Stephan Milow (1836-1915) - Liebesgedichte

Stephan Milow

 

Stephan Milow
(1836-1915)

 

Hymnen der Liebe


I.

Liebe, läuternder Feuerdrang!
Du verzehrst jeden kleinen Schmerz,
Jeden kleinen Gedanken
Und all die Nichtigkeit
Des täglichen Seins,
Das nüchtern sich hinschleppt;
Liebe, läuternder Feuerdrang!
Du sammelst in mir,
Was mir die Götter gegeben
An Schwung und Kraft
Und leihst mir Flügel.
Nicht flattr' ich mit süßlichem Girren
Um die Geliebte,
Aufstreb' ich entzündet,
Und schwelle und wachse gewaltig
In jeglicher Faser des Wesens.
Ich lache der ängstlichen Sorge,
Die über die Zukunft brütet,
Und lache des kleinlichen Eifers,
Der sich das Leben zurechtlegt
Und ordnet und emsig herausputzt
Für lange beruhigte Tage.
Nur Eines erfüllt mich ganz:
Zu lieben,
Geliebt zu sein!
Nichts liegt vor mir,
Nichts hinter mir,
Und selig aufgelöst,
So schweb' ich endlos
Auf der Minute.
(S. 289-290)


II.

Umsonst, mein Kind,
Du sollst sie erfahren
Die Macht der Liebe,
Und nimmer entrinnst du
Dem Zauberkreis,
In den ich dich banne.
Du weichest mir aus,
So oft ich dir nahe,
Du wendest das Auge
Vor meinem Blick;
Allein was frommt dir's?
Und dring' ich auch nicht
An deine Seite,
Und wehrst du mir's gar,
Dein Auge zu schauen;
So schleich' ich in deine Gedanken.
Dort trägst du mich stets mit dir,
Dort schling' ich meine Fäden,
Stets fester und fester um dich,
Und mehr als des Mundes
Bestürmendes Wort
Vollbringt die Ferne
Und wirkt das Geheimniß,
In das ich gehüllt.
Du weichest mir aus,
Du wendest das Auge
Vor meinem Blick;
Allein was frommt dir's?
Ich schleiche dir so fein langsam
Durch deine Gedanken ins Herz.
(S. 290-291)


III.

Mädchen, du willst ein Gedicht;
Du staunst, wie rührend ich singe,
Wie reichlich die Töne mir quellen,
Und fragst mich immer wieder:
Wann hör' ich ein neues Gedicht?
O Mädchen, sei still! sei still!
Du weißt nicht, was du begehrst,
Du weißt nicht, was du uns beiden
Mit deinem schmeichelnden Lobe
Gefährlich heraufbeschwörst:
Mädchen, du willst ein Gedicht,
Und ehe du dich's versiehst,
Erhältst du gar den Dichter.
(S. 291-292)


IV.

Ich sitze dir genüber,
In meinen Händen die deinen,
Und neige darüber das Haupt,
Sie bebend zu küssen.
Da überquillt mein Herz;
Ich sage dir plötzlich,
Was lang ich verschwiegen,
Wie heiß ich dich liebe
Und wie ich dich küßte
Und herzte und schmückte,
O wärst du nur mein!
Und immer kühner beflügelt,
Erheb' ich das Haupt
Und klettre mit meinem Auge
An dir hinan,
Zu deinem Auge:
Zwei Blicke begegnen sich flammend
Und halten sich fest.
Schnell aber wendest du dich,
Kopfschüttelnd, verzagt,
Und lispelst: O laß mich!
Indeß du die Hände
Mir zuckend entziehst.
Was soll das?
Mißtraust du mir?
Ich fortgerissen
Unwiderstehlich,
Und du dich verschließend?
So nah der Erfüllung
Verlier' ich die Hoffnung?
Nein! nein!
Muß ich nur harren
Und mich bescheiden,
Bis reif die Minute?
Eins weiß ich ja doch
Und les' es schon jubelnd
In jeglichem Zug dir:
Nicht wahr, du Zweiflerin,
Du möchtest so gern mir glauben?
(S. 292-293)


V.

Spielst du mit mir?
O sieh dich vor!
Etwas mußt du doch geben,
Den Leichterglühten zu locken;
Wie hältst du da Maß?
Wie bist du gewiß,
Dein eigenes Selbst
Nicht zu verstricken?
Spielst du mit mir?
Etwas mußt du doch geben,
Den Leichterglühten zu locken;
Mehr noch mußt du geben,
Den Flatternden zu halten -
O sieh dich vor:
Am Ende gibst du dich ganz!
(S. 294)


VI.

Was ist nur so plötzlich
Aus mir geworden?
Vertauscht' ich, Geliebte,
Mit dir die Rolle,
Und ist's nun an mir,
In all meiner Glut,
In all meinem Trachten
Zu zagen, zu bangen?
Es drängt mich zu dir,
Es reizt mich die Sünde
Und treibt mich mit Macht,
Dich fortzureißen
Zum kühnsten Wagniß,
Und dennoch erbeb' ich,
Du könntest, entzündet,
Bereit zur Mitschuld,
Mein Sehnen theilen.
Ich möchte dir rufen:
O liebst du mich, Mädchen,
Wie du geliebt bist,
So selig verloren,
So alles gebend?
Und müßte erschrecken
Vor deinem Ja.
(S. 294-295)


VII.

