Ernst Lissauer (1882-1937) - Liebesgedichte

 



Ernst Lissauer
(1882-1937)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



O Angesicht, von Seele ganz getränkt!

O Angesicht, von Seele ganz getränkt!
Wie ist in allen Fäserchen und Poren
Gefühl und Körper inniglich gemengt,
An dieses Antlitz bin ich ganz verloren.
An dieses Antlitz bin ich ganz gebunden,
Inbrünstig sauge ich mit vielen Munden.
Unausschöpfbar in mich fließt heiße Seele,
Ich spür' sie leibhaft in beglückter Kehle.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 17)
_____



Wer ward mir angetraut?

Wer ward mir angetraut?
An Ofen, Sofa, Eßtischecke,
Als hätt' es blanken Tag getropft,
Schimmern fingerzierliche Sonnenflecke.
Ob es auch friert,
An der Fensterscheibe der Schnee zertaut,
Leinen glänzt seiden, wenn sie es stopft,
Die Stühle sind mit Licht bordeliert.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 18)
_____



Wie ein Hirt den weingefüllten irdenen Topf

Wie ein Hirt den weingefüllten irdenen Topf,
Nehm' ich dein großes Frauenhaupt vor meinen Kopf.
Breit leg' ich meine beiden Hände
Um seine festen, weichen Wangenwände.
Heiß in mein Blut belebend rinnt belebter Saft.
O unerschöpflich trünkereicher Krug!
Ich sauge aus dir stärkend immer frisches Glück.
Nun bin ich satt, froh, hell, bin doppelt voller Kraft.
Behutsam lass' ich los, sacht stell' ich ihn zurück,
Das war ein Zug.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 19)
_____



Wie eine Dryas im Baum

Wie eine Dryas im Baum
Wohnt dir die Stimme im kräftigen Hals versteckt,
Schlafend klanglosen Traum.

Leg' ich an den weißen Stamm das Ohr,
Fährt sie vom Schlummer empor geweckt -,
Rufen erschreckt
Sich die Dryaden jauchzend im Rund?
Gekitzelt vom stoppligen Mannsfaunmund,
Schallt sie allein wie ein Chor.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 20)
_____



Wie eine Kugelakazie

Wie eine Kugelakazie
Rund, fein, licht,
Guten Tag, Anmut, guten Tag, Grazie,
Ist dein süßes Angesicht.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 21)
_____



Aufs Buch gebeugt mein Angesicht

Aufs Buch gebeugt mein Angesicht,
Mit meinen Augen seh' ich dich nicht,
Ich sehe dich nicht mit Blicken.

Deine Wimper blinkt, dein Lid zuckt fein,
Du atmest aus, du atmest ein,
Ich spüre es mit Entzücken.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 23)
_____



Sprich nichts

Sprich nichts, nur sei da, bleibe im Zimmer.
Sprich nichts, lies, sitze, wandle zart.
Färbe die Luft mit deiner Gegenwart.
Mische der Lampe Licht mit deinem Schimmer.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 23)
_____



Ich weiß nicht, wer ich bin

Ich weiß nicht, wer ich bin.
Ich weiß nur dies allein: ich muß mich beugen
Vor meines Daseins anbefohlnem Sinn,
Ich muß erzeugen
Und muß gebären,
Aus meines Wesens eingebornen Stoffen
Die Welt um Weniges zu vermehren,
Drum stehe ich mit vielen Brunnen offen.
Ich leb' nicht stät in stäter Gegenwart,
Nicht immer glücklich, kann nicht stets beglücken.
Du hast mein Innerstes gewahrt;
Ich sah dich an mit meinen meisten Blicken.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 25)
_____



So dicht sind wir vermählt im Leide

So dicht sind wir vermählt im Leide,
Ein Leib, ein Herz.
Dein Schmerzen schmerzt mein Eingeweide,
Du blutest meinen Schmerz.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 39)
_____



Du meine stark' und holde Lieblingin!

Du meine stark' und holde Lieblingin!
Auf kräft'gen Nacken mächt'ges Haupt gebaut,
Du linde Wange, wollend festes Kinn -,
Die meinem Blute auf den Boden schaut
Und deutet seines Laufes Ziel und Sinn,
Du Großgeäugte,
An Urbrust wirkender Natur Gesäugte,
Du meine stark' und holde Lieblingin!

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 79)
_____



Wo wir geweilt zu zwein

Wo wir geweilt zu zwein,
Wo wir auch nur rasche Stunde
Rasteten zu kurzer Runde,
Hold umgrenzt
Alle Orte tragen einen Heiligenschein,
Überglänzt
Von beglückter Luft aus Licht und Wein.

Aus: Ernst Lissauer Der inwendige Weg Neue Gedichte
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1920
(S. 89)
_____



Über dein Angesicht

Über dein Angesicht
Wechselt Wolkenschatten und Sonnenlicht,
Auf deinem Angesicht ist immer Wind.
Ich blicke dich an; mir ist, ich liege
Auf einer Wiese und schmiege
Mich tief ins heiße Grün.
Gras hängt auf mich; die Wicken blühn,
Um mich rinnt
Wind.

Aus: Ernst Lissauer Der Strom
Gedichte / Balladen / Gesänge
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1921
(S. 88)
_____



Du leibhaftes Stücklein Welt

Du leibhaftes Stücklein Welt,
Das mein pressender Arm selig umschlossen hält, -

Was sonst auf der Welt ist mein?
Ich trage heim eine Handvoll Ackerkrume,
Sie zerfällt,
Im Glase verwelkt mir die Blume,
Tot ist ein Stück Gestein.

Du aber blühst Leben.
Blut singt durch dich hin, deine Nüstern beben,
Wie ein Vogelchen bange
Schmiegt sich mir in die Hand deine zärtliche Wange,
Deine Lider
Zittern im Licht vor Lust,
Atem der Welt schwebt im wehenden Auf und Nieder
Deiner hauchenden Brust, -

Du lebendiges, winziges Stücklein Welt,
Das mein seliger Arm ewig umschlossen hält!

Aus: Ernst Lissauer Der Strom
Gedichte / Balladen / Gesänge
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1921
(S. 90)
_____



Und sie naht und neigt sich leicht über mich

Und sie naht und neigt sich leicht über mich,
Und wie Wind stäubt im Mittag am funkelnden Schnee der Firne,
- Licht scheint um mich, -
Küßt sie mich leis auf die Stirne.

Aus: Ernst Lissauer Der Strom
Gedichte / Balladen / Gesänge
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1921
(S. 91)
_____



Gewalt

Ich dachte heut mit Lust und Kraft an dich
Und wünschte stark: durch Mauern und geschlossne Türen
Soll sie Gewalt von meiner Liebe spüren.

Ich saß, geballt die Hand; ich sah, ich fühlte dich.
Da tratst du ein:
"Mir war, du riefest mich."

Aus: Ernst Lissauer Der Strom
Gedichte / Balladen / Gesänge
Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1921
(S. 92)
_____
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Lissauer

 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite