,
Wirst du am Busen mir hangen,
Und endlos in meiner Seele brennt
Das süsseste Verlangen.

Und endlos währt die Jugendkraft,
Die uns im Innern quillet,
Die Sehnen weckt und Stillung schafft
Und weckt, indem sie stillet.

Und stets gestillt und nie erfüllt,
Stirbt unsre Sehnsucht nimmer, -
Bald still und mild, bald heiss und wild:
Und selig, selig immer.

Doch kehrst du zu sterblichen Menschen zurück,
Dann ist deine Kraft zerronnen;
O wisse, dann wird dir ein gramvoll Geschick
Dort oben im Reich der Sonnen:

Des Sterblichen Schicksal, der da getheilt
Unendliches Götterlieben, -
Der da im Venusberg geweilt
Und nicht in ihm geblieben."

- "Frau Venus, nein, ich glaube nicht
Den süss verheissenden Worten:
Schon naht mir Sünder des Himmels Gericht,
Schon schau' ich der Hölle Pforten.

Doch komme, was kann! Gieb mir mein Schwert:
Dein Schrecken auch soll mich nicht binden!"
"Da, nimm dein Schwert, mein Ritter werth,
Mögst Preis und Ehr' du finden."

Tannhäuser zog aus dem Bergesschacht:
Da sah er den Morgen grauen; -
Und traurig sang aus einsamer Nacht
Frau Venus, die hehrste der Frauen.
(S. 70-72)


V.
Am Kreuzweg stand ein Jesusbild,
Das hielt der Ritter umfangen:
"Ach, hilf mir, Heiland süss und mild,
Mich fasset unendliches Bangen."

Durch die Wildnis trieb's ihn in toller Jagd,
Ihm schauerten Herz und Glieder:
"Hilf mir, Maria, reine Magd!
In Sünden sink' ich darnieder."

Sein Gaumen brannte, wie höllische Gluth:
Ein Quell floss durch die Wildnis:
Tannhäuser bog sich über die Fluth:
Da sah er sein eigenes Bildnis -

Aufschrie er, - und es wollt' vor Qual
Sein Herz im Busen stocken;
Denn siehe: sein Antlitz war todesfahl
Und weiss die vollen Locken.

"Frau Venus, du wildes Teufelsweib,
O hätt' ich dich nimmer umfangen!
Nun ist erstorben mein elender Leib,
Weil ich am Schooss dir gehangen.

Nun traf mich Sünder der Sünde Lohn -
O wär' ich nimmer geboren! -
Auf Erden mir selber zum Spott und Hohn,
Und drüben der Hölle erkoren!"

Und er knirschte wild und zerbrach sein Schwert
Und fluchte der hehrsten der Frauen;
Und machtlos sank er hin zur Erd'
Und mochte das Licht nicht schauen.

Das war das Loos dess, der getheilt
Unendliches Götterlieben, -
Der da im Venusberg geweilt
Und nicht in ihm geblieben.
(S. 73-74)


VI.
"Und ward mir auf Erden der Sünde Lohn,
Nicht bin ich der Hölle erkoren!
Und wär' ich der Teufelin nicht entfloh'n,
So wär' ich ganz verloren!

Herr Jesus Christ, du rissest mich los
Von Schuld und arger Fehle;
Herr Jesus, deine Gnad' ist gross:
Nun rette meine Seele!"

Tannhäuser nahm ein hären Gewand
Und schloss einen Strick um die Lenden
Und nahm den Pilgerstab zur Hand:
"Nun will ich nach Rom mich wenden.

Dort vor dem Papst werf' ich mich hin
Und will seine Kniee umfangen,
Ob ich der Hölle möcht' entflieh'n,
Ob ich möcht' Gnad' erlangen."
(S. 74-75)


VII.
Er wanderte dreissig Tage lang,
Und ihm erschlafften die Glieder,
Und seine Seel' ward müd' und bang:
In Schlummer sank er nieder.

Da ward ihm ein Traum so wunderbar:
Frau Venus sah er, die süsse,
Er sah ihr Antlitz weiss und klar,
Ihm war, als ob sie ihn grüsse.

Ihr sonniges Aug', das brannte so heiss
In des Sehnens verzehrendem Harme -
Es bebte, es seufzte ihr Busen weiss,
Sie streckte nach ihm die Arme.

Mit ihrer Locken wogender Fluth
Umfloss sie ihm Haupt und Wangen;
Ach, ihrer Küsse wilde Gluth,
Sie weckte ihm endlos Verlangen.

Da wachte er auf und rang, im Gebet
Zu lösen das Zagen der Seele;
Doch, wie seine Seele betet und fleht,
Es stockt ihm das Wort in der Kehle.
(S. 75-76)


VIII.
Und siehe, da stand vor ihm ein Mann,
Dem leuchteten Haupt und Glieder;
Tannhäuser hob sein Aug' hinan
Und senkt' es geblendet nieder.

Und der da stand, war Jesus Christ, -
Er möcht' ihn nicht erkennen -:
"Tannhäuser, da du ein Büsser bist:
Deine Sünden magst du mir nennen."