Ich frage dich: Bist du mir gut?
Du fühlst, du bist's nur zu sehr,
Erschrickst und schüttelst das Haupt.
Ich aber frage dich weiter:
Wird je mein Sehnen gestillt,
Mit dir zu schreiten
Hand in Hand,
Verbunden in traulicher Liebe?
Und du, beängstigter stets,
Du schüttelst noch heft'ger das Haupt.
Geliebte, so frag' ich zuletzt,
All deiner Verneinung zum Trotz
Nur immer heißer entzündet,
Geliebte, o wirst du mein?
Da schüttelst du vollends als wie
In höchster Entrüstung das Köpfchen
Und fliegst mir zugleich an das Herz.
(S. 295-296)


VIII.

Holdestes, süßestes Mädchen,
Drei Gesichter hast du,
Drei Gesichter, fürwahr,
Welche verschieden ganz,
Kaum einander noch gleichend.
Schwebst du dahin in der Ferne,
Schimmern deine Mienen,
Ob auch zauberhaft,
Ob auch mächtig lockend,
Völlig unbestimmt,
Und das Auge ahnt nur,
Daß du lieblich und schön.
Nahst du dann, erscheinst du
Plötzlich in jedem Zuge
Neu und überraschend.
Reichlich erfüllst du zwar,
Was du von fern verheißen,
Anders nur erfüllst du's.
Aber, o herrlichstes Kind,
Wieder umgewandelt,
Eine andre ganz,
Bist du, erschaut dich das Auge,
Wie nur meines dich schaut:
Bist du in Kußesnähe.
(S. 296-297)


IX.

Wie wenig bedarf doch ein Herz,
Um glücklich zu sein!
O himmlische Stunden,
Da wir zusammen gesessen
Am Hange des waldigen Berges
Und selig hinausgeblickt
Ins Weben des glühenden Sommers!
Wir sprachen nicht ein Wort,
Ich legte nur meine Hand
Mit leisem Druck auf die deine.
Der sanfte Strom des Lebens,
Der rings in Wellen spielte,
Ging auch durch unsre Brust,
Um sich ins All zu ergießen.
Kein glühend Verlangen,
Kein Sehnsuchtsschrei!
Wir waren gestillt,
Noch eh wir begehrten;
Wir waren schon überreich,
Solch einen Sonnentag
Zu schauen und mitzuleben,
Durchpulst vom stillen Gefühl,
Daß wir einander so gut.
Wie wenig bedarf doch ein Herz,
Um glücklich zu sein!
(S. 297-298)


X.

Was ist uns geschehn,
Mein liebliches Mädchen?
Wir scherzen nicht mehr,
Wir plaudern nicht mehr,
Wir werden plötzlich still
Und schlagen die Augen kaum auf,
Zu schaun auf der Seele Grund.
In unser harmlos Spiel,
In unser seliges Tändeln
Tritt plötzlich eine Pause
Voll hohen Ernstes,
Und machtvoll durch die Herzen,
Die zögernden Pulses schlagen,
Als hielten sie lauschend inne,
Geht uns das Ahnungsgraun,
Daß uns gekommen die Stunde,
Wo wir, wie sehr wir uns sträuben,
Entweder scheiden müssen,
Noch einzige Rettung suchend
In schleuniger Flucht;
Oder, unlöslich vereint,
Gefaßt, zusammen zu scheitern,
Uns tollkühn überliefern
Der sturmempörten,
In schäumenden Wogen
Aufzischenden Leidenschaft.
(S. 298-299)


XI.

Wovor bangst du und bebst du,
Wenn ich dir nur nahe?
Bin ich nicht ganz in deinem Banne?
Wovor bang' ich und beb' ich,
Wenn nur dein Blick mich trifft?
Bist du nicht ganz in meinem Banne?
Was ist's, was ist's,
Das uns mit Scheu,
Mit Zagen erfüllt,
Da doch die Herzen,
So heiß entbrannt
Im gleichen Drang,
Einander ersehnen,
Einander halten?
Die Liebe ist's,
Die wundermächt'ge,
Geheimnißvolle,
Die tausend Himmel aufschließt
Und in den Abgrund zieht;
Die Liebe ist's,
Der wir uns willenlos,
Des werdenden Schicksals ungewiß,
Mit Zittern gefangen geben.
(S. 299-300)


XII.

Ich schweife ruhlos,
Ich singe, ich jauchze,
Und wem ich begegne,
Den möcht' ich fragen:
Erräthst du's nicht,
Und weißt du's nicht:
Sie liebt mich! sie liebt mich!
Ich möchte das All
Aufrufen zum Zeugen
Für meine Wonne. -
Du armes Herz,
So übervoll,
So wenig dir selbst,
Daß du dein Glück,
Statt es zu bergen
Im tiefsten Grund
Und heimlich zu hegen,
Es thöricht hinauswirfst
Und andere brauchst,
Die mit dir jubeln!
(S. 301)


XIII.

