Rosa Mayreder (1858-1938) - Liebesgedichte

Rosa Mayreder

 

Rosa Mayreder
(1858-1938)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Allein und krank in dumpfer Stubenenge,
Indes der Frühlingstag vom Himmel blaut,
Begeb ich mich, der Phantasie vertraut,
Auf ihrem Flügel in das Weltgedränge.

Und wie ich Wirklichkeit und Traum vermenge,
Stets weiter fühl' ich mich hinweggelockt;
Der leichte Fluß der bunten Bilder stockt,
In Fernen schon verhallen jene Klänge.

Wo keine Zeit ist, fern von jedem Orte
In tiefer Einsamkeit erkenn' ich dich.
Sind's Blicke, sind's gehauchte Liebesworte?

Nicht Ohr vermag, nicht Aug' dich wahrzunehmen,
Als Wunsch umgibst du mich, unkörperlich
Und lebend doch, aus meinem Blut ein Schemen.
(S. 66)
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Liebesmut

Auf meine Hand laß deine Tränen fließen,
Auf diese Hand, die ich, im Innersten bewegt,
Vertrauend in die deinige gelegt,
Den wunderbarsten Liebesbund zu schließen.

Ob wir das Reich des Möglichen verließen,
Das frag ich nicht! Und wär es auch ein Wahn,
Der uns in solche Höhen führt – wohlan,
Laß uns der Seele schönsten Wahn genießen!

Ich will mich deines Wesens ganz bemeistern,
Mit Lachen und mit Tränen, Spiel und Ernst
Zu diesem Mut der Liebe dich begeistern;

Und über Erdgewalten, die uns binden,
Trägt uns, wie du's in dir entfalten lernst,
Empor vergöttlichendes Allempfinden.
(S. 50)
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Bei jenem Glück, das wir vereint genossen,
Ein Glück, das paradiesisch wunschlos war,
Als ich dich mir gewann und morgenklar
Der Neigung erste Strahlen dich umflossen -

Bei jenen Tränen, die du einst vergossen,
Beredte Zeugen einer heilgen Wahl,
Als sich vor deinem Blick zum ersten Mal
Die Tiefe meiner Liebe aufgeschlossen -

Laß uns, die dunklen Mächte abzuwehren,
Die aus dem Bann sich reißen, der sie hielt,
Das Werk des lichten Reiches zu verheeren -

Wie fromme Seelen weihen Opferkerzen,
Entzündet vor der Himmelsliebe Bild,
Laß uns als Opfer weihen unsre Herzen!
(S. 71)
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Beirrt vom kalten Geiste der Erfahrung,
Der mit des Zweifels Pein die Seele plagt,
Hab ich mir deine Nähe lang versagt,
Und nahm vor dir mein Auge in Verwahrung.

Aus deinem Anblick schöpft die Liebe Nahrung;
Ich sehe dich, der Glaube kehrt zurück,
Der alten Träume wonnevolles Glück:
Dein Angesicht ist ihre Offenbarung!

Die adelige Linie deiner Glieder,
Die rein vom Scheitel zu den Sohlen fließt,
Der sanfte Mund, das Auge, das die Lider

In nachdenklichem Sinnen leicht beschatten -
Sie preisen dich, wie du im Innern bist,
Wie meine Träume dich verkündigt hatten.
(S. 93)
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Das ist die Stunde, da ich seiner harrte,
Die Stunde der Erfüllung ach nicht mehr!
Jetzt meine Feindin, Zeugin jetzt, wie sehr
Betrogne Hoffnung eine Seele narrte.

Ich horche, ob die Eingangstür nicht knarrte,
Ob draußen sich kein Laut, kein Schritt verrät;
Mit jeder Fiber horche ich, es steht
Mein Atem still: ich warte, warte, warte.

Und immer nichts! O Marter ohne Ende!
Ein Tag geht wie der andre, fort und fort.
Und jeder hat für mich nur leere Hände,

Läßt mich erschöpft, verloren, unbeachtet
Wie einen Zweig, der abbricht und verdorrt,
Wie eine Pflanze, die im Staub verschmachtet.
(S. 75)
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Daß ich nur Freundschaft immer dir verheißen,
Als fromme Lüge mußt du es verzeihn.
Pflegt nicht der Himmel gnädig ihr zu sein,
Wenn sie entsprang aus redlichem Befleißen -?

Die Heilige dem Unglimpf zu entreißen,
Die Liebeswerk geheim vollbringen geht,
Ließ er die Gaben der Elisabeth
Im Korb zu Rosen werden, rot- und weißen.

Und es ereignen Wunder sich und Zeichen
Auch heute denen, die im Geist verstehn.
Wer ihm ergeben ist, wird es erreichen.

Daß sich das alte Wunder neu beweise;
Ein Gott gewährt dem gläubigen Erflehn
Noch heilge Rosen statt der irdschen Speise.
(S. 72)
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Der du verharrst in gramvoll düstrem Schweigen,
O möchten dir, wie schwer ich es ertrage,
Die Tränen künden, die als stumme Klage
Mir unaufhaltsam in das Auge steigen!

Mein Herz fühl' ich sich blutend zu dir neigen
In unnennbarem Mitleid, doch ich wage
Nach deinem tiefen Kummer keine Frage,
Noch meines Anteils Innigkeit zu zeigen.

Das ist kein Trost, der sich in Worte kleidet!
Es lehret mich dein Schmerz, der so ergreifend
In wehevoller Scheu den Ausdruck meidet,

Erhaben über Mitleid und Bedauern
Dem ew'gen Schweigen still entgegenreifend,
Mit dir zu schweigen und mit dir zu trauern.
(S. 18)
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Beruf

Die Liebe treibt mich, rastlos auszuspähen
Nach dem Verborgnen, das du in dir hegst;
Ich horche, wenn du kaum die Lippen regst,
Als könnt' ich, eh' du redest, dich verstehen.

