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Emil Alphons
Rheinhardt
(1889-1945)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
-
Ich wußte dich mit Menschen,
mir ganz fern (Sonntag abends)
-
Wie war der Todestraum vordem
gewaltig (Der Tod der Liebenden)
-
Die Felder rauchen
(Morgenfahrt zur Geliebten)
-
Siehe, nun ist ein Abend
geworden, ein goldener, reiner (Der schönen . . .)
-
Sieh hier die Früchte,
Blätter, Zweige, Blüten (Green)
-
Süß und rein im Rauch der
Jahre (Gedächtnis)
-
Nimm dein Leben in die Hand
(Nimm dein Leben . . .)
-
Ich summ' ein Lied im gehen
(Im Gehen)
-
O, gütig und vertraulich im
Herzen der Musik (Die Berührung)
-
Hundertmal hielt ich dich
schon - und hundertmal wars eine andere (Ode an die Vorübergehende)
-
Ich habe deine heiligen
(Klage in Nacht)
-
Wie pochst du, mein
vergangenes Herz (Das Herz)
-
O Brief, in lauter Nie
geschrieben! (Letzter Brief)
-
An deinen Haaren hob schon
Landschaft an (Ein Abend)
-
O, dein und mein sind alle
großen Dinge (Selige Heimkehr)
-
Ich kann in aller Müdigkeit
(Nachts)
-
O wie war es süß, das wilde
tiefe Verstricksein! (Frühling im Felde)
-
Jetzt schon taucht dem
Wandergewohnten (Vor dem Abschied)
-
Noch von Liebe einen leichten
Glanz . . . (Noch von Liebe einen leichten Glanz . . .)
-
O Überstehn, o Stundentreue!
(Nach schweren Stunden)
Sonntag abends
Ich wußte dich mit Menschen, mir ganz fern,
Entrückte meiner Liebe, meinem Sieg.
Und ging und hatte diese Stille gern.
Und sah ganz fremd, wie schöner Stern und Stern
In blaue Sonntagabendgassen stieg.
Zwei Schattengroße, Mann und Frau, ganz still,
Ihr Kind, das noch die Ausflugsblumen hielt,
Zerdrückte, welke, die es nicht mehr will,
Schlichen aus einem Tag, der nicht mehr gilt.
Grünes Laternenlicht kroch auf ein Tor.
Da räkelte ein Wappentier sich träg.
Ein Dirnlein schaut zum großen Dom empor
Und zuckt die Achseln, macht sich auf den Weg.
Ein junger Mann, der viel an dich gedacht,
Bildet aus Sternen sich dein Monogramm.
Ein bißchen unglücklich. Und sachte, sacht
Sinkt er dann unter im Kaffeehausschlamm.
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 3)
_____
Der Tod der Liebenden
Wie war der Todestraum vordem gewaltig!
Vor seiner Herrlichkeit erschraken sie.
Des Bettes Laken waren gilb und faltig
Und eine geile Stimme gröhlte, schrie
Durch dieses Haus. Die Kerze schwelte trübe.
Das Zimmer roch nach Schweiß und saurem Wein.
Und banger stammelten sie: Liebe, Liebe -
Ein tiefstes Glück soll diese Stunde sein!
Da er zum ersten Male die entblößte,
Schauernd entblößte Mädchenbrust liebkost,
Schrak sie zurück und schluchzte: O das Größte!
Er taumelte und wußte keinen Trost -
Und sah ihr Antlitz gelb im Kerzenlichte,
Totenhaft gelb, verwirrt ihr Wunderhaar,
Und suchte irr in sich die Rauschgedichte,
Den großgewollten Tod, das Sternenjahr,
In dem sie kreisen würden, Tiefstvereinte.
Nun war sie nackt. Er griff und wußte nicht,
Nach diesem Leib, der tonlos bebend weinte;
Sie riß sich hoch: "Du, küß mich!" Als das Licht
Erlosch - wie zitterte die Wildumschlungene.
So nahm er sie. So gab sie sich ihm hin.
"Du Meine, du dem Leben Abgerungene,
Spürst du, wie ich zutiefst dein Eigen bin?"
Kein Cherub kam, die Stunde sie zu segnen.
Im Dunkel richtete die Angst sich auf.
Ans Fenster plätscherte ein müdes Regnen
Und aus den Gassen quoll der Lärm herauf.
