Anton Noder (1864-1936) - Liebesgedichte

 



Anton Noder (Ps. A. de Nora)
(1864-1936)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Kommt!

Ich bin nicht von der Asra Stamm geboren,
Die sterben müssen, wenn sie lieben!
Ich bin kein Baum, der alle Kraft verloren,
Wenn er die eine Frucht getrieben.

Mein Herz gleicht jenen Äckern, die voll Ähren
An reifen Sommertagen prangen
Und klirrend ihrer Schnitterin begehren ...
Und sieh, die Schnitt'rin kommt gegangen.

Mit hellen Augensternen oder dunkeln -
Mit blonden oder braunen Locken -
Und läßt die Sichel in der Sonne funkeln -
Und schneidet lachend ihren Roggen.

Mein Herz ist reich und süß ist seine Spende.
Kommt, schöne Schnitterinnen,
Und erntet Liebe! Liebe ohne Ende!
Denn immer neue sprießt darinnen
(S. 3-4)
_____


Fünf Sonette für die Frauen

I.
Euch brauch' ich! Euresgleichen tut mir not
Wie mir die Blumen not tun auf der Flur,
Die Himmelsbläue und das Abendrot
Und alles Schöne, Zarte der Natur.

Ich weiß es wohl, um satt zu werden nur,
Genügte auch des Alltags trocken Brot.
Doch so zu leben, ohne jede Spur
Des Schönen wäre schlimmer als der Tod.

Drum brauch' ich Euch! Und Eures Angesichts
Erröten, Lächeln, Euer Blick und Wort
Und Lieben sind mir Alles! - Oder Nichts!

- Denn wenn ich wandle auf der Bahn des Lichts,
Dann schreit' ich über Euch, o Blumen, fort,
Gleichgiltig ob Ihr blühet, ob verdorrt- -


II.
Und ob Euch kranke Toren auch verdammen
Und Euch entkleiden allen Menschenwerts,
An Einem bricht ihr ganzer Bau zusammen:
Und dieses Eine ist - das Menschenherz.

Denn Euch verdankt es seine schönsten Flammen,
Die höchste Seligkeit, den tiefsten Schmerz -
Ihr könnt nicht aus dem Schutt der Schöpfung stammen!
Ihr kamt vielleicht vom Himmel niederwärts!

Vielleicht als Heiland seid Ihr uns gesandt,
Mit reinen, gütigen Erlöserhänden
In Liebe alles Leid mit uns zu tragen -

Die Torheit aber hat Euch nicht erkannt
Und schweigend sterbt Ihr, wie Erlöser enden:
Gequält, verspottet und ans Kreuz geschlagen.


III.
Stellt an das Sterbebett mir schöne Frauen,
Damit, wenn dieses Aug' im Tode schwimmt,
Es noch das Beste mit hinübernimmt,
Was ihm vergönnt auf dieser Welt zu schauen!

Sei mir dann Freude oder Fluch bestimmt,
Mir gilt es gleich! Denn einer Hölle Grauen
Wird dieser Funke Himmel überblauen,
Der in den Blicken schöner Frauen glimmt.

Und wird die Qual der Ewigkeit versüßen
Und durch der Teufel ganze schwarze Schar
Wird mich ein weißes Frauenantlitz grüßen

Mit seinem Engelslächeln wunderbar,
Und gern will mit Unseligkeit ich büßen
Die Seligkeit, die mir auf Erden war.


IV.
Nicht Jene, die Euch schmeicheln wenn Ihr hold
Und heiß und jung seid und mit vollen Brüsten
Euch hingebt ihrer Lust und ihren Lüsten -
Nicht Jene sind es, die Ihr lieben sollt!

Wer Euch die wahre Frauenehre zollt
Und dem sich Eure Herzen neigen müßten,
Der liebt auch Lippen, die ihn niemals küßten,
Und küßt auch Hände, die er nie gewollt.

Und hält Euch heilig, ob Ihr alt, ob jung,
Schlecht oder gut seid, Weise oder Toren,
Als weibgewordene Erinnerung

Des Paradieses, das wir einst verloren,
Und das uns Einmal wenigstens im Leben
Durch Eure Liebe wird zurückgegeben.


V.
Ich möchte sterben unter Eros' Flügel!
In einem Augenblick der höchsten Lust,
Gebeugt auf einer weißen Frauenbrust,
Von Liebesglück geschwellte Lilienhügel!

