Karoline Rudolphi (1754-1811) - Liebesgedichte

Karoline Rudolphi

 

Karoline Rudolphi
(1754-1811)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 



Herbstgesang
1777

Sey gegrüßt im falben Nebelkleide,
Gott des Segens, sey gegrüßt!
Lieh dir gleich nicht Flora ihr Geschmeide,
Holder Gott des Segens, sey gegrüßt!

Ach! wie hängt dein Horn von Purpurtrauben
Und von goldnen Früchten schwer!
Laß mich, laß mich deines Nektars rauben,
Reich mir deinen Freudenbecher her;

Daß ich deines Feuers voll dich singe,
Bis mir Stirn und Wange glüht;
Daß dein Lob zum fernsten Aether dringe,
Bis zum hohen Sirius dein Lied!

Ja, der Götter wonniges Entzücken,
Das dem Nektar Süße leiht,
Ist, uns Erdenkinder zu beglücken:
Wohlthun ist des Himmels Seligkeit.

Seht ihrs nicht an diesem Gott der Freude? -
Wie sein Nebelschleyer flieht!
Wie geschmückt im lichten Aetherkleide
Lächelnd er zu uns hernieder sieht!

Denn er hat mit Segen unsre Fluren,
Unsre Hütten all erfüllt.
Seht, o seht! wie seines Fußes Spuren
Ueberall ein voller Strom entquillt!

Reizend ist im blumigten Geschmeide,
In der Hoffnung Lichtgewand
Dein Verkünder, holder Gott der Freude,
Mit dem Blüthenscepter in der Hand.

Liebe, Liebe stralt aus seinem Bilde;
Mit dem schöpferischen Stral
Wandelt er in Edens Lustgefilde
Unsre Fluren, Hain und Thal.

Aber auf des Windes Flügel fliehet
Uns dies glückliche Gesicht,
Wie im ungetreuen Meere siehet
Man die Spuren seines Pfades nicht.

Du, du reichst uns Freud’ und neues Leben
In dem edlen Rebenblut!
Deine vollen Nektartrauben geben
Noch zu hoher That dem Enkel Muth.


Seliger Autumnus! sieh die Menge
Froher Wesen, die dir singt,
Horch dem Jubel heller Lustgesänge,
Der beseelt von dir zum Aether dringt.

Kehre nicht so schnell den Flug zum Himmel,
Bleib’ und schaue deine Lust
An dem frohen dankenden Gewimmel,
Sieh der Himmel ist in unsrer Brust!

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 46-49)
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Tytirus

Oft beklag ich mich bey dem Geschick:
Hast du denn für mich kein Glück?
O! so nimm mein allzuweiches Herz,
Diesen Quell von allem Schmerz.

Ist der Thor nicht glücklicher, als ich?
Stolz und kalt verlacht er mich;
Und wenn hatt' er jemals einen Gram,
Der ihn an die Seele kam?

Oft, wenn Philomele nur noch klagt,
Wein' ich einsam, bis es tagt,
Und mir Armen, mir gewähret kaum
Morpheus einen süßen Traum.

Dann erwach ich: kühler Morgenduft
Zieht sich durch verdünnte Luft:
Alle Sorgen fliehen mit der Nacht,
Nur mein treuer Schmerz erwacht.

Treuer, als mir Daphnens Liebe war,
Folgt er mir schon manches Jahr:
Wie mein Schatten treu, auf jeden Schritt
Meines Lebens schleicht er sorgsam mit.

O warum? warum schufst du Geschick
Weiche Seelen ohne Glück?
Und beglückte Menschen ohn Gefühl?
Sind wir Sterbliche dein Spiel?

Doch vergib, o gütiges Geschick,
Nur im düstern Augenblick,
Der zu bald mein schwaches Herz gewann,
Klagt' ich meine Leiden an.

Eh ich hart und fühllos wollte seyn,
Lieber wählt' ich alle Pein,
Lieber noch verschmähter Liebe Schmerz,
Lieber ein zerrißnes Herz.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 69-71)
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An Gott
Im May 1775

Wenn ich deine Schöpfung seh,
Voll Bewundrung vor dir steh,
Gott, wie wird mein Geist entzückt!
Gott, wie fühl ich mich beglückt!

Wenn der junge Morgenstrahl,
Nun erwachend überall,
Deiner Güte Herold wird,
Und die Sonn' herausgeführt

Ihrem Zelte nun entsteigt,
Und das Schattenheer entweicht,
Und der Thau die Erde kühlt,
Und dein Leben Alles fühlt;

Wenn die Mittagsglut uns drückt,
Dann der Westhauch uns erquickt,
Und die balsamreiche Luft
Lieblich zu den Schatten ruft;

Wenn in ihrem Schmuck die Nacht
Meine Seele staunen macht;
Wenn sie in der Welten Meer
Sich verliert; wenn um sie her

Alles, alles Wunder wird,
Ihr Bewußtseyn dunkel wird;
Dann dein Lichtstrahl sie umfließt,
Ihr Bewußtseyn Himmel ist;

Wie verkündigt dann die Welt
Ihren Schöpfer! Dann erhellt
Deiner Gottheit Schimmer sie!
Dann war Eden schöner nie.