"Du, geh' nicht fort!" Fremd lag die Hand in seiner.
Aus allen Winkeln kroch das Graun um sie.
"Seit Menschen sind, Geliebte, war nichts reiner!
Wo bist du denn?" sein todbang Herze schrie.
"Willst du nicht immer mein sein? Sag', du sag' es . . ."
Aus ungeheuren Fernen kam ihr: "Ja!"
Er mahnte sich zum Tod, nun Nahn des Tages,
Gelindes Grau in ihre Fenster sah.
Und sie lag Stunden schon so. Wie vergangen.
Und schwieg in seinem Küssen, seinem Flehn.
Sie spürte ihn nach jener Waffe langen
Und sagte leis': "So soll es denn geschehn . . ."
"Sollen wir leben? Sag'!" Aus ihrer Ferne
Sagte sie müde her: "Es lohnt nicht mehr!"
Er wollte bitten: "Denk' an unsre Sterne!"
Und spürte Worte nur und alles leer.
Er nahm sie wieder in den Arm: sie lagen,
Er sprach ihr alles, was sie je gedacht.
Sie küßte ihn. - "Mein Gott, es will schon tagen.
Jetzt muß es sein!" Jetzt war sie wie erwacht.
Ihn fror. Er küßte. "Du, jetzt, jetzt das Ende . . ."
Die Schüsse brüllten auf. Er sank auf sie
Und suchte blind und blutend ihre Hände.
Und sie kroch fort von ihm und schrie und schrie,
Und schleppte sich zur Türe, gurgelnd, heulend,
Und barg sich irgend vom Morgengraun.
Da kamen sie schon alle, polternd, eilend,
Schmierige Männer und halbnackte Fraun,
Dirnen und Diebe - Schnapsgestank und wilde
Johlende Morgenhelle brach herein.
Der Tote drüben lächelte so milde -
Und sie starb da, besudelt und allein.
Aus: Emil Alphons Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 21-24)
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Morgenfahrt zur Geliebten
Die Felder rauchen
Den weißen Flor
Und goldbraun tauchen
Die Bäume empor.
Und alles so eigen,
Feld, Wiesen, Wald -
Warten und Schweigen -
Und jetzt: Beben und Neigen -
Die Sonne kommt bald.
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 54)
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Der schönen . . .
Siehe, nun ist ein Abend geworden, ein goldener, reiner,
Der mein Gefühl unsagbar versüßt.
Die Wolkenhimmel und Stürme des Tags sind verbüßt,
Reifenden Tags, den ein Morgen wie keiner,
Morgenröten und erste Strahlen wie nie noch gegrüßt.
Über den Menschen, die noch voll trüber Nacht da im Wagen,
Sah ich die Wunder der Fenster erschauerndes Blauwerden,
Sah einen unverwelkten Morgen in deinen Blicken tagen,
Und dich herbe Entrückte milde wie eine Frau werden.
Über die Welt voll Dächern, Türmen und Schlöten
Wuchs der kristallene Himmel. An ihrem Rande
Blühte das Rot auf. Und mein Herz voll Morgenröten
Schlug neben dir empor in die kühlen ergrünenden Lande.
Schöne, Schöne! Aug' voll unendlichem Morgenschimmer!
Unberührbares Antlitz, in dem mein Kuß nicht galt -
Ein verklärender Abend für immer
Hat dich in Gold und Blau mir gemalt.
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 57-58)
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Green
(Nach Paul
Verlaine)
Sieh hier die Früchte, Blätter, Zweige, Blüten
Und doch mein Herz, es schlägt nur mehr für dich!
Die weißen Hände sollen es behüten!
Blick' auf die arme Gabe gnädiglich.
Voll Tau komm' ich zu dir von Morgenwegen!
Der Wind blies ihn zu Eis mir im Gesicht.
Laß mich den müden Leib zu deinen Füßen legen,
Des Glückes wartend, das dein Blick verspricht.
In deinem Schoß laß meine Wange liegen,
Den Kopf, den du noch eben wild geküßt.
Laß alles sich besänftigen, in Ruhe wiegen,
Schlafen, bis du dann völlig bei mir bist.
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 79)
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Gedächtnis
Süß und rein im Rauch der Jahre,
Dem es schwärmerisch entbricht,
Grüßt mich nun ein spätes Licht.
Wieder kommt das wunderbare
Abendlicht in dem Gesicht . . .