Weiß ich's, kann ich's ahnen,
Wo sie herkommen
All die hellen Sterne,
Die dort oben funkeln?
All die bunte Pracht,
Die um uns erblüht?
Weiß ich's? kann ich's ahnen,
Wo sie hergekommen
All die heißen Gluten,
Die mein Herz durchwogen?
Und warum so ganz
Ich in dich versunken?

Grundlos ist das All,
Grundlos ist die Liebe.
Nennst du's Lästerung,
Nennst du's schwere Sünde,
Solches auszusprechen?
Nein! das ist nur Demuth,
Ist nur die Erkenntniß,
Daß am Heiligsten
Wir nicht deuteln dürfen;
Sondern einzig staunen,
Einzig selig fühlen,
Daß es ist!
Grundlos ist das All,
Reich in Farben prangend;
Grundlos ist die Liebe,
Überreich beglückend,
Und so sei nur dies
Unsers Herzens Glaube:
Daß in jenen Tiefen,
Die kein Auge aufdeckt,
Aus derselben Quelle
Beide ewig sprudeln.
(S. 302-303)


XIV.

Immer denk' ich's,
Immer frag' ich mich:
Kann's denn sein?
Daß du mich wähltest,
Den einsam Verscholl'nen,
Den Ernsten, Trüben,
Da blühend um dich
Das Leben sich schlingt,
Kann's denn sein?
Und ich selber
Woher nur nehm' ich
Plötzlich die Flammen,
Die so mich verwandeln?
Ich schwärme umher,
Ich jauchze, ich bange,
Ein thörichtes Kind,
Ein schmachtender Thor.
Kann's denn sein?
Doch da die Liebe
Solch Wunder vollbracht,
Was zürnen die Götter?
Ich soll mich verschließen,
Ich soll dich nicht küssen
Und rufen: Ade!
Ade, du Schöne,
Nicht mir deine Liebe!
Kann's denn sein?
(S. 303-304)


XV.

Lebe nur, warte nur,
Alles lernst du verstehn!
Mägdlein von einst,
Zartes, verschüchtertes Mägdlein,
Hast du nicht scheu gebebt,
Wenn ich nur einmal so recht
Dir in das Auge geblickt?
Schrakst du nicht vollends zusammen,
Wenn ich im Spiele blos
Tändelnd die Hand dir gestreift?
Mägdlein von einst,
Hast du dazwischen gelebt?
Sieh nur – da kletterst du ja
Schmeichelnd an mir empor,
Hältst mich mit beiden Händen,
Küssest und herzest mich endlos,
Daß ich nach Athem ringe:
Mägdlein von einst,
Kannst du nun alles verstehn?
(S. 304-305)


XVI.

Was that mir neulich die Liebste!
Wir saßen allein beisammen,
Die Hände traulich verschlungen,
Und schauten einander ins Auge.
Da kam's mich seltsam an:
So mächtig die Stunde verlockte,
So selig ich jubeln sollte,
Wie eine Mahnung gieng mir's,
Kühl dämpfend, durch die Brust,
Und zagend erwog ich den Flug,
Den wir so trunken begonnen.
Ich lenk' uns noch beide zur Umkehr!
Beschloß ich in meinen Gedanken
Und wagte beherzt dies Wort:
Du Theure, wo steuern wir hin?
Ein Herrliches ist die Liebe;
Doch denke, wie vieles uns trennt,
Bedenke den Ernst des Seins,
Das andere Pfade uns weist,
Als sehnend das Herz sich sie träumt;
Drum Kraft, mein Liebchen! ich flehe,
Ein bischen Kraft nur! so schloß ich.
Sie aber, schon lang unmutig
Ob solcher vernünftiger Rede,
Jetzt schnellte sie plötzlich empor
Und rief in entzückendem Zorn,
Aufstampfend die niedlichen Füßchen:
Kraft! Wenn ich nun keine habe?
(S. 305-306)


XVII.

Mädchen, laß dir rathen:
Hüte dich vor der Liebe!
Sie schmeichelt so hold,
Mit kindlichem Antlitz lächelnd,
Sie nimmt dich so sanft gefangen,
Daß du dich nur besser dünkst
Und gefeit und im heiligen Rechte
Vor Gott und der Welt
Mit deinem Himmel im Herzen;
Doch hüte dich vor der Liebe!
Das eben macht sie dämonisch,
Daß sie dir alles verklärt,
Dich hebt und beflügelt
Und selig mit allem versöhnt,
Derweil du ahnungslos
Die Schuld in Innersten hegst.
Und trittst du, wohin du nicht sollst,
Die lockende Süße zu kosten,
Und dämmert dir leis das Gefühl,
Daß du der Sünde verfällst;
So kannst du's in deinem Entzücken
Nicht fassen und rufst, dich entlastend:
Ach, das ist lauter Liebe!
Sie aber zieht dich weiter,
Stets weiter mit Zaubergewalt
Bis in den tiefsten Abgrund,
Von wo kein Pfad zurückführt,
Draus keine Sühne erlöst,
Und händeringend klagst du:
Ach, das war lauter Liebe!
(S. 306-307)


XVIII.