Großer Vater der Natur!
Ist dies Leben Prüfung nur,
Ach wer nennt die Seeligkeit
Deines Himmels Seeligkeit!

Heilig, Vater, laß mich seyn,
Mache meine Seele rein.
Dir ein Opfer werde sie
Deines Himmels würdig hie.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 83-85)
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An den Frühling
Im December 1774

Holder Frühling, wann erscheinst du wieder?
Wann entzücken deiner Sänger Lieder,
Deine Veilchen, deine Rosen mich?
Wann beleben schmeichelhafte Weste
Junge Knospen hoffnungsvoller Aeste?
Wann verhüllt der Hain in Blüthen sich?

Itzo brausen ungestüme Winde,
Berg und Thäler kleiden sich geschwinde
Schauernd in ein weißes Grabtuch ein.
Nebel wallen statt der Blumendüfte
Zum Olymp, und bange schwere Lüfte
Füllt der Krähe traurig Lied allein.

Oede stehen Florens Lieblingsbeete,
Unbeneidet von der Morgenröthe
Steht der Rosenhain und Freudenleer,
Und im labiryntischen Gebüsche
Tönet nicht das liebliche Gemische
Sorgentödtender Gesänge mehr.

Starr gefesselt stehen Bäch' und Flüsse;
An den Ufern flüstern keine Küsse
Süsser Täubchen; stumm ist Flur und Hain,
Ach! die Hirtin findet izt zum Kranze
Nicht ein Blümchen, und zum frohen Tanze
Ladet nicht der weiche Rasen ein.

Traurig seufzt ihr Jüngling in der Hütte,
Daß die Fluren schon der Nord bestritte,
Eh noch seine Liebe sie gewann;
Daß ein langer Winter ihm noch zürne,
Eh der Lenz mit Blumen ihre Stirne
Schmücken, sanft ihr Herz erweichen kann.

Alle, alle seufzen dich zurücke,
Süsser Frühling! deinem sanften Blicke
Harret schon die schlafende Natur,
Klopfet sehnsuchtsvoll mein Herz entgegen,
Und die Hoffnung deiner schon ist Segen,
Wie ein kühler Thau versengter Flur.

Holder Lenz, der Menschen sanfter Lehrer,
Wie beglückst du deine frommen Hörer,
Welche hohe Freuden schaffest du!
Süsse paradiesische Gefühle
Stritten um mein Herz, und ihrem Spiele
Winkten Musen ihren Beyfall zu.

Wenn ich, wandelnd in den jungen Schatten,
Deine Reize dachte, o wie hatten
Edle Triebe da mein offnes Herz
Tugend, Tugend dir zum Sitz bereitet!
Und wie floß, von Unschuld nur geleitet
Da mein Leben - und der bange Schmerz? -

Linder ward der Schmerz - und meine Klage?
Sie verstummte - jeder meiner Tage
Floh den kleinen Silberbächen nach;
Unter Blumen; und in dunkeln Hainen
Hieß mich oft ein sanft Entzücken weinen,
Hier wo jedes Liedchen Freude sprach.

Ach! und du, wie wird mein Lied dich nennen?
Wessen Pinsel wird dich malen können,
Schönste Tochter des Geschicks.
Süsseste Gespielinn unsres Lebens!
O im Bilde such ich dich vergebens,
Dich, die Seele unsers ganzen Glücks!

Freundschaft, Lohnerinn der guten Seelen,
Die zur Leiterin die Tugend wählen,
Wärmer schlug dir jedes weiche Herz,
Feuriger und treuer wurden Küsse,
Süsser wurde deines Reizes Süsse,
Und besänftigt schlummerte dein Schmerz.

Aller Blumen Weyrauch, aller Wälder
Melodien, aller Schmuck der Felder,
Aller Haine Lispeln, alles sprach:
Fühlt, o fühlet Menschen euer Leben,
Euer Glück, und dem, der es gegeben,
Feyert im Genusse jeden Tag.

Holder Frühling, wenn erscheinst du wieder,
Wann entzücken deiner Sänger Lieder,
Wann verhüllen deine Lauben mich?
Komm, o komm! itzt legten in den Busen
Eine junge Flamme mir die Musen;
Komm, zu meinem Liede wähl ich dich!