Inmitten meiner Sünden Maienblust!
Den Fuß noch in der Leidenschaften Bügel!
Schnell - ohne Sterbgeklingel und Geklügel!
Zu Ende - und des Endes nicht bewußt!

So möcht' ich sterben! Und im Nichts verschwinden,
Wie Sonnenstaub in einem dunklen Raum,
Wie Opferdampf in weichen Abendwinden,

Wie Mutterlied in einem Kindertraum;
Und über meinem Grabe müßte prangen
Die goldne Schrift: In Seligkeit vergangen!
(S. 5-9)
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Wenn Du mich liebst

Du bist in meine Macht gebannt,
Ich halte Dich, Du schönes Weib,
Und wenn ich schlösse meine Hand
Umschlöß' ich Dich mit Seel und Leib!

Und doch, sieh her, ich will es nicht!
Nicht meine Sklavin sollst Du sein!
Ich will, daß Deine Lippe spricht
Aus freien Stücken: Ich bin Dein!

Eh' nicht Dein Mund in heißer Lust
Von selber mir entgegenglüht,
Eh' nicht Dein Arm an diese Brust
Mich liebestrunken niederzieht -

Nicht eher sollst Du werden mein!
Denn ich will stärker sein als Du
Und Dich verdanken Dir allein!
 - Wenn Du mich liebst, fliegst Du mir zu ...
(S. 10-11)
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Träume

Schön wie Dein Lächeln kam die Nacht
Mit Flügeln, weich wie Deine Wangen
Und schwebte an mein Lager sacht
Und hielt mich, süß wie Du, umfangen.

Und sah mir schweigend ins Gesicht
Mit Augen dunkel wie die Deinen,
Und ließ der Träume mildes Licht
In meine müde Seele scheinen.

Und meine Seele schloß sich zu
Wie eine Ros' im Mondesschimmer -
Ob es die Nacht war oder Du,
Die mich geküßt - ich weiß es nimmer ...
(S. 12)
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Wie ein verboten Buch

Ich bin wie ein verboten Buch,
Das lange war vor Dir versteckt
Und das Du plötzlich beim Besuch
Geheimer Winkel nun entdeckt.

Und nun ich aufgeschlagen bin
Wirst Du mich lesen, wild und heiß!
Es stehen viel Geschichten drin
Die niemand wissen darf und weiß.

Doch auch viel schöne Lieder steh'n,
Darin und Märchen wunderbar!
Du sprichst, wenn Du das Buch geseh'n,
Es war so schön wie keines war ...
(S. 13)
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Frühlingsstürme

Wie ist es denn gekommen?
Es war wie ein Traum!
Es hat uns mitgenommen
Wie Blätter am Baum,

Die einsam über geblieben
Vom Winter sind,
Und die zusammengetrieben
Der Frühlingswind,

Und die aneinander schmiegen
Sich eng und dicht -
Wohin sie mitsammen fliegen
Sie wissen's nicht.
(S. 14)
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Läuterung

Das eine Glück, das große, wundervolle,
Das jedem Menschen einmal nur gegeben -
Die Leidenschaft, die echte, heiße, tolle,
Die jeder einmal nur erlebt im Leben -

Du wirst sie jetzt, mein liebes Kind, erfahren!
Durch Deine Seele wird sie wild gewittern
Und Dich erschüttern, und in langen Jahren
Nachklingend noch in Deinem Herzen zittern ...

Doch fühlen mußt Du sie! Es muß verbrennen
Das Herz einmal die Flügel an der Flamme,
Daß es sich nicht in eitlem Selbstverkennen
Zu hoch erhebe und zu tief verdamme!
(S. 15)
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Akkorde

Du darfst Deine Lieb' nicht zeigen
Und bist mir dennoch treu!
Du darfst nie werden mein Eigen
Und fühlst doch keine Reu'.

Denn Deiner Seele Saiten
Sind so auf meine gestimmt,
Daß sie über alle Weiten
Der meinigen Ton vernimmt.

Und wenn sie auch nicht das Leben
Auf eine Harfe schlang,
Sie schwingen doch gleich und geben
Zusammen nur einen Klang.
(S. 16)
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Dein Bild

All mein Sehnen und mein Sinnen
Ist von Dir, von Dir erfüllt.
Auf der Brust und tief darinnen
Trag' ich Dein geliebtes Bild.

