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      Auguste von Römer  
      (1835-1903) 
       
       
       
      Ahnung 
       
      Zu Loraille am Tannenhange 
      Steht Alfonso's nied're Hütte, 
      Drinnen klingt's wie leises Rieseln, 
      Wenn im Wind die Zweige beben. 
       
      Und die Zweige nicken traulich 
      Heut' wie immer in die Fenster, 
      Aber Niemand grüßt sie wieder, 
      Denn der Tod pflegt nicht zu grüßen. 
       
      Nur die alte große Holzuhr 
      Singt ihr monotones Tick-Tack 
      Noch wie ehemals; vergehen, 
      Nimmer sterben will die Zeit. 
       
      In den Scherben an den Fenstern 
      Hängen Blumen, unbegossen, 
      Träumend ruht der munt're Sänger 
      Zeisig auf dem kleinen Stengel. 
       
      Auf der Bank am Eichentische 
      Sitzt Alfonso, in den Händen 
      Ruht sein Haupt, es starrt sein Auge 
      Nach dem Herd' in glüh'nde Kohlen. 
       
      Weiter blickt er nach dem Schemel, 
      Da sonst Fanchon pflegt zu sitzen, 
      Seine Gattin - traute, holde 
      Rose, die der Tod gebrochen. 
       
      An dem Schemel lehnt der Rocken 
      Und die Spindel mit dem Faden,  
      Wie ihn Fanchon hat gesponnen, 
      Denn sie spann vor wenig Tagen. 
       
      Auch der rothe Rock am Nagel 
      Hängt, dazu das Tuch, das blaue, 
      Weich von Seide, das sie immer 
      Um den schönen Kopf geschlungen. 
       
      Und Alfonso stiert voll Sehnsucht  
      Darauf hin und endlich spricht er: 
      Wo bist Fanchon, meine Fanchon, 
      Lange läßt Du Deinen Gatten 
       
      Heute harren, komm, bereite, 
      Ihm gemach das Abendessen, 
      Schon drei Tage Du ihn ließest 
      Ohne Trank und ohne Speise. 
       
      Alfons lauscht, leer im Gemache 
      Bleibt's und wild mit beiden Händen 
      Fährt er da in Stirn und Haare, 
      Spricht beherzt, ich muß sie holen, 
       
      Daß sie komme, blicket nochmals 
      Herdwärts, wo die Katze blinzelt, 
      Rafft sich auf - da, an die Fenster 
      Schlägt der Regen. Alfons sieht's nicht. 
       
      Mit der Hacke und dem Spaten 
      Geht er, nickt noch nach dem Fenster, 
      Wie wenn drinnen wieder Jemand 
      Ihm zum Gange nicken sollte. 
       
      Still ist's drinnen, nur die Holzuhr 
      Singt ihr monotones Tick-Tack, 
      Noch wie ehemals; vergehen, 
      Nimmer sterben will die Zeit. 
       
      Und er wankt zum nahen Friedhof, 
      Und er gräbt am frischen Grabe 
      Emsig, wo vor dreien Tagen 
      Seine Gattin sie versenkten. 
       
      Und die leichte, lock're Erde 
      Zeigt gehorsam sich dem Spaten, 
      Von Alfonso's Stirne nieder 
      Tropft das Naß der strengen Arbeit. 
       
      Tropft schon auf den Sarg von Fanchon, 
      Ha, wie weichet jeder Nagel 
      Seiner Hast; da ruht die Süße, 
      Lächeln auf den rothen Lippen. 
       
      Jenes holde, süße Lächeln, 
      Das als Kind ihn schon bezaubert, 
      Und der Wangen zarte Rosen 
      Selbst im Tode nicht erblichen! 
       
      Lange schaut Alfonso, lange 
      In die heißgeliebten Züge, 
      Kann nicht satt sich seh'n, nicht lassen 
      Von dem Kleinod seines Lebens. 
       
      Komm! - er rufet - komm, o Fanchon! 
      Willst den Tag Du hier verträumen? - 
      Und sein Ruf, er hallt im Echo 
      Wider von des Kirchhofs Oede. 
       
