Erich von Mendelssohn
(1887-1913)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Über den Wolken
— Du wandertest weit —
— Ich kam zu dir —
— Was zog dich her? —
— Der Goldreif an deiner Stirn,
Dein leuchtend weißes Gewand —
— Du liegst mir zu Füßen —
— O Herrin du —
— So sei denn mein. —
(S. 4)
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Tiefblaue Schatten
Die schwere Mittagshitze. Bunte Schlangen ringen
Sich träg empor an ungeheuren Bäumen,
Auf deren Ästen große Vögel träumen
Von hohem Flug; es schüttern ihre Schwingen.
Von einem dunkeln Stamm zum andern schlingen
Lianen sich; und aus des Urwalds Räumen
Tritt jetzt ein scheuer Hirsch, vom muntern Schäumen
Des Baches sich Erfrischung heimzubringen.
Ein Mann und dort ein Weib. In Strähnen fällt
Ihr Haar am nackten Leib herab. Sie hält
An einem Ast sich, bebend, denn noch nie
Hat sie ihm Gleichendes im Wald gesehn.
Gebannt von solcher Schönheit bleibt er stehn,
Er senkt den Jagdspieß, und dann lächelt sie —
(S. 13)
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So laß mich einmal deine Hand noch küssen,
Die nichts von Arbeit und Entsagung weiß.
Du Schöne! Meine Lippen küssen heiß!
Wie lange hab ich dich entbehren müssen.
Dich lieb ich nicht, du unerreichbar Hohe,
Ich wag es nicht. Scheu blick ich zu dir auf.
Laß dieser reinen Ehrfurcht ihren Lauf —
Dein Lächeln liebe ich, du Ewig-Frohe.
Von Reichtum, Glück bist du der Widerschein.
O möge nichts dir dies, du Stolze, trüben:
Der Augen Licht, wie Perlenglanz so rein.
Und deine weiße Hand war einmal mein,
Sie dürft ich küssen, ihre Blässe lieben
Und mit dem Kuß dir meine Jugend weihn.
(S. 18)
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Halbdunkel ist der Raum. Wir zwei allein.
Du stehst am hohen Fenster, und im Arm
Liegt dir die Geige. Klar und warm
Erklingt ihr Ton. Jetzt endlich bist du mein.
Die letzten Seidenschleier fallen nieder:
In deiner keuschen Seele letzten Falten
Seh ich das wundersame Leben walten.
O bleibe so, und ich gehör dir wieder.
Du setzt die Geige ab, ein weicher Zug,
Ein seltsam Lächeln wagt sich scheu hervor,
Ein Neigen deines Hauptes sagt genug.
Du liegst zu meinen Füßen, und der Duft
Aus deinen blonden Locken steigt empor.
Ein selig Schweigen senkt sich durch die Luft.
(S. 20)
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Der vergessene Liebhaber
Die hohe Frau geht langsam zu der Treppe
Und steigt die breiten Stufen sinnend nieder,
Die Rechte spielt mit einem Strauß von Flieder,
Die Linke, mit dem Goldreif, hält die Schleppe.
Dort unten, wo aus Fels besetzt mit Eppich,
Das Wasser in das Marmorbecken fließt,
In dem die Fürstin gern das Bad genießt,
Verbirgt im dichten Laub der Jüngling sich.
Er hatte ihre Locken einst entbunden,
Mit Ranken ihren weißen Leib umwunden,
Jetzt kam er her, sie einmal noch zu sehn.
Sie hebt den Blick nicht auf im Weiterschreiten,
Doch läßt die Hand den Strauß zur Erde gleiten,
Er nimmt ihn auf und wendet sich zum Gehn. —
(S. 24)
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Im Traume wandte sich mein Geist zurück,
Er sah und faßte tief, was längst vergangen,
Und alte Bilder, alte Worte klangen
Geheimnisvoll von längst versunknem Glück.
Dies schaute ich: ein weites Trümmerfeld
In einer klaren, reinen Winternacht,
Und über uns der Sterne Silberpracht
Mild lächelnd dieser wirren Klippenwelt.
An deiner Seite ging ich schweigend hin,
Dann blieb ich stehn und küßte dir dein Haar,
Dein stiller Zauber freute meinen Sinn.
