Friedrich Rückert (1788-1866) - Liebesgedichte

Friedrich Rückert

 

Friedrich Rückert
(1788-1866)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Als ich die Augen schloß,
Sich Schlaf auf mich ergoß,
Da kam dein Augenpaar
Und sah mich an so klar.

Es sah mich an so tief;
Ich schaut' hinein, und schlief.
Es ging ein süßer Schmerz
Mir mitten durch das Herz.

Mich schaut' ich ganz hinein,
In Duft zerfloß der Schein,
Da fühl' ich deinen Hauch
An meinen Wangen auch.

Ich streckte meinen Arm,
Am Busen war mir's warm,
Als lägest du daran;
Wie durft' ich dich umfahn!

Wie ich dich an mich zog,
Wie ich dich in mich sog!
O warst du fern mir da?
So nah' warst du mir ja.

Trug dich der Traum zu mir?
Trug mich der Traum zu dir?
Wir haben diese Nacht
Beisammen zugebracht.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 409-410)
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Als ich singen wollte zu der Liebe Preise,
Statt in eig'ner, auch einmal in fremder Weise,
War die Weise fremd im Anfang, aber wurde
Eigen endlich auch im Liebeszauberkreise.

Geh' in der Nacht im Garten an die Flut,
Wo schon der Lotos unterm Wasser ruht.
Entschleire dich! Er taucht empor und hält
Für Sonnenaufgang deiner Wangen Glut.

Als wie das Käferchen im Schoß der Rose,
Als wie das Mückchen in der Zuckerdose,
Hält mich die Lieb' in Lust gefangen; soll ich
Beklagen oder segnen meine Lose?

Mir ist dein Kuß je länger je lieber,
Dein Arm ist mir je enger je lieber.
Zwar macht dein Kuß, der lange, mir bange,
Mir aber ist je bänger je lieber.

aus: Friedrich Rückert. Ausgewählte Werke.
Hrsg. von Annemarie Schimmel. Erster Band
Insel Verlag Frankfurt am Main 1988 (S. 108)
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Am Tage kann ich zügeln meine Schritte,
Mich nicht zu tragen mehr zu deiner Hütte;
Nachts kann ich es dem Träume nicht verwehren,
Noch oft daselbst, wie vormals, einzukehren.
Am Tage kann ich wenden meine Blicke,
Daß sie kein neuer Blick von dir bestricke;
Nachts kann ich so nicht die Gedanken zwingen,
Daß sie dein Bild mir nicht vor Augen bringen.
Nachts kann ich nicht gebieten diesen Trieben,
Die eingenwillig fahren fort zu lieben;
Allein am Tage soll mein Geist sich fassen,
Dich zu vergessen, ach, und dich zu lassen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 298)
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Amara, bittre, was du tust, ist bitter,
Wie du die Füße rührst, die Arme lenkest,
Wie du die Augen hebst, wie du sie senkest,
Die Lippen auftust oder zu, ist bitter.
Ein jeder Gruß ist, den du schenkest, bitter,
Bitter ein jeder Kuß, den du nicht schenkest,
Bitter ist, was du sprichst und was du denkest,
Und was du hast und was du bist, ist bitter.
Voraus kommt eine Bitterkeit gegangen,
Zwo Bitterkeiten gehn dir zu den Seiten,
Und eine folgt den Spuren deiner Füße.
O du mit Bitterkeiten rings umfangen,
Wer dächte, daß mit all den Bitterkeiten
Du doch mir bist im innern Kern so süße!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 273)
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Auf, Südwind, komm heran zu mir und schaue,
Wie hier, erblüht in schönsten Farbentinten,
Im Winterfenster stehn drei Hyazinten,
Rot eine, eine weiß' und eine blaue.

Schüttl' ihre duft'gen Glocken und trag laue
Gewürze hin zu meiner Kaltgesinnten,
Dort, wo sie schläft, in ihrer Kammer hinten,
Rühr' ihr bereiftes Fenster an, und taue.

Tau' dich hinein bis hin zu ihrem Schlafe,
Und findest du ihr Herz, wie es umstricket
Ein Band von Eis, so sprenge du die Kruste,

Und hauch' ihr duftend in den Mund: zur Strafe,
Daß du ihm Winterkälte schickest, schicket
Er Odem dir aus glühendem Auguste.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 287)
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Auseinander gekommen sein,
Wenn man erst nah bei einander war,
Ist viel schlimmer, als ganz und gar
Nie bei einander gewesen sein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 297)
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Darf ich meinen Blicken traun?
Sie ist nah dran, aufzutaun.
Milder seh' ich die Gebärden,
Schmelzender die Stimme werden,
Und aus ihrem Auge bricht
Es wie Frühlingssonnenlicht.
Ja so zärtlich wird ihr Kuß,
Daß ich schon befürchten muß,
Nächstens, will ich sie umschließen,
Wird sie mir im Arm zerfließen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 293-294)
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Dein Leben war mir schmucklos vorgekommen,
ich glaubte mich berufen, es zu schmücken.
Erst schien der schöne Schmuck dich zu beglücken,
dann kam mir's vor, als mach' er dich beklommen.

So sei der Schmuck dir wieder abgenommen;
was soll er deinen zarten Busen drücken?
Und unbarmherzig will ich ihn zerstücken;
dient er dir nicht, wozu könnt' er mir frommen?

Doch du erholst dich schon von deinem Zagen,
du fühlst dich stark, den Himmel meiner Lieder
nun auf dem Atlas deiner Brust zu tragen.

Die Sonnen, die Plejaden zieh' ich nieder,
und schmiegen will sich auch mit Wohlbehagen
der Mond als Spang' um deine süßen Glieder.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 305)
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Der Frühling ist gekommen,
Der Freund hat Abschied genommen,
Nun wird der Lenz auch scheiden,
Daß mich verlassen die beiden.
Ach, wenn der Frühling bliebe,
So flöh' auch nicht die Liebe;
Und müßte Liebe nicht ziehen,
So müßte der Lenz nicht fliehen.
Mein Herz! wenn ewig die Liebe
Und ewig der Frühling bliebe,
So wär' der Himmel auf Erden,
Der uns erst dort soll werden.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 315-316)
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Der Himmel hat eine Träne geweint,
Die hat sich ins Meer zu verlieren gemeint.
Die Muschel kam und schloß sie ein;
Du sollst nun meine Perle sein.
Du sollst nicht vor den Wogen zagen,
Ich will hindurch dich ruhig tragen.
O du mein Schmerz, du meine Lust,
Du Himmelsträn' in meiner Brust!
Gib, Himmel, daß ich in reinem Gemüte
Den reinsten deiner Tropfen hüte!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 312)
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Der Schöpfung ew'ger Mittelpunkt
Ist in des Menschen Herzen,
Aus welchem durch die Welten funkt
Ein Strahl von Lust und Schmerzen.

Des Menschen Seel' erwärmt allein
Der Erde starre Glieder,
Und gießt durchs eherne Gebein
Des Fühlens Schauer nieder.

Es füllt allein des Menschen Geist
Mit Leben aus die Räume,
Bis wo die letzte Sphäre kreist,
Aussendend Liebesträume.

Die Bälle, die, im Kreis geführt,
Dem Bann der Schwere frönen,
Wie sie der Liebe Blick berührt,
So leuchten sie und tönen.

Zum unbewußten Kind der Au
Die Liebe spricht: Erwache!
Im Auge der Empfindung Tau.
Der Sonn' entgegen lache!

Der ew'gen Hoffnung Morgenröt'
Im Osten angeflogen,
Und in den Wolken steht erhöht
Des Glaubens Regenbogen.

Die Perle naht, der Edelstein,
Aus Schacht und Meeresgründen,
Zum Dienst der Liebe sich am Schein
Der Sonne zu verbünden.

Ich möcht' ein Stern nicht sein, wenn ich
Kein liebend Aug' entzückte,
Und keine Blume, wenn nicht mich
Der Liebsten Finger pflückte.

Die Geister alle der Natur
Mit sehnsuchtsvollen Mienen,
Sie drängen sich heran, um nur
Zum Gleichnis dir zu dienen.

Ich greif' ins glänzende Gewühl,
Und such' in tausend Bildern
Ein unaussprechliches Gefühl
Mein Lieben, dir zu schildern.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band  (S. 381-382)
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Die Lieb' ist höher als was du liebst;
Und wie sie dir irdisch erscheine,
Und was du ihr da für Namen giebst,
Sie selbst ist himmlisch nur Eine.

Wie wenn, in wechselnder Maske versteckt,
Im Saal, wo die Kerzen brennen,
Ein Liebchen in mancher Gestalt dich neckt,
Und endlich sich giebt zu erkennen:

So liebt' ich wohl die nun, und jene jetzt,
Sie wechselten mir und ich ihnen.
Und alle waren nur Masken zuletzt,
Worunter die Lieb' erschienen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 355-356)
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Die Liebe sprach: In der Geliebten Blicke
Mußt du den Himmel suchen, nicht die Erde,
Daß sich die beßre Kraft daran erquicke,
Und dir das Sternbild nicht zum Irrlicht werde.