Mit der Morgensonne blickt es
Mir ins Auge, kaum erwacht;
Mit der Abendröte nickt es
Mir das letzte Gutenacht.

Und durch meine dunklen Träume
Zittert es mit weißem Licht
Wie durch dunkles Laub der Bäume
Weißer Mondesschimmer bricht.
(S. 17)
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Herzensschläge

Wenn dieses müde Haupt ich lege
An Deine treue Schulter hin,
Dann hör' ich Deiner Herzensschläge
Verborgen-süße Melodien.

Wie schön es sich in Deinem Arme,
Auf diesen weißen Hügeln ruht,
In deren Grunde rauscht das warme,
Das lebenswarme junge Blut!

Mir ist, als ob es aus der Tiefe
Mit heißem Flüstern immerzu
Die Worte mir entgegenriefe:
Wie lieb bist Du! Wie lieb bist du!

Mir ist, als ob mit seinem Hammer
Es immer klopfte an die Tür
Der kleinen engen Herzenskammer:
Ich will zu Dir! Ich will zu Dir!

Mir ist als ob nach jedem Schlage
Es stille lauschend stehen blieb',
Als möcht' es Antwort auf die Frage:
Hast Du mich lieb? Hast Du mich lieb?

Ja, Herz! Du närrisch wildes, kleines!
Du Herz, von heißer Lieb' betört!
Geh zu! Ich hab' Dich lieb wie keines!
- Hast Du's gehört? Hast Du's gehört?
(S. 19)
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Vision

In diesem Riesenlärm der Stadt,
In all dem Brausen, Klirr'n und Dröhnen
Ist mir als hört' ich, fern und matt,
Doch Deine sanfte Stimme tönen.

Und aus der Jagd des ohne Ruh'
Vorüberhastenden Getriebes
Blickt mir mit stillen Augen zu
Dein Angesicht, Dein blasses, liebes.

Wie einer, dem in Fieber glüh'n
Die Schläfen, und die Pulse schlagen,
Und dessen Hirn die Phantasien
In wilder Bilderflucht durchjagen,

Doch immerzu das Angesicht
Erblickt der bleichen, stillen Nonne,
Das seinen wirrsten Wahn durchbricht
Wie einen Nebeltag die Sonne,

Und deren feine kühle Hand
Ihn schützt, daß ihm kein Leid geschehe,
Und die er noch im Sterben ahnt
Wie eines Engels stumme Nähe.
(S. 20-21)
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Ave-Läuten

Wenn die Ave-Glocken klingen
Denk' ich Deiner, süßes Kind,
Ach, als müßt' auf ihren Schwingen
Grüße bringen
Mir der Abendwind.

Denn wie weit Du auch gegangen,
Unsre Liebe trennt kein Raum,
Und die armen, sehnsuchtsbangen
Herzen hangen
Noch am alten Traum.
(S. 22)
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Nocturno

Ein Abend im Herbst. Ein einsames Zimmer.
Darinnen lag
Mit mattem bläulichem Schimmer
Der sterbende Tag.
Und Du
Saßest am Flügel;
Ich sah und hörte im Dunkel Dir zu.
Über die weißen Tasten hin
Flatterte Deiner Finger Flug
Wie über die weißen Kreidehügel
An Englands Küste die Möven flieh'n.
Ich hörte Akkorde brausen und schwellen
Wie Brandung, die an die Klippen schlug
Dazwischen manchmal schrillte ein Schrei
Wie von Weh - -
Und dunkler und dunkler wurde die See -.
Im Dunkel verschwand
Der Mövenflug und der weiße Strand.