      Komm, o Fanchon! Er umfasset 
      Die geliebte, süße Bürde, 
      Trägt sie sanft in seinen Armen, 
      Wie als Kind er sie getragen 
       
      Bei der Jugend frohen Spielen; 
      Trägt sie in die heim'sche Hütte, 
      Setzt sie auf den wohlbekannten 
      Schemel, schürt am Herd das Feuer. 
       
      Bist so kalt, Du meine Süße! 
      Und er nimmt das Tuch, das blaue, 
      Weich von Seide, von dem Nagel, 
      Ihr umhüllend Kopf und Schulter. 
       
      Rückt sie näher an das Feuer 
      Das in hellen Flammen lodert. 
      Wärme Dich, den Thee bereiten 
      Will ich selbst Dir, meine Fanchon. 
       
      Und er spricht in sanften Tönen, 
      Wie er einst am Fliederbusche 
      Ihr gesprochen: Bleibe bei mir, 
      Fanchon, meine erste Liebe! 
       
      Bleibe bei mir! Ich kann ohne 
      Dich, Geliebte, nimmer leben! - 
      Wie er damals so gesprochen, 
      Hatten Drosselschlag und Amsel 
       
      Fanchon's Rede unterbrochen. 
      Lautlos harrt er jetzt und starret 
      Ihr auf die geschloss'nen Lider, 
      Weil sie schweigt - da zirpt der Zeisig 
       
      Und er singt sein altes Liedlein 
      Immer munt'rer aus der Kehle. 
      - Leise zucken da die Wimpern, 
      Die den Himmel ihm verschließen. 
       
      Vor der Hütte nicken traulich 
      Alte grüne Eichenzweige 
      Durch die Fenster, leise schnurret 
      An dem Herd' die graue Katze. 
       
      Auch die Blumen in den Scherben, 
      Die er sorgsam nun begossen, 
      Duften neu und zittern leise, 
      Leise beben Fanchon's Glieder. 
       
      Und dem Gatten plötzlich Grausen 
      Ueberkommt - er hält den Athem 
      An und bebt vor inn'rem Bangen, 
      Sie noch einmal zu verlieren, 
       
      Oder ganz das theure Leben 
      Wieder ewig sein zu nennen! 
      Und er steht entsetzt, betrachtet 
      Sie - da öffnet sie die Augen, 
       
      Jene Sterne, Leben kündend, 
      Daraus leuchtet ihre Seele 
      Ihm empor, wie ein erwachend' 
      Kindermärchen sel'ger Tage. 
       
      In der Gattin off'ne Arme 
      Sinkt er schweigend, Kuß und Thränen 
      Wechselnd mit der Heißgeliebten, 
      Die ihn rettete sein Sehnen! 
       
      Nur die alte große Holzuhr 
      Singt ihr monotones Tick-Tack 
      Noch wie ehemals; vergehen, 
      Nimmer sterben will die Zeit. 
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        Gedicht 
        aus: Deutschlands Dichterinnen. 
      Blüthen deutscher Frauenpoesie 
      aus den Werken deutscher Dichterinnen  
        der Vergangenheit und Gegenwart 
      ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald 
      Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 65-67) 
        
         
        Biographie: 
         
        Chevallerie, Frau A. de la, Ps. Auguste von Römer, Leipzig, An d. 
        Pleisse 9F, geboren am 22. Februar 1835 auf dem Rittergute Wirchwitz bei 
        Zeitz, kam 1866 nach dem Kriege von Prag nach Leipzig, beschäftigt sich 
        mit schriftstellerischen Arbeiten und ist Recitatorin. Sie zeigte schon 
        als zwölfjähriges Kind dichterisches Talent und veröffentlichte 
        1866-1884 zahlreiche Reiseskizzen, Novellen und Aufsätze in Zeitungen 
        und Zeitschriften, so z: B. "Das schöne Veferl vom Walchensee", "Jemeima", 
        "Der Sonderling" und andere. 
         
        - Das Christkind. Eine kleine Aufführung für Kinder zum Christfest 
        Leipzig 1885 
        - Wellen und Wogen. Gedichte Leipzig 1869 
         
        aus: Lexikon 
        deutscher Frauen der Feder. 
        Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke 
        weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem 
        Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky 
        Berlin 1898 
          
       
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