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 88-92)
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Daphne an das Herz

Was hab' ich dir gethan, mein Herz?
Du schlägst so ängstlich, schlägst so bange,
Antwortest nicht, schweigst mir so lange:
Was hab' ich dir gethan, mein Herz? -

Sonst warst du anders, gutes Herz,
Du warst nicht stumm bey meinen Fragen,
Und fehlte dirs; du konntest klagen,
Und übernachtet hat kein Schmerz.

Du warst ein treues offnes Herz;
Ich konnte jedem Schlage trauen;
Bis auf den Grund konnt' ich dir schauen:
Izt bist du anders, liebes Herz!

Sonst warst du gar ein friedlich Herz,
Und wußtest fremde Lust zu theilen,
Und wußtest fremden Schmerz zu heilen;
Und ehrtest Ernst, und liebtest Scherz.

Izt bist du anders, liebes Herz,
Du schmähst wohl gar die arme Freude,
Und immer ist dir was zu Leide:
Du bist ein wunderliches Herz.

Wer spielte dir doch den Betrug? -
Kein Sternchen ist dir weiter helle,
Kein Bäumchen steht auf rechter Stelle,
Kein Veilchen riecht dir süß genug.

Sag', liebes Herz, o sag' es mir,
Ich bitt', hast du kein Kind gesehen,
Mit süssem Blick, und holdem Flehen,
Gebückt vor deiner kleinen Thür?

Ein Knäbchen lieblich anzuschaun -
Nichts gleicht dem unschuldsvollen Kinde
Man hielt es wohl für schwere Sünde,
Ihm nur ein Ränkchen zuzutraun.

Hast du den Buben nicht gesehn?
Sich in ein armes Herz zu nisten,
All seine Freuden zu verwüsten,
Dies soll er meisterlich verstehn.

Es soll ein böser Bube seyn. - -
Mit seinen krausen goldnen Locken
Mit seinen honigsüssen Brocken,
Ich bitte dich, laß ihn nicht rein.

Doch ach! erschlich er schon sein Haus,
Wußt' er dich schmeichelnd zu bethören?
So muß ich, muß ich dich beschwören,
Bey allen Freuden, laß ihn raus!

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 100-102)
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Milon

O Chloe! wärst du mir so treu,
Wie dir dein Schäfgen ist!
So bald du rufst, eilt es herbey,
Ist gern von dir geküßt.

Wohin du gehest, folgt es dir,
Zum Hügel, in den Wald,
Und deine stille Laube hier
Ist auch sein Aufenthalt.

Aus deinen Händen nimmts den Klee,
Trinkt mit dir aus dem Bach,
Umsonst ruf ich, ruft Galathee,
Dir nur, dir folgt es nach.

O lerntest du dem Schäfchen ab,
Mir auch so treu zu seyn:
Mit Freuden würd' ich, bis ins Grab,
Dir meine Tage weihn.

Doch Schäfchen haben nicht Verstand,
Und darum sind sie treu,
Sind unschuldsvoll, und unbekannt
Mit falscher Schmeicheley.

Du bist zu schön, du bist zu klug,
Und alle sagens dir.
Ach! wärst du minder schön und klug,
Ich trauerte nicht hier.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 113-114)
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Chloe

Es weidet Milon stets allein
Im Eichthal an dem Bach,
Und eilet in den tiefsten Hain,
Folgt ihm ein Hirte nach.

Da dringt nicht mehr der Sänger Lied
An sein verschloßnes Ohr,
Da seufzt er, daß ihn Chloe flieht,
Den Espenbäumen vor.

Meynt er, weil ihm mein Auge nicht
Was ich empfinde, klagt,
Ich wäre kalt und fühlte nicht,
Hätt' ihm mein Herz versagt?

O, guter Milon, wüßtest du,
Was hier im Busen schlägt!
Wer mir in Nächten ohne Ruh
So süsse Träum erregt! -

Sagt ihm, ihr Bäum' am Wasserfall,
Sagts; daß ihn Chloe liebt.
Vertrau es ihm, o Nachtigall,
Daß ihn sein Mädchen liebt!

Doch, sagt ihm ja nicht, wessen Mund
Euch diese Bothschaft lieh;
Vor Scham verging' ich, würd' es kund,
Vor Scham säh' ich ihn nie.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 115-116)
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Die Kunst, geliebt zu werden

Seht die sanfte Minna, seht,
Wie sie da so reizend steht!
Wie sich alles zu ihr drängt,
Und an ihren Augen hängt!

Ihres Lob's ist jeder voll.
Wissen möcht' ichs wirklich wohl,
Was ihr diese Reize giebt,
Und warum man sie so liebt?

Was man schön heißt, ist sie nicht:
Freundlich zwar ist ihr Gesicht,
Hell ihr Blick, kleiner Mund
Wie die Kirsche roth und rund.