Die Liebe sprach: In der Geliebten Auge
Mußt du das Licht dir suchen, nicht das Feuer,
Daß dir's zur Lamp' in dunkler Klause tauge,
Nicht dir verzehre deines Lebens Scheuer.

Die Liebe sprach: In der Geliebten Wonne
Mußt du die Flügel suchen, nicht die Fesseln,
Daß sie dich aufwärts tragen zu der Sonne,
Nicht niederziehn zu Rosen und zu Nesseln.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 304)
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Die Liebste nahm mit Lächeln
Den Fächer in die Hand,
Sie wollte Kühlung fächeln
Auf meiner Wange Brand.

Wie sie mich angelächelt,
Wie sie mich angelacht!
Da ward, so angefächelt,
Der Brand erst angefacht.

aus: Friedrich Rückert. Ausgewählte Werke.
Hrsg. von Annemarie Schimmel. Erster Band
Insel Verlag Frankfurt am Main 1988 (S. 99)
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Die Stunde sei gesegnet,
Wo ich dir bin begegnet,
Wenn diese Liebe Lust
Dir weckt in stiller Brust,
Wie Tau auf Blumen regnet!

Der Stunde sei geflucht,
Wo ich dein Herz gesucht,
Wenn in dir diese Liebe
Statt milder Freudentriebe
Soll tragen herbe Frucht! -

Gesegnet ist die Stunde,
Sprach sie mit süßem Munde,
Mir ist kein Weh geschehn;
Den Himmel fühl' ich stehn
In meines Herzens Grunde.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 312-313)
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Drum wenn du nun, wie du mit jedem Blicke,
Mit jedem Laut es giebst mir zu erkennen,
Gern dieses Handels Fäden möchtest trennen,
So thu's, du kannst es ja im Augenblicke.

Sag' nur dem Aug' einmal, daß sanft es blicke,
Laß deinen Mund einmal nur sanft mich nennen,
Der Lippen Kuß nur einmal sanft mir brennen,
So fällt das Band von selbst mir vom Genicke.

Denn da die Zauber, die mich halten, Dorne
Nur sind des Stolzes, und des Trotzes Nesseln;
Laß Stolz und Trotz, so fliehn die Zaubereien:

Du müßtest denn, so wie mit Groll und Zorne,
Mit Huld und Lächeln auch verstehn zu fesseln,
Dann kann dich weder Zorn noch Huld befreien.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 272)
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Du bist nicht schön, kann ich dir redlich sagen,
Du bist nicht schön, ob rot gleich ist die Wange,
Und blau das Aug' und braun das Haar, das lange,
Viel schön're sah ich schon in meinen Tagen.

Und daß ich so in Wohl- und Wehbehagen
Nicht zu, nicht abwärts könnend, an dir hange,
Nicht deine Schönheit ist die gold'ne Spange;
Die eherne, die ich muß küssend nagen,

Dein Trotz ist es, dein starrer Sinn und steifer,
Rauh, dornig, wild, verhöhnend die Bezwinger,
Wie Wälder von - du kennst es nicht -Hyrkanien.

Das hält mich fest an dir mit Toreneifer,
Dem Knaben gleich, der klaubt mit wundem Finger
Die Stachelfrucht des Baumes der Kastanien.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 272)
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Liebesfrühling

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn, o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab.
Du bist die Ruh, du bist der Frieden,
Du bist der Himmel mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bessres Ich!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 302-303)
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Du standst in dich verhüllt gleich einem jungen
Frühlinge, der sich selbst noch nicht empfunden;
Ich kam und brachte deines Lenztums Kunden
Dir erst durch meiner Blicke Flammenzungen.

Aufwachtest du aus deinen Dämmerungen,
Und stehest jetzt, in freier Blüt' entbunden,
Siegatmend da. Was hab' ich Lohn gefunden,
Daß ich zuerst den Lenz dir angesungen?

Die Lerche darf ins Saatfeld, wo sie schwirrte,
Die Nachtigall ins Buschwerk, wo sie lockte,
Die Schwalbe, wo sie sang, ans Dach von Moose

Ihr Nest sich baun. O du, um die ich girrte,
Mir Dach und Busch und Saatfeld, o verstockte,
Wo soll ich nisten als in deinem Schoße?

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 273)
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Du ziehst, nicht sag' ich's, zum wievielten Male,
O Mond, am Himmel deine alten Kreise,
Derweil mich selber hier im alten Gleise
Du ziehen siehst durch diese süßen Thale.

Das Fenster aber dort, das blinkt, das schmale,
Ist noch vergittert nach der alten Weise;
Und kannst du, Freund, die Gitter mir nicht leise
Zerbrechen, ach, mit einem deiner Strahle?

Kannst du, wie ohne Widerstand die Scheiben
Du selbst durchdringst, nicht mich auch werden lassen,
Hinein zu dringen, ganz in Licht zergangen?

Umsonst! ich muß am dunklen Boden bleiben;
Du gehst allein, Freund, Feind, den ich muß hassen,
Hin, wo du bleich willst ruhn auf roten Wangen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 277-278)
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(aus: Lieder und Sprüche der Minnesinger: Herr Reinmar von Zweter)

Geheiligte Liebe

Ein Herz, Ein Leib, Ein Mund, Ein Mut,
Und Eine Treu', und Eine Liebe wohlbehut,
Wo Furcht entschleicht, und Scham entweicht, und
Zwei sind Eins geworden ganz;
Wo Lieb' mit Lieb' ist im Verein,
Da denk' ich nicht, daß Silber, Gold und Edelstein
Die Freuden übergolde, die da bietet lichter Augen Glanz.
Da wo zwei Herzen, die die Minne bindet,
Man unter Einer Decke findet,
Und wo sich eins ans andre schließet;
Da mag wohl sein des Glückes Dach.
Wohl ihm, dem je ward solch Gemach;
Ich weiß gewiß, daß Gott das nicht verdrießet.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 184)
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Ein Obdach gegen Sturm und Regen
Der Winterzeit
Sucht' ich, und fand den Himmelssegen
Der Ewigkeit.
O Wort, wie du bewährt dich hast:
Wer wenig sucht, der findet viel.
Ich suchte eine Wanderrast
Und fand mein Reiseziel.

Ein gastlich Tor nur wünscht' ich offen,
Mich zu empfahn.
Ein liebend Herz war wider Hoffen
Mir aufgetan.
O Wort, wie du bewährt dich hast:
Wer wenig sucht, der findet viel.
Ich wollte sein ihr Wintergast
Und ward ihr Herzgespiel.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 314)
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Ein Paradies, ein verlorenes,
Liegt rückwärts in der Vergangenheit,
Und ein wiedergeborenes
Liegt vorwärts in der Zukunft weit.
Immer rückwärts nach jenem blickt
Und Blicke vorwärts nach diesem schickt
Wehmut und Sehnsucht, dein Wegegeleit,
O Herz, durch die Spanne der öden Zeit.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 356)
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Ein Strom der Liebe ging
Aus meiner Liebsten Herzen,
Den ich in meins empfing
Herüber ohne Schmerzen;

Der, wie er meine Brust
Durchflutet und durchzogen,
Zurück in stiller Lust
Ergoß in sie sein Wogen

Sie fühlte, wie ich tief
In ihrem Frieden ruhte;
Ich fühlte, wie sie schlief,
An meinem stillen Blute.

Wir sahn uns an dazu,
Verwundert, wie auf Erden
Solch eine Himmelsruh'
Mag zweien Herzen werden.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 404-405)
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Eines Weges so oft bin ich zur Liebsten gegangen,
Daß aufmerksam geworden die Leut' in der Näh' und die Hunde.
Doch mir haben die Hunde bereits als einem Bekannten
Auf zu bellen gehört, die Leute nur bellen noch immer.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 411)
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Eins, nur eines möcht' ich wissen,
Ob es giebt kein Band so fest,
Womit Liebe, die zerrissen,
Wieder sich verbinden läßt.
Und noch eines möcht' ich wissen,
Wie der Liebe Band so fest,
Daß es, wenn es schon zerrissen,
Doch das Herz noch frei nicht läßt.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 296-297)
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Frühling, vollen! vollen
Liebesüberfluß!
Mehr als Herzen wollen,
Strömenden Genuß!

Wonnen mehr, als schwellen
Wünsche meine Brust,
Ungezählte Wellen,
Ungemeßne Lust!

Mir nicht Sonnenstrahlen,
Sondern Sonnenglut,
Mir nicht Taues Schalen,
Sondern Meeres Flut!

Mir nicht ferne Grüße,
Mir nicht leisen Blick,
Sondern heiße Küsse,
Ketten ums Genick!

Nicht die halben Lippen,
Sondern vollen Tausch,
Nicht des Bechers Nippen,
Sondern ganzen Rausch!

Rötlich angeglommen
Sei nicht Luftazur,
Eine Glut verschwommen
Morgenrot und Flur!

Nicht ein knospend Ringen,
Sondern voller Flor,
Nicht vereinzelt Klingen,
Sondern voller Chor!

Nicht verzagte Blätter,
Sondern buntes Grün,
Wechselreich Geschmetter,
Durcheinanderblühn!

