Hugo Salus (1866-1929) - Liebesgedichte

Hugo Salus



Hugo Salus
(1866-1929)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 



Sehnsucht

Meine Sehnsucht hat so weiche Schwingen,
Daß sie nur für Zephyrwellen taugen,
Hat so märchen-märchentiefe Augen,
Daß sie bis zum letzten Himmel dringen.

Meine Sehnsucht kommt an Frühlingstagen,
Wie ein Hauch die Stirne mir zu küssen,
Kommt ein Wörtlein mir ins Ohr zu sagen,
Daß sich meine Lider senken müssen.

Und das Wörtlein hat nicht Sinn noch Kunde,
Aber ist so seltsam süß im Klange,
Und mein Herz vergeht im Überschwange,
Und zum Seufzer wird der Hauch im Munde ...

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 10)
_____


Frühling

Mit einem Blütenzweig in der Hand,
Ein frühlingstrunkener, sanfter Bacchant,
Schritt ich auf sonnenglänzenden Wegen
Der festlich bewegten Stadt entgegen.

Da haben die Blüten ihr Wunder gethan:
Alle Mädchen sahen mich liebreich an,
Als ob mich die Blüten lieblicher machten,
Und winkten mir freundlich und grüßten und lachten.

Und die Kinder, als ob ich was Seltsames wär',
Gingen in Scharen hinter mir her
Und bettelten: "Laß uns die Blüten sehen!"
Und wollten alle mit mir gehen.

Ich aber ging still und geradeaus
Und brachte den Zweig der Liebsten ins Haus;
Die stellt' ihn ins Fenster und giebt ihm zu trinken:
Und die Kinder stehn alle noch unten und winken ..

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 15)
_____



Psalm

Einst wird ein Tag so voller Liebe tagen,
Und solch ein Frieden wird die Welt erfüllen,
Der letzte Stern wird seinen Glanz enthüllen
Und stille stehn der goldne Sonnenwagen.

Aus allen Himmeln werden Chöre schallen
Und auf zu allen Himmeln frohe Lieder,
Auf hundertfarbigem Regenbogen nieder
Wird licht ein Zug von Friedensengeln wallen.

Und Liebe wird und Milde und Erbarmen
Aus selig klaren Menschenaugen glänzen,
Und jedes Haupt wird sich mit Rosen kränzen,
Und Hirten werden Könige umarmen.

Da wird das Reich des ewigen Glaubens enden,
Die Liebe wird von allen Türmen winken;
Und all den Toten in der Erde sinken
Die stillen Kreuze aus den müden Händen ..

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 21)
_____



Der Spruch

Sie sprach – wenn dieser tiefe Orgelton
Noch Sprache heißt-: "Sag', warum dankst du mir?
Ist nicht die Liebe selbst Geschenk und Lohn?
Und, daß ich lieben darf, wem dank' ich's? Dir!"

Da war mir so: weit über Meer und Land
Trug uns ein Engel bis zu Zions Thor.
Sie aber hielt die Bibel in der Hand
Und las mir mild die heiligen Sprüche vor.

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 26)
_____



Aus der "Novelle des Lyrikers"

Als ich nun eintrat in den Saal,
– Wie schon so manches, manches Mal –
Als ich nun eintrat in den Saal
Und in das dunkelnde Gemach
Funkelnd das Licht des Tages brach,
Daß ich ihr just ins Auge sah,
Ich weiß nicht, wie mir da geschah!
Sie saß, der Thüre zugewandt,
Als wär' ihr Blick durch mich gebannt,
Als hätt' sie mich noch nie gesehn,
Als wär' ihr nun das Heil geschehn,
So saß sie da und schaute.
Mir schlug das Herz, mir graute,
Und war Entzücken doch im Graun,
Die schöne Fraue anzuschaun.
Da war mir, daß der dunkle Saal
Sich dehnte weit mit einem Mal,
Und weit, wer weiß, wie ewig weit,
Saß nun mein Glück und Lust und Leid
Und winkte mir, zu kommen,
Und winkte mir, zu kommen.
Und, da ich ihm entgegenging
Und mich ihr stummer Blick empfing,
War mir, als wär' der Weg zu ihr,
Als wär' der Weg von mir zu ihr
Viel tausend Meilen, ohne End',
Daß ich ihn nie vollenden könnt'
Und müßt' in Ewigkeiten
Ihr nun entgegenschreiten.
Und durch den ungeheuern Raum
Ging ich und ging, und wie im Traum,
Und fühlte, wie vor Sehnen
Sich lösten meine Thränen,
Und wie ich, weinend wie ein Kind,
Vor Sehnen und vor Thränen blind,
Mich spornte, nicht zu weilen,
Als könnt' sie mir enteilen.
Da stand sie, wie im Traume, auf
Und fing mich noch im Schwanken auf
Und hielt mich fest umfangen.
Nun weiß ich: über Raum und Zeit
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Ist heut' mein Herz von mir zu ihr,
Und ist ihr Herz von ihr zu mir
In sehnendem Verlangen
In Hangen und in Bangen
Den weiten Weg gegangen ...