- "Die Sünden, der ich mir bin bewusst,
Sie mag kein Wort dir nennen;
Frau Venus brennt mir in der Brust
Und wird mir ewig brennen.

Dass ich der Höllengluth entflieh',
Wollt' ich mich quälen und mühen;
Der Höllengluth entflieh' ich nie:
Mein Sehnen will nicht verglühen!"

"Tannhäuser, sprich, bist du bedacht,
Dein Heil nur zu erwerben?
Frau Venus trauert in einsamer Nacht
Und möcht' vor Sehnsucht sterben."

- "Ha, du Versucher, fahre hin!
Du kamst, mich zu verrathen! -
O Heiland, richte nicht meinen Sinn,
Nein, richte nur meine Thaten!

Ja, büssen will ich und mich kastei'n,
Dass ich mein Heil gewinne, -
Und meine Thaten wirst du verzeih'n,
Und heilen meine Sinne."

"Des Heilands ewiges Gericht
Hast schlimm du angerufen:
Der Sinn nur gilt, die Thaten nicht
An seines Thrones Stufen."

- "Willst du, dass ich verzweifeln soll?
Bei Jesu, flieh' von hinnen!"
"Du Thor, dein Sinn so sehnsuchtsvoll:
Der wird dir Heil gewinnen."

- "Und ob du dreimal mächtig bist,
Nicht sollst du Sieger dich nennen!"
Tannhäuser floh vor Jesu Christ,
Er mocht' ihn nicht erkennen.
(S. 76-78)


IX.
Und weiter ging er mit trotzigem Muth
Und wanderte Nächte und Tage;
Und Durst und Hunger und Frost und Gluth,
Er trug sie ohne Klage.

Und ward der Qualen nimmersatt,
Dass seine Sünd' er büsse;
Und wie er kam nach Rom zur Stadt,
Da bluteten seine Füsse.

Er trat zum Papst, der hiess Urban,
Und warf sich auf die Kniee:
"Helft mir, Herr Papst, ich fleh' euch an,
Dass ich der Hölle entfliehe.

Ich bin gewesen ein ganzes Jahr
Bei Venus, dem Teufelsweibe;
Da wollt' ich vor Wonnen vergehen gar:
Sie ist so hold an Leibe.

Nun hab' ich schwere Busse gethan
Für meine arge Fehle:
So lasst mich Gottes Gnad' empfah'n,
Zu retten meine Seele."

Der Papst hob seinen Stab empor
Und stiess ihn auf die Erden:
"Wenn dieser Stab treibt Blätter hervor,
Dann soll dir Gnade werden."

Da starrte Tannhäuser eine Weil':
Er wusst' nicht, wie ihm geschehen;
Dann floh er aus Rom in wilder Eil'
Und bat sein Herz, zu vergehen.
(S. 78-79)


X.
Auf einen Hügel sank er und lag,
Als wär' sein Leben entronnen;
Und zweimal ward es auf Erden Tag,
Und zweimal sank die Sonnen.

Doch als der Tag zum dritten Mal
Erstand am Himmel droben:
Da hat aus dumpfer Herzensqual
Tannhäuser sich erhoben.

"Frau Venus, Göttin mild und süss,
Zu dir will ich mich wenden;
Der Heiland, der mich von sich stiess,
Er thut zu dir mich senden!"

Und siehe, seinem Blick erscheint
Ein Mann, gar grimmig zu schauen:
Der Mann, das war der böse Feind, -
Tannhäuser bebt vor Grauen.

"Tannhäuser, eilst du zu neuer Schuld?
Welch Irrsal will dich erfassen?
Ich rathe dir in treuer Huld:
Frau Venus sollst du lassen."

- "Ha, bist du Jesus? bist du Der,
Dess Huld mich hiess verdammen?
Frau Venus lass ich nimmermehr,
Trotz allen Höllenflammen!"

"Frau Venus hat dich mit Träumen bethört
Von ewig wonnigen Welten;
Kurz ist die Jugend, die sie gewährt,
Und musst's mit der Hölle entgelten."

- "Und hat sie mich Treulosen gerne bethört
In schmerzlichem Liebesmühen, -
Ist kurz die Jugend, die sie gewährt:
Die Jugend soll mir erblühen!

Und wenn sie auf ewig dann mir vergeht:
Frau Venus will ich nicht schelten -
Die sterbliche Kraft, die sei geschmäht
Und mag's mit der Hölle entgelten!"

"Tannhäuser, siehst du den glänzenden Strom
Und rings das summende Leben?
Dort liegt das hochgewaltige Rom:
Tannhäuser, ich will's dir geben.

Lass ab von ihr, mein theurer Held,
Sie will dir Unheil bereiten;
Ich gebe dir die Reiche der Welt
Und ihre Herrlichkeiten."

- "O du! Was mir dein Wort verheisst,
Ist das der Seligen Trachten?
Ich hasse den Himmel, den du verleihst,
Und mag deine Hölle verachten.

In Wonnen umfangen das süsseste Weib:
O kennst du ein seliger Leben?
Unsterbliche Gluth im sterblichen Leib:
Mag's wildere Höllen geben?"

Da lachte der Böse zum Himmel hinan,
Dass alle Berge hallten:
"Ha, wenn ich dein Herz nicht wandeln kann,
Dein Herz doch will ich zerspalten!

