Wilhelm Müller (1794-1827) - Liebesgedichte

Wilhelm Müller

 

Wilhelm Müller
(1794-1827)

 

Die schöne Müllerin


Wanderschaft

Das Wandern ist des Müllers Lust,
das Wandern!
Das muß ein schlechter Müller sein,
dem niemals fiel das Wandern ein,
das Wandern.
Vom Wasser haben wir's gelernt,
vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
ist stets auf Wanderschaft bedacht,
das Wasser.
Das sehn wir auch den Rädern ab,
den Rädern!
Die gar nicht gerne stille stehn,
die sich mein Tag nicht müde gehn,
die Räder.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
die Steine!
Sie tanzen mit den muntern Reihn
und wollen gar noch schneller sein,
die Steine.
O Wandern, Wandern, meine Lust,
o Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
laßt mich in Frieden weiter ziehn
und wandern.
(S. 4-5)

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Wohin?

Ich hört' ein Bächlein rauschen
wohl ans dem Felsenquell,
hinab zum Thale rauschen
so frisch und wunderhell.

Ich weiß nicht, wie mir wurde,
nicht, wer den Rat mir gab,
ich mußte auch hinunter
mit meinem Wanderstab.

Hinunter und immer weiter,
und immer dem Bache nach,
und immer heller rauschte
und immer heller der Bach.

Ist das denn meine Straße?
O Bächlein, sprich, wohin?
Du hast mit deinem Rauschen
mir ganz berauscht den Sinn.

Was sag' ich denn von Rauschen?
Das kann kein Rauschen sein:
es singen wohl die Nixen
tief unten ihren Reihn.

Laß singen, Gesell', laß rauschen
und wandre fröhlich nach!
Es gehn ja Mühlenräder
in jedem klaren Bach!
(S. 5-6)

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Halt!

Eine Mühle seh' ich blinken
aus den Erlen heraus,
durch Rauschen und Singen
bricht Rädergebraus.

Ei willkommen, ei willkommen,
süßer Mühlengesang!
Und das Haus, wie so traulich!
Und die Fenster, wie blank!

Und die Sonne, wie helle
vom Himmel sie scheint.
Ei, Bächlein, liebes Bächlein,
war es also gemeint?
(S. 6)

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Danksagung an den Bach

War es also gemeint,
mein rauschender Freund?
Dein Singen, dein Klingen,
war es also gemeint?

Zur Müllerin hin!
So lautet der Sinn.
Gelt, hab' ich's verstanden?
Zur Müllerin hin.

Hat sie dich geschickt?
Oder hast mich berückt?
Das möcht' ich noch wissen,
ob sie dich geschickt.

Nun, wie's auch mag sein,
ich gebe mich drein;
Was ich such', hab ich funden,
wie's immer mag sein.

Nach Arbeit ich frug,
nun hab ich genug
für die Hände, für's Herze,
vollauf genug!
(S. 6-7)

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Am Feierabend

Hätt' ich tausend Arme zu rühren!
Könnt ich brausend die Räder führen!
Könnt ich wehen durch alte Haine!
Könnt ich drehen alle Steine,
daß die schöne Müllerin
merkte meinen treuen Sinn.

Ach, wie ist mein Arm so schwach!
Was ich hebe, was ich trage,
was ich schneide, was ich schlage,
jeder Knappe thut es nach.
Und da sitz' ich in der großen Runde,
in der stillen, kühlen Feierstunde,
und der Meister sagt zu allen:
Euer Werk hat mir gefallen;
und das liebe Mädchen sagt
allen eine gute Nacht.
(S. 7)

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Der Neugierige

Ich frage keine Blume,
ich frage keinen Stern,
sie können mir alle nicht sagen,
was ich erführ' so gern.

Ich bin ja auch kein Gärtner,
die Sterne stehn zu hoch;
mein Bächlein will ich fragen,
ob mich mein Herz belog.

O Bächlein meiner Liebe,
wie bist da heut' so stumm!
Will ja nur eines wissen,
ein Wörtchen um und um.

Ja! heißt das eine Wörtchen,
das andre heißet Nein,
die beiden Wörtchen schließen
die ganze Weit mir ein.

O Bächlein meiner Liebe,
was bist du wunderlich!
Will's ja nicht weiter sagen,
sag', Bächlein, liebt sie mich?
(S. 8)

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Das Mühlenleben

Seh' ich sie am Bache sitzen,
Wenn sie Fliegennetze strickt,
Oder Sonntags für die Fenster
Frische Wiesenblumen pflückt;

Seh' ich sie zum Garten wandeln,
Mit dem Körbchen in der Hand,
Nach den ersten Beeren spähen
An der grünen Dornenwand:

Dann wird's eng' in meiner Mühle,
Alle Mauern ziehn sich ein,
Und ich möchte flugs ein Fischer,
Jäger oder Gärtner sein.

