Editha Reitzenstein (1850-1905) - Liebesgedichte

 

 

Editha Reitzenstein
(1850-1905)


Wunsch

O wär' ich eine Lerche
Mit jubelhellem Klang,
Ich weckte dich allmorgens
Mit meinem Lustgesang!

O wär' ich eine Blume,
Und süßer Duft mein Sein,
Holdselig zu entfalten
Mich vor den Augen dein!

O glich' ich einem Sterne,
Beschirmend deine Ruh',
Ich winkt' in allen Träumen
Dir traute Grüße zu!

Wär' ich - was soll ich sagen -
Ein See - der Abendwind -
Dein Bildnis treu zu spiegeln,
Zu kosen sanft und lind.

Wär' ja mit all' dem fähig,
Zu freuen deinen Sinn -
Wär' ich nur nicht das Eine,
Nur das nicht, was ich bin:

Nur nicht der Schöpfung Höchstes,
Gefügt aus Lust und Schmerz,
Zu arm, dich zu beglücken -
Ein stummes Menschenherz!
(S. 279)
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Der Jugend Wesen

Das ist der Jugend Wesen,
Daß sie mehr fühlt, als denkt,
Bis sie zur Kraft genesen,
Die That und Wandel lenkt.

O, möcht ihr niemand wehren
Den besseren Genuß, -
Nicht mit Gewalt versehren,
Was selbst sich klären muß!

Ist jene Himmelsblüte,
Die ihr Empfindung lieh,
Doch Hauch von Gottes Güte,
Geheißen: Poesie.
(S. 280)
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Verzaubert

Viel schlanke weiße Lilien
Dort unten auf dem See
Vertraun geschwätz'gen Winden
Ein tief geheimes Weh.

Und drüben von dem Berge
Durch enges Gitter schaun
Hinab so stumm und trübe
Viel bleiche junge Frau'n.

Vom Kloster und den Lilien
Am See raunt bange Mär:
Der Nonnen ird'sche Liebe
Also verzaubert wär!

Vertriebne Herzgedanken
Berg' scheu der Tiefe Grund,
Die nach Erlösung ringen
Mit bleichem Lilienmund -

Ihr Sehnen kann nicht sterben,
Gebannt im dunklen See;
Es schwebt hinan, verzaubert,
Daß es am Licht vergeh.
(S. 280)
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Gedichte aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888

Biographie:

Reitzenstein, Freifrl. Editha v., Ps. vordem Sappho Liepholdt (nicht Liebholdt), Berlin, Mathäikirchstrasse 28. Geboren am 9. November 1850 zu Schwarzenstein, Amtsbezirk Naila im "Fränkischen Wald", Königreich Bayern, als Tochter des damaligen Erb- und Lehnsherrn (dann im Jahre 1874 als Kustos der Strassburger Universitäts- und Landesbibliothek verstorbenen) Archivgelehrten und Altertumsforschers Karl Chlodwig Freiherrn v. Reitzenstein – gelangte dieselbe trotz frühzeitig bekundeten Talentes, erst in reiferem Alter zur Bethätigung auf litterarischem Gebiete. Nach dem bereits im Spätherbst 1852 erfolgten Hinscheiden ihrer hochbegabten, kaum einundzwanzigjährigen Mutter, Adelaide, geborene Baroness v. Badenfeld-Czeike, waren schicksalsschwere, mit häufigem Aufenthaltswechsel verbundene Jugendjahre nebst einer von ihrer Stiefmutter stets nachdrücklich betonten, grundsätzlichen Abneigung gegen wissenschaftliche Ausbildung und geistiges Streben der Töchter – ausserdem ein durch Verlust des elterlichen Vermögens vor und nach dem Ableben ihres Vaters bedingter Kampf um das tägliche Brot – die zwingenden Faktoren, welche feindselig ihrem Hang zu poetischem Schaffen entgegentraten. Innerhalb des letzten Jahrzehntes, nachdem ihrer Existenz eine dauerhaftere Basis geworden, veröffentlichten verschiedene Zeitschriften meist künstlerischer Tendenz ihre Dichtungen, die sie selbst charakterisiert als "Poesieen, wie sie Stimmung und Stunde ihr eingaben." Ausserdem zahlreiche als Feuilletons erschienene Kritiken und belletristische Übersetzungen. Ihre Gedichte erscheinen demnächst gesammelt.

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898


 

 


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