Unsterbliche Gluth im sterblichen Leib!
Und nimmer sollst du sie kühlen!
Nie sollst du umfangen das süsseste Weib:
Magst wildere Höllen du fühlen?

Frau Venus hat dich nicht bethört,
Unsterblichkeit mag sie spenden;
Die Jugend, die sie dir gewährt,
Sie sollte nimmer enden.

Doch, wer da entfloh'n dem wonnigen Saal,
Dem welken und sterben die Glieder;
Und dann erschauert zum zweiten Mal
Frau Venus er nicht wieder.

Nun deute dir des Richters Wort:
Der Stab, wird Blätter er treiben?
Der Stab ist saftlos und verdorrt,
Und wird es ewig bleiben!"

Er sprach's. Da scholl vom Himmel zur Erd'
Ein Ruf, wie ein Donner zu hören:
"Ich habe meinen Namen verklärt
Und will ihn aber verklären!"

Und es öffnete sich ein flammendes Grab,
Und die Hölle verschlang den Bösen;
Und Tannhäuser blickte grausend hinab
Und erkannte, wer es gewesen.

Und es öffnete sich der Himmel weit,
Und Jesus schwebte nieder;
Und Tannhäuser sah ihn voll Seligkeit
Und erkannte den Heiland wieder.

Er schwebte nieder - und rosiges Licht
Ergoss sich durch alle Weiten;
Und Tannhäuser fiel auf's Angesicht
Vor Gottes Herrlichkeiten.
(S. 79-83)


XI.
Und Jesus Christus trat zu ihm hin:
"Steh auf, du hast überwunden!
Tannhäuser, sieh': dein sehnender Sinn
Hat dir das Heil gefunden."

Da stand er auf und wusste nicht
Zu deuten, was ihm verkündigt;
Und Jesus lächelte mild und licht:
"Steh' auf, du bist entsündigt.

Dir kehret göttliche Jugend zurück,
Die ewig im Busen dir quillet:
Nun weile bei ihr in heiligem Glück,
Bis sich die Zeit erfüllet."

Und verwandelt erhob sich des Pilgers Gestalt
In Kraft und Jugendwonne;
Und das Haupt, von goldenen Locken umwallt:
Es strahlte, als wie eine Sonne.

Und wie sein Herz, von Lust durchglüht,
Fast zu verathmen meinet:
Da weint er und wird der Thränen nicht müd',
Als wie ein Knäblein weinet.

Und ganz zerreisst des Himmels Flor,
Und die Engel erstrahlen im Raume,
Es drängt sich heran ein unendliches Chor
Vom Ost bis zu Westens Saume.

Und hernieder tönt ein sel'ger Gesang,
Und es donnert nah' und ferne;
Und jeglicher Strahl wird Liederklang,
Es tönen Sonne und Sterne.

Und der Sterne Gesang und der Donner Getön'
Erklingt zu der Engel Liede:
"Ehre sei Gott in den himmlischen Höh'n,
Und dem Menschen auf Erden sei Friede!"

Und der dürre Stab in des Papstes Hand
Hat zu dieser Stunde gegrünet:
Da hat Papst Urban es erkannt,
Dass Tannhäuser war entsühnet.
(S. 83-84)


XII.
"Wach' auf, dein Trauter kehrt zurück!
Es enden die Klagen und Leiden!
Wach' auf, Frau Venus, zu ewigem Glück -
Nun soll kein Wahn uns scheiden!"

- "Tannhäuser, du mein trauter Gemahl,
Welch' Wunder ist geschehen?
Wie rief ich nach dir in einsamer Qual
Und wollt' vor Sehnsucht vergeh'n!"

"O Venus, süsse, süsse Frau,
Willst du die Mähre verstehen:
So neige dich, dass ich dir leise vertrau'
Die Wunder, die mir geschehen."

Sie neigte sich, und er umschlang sie heiss
Und hielt sie an seinem Herzen,
Und sagt' ihr in's Ohr, lächelnd und leis',
Von seinen Wonne und Schmerzen.

Dann sprach Frau Venus: "Nun weile hier
In meiner nächtigen Stille,
Nun kose und küsse und lache mit mir,
Bis dass sich die Zeit erfülle.

Doch einst, wenn sich erfüllet die Zeit:
Dann wird es die Höhle zersprengen,
Und Volk um Volk von nah' und weit
Wird sich zu Füssen uns drängen. -

Einst hat ein Volk, ein heh'res, gelebt
In des Südens sonnigen Auen;
Ach, lange schon, lange ist es entschwebt:
Es war so wonnig zu schauen.

Das hat mich geehrt mit Sang und Tanz
Und hat mir Opfer gespendet
Und hat die Augen voll Freude und Glanz
Zu mir emporgewendet.

Nun ist es dahin und kehret nicht. -
Doch, wenn sich die Zeit erfüllet:
Dann steigen wir Beide an's rosige Licht,
Dann werd' ich der Welt enthüllet.

Dann wird mir wieder Glanz und Ehr',
Als wie in vergangenen Tagen,
Und von Land zu Land, von Meer zu Meer,
Wirst meinen Namen du tragen."