Aber das ists wahrlich nicht;
Hübscher kenn' ich manch Gesicht,
Und doch nimmt es so nicht ein -
O es muß was anders seyn!

Ja, es muß was anders seyn;
Seht ihr nur ins Aug' hinein,
Strahlt nicht ihre Seel' im Blick
Lieb und Freundlichkeit zurück?

Horcht, itzt öffnet sich ihr Mund;
Doch sie spricht nicht künstlich bunt:
Wie ein Bächlein sich ergießt,
So auch ihre Rede fließt.

Süß und lauter, wie ihr Quell,
Wie das Bächlein auch so hell.
Und nun seht auch ihre That,
Schön und lieblich ist ihr Pfad.

Wo sie geht, blühn Freuden auf,
Schnell hemmt sie des Kummers Lauf,
Tröstet, hilft mit Rath und That,
Wo man Hülfe nöthig hat.

Wo man hadert, fliehet sie,
Ruhet euch mit Bitten nie,
Bis sie Frieden um sich her
Breitet; wär's auch noch so schwer.

Wo man trauert, weinet sie,
Leichtert gern des Lebens Müh,
Schaffte gern, wenn's möglich wär,
Einen Himmel um sich her.

Darum, wenn ihrs wissen wollt,
Darum ist man ihr so hold,
Führte gern auf Rosen sie
Durch dies Leben, ohne Müh.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 135-137)
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Thirsis an Lilla

Dich, Lilla, sollt' ich wohl besingen:
Denn wer verdients, wie du so sehr?
Allein, erst müßt' ich dich um etwas bringen:
Ich sollte doch aus meinem Herzen singen,
Und sieh nur Kind, ich hab' es ja nicht mehr.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 170)
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Mirson an die Lerche

Was wirbeln deine raschen Töne durch mein Ohr?
Vergebens singst du mir von deinen Freuden vor,
Seit sich die Liebe wieder mich verschwor,
Seit ich die treue Lalage verlor,
Seitdem, o Vogel! hab' ich kein Gehör
Für deine schönsten Lieder,
Seitdem, o Freudensänger, lieb' ich dich nicht mehr.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 172)
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Gottes Liebe

Nur ein Wink und Frühlingslüfte wehen
Auf den Wintersturm. -
Nur ein Wink und Seraphim entstehen,
Und im Staub der Wurm. -

Und so groß ist Vater deine Liebe?
Groß wie deine Allmacht ist die Liebe?
Seligkeit des Himmels - o ich fühle dich!

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 182)
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Chloe an die Nachtigall

Du bist mein Vogel, ja dich muß ich lieben;
Du bist für mich gemacht.
All deine Triebe gleichen meinen Trieben,
Du liebst, wie ich, die Nacht,
Du liebst wie ich die schattigsten der Bäume,
Und kurz ist deine Ruh und meine Ruh;
Du liebst wie ich einsamen Klaggesang,
Und lieber Vogel, ich und du,
Wir seufzen Tage lang und Nächte lang.
Gewiß sind deine Träum' auch Liebesträume,
Du, guter Vogel, bist für mich gemacht.

Ich will zu dir in deinen Sträuchen
Zum Schutzort stiller Schmerzen schleichen,
Da will ich ungesehn mich kränken,
Mit meinen Thränen Moos und Blumen tränken;
Voll Sympathie will ich mit dir mich härmen,
Mit dir in bangen Tönen schwärmen,
Wie du, den Rest der holden Frühlingstage
In Seufzen theilen, und in stiller Klage.

aus: Gedichte von Karoline Christiane Louise Rudolphi
Herausgegeben und mit einigen Melodien begleitet
von Johann Friedrich Reichardt
Berlin 1781 (S. 186-187)
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Der Beruf geliebt zu werden
und das Arcanum
An Julie Gr. z. M. M.
statt des versprochenen Myrtenkranzes

Noch sah ichs nimmer, und - fürwahr! fürwahr!
Ich hoff' es nie, ich wünsch' es nie zu schaun,
Das Wesen, das ein Menschenantlitz trägt,
Und das nach Freundschaft nimmer dürstete,
Und das mit diesem Menschenantlitz nie
Umher nach dem verwandten Wesen sah,
Und, war's entdeckt, es nicht ans Herz gedrückt.

Fürwahr! fürwahr! noch hab' ichs nicht geschaut,
Das Mädchen, noch die Jungfrau, noch das Weib,
Die sich im stillen Herzen nimmermehr
Geachtet und geliebt zu seyn gesehnt.