Rosen an dem Stocke
Meiner Lust so viel,
Daß sich mag die Flocke
Nehmen Ost zum Spiel.

Immer neu beflissen
Knospen anzugehn,
Daß wir nicht vermissen,
Die wir sterben sehn.

Immer neu Gefieder,
Immer neuen Schall,
Tausendfache Lieder,
Gleich der Nachtigall!

Daß die Rose lauschen
Mag mit halbem Ohr,
Eins sie muß berauschen,
Wenn sie eins verlor.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 356-357)
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Geh, mein Herz, zum Liebchen heute!
Weißt du, ob du's morgen kannst?
Nimm der Liebe Glück zur Beute,
Rasch, und stirb, wann du's gewannst.

Warum willst du fern ihr säumen
Einen einz'gen Augenblick?
Laß dich nicht in leeren Träumen
Überraschen vom Geschick.

Sondern wann es ohn' Erbarmen
Führen will auf dich den Streich,
Treff' es dich in ihren Armen,
Ihr am Busen stirbt sich's weich.

Zähle nicht die künft'gen Stunden,
Die du weihen willst der Lust.
Eine, traurig hingeschwunden,
Ist ein sicherer Verlust.

Ob dir tausend Tage blieben,
Gieb umsonst nicht Einen Tag.
Warum willst auf morgen schieben,
Was dir heute werden mag?

Unerschöpflich ist der Becher,
Den die Liebe dar dir beut;
Nie ihn enden wirst du, Zecher,
Doch beginnen mußt du heut.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 402-403)
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Gestern hab' ich von Nachtbesuch beim Liebchen,
(Welch ein nagendes Liebesangedenken!)
Ach, ein Flöhchen mit heimgetragen, das nun,
Den jungfräulichen Aufenthalt vermissend,
Hüpfend, wühlend, mich quält den ganzen Tag lang,
Gegen Abend, auf meinem Sofa liegend,
Da die Stunde gekommen, wo ich dachte
Hinzugehen und das Flöhchen heimzutragen;
Wie ich höre, daß draußen Regen prasselt,
Und ich sage: nun kann ich heut nicht hingehn!
Tobt das Tierchen an mir ganz ungeheurer.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 299)
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Glaub es, holdes Angesicht,
Glaub es nur und zweifle nicht,
Daß die Schätze, deren Glanz
Dich noch blendet, dein sind ganz!
Fühl es recht in deinem Sinn,
Daß ich ganz dein eigen bin,
Mit dem Besten, was ich habe,
Mit der reichen Liedergabe,
Die der Himmel mir gegeben
Nur zum Schmucke deinem Leben.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 305)
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Hast du gestern abend dich,
Liebster, nicht nach mir gesehnt,
wie ich gestern abend mich,
Liebster, mich nach dir gesehnt?

Liebste! nein, ich habe mich
nicht gesehnt beim Abendschein,
Liebste! denn man sehnet sich
nach Abwesenden allein.

Und abwesend warst du nicht,
sondern nah in Liebesmacht;
weißt du's nicht! mein süßes Licht,
bei mir warst du all die Nacht.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 397-398)
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Himmel! eh' ich nun dies Auge schließe,
Das am Tag der Anblick der Geliebten
Hat beseligt, falt' ich diese Hände,
Die sich heut um ihren Nacken schlangen,
Falt' ich sie zum Nachtgebet und bitte:
Heil und Segen, Freude, reine Wonne,
Jugendfülle, Lebensmut, Gesundheit,
Heiterkeit und Frohsinn, Ruh' und Frieden,
Ungestörtes Seelenglück: das alles
Bitt' ich nicht für mich, für die Geliebte.
Denn ich weiß, in diesem Augenblicke,
Fern von mir die holden Augen schließend
Bittet sie für ihren Freund dasselbe.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 373)
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Ich bin dein Baum: o Gärtner, dessen Treue
Mich hält in Liebespfleg' und süßer Zucht,
Komm, daß ich in den Schoß dir dankbar streue
Die reife dir allein gewachs'ne Frucht.
Ich bin dein Gärtner, o du Baum der Treue!
Auf andres Glück fühl' ich nicht Eifersucht:
Die holden Äste find' ich stets aufs neue
Geschmückt mit Frucht, wo ich gepflückt die Frucht.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 318)
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Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält;
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh' in einem stillen Gebiet.
Ich leb' in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 339)
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Ich denk' an dich, und meine Seele ruht
In dem Gedanken aus an dich,
Dem Schiffer gleich, der aus bewegter Flut
Zum stillen Hafen rettet sich.

Als wie am Tag ein wilder Vogel fliegt,
Waldaus, waldein, nach seiner Lust,
Doch bei der Nacht ins weiche Nest sich schmiegt,
So schmieg' ich mich an deine Brust.

Ich ruh' in dir, in deiner Liebe ruht
Der Drang der Seele wild und scheu;
Unsicher ist des Lebensmeeres Flut,
Und du allein bist ewig treu.

aus: Friedrich Rückert. Ausgewählte Werke.
Hrsg. von Annemarie Schimmel. Erster Band
Insel Verlag Frankfurt am Main 1988 (S. 113)
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Ich hab' in mich gesogen
Den Frühling treu und lieb,
Daß er, der Welt entflogen,
Hier in der Brust mir blieb.

Hier sind die blauen Lüfte,
Hier sind die grünen Au'n,
Die Blumen hier, die Düfte,
Der blüh'nde Rosenzaun.

Und hier am Busen lehnet
Mit süßem Liebesach
Die Liebste, die sich sehnet
Den Frühlingswonnen nach.

Sie lehnt sich an, zu lauschen,
Und hört in stiller Lust
Die Frühlingsströme rauschen
In ihres Dichters Brust.

Da quellen auf die Lieder
Und strömen über sie
Den vollen Frühling nieder,
Den mir der Gott verlieh.

Und wie sie, davon trunken,
Umblicket rings im Raum,
Blüht auch von ihren Funken
Die Welt, ein Frühlingstraum.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 302)
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Ich hatte dich in Sammet und in Seide
Gehüllt, dich angethan mit Purpurzonen;
Ich hatte dir aufs Haupt gesetzet Kronen,
Dir um die Brust geleget Goldgeschmeide.

Thu von dir den geborgten Schmuck, entkleide
Der fremden Pracht dich, steige von den Thronen
Zu denen nieder, die im Dunkel wohnen,
Und treibe nackt die Lämmer auf die Weide.

Ich hatte dich mit Himmelstau gewaschen,
Ich hatte dich gesalbt mit Götterschmincke,
Ich hatte Manna dir zur Kost erlesen.

Geh, schmincke wieder dich mit Staub und Aschen,
Geh wieder hin an deinen Bach und trinke,
Und sag' es niemand, daß du mein gewesen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 282)
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Ich kleide dich mit einem schönen Kleide,
darin du sollst wie eine Fürstin prangen;
Lieb' ist das Kleid, das rings dich soll umfangen;
wen Liebe schmückt, bedarf der Gold und Seide?

Ich schmücke dich mit köstlichem Geschmeide,
das um dich soll in goldner Windung hangen;
das Goldgeschmeid' ist Hoffnung und Verlangen,
sie sind der Liebe goldne Kettlein beide.

Ich bau' dir eine sanftgewölbte Hütte,
verschlungen aus dem Schatten dreier Äste,
die drei sind Treue, G'nügsamkeit und Sitte.

Und wenn du mit mir willst zum stillen Feste
einziehn und wohnen in des Hüttleins Mitte,
so wird es uns zum schönsten der Paläste.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 268)
_____

 

Ich lag in stummer Lust
An meiner Liebsten Brust,
Und meine Augenlide
Geschlossen hielt der Friede.

Ich fühlte mich in ihr,
Und fühlte sie in mir,
Ich fühlte nur das Leben,
Das wir einander geben.

Da blickt' ich auf nach ihr,
Und wieder sie nach mir,
Es kamen auf den Wegen
Die Blicke sich entgegen.

Was wollt ihr Augen hier?
Ihr seid nur Neubegier.
Wir wissen im Vertrauen,
Was ihr nicht braucht zu schauen.

Mein Auge schaute doch,
Und ihres schaute noch,
Als ob das meine fragte,
Und ihres Antwort sagte.

Es fragte: Liebst du mich?
Es sagte: Frage dich!
Und beide schlossen wieder
Begnügt die Augenlider.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 412-413)
_____

 

Ich lag von sanftem Traum umflossen,
Und fühlte selig mich in dir.
Als ich die Augen aufgeschlossen,
Da hingst du lächelnd über mir.

Wie gerne mag dein Traum zerstieben,
Von deinem Kuß hinweg geflößt,
Wie hast du schön dich selbst vertrieben,
Wie schön dich selbst hier abgelöst!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 321)
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Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß;
Ich liebe dich, weil ich nichts anders kann;
Ich liebe dich nach einem Himmelschluß;
Ich liebe dich durch einen Zauberbann.