Dein ganzes Leben möcht' ich rückwärts gehen,
Zueignend mir dein Dasein und Geschick,
Daß nichts unkenntlich bliebe meinem Blick,
Und mir gelänge, deinen Grund zu sehen.

Werd' ich verstehend erst dich voll umfassen,
Erfüll' ich liebeheiligen Beruf;
Durch mich sollst du dich selbst dir deuten lassen,

Dem Spiel des Lebens tiefen Sinn verleihen;
Denn wenn ein Gott mein Wesen planvoll schuf,
So war's, um es als Spiegel dir zu weihen.
(S. 53)
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Die unser Teil in Schicksalstagen waren,
Erlebnisse, die unser Los gebracht,
Was wir gelitten haben und gedacht,
Das ist ein Schatz, den wir zusammensparen.

Beschenke mich mit allem Wunderbaren,
Du kannst mir geben nichts, was mir gefällt,
Gibst du mir nicht geschenkt das Bild der Welt,
Wie du nach deiner Art es hast erfahren.

Und scheinen dir die letzten Liebesgaben
An mich verschwendet unbelohnt, so sprich -
Was immer du begehrst, du sollst es haben.

Muß ich wie er, der Labans Tochter freite,
Geduldig dienen sieben Jahr um dich:
Bedenk, wie lange ich mich schon bereite!
(S. 96)
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Die Zeit nicht länger tändelnd zu verschwenden,
Versuch ich es, vom Fleiß dazu gemahnt,
Der mühsam Wege der Erkenntnis bahnt,
Von dir mein Sinnen endlich abzuwenden.

Denn aufgespeichert hier in dicken Bänden
Ruht mir ein Schatz von Wissen mancherlei;
Ich wähle kurz, schon bin ich ganz dabei
Und greife zu mit lernbegiergen Händen.

Allein gleich trifft die emsigernst Bereite
Ein Wort, ein Nichts, das sich mit dir verknüpft;
Das bricht mit seinem klingenden Geleite

In meines Eifers Bannkreis ein gewaltsam,
Und durch die kleine Bresche wieder schlüpft
Zu dir mein ganzes Denken unaufhaltsam.
(S. 63)
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Wiedergeburt

Du duldest es nur immer widerstrebend,
Daß meinem Wunsche sich dein Herz enthüllt.
Ich harre dein, bis sich die Zeit erfüllt,
Und, ganz in ihrem Liebeswillen lebend,

Mir deine scheue Seele, nackt und bebend
Als stünde sie vor Gott, nichts mehr verwehrt,
Für sich als Eigentum nichts mehr begehrt,
Der Liebe all ihr Hab und Sein hingebend.

Dann lebst du neugeboren in den Reichen
Der Liebesgnade; über deinem Haupt
Wölbt sich das Zelt, gestirnt mit Himmelszeichen,

Du trägst das Band, die schimmernden Gewänder,
Und jenen Kranz, mit Gold und Grün umlaubt -
Geweihten Lebens wundertät'ge Pfänder.
(S. 55)
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Eh noch die holde Wärme ganz verglühte,
Ja, laß uns scheiden! Frei, aus eigner Wahl!
Nicht soll, verschüttet durch gemeine Qual,
Das Glück ersticken, das aus ihr erblühte.

So bleibst du mir in unverlorner Güte,
Es bleibt der Bund besiegelt, wie er war,
Geschenk des Schicksals, von mir untrennbar,
Das ich als Kleinod meiner Seele hüte.

Mein Freund, du hast in der Verblendung Tagen,
Da mich bedrohte tiefstes Menschenleid,
Gefahr und Not getreu mit mir getragen,

Den Blick in Lebensweiten mir entschleiert;
Und was ich je erleben mag, geweiht,
Durch Stunden ist's, die ich mit dir gefeiert.
(S. 117)


 

Ein grenzenloses Ineinanderweilen,
Getrennt, um eins zu sein, geteilt erst ganz,
So war für mich in eng verschlungnem Tanz
Der Nähe Glück ein Nehmen, Geben, Teilen.

Für dich war es nur ein Vorübereilen;
Du wußtest nicht, wie nah ich war – da schlug
Die Hand, die ich zu meinem Herzen trug,
Im Ungestüm die Wunden, die nicht heilen.

O bliebe mir zuletzt das Glück der Ferne!
Wie ein Erwachter, den der Gram bedrückt,
Hinwandelt einsam durch die Nacht der Sterne,

Nach ihnen, die in Weltenfernen kreisen,
Mit wunschlos schwermütiger Sehnsucht blickt,
Soll meine Seele Treue dir erweisen.
(S. 115)
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Erreichbar nicht mehr Wünschen, Klagen, Bitten,
Gingst du dahin – du hast den Weg vollbracht.
Und gleich dem Wanderer, der in die Nacht
Hinaushorcht nach verhallend fernen Schritten,

Eh' sie ins ewig Stille sind entglitten,
Denk ich dir nach in die Vergangenheit.
Blieb nichts von dir zurück aus jener Zeit,
Von Weh und Wonnen nichts, die wir erlitten?

In meinen Händen halt' ich eine Schale
Und hebe sie ans Licht, daß sie erglüht,
Ein Weihgeschenk aus farbigem Opale.

Das Blut der Schmerzen, ungesehn vergossen,
Der Tränen Glanz, in Lust und Qual versprüht,
Lebt unvergänglich in ihr eingeschlossen.
(S. 119)
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Erschwere nicht mit tausend Hindernissen
Die Frage, die auf meinen Lippen glüht!
Um Antwort dien' ich dir so heiß bemüht,
Als wär's ein einzig Heil mir, sie zu wissen.