Sie sprach's; und wie sich weit erschloss
Ihr Aug' in sonniger Freude:
Da sank Tannhäuser in ihren Schooss
Und sie jauchzten und herzten sich Beide.

Nun weilt er bei ihr, die er verrieth,
Zu der ihn Gott gewiesen:
Das ist vom Tannhäuser das Lied -
Frau Venus sei gepriesen.
(S. 85-87)
_____



Nachtlied

Wie ist die Welt so leicht, so leicht,
Die erst so schwer gelastet;
Wie nun so sacht der Athem schleicht,
Der erst so bang gehastet.

Es hat des Mondes stiller Glanz
Durchtränkt die träge Erde,
Auf dass sie, aufgelöset, ganz
Zu leichtem Lichte werde.

Wohl ziemt nun nach des Tages Thun
Dem stolzen, überkühnen,
In Demuth vor der Nacht zu ruh'n,
Den thör'gen Stolz zu sühnen.

Nun, da genug der Busen schwoll
Von fliegenden Entwürfen,
O süss ist's jetzt und wonnevoll,
Das seufzende Bedürfen!

Es hält ein treuer Arm mich fest
Auf diesem Strahlenmeere;
Und wenn er mich versinken lässt
Wer bin ich, dass ich's wehre?

Und doch - wie ist nun ganz besiegt
Die Tagesangst, die grause!
Wie sich das Herz so schmiegt und wiegt -
Und weiss: es ist zu Hause.

Kein Auge späht - kein Windhauch weht -
Kein Ton im weiten Schweigen:
Natur, Geliebte, in Gebet
Lass nun mein Haupt dir neigen, -

Gleich wie der Baum den Wipfel senkt,
Von Früchten überladen -
O du hast mir so viel geschenkt
In deines Herzens Gnaden!

O die du warst in Ewigkeit,
Noch eh' du mich geboren,
Die du wirst sein in aller Zeit,
Wenn längst mein Staub verloren:

Wie hast du deinem nicht'gen Theil
Dein ganzes All gegeben -
Und hast in Eine flücht'ge Weil'
Gedrängt dein ewig Leben!

Und hast sein ewig Glück vertraut
Dem Sinn, dem todesbangen, -
Und hast mich, gleich wie eine Braut,
Du Königin, umfangen!

Nun scheinst du still - und webest ja
Und wirkest so geschäftig;
Und endlos treibt es, fern und nah'
Und strömet frisch und kräftig -

Allspendende, und in mir auch
Zeugt deines Schoosses Fülle,
Und ich - ich fühle keinen Hauch
In meines Herzens Stille.

Und ungesucht und ungehofft
Find' ich es wohl am Morgen,
Und werde fragen, wie so oft:
Wo war es doch verborgen?

Ach, die du schenkest still und schlicht,
Und schenkest ohne Schranken:
Was gabst du mir dies Eine nicht:
Nicht Worte, dir zu danken?

Beseligen willst du allein,
Du willst nicht Dank, du Grosse:
So kann ich nichts, als selig sein
In deinem heil'gen Schoosse.
(S. 93-95)
_____



Scheidelieder
An J***

I.
Zu rasten kam ich, nicht zu weilen,
Zu geben kam ich, nicht zu theilen -
O scheuche die Thränen vom Angesicht!
Denn mit dir weinen darf ich nicht.

Mit Freuden muss ich von dannen gehen,
Mit Freuden musst du mich scheiden sehen;
Der Opfernden am Hochaltar
Mit Freuden bring' er sein Opfer dar.

So lass uns denn die Hände reichen,
Lass lächelnd uns dem Schicksal weichen;
Fürwahr, ich bin mir schuldbewusst
Bei jedem Wehruf meiner Brust.

Mir ward zum Heim das Meer beschieden,
Und dir das Land mit seinem Frieden:
Weinst du darob, was mir bescheert?
Mein Lieb, ich bin nicht beweinenswerth.

In Wetternacht, im Sturmgebrülle
Wird mir's im Busen selig-stille -
Sei glücklich, du Geliebte mein!
Ich kann nicht mit Glücklichen glücklich sein.
(S. 102-103)


II.
Du hast einen Vogel lange gehegt,
Im Käfig hat er gesungen;
Nun hat sich draussen der Lenz geregt,
Da ist er dir entsprungen.

Sieh' ihm nicht nach mit Klagen und Gram!
Nur Freiheit mag ihm frommen;
Und ward er doch bei dir so zahm:
Er wird schon wiederkommen.

Er weiss nicht wann und zu welcher Stund',
Kein Vogel mag das wissen;
Doch wird er bald von Herzensgrund
Die traute Herrin missen.

Und reichst du ihm den Finger hin:
Wird, wie in alten Tagen,
Er necken und kosen die Pflegerin
Und wieder in's Weite jagen.

Nun blicke freudig auf und sieh'
Ihn über den Wipfeln kreisen -
Nun horch! Jetzt wird er, wie noch nie,
Laut schmettern seine Weisen.
(S. 103-104)


III.
Hier ist der Scheideweg, mein Lieb -
Es muss ja geschieden sein.
Hier pflanz' ich einen jungen Trieb
Tief in die Erd' hinein.