Und der Steine lustig Pfeifen,
Und des Wasserrads Gebraus,
Und der Werke emsig Klappern,
'S jagt mich fast zum Thor hinaus.

Aber wenn in guter Stunde
Plaudernd sie zum Burschen tritt,
Und als kluges Kind des Hauses
Seitwärts nach dem Rechten sieht;

Und verständig lobt den Einen,
Daß der Andre merken mag,
Wie er's besser treiben solle,
Geht er ihrem Danke nach -

Keiner fühlt sich recht getroffen,
Und doch schießt sie nimmer fehl,
Jeder muß von Schonung sagen,
Und doch hat sie keinen Hehl.

Keiner wünscht, sie möchte gehen,
Steht sie auch als Herrin da,
Und fast wie das Auge Gottes
Ist ihr Bild uns immer nah. -

Ei, da mag das Mühlenleben
Wohl des Liedes würdig sein,
Und die Räder, Stein' und Stampfen
Stimmen als Begleitung ein.

Alles geht in schönem Tanze
Auf und ab, und ein und aus:
Gott gesegne mir das Handwerk
Und des guten Meisters Haus!
(S. 8-9)

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Ungeduld

Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein,
ich grüb' es gern in jeden Kieselstein,
ich möcht es sä'n auf jedes frische Beet
mit Kressensamen, der es schnell verräth,
auf jeden weißen Zettel möcht' ich's schreiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben.

Ich möcht' mir ziehen einen jungen Star,
bis daß er spräch' die Worte rein und klar,
bis er sie spräch' mit meines Mundes Klang,
mit meines Herzens vollem, heißen Drang;
dann säng' er hell durch ihre Fensterscheiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben.

Den Morgenwinden möcht' ich's hauchen ein,
ich möcht' es säuseln durch den regen Hain;
o leuchtet' es ans jedem Blumenstern!
Trüg' es der Duft zu ihr von nah und fern!
Ihr Wogen, könnt ihr nichts als Räder treiben?
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben.

Ich meint', es müßt' in meinen Augen stehn,
auf meinen Wangen müßt' man's brennen sehn,
zu lesen wär's auf meinem stummen Mund,
ein jeder Atemzug gäb's laut ihr kund;
und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!
(S. 10)

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Morgengruß

Guten Morgen, schöne Müllerin!
Wo steckst du gleich das Köpfchen hin,
als wär' dir was geschehen?
Verdrießt dich denn mein Gruß so schwer?
Verstört dich denn mein Blick so sehr?
So muß ich wieder gehen.

O laß mich nur von ferne stehn,
nach deinem lieben Fenster sehn,
von ferne, ganz von ferne!
Du blondes Köpfchen, komm hervor!
Hervor ans eurem runden Thor,
ihr blauen Morgensterne.

Ihr, schlummertrunknen Äugelein,
ihr taubetrübten Blümelein,
was scheuet ihr die Sonne?
Hat es die Nacht so gut gemeint,
daß ihr euch schließt und bückt und weint
nach ihrer stillen Wonne?

Nun schüttelt ab der Träume Flor,
und hebt euch frisch und frei empor
in Gottes hellen Morgen!
Die Lerche wirbelt in der Luft;
und aus dem tiefen Herzen ruft
die Liebe Leid und Sorgen.
(S. 10-11)

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Des Müllers Blumen

Am Bach viel kleine Blumen stehn,
aus hellen, blauen Augen sehn;
der Bach, der ist des Müllers Freund,
und hellblau Liebchens Auge scheint,
drum sind es meine Blumen.

Dicht unter ihrem Fensterlein,
da pflanz' ich die Blumen ein,
da ruft ihr zu, wenn alles schweigt,
wenn sich ihr Haupt zum Schlummer neigt,
ihr wißt ja, was ich meine.

Und wenn sie thät' die Äuglein zu
und schläft in süßer, süßer Ruh',
dann lispelt als ein Traumgesicht
Ihr zu: Vergiß, vergiß mein nicht!
Das ist es, was ich meine.