Doch auf der rauschenden schwarzen Flut
Trieb plötzlich vorbei ...
Ein Menschenhaupt ...! Ich sah es gut,
Und starrte es an, und sah nichts mehr
Als seine blassen, marmornen Wangen
Und das feine Profil, und wie grüne Schlangen
Ringelnde Locken um seine Stirn
Und tief, aus tiefen Höhlen her
Zwei todestraurige Augen irr'n
Wie Seelen, die in den Himmel wollen
Und finden ihn nicht - - -
- Und ich erkannte dies blasse Gesicht!
- Es war Deins!! -
In all dem Brausen und Tosen und Grollen
In all dem Wirbel weinender Stimmen
Die aus dem Wogen der Brandung schrien,
Trieb es schweigend dahin
Wie eine Leiche ...
Ich starrte entsetzt
Nur auf dies Antlitz, das totenbleiche,
Und sah es auf unsichtbaren Wogen
Schwimmen - verschwimmen - -
Als würd' es in gähnende Meerestiefen
Hinabgezogen . . . . . .
Stille zuletzt.
Die Töne entschliefen.
Nacht lag außen - und drinnen.
Und plötzlich, traurig, hast Du geboten
Mir Deine Hand
Und hießest mich geh'n.
Eine kühle Hand, wie die Hände der Toten!
- - - Meine Seele verstand.
- Ich ging von hinnen
- - Und habe Dich nie mehr, nie mehr geseh'n . . . 
(S. 23-25)
_____


Vergessen

Ich möchte Dich vergessen,
Wie einer, der erwacht,
Am Morgen hat vergessen
Die Träume seiner Nacht.

Nicht weiß er, ob ihm bange
Ob selig-süß geträumt,
Er fühlt nur, daß die Wange
Noch heiße Röte säumt

Und daß in seinem Herzen
Ein Zittern blieb zurück -
Wie von vergang'nen Schmerzen -
Wie von verlor'nem Glück.
(S. 26)
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Sehnsucht

Sehnsucht ist der Wünsche Flug,
Die der Seele schnellster Flügel
Vorwärts über Tal und Hügel
In das Land der Liebsten trug.

An des Hauses Fensterlein
Pochen sie mit leisem Schlagen:
Liebchen, höre was wir sagen! -
Aber niemand läßt sie ein.

Und sie ziehen ihren Zug
Rückwärts über Tal und Hügel,
Langsam, mit gelähmtem Flügel -
- Sehnsucht ist der Wünsche Flug.
(S. 27)
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Weihnacht

Von seinem Heimatgrunde losgerissen
Steht der geschmückte Tannenbaum vor Dir,
Und wird für Dich zu Grunde gehen müssen
In seines Schmucks und seiner Lichter Zier.

Denn wieviel Seligkeit Du auch empfunden
In seines Glanzes märchenhafter Pracht -
Vergessen wirst Du ihn nach wenig Stunden
Und schleudern ihn zurück in seine Nacht.

Wie Du ein Herz geworfen zu den Toten,
Das, losgelöst von seinem Heimatherd,
Dir auch sein Schönstes, Süßestes geboten
Und sich in Flammenpracht für Dich verzehrt!

Denkst Du daran! Es zischen und es knistern
Die Lichter leis an Deinem Weihnachtsbaum
Wie Geister, die von alter Liebe flüstern - -
Steigt Dir im Herzen auf ein Weihnachtstraum? ...
(S. 28-29)
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Das Lied der Liebe

Oft trägt ein Herz mit Schweigen
In sich schon lang
Sein Lieben, wie die Geigen
In sich den Klang.

Bis endlich drüber gleiten
Wird eine Hand,
Die plötzlich alle Saiten
Zum Spiele spannt -

Und weckt das stumme Sehnen,
Das drinnen schlief,
Und läßt sie bebend tönen,
So voll, so tief,

So wild und doch so leise,
So stark und müd -
Es ist die alte Weise,
Das alte Lied!

Mein Herz hat es gesungen
Wie Sturmgebraus!
 - Die Saiten sind gesprungen -
- Das Lied ist - aus ...
(S. 30-31)
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Oktober-Rosen

Spät sind noch in meinem Garten
Rote Rosen aufgegangen
Brennend rot wie ungestillter
Liebe brennendes Verlangen.

Ach ihr armen wunderschönen
Allzuspät erblühten Rosen!
Keine bunten Schmetterlinge
Kommen mehr mit euch zu kosen.

Keine zarten Nachtigallen
Singen mehr in eure Nächte.
Und gestorben ist die Liebste
Der ich euch zum Gruße brächte.

Kommt! Auf ihrem Grabe sollt ihr
Eure letzte Glut verprangen,
Brennend rot wie ungestillter
Liebe brennendes Verlangen.
(S. 32-33)
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Bekehrung

Ich liebt' einmal ein Mädel
Ein jung' frisches Weib,
Gold'ne Gedanken im Schädel
Ein golden' Herz im Leib.