Das ist kein Weib (es lieh nur Weibesform)
Dem nicht sein Herz in reiner Freude wallt,
Dem nicht sein Aug' in süsser Wonne schwimmt,
Wenn ihm ein demuthsvoll Bewusstseyn sagt:
Dir ward's verliehn, des Lebens Plagen sanft
Zu mildern, Freudenschöpferin zu seyn,
Und allem, was in Deine Sphäre tritt,
Den Geist des Friedens, der in Dir sich regt,
Still anzuhauchen. -

Ja, es wallt, es wallt,
Es wirkt, es strebt in unser aller Brust
Ein süss Verlangen, Liebe werth zu seyn;
In alles was da lebt und was da fühlt
Des Wohlgefallens Fünkchen auszusä'n.

O dass der Himmelshauch in uns nur nie
Vom Unverstand missleitet, noch entweiht
Vom Feind der Grazien, uns Gifthauch wär'!

O wärst du lautrer Born doch nie getrübt! -
Ja, so gebot das ewige Gesetz
Dem schwächern Weibe - das dem Tiger nicht,
Und nicht dem schnellen Räuber in der Luft,
Dem scharf Bewaffneten zu widerstehn,
Und sie zu zähmen nimmermehr vermag.
Das bang und scheu vor einem leichten Reh,
Vor leisem Blätterrauschen, bang
Vor dem Gebilde eigner Phantasie,
Vor einem Lüftchen, einem Nichts erbebt -
Dem Stärkeren, der Löw und Pardel zähmt,
Und Elephant und Hippopotamus
Am Gängelbande des Gehorsams führt,
Die tiefgefurchte, sorgumwölkte Stirn
Mit sonnenwarmer heller Freundlichkeit
Zu überstrahlen, und am Blumenband
Zu lenken ihn, wohin es ihm gefällt. -

Und will es denn das heilige Gesetz,
Dass Schwachheit Muth und Stärke zähme? wills
Dass Mild' allein des Herrschers Herrscherin,
Dass Lieblichkeit der Kühnheit Sieger sey? -
Wohlan! so forschen unablässig wir
Dem nimmerfehlenden Arcanum nach,
Das uns die süsse Kunst, geliebt zu seyn,
Einfältiglich in aller Wahrheit lehrt. -

Bist du's, o Zauberin! die du vom Himmel dich
In unsre dunkeln Thäler lieblich senkst,
Und deinen Glanz in unsre Wüsten strahlst?
Bist du es, Ebenmass und Harmonie
Der äussern Hülle unsern innern Ichs?
Bist du's, o Lenz! mit deinem Rosenglanz
Um Wang' und Mund? mit deinem Sternenlicht
Der Augen? deinem Zauberlächeln? du
Mit seidenweichem schönem Lockenhaar?
Du bist es nicht; denn ach! des Lebens Lenz
Währt einen kurzen schnellen Augenblick -
Und - Harmonie der Hülle, wenn sie lügt,
Und wenn der innre Gast nicht treulich hält
Was sie so rührend und so süss verheisst,
Mahnt nur an das, was man mit Schmerz vermisst. -

So bist du's denn, mit hoch umsonntem Haupt,
Du heilige lichtwandelnde Vernunft? -

Nicht sie allein, so hell sie immer strahlt.
Ihr beugt, wer sie als Jovis Tochter kennt,
In Ehrfurcht gern und froh die frommen Knie;
Doch von der Ehrfurcht bis zur Innigkeit,
Zum süssen Hang des Herzens - welche Kluft!

Bist du's vielleicht, du funkensprühender,
Der schnell mit Zauberschlag elektrisiert?
Der selbst den finstern Hypochonder zähmt,
Dass er an seine Kette traulich fasst,
Und Schlag auf Schlag mit Lachen bald empfängt,
Und sich am Feuerregen herzlich labt?
Bist du's, o Witz, der oft die Finsterniss
Des schwarzen Unmuths wundersam zerstreut?

Ich bin es nicht; denn sieh! mein Feuer sengt,
Und, fühlst du dich nicht unverletzlich gar,
So rühr, o rühre meinen Pfeil nicht an!
Nur Starke stärkt mein rascher Zauberschlag,
Die Schwachen lähmet und verletzet er;
Und o! er schafft nur Lust des Augenblicks! -

Und bist du's denn, o Schönheit nicht? noch du
Vernunft? nicht du o raschbeschwingter Witz?
So sagt mir, sagt mir an, wo finden wir's? -

Wir tragen's all' in unsrer Brust umher;
Nur wer's in sich verkennet, wer's verschmäht,
Das götterwerthe, himmlische Geschenk,
Wodurch sie unsern irdischen Beruf
Urkunden, das sie lächelnd uns vertraut,
Nur wer's nicht braucht, entäussert seine Kraft -
Es heisst, es heisst - o welcher Nahme nennt's?

Wär' Liebe nicht entweiht, und nennten nicht
Entheiliger den kurzen Sinnenrausch
Auch Liebe - Liebe grüsste dich mein Lied.