Und schließt sie früh die Laden auf,
dann schaut mit Liebesblick hinauf;
der Thau in euren Äugelein,
das sollen meine Thränen sein,
die will ich auf euch weinen.
(S. 11-12)

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Thränenregen

Wir saßen so traulich beisammen
im kühlen Erlendach,
wir schauten so traulich zusammen
hinab in den rieselnden Bach.

Der Mond war auch gekommen,
die Sternlein hinterdrein,
und schauten so traulich zusammen
in den silbernen Spiegel hinein.

Ich sah nach keinem Monde,
nach keinem Sternenschein,
ich schaute nach ihrem Bilde,
nach ihren Augen allein.

Und sahe sie nicken und blicken
herauf aus dem seligen Bach,
die Blümlein am Ufer, die blauen,
sie nickten und blickten ihr nach.

Und in den Bach versunken
der ganze Himmel schien,
und wollte mich mit hinunter
in seine Tiefe ziehn.

Und über den Wolken und Sternen
da rieselte munter der Bach
und rief mit Singen und Klingen:
Geselle, Geselle, mir nach!

Da gingen die Augen mir über,
da ward es im Spiegel so kraus;
sie sprach: es kommt ein Regen,
ade! ich geh' nach Haus.
(S. 12-13)

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Mein!

Bächlein, laß dein Rauschen sein!
Räder, stellt eur Brausen ein!
All ihr muntern Waldvögelein,
groß und klein,
endet eure Melodein!
Durch den Hain
aus und ein
schalle heut' ein Reim allein:
die geliebte Müllerin ist mein!
Mein!

Frühling, sind das alle deine Blümelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach! so muß ich ganz allein,
mit dem seligen Worte mein,
unverstanden in der weiten Schöpfung sein.
(S. 13)

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Pause

Meine Laute hab' ich gehängt an die Wand,
hab' sie umschlungen mit einem grünen Band -
ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist zu voll,
weiß nicht, wie ich's in Reime zwingen soll.

Meiner Sehnsucht allerheißesten Schmerz
durft ich aushauchen in Liederscherz,
und wie ich klagte so süß und fein,
glaubt' ich doch, mein Leiden wär' nicht klein.

Ei, wie groß ist wohl meines Glückes Last,
daß kein Klang auf Erden es in sich faßt!
Nun, liebe Laute, ruh' an dem Nagel hier!
Und weht ein Lüftchen über die Saiten dir,
und streift eine Biene mit ihren Flügeln dich,
da wird mir so bange, und es durchschauert mich!

Warum ließ ich das Band auch hängen so lang'?
Oft fliegt's um die Saiten mit seufzendem Klang.
Ist es der Nachklang meiner Liebespein?
Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?
(S. 13-14)

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Mit dem grünen Lautenbande

»Schad um das schöne grüne Band,
daß es verbleicht hier an der Wand,
ich hab das Grün so gern!«
So sprachst du, Liebchen, heut zu mir;
gleich knüpf' ich's ab und send es dir:
Nun hab' das Grüne gern!

Ist auch dein ganzer Liebster weiß,
soll Grün doch haben seinen Preis,
und ich auch hab' es gern.
Weil uns're Lieb' ist immer grün,
weil grün der Hoffnung Fernen blühn,
drum haben wir es gern!

Nun schlingst du in die Locken dein
das grüne Band gefällig ein,
du hast ja's Grün so gern.
Dann weiß ich, wo die Hoffnung grünt,
dann weiß ich, wo die Liebe thront,
dann hab' ich's Grün erst gern!
(S. 14)

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Der Jäger

Was sucht denn der Jäger am Mühlbach hier?
Bleib', trotziger Jäger, in deinem Revier!
Hier gibt es kein Wild zu jagen für dich,
Hier wohnt nur ein Rehlein, ein zahmes, für mich.
Und willst du das zärtliche Rehlein sehn,
so laß deine Büchsen im Walde stehn,
und laß deine klaffenden Hunde zu Haus,
und laß auf dem Horne den Saus und Braus,
und schere vom Kinne das struppige Haar,
sonst scheut sich im Garten das Rehlein fürwahr.