Da sind die Pfaffen gekommen
Und haben der armen Dirn'
All, all ihr Gold genommen
Aus Herzen und Hirn.

Und haben dem süßen Geschöpfchen
Die Seele erfüllt mit Nacht
Und in das lustige Köpfchen
Gott und den Teufel gebracht.

Nun wird sie ja wohl erwerben
Die himmlische Seligkeit,
Und muß sie auch vorher sterben
An irdischem Herzeleid.
(S. 34-35)
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Um Scherben

Ich habe vor wenig Tagen
Ein kleines Mädchen geseh'n,
Das hat eine Puppe getragen,
Gar sonderlich anzuseh'n.

Das Püppchen war umschimmert
Von Sammet und Seide licht,
In Scherben aber zertrümmert
War ganz sein liebes Gesicht.

Und dennoch mit seltsamer Güte
Hegte sein Spielzeug das Kind,
Als ob es erst recht nun hüte
Die Trümmer, von Liebe blind. -

So hat auch mein Herz getragen
Der Liebe kindischen Traum,
Und nun er in Scherben zerschlagen
Versteh' ich und fühl' es kaum.

Und schmücke mit Liedern noch immer
Ihr letzt' armseliges Stück,
Und hüte noch immer die Trümmer
Von einem zerbroch'nen Glück.
(S. 36-37)
_____


Vergeltung

Ich weiß, Du wirst noch einmal kommen,
Wenn alles, alles längst vorbei! - -
Auf Deinen Lippen, Deinen frommen,
Wird dann erzittern, lustentglommen,
Der Sehnsucht liebeskranker Schrei.

Nicht mehr so keusch zu Boden schlagen
Wirst Du die Augen dann vor mir! -
Sie werden brennend für mich tagen
Und mir von heißer Sünde sagen,
Die jahrelang geloht in Dir!

Nicht mehr die Arme wirst Du recken
Zum Himmel betend und verzückt -
Sie werden mir entgegenstrecken
Die Hände, wie ein Opferbecken,
Auf dem Dein Leben für mich liegt!

So wird es sein! Wie damals wieder
Wird es ein Tag voll Sonne sein,
Voll blauer Luft und blauem Flieder
Und Jubelruf der Lerchenlieder - -
Ich aber werde sagen: - Nein!
(S. 38-39)
_____


Der Tod und der Frühling

Es kann nichts Schlimmres geben
Von allen Schicksalsgaben
Als, wenn sich kraftgeschwellt
Ringsum erneut das Leben,
Im Frühling zu begraben
Sein Liebstes auf der Welt.

Auf grünem Rasenkissen
Das übersät die bunte
Jungfrische Frühlingspracht,
Klafft gähnend aufgerissen
Wie eine schwere Wunde
Der schwarze Grabesschacht.

Da senken sie hinunter
Die Truhe, die Dein Lieben,
Dein ganzes Lieben barg;
Dir ist als ob sie drunter
Für immer auch begruben
Den Frühling mit dem Sarg.

Mit jeder Schaufel Erden
Wird ja hinabgenommen
Ein ganzes Blumenheer -
- Ach nächsten Frühling werden
Die Blumen wiederkommen . . .
Nie, nie Dein Liebes mehr!
(S. 50-51)
_____


Die Lieb' ist eine Nachtigall ...

Die Lieb' ist eine Nachtigall
Und weilt nicht gern an jenem Ort,
Wo Stürme tosen allzusehr;
Und wenn es kalt wird um sie her,
Dann zieht sie fort.

Die Lieb' ist eine Nachtigall.
Das wunderschönste Lied hat sie;
Doch wo noch eine Brust durchzieht
Der andern Leidenschaften Lied,
Erklingt es nie.

Die Lieb' ist eine Nachtigall.
So ärmlich ist ihr Tageskleid.
Doch in der Mondschein-Nächte Glanz
Liegt ihr die Welt zu Füßen ganz
In Seligkeit.

Die Lieb' ist eine Nachtigall.
Im gold'nen Käfig singt sie nicht.
Doch wem sie einst im Walde sang,
Der mag ihr Lied sein Leben lang
Vergessen nicht.
(S. 52-53)
_____


Dichterliebe

Ihr, die ihr einen Dichter elend macht,
Seid nicht so stolz auf euer Schönheit Macht!