Und läßt du länger noch sie mich vermissen,
Du lehrst mich, wie ich sie erkaufen muß;
Mit Liebesfinten, Schmeichelwort und Kuß,
In meinen Armen sei sie dir entrissen!

Verlornes Spiel! Dein Mund bleibt unentsiegelt,
Dein Herz für immer ein verschlossen Buch.
Es rächen, unbesonnen aufgewiegelt,

Verräterische Mächte mein Beginnen
Im Aufruhr wider mich – und kein Versuch
Hilft mir fortan, das Spiel zurückgewinnen.
(S. 97)
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Es frage niemand mich, warum ich täglich
Dieselbe Straße gehe vor dem Walle.
Könnt' ich gestehen, daß sie mir gefalle?
Das schiene glaubhaft nicht, erfunden kläglich.

Denn sicher ist es andern unerträglich,
Daß sie von einem steten Wagenschwalle,
Vom Lärm der Eisenbahnen widerhalle;
Was tut es? Mir gefällt sie doch unsäglich.

Zwei Fenster sind es, die so freundlich blinken,
Und jene Säulenreihe, jene Pforte,
Die mir verheißungsvoll entgegenwinken.

Vor ihnen zögr' ich hoffend und geduldig;
Nur fehlt es mir an einem Zauberworte,
Denn ach, sie bleiben die Erfüllung schuldig.
(S. 29)
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Es glänzt dein Aug in wunderbarer Helle!
Erfüllt von einem mystischen Entzücken
Such' ich geheimen Sinn in deinen Blicken
Wie in prophetisch dunkler Bibelstelle.

Sie scheinen die unüberschrittne Schwelle
Des Körperlichen leise zu verrücken,
In ein verhülltes Jenseits sich zu brücken
Zu aller Liebe ungekannter Quelle.

Doch kann ich Offenbarung nicht gewinnen;
Es wird, gemischt aus Lust halb und aus Grauen,
Der Zauber mächtiger als das Besinnen.

Und wie ich deine Blicke in mich sauge,
Fühl' ich in diesem weltvergessnen Schauen
Mein ganzes Wesen werden lauter Auge.
(S. 17)
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"Frönst du wie andre Frauen eitlem Hange,
Treibst du mit mir ein frevlerisches Spiel?
Du lockst mich an, wenn ich entfliehen will,
Du weichst zurück, wenn ich nach dir verlange.

O Weib, o Weiber! Auge, Lippe, Wange,
Der ganze holde Leib – ein Paradies,
Das Gott dem einfältigen Manne ließ,
Darinnen eure Seele wohnt als Schlange.

Zuweilen möcht' ich gläubig vor dir knien,
Dann wieder möcht' ich mit Gewalt, mit List
Dir endlich vom Gesicht die Maske ziehen.

In Haß und Liebe ist mein Herz zerrissen!
Ob du ein Engel oder Dämon bist,
Du rätselhaftes Weib, das will ich wissen!"
(S. 107)
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Gleich einer Pflanze ist dein Seelenleben,
Die sich zur Blüte niemals wird entfalten,
Wenn nicht vertraute Elemente walten,
Wenn Erde nicht und Sonne Nahrung geben.

So lenkt verschwiegner Glaube mein Bestreben,
In meinem Kreis dich innig festzuhalten,
Aus deiner Einsamkeit, der dunklen, kalten,
Zu Licht und Wärme dich emporzuheben.

Ich bin ein Teil von deiner eignen Seele;
Sie wird zu ihrer unbewölkten Klarheit
Gelangen nicht, solange ich ihr fehle.

Ihr Wesen ganz kann ich allein verstehen:
Willst du es sehn in seiner höchsten Wahrheit,
Mußt du's im Spiegel meiner Seele sehen.
(S. 30)
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Ich lieb' es, unverwandt dich anzuschauen;
Ein holdes Rätsel ist dein Angesicht,
Das unverständlich immer zu mir spricht,
Als sollt' es ein Geheimstes mir vertrauen.

Erobrerglück verkünden stolze Brauen,
Genoßne Gunst dein Mund, ein Rosenblatt
In goldner Schale, der so lächelnd satt
Der Küsse scheint, gereicht von andern Frauen.

In deinen Augen aber liegt von Trauer
Ein Widerschein, der ihren Glanz umflort,
Wie Himmelsblau, gesehn durch Regenschauer.

Das ist dein Innres, das blieb ungenommen!
Ein tiefes Unbewußtes dämmert dort,
Das nie berührt ward, ehe ich gekommen.
(S. 64)
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Verschmelzung

Ich weiß von Nehmen nicht und nicht von Schenken;
Wie in den Strom ein andrer sich ergießt,
Möcht ich von dir empfangen sein! du bist
Das Ziel, nach dem sich meine Schritte lenken,

Das Land, in das sich meine Wurzeln senken.
Du atmest, lebst, du hast dich mir gesellt,
Du bist bei mir – vollendet ist die Welt;
Beschlossen ruht in dir mein Sein und Denken.

Und alle Liebeskraft und Glut, besäße
Ich sie, wenn sie aus dir nicht überfließt?
In deiner Seele göttlichem Gefäße

Vermischet sich mit deinem Wesen meines;
Sie reicht mir, ein Pokal von Amethyst,
Mein Leben wieder als ein neues, reines.
(S. 58)


 

Ich weiß, du bist dir immer gleich geblieben,
Hast nicht für mich mehr als du kannst getan;
Auf jener Stufe hielt dein Wille an,
Die er von Anbeginn sich vorgeschrieben.

Doch ich, von Sehnsucht aus mir fortgetrieben,
Nach dir streckt' ich mich aus; mit will'ger Hand
Zerbrach ich, was mich an mich selber band,
Und schritt darüber weg, um dich zu lieben.

So fordert es der Liebe tiefstes Leben;
Sie muß empfangen können, was sie gab,
Und was sie will empfangen, muß sie geben.