O Frauensinn,
Der du das Ziel nur schaust
Und wo du flammst,
Kein Hemmniß kennst!
Mit jenem einen Wort:
Ich liebe dich!
Hast du schon alles gesprochen,
Was Liebe ersehnen,
Was Liebe gewähren kann.
Hin trägt dich die Woge
Des heißentbrannten Gefühls
Und nimmer bebst du,
Wo sie dich auswirft,
Und ob du nach flüchtigem Glück
Zerschellst an ödem Strand,
Gescholten, verfehmt von der Welt.
Liebt ärmer, schlechter der Mann,
Daß er im tiefsten Drang
Bedachtsam zögert
Und, übervoll die Brust,
Mit ernster Stirne schreitet,
In sich gekehrt und verschlossen?
Ist's schöner, sich zwingen, wie er?
Ist's schöner, zu fehlen, wie du?
(S. 308)


XIX.

Dein liebliches Auge jedoch
Es sagt mir mit schelmischem Blick:
In der Liebe
Ist alles groß;
Außer der Liebe
Ist alles klein!
Rasch hast du entschieden.
Wär' ich der Held an Kraft,
Ob mir das Herz auch zerbreche,
Mit fester Stimme zu rufen:
Wir müssen entsagen, Ade!
Begriffst du diesen Entschluß?
Mit aller meiner Stärke
Was wär' ich dir? Nichts!
Doch da ich mich, fortgerissen,
Hingebe deiner Bezaub'rung
Und ohne zu kämpfen, zu zagen,
Nur selig verloren jauchze,
Nur selig verloren küsse,
Was bin ich dir? Alles!
(S. 309)


XX.

Siegen will das Weib,
Das dazu bestimmt wir wähnen,
Ewig nur, gefaßt in Demuth,
Seines Schicksals still zu harren;
Siegen will es
Über andrer Weiber Schöne,
Die des Mannes Herz entzünden.
Siegen will das Weib,
Das wir ewig schwach nur nennen,
Mit bezwingender Gewalt
Über all des Mannes Denken,
All sein Wollen, all sein Trachten,
Über seine ganze Welt.
Siegen will das Weib!
(S. 310)


XXI.

Wie ich dich liebe! ruf' ich;
Wie ich dich liebe! rufst du,
Und alles, was uns bewegt,
Die übermächt'gen Wogen
Des heißen, entzückten Gefühls,
Sie münden ewig und ewig
In dieses kurze Wort.
Bedrängender Reichthum,
Der seine unendliche Fülle
So wenig erschließen kann!
Beglückende Armuth,
Die alles erschöpft
In dem einen gestammelten Laut:
Wie ich dich liebe!
(S. 310-311)


XXII.

Oftmals sinn' ich,
Wer von uns beiden
Verschuldet das Unglück,
Daß wir uns lieben,
Ich oder du?
Ob meines Blickes Glut
Dein arglos Herz verführt?
Ob du mich überfallen
Mit deines Auges Blitz?
Wer mag es entscheiden?
Und stritten wir da,
So könnt' es nur sein,
Weil jeder von beiden
Der Erste sich dünkt;
Weil jeder begierig
Die größere Schuld,
Doch auch in der Liebe
Den größeren Ruhm
Für sich verlangt.
Ich denke darum,
Wir halten es so:
Schuld sind wir beide,
So ich wie du,
Am großen Unglück
Und wollen auch beide,
So ich wie du,
Aufjauchzend und bangend,
Ertragen das Unglück.
(S. 311-312)


XXIII.

Wären wir schwach,
Weil wir uns lieben,
Wiewohl es die Welt uns verbeut?
Nicht wahr, mein Kind,
Wir fassen es anders?
Sie schelten uns aus,
Verdammen uns gar
Und wollen uns trennen;
Wir aber lieben
Und lieben uns treu
Und halten uns fest:
Wir bleiben stark.
(S. 312-313)


XXIV.

Eines entzückt mich am Weib,
Eines entzückt mich an dir,
Herrlichstes, echtestes Weib,
Immer mit Zaubermacht:
Die schöne Kraft im Dulden.
Leichtfertig könntest du scheinen,
Da du, so viel dich gewarnt,
Doch der Minute Gewalt
Fast ohne Kampf erlegen;
Allein wie rührend trägst du,
Was dir dein Fehl
Nun auferlegt!
Wie adelst du ihn
Durch deine sanfte Ergebung
In jegliche Sühne!
Und sinn' ich oft,
Wie selig du jubeln kannst
An meinem seligen Herzen,
So faß' ich's nicht,
Daß du dann wieder
So stark im Entsagen.
Nicht meinen Kuß nur ersehnst du,
Gern nimmst du meinethalb
Auch jedes Kreuz auf dich.
Und weiß ich's denn nicht,
Und muß ich's nicht preisen,
Aufblickend bewundernden Auges
Zu deiner stillen Größe:
Nichts hat dich an mich so tief,
So unauslöschlich gefesselt,
Als was du um mich gelitten.
(S. 313-314)


XXV.