Ihr seid oft nur die Form, in welche wild
Sein heißes Glockenherz der Liebe quillt,

Die Form, in die er glühend alles gießt
Wovon sein Herz, sein volles, überfließt.

Wohl gebt ihr, weil ihr selber hart und kalt,
Erst seiner Sehnsucht Grenze und Gestalt

Und bändigt seines Geistes Feuerschwall
Und härtet ihn zum tönenden Metall -

Doch wenn er sich einmal zum Himmel schwingt
Und all sein Weh und Glück im Liede klingt,

Dann ist schon längst erloschen seine Glut
Und längst erkaltet jene heiße Flut.

Euch, seiner Liebe Form, zerbricht die Zeit.
Doch was er schuf, gehört der Ewigkeit.
(S. 54-55)
_____


Zwei französische Sonette

I.
Le Sonett d'Arvers
Ein tief Geheimnis liegt auf meines Lebens Grunde:
Ich liebe! Jäh, doch unauslöschlich war der Brand.
O hätt' ich dieser hoffnungslosen Liebe Wunde
Auch jetzt verschwiegen, wie ich ihr sie nie gestand.

Ihr, die nie einen Wunsch vernahm von meinem Munde,
Von deren Munde nie ein Wunsch Gewährung fand!
Ihr, die mich immer sah und die mich nie verstand
Und der ich treu noch bin in meiner Todesstunde!

O sie ist lieb und süß! Und dennoch ruhig schreitet
Sie weiter ihren Weg, treu ihrer strengen Pflicht
Und taub der Liebe, die sich ihr zu Füßen breitet.

Und ruhig wird sie, wenn ihr Auge dies Gedicht,
Dies ganz von ihr, von ihr durchglühte, übergleitet,
Noch fragen: Wer ist "sie"? - Und sie errät es nicht ...


II.
Henri Becque
Nichts ruft sie wieder mir herbei.
Kein Bild hab' ich von ihr, kein Haar
Und keine Zeile! Ganz und gar
Mitsammen fertig sind wir zwei!

Sie war voll Gift und Raserei,
Wie ich voll Gall' und Grobheit war.
Ein wundersames Liebespaar:
Er ohne Glück! Sie ohne Treu!

Nun endlich einmal riß das Band!
Nach soviel Flitterglück und Tand
Und Küssen und Geflenn und Hassen!

Zwei Kämpfer, die sich so zerfetzt,
Daß selbst der Haß sie nicht mehr hetzt
Und sie die Waffen sinken lassen .....
(S. 56-58)
_____


aus: Stürmisches Blut. Hundert Gedichte
von A. De Nora
Leipzig Verlag von L. Staackmann 1905
 

 

Biographie:

Nora, A. de (Ps. für Anton Alfred Noder), * 29. 7. 1864 München, † 7. 5. 1936 ebd.; studierte Medizin in München, 1889 Dr. med., 1889-1910 Arzt in Türkheim, dann in München. Hauptmitarbeiter an der "Jugend". Erzähler, Feuilletonist, Lyriker und Dramatiker.
Schriften: Mein Herz, 1896; Am Rande des Abgrunds. Das dürre Blatt (Nov.) 1898; Das Räthsel - Die Diebin (Nov.) 1898; Die Nachtwandlerin - Die Trud (Nov.) 1899; Stürmisches Blut. Hundert Gedichte, 1905; Sensitive Novellen, 1905; Totentanz. Ein Dutzend Noveletten, 1906; Ruhloses Herz (Ged.) 1908; Maxl Bierjung. Naturgeschichte eines Pennälers, 1908; Nazi Semmelbachers Hochzeitsreise, 1910; Meine Käfersammlung (Species bavaricae). Humoristisch-satirischer "Jugend" - Bilderbogen aus Bayern, 1911; Hochsommer. Neue Gedichte, 1912; Die sieben Schelme von Großlichtheim, Ein fröhliches Plauderbuch, 1913; Madonnen. Ein Zyklus, 1913; Das Soldatenbuch. Neue schöne und lustige Soldatenlieder, 1914; Erfüllung. Neue Gedichte, 1916; Stunden. Neue Novellen, 1917; Das lockende Blut und andere Novellen, 1917; Gesichte. Ein Cyklus (Ged.) 1918; Die Rächer. Novelle aus der Revolutionszeit, 1919; Der Liftboy. Novellen, Grotesken und Skizzen, 1920; Das Ende der Marquise und andere Novellen, 1922; Die Täuscher. Ein Bauernroman aus Schwaben, 1922; Die Tanzprinzessin, 1923; Die Eumenide (Drama), 1923; Das Tal des Willens (Nov.) 1925; Nabelhirn (Roman) 1927; Henker, Heilige, Hetären (10 Nov.) 1928; Giorgione (Roman( 1929; Erinnerungen eines Arztes und Dichters, 1930; Am Färbergraben. Erinnerungen um die Jahrhundertwende, 1932.