Versunken ist die Zeit und jenes Land —
Ich weiß nicht, wo und wann es war,
Als wir so lange gingen Hand in Hand.
(S. 27)
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Ein Wintertag
Sie gingen auf der weiten Straße hin,
Der junge Schnee lag flimmernd auf den Feldern.
Die Stadt versank jetzt hinter flachen Hügeln,
In klaren Farben lagen fern die Berge.
Sie gingen langsam, ihre Blicke folgten
Den braunen Spuren eines fremden Wagens.
Sie lächelten, wenn in der Wahl des Weges
Des Einen Wunsch sich dem des Andern fügte.
Die Sonne sank; sie standen in dem Winde,
Der scharf und kalt um ihre Wangen wehte.
Hochaufgerichtet sah sie klaren Auges,
Wie glühend Gold die weiten Flächen leuchten.
In ihrem leicht gewellten braunen Haar
Sah er die letzten Sonnenstrahlen spielen.
Er küßte schweigend ihre schmale Hand.
(S. 28)
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Ein zartes Wesen neigt mit holder Gabe
Von blauen Blumen sich zum Jüngling nieder,
Im Traume öffnet er die schweren Lider,
Genießt entzückt des schönen Anblicks Labe.
"Nimm diesen Strauß", so spricht der feine Knabe,
"Bei seinem Anblick forme schöne Lieder,
Verschmähst du ihn, so kehr ich niemals wieder,
Ein kurzer Weg führt mich zu meinem Grabe."
"Ich will dein Bild in meine Verse weben,
Und so dich an mich fesseln, süßes Kind,
Erwecken sollst du mich zu neuem Leben."
"Wenn du die Blüten fassest, kommt ein Wind,
Der heißt den Duft aus allen Kelchen schweben,
Kein Suchen kann ihn je dir wiedergeben. —"
(S. 31)
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Tanz
So laß mich ewig, ewig weiterschweben,
In deinem Arme fühl ich mich geborgen.
Umrauscht, betäubt von wildem, heißem Leben
Versinken in den Staub die schweren Sorgen.
Nur diese Nacht noch, die so schwer und schwül!
Fern zucken Blitze, und der Donner grollt.
O schlüge doch der Strahl in dies Gewühl,
Daß Dach und Pfeiler krachend niederrollt.
Wenn morgen dann die bleiche Sonne scheint,
Wird sie an deine Brust geschmiegt mich finden.
Im starren Tode selbst sind wir vereint,
Das wirre Haar geschmückt mit Blumenwinden.
(S. 42)
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Du schmiegst dich müde in die weichen Kissen,
Ich scheuch den Schlaf, betrachte immer wieder
Die weiße Brust und die geschloßnen Lider,
Vertraute Züge muß ich da vermissen.
Du bist mir - Mädchen - plötzlich ganz entrissen,
Es bricht ein Schein durch deine zarten Glieder,
Ich sinke betend auf die Knie nieder
Und nie Geahntes glaube ich zu wissen:
Des Weibes Urform strahlt im fahlen Licht,
Das flimmernd jetzt aus deinem Körper dringt,
Und mich betäuben zeitenlose Träume.
Da schließen sich die unermeßnen Räume,
Der Ewigkeiten schwerer Ton verklingt.
Und wieder schaue ich dein Angesicht.
(S. 43)
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So gingen ihre Wege nun zusammen,
Sie scheuten nicht der langen Straße Wirren,
Nun doch vereint nach solch verschlungnem Irren,
Nach Träumen und nach wilder Liebe Flammen.
So ganz allein! Der Schrei der lauten Menge
Ist hier verstummt, ein fernes Rauschen dringt
Zu ihrem Ohr; das Meer, das kämpft und ringt
Mit hartem Fels, jauchzt seine Sturmgesänge.
Nun scheint der Mond, sie kommen an den Strand,
Und ruhen aus im milden Zauberlichte,
Wie Kinder, fröhlich lächelnd, Hand in Hand.
"Wir sind am Ziele", sprach die Frau, "nun richte
Das Haus mir auf auf dieser heilgen Erde,
Wo ich empfangen und gebären werde."
(S. 47)
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War alles nur ein Traum?