Kommst du ihr nicht mit deinem Wunsch entgegen,
Du bleibst allein, als lägest du im Grab;
Es wird dein Innerstes sich nie bewegen.
(S. 112)
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Im kleinsten Raum, im unermeßnen hausend,
Aus Nichts gezeugt, zu Nichts verflüchtigt auch,
In ew'gem Wechsel ewig Eins, ein Hauch,
Und doch dem Sturmwind gleich die Welt durchsausend,

Ein Strom, vom Quell zum Meere rastlos brausend,
Aus Nacht zum Licht, vom Lichte in die Nacht,
Das ist das Leben. Und aus seiner Macht
Verjünget sich Jahrtausend um Jahrtausend.

Weh uns! Erkennest du, was in uns waltet,
Aus unsrem Blute wachsend sich entringt?
Gestalt erstrebt es, selbst noch ungestaltet,

Es hält sich herrisch fest, es will entstehen;
Und was so wild uns zueinander zwingt,
Sind seines Werdens ungestüme Wehen.
(S. 105)
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Im lichtbeglänzten Saal, der heiterprächtig
Zu Spiel und Tänzen Mann und Weib vereint,
Wie lieblich zeigt sich Eros dir! Er scheint
Ein sanfter Knabe, keines Arges mächtig.

Er ruft dich leis, du folgst ihm unbedächtig,
Auf leichtem Fittig gaukelnd lockt er fort.
Eh' du es merkst, verwandelt sich der Ort.
Das Licht erlischt, der Weg wird mitternächtig.

Aus jener lächelnden Gestalt entbindet
Dämonisch riesengroß sich ein Gespenst,
Das dich zu seinen Füßen niederwindet;

Es faßt nach dir, begierergrimmten Strebens,
Ein Schauder weht dich an – und du erkennst
Den unbarmherz'gen Schöpfer alles Lebens.
(S. 104)
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In deine Hände, diese milden Hände,
Verberg ich tiefbekümmert mein Gesicht.
Was mich erschüttern mag, o frage nicht,
Wenn ich so ratlos stumm zu dir mich wende,

Errat es nicht, durchschau es nicht, und sende
Für mich nur still zum Himmel ein Gebet;
Wenn deiner Liebe Inbrunst darum fleht,
Gewährt er dir, daß dieses Leiden ende.

Es legt ein Heiliger dem armen Kranken
Die gnadenvollen Hände liebreich auf,
Und mit der Kraft gesammelter Gedanken,

Stark durch die Liebe, mächtig durch den Willen,
Tut er sein Werk. Da hält in ihrem Lauf
Selbst die Natur, ein Wunder zu erfüllen.
(S. 69)
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Liebeswunder

In früher Jugend schon, als ich erwachte
Aus jenem lichten Traum, der Kindheit heißt,
Da haderte ich grollend mit dem Geist
Des Schöpfers, daß er mich zum Weibe machte.

Durch Fesseln so, in denen ich verschmachte,
Ward schmerzlich Seele mir und Leib entzweit
In unlösbarem Zwiespalt, dem die Zeit,
Die ich verlebte, keine Heilung brachte.

Und soll ich niemals die verhaßten Schranken,
Soll niemals überflügeln meinen Leib?
Nur einem Wunder könnt' ich es verdanken.

So laß ein Wunder denn für mich geschehen:
O liebe mich! Dann werden Mann und Weib
In einem Tausch der Seelen untergehen.
(S. 59)
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In meinem Sinne schätz ich nicht den hohen
Begriff der Frauen von den Idealen
Der Männlichkeit, wie sie den Mann uns malen,
Der zu befehlen liebt und zu bedrohen.

Ich hasse Augen, die begehrlich lohen,
Und Mienen, die von Selbstbewußtsein strahlen,
Gestalten, die mit ihrer Kraft noch prahlen,
Wenn längst die Grazien beleidigt flohen.

Sie sind des Erdendaseins niedre Formen;
Als jener Gott nach seinem Ebenbilde
Den Mann erschuf, da wählt' er andre Normen.

Mich ließ das Glück sein wahres Urbild kennen -
Den Mann voll heitrer Anmut, Hoheit, Milde,
Kennst du ihn nicht? Muß ich ihn dir erst nennen?
(S. 15)
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Ist er's, der durch die finstre Gasse schreitet?
Erkenn' ich ihn im Lichtkreis der Laterne?
Er geht vorbei; ich folgte ihm so gerne,
Daß ihn mein Wunsch auf seinem Weg begleitet.

Die Stadt hin, die sich unabsehbar weitet,
Verfolg' ich ihn bis in sein Heim, das ferne,
Daß ich die Einsamkeit ermessen lerne,
Die ihren dunklen Fittich um ihn breitet.

Da ruf ich euch, ihr stillgeschäft'gen Geister,
Ihr Ahnungen mit euren leichten Schwingen;
Euch ist es nicht verwehrt, zu ihm zu dringen.

Erhebet euch und nahet euch ihm dreister,
Gestehet ihm in eurer zarten Weise,
Daß mein Gedanke liebend ihn umkreise.
(S. 28)
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Fülle der Liebe

Ist es ein Leid, das mir im Herzen blutet,
Ist es ein Übermaß der Seligkeit?
Verschmolzen so in Eines Lust und Leid,
Ein Name nennt es nicht, was mich durchglutet.

Aus deiner Seele in die meine flutet
Ein Strom von Feuer, lösend wunderbar,
Was schwer in mir und unbeweglich war:
Zu neuem Dasein bin ich angemutet.