Ja ja, du bist's, du Reine, Innige,
Die, mit der holden Unschuld dicht verwebt,
Tief in des Weibes Seele wallt und wohnt;
Du Schonende, die, nur sich selber streng,
Mit Himmelsmilde fremde Schwächen trägt;
Die allem, was da lebt, von innen hold,
Die allem, was der süssen Lebenslust
Empfänglich, ihren Zauberkreis berührt,
Den Lebenstag verherrlicht und verschönt,
Doch einem Einen nur ihr holdes Selbst
Mit allen Schätzen der Empfindung schenkt,
Mit diesem Einen Weh und Wonne theilt,
Und diesem Einen seinen Lebensborn
Mit immer neuem süssem Zauber füllt,
Sich selbst an ihn verlieret und vergisst,
Von seinem Freudenbecher nur geniesst,
Und Lebenslust aus seinem Blick allein,
Aus seinen Mienen, seinem Handdruck schöpft -

Und ist nun dieser echte Weibessinn
Die hohe stille Seelengrazie,
In feine, liebliche Gestalt gehüllt,
Und lächelt sie aus sternenhellem Blick
Von morgenrothen Wangen, schimmert sie
Aus zarten Lilien verschämt hervor,
Und wallet sie mit der Lichtwandelnden
In trautem fröhlichen Verein daher,
Und rührt des Witzes Wehr und Waffe nur
Mit leisem Finger, sendet Scherz auf Scherz,
(Der Unschuld Kinder alle) Bienen gleich,
Zum Honig tragen freundlich lächelnd aus,
Dann widerstehet ihr kein Menschenherz;
Ihr huldigt freudig jegliches Gefühl.

Sieh Julie! des echten Weibes Bild:
Gönn' ihm in deines Herzens Kabinet
Ein freundlich Plätzchen; denn wer nimmt nicht gern
Die nächsten seiner Anverwandten auf?

aus: Neue Sammlung von Gedichten
von Caroline Rudolphi
Leipzig 1796 (S. 34-42)
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In der Rosenzeit

Versammelt, traute Mädchen, euch um mich,
Kommt, horcht dem Saitenspiele, das ich frisch
Mit Ros' und Myrten festlich mir gekränzt,
Euch, holde Jungfrau'n, tön' es heut allein.

Hier, nehmt die Rosen, weiss und zart und roth,
Und röthere, und halb erröthende,
Vom Mädchenfreunde Maidenblush genannt,
Und Knöspchen, tief in dunkles Moos gehüllt,
Da, nehmt die ganze liebe süsse Last
Aus meinem Schoosse; freut bewundernd euch
Der Unerschöpflichen, die rastlos giebt;
Kränzt, Mädchen, euch nach Herzenswunsche; nur
Zerknickt mir achtlos ihre Gabe nicht. -

So, hier im Lindendufte sammelt euch,
Hier in dem kleinen Rosenlabyrinth,
Herbey, ihr Honigsammlerinnen, kommt herbey,
(Denn Bienchen seyd ihr ja am regen Fleiss)
Und nun gebietet meinem Harfenspiel.
Sagt an, ihr Lieben, wovon sing' ich euch?
Ihr wisst es, welch ein Brünnlein, hell und klar
Und unversiegbar seit der Wiege mir
Die Himmlischen in dieses Herz gesenkt?
Wisst, welche Tön' in dieser Harfe ruhn?
Ich wecke sie!

Du, Philaide, winkst:
Von Rosen soll ich singen! Nun, wohlan!
So horcht dem Lied vom Röschen, das beginnt:

Ein Röschen, tief im Moos versteckt,
Von keinem Lauscher noch entdeckt,
Blüht' an dem Bächlein ungesehn:
Es blüht', es blühte wunderschön!

Was würzt denn für ein süsser Duft
Die frische frühe Morgenluft,
Als haucht' ein Himmlischer sie an?
Das kleine Röschen hat's gethan.

Das Röschen that's, und wusst' es nicht,
Und barg im Moos sein hold Gesicht,
Und alle Blümlein sahn mit Neid
Aufs Röschen, das so süss erfreut.

Was schaut, ihr Blümlein, so mich an?
Was hab ich, Röschen, denn gethan?
Ich armes Röschen, wüsst' ich nur,
Was ich beginn' auf dieser Flur!

Bald schwebt' ein Zephyr leicht heran,
Und wehte Röschen kosend an,
Und streichelt' süss ihr frisch Gesicht.
O Röschen! Röschen! trau ihm nicht!

Verschliess, verschliess den zarten Reitz,
Dir Röschen ziemt ein feiner Geitz,
O trau dem glatten Schmeichler nie;
Er haucht dir Tod spät oder früh.