Doch besser, du bliebest im Walde dazu
und ließest die Mühlen und Müller in Ruh'.
Was taugen die Fischlein im grünen Gezweig?
Was will denn das Eichhorn im bläulichen Teich?
Drum bleibe, du trotziger Jäger, im Hain,
und laß mich mit meinen drei Rädern allein;
und willst meinem Schätzchen dich machen beliebt,
so wisse, mein Freund, was ihr Herzchen betrübt:
Die Eber, die kommen zu Nacht aus dem Hain
und brechen in ihren Kohlgarten ein
und treten und wühlen herum in dem Feld;
die Eber, die schieße, du Jägerheld!
(S. 14-15)

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Eifersucht und Stolz

Wohin so schnell, so kraus und wild, mein lieber Bach?
Eilst du voll Zorn dem frechen Bruder Jäger nach?
Kehr' um, und schilt erst deine Müllerin
für ihren leichten, losen, kleinen Flattersinn!
Sahst du sie gestern Abend nicht am Tore stehn,
mit langem Halse nach der großen Straße sehn?
Wenn von dem Fang der Jäger lustig zieht nach Haus,
da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster 'naus.
Geh, Bächlein, hin und sag' ihr das; doch sag ihr nicht,
hörst du, kein Wort, von meinem traurigen Gesicht;
sag ihr: Er schnitzt bei mir sich eine Pfeif' aus Rohr
und bläst den Kindern schöne Tänz und Lieder vor!
(S. 15)

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Erster Schmerz, letzter Scherz

Nun sitz' am Bache nieder
Mit deinem hellen Rohr,
Und blas' den lieben Kindern
Die schönen Lieder vor.

Die Lust ist ja verrauschet,
Das Leid hat immer Zeit:
Nun singe neue Lieder
Von alter Seligkeit.

Noch blühn die alten Blumen,
Noch rauscht der alte Bach,
Es scheint die liebe Sonne
Noch wie am ersten Tag.

Die Fensterscheiben glänzen
Im klaren Morgenschein,
Und hinter den Fensterscheiben
Da sitzt die Liebste mein.

Ein Jäger, ein grüner Jäger,
Der liegt in ihrem Arm -
Ei, Bach, wie lustig du rauschest!
Ei, Sonne, wie scheinst du so warm!

Ich will einen Strauß dir pflücken,
Herzliebste, von buntem Klee,
Den sollst du mir stellen an's Fenster,
Damit ich den Jäger nicht seh'.

Ich will mit Rosenblättern
Den Mühlensteg bestreun:
Der Steg hat mich getragen
Zu dir, Herzliebste mein!

Und wenn der stolze Jäger
Ein Blätchen mir zertritt,
Dann stürz', o Steg, zusammen
Und nimm den Grünen mit!

Und trag' ihn auf dem Rücken
In's Meer, mit gutem Wind,
Nach einer fernen Insel,
Wo keine Mädchen sind.

Herzliebste, das Vergessen,
Es kommt dir ja nicht schwer -
Willst du den Müller wieder?
Vergißt dich nimmermehr.
(S. 15-17)

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Die liebe Farbe

In Grün will ich mich kleiden,
in grüne Tränenweiden:
mein Schatz hat's Grün so gern.
Will suchen einen Zypressenhain,
eine Heide ton grünem Rosmarein:
Mein Schatz hat's Grün so gern.

Wohlauf zum fröhlichen Jagen!
Wohlauf durch Heid und Hagen!
Mein Schatz hat's Jagen so gern.
Das Wild, das ich jage, das ist der Tod,
die Heide, die heiß' ich die Liebesnoth:
Mein Schatz hat's Jagen so gern.

Grabt mir ein Grab im Wasen,
deckt mich mit grünem Rasen!
Mein Schatz hats Grün so gern.
Kein Kreuzlein schwarz, kein Blümlein bunt,
grün Alles, grün so rings und rund!
Mein Schatz hats Grün so gern.
(S. 17)

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Die böse Farbe

Ich möchte ziehn in die Welt hinaus,
hinaus in die weite Welt;
wenn's nur so grün, so grün nicht wär
da draußen in Wald und Feld!

Ich möchte die grünen Blätter
pflücken von jedem Zweig,
ich möchte die grünen Gräser all'
weinen ganz todtenbleich.

Ach Grün, du böse Farbe du,
was siehst mich immer an
so stolz, so keck, so schadenfroh,
mich armen, weißen Mann?

Ich möchte liegen vor ihrer Tür,
im Sturm und Regen und Schnee,
und singen ganz leise bei Tag und Nacht
das eine Wörtchen Ade!

Horch, wenn im Wald ein Jagdhorn schallt,
da klingt ihr Fensterlein,
und schaut sie auch nach mir nicht aus,
darf ich doch schauen hinein.

O binde von der Stirn dir ab
das grüne, grüne Band;
Ade, ade! und reiche mir
zum Abschied deine Hand!
(S. 17-18)

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Blümlein Vergißmein

Was treibt mich jeden Morgen
So tief in's Holz hinein?
Was frommt mir, mich zu bergen
Im unbelauschten Hain?