Es ist ein Hauch von jenem ew'gen Leben,
Das aus der Brust des Weltenschöpfers floß,
Als er dem Staub Empfindung wollte geben,

Das sich als ein beseligendes Werde
Erweckend in die starre Form ergoß
Und zum Gefäße Gottes schuf die Erde.
(S. 52)
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Gemeinsamkeit

Könnt' es geschehn, daß Liebe Lieb' verletze,
So wär's, nennst du den Geber stets nur mich,
Der dich beschenkt, und den Empfänger dich.
Denn nach der Liebe seligem Gesetze

Vertauschen immerfort wir Amt und Plätze.
Willst du nicht nehmen, was ich geben muß,
Dann bin ich arm in meinem Überfluß,
Und nichtig meines Lebens größte Schätze.

Zum Reichtum vielgestalter Harmonien
Sind unsre Seelen übereingestimmt;
So wie du mir, so bin ich dir verliehen,

Wir sind der Liebe Harfenspiel geworden.
Beglückt, wer von uns Beiden gibt, wer nimmt:
Vereint nur werden Töne zu Akkorden.
(S. 57)
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Laß in Betrachtung so mich still versinken,
So Hand in Hand, von Abschiedsweh erfüllt.
Sprich nicht! Das Herz, das sich in Schweigen hüllt,
Darf dann noch einmal deine Nähe trinken.

Ich sehe andre Tage trüb erblinken,
Die Wellen auf dem Strom, der abwärts fließt,
In blumenlose Lande sich ergießt,
Wo keine Kränze mehr der Liebe winken.

An deine Ufer führte mich die Welle,
Ein Fremdling dir, du wußtest nicht woher.
Nun treibt sie mich von der geliebten Stelle,

Nach kältren Meeren wieder fortzuschiffen;
Noch bin ich nah – und bin es doch nicht mehr,
Die Strömung hat mich trennend schon ergriffen.
(S. 114)
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Mein Freund, du hast unzählige Gestalten;
Ein Proteus, unerschöpflich wandelbar,
Erscheinst du mir, und staunend nehm ich wahr,
Wie viele Formen sich an dir entfalten.

Bald zeigst du dich bedächtig wie die Alten,
In unversiegter Jünglingsfrische dann,
Bald bist du weiblich mild, bald stolzer Mann,
Erwärmst dich jetzt, um wieder zu erkalten.

Und tiefer Ernst und Übermut des Scherzens
Und jede Regung, der du untertan,
Verkündiget den Adel deines Herzens;

Denn was in allem Wechsel sich bewahret,
Es ist der Anmut göttliches Arkan,
Das schönen Seelen nur sich offenbaret.
(S. 65)
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"Mein Kind!" Holdseligster der Liebesnamen,
Der in dem Buche unsres Lebens steht!
Er spricht der Liebe, die wie ein Gebet
Für dich aus meiner Seele dringt, das Amen.

Wie sie von deinen Lippen bebend kamen
So schlicht und innig tief, zwei Worte nur,
So werden sie gebenedeit ein Schwur,
Den gute Götter hilfsbereit vernahmen.

Sie können jetzt nicht treulos uns verlassen,
Die uns zuerst beseelt mit Himmelskraft;
In ihre Arme werden sie uns fassen,

Und uns auch als Erwählte ihrer Gnade
Aus dem bewegten Meer der Leidenschaft
Emporziehn an ein rettendes Gestade.
(S. 70)
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Mit dir die Stunden traut hinwegzulachen,
Die stets erfüllten, was sie uns verhießen,
Die Lotosfrucht des Glückes zu genießen,
Die wir im Garten froher Muße brachen -

Das war ein Traum. Und müssen wir erwachen,
Wir wollen uns mit gutem Mut entschließen.
Das Leben ruft; es darf uns nicht verdrießen,
Wenn sich das tägliche will geltend machen.

Soll denn ein zartes Glück darin verderben?
Wenn es der Zufall gab, so mag es enden,
Bewähre sich, was wir uns selbst erwerben!

Getrost, mein Freund! erfasse nur dein Leben,
Dein Glück mit reinem Sinn, mit starken Händen,
Und neugestaltet wird es sich erheben.
(S. 31)
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Mit Tränen hab ich lange nachgesonnen -
Was war es, sag, das zwischen uns geschah?
Hielt ich dich nicht, warst du mir denn nicht nah?
Hatt ich mir nicht zu eigen dich gewonnen?

O Traum der Seele, allzu rasch zerronnen!
Ich glaubte ganz in dich verwebt zu sein,
Wie du in mich. Und sieh, ich war allein
In meiner Liebe Wahnsinn eingesponnen.

Du kamst vorbei; mit deines Wesens Blüte
Halb unbewußt hast du mein Herz berührt,
Da sprang es auf, frohlockte, jauchzte, sprühte,

Geblendet von den eignen Farbenspielen.
Dich aber hat es nicht zu sich verführt;
Stumm gingst du fort nach vorbestimmten Zielen.
(S. 113)
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Nachtwandelnd durch die dunkle Welt der Dinge
Bin ich verdammt, am Abgrund hinzugehn;
Das Licht, das wecken kann, darf ich nicht sehn,
Nicht lauschen, ob ein Ruf von aussen klinge.

Ach unerlösbar in dem Mauerringe
Des eignen Ichs verzaubert festgebannt,
Streckt ich, vergessen des Geschicks, die Hand
Verlangend aus nach dem, der zu mir dringe.

In meinen Träumen – horch! Ein süßes Locken,
Ein Liebeston! Ich schlug die Augen auf.
Da brauset es um mich wie Morgenglocken,

Vom Himmel fällt's wie Sonnenfeuerregen,
Ein Bild, ein Gott steigt aus der Glut herauf -
Und todtbereit stürz ich mich ihm entgegen.
(S. 79)
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Nie werde ich Erfüllung dir bereiten!
Der Fremdling, der an meinen Schritten hängt,
Er ist's, der zwischen dich und mich sich drängt,
Gespenstisch gegenwärtig allezeiten.