Er kost, er weht, bald lau, bald heiss;
Und Röschen - ach! des Gartens Preis,
Beut ihm den Kelch voll Süssigkeit,
Des Freudegebens hoch erfreut.

Er trinkt, entfaltet, und zerstreut -
Und Röschen, sonst der Blümlein Neid,
Sieht ihre Reitze bald verweht,
Und von dem Schmeichler sich verschmäht -

Bald flattert er mit Zephyrsinn
Zu andern Nachbarblümlein hin;
Und Röschen duldet still und schweigt
Und hängt ihr Köpfchen, und - erbleicht.

Die Jungfrau'n sahn's beym Mondenlicht.
Und pflanzten schön Vergissmeinnicht
An Röschens allzu frühem Grab,
Und wischten sich ein Thränchen ab.

Da habt ihr nun das Lied vom Röschen; du
Rosalia und Philaide du,
Was lauscht ihr emsig horchend noch
Der Harfe schon verstummtem Laut?
Hat euer Ohr des Sangs noch nicht genug?
Psycharion, was will dein Lächeln mir?
Und, sanfte Chariklea, sprich, wollt ihr
Das Lied von Psyche, die vom Himmel stammt,
In irdischem Gewand verkleidet wallt,
Die hart geprüft durchs Land der Sinne reist,
Und endlich sich zur Heimath wieder schwingt?
Merkt auf, ihr Jungfrau'n! horcht! ein neues Lied,
Das säuselnd von der Pappel niederrauscht,
Das Himmlische aus hohen Wipfeln mir
Für meiner holden Jungfrau'n Chor vertraut,
Entströmet hell dem goldnen Saitenspiel,
Das Lied von Psychens Erdenpilgerschaft:

Psyche mit den leichten Schwingen
Ward im irdischen Gewand,
Tellus Fluren zu besuchen,
Von dem Himmlischen gesandt.

Wie versenkt in tiefe Träume
Wallt sie nieder in diess Thal,
Ihre Abkunft dunkel ahndend,
Schimmernd noch mit mattem Strahl; -

Schimmernd selbst in der Verkleidung,
Wer verkennt den Ätherglanz?
Wer verkennt die lichte Bildung?
Wer den edlen Pilger ganz?

Aber Irrthumsnebel dunkeln
Ihren himmelhellen Blick,
Und der Leidenschaften Strudel
Hält die Eilende zurück.

Naht sie ach! dem wilden Strudel,
So entfällt die Fackel ihr:
Doch die Unsichtbaren schweben
Schützend um sie für und für.

Ew'ge Liebe schirmt und leitet
Durch das wirre Labyrinth.
Selbst wo sich's verlassen wähnet,
Mild ihr trautes Lieblingskind.

Deckt und trägt die tausend Mängel,
Macht durch Straucheln es gewiss,
Führt durch Irren es zur Wahrheit,
Führt's zum Licht durch Finsterniss.

Aber wach', o Psyche, wache
Dass nicht stürmende Begier
Deiner Unschuld Glück zerstöre,
Schwere Proben drohen dir.

Jetzt kommt, ihr Mädchen, ordnet nun das Mahl
Von Milch und Brot und reifer Honigfrucht;
Bestreut mit Rosenblättern uns den Tisch
Und lernt sie ganz, des Mädchens erste Kunst,
Zufriednen, frohen, stillen Sinn
Und Reinigkeit und Mässigung, gekränzt
Mit Rosen frischer Anmuth, euch
Zu heiligen Penaten weislich weihn.

aus: Neue Sammlung von Gedichten
von Caroline Rudolphi
Leipzig 1796 (S. 45-52)
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Das menschliche Herz
Rhapsodie

Unerforschtes wundersames Wesen,
Wie, wie werd' ich denn mit dir vertraut?
Wer hat im Verborgnen dich gelesen?
O wer hat dein Innerstes durchschaut?

Sinnend forsch' ich in den dunkeln Tiefen,
Möchte endlich, endlich dich erspähn,
Und studiere deine Hieroglyphen,
Kann und kann sie nimmermehr verstehn. -

Forsche den Gesetzen deines Strebens,
Deines Abscheu's und Begehrens nach,
Sinn' und forsch' und späh' ihm nur vergebens,
Wie den Fluten jenes Stromes nach.

In dem Strome drängen Wellen Wellen;
Wünsch' auf Wünsche drängen sich in dir;
Deine Fluten sinken, steigen, schwellen,
Der Begierde folget die Begier.

Aber wie entspringt der Drang der Wogen?
Welle, sprich, woher dir die Gewalt?
Siehe, Damm und Deich und Brück' und Bogen
Stürzt dahin, dass Hain und Fels erschallt. -

Doch schon legen sich die stolzen Wellen,
Schäumend siehst du ihre Wirbel fliehn.
Siehest ihren Spiegel sich erhellen,
Schaust des hehren Himmels Abglanz drin.

