Wilhelm Runge (1894-1918) - Liebesgedichte

Wilhelm Runge



Wilhelm Runge
(1894-1918)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



Dein Auge
ist eine samtene Wiese
über alle Hügel des Abends
und deine Lippen sind zu schwer
für ein leichtes Wort
Deine Gedanken
sind vor den Fingern des Todes
der sich zersehnt
ein Tanz des Glücks
Schließ mich ein
in die wilden Rosen
deines Bluts
Dein Atem
ist die Wiege des Sommers
(S. 3)
_____




Übers blaue Meer der Stunden
winkt der Sehnsucht Schwalbenschwinge
den Gestaden fernen Glücks
und des Herzens roter Morgen
steigt empor aus tiefen Nächten
deines Bluts
fällt ein Sturm von Vogelliedern
auf der Winde seidge Schaukeln
kitzelt mit den Sonnenfingern
kräuselnd Lachen auf dem Wellenmund
und zerreißt den Schleier von den Augen
Bienen
die honigtrunken sind
(S. 3)
_____



Meine Augen wollen wandern
alle Wege
deines Leibes
doch schon auf dem Rücken deiner Hand
brechen sie zusammen
überall bist du ganz steil
unzugänglich
schüttelst Spott
übers Zagen meines Fußes
durch die wäldersamtne Haut
deines Blutes grollendes Gewitter
schleppt der Schwüle Zunge
lechzend
alle Vögel zwitschern schluchzend
ins Gefieder
Biene bin ich
all dein Blühen schweigt
und der Stirne offne Hand
ist verschlossen
(S. 4)
_____



Wild peitscht Sturm der Seele Meeresstille
und des Herzens Purpurwelle bäumt
strandhin flücht ich aus vor ihrem Schlage
durch der Adern Wüstensand
meiner Augen müde Möven
schweifen
und die Muschel meiner Stimme
heult
mir ins Ohr
himmelfern der Stern des Glückes glimmt
blutbeschattet
und der Atem durch den Dünensamt
lauscht
wie der Sonne Meeresperle
aufschreit
wild die dunkelgoldnen Strahlen springen
in den wellenleichten
Zwitschertanz
(S. 4)
_____



Seufzer bangt
des Auges voller Garten
steht in Regen
durch der Stirne Wüstensand
schleppt sich die Gedankenkarawane
sonnetaumelnd
durstentlang
alles Blut verdunkelt wolkenschwül
und der Hände scheue Tauben
ängsten
da springt der Seele wildes Tier
donnerheult
die Hölle seiner Schrecken
und zerstampft den Frieden in die Wildnis
die das Eiland seiner Stärke ist
(S. 5)
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Meiner Stimme Quelle stürzt
felsherab
verrieselt
stirbt
im Gestein verloren
Schmerzen wuchten stämmig hoch
wälderdumpf
drängen schwüle Wolkenschwere
in der Seele Sonnentanz
und es hängt des Auges bunte Wimpel
zage wehend
vor dem Sturm
(S. 5)
_____



