Das Liebes-Poetische Manuskript N° 55

Hundert Küsse zu hundertmalen, hundert Küsse zu tausendmalen,
tausend Küsse zu tausendmalen ...

Die Küsse des Johannes Secundus (1511-1536)
 


Gaetano Gandolfi (1734-1802)
Junfe Frau


 



Elfter Kuss

Küsse zu lüsterner Art, beschuldiget - hör ich - das Volk mich,
Wie sie das Vätergeschlecht nie, das gestrenge, gekannt.
Also, wenn ich den Hals mit verlangendem Arm dir umstricke,
Und mich der herrliche Tod leis in den Küssen berauscht,
Soll ich mit sorgendem Sinn die Reden des Volkes bedenken?
Weiß ich selber ja kaum, wer ich und wo ich nur sey.
Lächelnd vernahmst du, Neära, das Wort, und schlangest den Einen
Lilienweißen Arm, schlangest den andern um mich.
Darauf küßtest du mich, - selbst Cypriens kosende Lippen
Küßten den rüstigen Freund lüsterner nie - und du sprachst:
Kümmre dich nicht um den richtenden Spruch der nüchternen Menge;
Diese Beschwerde gehört einzig vor mein Tribunal.






 

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Übersicht

Gedicht aus: Die Küsse des Johannes Secundus
München Hyperion Verlag 1920
In der Übersetzung von Franz Passow [1786-1833]
(nach der Ausgabe Leipzig 1807)
(S. 35)
 


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