Gütegroße, herbe, klare
Züge, nun nie mehr verzehrt!
Grüßt mich aus beglänztem Haare.
Nie mehr wird uns wunderbare
Liebe, tiefer nie, gewährt.
Sind wir beide tief verstummt,
Wissend um das Heilige?
Laß uns beide oft vermummt
Gast sein bei dem Glück und Weh.
Und zurück ins Leben tretend
Alles auf dies Einst beziehn,
Und zu dem Gelebten betend,
Dennoch in das Morgen fliehn.
Hingegeben leichtern Spielen,
Kränzt uns leicht verwelkter Kranz.
Aber, du, auf allen Zielen,
So aufstehn nach Kranz und Tanz,
Überleuchtend all die vielen
Trüben Flämmlein, glüht ein Glanz.
Du, in allen Liebesnächten,
Wär' uns etwas süß und schön,
Wenn wir nicht an Eines dächten,
Das uns einst geschehn?
Aus: Emil Alphons Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 80-81)
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Nimm dein Leben . . .
Nimm dein Leben in die Hand,
Breit' es aus vor dir und schau.
Stell' vor dich die süße Frau,
Die du Einzige genannt.
Wie dann Grauen aus dir steigt,
Wenn du deinen Traum gelesen
Und mit einemmal dein Wesen
Wie die fremden Stimmen schweigt.
Nebel hat sich dir gezeigt,
Nebel auf aus Mund und Wunde.
Keinen Umriß hat die Stunde.
Süße Frau, auf jedem Grunde
Ist etwas, das grausig schweigt.
So noch Form und Farbe glänzen,
Unter Kränzen und in Tänzen,
Wie sich jäh ein Antlitz neigt,
Süße Frau!
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 85)
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Im Gehen
Ich summ' ein Lied im Gehen,
Hell hallt mein Schritt in Straß' und Tor.
Die alten Häuser sehen
Tief schweigsam in die Nacht empor.
Und plötzlich bleib' ich stehen,
Im Herzen wird's mir seltsam warm,
Als könnt' ich Eine sehen,
Als hielt' ich Eine noch im Arm.
Mußt' in ein Fenster lauschen:
Mir war, als ob wer zu mir sprach.
- - - - - - - - - - - - - - - -
Fern hör' ich Bäume rauschen -
Und gehe meiner Sehnsucht nach.
Aus: Emil Alphons
Rheinhardt Stunden und Schicksale
Hugo Heller Leipzig und Wien 1913 (S. 88)
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Die Berührung
O, gütig und vertraulich im Herzen der Musik
Rührst du mich an vor Hinfall und Aufweinen.
Du bist im Ungeheueren schon zuhaus
Und mir doch zugesellt in aufgehellter Nacht,
Nun überm Garten atemeins
Abend an Morgen ruht.
Heimkam ich aus dem schauerlichen Glück
Melodischer Verzweiflung - wie bin ich jetzt geleitet,
Du todesleichte Hand auf meinem wachen Arme,
Du, die mir eben ein paar Blüten in ein Lied gestreut,
Auferstandene Blüten aus dem anderen Male.
Gruß dir, du meine Stille, du mein erster Tod,
Sanfte Umgebung: wortlos geht die Rede
Der Liebe, die mit mir war, und des vielen Abschieds:
"Ein Mensch . . . ein Mann . . . o ich . . .!"
Schon schweigt auch diese Rede, jedes Ding hört auf.
Du Hand auf meinem leicht gewordnen Arm:
Ein totenstilles Lächeln nimmt der zarte Wind mit.
Aus: E. A. Rheinhardt Die
unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 32)
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Ode an die Vorübergehende
Hundertmal hielt ich dich schon - und hundertmal wars eine andere
Todfremde Frau, von der ich mich schaudernd fortbog.
Aber ich hab dich gesehn, ich weiß dich auf Erden.
Denn du bist mir geschehn, du hast mich mit ungeheuerer
Tödlicher Liebesstunde angeahnt im Vorübergehn.
Sternenes Antlitz, dich sah ich, da das Leben mir groß war,
Als ein Liebender sah ich dich, ein gewitternder junger Mensch.
In den Sälen aus tausend Gesichtern, wenn heilige
Lautere Musik mich zurückgegeben an meine Bestimmung,
Warst du nahe und furchtbar künftig voll Glanz und Geschick.