So spielend du tändeln kannst,
So kindisch du oft erscheinst
In deiner Liebe Glück:
Mir schauert vor deiner Tiefe.
Unendliches gibst du,
Allein du forderst
Unendliches auch.
Und senk' ich in seliger Stunde
Mein Aug' in das deine oft,
Da mein' ich, es spricht zu mir:
Dein bin ich voll und ganz,
Du sollst mich beherrschen und lenken,
Wie du nur immer magst,
So lang du treu und gut.
Doch weh dir, wenn du wankst,
Mich nur im Gedanken verräthst!
Weh dir, ich hielte Gericht,
Vernichtend, unerbittlich!
Und wankt' ich, zu Tode getroffen,
Und könnt' ich dich nicht mehr halten,
Vermöcht' ich doch noch das Eine:
Wohin du immer entfliehst,
Als Dämon dich zu verfolgen,
Als zürnender Schatten zu quälen,
Bis du mit mir erliegst!
(S. 314-315)


XXVI.

Du herrliches Menschenbild,
Schön aufgesprossen
In lieblicher Anmuth,
Voll blühenden Reizes:
Dein ist das Glück,
Dein ist die Freude!
So lebe, so liebe!
Du bist, wie herniedergesandt,
Daß du die Welt durchflatterst
Und selig unbefangen
Dir pflückst, was immer dich freut.
O glaub' es, alles rings,
Was hold und süß und bestrickend
Was dir ein Lächeln der Lust
Vermag auf die Lippe zu locken,
Es ist für dich,
Und alles schmückt dich,
Was dir zu lauterem Schlag
Das Herz bewegt.
Denn wisse: Geschöpfe gibt's,
In welchen so schön und herrlich
Das Leben zur Blüte drängt,
Daß ihnen nur Eines Gebot:
Sich ganz und voll zu geben
In jeder Minute.
So lebe, so liebe!
Du kannst nichts Höhres vollbringen,
Du kannst nicht entzückendes Lob
Rings wecken in allen Herzen,
Als da du dich auslebst.
Kein zages Bedenken!
Kein Wort von Sünde!
Du sündigtest? Sei's!
Ich aber weiß es:
Du bist in der Sünde
So hold unschuldig,
Wie's keine noch war,
Die fehllos gewandelt.
(S. 315-317)


XXVII.

O nütze die Stunde,
In der du herrschest,
Die dein mit allem,
Was Holdes sie treibt!
Noch darfst du alles,
Noch glaubt man dir alles,
Und was du immer wagst,
Es ist dir verziehn;
Denn du bist schön.
Die Schönheit ist deine Macht,
Die Schönheit ist dein Recht.
O nütze die Stunde!
Wie bald, wie bald -
Und deine Wange verblüht,
Und deines Mundes Lächeln,
Jetzt reizende Anmuth,
Verliert den Zauber,
Und wie du welkst,
Wächst deine Schuld.
Es kommt die Zeit,
Und die sieghaft Herrliche,
Der alles huldigt,
Sie klagt vereinsamt,
Und all ihr Besitz
Bleibt die Erinnerung.
(S. 317-318)


XXVIII.

Nie kann in der Liebe
Der Mann so reich beschenken
Als wie das Weib.
Trägt jener, werbend, doch
Das Wort voraus dem Gefühle,
Und was er zuletzt gewährt,
Es ist schon viel,
Wenn er nur hält,
Was tausend und tausend Mal
Er lockend verheißen.
Jedoch das Weib!
So keusch verschlossen,
So ganz unnahbar,
Stets tiefer, himmlischer bergend,
Was jener ersehnt!
Und dann -
Wenn all die Scheu
Erlegen der Sehnsucht:
Ganz überquellend,
Vor nichts erschreckend,
Gelöst in dem einen Gefühl:
Dein bin ich, dein!
(S. 318-319)


XXIX.

Mein süßes Mädchen,
Umschlingen wir uns,
Und küssen wir uns,
Und schöpfen wir ohne Ende
Aus unserer Liebe
Stets neues Entzücken,
Und strömen wir's aus
In jauchzenden Rufen!
Was ziemte uns besser
Unter den wandelnden Sternen,
Über dem wehenden Staube,
Als glücklich zu sein
Die kurze Minute
Und laut zu jubeln?

Herrscht in der Runde Schmerz
Und das bange Gesetz:
Vergänglichkeit und Tod?
Ja, ja, wir wissen's,
Wir schauen es rings:
Wer dürfte da noch
Den einen Athemzug,
Der ihm gewährt,
Die Welt mit Klagen erfüllen?
(S. 319-320)


XXX.

O welch ein Meer dein Aug' ist,
Unendlich und unergründlich!
Das zittert und schillert
In feuchtem Glanz;
Da taucht aus der Tiefe
Andringend eine Woge
Und brandet wieder zurück,
Und Wolkenschatten gleiten darüber
Und lachende Sonnenstrahlen.
Ich schaue bezaubert hinein,
Ich schaue tiefer und tiefer
Und immer mächtiger,
Immer verwirrender
Faßt es mich an.
Was ist geschehn?
Mir schwindelt,
Die Gedanken vergehn mir,
Ich verliere die Welt
Und möcht' in deinem Aug' ertrinken.
(S. 320-321)


XXXI.

Der Liebenden Gott,
Der Liebenden Glück
Ist das Geheimniß.
O hüte unsern Besitz!
Wie? brauchst du Zeugen,
Und willst du vor andern dich rühmen
Mit meiner Liebe Geständniß,
Mit all den heißen Schwüren,
Dir zugeflüstert
In stiller Stunde?
Verschließ es, verschließ es ängstlich,
Was ich dir selig bekannt;
Denn lebt' es jemals
In eines Andern Munde,
So wär' es aus meinem Herzen gezogen.
(S. 321)


XXXII.