Was auf verborgnen Wegen,
Auf sanft verhüllten Stegen,
Dem Wandrer trat entgegen,
War alles nur ein Traum?
War alles nur ein Traum?
So buntbewegtes Leben,
Das Glück und Schmerz gegeben,
Und soviel hohes Streben,
War alles nur ein Traum?
War alles nur ein Traum?
Auch jene heißen Küsse,
Verschwiegner Nacht Genüsse,
Der ersten Liebe Süße,
War alles nur ein Traum?
(S. 48)
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Was hab ich dir getan? Aus dunklen Fluten
Taucht jäh dein Haupt empor, gespenstig bleich.
Mahnst du an Zeiten, wilder Freuden reich?
Vergeblich locken deiner Augen Gluten.
Ich seh, daß deine weißen Füße bluten,
Für solchen harten Kies sind sie zu weich.
Sink unter in dem mondbeglänzten Teich,
Auf dessen Grunde deine Glieder ruhten.
Denn ich bin nicht mehr dein. Die große Macht,
Die mit uns spielend uns zusammenführte
Zu jener einen, ewig-trunknen Nacht —
Sie riß dich fort von mir. Ich blieb zurück,
Kein Flehen, keine heiße Träne rührte
Sie jemals noch. Fahr hin wie jenes Glück!
(S. 61)
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Jetzt schließt du wieder zu die goldne Pforte
Und läßt mich ganz allein in meinem Gram.
Ja, du entwichst mir immer, wenn ich kam.
Du gibst ein Lächeln, rätselhafte Worte —
Und ich besuche die vertrauten Orte,
In meiner Seele brennt die wilde Scham
War wirklich es zuviel, was ich mir nahm,
Griff ich zu hastig nach dem reichen Horte?
Laß mich nicht immer bittend draußen stehn,
Erhöre eines armen Pilgers Flehn,
Der durch so weite Länder ziehen mußte
Und nirgendwo sich anzusiedeln wußte.
Soll wieder ich den Wanderstab ergreifen,
Darf niemals eine schwere Flucht mir reifen?
(S. 62)
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Taglied
Du gabst mir deiner Jugend lichte Blüte,
Und wie des weißen Leibes reine Zier,
So galten Lächeln, Tränen einzig mir;
Du gabst dich ganz in Schweigen und in Güte.
Daß ich in meinen Armen dich behüte,
Kamst du, und treuen Schutz versprach ich dir.
Nun geh ich fort, und Mädchen, du bleibst hier,
Ich geh, denn sieh, das Morgenrot verglühte.
Leb wohl! Zum letzten Male rühren meine Lippen
Dein Haar und deine Brust. Die Träume starben,
Die wir uns träumten unterm Licht der Sterne.
Wohin führt mich der Weg? Zu Eislands Klippen,
Sucht er des Südens warme, müde Farben?
Wo endlich in der weiten, blauen Ferne?
(S. 69)
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Im Atelier
So stehst du oben in dem schwarzen Kleide,
In starrer Haltung. Walzertöne klingen
Aus dunklem Eck. Dein Abbild wird gelingen,
Es eilt der Künstler, daß das Werk nicht leide.
Ein seltsam Träumen nur vereint uns beide.
So weit entrückt erscheinst du mir den Dingen,
Die sonst uns beide banden. Andre Wege gingen
Wir nun. Wie glitzert dein Geschmeide!
Herrin und Weib! Und ich zu deinen Füßen,
Du, die wir suchten, um dir zu entfliehn,
Im steten Kampf, dem wir erliegen müssen.
Dein Lächeln bricht den Bann. Mir ward verliehen,
Als tiefsten Sehnens Sinnbild dich zu grüßen,
Laß mich zum Dank dir deine Hände küssen.
(S. 70)
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Margretlein
Siehst fremdes Glück an dir vorüberrauschen
Und hältst dich still zurück im Hintergrunde,
Empfängst du von den Andern frohe Kunde,
Verstehst du milde lächelnd ihr zu lauschen.
Doch selber darfst du keine Küsse tauschen,
Noch kam dir nicht die freudenreiche Stunde;
Es kreist der Kelch in deiner Freunde Runde,
Du wehrst es ab mit ihm dich zu berauschen.