Wenn ich fiebernd im Blütenwind rasenden Herzens
An die atmende Küste mich stürzte, aufblühend,
Witternd die Wartende schon im Oleanderschatten,
Glittest du mir vorbei: Entsetzenswunder des Blutes
Wußten dich mir und trugen dich mit, so daß ich verzweifelnd
Hinfiel an die Umarmung und aufschrie, an Sterne verloren,
Meine Lippen zerbiß und schaudernd aus Lust in das Finstre stürzte.
Sahst du mich liegen, zuckend zu allen letzten
Namen der Seele gereckt?
Hast du mich noch erkannt, da ich verzerrt und entstellt
Durch die schlaffen, lüsternen Nächte hallenden Schritten nachging?
Hurenworte, heisser und dünn, umstrichen mich klebrig.
Schauerlicher Gesang tünchte die Gier mit Verwesung.
Mit mir ging Tuberosenfäulnis, Laternengeschwür
Fraß mein Gesicht, bis ich Nacht war:
Nacht in einem wachen Gemach vor einer Frau, die sich auftat.
Sahst du mein Gehn, wenn das Graue ankroch,
Wenn meine leeren Augen dich doch in den silbernen Fenstern
Über erwachenden Gärten erkannten?
O du Unbekannte, geheimes Zeichen der Ferne!
Du Geheimnis des Nächsten, du Frieren in der Umarmung,
Du Prophetie in der Lüge, du, die all meine Wahrheit
Sinnlos macht in Verzweiflungsnacht, du Sturz aus dem Wachen.
Dich bekenn ich verfallend, dich brenn ich lobpreisend in allen
Fiebern von Qual, dich lob ich mit Reue und Armsein im Rausche.
In dir endet der Trunk, die Frucht, der bergkühle Morgen,
Meerverzückung und Abend der Straße und Schlafzärtlichkeit.
Mit Versäumtem bet ich zu dir, mit Verrat und Verlassen.
Daß ich aufstand von Einer und ohne Gesicht von ihr ging,
Daß ich ein sicher gehobenes Glas vor dem Trunke
Jäh in meiner blutenden Hand zerstört fand,
Daß ich aus Schlaftiefe auffuhr und in einem großen Sein war
Und einen gräßlichen Brief schrieb:
Damit diente ich dir, du Grenze, du sternhörig Wandelnde.
Jedes blutdumpfe Tun meinte dich, wie ein jedes
Dunkle Geschehn mich meinte aus deinem Sein und Berühren.
Schlägt mich aus zärtlichem Haar ein gewesenes Jahr jäh
Mit Altern und Entrinnen, wird der Blick einer Freundin
Vor mir wolkig und ohne Sehn und sagt sie ein furchtbares
Wort, daß ihr graut, und wir Kreatur sind, verloren,
Schlägt eine spielende Hand, geht mir ein Freund in Haß aus,
Bin ich gemahnt, und hab dich geahnt und weiß mich gewiesen.
Weh, das den Einsamen fand, Wegweh hat dich gepriesen.
Und ich gehe gebahnt, leitende Ferne, die zarte
Fährte durch Dämonie und Verzweiflung.
Da mich Begegnung betraf im Tage mit Urabenteuer
Und mich selber verwand in das Rankenwerk sinnloser Schönheit,
Daß ich ein Faden nur war in meinem Gewebe, verwunden
Ruhete ohne Zeit, vergeben an alles Gebilde,
Holte mich andres Gesetz und hieß mich treiben im Gierwind.
Heimat brannte im Herbst, Stöhnen reckte die Wälder,
Schrei trieb westwärts und hing sich an Vogelflüge.
Himmel gaben ihn preis und stürzten ihn wieder in Städte.
Draußen zerreißt das Land und trinkt sich Winter aus Regen.
Aber hier gibt ein Vorhang des Fensters gebrochenen Blick frei.
Atem zersetzt sich und immer kniet ein Mensch im Finstern
Gottlos betend. O du sternenes Antlitz,
Kreis um den gräßlichen Kreis der Wanderschaft im Geschicke,
Heimatloses Wohnen im Wandel. Warten und Hingehn.
Stürzen die Sterbestunden Kreis und Kreis ineinander?
Löscht dann Sinn in Sinn? Wissende, gib ein Zeichen!
Lange diente ich dir, mit Abkehr, Zerstörung und Lüge:
Eine Stunde laß sein in Ja und Ahnung und Stille . . .