Laßt mich allein;
Laßt mich entfliehn
Tief in die Stille
Des dämmernden Waldes!
Ich will selig sein.
Sogar dich selbst,
Mein holdes Lieb,
Ich muß dich meiden,
Auf daß ich dich
So recht im Gedanken
Mir male und schmücke
Mit all dem Zauber,
Den je du entfaltet
Und den ich bewahrt
In treuem Gedächtniß;
Ich muß dich meiden,
Auf daß ich schwelge
In süßer Sehnsucht,
Der ja gewiß
Die nahe Erfüllung.
Laßt mich entfliehn
Tief in die Stille
Des dämmernden Waldes!
Ich will selig sein.
(S. 322)


XXXIII.

Wie gern auch bin ich mit dir,
Wenn uns die Andern trennen!
O süßes Einverständniß,
Sich zuzunicken,
Verstohlen, unbemerkt,
Im Schwarm der Gesellschaft,
Und während ihr lautes Geschwätz
Um unsere Häupter surrt,
Mit einem Blick
Sich hinauszuzaubern
In die Einsamkeit,
Wo unsere Lippen nur flüstern
Von ewiger Liebe!
O süßes Einverständniß
Der heiß entflammten Herzen,
Die einen Himmel bergen,
Still selig, weltentrückt,
Derweil sich um sie
Der schaale Alltag
Behäbig nüchtern breit macht.
Wie gern auch bin ich mit dir,
Wenn uns die Andern trennen!
(S. 323)


XXXIV.

O Walten und Weben
Der träumenden, sehnenden Liebe,
Die um das Bild der Geliebten
Hellschimmernde Blüten flicht,
Und dann, wie im Eigensinn,
Doch wieder schmollen möchte;
Die sich die Zukunft schmückt
Mit zauberisch prangenden Farben,
Und dann um nichts sich härmt
In melancholischer Selbstqual:
Die alles besitzt, was sie will,
Und alles verloren wähnt:
Hochherrliches Mädchen,
Du hast sie mir wieder gebracht
Die ganze süße Verwirrung,
Den wechselnden Himmel
Mit seinen funkelnden Sonnen
Und ziehenden Gewittern,
Den Himmel der träumenden, sehnenden Liebe!
(S. 324)


XXXV.

Dämme nicht ein dies Gefühl!
Laß mir das Übermaß!
Darin nur leb' ich voll,
Darin nur offenbar' ich,
Was meine Brust bewegt.
Laß mich schwärmend fliegen
Über alle Sterne weg,
Und dich mittragen
Und endlos preisen
In Jubelhymnen,
Die mächtigen Klangs
Das All durchbrausen.
Dämme nicht ein dies Gefühl!
Laß mir das Übermaß!
Nicht alles fügt sich ins Kleine,
Nicht alles weist dir im Theilchen sein Bild,
Und willst du das Meer begreifen,
So mußt du es schauen
In seiner Unendlichkeit.
(S. 325)


XXXVI.

Klar sieht nur die Liebe,
Schön sieht nur die Liebe.
Erscheinst du mir herrlich,
Erscheint mir in meinem Glück
Lichtstrahlend die ganze Welt,
Wer schilt es Verblendung
Und Überschwang
Des entflammten Gefühls?
Blind ist nur der Kalte,
Der unbewegt
Geruhig dahinlebt;
Den blühenden Reichthum,
Der um ihn schwillt,
Er kann ihn nicht sehen.
Die Liebe jedoch
Sie hebt sich Schätze,
Wohin sie nur blickt.
Die Welt ist schön
Und herrlich gerathen,
Es bleibe nur immer
Die Liebe der Richter.
(S. 326)


XXXVII.

Und wärst du auch nicht,
Was liebend mein Aug' in dich legt,
Und hättest du nichts gemein
Mit all den Himmeln,
Die leuchtend ich schaue
In meiner Glut,
Mit all der Fülle
Des herrlich Schönen,
Das rings mich umblüht;
So hast du doch Eines vollbracht:
Daß ich dich liebe.
Wem also dank' ich alles?
Doch dir! nur dir!
(S. 327)


XXXVIII.

Bist du im Kreis der Andern
Zu laut und heiter,
So ist mir's nicht recht.
Da sag' ich mir gleich:
Wie kann sie so schweifen und plaudern,
Den Ernst der Liebe im Herzen?
Und bist du wieder verschlossen,
In dich gekehrt und still,
So ist mir's auch nicht recht.
Da stachl' ich mich auf:
Was sinnt, was brütet sie nur?
Wie kommt's, daß ihr selig Gefühl
In ihrem Thun sich nicht spiegelt? -
O Liebchen, du Arme, Gequälte,
Wie sollst du denn sein?
O über ein liebendes Herz,
Das, allzu reich beschenkt,
Stets zittert um seinen Besitz!
(S. 327-328)


XXXIX.