Es blüht auf allen Fluren
Blümlein Vergiß mein nicht,
Es schaut vom heitern Himmel
Herab in blauem Licht.

Und soll ich's niedertreten,
Bebt mir der Fuß zurück,
Es fleht aus jedem Kelche
Ein wohlbekannter Blick.

Weißt du, in welchem Garten
Blümlein Vergiß mein steht?
Das Blümlein muß ich suchen,
Wie auch die Straße geht.

'S ist nicht für Mädchenbusen,
So schön sieht es nicht aus:
Schwarz, schwarz ist seine Farbe,
Es paßt in keinen Strauß.

Hat keine grüne Blätter,
Hat keinen Blüthenduft,
Es windet sich am Boden
In nächtig dumpfer Luft.

Wächst auch an einem Ufer,
Doch unten fließt kein Bach,
Und willst das Blümlein pflücken,
Dich zieht der Abgrund nach.

Das ist der rechte Garten,
Ein schwarzer, schwarzer Flor:
Darauf magst du dich betten -
Schleuß zu das Gartenthor!
(S. 18-19)

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Trockne Blumen

Ihr Blümlein alle,
die sie mir gab,
euch soll man legen
mit mir ins Grab.
Was seht ihr alle
mich an so weh,
als ob ihr wüßtet,
wie mir gescheh?
Ihr Blümlein alle,
wie welk, wie blaß?
Ihr Blümlein alle,
wovon so naß?

Ach, Thränen machen
nicht maiengrün,
machen todte Liebe
nicht wieder blühn,
und Lenz wird kommen,
und Winter wird gehn,
und Blümlein werden
im Grase stehn,
und Blümlein liegen
in meinem Grab,
die Blümlein alle,
die sie mir gab.

Und wenn sie wandelt
am Hügel vorbei
und denkt im Herzen:
der meint' es treu!
Dann Blumlein alle
heraus, heraus!
Der Mai ist kommen,
der Winter ist aus.
(S. 19-20)

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Der Müller und der Bach

Der Müller

Wo ein treues Herze
in Liebe vergeht,
da welken die Lilien
auf jedem Beet,
da muß in die Wolken
der Vollmond gehn,
damit seine Thränen
die Menschen nicht sehn;
Da halten die Englein
die Augen sich zu
und schluchzen und singen
die Seele zur Ruh'!

Der Bach

Und wenn sich die Liebe
dem Schmerz entringt,
ein Sternlein, ein neues,
am Himmel erblinkt. -
da springen drei Rosen
halb rot und halb weiß,
die welken nicht wieder,
aus Dornenreis;
und die Engelein schneiden
die Flügel sich ab
und gehn alle Morgen
zur Erde herab.

Der Müller

Ach Bächlein, liebes Bächlein,
du meinst es so gut;
ach Bächlein, aber weißt du,
wie Liebe thut?
Ach unten, da unten,
die kühle Ruh'!
Ach Bächlein, liebes Bächlein,
so singe nur zu.
(S. 20-21)

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Des Baches Wiegenlied

Gute Ruh', gute Ruh'! Thu' die Augen zu!
Wandrer, du müder, du bist zu Haus.
Die Treu' ist hier, sollst liegen bei mir,
bis das Meer will trinken die Bächlein aus.

Will betten dich kühl auf weichen Pfühl,
in dem blauen kristallenen Kämmerlein.
Heran, heran, was wiegen kann!
Woget und wieget den Knaben mir ein.

Wenn ein Jagdhorn schallt aus dem grünen Wald,
will ich sausen und brausen wohl um dich her.
Blickt nicht hinein, blaue Blümelein!
Ihr macht meinem Schläfer die Träume so schwer.

Hinweg, hinweg von dem Mühlensteg!
Hinweg, hinweg, böses Mägdelein,
daß ihn dein Schatten, dein Schatten nicht weckt.
Wirf mir herein dein Tüchlein fein,
daß ich die Augen ihm halte bedeckt.

Gute Nacht, gute Nacht! bis alles wacht,
schlaf aus deine Freude, schlaf aus dein Leid!
Der Vollmond steigt, der Nebel weicht,
und der Himmel da droben, wie ist er so weit.
(S. 21-22)

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Gedichte aus: Gedichte von Wilhelm Müller. Vollständige kritische Ausgabe bearbeitet von James Taft Hatfield. Berlin W. 35 B. Behr's Verlag 1906. (Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts No. 137)


 


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