Aufsteh ein Mensch aus Schicksal und trete ruhig zu Bäumen,
Lehne an einem Stamme und wittere im Winde sein Alles,
Atmend erfüllt, waldigen Blickes und blauend voll Abend.
Eine Gehende, golden glühe ein letztes Vorüber
Über den Ruhigen hin und lösche wie Spur von Sternfall
Straße und Sinn hinter sich völlig aus und vergehe
Leicht an Abend.
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S.
36-38)
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Klage in Nacht
I.
Ich habe deine heiligen
Hände immer noch geküßt . . .
Da war ich schon in Wald und Nacht
Und bin im großen Wind erwacht.
Von meinem Munde fielen mir
Die Worte abgetan in Nacht.
Ich wohne nie mehr Traum an Traum
Mit dir und unerschrocken steht
Nie mehr ein Blick auf wider Tod
Aus Liebe.
Mich stößt der Wind. Schnee weht mich blind.
Ich treibe, wo wir nicht mehr sind.
So wie ich Kind war ohne dich,
(So noch nicht dein, wie nicht mehr dein!)
So muß ich jetzt und immer sein,
Ein später Mann, ein Toter dann
Und Erde ohne dich.
O, kommt mich wieder Liebe an . . .
Ich deiner bin in Nacht vertan.
O schauerlich
Wirft mich der Wind, einen eiligen
Menschen in große Nacht.
Was hab ich an deine heiligen
Hände gedacht?
II.
Dein Blut ging in Gedanken.
Wesenheit trieb aus jedem Traum.
Windleichte Flüge tranken
Erdatem deines Wipfels: Baum!
Wenn Wahnsinn mich verzückte
Und mich vertrug im Sternenstrom,
Warst dus, die mich beglückte
Mit Atems irdischem Arom.
Nun sause ich vermessen,
Gedanke, schwerelos im Raum.
Sinn ist so bald vergessen,
Traum rinnt in Sein und Sein in Traum.
Kaum, daß ich noch zu Gaste
In Sehnsucht bin, daß Himmel lockt,
Wo rosig das verblaßte
Wölkchen von Erinnerung flockt.
Manchmal in tauben Flügen
Aufklang ich nach der Erde Schoß,
Wenn Wurzeln mir, die lügen,
Im Sein verfaulen, erdelos.
III.
Mit dir erlosch ich in der Welt.
Ich bin zu früh geerntet.
Ich bin bei mir, bin bis zum Tod
Bei mir, nur Ich im Ich.
Bald bin ich auch die Hand nicht mehr,
Die nachts so fremd auf mich fällt,
Das Blut, dem ich verliehen bin,
Hat schon zuweilen Traum und Glück
Mit sich allein oder mit Wein
Und ohne mich.
Lust buhlt sich über mich hinweg
Und Rede treibt wie Frühlingswald
Leicht, weit und wunderbar.
Ich taumle noch mit mein und mein
Und hols nicht ein und bin allein.
Schritt geht für sich, Blick fliegt verschwärmt
Und kommt und macht das Blut voll Ferne.
Aus meinem Schlafe schaudre ich nachts
Zu einem Leib, der mich nicht weiß,
Der voll von Zeit und Sehnsucht ist.
Und ich bin nirgendwo.
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 39-40)
_____
Das Herz
Wie pochst du, mein vergangenes Herz,
Durch diese armen Tage!
In meinen Schläfen schlägst du mit,
Im Halse mir, im gräßlichen
Heutigen Herzensschlagen.
Da pochst du mit, vergangnes Herz,
Die Nöte mit, die ich durchlitt
In Warten ohne Rettung,
In dir schlägt noch der Nachmittag,
In dem ich wartefiebernd lag,
Bis ein Schritt auf der Treppe ging
Und ich vor Glück zu Tod erschrak,
Der schlägt noch mit, da ich schon litt . . .
O Schritt, o Nimmerwieder!
Im Pochen ist der Abend noch,
Da ich gebannt im Bahnhof stand,
(Verkrampft die Hand - o, wie ich stand!)
Wie rastest du in die wallende Wand,
Wenn ein Licht aufsprang, ein Pfiff mich durchdrang!
O, wie ich mich vorbog, o, wie ich Gewalt,
Uralte Sehnsuchtsgewalt in mir fand -
O Abend, wie ich die Ferne verstand
Und das Warten, du Herz, das Warten!