Draus wird ein mächt'ger Baum ersteh'n,
Der wird noch grünen lang',
Wenn wir schon lange nicht mehr geh'n
Den schweren Erdengang.

Doch, wenn schon lang' mit frischem Grün
Der Baum sich nicht mehr deckt,
Wird noch in mir die Liebe blüh'n,
Die du mir hast erweckt.

Leb' wohl! Und bei des Frühlings Nah'n,
Wenn's treibt in Wald und Hain,
Denk' an den Trieb und der ihn gethan
Tief in die Erd' hinein.
(S. 104)


IV.
Nun hinan den feuchten Blick,
Nun die Seele hoch hinan!
Wundersel'ger Zauberbann,
Banne nicht mehr mich zurück!
Nun nicht noch einmal geweint,
Da die Thräne kaum verrann;
Vor dem Licht, das droben scheint,
Schäme dich - und nun hinan!

Nun nicht mehr um Winterherd,
Stilles Glück, bei dir geruht!
Deiner milden Lebensgluth,
Nein, ich bin nicht ihrer werth!
Ha, wie braust es frisch und kalt, -
Stark gerungen, wie ein Mann,
Mit des Wintersturms Gewalt
Und im Wintersturm hinan!

Die du bist im Sturmgebraus,
Sei beschworen, heil'ge Macht:
Was an Glück mir zugedacht,
Auf die Theure giess' es aus!
Aber mich, o lass mich ganz
Fühlen, was ich tragen kann, -
Lass im blut'gen Dornenkranz,
Lass zum Gipfel mich hinan!

Und du weisst's, in deinem Schooss
Fühlt' ich seines Donners Wucht,
Und in schmerzenreicher Zucht
Zogest du den Trotz'gen gross.
Wenn ich kräftig ward und rein,
Wenn dies Eine ich gewann,
Dir als Opfer werth zu sein:
Heil'ge Macht, lass mich hinan!

Droben, wenn es dir gefällt,
Schleudre deines Blitzes Strahl, -
Lass im Blitz mich noch einmal
Überschauen diese Welt -
Lass mich schau'n das heil'ge Glück,
Ach, das Ziel, darob ich sann -
Und im letzten, höchsten Blick
Nimm verzehrend mich hinan!
(S. 105-106)
_____



Berufung

Es wandelt die Muse durch's Menschenland;
Den Leib umhüllt ihr ein weiss Gewand,
Im Winde wallet das goldene Haar,
Still suchend blickt das Augenpaar.

Und wo sie wandelt, da wird es Licht;
Das Licht, es strömt ihr vom Angesicht,
Und wo sie wandelt, da grünt die Flur,
Und Rosen deuten die göttliche Spur.

So wandelt die Muse durch's Menschenland;
Die Menschen liegen, in Schlaf gebannt;
Sie athmen schwer, sie träumen wirr,
Und reden im Traume gar wild und irr.

Sie heulen, dass es, wie Wetter, braust;
Sie schlagen die Lüfte mit starker Faust;
Sie schreien und weinen und ächzen so rauh:
Vorüber geht die Wunderfrau.

Auf Jeden blickt sie, erbarmend und mild;
So lange sie blickt, ist Jeder gestillt.
Und wen gar berühret ihr wallender Saum,
Der lächelt und träumet den seligsten Traum -

Und strecket im Traume die Arme weit,
Ihm ist der Busen so süss befreit;
Und sehnend ruft er von Herzensgrund
Manch Wort der Liebe mit bebendem Mund.

Und Mancher wohl auch die Lider erhebt,
Wenn lange die Göttin vorüber geschwebt:
Dann sitzt er und stemmt das Haupt in die Hand
Und möcht' entfliehen dem Menschenland.

Doch Mancher - o heiliges, ewiges Glück! -
Erschliesset vor ihrem Blick den Blick -
Und was er sehnend im Traume geseh'n,
Das sieht er an seinem Lager steh'n.

Da fasst ihn süsser Schrecken an,
Dass er es kaum ertragen kann;
Ihm pocht das Herz, so schnell, so schnell,
Sein Auge glänzet thränenhell.

Er möchte knie'n vor der Gestalt,
Er möcht' in stürmischer Gewalt
Umfassen und küssen den schwebenden Fuss
Und stammeln seligen Liebesgruss.

Er möchte schlingen die Arme heiss
Um ihren Hals, so schlank und weiss;
Er möcht' in ihrer Locken Fluth
Nur Einmal pressen der Lippen Gluth.

Er möchte die Blumen der Erdenau
Zum Schmucke pflücken der Wunderfrau,
Er möcht' für sie mit jauchzendem Mund
Verströmen all sein Blut zur Stund'.

Doch blickt er in's Aug' ihr, stumm erstarrt,
Und fasst kaum ihre Gegenwart,
Und weiss nur, dass es sein Ende wär',
Wenn er dies Aug' nicht sähe mehr.

Er weiss es: ihr nur ist er gesellt,
Und sollt' er ihr folgen an's Ende der Welt;
Er weiss es: ihr nur war er gefreit
Von Ewigkeit in Ewigkeit.

