Das Liebes-Poetische Manuskript N° 55

Hundert Küsse zu hundertmalen, hundert Küsse zu tausendmalen,
tausend Küsse zu tausendmalen ...

Die Küsse des Johannes Secundus (1511-1536)
 


Peter Paul Rubens (1577-1640)
Junge Frau



Zwölfter Kuss

Warum wendet den züchtigen Blick ihr seitwärts,
Ihr Matronen und ihr verschämte Mägdlein?
Keine lustige Götterliebschaft sing' ich,
Noch ausartender Wollust ekle Spiele,
Fescenninische Späße nicht, nicht Lieder,
Deren vor der Versammlung reiner Knäblein
Sich der bärtige Lehrer schämen dürfte.
Ich besinge der Küss' harmlose Freuden,
Keuscher Priester des Chors der Aoniden.
Doch ihr schenkt mir nur darum freche Blicke,
Ihr Matronen und ihr gesammten Mägdlein,
Weil dem Dichter vielleicht in aller Unschuld
Ein priapisches Wörtlein mit entwischt ist.
Packt euch, packet euch fort, verwünschter Haufe,
Ihr Matronen und ihr verbuhlten Mägdlein!
Wie viel züchtiger du bist, o Neära!
Ein kombabisches Büchlein läßt du hingehn,
Ist kombabischer Art nur nicht dein Dichter.
 

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Übersicht

Gedicht aus: Die Küsse des Johannes Secundus
München Hyperion Verlag 1920
In der Übersetzung von Franz Passow [1786-1833]
(nach der Ausgabe Leipzig 1807)
(S. 37)
 


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