Nicht mehr wandern darf ich durch dein Antlitz
plötzlich falle ich in deiner Augen tiefe Schlucht
alle Berge schlagen über mir zusammen
mit den Wellen deines Haars
wirf des Lachens Rettungsring
ganz dünn
ist meine Stimme
und wird zerreißen
meinen Wurzeln schließt die Hand dein Felsen
und des Auges Rose liegt gebrochen
du bist blauer Himmel
ich die Wolke
die sich fest an deinen Nacken klammert
sich nicht halten kann
und tausendfingrig
regenschreckt erdhin
den Wiesengrund
und dort hinsinkt himmellosgelöst auf ihr Knie
(S. 6)
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Rosen nicken aus den Junistunden
trällern Sommerblau den Matten hin
mild aus tiefstem Herzen grünt die Heimat
ihre Lippen murmeln wälderschwer
überwelthin schwingt die sterne Zeit
Kinderwangliebkinderwanggereiht
Krieg brüllt auf
die wilden Blumen schrein
Sonne leckt Gestöhn aus allen Poren
Frieden holt den tiefen Atem ein
und der Nächte durchgewühlte Locken
schmeicheln um der Seele zitternd Knie
Angst zerreißt der Sterne Himmelsglanz
und der Abend drückt die Augen blind
einsam geigt
tief hinter Blut geduckt
ewger Kindheit wildumsehntes Glück
und der Sehnsucht über die Welt
hängende Herzen
schlagen
(S. 6-7)
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Das Denken träumt
Gelächter reimt die Straßen
zum Tanz des Blutes
schläfenaufundab
die Adern blinzeln Frühling durch die Knospen
und schlürfen tief den schweren Himmel ein
Wind spielt der Augen froh geschwellte Segel
der Stirne Knoten löst vom Tode sich
weiß über Wiesen schnattern Dörfer hin
die Städte fauchen
und zankend zerrn die Pulse ihre Zügel
nur deine Seele spielt im Sternjasmin
Lieb-Brüderchen Maßloslieb-Schwesterlein
(S. 7)
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In dich unendlich Meer strömt all mein Denken
Deiner Hände leichter Wellenschaum
netzt des Sommers heißgespielte Wange
Sonne sucht ihr Gold
in deinem Herzen
von den Muscheln deiner Ebbe
zehrt mein Tag
matt von deiner Seele Flut
bricht das Ufer meines Glücks ins Knie
Rettung lockt der Stimme grüne Insel
doch es strandet jeder Wunsch
an der Stirne wildgewirrten Klippen
und immer
schließt du deine Augen
erblicke ich das Dunkel dieser Welt
(S. 7)
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Du bist ein reißender Strom
erwürgst alle Brücken
bist du nicht da
irrt meines Blutes Herde
hirtenlos
und nahst du
flieht es
ein geschlagen Heer
scheu senken meine Augen ihre Lanzen
Bin ein träumend Dorf
im Geheg der Sterne
deine Augen werfen Brand
in die Giebel
deiner Hände Siegespsalmen bei ich
in den wilden Tempeln
meines Munds
Sonne blühen deiner Stirne Alpen
nie lieg ich so selig
wie zu deiner Stimme Füßen
diesem uferlosen Mai
(S. 8)
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Überzittern deiner Hände
machtlos vor dem Biß der Angst
jähes Fallen deines Blutes
von dem leidgesteinten Leib
Säule
ängstend in das Luftspiel
windehergewehtwohin
kauern deine Augen Frage
Antwort
windgeweht - wohin
Qual
Die Pulse schlagen Feuer
blutdurchglutet rast der Brand
und das Herz läutet wild
Sturmesglocken
Klippenstrandet
wirrer Sinn
Atem wirft das kurze Ruder hin
und des Herzens Meerestosen stöhnt
Krieg
(S. 8-9)
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Urwald brausen wuchtig deine Lippen
moosgeschmiegt
zirpt zag
mein Herz
schnellt vom krummen Bogen meiner Stirn
nach der goldnen Locke
übertänzelnd
Deines Lachens blauen Mai
wild der Augen schärfsten Sehnsuchtspfeil
sinkt aufs Knie
die Hände schluchzen
von der Seele Rücken springt das Leid entzwei
und zersplittert einen Tanz des Glücks
Sorge wankt geknickt
die Sterne flüstern
leise weht das Blut
und des Atems Teppich
fällt
pulsauf pulsab
stockend
dir
zu Füßen
(S. 10)
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Wild wirft mich die Gondel deiner Augen
in der Stirne Wellenungestüm
Sturm zerzaust der Hände scheu Geäst
und des Blutes Wolken schweben fern
Sterne stehen deinem Hauch gebückt
deine Lippen weiten ihren Strand
wiegen nieder junges Himmelblau
in der Wangenflügel Faltertanz
Sträucher lispeln durch das Dorf geduckt
Sonne beißt die prallen Lippen wund
blutet ihren Sommer in die Seele
(S. 11)
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Auge hängt sein Lächeln nach dem Winde
Sehnsucht schlägt die Hände vor die Stirn
blind tappt Lieben
hellblau tanzt der Tag
Scherze winken
Lockend läuft dein Mund
mir durchs Haar
mit sommerheißen Sohlen
deiner Lippen rote Rosen fallen meinen lahmen Blicken in den Arm
hasten herzt
die dürren Hände dürsten
Küsse protzen Schenken
wiegen Hüften
fangen Lachen
fassen Weinen
gehn
kehren stürzen
kichernd biegt ihr blendes Kleid
mir in die Hände
(S. 17)
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Auge reißt die Bäume von den Hängen
Schluchzen wirft sich in die Wiesen wund
bricht der Sonne Streicheln in den Händen
stößt die Andacht aus der Blumen Arm
Hohn gellt Bluten
Zucken
Sterben
Modern
Fragen windet Schluchten durch die Stirn
Lächeln tanzt
Streicht leis vom Kleid die Falten
und die Zeiten küssen seinen Saum.
(S. 19)
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Streicheln sinnt Mädchenhaar
Die Stunden schlendern
blaublühend überkopf stürzt goldenrot
und Lachen schwingt die übermütge Schaukel
Die Lippen springen Necken
rasch
zur Seite
dein Auge tanzt
vorbei
in blauem Kleid
tief in die Brust stürzt deiner Stimme nach ein Lauschen
bricht Weg
und Trennen stöhnt um deinen Hals
nun lassen
was wissen Sterne
Kuß um Kuß
(S. 22)
_____