Dich lieb' ich, wie die Rose ihren Strauch;
Dich lieb' ich, wie die Sonne ihren Schein;
Dich lieb' ich, weil du bist mein Lebenshauch;
Dich lieb' ich, weil dich lieben ist mein Sein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 380)
_____

 

Ich sehe wie in einem Spiegel
In der Geliebten Auge mich;
Gelöst vor mir ist jedes Siegel,
Das mir verbarg mein eignes Ich.

Durch deinen Blick ist mir durchsichtig
Mein Herz geworden und die Welt;
Was in ihr wirklich und was nichtig,
Ist vor mir ewig aufgehellt.

So wie durch meinen Busen gehet
Hier deines Herzens stiller Schlag,
So fühl' ich, was die Schöpfung drehet
Vom ersten bis zum jüngsten Tag.

Die Welten drehn sich all um Liebe,
Lieb' ist ihr Leben, Lieb' ihr Tod;
Und in mir wogt ein Weltgetriebe
Von Liebeslust und Liebesnot.

Der Schöpfung Seel' ist ew'ger Frieden,
Ihr Lebensgeist ein steter Krieg.
Und so ist Friede mir beschieden,
Sieg über Tod und Leben, Sieg.

Ich spreche still zur Lieb' im Herzen,
Wie Blume zu der Sonne Schein:
Du gib mir Lust, du gib mir Schmerzen!
Dein leb' ich und ich sterbe dein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 311-312)
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Ich träumt, ich wär' ein Vögelein und flöge
Hinaus zu ihr mit einer Schar von Ammern,
Die draußen jetzt vor ihrem Fenster jammern,
Bis sie mit Lächeln ihnen füllt die Tröge.

Und wenn der Schwarm gesättigt weiterzöge,
Blieb' ich, um an ihr Kleid mich anzuklammern,
Bis sie, sich mein erbarmend, in die Kammern
Mich mit sich nähme und mich drinnen pflöge.

Dann tät' ich so erfroren und erstarret,
Daß sie aus Mitleid in den Busen nieder
Mit Haut und Haar mich schöb‘, um zu erwarmen.

Dann, wenn ich erst ein Weilchen so verharret,
Besänn' ich mich auf meine Menschenglieder,
Um sie, statt zu umflügeln, zu umarmen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 288)
_____

 

Ich war am indischen Ozean
Einst eine Palm' entsprungen,
Du warst die blühende Lian',
Um meinen Schaft geschlungen.

Ich war einmal ein Blütenast
In Edens schönster Laube,
Da hattest du auf mir die Rast
Gewählt als girrende Taube.

Du warest einst ein Morgenduft
Um Schiras' Gartenbeete,
Da war ich eine Morgenluft,
Die spielend dich verwehte.

Du warst auf Sinas Moschusflur
Die einsame Gazelle,
Ich fand im Taue deine Spur
Und ward dein Spielgeselle.

Ich war ein lichter Tropfen Tau,
Und als ich niedersprühte,
Warst du ein Blumenkelch der Au
Und nahmst mich ins Gemüte.

Ich war ein klarer Frühlingsquell,
Ich hab' es nicht vergessen,
Du stand'st und trankest meine Well'
Als schlankste der Zypressen.

Ich war ein Funken Gold im Schacht,
Da hab' ich ganz alleine
Zum Ringe mich, und dich gemacht
Zu meinem Edelsteine.

Ich war einmal ein Mondenstrahl,
Du Abendsternes Blinken,
Da sahest du viel tausendmal
Mich dir von ferne winken.

Du warest vor mir auf der Flucht
Vor meinem Blick geschwunden.
Ich habe damals dich gesucht,
Nun hab' ich dich gefunden.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 382-383)
_____

 

Ich war ein Bettler und bin ein Reicher geworden,
Solch einen Schatz hab' ich gefunden.
Ich war ein Sklave und bin ein König geworden,
Solch einen Thron hab' ich gefunden.
Ich war ein Verlor'ner und bin ein Sel'ger geworden,
Solch einen Himmel hab' ich gefunden.

Der Schatz, den ich errungen habe,
Der liegt in eines Weibes Brust.
Der Thron, den ich erschwungen habe,
Ist ihres Busens reiche Lust.
Der Himmel, den ich ersungen habe,
Des bin ich mir in ihr bewußt.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 304-305)
_____

 

Ich will den Sonnstrahl mit der Hand zerbrechen,
Ich will den Lufthauch bei dem Fittich fangen,
Eh' dieser kalt dir rühren soll die Wangen,
Eh' jener heiß die Stirne dir soll stechen.

Die Vögel will ich zauberisch besprechen,
Daß sie dir singen nichts als dein Verlangen,
Die Büsche, daß sie, wo du kommst gegangen,
Zu dir von nichts als deiner Schönheit sprechen;

Die Bienen, daß sie dir auf deine Lippen
Den Honig tragen, Blumen an die Hände
Dir blühn, und Tauben brüten dir im Schoße;

Ja, daß dir sei die Erde ohne Klippen,
Der Himmel ohne Wolken, ohne Ende
Der Lenz, und ohne Dornen jede Rose.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 279)
_____

 

Ich wohn' in meiner Liebsten Brust,
In ihren stillen Träumen.
Was ist die Welt und ihre Lust?
Ich will sie gern versäumen.

Was ist des Paradieses Lust
Mit grünen Lebensbäumen?
Ich wohn' in meiner Liebsten Brust,
In ihren stillen Träumen.

Ich wohn' in meiner Liebsten Brust,
In ihren stillen Träumen.
Ich neide keines Sternes Lust
In kalten Himmelsräumen.

Was ist die Welt und ihre Lust?
Ich will sie gern versäumen.
Ich wohn' in meiner Liebsten Brust,
In ihren stillen Träumen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 384)
_____

 

Ich wollte, daß ich wär'- o süßes Neiden!
Dein Spiegel mit dem blanken Angesichte;
So würd' ich doch an deines Auges Lichte
Viel öfter mich als jetzo können weiden.

Ich wollte, daß ich wär'- o bittres Leiden!
Dein Schatten, der vor deinem Glanz zunichte
Nie wird; so würd' ich, gleich dem dunklen Wichte,
Von deinem Leibe brauchen nie zu scheiden.

Ich wollte, daß ich nur dein Lämmchen wäre,
So würd' ich doch nicht sehen, daß du bangtest
Und flöhst vor mir wie vor dem Wolf, nicht besser.

So gäb' ich dir die Wolle, wenn die Schere
Du führetest, und, ob du es verlangtest,
Das Leben, wenn du führetest das Messer.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 279)
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Immer dacht' ich, Liebste, daß
Deines Dichters Lieben
Völlig von des Liedes Maß
Sollte sein umschrieben;

Daß du nichts so tief, und nichts
Ich so hoch empfände,
Was in Schranken des Gedichts
Seinen Platz nicht fände.

Liebste! heut erkenn' ich doch
Daß ein Lied nicht reichet
An die Liebe, die ihm hoch
Himmelein entweichet.

Was ich heut, der Welt geheim,
Dir vor Gott geschworen,
Schwören könnt' ich's nicht im Reim,
Noch vor Menschenohren.

Darum fürchte nun auch nicht
Zaubertrug und Welle!
Treten kann nicht ein Gedicht
An der Liebe Stelle.

Nicht, die Liebe selbst zu sein,
Mag dem Liede glücken,
Sondern sein Beruf allein
Bleibt, ihr Kleid zu schmücken.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 414)
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Ist die Lieb' gestorben? Nein!
Ach daß sie es könnte sein!
Wie erstarrt in kalter Nacht
An der Blum' ein Schmetterling,
Und mit aufgetauter Schwing'
An der Sonne neu erwacht;
So mit einem Liebesblick
Weckst du neu mein Mißgeschick.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 295)
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Ist die Liebe so verstrickt,
Oder ich so ungeschickt?
Als ich es mit ihr begonnen,
Und ihr Netz mich eingesponnen;
Wenn sie manchen Kuß mir lieh,
Ob sie liebte? wußt' ich nie.
Und nachdem das Netz zerrissen,
Schein' ich noch es nicht zu wissen,
Wenn sie einen Blick mir giebt,
Ob sie nicht noch jetzo liebt?

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 297)
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Kann heut nicht lange Lieder schreiben,
Kann heut nicht lange sitzen bleiben
An meines Mädchens Schreibepult.
Muß streifen um durch Haus und Garten;
Wo mag sie sein? wo meiner warten?
Die liebe junge Ungeduld!

Sie hat gewiß schon längst gemeinet,
Daß ihr der Freund zu ruhig scheinet,
Der übermorgen geht von hier.
"Und hast du mir noch was zu sagen,
Was soll ich's deinem Lied entfragen?
Ei, sag es doch mit Küssen mir!"