Unerforschlichstes von allen Dingen,
Herz, o Herz! wann werd' ich dich verstehn?
Soll ich nie in deine Tiefen dringen?
Deines Wesens Quellen nie erspähn?

Unterm Mond ist wohl nichts zarter, reiner,
Milder, edler, grösser nichts als du -
Unterm Mond ist nichts unedler, kleiner,
Ränkevoller, schwächer nichts als du.

Schön bist du in deiner reinsten Milde,
Alles, alles huldigt dir entzückt.
Wer erkennet nicht in deinem Bilde
Deines Urbilds Züge abgedrückt?

Gross bist du in hoher Einfalts-Würde,
Schweigend von der Abart selbst verehrt,
Gross, belastet von der Fürstenbürde,
Schön und gross am armen eignen Herd,

Gross und schön in sonnenheller Freude;
(Alles lacht in deiner Wonne Glanz)
Aber grösser, grösser doch im Leide,
Rührender in deinem Dornenkranz.

O! dein Lächeln - wie's mit Rosenröthe
Jedes offne Angesicht verschönt!
Deine Rührung ist wie Laut der Flöte,
Wenn sie leise von der Lippe tönt.

O dein Thau kann tröpfend Steine höhlen;
Ja, wer sahe nicht das Wunder schon,
Sah nicht kalte, starre Felsenseelen
Weicher werden als des Töpfers Thon?

Wer, wer lehrt dich den Gebrauch der Schätze,
Die des Himmels Mächte dir vertraun?
O wer giebt dem wilden Strom Gesetze?
Wer will Damm und Deich entgegen baun?

aus: Neue Sammlung von Gedichten
von Caroline Rudolphi
Leipzig 1796 (S. 219-222)
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Treue

Treue, du bist ein Weib; denn sind nicht von je und von immer
Weiber zum Dulden, zum Leiden von Himmlischen selber erkoren?
Ach! wer Treue bewahret im Herzen dem treulosen Freunde,
Welche Schmerzen bewahret er sich im Busen, der Edle!
Treue, du bist ein Weib; denn Weiber nur können verschmerzen.
Ach! wie vieles muss nicht die Treue verschmerzend erdulden!
Treue, du bist ein Weib; denn Weiberverdienste und Treue
Blühen im Schatten, und sind nur gepriesen im Grabe. -

aus: Neue Sammlung von Gedichten
von Caroline Rudolphi
Leipzig 1796 (S. 246)
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Die Dichterin und die Nachtigall

Dichterin
Sprich, wer lehrte dich den Weg zu aller Herzen?
Liebe Sängerin der Schmerzen,
Traute Sängerin der Lust!
Ohne Wort und ohne Sprache dringen
Deine Tön' in jede zarte Brust. -


Nachtigall
Nimmer sang ich ungefühlte Schmerzen,
Nimmer sang ich unempfundne Lust.
Was von Herzen strömt, das geht zu Herzen.

aus: Neue Sammlung von Gedichten
von Caroline Rudolphi
Leipzig 1796 (S. 247)
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Emma's Lied von der Liebe

1.
Voll Unschuld kostet' ich die Schale
Des Quelles in dem Myrthenthale,
Und ach! ich kostete den Tod.
Den Tod? O wär' es Tod gewesen,
So wärst du armes Herz genesen
Von aller aller deiner Noth.

Es war ein innig banges Sehnen,
Es war ein ew'ger Quell von Thränen,
Was ich aus dieser Schale trank.
Es war ein Wurm im Myrthenthale,
Der eilig aus des Quelles Schale
Sich fest um meine Seele schlang.

Seit ich des Quelles nun getrunken,
Sind Lebenskraft und Lust gesunken,
Sind meine Rosen ganz verbleicht;
Und doch - o wunderbare Quelle!
Lieb' ich noch inniger die Stelle,
Seitdem mir dort dein süßes Gift gereicht.


2.
Unaussprechlich lieben heißt:
Unaussprechlich leiden
Unaussprechlich selig sein.

Als ich noch nicht liebte
War ich ohne Leiden,
War ich ohne Leben,
War ich ohne Freuden,
War ich ohn' Gefühl.

Ach! ich lernte lieben,
Lernte fühlen, leben, leiden,
Lernte himmelselig sein!

Unaussprechlich lieben heißt:
Unaussprechlich leiden,
Unaussprechlich selig sein.

aus: Schriftlicher Nachlaß von Caroline Rudolphi
Mit dem Portrait der Verfasserin
Heidelberg 1835 (S. 108-109)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Caroline_Rudolphi


 

 


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