aus: Deutsches Literatur-Lexikon. Biogr. - bibliogr. Handbuch Begründet von Wilhelm Kosch. Dritte völlig neu bearb. Auflage
Francke Verlag Bern Stuttgart 1988


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Noder, A. A., psd. A. De Nora , wurde am 29. Juli 1864 in München als Sohn eines Arztes geboren, verlebte seine Jugendzeit in verschiedenen Landstädten Schwabens und Frankens und erhielt seine Gymnasialbildung an den humanistischen Gymnasien in Kempten, Neuburg u. München. 1882 bezog er die Universität seiner Vaterstadt, widmete sich dem Studium der Medizin u. nebenher mit Vorliebe literarhistorischer Wissenschaft unter Bernays. Im April 1889 erwarb er sich seine Approbation und die Würde eines Dr. med. und gründete bald darauf seinen eigenen Hausstand. Aber nach der kürzesten Zeit, noch auf der Hochzeitsreise, verlor er seine junge Frau in Berlin infolge eines Schlaganfalls durch den Tod. Nach diesem herben Schicksalsschlage gründete er sich im September 1889 eine neue Heimat in dem schwäbischen Orte Türkheim in der Nähe seines elterlichen Wohnsitzes und fand hier 1891 auch eine neue Lebensgefährtin, die ihm in seinem Berufe treu zur Seite steht. Im Jahre 1910 verlegte er seinen Wohnsitz nach München. Der Neigung zur schriftstellerischen Tätigkeit hat N. auch während seiner schweren Berufsarbeit nie ganz entsagt; aber erst seit 1896 ist er mit selbständigen Werken an die Öffentlichkeit getreten. In weiteren Kreisen bekannt wurde N., seit er als Mitarbeiter an der Münchener „Jugend“ mit erotischer und satirischer Lyrik und mit kleinen, scharf geschliffenen, modernen Novellen hervortrat, und seitdem ist er fast in jeder Nummer dieses Blattes durch einen Beitrag vertreten.
S: Mein Herz (Jugendgedichte), 1896. – Am Rande des Abgrunds. Das dürre Blatt (Nn.), 1898. – Das Rätsel. Die Diebin (Nn.), 1898. – Die Nachtwandlerin. Die Trud (Nn.), 1899. – Der schwrze Mann (Ein Bilderbuch für Kinder), 1901. – Stürmisches Blut (100 Ge.), 1905. – Totentanz (Novellen) 1906 (Inhalt: Geheimrat Tod. – s' Marei. – Nonnen der Ehe. – Der Blinde. – Der Fuß. – Auf Wiedersehen. – Der Peterl. – Das Lachen der Toten. – Der Lenz. – Unersättlich. – Das lockende Blut. – Ein Brief.) – Sensitive Novellen, 1905 (Inhalt: Zwei Wege. – Das Rätsel. – Die Diebin. – Fin de Siècle. – Das rote Korsett. – Aus Mitleid.) – Ruheloses Herz(Ge.), 1908. – Maxl Bierjung (Naturgeschichte e. Pennälers), 1908. – Nazi Semmelbachers Hochzeitsreise (Hum. E.), 1910. – Meine Käfersammlung (Humorist. satir. „Jugend“-Bilderbogen a. Bayern); II, 1911.

aus: Noder, A. im Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten
[Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Bearbeitet von Franz Brümmer. Leipzig: Reclam; 6., völlig neu bearb. und stark verm. Aufl. – 1913, Band 5, S. 147f.:]


siehe auch: http://bruemmer.staatsbibliothek-berlin.de/nlbruemmer/autorenregister/transkription.php?id=39

 

 

 


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