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 318)
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Klage nicht, daß ich von dir
Gehe, denn ich bleibe hier;
Ja, indem mein Leib verreist,
Bleib' ich hier mit meinem Geist,
Bleib' ich hier mit meiner Liebe,
Ja, mit jedem Wurzeltriebe,
Den auf ewig tief genug
Meine Seel' in deine schlug.
Soll der süße Trieb dir Klagen - ?
Nein, er soll nur Lust - dir tragen.
Wenn er so dich kränken wollte,
Der dich so beglücken sollte,
Bät' ich Gott: von ihrem Herzen
Nimm den herben Trieb der Schmerzen!
Doch der Himmel, der hat lassen
So den Trieb hier Wurzel fassen,
Wird ihn lassen nicht verwildern,
Sondern so ihn lieblich mildern,
Daß er trag' in deiner Brust
Dornenlose Rosenlust.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 306)
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Liebe ward von Gott der Welt verliehen,
Um zu Gott die Seele zu erziehen.
In die Schule bin ich früh gegangen,
Habe nicht die rechte Lehr' empfangen.
Unerzogen ist das Seelchen blieben,
Bis du ihm zum Meister wardst verschrieben.
Mußt Geduld nur haben! will ja gerne
Lernen, erst ist not, daß ich verlerne;
Denn es blieb an mir das Falsche hangen.
Schlimmer als von vornen anzufangen!
Mußt mich alles erst vergessen lassen,
Soll ich rein die neue Lehre fassen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 322)
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Liebesromanze von Fräulein Luft und Junker Duft

Es kam das zarte Fräulein Luft
Vom Himmel her entstiegen,
Und sah in Blumenwiegen
Den zarten Knaben liegen,
Den zarten Knaben Duft.

Es sah das zarte Fräulein Luft
So hold und so verschwiegen
Die Blättlein her sich schmiegen,
Sich um das Kind herbiegen
So zierlich abgestuft.

Da rief das zarte Fräulein Luft
Und ließ sein Stimmlein fliegen:
Zu dir komm' ich gestiegen;
Wie lange willst du liegen
In deiner stummen Gruft?

Da sprach der zarte Knabe Duft,
Der bis daher geschwiegen;
Still blieb er dabei liegen
In seinen sanften Wiegen,
Und sprach: Wer ist's, der ruft?

"Ich bin das edle Fräulein Luft,
Es sei dir nicht verschwiegen;
Ich die kann gehen und fliegen
Und mich auf Flügeln wiegen,
Ich bin's, mein Junker Duft."

Da lächelte der Knabe Duft,
Und blieb nicht ruhig liegen
In seinen engen Wiegen;
Sein Haupt thät er vorbiegen:
Was willst du, Fräulein Luft?

"Ich will, o süßer Junker Duft,
Aus deinen engen Wiegen
Will ich dich lehren fliegen,
Und Flügel sollst du kriegen
Wie ich, das Fräulein Luft."

Da lächelte der lose Duft
So fein und hold-verschwiegen:
Ich habe längst vom Fliegen
Geträumt, vom Flügelkriegen,
In meiner stillen Gruft.

Voll Lüsternheit der Knabe Duft
War seinen blum'gen Wiegen
Mit halbem Leib entstiegen;
Es dachte schon zu siegen
Das list'ge Fräulein Luft.

Da duckte sich der kleine Schuft
Zurück sich in die Wiegen,
Sich tiefer drein zu schmiegen:
Und willst du mich betrügen,
O holdes Fräulein Luft?

In meiner engen stillen Gruft
Konnt' ich so ruhig liegen,
Mich sanft auf Blättlein wiegen;
Wohin soll ich nun fliegen
Mit dir, o Fräulein Luft?

"Durch Feld und Wald, durch Berg und Kluft,
Wo schöne Schätze liegen,
Die Brünnlein nie versiegen;
Dahin nun sollst du fliegen
Mit mir, o Junker Duft.

"Da sollst du, holder Junker Duft,
Zum Himmel hoch gestiegen,
Zu sehn, zu hören kriegen,
Was ewig hier verschwiegen
Dir blieb' in deiner Gruft.

"So folge mir, die dich beruft,
Und laß dein furchtsam Schmiegen;
Sonst muß ich weiter fliegen,
Und du mußt ewig liegen
In deiner Gruft, o Duft!"

Hold schmeichelte das Fräulein Luft
Und ließ ein Seufzen fliegen:
"Ich will dich nicht betrügen;
O komm aus deinen Wiegen,
Sonst sterb' ich, süßer Duft!"

Doch sträubte sich der Knabe Duft,
Da ging es an ein Kriegen;
Es stritten um die Wiegen,
Darin er wollte liegen,
Sich Duft und Fräulein Luft.

Da wehrte noch der kleine Schuft
So streng sich und gediegen;
Er mußte doch erliegen,
Es wußt' ihn zu besiegen
Das starke Fräulein Luft.

In Blättlein hoch und tief gestuft
Wie er sich mochte schmiegen,
Sie wußte sich zu biegen
Und ihn hervor zu kriegen
Aus der geheimen Schluft.

Da faßte sich ein Herz der Duft:
Nun lebet wohl, ihr Wiegen!
Sollt' ich im Kuß versiegen,
Keck will ich jetzt mich schmiegen
An meine Freundin Luft.

Ihn küßt' und nahm in Arm die Luft,
Stolz war sie auf ihr Siegen;
Doch traurig mußten liegen
Die Blättlein, deren Wiegen
Entnommen war der Duft.

Hinflogen freudig Duft und Luft;
Und es ist uns verschwiegen,
Ob sie zum Himmel stiegen,
Ob noch zusammen fliegen
Durch Feld und Wald und Kluft.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 2 (S. 272-275)
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Liebst du um Schönheit,
O nicht mich liebe!
Liebe die Sonne,
Sie trägt ein gold'nes Haar.
Liebst du um Jugend,
O nicht mich liebe!
Liebe den Frühling,
Der jung ist jedes Jahr.
Liebst du um Schätze,
O nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau,
Die hat viel Perlen klar.
Liebst du um Liebe,
O ja mich liebe!
Liebe mich immer,
Dich lieb ich immerdar!

aus: Friedrich Rückert. Ausgewählte Werke.
Hrsg. von Annemarie Schimmel. Erster Band
Insel Verlag Frankfurt am Main 1988 (S. 106)
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Liebste! wer vom Anfang ist Vertrauter
unsres Bunds gewesen? Gott allein.
und als ew'ger Bundeszeuge schaut er
noch von dort in unser Herz herein.
Liebste! niemand kann so rein, so lauter
der Vermittler unsrer Liebe sein.
Liebste! nie ein anderer Vertrauter
stehe zwischen uns, als Gott allein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 330)
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Liebste, was kann denn uns scheiden?
Kann's das Meiden?
Kann uns Meiden scheiden? Nein.
Ob wir uns zu sehn vermieden,
Ungeschieden
Wollen wir im Herzen sein.
Mein und dein,
Dein und mein,
Wollen wir, o Liebste, sein.

Liebste, was kann denn uns scheiden?
Wald und Heiden?
Kann die Fern' uns scheiden? Nein.
Unsre Lieb' ist nicht hienieden;
Ungeschieden
Wollen wir im Himmel sein.
Mein und dein,
Dein und mein,
Wollen wir, o Liebste, sein.

Liebste, was kann denn uns scheiden?
Glück und Leiden?
Kann uns beides scheiden? Nein.
Sei mir Glück, sei Weh beschieden,
Ungeschieden
Soll mein Los von deinem sein.
Mein und dein,
Dein und mein,
Wollen wir, o Liebste, sein.

Liebste, was kann den uns scheiden?
Haß und Neiden?
Kann die Welt uns scheiden? Nein.
Niemand störe deinen Frieden!
Ungeschieden
Wollen wir auf ewig sein.
Mein und dein,
Dein und mein,
Wollen wir, o Liebste, sein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 316)
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Mein Kind, ein seltsam Spiel hast du begonnen
Hier mit dem wehrlos ausgestreckten Linnen;
Und wahrlich, wenn es hätte Menschensinnen,
Müßt's ihm ein Spiel sein recht zu Weh und Wonnen;

Wie du ihm bald gebietest, sich zu sonnen,
Bald kalte Fluten drüber lässest rinnen,
Bald wieder sonnst das Flutennaß von hinnen,
Bald wieder tilgst die Glut mit neuen Bronnen.

Mein Kind, wenn Sonnen gleich sind deine Blicke
Und deines Mundes Grüße gleich den Fluten
So weiß ich, daß ich selbst dem Linnen gleiche;

Da du mich sonnend glühst auf Augenblicke,
Dann ach, durch kaltes Wort mir kühlst die Gluten,
So daß, wie jenes bleicht, ich selbst erbleiche.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 277)
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Mein Liebchen hat das Herz sich abgeschlossen,
Den Schlüssel drauf geworfen in die See.
Dort hängt er tief, wo die Korallen sprossen,
Vergebens taucht nach ihm hinab mein Weh.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 292)
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Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen.
Nun zeig' in deinem Glanz dich, schöne Welt!
Im rechten Licht zeig' ihm dich unverstellt,
Daß er zu dir mag fassen ein Vertrauen!

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen
Im Spiegel, den ihm meine Liebe hält.
Entrollt euch seinen Blicken, Stadt und Feld!
Zeuch ihm vorüber, Land mit deinen Gauen!

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,
Wie sein erobert Land beschaut ein Held;
Und wie es dar sich seinen Augen stellt,
Verfügt er drüber mit dem Wink der Brauen.