Sie hebt empor die weisse Hand;
In's Aug' ihr schaut er unverwandt
Und stehet auf und harret still,
Was ihm die Herrin gebieten will.

Und Schauder fasset seinen Geist,
Wie ihn der Töne Gewirr umkreist,
Wie's ächzt und murmelt durch den Raum
Aus der gequälten Menschen Traum.

Er hört es und versteht es nicht.
Da neigt die Göttin ihr Angesicht
Und schlingt um ihn den rechten Arm
Und küsst ihn auf beide Augen warm.

Und plötzlich wird es Nacht um ihn, -
Und fern schon sieht er die Göttin flieh'n;
Ihr lichtes Haupt, sein einzig Licht -
Es schwand, und er erreicht es nicht.

Da will zerbrechen all sein Muth;
Nun aber zuckt es, wie rothe Gluth,
Mit düstrem Glanz erhellend den Raum
Von Weltensaum zu Weltensaum.

Da schaut er sein Spiel so mannigfalt,
In buntem Wirrsal Gestalt an Gestalt:
Sie drängen und schlagen und jagen in Eil'
Und rasten auch nicht eine Weil'.

Und nieder tönet ein Himmelston:
Nun wandle in Nacht, o Menschensohn!
Nun schaue sie, des Traumes Welt,
Die deine Brüder umfangen hält.

So träumen sie sich in Streit und Noth
Und träumen Sünde und träumen Tod;
Nun deute dir das Jammergeschrei -
Nun wecke auf, nun mache frei!

Und Eins nur weckt die Schläfer auf:
Siehst du die Schatten in wirrem Lauf?
Wie sie so flieh'n und rasten nicht,
Erschaut kein Aug' ihr Angesicht.

Nun walle durch's Land und rühre sie an!
Sie stehen still vor deinem Bann,
Mit ihren Zügen hart und wild,
Ein wundersam versteinert Bild.

Und wie die Schläfer das erschau'n,
Da wachen sie auf in höchstem Grau'n,
Und blicken einander in's Angesicht
Und jauchzen empor zum goldenen Licht.

Und eher nicht, bis Alle erwacht,
Bist du erlöst aus deiner Nacht;
Und willst du, dass ich dein Eigen sei,
So wecke auf, so mache frei!
(S. 136-140)
_____



An eine Unbekannte

I.
Der heil'ge Strahl, der aus der Höh' sich schwinget,
Es gilt ihr nicht, der Knospe tief im Thale;
Die Knospe aber glühet in dem Strahle
Und seufzt nach ihm, dass ihr die Brust zerspringet.

Mich traf ein Blick, der noch das Herz mir zwinget,
Gleich wie ein Lichtstrahl aus der Götter Saale: -
Zum ersten war's, vielleicht zum letzten Male:
Schon naht die Nacht, die Licht und Lust verschlinget.

Doch, wie die Berge, wenn der Tag geschieden,
In freud'gem Roth noch leuchten lange, lange, -
Bis sie erbleichen sanft im Todesfrieden:

So glüht die Seele mir, es glüht die Wange -
Bis es erstirbt, wie Alles stirbt hienieden:
Schon naht die Nacht: wer wehret ihrem Gange?
(S. 141)


II.
Ein Augenblick - Nichts weiter ist's gewesen;
Ein Blick des Aug's: was magst du Kürz'res nennen?
Ich sage dir: Nichts Gröss'res magst du kennen,
Als ich in diesem kurzen Blick gelesen.

Sieh', ewig, ewig fragt ein ringend Wesen:
Du Schicksal, wirst du mir Genesung gönnen?
Ein Blick des Aug's - und in dem Blicke brennen
Zwei Lettern: "Ja!" - und schon ist es genesen.

Was du verlangst: ich will mich's unterfangen!
Nicht, ob der Himmel wäre zu erstreiten,
Nur, ob er sei, das fragt' ich voller Bangen.

Er ist - er ist! und wär's in fernsten Weiten!
Siehst du es aus den blauen Tiefen prangen?
Nun will ich wieder durch die Hölle schreiten.
(S. 142)


III.
Im Herzen Dess, den noch kein Sinn durchdrungen,
In dem da fliesset alles Lichtes Bronnen,
Vor dem da tönet jeder Strahl der Sonnen,
Im Herzen Dess, der dich auch hält umschlungen -

In seinem Herzen ist auch er erklungen,
Der da mich traf, der Strahl voll süsser Wonnen, -
Und spurlos ist er nicht in ihm zerronnen,
Und hat ein Wohllaut sich emporgeschwungen.

Und wie's auch sei: ich werd' ihn wieder hören:
Sei's dermaleinst in lichten Himmelshöhen,
In Sonnenwirbeln und in Sternenchören: -

Sei's hier, wenn wundersam, wie's oft geschehen,
Ringsum im Sturm die Wogen sich empören,
Und Friedenslieder durch die Brust mir wehen.
(S. 142-143)


IV.
Sag' an: wie nennt man dich in Menschenreichen?
Ich weiss es nicht - was frommt es auch, zu fragen?
Du sollst den Namen Beatrice tragen, -
Denn Namen will nun doch der Mensch und Zeichen.