Lied

Wilden Meerschaum schwatzt Du in die Muschel
die ich bin
am Strand
Eine Welle nickt der andern zu
bis die Seele schwer wird
in den Sand
Deine Augen sind hellblauer Mai
doch schon zucken Bienen
und bald schwärmt es
wie in Fliederblüten
Deine Lippen zwitschern auf die Höh
wie die Sonne ihre goldnen Locken
auf der Wälder Schulter wirft
dann kommt Frieden
Deinen Worten
fällt das müde Auge zu
nur die Hände schluchzen leis
in den Sammt des Kleides
nichts ist so verstiegen
wie mein Wunsch
nach Dir
Und der findet nun
nie mehr zurück
(S. 23)
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Lied

Wenn du langsam hingehst
fühl ich Abend
Nebel schleiert hoch
mein Fuß geht irr durch die Macht deines Auges
Meiner Hände Trauerweiden hängen
und der Lippen Lerchen schlummern still
bis der Morgen sonnenlachengoldig wieder alle Wiesen überspringt
und die Stirne wie der Himmel aufsteigt
klar und unbewölkt
frühwindumspült.
(S. 24)
_____


Aus: Wilhelm Runge (1894-1918)
Die Sonne wintert Ausgewählte Gedichte
Mit einem Nachwort herausgegeben von Wilfried Ihrig
Vergessene Autoren der Moderne XLIII
herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen
Siegen 1990
 


Biographie:
Runge, Wilhelm, * 13.6.1894 Rützen/Schlesien, † 22.3.1918 bei Arras gefallen. - Lyriker.
In Schlesien aufgewachsen, ging R. 1914 als Kriegsfreiwilliger an die Front. Vor Ypern wurde er im Nov. 1914 verwundet, 1915 kam er nach Berlin u. studierte Medizin. Dort schloß er sich dem »Sturm«- Kreis um Herwarth Walden an. Besonders eng befreundete er sich mit Georg Muche, damals Lehrer an der Kunstschule des »Sturm«, u. dessen Braut Sophie van Leer. Im »Sturm« erschien fast seine gesamte Lyrik. Anläßlich seines frühen Todes schrieben Franz Richard Behrens, Kurt Heynicke u. Walter Mehring poetische Nachrufe; Muche widmete ihm ein Ölgemälde zum Gedächtnis. Das einzige Buch, der Gedichtband Das Denken träumt (Bln. 1918), wurde von R. noch im Feld korrigiert, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht. Seine Lyrik vereint neuromant. Anklänge mit der reduzierten Syntax der expressionistischen Wortkunst Waldens u. August Stramms. In die Anthologie Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts (Wiesb. 1955) wurden drei Gedichte von R. aufgenommen.
Aus: Autoren- und Werklexikon: Runge, Wilhelm, S. 1. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon.



Hinweis auf ein neues Buch:
"Auf springt der Tod ..."
Wilhelm Runge - Sophie van Leer
Briefe aus einer holländischen Kollektion
Herausgegeben von Jattie Enklaar, Marcel Poorthuis und Theo Salemink
Königshausen & Neumann 2011 (198 S.)


 


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