Noch rüttelst du Rhythmen der seligen Fahrt
Aus Gnade-Jahr in die Gegenwart,
Wie wunderbar, daß ich der junge Mensch war,
Der taumelnd in alle Gesichter gestarrt,
Der von einer Stimme, einem Kleide, von Haar
Im Suchen unter den Menschen genarrt,
Laut vor sich hinsagte: Das ist nicht wahr -
Ich muß sie finden! Daß ich es war,
Der sie in der Allee draußen fand . . .
Aus Glück schlägst du her groß und atemschwer,
O rettungslos Heute und Nimmermehr!
O dein Zögern aus Abschied, dein wehvolles Gehn
Aus dem vielen Abschied muß weitergeschehn.
O Wiedersehn und o Wiedergehn -
O was bliebst du nicht stehn! Die Blutbrandung stößt
Das Kommen und Gehen unerlöst
An das finstere pontische Heute.
O Briefe, aufflackerndes Herz, wieviel!
Und Gesang - o wie bang ist dein alter Gang,
Wenn fremd ein geliebter Gesang mir aufklang . . .
O Blumen, Torheiten, o Namen, wieviel!
O Gedicht und zärtlich geschenktes Ding -
O "Rat was ich bring!" . . . Weh, daß ich für lange ging -
Und wiederkam - und dann war es ein Ring!
Du schlägst es mit, wie ich Heimweh litt
Kanonenumschrien im Kolonnenschritt.
Wie ich todumstellt in der stürzenden Welt
Von Schreien durchgellt um sie Heimweh litt.
O erlösender Schlag, da ich todbereit lag,
Aus Fieber aufwimmernd, wenn mir der Tag
Keinen Brief gebracht - und unendliche Nacht,
So schaudernde, schaudernde Sterbenacht,
Da ich Leib an Leib mit dem Seuchentod lag.
Weh Wiederkommen! Was lieg ich nicht
Bei dem Bergkloster unter Platanenwald!
Weh immer noch trag ich dieselbe Gestalt
Durch die Welt ohne sie. Warum ist mein Gesicht
Nicht schwarze Erde geworden im Wald?
Ihr ungeheuren Nächte, da Tod,
Mein Tod, mein williger Tod geballt
In mir wartete! O meine völlige Not!
Du fingst wieder an, mein Herz, wenn Frührot,
Wenn wieder ein letzter grausiger Tag
Auf den schneeblauen Dächern lag.
Du fingst wieder an und schlägst deinen Schlag,
Deinen heißen, schönen vergangenen Schlag,
Mein vergangenes Herz im Heute.
Aus: E. A. Rheinhardt Die
unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 43-44)
_____
Letzter Brief
O Brief, in lauter Nie geschrieben!
Erwartendes Gesicht, dir sag ichs nicht.
Die Stunde Ewigkeit bin ich geblieben -
Schon hält Verfallen über uns Gericht.
An allen Rändern tagt schon Anderssein,
So silbern neu, schaudernd zum ersten Male.
Wie wirft mich Tagwind aus verlebtem Tale
In jeden Anfang wolkenleicht hinein!
Vergeh! Du bleibst. In meinen Augen werden
Azure deiner seligen Schrecken sein.
Zu neuem Schicksal leihst du die Gebärden.
Du bist die Schwermut in verliebtem Wein,
Du das Verwandte unbekannter Erden . . .
O, jeder Abschied wird der unsre sein.
Aus: E. A. Rheinhardt
Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 53)
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Ein Abend
L'amour c'est tout
ce qu'on n'a pas.
(Ch. L. Philippe)
An deinen Haaren hob schon Landschaft an
Und Wind aus allem Abend war in deinem Atem.
Schon loschen Mohn, Salbei und Skabiosen
Und alles Nahe. Und wir selber glitten
Aus unserem schon bestimmten Leben auf
In feierliche Helle: Altes, zartes Grün,
Sehr stilles Gold hinter den Wolkenbändern,
In traurig-selige Heimatlosigkeit.
Wir, doch geschmiegt und atemnah,
Zärtlich im Blut besonnen dieses Nahseins,
Fühlten uns dunkeln - und groß über uns,
Erlaucht ob aller Nähe, brannte nun
In goldenen Feuern, was wir nie besitzen.
Die Grille schrie noch, letzte Lerche stieg,
Die Blumenbrandung schlug an unsere Herzen.
