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Anna Löhn-Siegel
(1830-1902)
Der Veilchenpflücker
Sie sprach: "Ich möcht 'nen Veilchenstrauß,
Gepflückt von deiner Hand!"
Da ritt ich flugs in's Feld hinaus,
Bis daß ich Veilchen fand.
Mein Rößlein band ich an den Baum
Und bückte mich in's Gras,
Doch wie ich dort im Liebestraum
Recht emsig pflückend saß -
Da riß mein Pferd sich plötzlich los
Und nahm mit Hast Reißaus.
Ich fügte still mich in mein Los
Und sprach: 's gilt ihrem Strauß!
Der Lohn ist süß, der meiner harrt,
Sie küßt die Veilchen gar,
Dann droht sie mir nach Schelmenart
Und reicht den Mund mir dar.
Dem Rosse folgt' ich lange Zeit,
Und rief und lockte sehr.
Durch Wald und Wiesen lief ich weit,
Doch sah ich's nimmermehr.
Und finster ward's, ich kam nach Haus
Nach manchem Sprung und Sturz -
Was sagte sie zu meinem Strauß?
"Die Stiele sind zu kurz!"
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Gedicht
aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 285)
Biographie:
Löhn-Siegel, Frau Maria Anna, früheres Ps. Lork Alban, Willibert von
Herrigau, Dresden, Moltkeplatz 5, ist am 30. November 1830 zu Naundorf
bei Freiberg in Sachsen als Tochter eines lutherischen Geistlichen
geboren. Der sehr gelehrte Vater gab ihr eine gründliche, ja eine
klassische Bildung. Schon mit fünfzehn Jahren dichtete sie in den
Versmassen des Agamemnon des Aeschylus ein Drama: Odysseus auf Ogyia.
Ihre Neigung für dramatische Poesie veranlasste sie, Schauspielerin zu
werden. Sie wirkte als solche auf verschiedenen Bühnen und gehörte
zuletzt 21 1/2 Jahre der Dresdener Hofbühne an.
Im Jahre 1872 verheiratete sie sich mit dem ihrem langjährigen
litterarischen Freunde, dem Chefredakteur der Dresdener
Konstitutionellen Zeitung Dr. Franz Siegel, an dessen Blatt sie bereits
zehn Jahre mitgewirkt hatte und entsagte der Bühne. Die glückliche Ehe
fand durch den im Jahre 1877 erfolgten Tod ihres Gatten ein frühzeitiges
Ende.
Seitdem lebt die Dichterin nur in ihren geistigen Interessen und
poetischen Arbeiten und wirkt mit Eifer für den von ihr im Jahre 1870
ins Leben gerufenen Ersten Dresdener Frauenbildungsverein.
aus: Lexikon
deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke
weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem
Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Löhn-Siegel
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