Bist du's nicht, die den Sänger dort, den bleichen,
Aus Läutrungsflammen und aus Höllenklagen
Zur Höh' geführt vor langen, langen Tagen?
Nun - bist du's nicht: bist du doch Ihresgleichen.

Doch wahrlich: wie ihr Auge glänzt das deine:
In dunklem Liebesfeuer, wenn du's senkest,
Und wenn du's hebst, in blauem Himmelsscheine!

Und nun, wie immer du zu heissen denkest:
Nun bist du Beatrice, bist die meine,
Ob du auch keinen zweiten Blick mir schenkest!
(S. 143-144)


V.
Was du wohl bist auf diesem Erdenrunde?
Es fragen thöricht so die Menschenschaaren.
Ich kenn' es nicht und will es nicht gewahren,
Und kennt' ich es: ich glaubte nicht der Kunde.

Ich glaube dir, ja dir von Herzensgrunde,
Du bleiches Haupt in dunklen Lockenhaaren!
Und glaube diesem Aug', dem sonnenklaren,
Und diesem süssen wortelosen Munde.

Das bist du! Das - wie soll ich Das nur nennen?
In's tiefe Licht, das deine Seel' entsendet,
Senk' ich den Blick, dich liebend zu erkennen:

Von deinem Aug' hat sich mein Aug' gewendet:
Ich sah die Lichtfluth unermesslich brennen -
Und sah dich nicht: denn du hast mich geblendet.
(S. 144)


VI.
Ich habe wieder, wieder dich gesehen!
Und nicht ein Trugbild war's, das ich gesponnen;
Und reicher noch an Schönheit und an Wonnen
Sah ich dich nun vor meinen Augen stehen.

Da fühlt' ich's schmerzvoll um's Haupt mir wehen,
Als sollt' ich fliehen aus dem Reich der Sonnen;
Als wenn, dass du mir ewig sei'st gewonnen,
Ich gern und freudig müsst' in dir vergehen.

Warum so wild ich presste deine Hände?
Weisst du es wohl? Dass ich dir's wahr bekenne:
Ich betete in Sehnsucht ohne Ende:

O Schicksal, gieb, dass uns kein Zweifel trenne,
Dass ich nicht thöricht einst von ihr mich wende:
Dass ich sie ewig Beatrice nenne!
(S. 145)


VII.
Nicht wie ein Lichtstrahl, was ich auch gesprochen,
Traf mich dein Blick in seinem sel'gen Prangen;
Nicht wie die Blume hab' ich ihn empfangen,
Nicht wie der Spiegel, klar und ungebrochen:

Er hat mir, wie ein Pfeil, in's Herz gestochen,
Dass hoch empor des Blutes Säulen sprangen;
Nun stammelt mein Gesang in Lust und Bangen,
Und in den Schläfen fühl' ich's fiebernd pochen.

Nun aber werfe ich vor dir mich nieder
Und küsse dein Gewand mit heissem Munde,
Und betend schling' ich mich um deine Glieder:

Gieb, gieb, dass nimmermehr dies Herz gesunde!
Den Frieden, den du nahmst, gieb mir nicht wieder!
Zieh' nicht den Pfeil aus meiner süssen Wunde!
(S. 145-146)


VIII.
Frei! frei! so frei! - und sah doch keine Ketten! -
Frei wie der Sturmgott auf den Feuerschwingen!
Dies reine Licht! Ja, hoch und höher dringen
Empor aus Gräbern und aus Schädelstätten!

Soll ich für dich in Feuersgluth mich betten?
Soll ich mit hundertarm'gen Riesen ringen?
Ich will es - und ich werde sie bezwingen, -
Und wenn sie hunderttausend Arme hätten!

O wie so heiss in diesem Augenblicke
Voll Opferlust all meine Fibern beben:
Wer gäbe Namen solchem heil'gen Glücke?

Freiheit! Dein Name nur sei ihm gegeben:
Die Fessel der Gemeinheit brach in Stücke,
Und todbereit leb' ich das höchste Leben!
(S. 146-147)


IX.
Nicht will ich knechtisch vor dem Gott mich bücken,
Der da zum Leben mich, zum Tod erkoren,
Der mich gezwungen, eh' ich noch geboren, -
Und nimmer fragt, wie seine Ketten drücken.

Und soll ich götterlos auf eig'nen Krücken
Hinwandeln, in's gemeine Sein verloren?
Das Aug' nie heben zu des Himmels Thoren?
Nur auf die Erd' und ihre Gräber blicken?

Da ich so sann, hat mich ein Traum umsponnen:
Ein Götterbild sah ich vorüberfliehen -
Und niederwarf ich mich in heil'gen Wonnen.

O du, die ich erschuf, du sieh' mich knieen!
Werthlos ist Alles unter dieser Sonnen, -
Doch du bist göttlich, Kind der Phantasieen!
(S. 147)
_____



An J***

Leibeigen bin ich dir und seeleneigen,
Der ich doch allen Fesseln mich entwunden;
Mit freien Armen hab' ich mich gebunden,
Und will die freie Stirne vor dir neigen.

Und ob von dir nicht viele Worte zeugen:
Es spricht mit dir mein Herz zu allen Stunden;
An dir zu rühmen hab' ich Nichts gefunden,
Dich aber rühmet Lieben nur und Schweigen.