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,
Wie ein Nomade mit dem leichten Zelt,
Sein Haushalt ist im Augenblick bestellt,
Wo er es aufschlägt auf den grünen Auen.

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,
Ihr Schatten rauschet und ihr Lüfte schwellt!
Ihr Gärten grünet und ihr Ströme quellt!
Laß, Himmel, Sonnenschein und Regen tauen!

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,
Und sie ist ganz zu seiner Wahl gestellt,
So weit als Gottes Frühlingslicht erhellt
Die grünen Räum' und obenher die blauen.

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,
Und ungesehen geh' ich ihm gesellt.
Und wo es ihm und wo es mir gefällt,
Da wird er sich und mir die Hütte bauen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 331-332)
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Meinen Geist vermähl' ich deiner Seele,
Wie die Welt vermählet Mann und Weib,
Ewig lebt das Paar, das ich vermähle;
Sinke dann ins Grab der morsche Leib.

Eile freudig, deine Braut zu schmücken,
Dichtergeist, entflammter Bräutigam!
Teil', o Braut, des Bräutigams Entzücken,
Und er teile deinen stillen Gram!

Geist, durch Höll' und Himmel einst verschlagen!
Diese Kette hat dir not getan.
Seele du, versunken im Entsagen!
Dieser Flügel trägt dich himmelan.

Lebet ineinander, o ihr beiden,
Geist beseelt, begeistet Seele du!
Was Gott fügte, soll der Mensch nicht scheiden,
Und dem Bund sah Gott vom Himmel zu.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 303)
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Nicht, mit Armen dich umschlingen,
Kann mir g'nügen, sondern mich
Geist mit Geist mit dir durchdringen,
Aufgehoben du und ich.

Immer stehn die Körperschranken,
Zweier Seelen Scheidewand;
Bis sie nicht in Staub zersanken,
Wird nicht frei der Himmelsbrand.

Liebe! diesen Leib verzehren
Müssen deine Lohen ganz;
Denn er will zwei Funken wehren
Aufzugehn in Einen Glanz.

Zitternd habet ihr, o Flammen,
Euch berührt im Sehnekuß,
Schlaget nun in Eins zusammen,
Daß die Welt verbrennen muß!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 330)
_____

 

Nun steht sie drinnen in der Hexenküche,
Und bläst mit ihres Odems falschem Hauche
Die Kohlen an, daß von dem Zauberrauche
Bis hieher mich umwittern die Gerüche.

Aufschichtet sie geknickte Reisigbrüche
Am Herde kreuzweis nach gelerntem Brauche;
Und murmelt über dem Wacholderstrauche,
Der in der Lohe knistert, ihre Sprüche.

Sie rasselt mit dem aufgehängten Kessel,
Sie klappert mit den aufgespülten Schalen,
Sie rührt mit raschem Quirl für mich im Topfe;

Sie rückt für mich im Kämmerchen den Sessel,
Und weiß die Stunde schon genau in Zahlen,
Wo ich muß kommen, und ans Thürchen klopfe.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 289)
_____

 

O Blumen, die ihr, weil Winter schauert,
Schnee auf der Au und Eis liegt auf dem Bronne,
An eines Ofens Wärm' anstatt der Sonne
Euch müßt erschließen, o wie ihr mich dauert;

Die ihr vergebens auf Erlösung lauert,
Wie hinterm Klostergitter eine Nonne;
Dürft' ich euch pflücken, euch wie mir zu Wonne
An einem Busen stürbt ihr unbetrauert.

Nichts sind die Ding', es ist die Lieb' in ihnen;
Um Liebe drehen sich der Sterne Reihen,
Um Liebe wälzen sich des Himmels Achsen.

Und kann die Blume nicht der Liebe dienen,
Und kann das Herz sich nicht der Liebe weihen,
So ist so Blum' als Herz umsonst gewachsen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 287)
_____

 

O du mein gar zu fleiß'ges Spinnenmädchen,
Im schönen selbst gesponnenen Gewändchen,
Die rührig mit dem Füßchen und dem Händchen
Du sitzest Tag und Nacht am Spinnenrädchen.

Wieviel gesponnen hast du feine Fädchen,
Und ausgesponnen sie zu festen Bändchen;
O wieviel hast du angesponnen Ständchen
Am Thürchen oft und oft an Fensterlädchen.

O wieviel haben Betterchen und Bäschen
Verworrene Gespinste dir ins Häuschen
Getragen, mit umsponnen dich beim Tänzchen.

Dann hat sich oft aus Hälmchen und aus Gräschen
Entsponnen zwischen uns ein Hadersträußchen,
Doch oftmals auch gewebt ein Liebeskränzchen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 287-288)
_____

 

Die Liebende des Hohenliedes:

1. O du, den meine Seele liebet, sage!
Wo weidest du? wo lagerst du
Mit deiner Herde am Mittage?
Damit ich eile deinen Schatten zu!
Was soll ich gleich dem Lamme, dem verirrten,
Umschweifen bei den Herden fremder Hirten?

2. Komm, mein Freund, laß uns hinaus zu freien
Flur, auf Dörfern laß uns übernachten,
Daß wir früh auf in Weinbergen seien,
Sehn, ob Reben neu zu ranken trachten,
Ob Weinblüten auf sich thaten,
Und ob blühen die Granaten;
Dort will ich dir meine Liebe weihen.

3. Ich schlief, mein Herz nur wachte.
O sachte,
Das ist die Stimme meines Freundes, der da klopfet.
"Thu auf, o meine Taube, Freundin, Schwester, Braut!
Mir ist durchtaut
Mein Haupt, mein Haar ist von der Nacht betropfet." -

Ich habe meine Schleier aufgehangen,
Entbunden die Sandalen meinen Sohlen.
Kann sie nicht langen,
Kann sie nicht holen.
Wie soll ich nun
Dem Freund aufthun,
Da er verstohlen kommt gegangen
Zur Nacht, wann alle Städter ruhn? -

Da klopfte, doch geringer,
Noch einmal an sein Finger;
Der süße Trieb ward mein Bezwinger.
Aufstand ich nun
Ihm aufzuthun.

Von der Hand mir troffen,
Wie von Würzgeschirren,
Lautre Myrrhen
Auf der Thüre Schloß hin, wie
Ich die Thür dem Freund that offen.

Und ist nun der Freund nicht hie?
Ist mir schon
Der Freund entflohn?
Bittres Leiden gab es nie.

Mich trieb die Seel', ihm nachzugehn,
Nach meinem Freund umher zu sehn.
Ich sucht' ihn und ich fand ihn nicht;
Ich rief ihn, er empfand mich nicht.

Ich beschwör' euch, Töchter von Jerusalem,
So ihr wollet meinen Dank:
Wenn ihr findet meinen Freund, so saget ihm,
Daß ich bin von Liebe krank.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 364-365)
_____

 

O Gott, wie dank' ich dir,
Daß du mir gabst das Leben,
Da du die Liebe mir
Nun hast dazu gegeben.

Das ew'ge Morgenrot
Ist in mir aufgegangen;
Ich brauche nicht vorm Tod,
Vorm Leben nicht, zu bangen.

Du bist im Leben mein,
Und mein im Tod geblieben.
Ich sah, wie Gott uns ein
Hat in sein Buch geschrieben.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 410)
_____

 

O wie schön ist, daß du nicht
Schön bist all und immer,
Sondern nur, wenn dein Gesicht
Klärt des Lächelns Schimmer.
Das ist, was mir möglich macht,
Ganz für mich zu haben,
Wenn dein Auge mir nur lacht,
Deine Schönheitsgaben.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 292)
_____

 

O Wonneschau, Lustanblick, Augenweide!
So hab' ich sie, die Schönste, denn gesehen
Vor meinen Blicken so verschönert stehen,
Wie's nur die Schönheit werden kann vom Kleide.

O schmeichelhaftes Kleid! Ich sah die Seide
Von ihrem Busen mir entgegenwehen,
Und sah die Blumen dort nach mir sich drehen,
Die Seid' und Blumen, meine Gaben beide.

So sieht der Frühlingstag mit Morgenstrahlen
Herab auf der geliebten Erde Glieder,
Die er mit seinen Farben sieht geschmücket,

Fühlt schauend Lust, und fühlt auch schon die Qualen,
Daß er an Abend muß vom Himmel nieder,
Und ihm die Nacht entzieht, was ihn entzücket.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 276)
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Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Faßt mein ganzes Leben ein.

Aller Glanz, ergossen,
Aller Tau der Frühlingsflur,
Liegt vereint beschlossen
In dem Kelch der Rose nur.

Alle Farben ringen,
Alle Düft' im Lenzgefild',
Um hervorzubringen
Im Verein der Rose Bild.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Faßt mein ganzes Leben ein.

Alle Ströme haben
Ihren Lauf auf Erden bloß,
Um sich zu begraben
Sehnend in des Meeres Schoß.

Alle Quellen fließen
In den unerschöpften Grund,
Einen Kreis zu schließen
Um der Erde blüh'ndes Rund.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Faßt mein ganzes Leben ein.

Alle Stern' in Lüften
Sind ein Liebesblick der Nacht,
In des Morgens Düften
Sterbend, wann der Tag erwacht.

Alle Weltenflammen,
Der zerstreute Himmelsglanz,
Fließen hell zusammen
In der Sonne Strahlenglanz.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Faßt mein ganzes Leben ein.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 353-354)
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Sagt mir nichts vom Paradiese,
Es ist mir zu weit;
Vorgezogen hab' ich diese
Eng're Seligkeit.

Sagt mir nichts vom Paradiese,
Es liegt mir zu weit;
Vorgezogen hab' ich diese
Näh're Seligkeit.

Meiner Liebsten Kammer, diese
Nahe Seligkeit,
Liegt mit ihrem Paradiese
Nachts mir nicht zu weit.

Meine Liebsten Kammer, diese
Enge Seligkeit,
Schließt für mich neun Paradiese
In sich, himmlisch weit.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 384)
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Sie sah den Liebsten schweigend an,
Sie sucht' ein Wort, auf das sie sann.
Sie dachte, und in Duft zerfloß
Des Denkens Faden, den sie spann.
Empfindung tauchte auf, als wie
Die Nymph' aus Fluten dann und wann,
Und tauchte wieder in die Flut,
Als ob es sie zu reu'n begann.
Die Seele war der Knospe gleich,
Die will und sich nicht auftun kann.
Sie lächelte, als staunte sie
In sich ein holdes Rätsel an.
Sie atmete, als ob aufs Herz
Ihr drück' ein süßer Zauberbann.
Sie blickte wie nach einem Traum,
Der schwimmend nicht Gestalt gewann.
Sie flüsterte, es war kein Wort,
Ein Hauch nur, der in Duft zerrann.
Sie flüstert' ihm das Wort ins Herz:
Du bist ein sehr geliebter Mann! -
Du bist ein sehr geliebtes Weib!
So sprachen sie und schwiegen dann.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 395)
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So wahr die Sonne scheinet,
So wahr die Wolke weinet,
So wahr die Flamme sprüht,
So wahr der Frühling blüht;
So wahr hab' ich empfunden,
Wie ich dich halt' umwunden:
Du liebst mich, wie ich dich,
Dich lieb' ich, wie du mich.
Die Sonne mag verscheinen,
Die Wolke nicht mehr weinen,
Die Flamme mag versprühn,
Der Frühling nicht mehr blüh'n!
Wir wollen uns umwinden
Und immer so empfinden:
Du liebst mich, wie ich dich;
Dich lieb ich, wie du mich.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 309-310)
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Solang' ich werde: "Liebst du mich,
O Liebster?" dich fragen;
Solange sollst: "Ich liebe dich,
O Liebste!" mir sagen.

Werd' ich mit Blicken: "Liebst du mich,
O Liebster!" dich fragen;
Mit Küssen sollst : "Ich liebe dich,
O Liebste!" mir sagen.

Und wird ein Seufzer: "Liebst du mich,
O Liebster?" dich fragen;
Ein Lächeln soll: "Ich liebe dich,
O Liebste!" mir sagen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 403)
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Süßer ist als Tun, viel süßer, Leiden;
darum, Liebste, muß ich dich beneiden:
Weil das Lamm du bist und ich der Hirte,
du darfst folgen und ich muß dich weiden;
Weil du bist die Au und ich dein Frühling;
ich dich schmück und du dich lässest kleiden;
Rose du, und ich der Dorn, dein Hüter,
der dir abwehrt, was dir frommt zu meiden;
Rebe du, die Freudentränen weinet,
wenn ihr Winzer, ich, sie muß beschneiden.
Wenn du Trauben mir versprichst zu tragen,
soll mir nichts die Winzermüh verleiden.
O du Bild, das meine Liebe malet,
sollte je von dir mein Fuß sich scheiden?
Du bist Marmor, und ich hin der Meißel:
dich zu bilden, muß ich mich bescheiden.
Du mein edler Stein, ich bin dein Künstler,
der ins Herz dir sein Gepräg will schneiden.
Prägen will ich dich nach meinem Herzen,
bis du nicht von mir zu unterscheiden,
Alle deine Eigenschaften will ich
bilden aus zu köstlichen Geschmeiden.
Alle deiner Seele Fäden will ich
weben aus in ein Geweb von Seiden.
Wie du in Geschmeid und Seide prangest,
will ich dann den Blick an dir auch weiden.
Sieh, mein Glück ist, deines zu gestalten;
solltest du nicht gern dein Glück erleiden?

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 394-395)
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Thessalierin, obgleich mit keinem Laute
Du von Thessalien je gehört im Traume;
Thessalierin! von welchem Zauberbaume,
Von welcher Zauberwurzel, Zauberkraute,

Nahm deine Hand die Stoffe, draus sie braute
Das bittere Getränk, in dessen Schaume
Verborgen ist, was je vom Wolkensaume
Der Mitternächte Gift'ges niedertaute?

Daß Gift es ist, muß ich ja wohl erkennen
Daraus, weil du aus den gefüllten Scherben,
Wie sehr ich flehe, nicht zuvor willst nippen.

Drum, statt zu löschen, macht es Durst entbrennen,
Und weh! wenn du nicht bald mir statt des Herben
Das Süße reichst im Becher deiner Lippen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 267)
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Unbegreiflich wunderbar
Ist und bleibt es, wie ein Paar,
Zwei, die erst so fremd sich sind,
Werden so bekannt geschwind.
Unbegreiflich noch viel mehr,
Wie ein Paar, bekannt so sehr,
Dann so fremd einander grüßt,
Als ob es sich nie geküßt.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 297)
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Uns beiden ist hier die Luft zu schwer
Im Land voll Sturmesgetose,
Mir, der Nachtigall, und noch mehr
Meiner Freundin, der Rose.

Die Ros' ist worden krank und bleich,
Und ich bin rauh geworden.
O dürften wir wandern allzugleich
Gen Süden aus dem Norden!

O daß ein goldbeschwingter Wind
Uns beide nähm' auf die Flügel,
Und trüge dahin uns frühlingslind
Zur Stadt der sieben Hügel.

Über die sieben Hügel dahin,
Dort wo die Lüfte sind reiner,
Noch immer steht dahin mein Sinn,
Zum Gebirg' der Lateiner.

Dort saß ich einen Sommer so froh,
Doch mußt' ich der Lieb' entbehren;
Wie wohl erst müßt' es mir werden, wo
Wir dort vereinigt wären!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 323-324)
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Wann die Rosen aufgeblüht,
Geht der Lenz zu Ende;
Wann die Sonn' am höchsten glüht,
Naht die Sonnenwende.

Alles Leben muß hinab,
Das nicht mehr kann steigen:
Und so will ich in mein Grab
Mich, o Liebchen, neigen.

Da die Lieb' ich fand, um was
Könnt' ich hier noch werben?
Thu den Arm mir auf und laß
Mich im Kusse sterben!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 386)
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Wann still die Nacht auf dunkeln Pfaden schreitet,
Die unterm Mantel trägt die goldnen Sterne,
Und im Gewölk gleich heimlicher Laterne
Der Mond sein wachsend Silberlicht bereitet;

Denk' ich, und meines Auges Thräne gleitet,
Zurück in jener Nächte schöne Ferne,
Wo er mit seinem lieberglühten Kerne
Auf meinen Liebesgängen mich geleitet.

Wozu, o Mond, mit deinem Strahlenschimmer
Hat dich ein Gott in Lüften aufgehangen,
Als daß die Lieb' in deinem Licht soll wallen?

Die Liebe wallt in deinem Lichte nimmer,
Der Docht in deiner Lamp' ist ausgegangen,
Und deine Scherben laß vom Himmel fallen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 285)
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Warum in der Ecke stehn,
Um mir einen Kuß zu gönnen?
Laß es doch die Leute sehn,
Was sie mir nicht wehren können!
Laß den heißen Blick der Sonnen
Sehn darein mit Neid und Groll;
Unsre Lieb' ist solch ein Bronnen,
Der nicht dran versiegen soll.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 293)
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Was gestern war, o laß es mich vergessen!
Was morgen sein wird, laß mich nicht ermessen!
Laß mich versinken in das schöne Heut!
Laß mich einmal ganz unbefangen scheinen,
O laß mich thun als könnt' ich niemals weinen,
Da mir dein Blick einmal ein Lächeln beut.
Was kümmert's mich, daß vor dem Lenz ein Winter?
Was kümmert's mich, daß einer ist dahinter?
Wenn zwischeninn' der kurze Lenz mich freut!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 298)
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Was ist alle Phantasie
gegen Liebeswirklichkeit?
Was sind alle Lieder, die
ich gesungen vor der Zeit?
Ein verlornes halbes Streben,
was nicht lebte, zu beleben;
Diese Lieder leben nur,
weil ich sie an mir erfuhr.

Nicht in ferne Himmelsräume
braucht' ich dichtend auszufliegen,
nicht in wesenlose Träume
eigensinnig mich zu wiegen.
Still daheim, in Liebe wach,
unter meines Liebchens Dach,
schrieb ich unbemüht nur nach,
was mein Herz mit ihrem sprach.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 320)
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Was mit Blick und halbem Wort
Fragest du mich fort und fort:
"Was nun soll's am Ende werden?"
Ist dem nichts als End' auf Erden?
Ach, ans Ende statt zu denken,
Dürft' ich in das Jetzt mich senken!
Mahne mich nicht grausam dran,
Daß es so nicht dauern kann!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 293)
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Was soll ich dir für Namen geben?
Mein trautes Herz! mein einz'ges Leben!
Mein Sonnenblick! mein Seelenstrahl!
Mein Hoffen, Sehnen und Verlangen!
Mein Wünschen, Glauben, Zweifeln, Bangen!
O meine süße Liebesqual!

Ich nenne dich mit allen Namen,
Die je von Liebeslippen kamen,
Ich grüße dich mit jedem Laut,
Den du mir je geküßt vom Munde,
Ich nenne dich im Herzensgrunde,
Lieb, ewig teuer, Schwester, Braut!

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 383-384)
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Weil ich dich nicht legen kann
Unter Schloß und Riegel;
Dir zum Abschied leg' ich an
Diese sieben Siegel.

Küsse sollen Siegel sein,
Einer auf die Lippe,
Daß am Nektarkelche kein
Honigdieb mir nippe!

Dieses Siegel auf die Brust,
Auf den Nacken dieses;
Fremder Wunsch sei fern der Lust
Meines Paradieses!

Zweie noch auf Wang' und Wang',
Und auf Aug' und Auge;
Daß kein Mund danach verlang'
Und kein Blick hier sauge!

Liebes Kind, um deine Schuld
Trag die Siegel in Geduld!
Morgen wollen wir die bösen
Sieben Siegel wieder lösen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 294)
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Weil ich nicht anders kann als nur dich lieben,
Will ich dich lieben denn soviel ich kann.
Zu hassen dich hatt' ich mir vorgeschrieben,
Mit Hasse sah das Herz die Vorschrift an.
Dich zu vergessen hatt' ich mich getrieben;
Vergessen war es, eh' ich mich besann.
Da so der Haß ward von sich selbst zerrieben,
So das Vergessen in sich selbst zerrann;
So laß mich denn, soviel ich kann, dich lieben,
Weil ich nichts anders als dich lieben kann.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 297-298)
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Welch ein Gärtner auf Erden kann sich rühmen
Solcher glücklichen Hand wie ich! Ein schönes
Bäumchen streichelt' ich, um den jungen Wildling
Mir zu schmeidigen, täglich mit den Händen.
Unterm Streicheln, o Wunder, sind am glatten,
Schlanken, hölzernen Stämmchen unversehens
Mir zwei Äpfelchen in die Hand gewachsen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 299)
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DIE GÖTTIN IM PUTZZIMMER

Welche chaotische
Haushälterei!
Welches erotische
Tausenderlei!
Alle die Nisch'chen,
Alle die Zellchen,
Alle die Tischchen,
All' die Gestellchen!
Fächelchen, Schreinchen,
Alle voll Quästchen;
Perlchen und Steinchen
All' in den Kästchen!
Blinkende Ringelchen,
Schimmernde Kettchen,
Goldene Dingelchen!
Silberne Blättchen!
Nadel und Nädelchen,
Haken und Häkchen,
Faden und Fädelchen,
Flecke und Fleckchen!
Allerlei Wickelchen,
Allerlei Schleifchen,
Allerlei Zwickelchen,
Allerlei Streifchen!
In der Verwirrung
Buntem Verstrick,
Vor der Verirrung
Banget der Blick.
Welche gewaltige
Zaubrin muß sein,
Die das zwiespaltige
Zwingt zum Verein?
Dort aus der Türe
Kommt sie gegangen.
Seht nur die Schnüre!
Seht nur die Spangen!
Alle die Sächelchen,
Wie sie sich regen,
Ihr aus den Fächelchen
Hüpfen entgegen!
Alle die Dingerchen,
Bänderchen, Miederchen,
Ihr um die Fingerchen,
Ihr um die Gliederchen!
Plötzlich von unten
Steht sie bis oben
All' mit dem bunten
Flitter umwoben.
Alles, wie fügt sich's
Still und einträchtiglich,
Legt sich's, begnügt sich's,
Wie sie's will mächtiglich.
Die Elemente
Hat sie verbunden,
Hat ins Getrennte
Ganzes empfunden.
Und aus dem lebenden
Inneren Hauch
Wird dem Umgebenden
Leben erst auch.
Schöpfrin, Entfalterin
Himmlischer Zier,
Stehst du, Gestalterin
Muse, vor mir?
Oder du Liebe,
Einigerin,
Ird'scher Getriebe
Reinigerin?
Denn nur ihr beide
Ordnet zum Eins
Buntes Geschmeide
Menschlichen Seins.
Denn nur ihr beide
Wandelt das Nichts,
Chaos, zum Kleide
Himmlischen Lichts.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 2 (S. 83-84)
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Wenn ich dir könnte, wie ich möchte, geben
Die Schätz' aus meiner Liebe vollem Schreine,
So wär' auf Erden und im Himmel keine
Geschmückt wie du, o du mein süßes Leben!

"Wie war das?" Hör' es recht, mein süßes Leben!
Geschmückt in Erd' und Himmel wäre keine
Wie du, wenn dir aus meiner Liebe Schreine
Die Schätz' ich, wie ich möchte, könnte geben.

Geschmückt wärst du mit mehr als Königsglanze,
Und wenn du schöner dann zu prangen wähntest,
Würdest du schöner doch als jetzt nicht prangen. -

Das ward gesprochen abends unterm Tanze,
Als du, nicht tanzend, sanft dich an mich lehntest,
Und littest, daß mein Arm dich hielt umfangen.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 277)
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Wenn ihr fragt, wer hier nun spricht,
Ich der Dichter, oder sie?
Sag' ich euch: ich weiß es nicht,
Sondert ihr's! ich sondr' es nie.

Hier sind zwei in Liebeslust
Eins, und thun's einander kund;
Ich empfind' aus ihrer Brust,
Und sie spricht durch meinen Mund.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 440)
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Wer bist du, der du anklopfst gar nicht leise
An meine Fenster mit dem Flügelschlage,
O ungestümer Nachtdurchwandler, sage,
Der du die Locken mir behaucht mit Eise?

"Ein Nordwind bin ich, und bin auf der Reise;
Ein Gruß an dich ist, was ich mit mir trage,
Den mir dein Liebchen auftrug, als am Tage
Ich draußen um ihr Haus zog meine Kreise."

Weh mir, das Blut erstarrt in meinen Adern.
Kann sie mir keinen andern Boten senden,
Als einen, dessen rauhe Grüße morden?

"Mein Freund, da mußt du mit dem Himmel hadern,
Der eure Häuser legt' an solche Enden,
Gen Süden deins und ihres gegen Norden."

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 286-287)
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Wer in der Liebsten Auge blickt,
Der hat die Welt vergessen.
Der kann nicht, wen ihr Arm umstrickt,
Was draußen liegt, ermessen.

Ich halt' in meinem Arm ein Glück;
Wer kann es mir entziehen?
Und nähm' es morgen Gott zurück,
War's heut mir doch geliehen.

Verlangen kann ein Menschenherz
Nichts Besseres auf Erden,
Als fühlen Liebeslust und Schmerz,
Und dann begraben werden.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 373)
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Wissen möcht' ich nur, wie lange
Ich dir spielen könnt' im Haar,
Oder streicheln an der Wange,
Oder sehn ins Augenpaar;
Wissen möcht' ich, ob auf Erden
Noch ein solches Spiel es giebt.
Das man, ohne müde werden,
Treiben kann als wie man liebt.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 291)
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Zwischen Lied und Liebe war mein Leben;
Aber, schwebend zwischen Lieb' und Liede,
Wußt' ich nie die beiden auszugleichen.
Oftmal sang ich anders als ich liebte,
Anders liebt' ich oft als ich gesungen.
Nun ich dich gefunden, ist der Zwiespalt
Ausgeglichen, und rein ineinander
Aufgegangen sind mir Lied und Liebe.
Dich nur darf ich, wie ich liebe singen;
Dich nur kann ich, wie ich singe, lieben.
Sollt' ich je nach andrem Sang, nach andrer
Liebe greifen, wieder unstet schwanken,
Da in deinem Herzen so vereinigt
Sind die beiden Pole meines Lebens?

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 319)
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Zwölf Freier möcht' ich haben, dann hätt' ich genug,
Wenn alle schön wären und alle nicht klug.
Einen, um vor mir herzulaufen,
Einen, um hinter mir drein zu schnaufen,
Einen, um mir Spaß zu machen,
Und einen, um darüber zu lachen;
Einen traurigen, den wollt' ich schon fröhlich herzen,
Einen lustigen, ich wollt' ihm vertreiben das Scherzen,
Einem, dem reicht' ich die rechte Hand,
Einem, dem gäb' ich die linke zum Pfand,
Einem, dem schenkt' ich ein freundlich Nicken,
Einem, dem gäb' ich ein holdes Blicken,
Noch einem, dem gäb' ich vielleicht einen Kuß,
Und dem letzten mich selber aus Überdruß.

aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 2 (S. 73)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Rückert



 


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