Vermöcht es doch dein Kuß, mich wegzuleiten!
Von solcher Überredung gern besiegt,
Zu weltvergessnen Träumen eingewiegt,
Versänke ich mit dir in Seligkeiten.

Durch meine Wonneschauer aber zittert -
Hörst du es nicht? – ein ewiges Warum.
Aus deinen Armen wend' ich mich erschüttert,

Zerrissen fühl' ich die geliebten Bande:
Der Fremdling starrt mich an, der kalt und stumm
Hinausweist in die grauen Nebellande.
(S. 106)
_____

 

Nun will ein Zweifel immer wiederkehren,
Mit bittrem Argwohn mir das Herz umnachten:
Wenn jene Blicke, die mich glücklich machten,
Weil sie mir heilig schienen, Lügen wären -?

Wenn ihre Huldigung, statt mich zu ehren,
Mißbrauchte Sprache war, der Unbedachten,
Die sich nicht scheute, ihnen nachzutrachten,
Verhehlter Wünsche Heimlichkeit zu lehren -?

O leuchtet mir, ihr Sternenaugen, wieder,
Daß sich in eurem klaren Himmelslichte
Des Zweifels unheilvolle Macht vernichte!

Ihn scheucht hinweg ein Winken eurer Lider
Wie düstern Nebel, der in nichts zerfließet,
Wenn sich auf ihn der Sonne Glanz ergießet.
(S. 24)
_____

 

Liebesblick

Ob Jugend noch in braungelockten Haaren,
Auf deiner Stirne weilt, ob sie schon flieht -
Sprich nicht von Abstand, nicht von Unterschied,
Weil du mir überlegen bist an Jahren.

An unsren Herzen magst du es erfahren:
Ein wesenloser Schleier ist die Zeit,
Die Ewiges uns hüllt in Endlichkeit,
Daß wir's mit Augen können nicht gewahren.

Den Schein, der alles Sinnliche umkleidet,
Durchdringt die Liebe, und die Hülle fällt,
Die mich von deinem wahren Wesen scheidet.

Ich sehe es, wie es ein Gott erdachte,
Eh du Erscheinung wurdest in der Welt,
Als schaffend er dein reines Urbild machte.
(S. 54)
_____

 

Schilt nicht ein rätselhaftes mein Betragen!
Das Unaussprechliche, das mich erfüllt,
In schützendes Verbergen eingehüllt,
Kann sich's nicht an die Oberfläche wagen.

Bald möcht ich jauchzen, bald möcht ich verzagen -
Ein Flammenelement dringt in mich ein,
Entfacht mit wechselvollem Flackerschein
Die Wunder, die in meinem Herzen tagen.

Wie Blumen sind sie, in entfernten Zonen
Dem heißren Sonnenlicht geboren, die
Der rauhe Hauch des Nordens muß verschonen.

Was ich nicht dir, nicht mir darf eingestehen,
Magst du im Sonnenlicht der Poesie
Enthüllt in blühender Entfaltung sehen.
(S. 68)
_____

 

So müssen Stolz und Liebe sich bekriegen?
Ist Stolz der Hüter, der das Schloß bewacht
Der Seele vor der Liebe Übermacht?
Wär es nicht rühmlich dann, zu unterliegen?

Und schwächer stets nach schwer errungnen Siegen
Seh' ich unschlüssig bang dem Kampfe zu.
Nicht länger herrscht mein Ich, nun herrschest du;
Ein neuer König hat den Thron bestiegen.

Ich rufe alle Feinde zu den Waffen,
Stolz, Eigenwillen, Zweifel, klugen Rat,
Um mich zum Sieg noch einmal aufzuraffen;

Da trifft mich tief dein Blick, scheint mich zu fragen,
Warum mein Herz sich dir verschlossen hat -
Und meine Heerschar ist aufs Haupt geschlagen.
(S. 98)
_____

 

So tröst' ich mich mit alter Märchen Kunde,
Die weltentrückt ein schönes Herz ersann;
Indes erweitert sich der Liebesbann,
Der mich bestrickt, zur unheilbaren Wunde.

Und schaudernd seh ich kommen schon die Stunde,
Die mir den Freund auf immerdar verliert,
Wenn erst der Fluch der frommen Lüge wird
Vollzogen sein an unserm Freundschaftsbunde.

Gelingen mag es uns wohl eine Strecke,
Zu täuschen jene finstre Allgewalt,
Die uns tyrannisch opfert ihrem Zwecke;

Erbarmen aber ist nicht ihre Weise,
Und sie verwandelt unerbittlich bald
Die heilgen Rosen uns in irdsche Speise.
(S. 73)
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Und so geschieht mit uns, was unabwendlich,
Wo Mann und Weib erwachen, sich begibt,
Der Täuschung Spiel, die das Geschlecht verübt,
Im Anfang töricht und am Schlusse schändlich.

Du hast schon oft geliebt – erkenn es endlich,
Der Mann, das Weib, sie sind einander feind;
Ob Körper auch dem Körper sich vereint,
Sie bleiben doch einander unverständlich.

Nur ein Mysterium kann sie verbünden,
Das sie erlöst aus des Geschlechtes Bann:
Es muß ein heil'ges Feuer sich entzünden,

Und wenn, den Opferflammen hingegeben,
Geschmolzen ist darin so Weib als Mann,
Dann mag ein neues Wesen sich erheben.
(S. 111)
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Verbergen kann ich länger nicht mein Elend,
Es spricht beredt aus allem, was ich treibe.
Ich seufze, blicke auf des Mondes Scheibe,
An ihrem Rund der Trennung Länge zählend;

Sodann, verständigere Mittel wählend,
Wend' ich mich dem Ersehnten zu und schreibe -
Doch gleich auch fordern, daß es unterbleibe,
Bescheidenheit und Klugheit ernst befehlend.