Auffliegt der Tag von Berg zu Bergen blinkend,
Dass jauchzend er der Erde sich vermähle:
Der Wand'rer steht, den Glanz mit Blicken trinkend;

Nicht Worte tönen laut aus seiner Kehle:
Er blickt und blickt - und, tief in sich versinkend,
Hält er das ganze All in seiner Seele.
(S. 150)
_____



Schlusswort des Liebenden
An Dieselbe

Wie trägt uns gern des Herzens Traum
Zum stillen Kindesglück!
Des Kindesglücks gedenk' ich kaum
Und blicke nicht zurück.

Doch, wenn das Herz mir träumt und sinnt:
Dann fliegt's zu dir dahin; -
Dann wird's, wie einem sel'gen Kind,
So heimlich mir im Sinn.

Da hör' ich wieder, wie du lachst -
Und Sehnsucht quälet mich;
Und doch, ich mach' es, wie du machst, -
Und jauchze über dich.

So wird, allwo du um mich schwebst,
Zur Freude alles Weh' -
Und wie du leibhaft mit mir lebst,
Sag' an, was trennt uns je?

Und sag': wie bin ich deiner werth?
Ja, wär' ich gross und reich,
Und hätte, was die Welt nur ehrt:
Dir käm' ich doch nicht gleich.

Du bist die Blume, die da blüht
Auf hohem Bergesgrat;
Ich bin der Wand'rer, der sich müht
Auf steilem Bergespfad.

O bleib' mir nah' auf meiner Bahn,
Du holdes Frauenbild;
Dann weiss ich, dass von eitlem Wahn
Mir nie die Seele schwillt.

Dann weiss ich, wen im Sturmgebraus
Zum Heil ich rufen mag;
Du breitest deine Arme aus,
Und wieder lacht der Tag.

Und wieder wird's im Herzen hier
So morgendlich erhellt!
Ja, ja, du bist das Liebste mir,
Das Liebste in der Welt.
(S. 151-152)
_____



Mahnung
An ***

Und kannst du nicht in Liebe glühen:
So glühe doch im Hass!
Was soll dies Zagen und dies Mühen?
Dies Auge trüb und nass?
Und hast du nicht dein Herz verloren
Und ist es dir zu schwer:
Hinein denn zu des Lebens Thoren:
Das braucht der Herzen mehr!

Ein altes Leben bricht in Scherben
Und ächzt in langer Pein,
Ein junges harret auf sein Sterben
Und will geboren sein.
Du stark Geschlecht, o löse, löse
Von meiner Nacht mich los!
So ruft es, wie des Sturms Getöse,
Aus seiner Mutter Schooss.

Doch, die da zittern, die da bangen,
Vor seinem Wetterschall,
Die da an Staub und Moder hangen,
Die Todgeweihten all':
Sie werden lärmend an den Pforten
Dem ungebor'nen Sohn
Und lügen gar mit frechen Worten:
Er sei gestorben schon!

Hier hasse denn, du Liebesarmer,
Hier hasse voll und reich!
Hier sei ein Rächer, ein Erbarmer
In Lieb' und Hass zugleich.
Und hassest du die Toderkor'nen,
Als wie ein rechter Mann,
So liebest du den Ungebor'nen
Und führest ihn heran!

Die Liebe ist nicht still Behagen,
Die Lieb' ist sel'ger Tod;
Und wer die Liebe mag ertragen,
Der trägt wohl jede Noth.
Und bebst du vor dem Schlachtgetriebe
Und kannst nicht sterben seh'n:
So kannst du nimmermehr in Liebe
Ersterben und vergeh'n!
(S. 153-154)
_____



Wunsch

Nicht wie ein Fremdling will ich von dir scheiden,
Nicht kühlen Sinns, als wie ein Herbergsgast,
O Leben, nein - es soll in Lieb' und Leiden
Das Herz mir seufzen, wenn der Tod mich fasst.

Wie, dem Geliebten das Geleit zu geben,
Nach seinem Sinne sich das Mädchen schmückt,
Und presst sich heiss an ihn in süssem Beben
Und reicht ihm Blumen, die sie selbst gepflückt:

So soll es sein. Es soll die Erde blühen,
Ein Frühlingswind soll wehen kühl und traut,
Am Himmel soll die Morgensonne glühen
Und alle Vögel singen froh und laut, -

Dass sehnsuchtsvoll sich mir der Busen hebe,
Zum Licht sich wende thränenfeucht mein Blick,
Dass ich dir deine Sünden all' vergebe
Und denk' an deine Liebe nur zurück; -

Dass ich im Scheidekuss, im langen, langen,
Dir tief ins Auge schaue noch einmal,
Des Wiedersehns Gewissheit zu empfangen
Aus dieses Auges unlöschbarem Strahl -

Dass, ehe noch die eisig-kalten Hände
Der bleiche Tod legt auf den Busen mir,
Mein Herz zerbreche und mein Leben ende
In allgewalt'gem Flammenwunsch nach dir!
(S. 159-160)
_____


Aus: Buch der Freude
von Siegfried Lipiner
Leipzig Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1880

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Lipiner


 

 


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