Du Feine lerntest zeitig zu entsagen
Und ohne Murren all dein Leid zu tragen,
Denn Großmut ist dein allertiefstes Wesen.
Nie klang von deinen Lippen schmerzlich Klagen,
Doch mußte ich in deinen Augen lesen:
"Wann wird denn endlich meine Stunde schlagen?"
(S. 71)
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Der Liebhaber
Ich möchte deinen weißen Busen küssen,
In deiner Locken Fluten will ich wühlen,
Der heißen Wollust Flammenqualen fühlen,
Und niemals wieder von dir scheiden müssen.
Lösch aus der hellen Kerze störend Licht,
Zum Liebeslager laß dich endlich tragen,
Du siehst, ich will, ich kann nicht mehr entsagen.
Du schüttelst nur dein Haupt: noch nicht, noch nicht!
Was willst du mehr? Ich lieg zu deinen Füßen.
Du zögerst noch? Ist es noch nicht genug?
Was für ein Unrecht hab ich noch zu büßen?
Dein Liebesstammeln, war es denn nur Trug?
So geh ich denn und lasse dich allein -
Du öffnest deine Arme? Ich bin dein.
(S. 81)
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Das Mädchen
O sprich nicht mehr, so kann ich dich nicht hören,
Der Wohllaut deiner Stimme reißt mich fort.
Was kamst du her an diesen stillen Ort,
Um meinen Mädchenfrieden zu zerstören?
Vergib mir. Nein, laß mich dir immer lauschen.
Du füllst mit seltnen Schätzen meinen Sinn.
Oft geh ich langsam an dem Strande hin
Und neuer Welten Töne hör ich rauschen.
Mit feinen Ketten hast du mich gebunden,
Die leise klirren, wenn ich fliehen will.
So beug ich mich; mein Stolz ist überwunden.
Ich weiß es wol, du wirst mich einst verderben,
Doch lächelnd halte ich dem Streiche still:
Mir ist es Ruhm genug, durch dich zu sterben.
(S. 82)
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Ein Dichter
So soll ich denn nur einen Schatten lieben,
Den Duft aus einer weißen Blume Blüte.
Ganz achtsam fein, damit ich den noch hüte,
Den Rest der Freude, der mir noch geblieben.
Ihr zarten Kinder mit den blassen Wangen,
Die nie ihr jung beim muntern Spiel gewesen,
Euch gebe ich mein letztes, tiefstes Wesen,
Nach eurer Nähe brennt nur mein Verlangen.
In eure Märchenaugen laßt mich schauen,
Den Duft aus euren seidnen Locken trinken,
Ihr könnt euch nahen mir ohn jedes Grauen:
Ich liebe euer Bild, das in mir lebt,
Es läßt in eine andre Welt mich träumend sinken,
Wo eures Wesens Schönheit mich umschwebt.
(S. 84)
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Der Letzte
Und brausend, rollend wallen auf die Wogen —
Ich stehe an der Klippe jähem Rand,
Die Wolken jagen. Wie ein Feuerbrand
Versinkt die Sonne. Dämmrung kommt gezogen.
O stürmt nur, stürmt! Die letzte Schutzwehr wich.
Dort kämpft ein Nachen. Willst du noch zu mir,
Du schlankes Mädchen? Ha, des Wassers Gier
Reißt dich hinab. Ich klage nicht um dich,
Du bleiches Antlitz. Deinen schönen Mund
Hab ich geküßt. Jetzt schleudern dich die Fluten
In wirrem Wirbel. Deine Arme bluten,
Die mich umschlungen hielten. Sinkt zum Grund,
Ihr blendend-weißen Glieder. Dort und dort,
Ich kenne euch, die ihr jetzt leblos treibt.
Von allen denen, die gewesen, bleibt
Nur Einer: ich. Treibt fort, treibt fort!
Nur Meer und Sturm, soweit die Augen sehn,
Ihr kommt zu mir, ich weiche nicht zurück.
Erfüllt mein heißes Sehnen nach dem Glück,
In solchem wilden Kusse zu vergehn!
(S. 90)
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Aus: Erich von
Mendelssohn Bilder und Farben
Privatdruck in 150 Exemplaren
Erschienen Weihnachten 1911
Geschrieben in den Jahren 1904-11
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_von_Mendelssohn