Mädchen, wenn ich dir grolle,
Wenn ich mich ernst dir verschließe,
Ist's nur meine Liebe,
Die nach der eigenen Tiefe
Immer die deine auch mißt.
Selbst voll inniger Glut,
Alles zu geben bereit,
Heisch' ich von dir auch so viel,
Daß schon ein kühlerer Blick
Rauh mir die Seele verletzt
Und der Enttäuschung Wehe
Lang mir als Stachel zurückläßt. -
Mädchen, wenn du mir schmeichelst,
Wenn du mir gar zu hold bist,
Daß ich mich deiner Küsse
Kaum zu erwehren vermag,
Ist's nur deine Tücke,
Nur dein Schuldbewußtsein,
Das mir mit Süßigkeiten
Möchte umnebeln das Auge,
Und ich erschrecke und sinne:
Was nur begieng sie schon wieder?
Oder was führt sie geheim
Wider mich Ärmsten im Schilde?
(S. 328-329)


XL.

Was will ich denn einzig von dir?
Ein offenes, ehrliches Herz!
Da wir uns noch nicht geschaut,
Da wir uns noch nicht gefunden,
Wie sollt' ich dir damals schon
Ausfüllen die Mädchenträume?
Und gucktest du damals nach andern,
Im Herzen die pochende Sehnsucht,
Wie dürft' ich darum dich schelten?
Drum wolle vor mir nicht erscheinen
In all zu erhabenem Lichte,
Als hättest du jeglich Gefühl
Gespart nur für unseren Bund,
Sonst denk' ich, du heuchelst, Geliebte!
Ob manches Vergang'ne mich drückt,
Nicht darf ich es richten und strafen.
Sei jetzt nur wahr und treu.
Was will ich denn einzig von dir?
Ein offenes, ehrliches Herz!
So sprach ich, im Stillen geängstigt
Vom Überschwang der Geliebten,
Womit sie mir zärtlich betheuert,
Wie todt ihr die Welt gewesen
Und wie sie einsam gelebt,
Bevor ich geweckt ihr die Liebe. -
Zutraulich an mich gelehnt,
Belauschte sie meine Rede,
Und da ich ihr Auge nun suche,
Erscheint sie mir ganz wie verwandelt.
Den Ernst in ihrem Antlitz
Verdrängt ein schalkisches Lächeln;
Sie blinzt mit verschmitztem Blick
Und neigt sich zu meinem Ohr,
Mir willig zu beichten von allem,
Was je mich an ihr gequält,
Die nagende Eifersucht
Mir schürend im zweifelndem Herzen.
Um diesen Einen, mein Theurer,
Du weißt ja, wen ich meine,
Beginnt sie übersprudelnd,
Da brauchtest du keine Minute
Dir böse Gedanken zu machen.
Wohl brannt' er für mich in Flammen,
Ein Jeder sah es, doch flüchtig
Berührten sich unsere Pfade,
Und flüchtig nur streift' ihn mein Auge.
Mit jenem Andern jedoch
Hat nie mich ein heißer Gefühl
Als freundliche Neigung verbunden,
Und glaub' es, er ist mir vergessen.
Auch kann ich dir über den Dritten
Jedweden Zweifel zerstreuen -
Da rief ich: Weh mir! Halt ein!
Was hab' ich mir da entfesselt!
Betheure mir lieber aufs neue,
Wie todt dir die Welt gewesen
Und wie du einsam gelebt,
Bevor ich geweckt dir die Liebe.
Beim Himmel, nicht will ich von dir
Ein offenes, ehrliches Herz!
(S. 329-331)


XLI.

Wie süß auch bist du,
Wenn dies und das
An dir mir mißfallen
Und ich dir deine Schuld
Vorrücke ohn' Erbarmen!
Du suchst nichts von dir zu wälzen,
Du sagst mir nicht schmeichelnd und heuchelnd:
Ich bin nicht gar so schwarz,
Wie du mich malst, mein Liebster!
Du senkst nur demuthsvoll
Dein schönes Auge;
Du duldest meine Geißel,
Wie eine Sünderin,
Und schmiegst dich vor mir nieder,
So sanft und willenlos,
So zauberisch bestrickend
In deiner stummen Zerknirschung,
Daß rasch an die Brust ich dich ziehe
Und unter flammenden Küssen
Freispreche tausend Mal.
(S. 332)


XLII.

O muß denn alles gipfeln,
Empordrängen zur Fülle,
Der die Vernichtung folgt?
Das Sehnen und Harren,
Das Bangen und Hoffen,
Das stille, verschämte Gefühl
Der leis erwachenden Liebe
Ist's nicht genug?
O muß denn alles gipfeln,
Muß ich entzückt ans Herz dich drücken,
Um, da dich mein Arm noch hält,
Schon blutend aufseufzen:
Du bist mir verloren!
(S. 333)


XLIII.

Das wäre der Fluch des Lebens,
Der hingeschwundenen Jahre
Mit ihrer gold'nen Verheißung
Und armen, kargen Erfüllung,
Daß nicht mehr, wie sonst,
So traumhaft unbefangen
Sich gebend und empfangend,
Die frohe Brust genießt? -
Sei's immerhin!
Ich habe den Fluch besiegt,
Da ich mit offnem Auge,
Doch ohne Bangen,
Die Gabe der Stunde fasse,
Und, sicher der nahen Enttäuschung,
Mit leise lächelndem Munde
Dem selig verlorenen Herzen
Sein kurzes Glück gewähre.
(S. 333-334)


XLIV.