Wir aber, da und doch entrückt und hoch,
Neigten uns aus dem ewigen Abend nieder
Über die Atemnahen in der Wiesenflut.
Und deine Stimme sagte wie Windstimme
"Die liebe Erde!" Wieder "Liebe Erde . . .!"
Gesang der reinen Schwermut, Nie und Immer,
Redete mit der Stimme alles Seins
Liebe und Tod und Heimatlosigkeit.
Die Wolken gingen hin. Der Wald stand schwarz.
Wir dunkelten in Kuß und Traum zurück.
Doch oben flogen leichte goldene Flammen westwärts.
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 56)
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Selige Heimkehr
O, dein und mein sind alle großen Dinge,
Was mein allein blieb, spür ich kaum.
Was gilt, gilt dich. Ich kehre heim, ich schwinge
Groß und erlöst in unserem Weltenraum.
Geschehnis welkt in Kinderewigkeiten.
Horch, alle Uhren schlagen unsere Zeit!
Wir sind in Wäldern, Wolken, Jahreszeiten
Verliebte Sommerflocke Ewigkeit.
Schwarzgläsern hockt die Stadt im Heute-Kerker,
Wir huschen kindhaft über Abgrund hin.
Verzweiflung wispert - und wir wissen stärker:
Erlösung ist die Liebe, Liebe ist der Sinn.
Aus: E. A. Rheinhardt
Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 57)
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Nachts
Ich kann in aller Müdigkeit
Nicht schlafen gehn.
Ich muß im Zimmer stehn
Und horchen in die Zeit.
O, draußen! Wie der Regen rinnt!
O drinnen! Wie mein Herz beginnt
(Erst fern, wie horizontener Wind) -
Was ist mit mir geschehn?
Mein Gestern ist verstellt.
Mein Heute weiß nur eines mehr,
Und horcht in die getauschte Welt,
Und fliegt, vom Bogen Glück geschnellt,
Hochauf ins Ungefähr.
Aus meiner Müdigkeit
Sucht Blick noch Buch und Bild und Ding.
Doch alles ist in sich gering -
Nur mehr, was du geweiht,
Hält in verflogener Zeit.
Ich selber steh mir da
Aus Heute-Sinn in Morgen-Sinn,
Versteckt in jetzt und Kabbala
Des Wunders, das ich morgen bin.
Schick du mich schlafen, Spiel,
Hingehendes um Gegenstand!
Ich bin mir viel zu viel.
Raff alles in die Hand -
Und leg mich klein in Schlaf hinein,
In Dein- und Indirsein.
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 58)
_____
Frühling im Felde
I.
O wie war es süß, das wilde tiefe Verstricksein!
Mond mußte kommen für mich, mir fielen Sterne zu.
Drängender Frühling war ich in dem verzückten Regnen.
Mit dem schwärmenden Geruche flog ich aus Gärten auf in die Meernacht.
Blüten streuten mich aus und gaben mich hin
An die Windfeuchte und das Sonnenkommen.
Äste hielten mich hoch in den flutenden Mittag,
Daß ich Frucht sei und süß beschlossene Sonne.
O wie hob und warf mich das Jahr, wie war ich
Ganz in allem, wie brauste der Gang der Säfte
Ungeheure Melodie in mein gerecktes Stehen am Waldrande!
Wie oft war ich völlig getauscht. Ein Baum stand,
Von einer menschlichen Liebe beschwert,
Und ich, kürzlich noch Liebender,
Dürfte an Blühn mir genug tun
Und dem zarten Regen geneigt sein.
Oder ein Rauschen, das aufflog
In das Abdunkeln kupferner Wolken,
Nahm schon ganz leicht das schwere
Jugendschicksal hin in sich und verwehte es.
O ich alter Frühling, ich bin wie Mai in den Büchern,
Wie gepreßte, braune Liebesblumen
Bin ich neben das Ewige gelegt.
Herbst noch wäre süß, wilder verstrickter Herbst,
Hinfall und gärende Welke.
Überholt, überduftet, überblüht
Steh ich in großer Nacht.
Schaudernd vergangen hält mich Gott an die Künftigkeit
Reiferasender Erde.
II.
O, wo finde ich dich, heitere Unschuld zu leben, wieder!
Morgen ist schon die Zukunft und Zukunft ist bittere Not.