So ohne Ruhe hin und her getrieben
Von Hoffnung zu verzweiflungsvollem Wanken,
Verzehr' ich mich in unfruchtbarem Schwanken,

Und nichts von allem Glück ist mir geblieben.
Wenn er beharrlich strebt, sich zu versagen,
Muß ich die Not der Sehnsucht schweigend tragen.
(S. 26)
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Vermöcht ich doch, dir alles zu erzählen,
Was tief im Grund mein Innerstes enthält!
Daß du mich kenntest wahr und unverstellt,
Nicht Schuld und Fehde würd' ich dir erzählen.

Nur weiß ich nicht zu dir den Weg zu wählen;
Stehst du vor mir, so klingt die Sprache fremd,
Das Wort versagt, es ist der Schritt gehemmt;
Die Brücke scheint mir zwischen uns zu fehlen.

Und dennoch kann ich mich dir nicht verschließen!
Es schwillt die Flut im Herzen mächtig an,
Sich als ein Strom von Versen zu ergießen.

O glaube ihnen! Treu mir selbst geblieben,
Hab' ich erfindend nichts hinzugetan;
Mit meinem Blut ist jedes Wort geschrieben.
(S. 95)
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Von dunklen Künsten hört ich viel berichten,
Von mächtgen Wollens unerforschter Kraft,
Die, losgebunden von des Körpers Haft,
In Ahnungen sich äußert und Gesichten.

Könnt' ich zu meinem Dienste sie verpflichten?
Nie wurde heißre Sehnsucht ausgesandt,
Als ich nach seiner Gegenwart empfand -
Nun denn, so mag ihr Wunder sich verrichten …

Ach, keine Wirkung übte sie ins Weite!
Sie führte ihn, den ich so sehr begehrt,
Aus seiner Ferne mir nicht an die Seite.

Doch ist vielleicht die Qual in meinem Herzen,
Die brennend mich und unstillbar verzehrt,
Ein magisch Echo seiner eignen Schmerzen.
(S. 67)
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Warum ach kann ich nicht zu dir gelangen!
Wie nah du bist, es führt kein Weg zu dir,
Wie nah du bist, du bist doch fern von mir,
Ich halte dich und hab dich nicht umfangen.

Was meine Sinne je von dir errangen,
Das ist ein Teil von dir, das bist nicht du,
Nicht deine Seele neigte sich mir zu,
Wenn meine Arme sehnlich dich umschlangen.

Dem Leibe fluchend, der feindselig trennend
Sich zwischen uns erhebt, verfolg' ich sie,
Demütig flehend bald und bald entbrennend -

Und auf der Schwelle seh' ich sie entweichen,
Die ewig Unzugängliche, und nie
Wird sie mir ihre Hand zum Bunde reichen.
(S. 110)
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Warum verfolgst du mich mit deinen Blicken
Und ängstigst mich mit ihrem stummen Flehn?
Ich fürchte mich, dich wieder anzusehn,
In ihren Bann mich tiefer zu verstricken.

Schon ward es Zeit für mich, dich wegzuschicken;
Es ist spät in der Nacht, gehst du nicht fort?
Es ist so still – versiegt Gespräch und Wort -
Es ist so dumpf – die Luft will mich ersticken.

Und still und immer stiller! Ohne Regung
Verharrt er neben mir und lebt nur mehr
Durch seiner Brust hochatmende Bewegung.

Vor meinen Augen seh ich Funken steigen,
Es lagert Dunkelheit sich um mich her -
Mein Gott! Was soll dies fürchterliche Schweigen?
(S. 74)
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Was schwärmerische Wünsche uns verkünden,
Es war ein Wahn weltflüchtiger Propheten,
Daß nicht vergebens sehnlich wir erflehten,
Einst zu erwachen ohne Leib und Sünden,

Daß unser Geist, die Liebe zu ergründen,
Geläutert wird ins Reich der Wahrheit treten,
Unsterblich einst auf schöneren Planeten
Verwandte Wesen sich in eins verbünden.

Es war ein Wahn! Die mir zurück ihn riefen,
Den ich vergessen schon seit Jugendzeiten,
Das waren deiner Augen blaue Tiefen,

Dein feuchter Blick, der wie aus Himmelsfernen,
Aus ungekannt geheimnisvollen Weiten
Mir eine Botschaft schien von jenen Sternen.
(S. 21)
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Wenn deine Hände sich um meine legen,
Nimmst du zu eigen mich in solche Haft,
Daß meines ganzen Lebens Halt und Kraft
Entschläft in diesem zärtlichen Umhegen.

Von innen aber zückt ein neu Bewegen;
Erglommen heiß in der Berührung Rausch,
Fühl ich zu ungemeßnem Liebestausch
Des Blutes Welle fluten dir entgegen.

O Hände voll der Gaben, mir so teuer,
Der Lust geheimstes Wunder tut ihr kund!
Es fließt von euch zu mir ein magisch Feuer,

Verschmelzend ungekannte Elemente,
Die lebend werden erst durch ihren Bund
Und tot sind, wenn sich eins vom andern trennte.
(S. 99)
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Wenn durch mein dunkles Innere die wilde,
Ingrimmig tobende Verzweiflung braust,
Zertrümmernd blindlings mit geballter Faust
Des Glaubens leichtumhegte Traumgebilde,

Da fällt dein Blick mit seiner tiefen Milde,
Dein sanftes Wort so licht in meine Qual
Als nach dem Sturm der Sonne erster Strahl
Auf die gewitterdüsteren Gefilde.