Ist's meine grausame Laune,
Ist's eine Laune deines Wesens:
Mir ist dein Wort nie innig genug,
Mir ist dein Kuß nie glühend genug,
Und was du immer beginnst,
Mir hold und süß zu sein,
Stets quält mich der Zweifel,
Ob du mich liebst.
Nur wenn ich dich kränke,
So recht dich quäle,
Da les' ich's beruhigt
In deinen Thränen:
Du liebst mich!
(S. 334)


XLV.

Grolle mir nicht:
Ein bißchen Tücke muß sein.
Das ist der kleine teuflische Zug
Des übermüthig glücklichen Herzens,
Das andere Herz zu stacheln, zu kränken,
Und sich an seinem Zucken
Ein Weilchen zu letzen.
Doch das sind Augenblicke.
Und denke, wie streichl' ich dir dann,
Von Reue erfaßt,
Dein liebliches Haupt!
Wie küß' ich dich wieder heiter!
Grolle mir nicht:
Ein bißchen Tücke muß sein.
(S. 335)


XLVI.

O Frauensinn,
Brosamen schon der Liebe
Beglücken, entzücken dich,
Wofern du nur selber liebst!
Wie quält' ich dich mitleidlos,
Wie stach ich dir rauh ins Herz
Mißlaunig mit herbem Wort,
Und du – du lächelst selig,
Und hast mir schon alles verziehn,
Weil ich nur schmeichelnd
Dein zierliches Händchen lobe!
(S. 335-336)


XLVII.

O wie du lächeln kannst!
So sonnig, weltverklärend,
Und jeden erlösend,
Entrückend in den Äther,
Der grambeladen
Und düsteren Sinnes dir naht.
O könnt' ich alles vergessen,
Was gut und hold an dir,
Und schützte dich sonst nichts mehr:
Wie kränkt' ich je dies Lächeln!
Wie scheucht' ich es je von deinen Lippen!
(S. 336)


XLVIII.

Weißt du, Liebste, was Ruhm verdient?
Was schön und voll,
Was herrlich leben heißt?
Nur Eines lieben,
Und weltvergessen
Und allem entflohn,
Was and're befängt,
Mit ganzer Seele
In Einem aufgehn. -
Weißt du, Liebste, was Schmach und Sünde?
Nur Eines lieben,
Nur stets an einem Munde hangen,
In eines Wesens Auge aufgehn,
Und alles vergessen
Und allem entfliehn,
Was ernst und gebietend
Die Welt von uns fordert
Als Theil an der großen Arbeit
Der vorwärts ringenden Menschheit.
(S. 337)


XLIX.

Von meiner Seligkeit will ich singen,
So muß ich eilen, eilen!
Wer weiß, was schon mein Glück
Im Stillen mit Mord bedroht:
Die Welt, die rollende Zeit,
Du selbst vielleicht,
So arglos noch dein Herz
An meinem pocht.
Und alles ist dahin,
Nicht deine Nähe blos,
Nicht blos dein Wort, dein Kuß,
Noch mehr: das reine Gedenken!
Ich zucke zusammen;
Mit drängender Hast
Entsend' ich der wogenden Brust
Die schallenden Jubelaccorde.
O gönne mir's noch, Geschick:
Laß mich aussingen dies Lied!
(S. 338)


L.

Kühn ist der Flug des Poeten,
Zart ist des Poeten Gewissen;
Er wagt, was keiner sonst wagte,
Er ängstigt sich leicht um ein Nichts.
Ich, der ich so oft dich furchtlos
Ans Herz gedrückt und geküßt -
Wer faßt es? – ich mußte schon beben,
Da heut ich blos im Gedanken
Dich vor mir erscheinen gesehn,
Und mir dein süßes Bild
Die Seele wieder geschwellt
Zu drängender Sangeslust.
Mit welchen Geistern verkehrst du?
So rief ich erschreckt mir zu.
Wie darfst du nur von ihr singen,
Wie darfst du sie träumend umspinnen,
Die ewig für dich verloren,
An die nur erglüht zu denken,
Dich schon als Frevelnden weist?
Die Muse jedoch,
Die mir verschwenderisch
Für mein entzündet Gefühl
Stets neue Laute geschenkt,
Die Muse mit deinem Antlitz,
Das, lächelnd und schmerzlich zugleich,
Stets erdenentrückter mir schien,
Sie flüsterte leis dies Wort:
Sing' immer, immer zu!
Das rettet dich, du Erkor'ner,
Das rettet auch deine Geliebte,
Die, selbst im Tiefsten entbrannt,
Nur allzu begierig vernommen
Die Werbung des theueren Mannes.
Sing' immer, immer zu!
Denn alles, was ihr verschuldet,
Vermagst du's im Lied zu verklären,
Daß gern ein reines Auge
Bei seinem Anblick weilt;
So ist's entsühnt und verziehn.
(S. 339-340)
 

Alle Gedichte aus: Stephan Milow Gedichte Adolf Bonz & Comp. Stuttgart 1882

 


siehe auch: alle Liebesgedichte
von Stephan Milow


 

 


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