Ausruhn möcht ich von Zeit und Menschenschicksal,
Wieder Wald sein im Wind,
Wieder wohlriechend und rein.
In diesen Tagen des Grauens zehret die Zeit
Letztes auf, das von dem Knaben noch galt.
Eingehet nun ein Mann in unerbittliches Schicksal,
Da ihn noch immer die goldenen Dämmerungen
Bereden wollen zu atmender Besinnung.
Indessen gräbt sich furchtbar Form und Name ein,
Und in der morgigen Zukunft schon,
In der morgigen Not kann ich ohne Geheimnis umschrieben
Unbarmherzig Lichtes und unerbittlichen Schattens
Mitten im Schicksale stehn.
Dann weiß die harte Wehmut des Umrissenen sich keinen Traum mehr
Und keine Kindheit neu in Liebe aufzurichten.
Und gerne streut die Hand die kümmerlichen
Reiser und Knospen in den Wind,
Der doch einmal heiliger geliebter Wind war,
Und birgt sich an der eignen Brust,
Und friert allein.
(1915)
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 62-63)
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Vor dem Abschied
(Ragusa 1914)
Jetzt schon taucht dem Wandergewohnten
Ein Augenschließen lang die goldene Stadt
In Sehnsucht und Ferne ein.
Langes Besinnen südlichen Blutes
In fernen, unfaßbaren Herbsttagen
Schleiert die wissende Hand spielerisch über die Schöne.
Abendsegenfeierlich glühn Seefahrermärchen
Auf im künftigen Herzen,
Das sanft seinen Geheimnissen nachdenkt.
Morgen ist noch eine tiefe Sternennacht
Über die Riesenmauern gewölbt,
Gärt wildes unbekanntes Blühn,
Legt schicksallose Liebe den wunderbaren
Hebemund an meinen Mund,
Gurrt der fremde Laut dunkler Liebesworte . . .
Und dann ist das Meer endlich,
Ein Schiff fährt es aus und trägt
Ein langes Augenschließen (Sonne hinter den Lidern)
Mich Wissenden an deine klaren Küsten.
In deine schönen Hände atme ich
All meine sehnsüchtigen Märchen.
Schließ meine Welt um mich,
Goldiger, sehnender, reicher,
Welttiefe Welt um mich
Unter dem Bogen des Bundes.
Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 64)
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Noch von Liebe einen leichten Glanz . . .
Noch von Liebe einen leichten Glanz . . .
Sieh, am Baume der Erkenntnis ist
In den unsagbaren Sternennächten
Eine Blüte aufgegangen.
Herz, das wissen wollte, schöpft zur Nacht
Einen vollen Atemzug von Duft,
Treibt ins Blut den neuen Duft und schweigt
Wunderbar gesättigt.
Noch von Liebe einen leichten Glanz!
In den großen Nächten ausgespannt
Süß und ohne Heimat Sternenhimmel,
Die sich nie mehr eines Ich
Kluggewohntem Spiele ordnen.
Dunkles Gehn. Gärt das Neue
Leichten Glanz ins Blut und blüht
Wanderschaften immer neue Himmel
In das Auge, das mit Liebe lockt.
Aus: E. A. Rheinhardt
Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 65)
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Nach schweren Stunden
O Überstehn, o Stundentreue!
Sich zu bewahren in der Zeit,
Wider Verzweiflung in das Neue
Bewußt sein solcher Wirklichkeit,
Die ruht und gilt. O tiefere Treue,
Die noch im Traume Weisung ist,
Die in der Zelle bitterer Reue
Aufblicken und Lobpreisung ist.
O Wissen, daß der Weg beschritten,
Daß jede Stunde wirkt und gilt,
Und daß dem Irrenden inmitten
Des Todeskreises Tröstung quillt.
*
Sieh, mein Verzweifeltes verklärt sich
Im Ahnen deiner Nähe schon.
Es ist vorbei. Der Abend klärt sich.
Du rufst mich - und ich gehe schon.
Ich darf die Wälder wieder grüßen.
Sie rauschen in den inneren Tod
Die sanfte Kühle und die süßen
Gesänge, denen Blut nicht droht.
Ich beuge mich in Abendwerden,
In dich und in gestilltes Land.
An mir vergehen die Gebärden
Um Erde und um deine Hand.
Aus: E. A. Rheinhardt
Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 68)
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Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Alphons_Rheinhardt
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