Und wie des neuen Glückes Regenbogen
Sich leuchtend über meinen Tränen spannt,
Kommt auch die alte Götterschar gezogen,

Und aus den Trümmern neuerstanden schimmert
Entgegen ihr das Schloß am Himmelsrand,
Das meine Liebe in die Wolken zimmert.
(S. 90)
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Frühlingsstimmung

Wenn Frühlingswärme mit dem linden Weste,
Der kosend um erwachte Knospen webt,
Die Brust der jungen Erde schwellend hebt,
Verschwenderisch, als reichbeschenkte Gäste,

Lädt sie uns ein zu ihrem Liebesfeste.
Und gläubig öffnet sich, an Hoffnung reich,
Die Seele, dem erblühten Baume gleich,
Der rosig streckt zum Himmel seine Äste.

Dir gilt mein Liebesfest! Du bist die Sonne,
Ein Baum bin ich, der ganz in Knospen glüht
Und überschwillt in des Erblühens Wonne,

Um in der Liebe Licht sich einzutauchen,
Das lebensspendend dir im Auge sprüht,
Wenn Deine Lippen Frühlingswärme hauchen.
(S. 56)
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Wie einen Vorwurf fühl' ich deine Klage,
Daß freudenlos und karg das Leben sei,
Das du vollbringst, ein traurig Einerlei
Von dumpfer Ruhe und erneuter Plage.

Und wieder stell ich mir die bange Frage,
Was ich mit meiner Liebe geben kann;
Und Leid und Lust, die ich dir angetan,
Leg ich noch einmal prüfend auf die Wage.

Doch wägend bin ich Ärmste schon betrogen;
Das Leid ist schwer, das Glück ist federleicht:
Wie wird da nach Gerechtigkeit gewogen?

Nicht wäge denn, was kostbar ist und selten,
Den Augenblick des Glücks, der Perlen gleicht -
Die herrlichsten, mein Freund, sind die gezählten.
(S. 94)
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Willst du erlöschen, Flamme, die du Beiden
Ein Reich der Träume vorgezaubert hast?
Die Träume schwinden hin, das Bild verblaßt,
Das sie in königlichen Purpur kleiden.

Das Bild und ihn – nun lern ich unterscheiden!
Der Purpurmantel fällt, ein fremder Mann
Sieht mich aus der zerrißnen Hülle an,
Und was er zu mir spricht und tut, ist Leiden.

Den wunderbaren Freund der ersten Tage,
O Schicksal, daß ich ihn verlieren soll!
Muß es geschehen, daß ich ihm entsage?

Ich stehe noch, die Hände ausgebreitet
Nach dem betörend herrlichen Idol -
Und fühle weinend, wie es mir entgleitet.
(S. 116)
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Gastfreundschaft

Wir leben beide in verschiednen Welten;
Beschaulich meine, stillem Garten gleich,
Die deine lärmend und gefahrenreich,
Ein Markt, umtobt von Feilschen, Drohen, Schelten,

Wo alle ränkevollen Künste gelten.
Dort seh ich dich gewandt und siegreich stehn,
Doch scheinst du gerne nicht den Weg zu gehn,
Auf den dich früh des Lebens Mächte stellten.

Deshalb aus dem banausischen Gewühle
Entflieh zu mir, tritt in das andre Reich
Zur abendlichen Rast nach Mittagsschwüle.

Im Dufte seiner Blumen liegt der Garten,
Die Quelle rieselt in den Silberteich -
Hier sei mein Gast, hier will ich dich erwarten.
(S. 35)
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Zu mächtig hast du mich an dich gezogen!
Laß denn, was meine Liebe will, mich tun,
In trunken tiefer Stille laß mich ruhn,
Den Arm an deine Schulter hingebogen,

Und lauschen, wie in leichtbewegten Wogen
Dein Atem leise auf und nieder schwillt;
Das Leben, das aus deinem Busen quillt,
Ich habe es von dir in mich gesogen.

Du unergründliches Geheimnis, Leben!
Ich fasse, halte dich, ich fühle dich
In meinen Händen glühen und erbeben,

Du strömst mit süßem Schauer auf mich nieder,
Und reicher, voller als du warst, geb ich
Aus mir erhöht dem Gebenden dich wieder.
(S. 100)
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Zur Warnung klinge mir ein ernstes Carmen:
Du atmest lustbetäubt verbotne Düfte,
Erinnerung umschlingst du, wie die Hüfte
Der Braut ein Liebender, mit glüh'nden Armen.

Doch wird sie nie an deiner Brust erwarmen;
Wenn ich dir ihren Zauberschleier lüfte,
Erkennst du sie als ein Geschöpf der Grüfte
Und wehrst sie ab mit schauderndem Erbarmen.

Die schöne Leiche der Erinnerungen
Beschwöre sie nicht, aus dem Grab zu tauchen!
Man weiht den Toten stille Huldigungen,

Doch strebt man nicht, sie wieder zu beseelen,
Mit Küssen Leben ihnen einzuhauchen,
Um sich noch einmal ihnen zu vermählen.
(S. 27)
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Zwiespältig Herz, du liebeirres, wähne
Nicht länger eigensinnig, daß dein Los
Mit ihm beschlossen sei! Die Welt ist groß;
Sie birgt noch tausend Hoffnungen und Pläne.

Ach, alle Hoffnungen für diese Träne,
Für diesen Liebesgram geb' ich sie hin,
Will wissen nur, daß ich nicht glücklich bin,
Ist er mir fern, daß ich nach ihm mich sehne.

Denn wie ein Kranker, der nach Leben lechzet
Und nicht nach der verheißnen Seligkeit,
Wenn er auch lebend unter Schmerzen ächzet,

So dürst' ich nach der Liebe Vollempfindung,
Und Liebe will ich ohne Maß, bereit
Zu ihrer schwersten Leiden Überwindung.
(S. 89)
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Alle Gedichte aus: Rosa Mayreder Zwischen Himmel und Erde Sonette Verlegt bei Eugen Diederichs Jena 1908

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Mayreder

 

 

 


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