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 30-31)
_____



Madonna

Den Säugling ihrer Schwester hielt mein Mädchen,
Als wären ihre Mutterfreuden echt,
In ihren zärtlichen, besorgten Armen.
Ihr großes Auge war so voll der Liebe,
Und ihres Herzens Schlag so mütterlich,
Die Neigung ihres Hauptes so vertraut,
Daß des betrog'nen Säuglings Mund sich spitzte,
Und daß sein Blick, wie auf der Mutter Brust,
Auf meines Mädchens reinem Busen ruhte,
Als wär's der Hügel seines süßen Brünnleins.
Sein Händchen griff danach aus seinem Kissen,
Sein Zünglein schlürfte.
Und ich stand dabei,
Gerührt auf mein verwirrtes Mädchen blickend;
Und fromm und andachtsvoll und wundergläubig
Und wie die Könige in Bethlehem ....

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 45)
_____



Die Ähren

Der Abend war selbst wie ein Wunder der Liebe,
Sie gingen umschlungen und stumm vor Liebe
Aus den Feldern dem träumenden Dorfe zu.

Sie lehnte sich wärmer an ihn. Sie sagte,
So still, als wenn der Abendwind klagte:
"Im Korn, das war doch eine Sünde, du!"

Er löst seine Hand und Wange von Wange:
"Und nennst du's Sünde, daß ich dich umfange,
So liebst du mich nicht und liebst mich nicht!"

Da schaut sie empor zu dem Zornigen, Wilden
Und sieht mit erschrockenen, hilflosen, milden
Augen dem Liebsten ins Angesicht;

Und lächelt in Thränen und löst die bleichen,
Bebenden Lippen und sagt mit weichen
Worten zum Liebsten: "Das sagst du mir?!"

Und schlingt den Arm um den trotzigen Knaben:
"Daß wir das Korn so zerbrochen haben,
Das war eine Sünde. Das sag' ich dir."

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 64)
_____



Mädchenlied

Sternschnuppenfall, Sternschnuppenfall!
Heut will ich nicht schlafen und immer nur wünschen,
Und alles wird in Erfüllung gehn:

Ein Kleid aus Seide, aus schneeweißer Seide,
Mit uralten Spitzen aus Brabant,
Und jeder Knopf ein Diamant;

Ein Diadem aus lauter Türkisen,
Dazwischen Brillanten, wie Wasser klar,
Das paßt am besten ins schwarze Haar;

Sternschnuppe, ein Halsband aus großen Perlen;
Und du, Sternschnuppe, ich bitte dich,
Such Perlen ohne Thränen für mich;

Dann wünsch' ich ein Paar ganz kleiner Pantoffel,
Kleiner, viel kleiner als mein Fuß,
Aber das mir doch passen muß!

Zu alledem wünsch' ich mir einen Liebsten ...
O weh, die Mutter! Sie jagt mich ins Bett!
Ach, wenn ich nur erst einen Liebsten hätt'!

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 65)
_____


Liebesgeschichten

Ich weiß ein paar winzige Liebesgeschichten,
Und solche erleb' ich an jedem Tag:
Zwei braune Augen, zwei blaue Augen,
So heißt meine erste Liebesgeschichte;
Zwei braune Augen, zwei graue Augen,
Und das ist die zweite Liebesgeschichte;
Zwei braune Augen, zwei schwarze Augen,
Das ist meine dritte Liebesgeschichte.
Und solche kleine Liebesgeschichten
Erleb' ich an jedem, jedem Tag
Und möcht' sie so gerne weiter dichten;
Doch immer erleb' ich nur hübsche Titel.
Aber mein Herz mit jedem Schlag
Sehnt sich nach einem ganzen Kapitel,
Wie es auch immer enden mag,
Wie es auch immer enden mag ..

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 66)
_____



Elegien

I.
Nie, seit mich Schönheit beglückt und Frauenliebreiz mich fesselt,
Seit ich die Kunst verstand, Grieche genießend zu sein,
Hab' ich so schmerzlich, wie heute, die Schönheit des eigenen Körpers,
So des eigenen Leibs mangelnde Anmut vermißt.
Dir, entzückende Frau, wird Schönheit jede Bewegung,
Wird das schlichteste Kleid wallend ein Königsgewand!
Eine Göttin, so schreitest du hin zum Takte der Hüften,
Doch das Berückendste bleibt immer dein Hausgewand.
Die ich längst schon vergaß, der griechischen Göttinnen Namen,
Wahrlich, der ganze Olymp, ward mir vom neuen vertraut,
Da ich im schlotternden Rocke und deutsch bis zur knarrenden Sohle
Dir in dein duftig Gemach, Aphrodite, gefolgt.
Doch dein Auge blieb groß und strahlend die Glut deiner Blicke,
Und dein zierlich Gemach ward mir Parnaß und Olymp.
O, ich verrate uns nicht! Auch Dichter vermögen zu schweigen;
Der sich Thersites gefühlt, ging als Apollo von dir!
Schön macht Liebe und Gunst der Schönen. Hab' Dank, Aphrodite!
Nein, kein klingender Reim bringt dir würdigen Dank
Nichts von Herzen und Schmerzen und nichts von Liebe und Triebe!
Und in griechischem Maß dankt dir pathetisch mein Lied.


II.
Wahrlich, nicht blind macht Liebe! Nie sah ich mit hellerem Staunen,
Wie du, herrliche Frau, Größe und Grazie einst.
Denn kein zierliches Füßchen trägt spottend des Körperchens Bürde,
Groß, ein blühendes Weib, schreitest du mächtig und schön.
Helena sahen die Greise und staunten: ein größeres Wunder,
Kommst du, Stolze, daher, staunen die Frauen dir nach.
Ach, wie selten verschwistern sich Größe und Anmut der Glieder!
Welch ein zierliches Ding schlüpft das Lacertchen durchs Gras.
Du hast Größe und Anmut. O, wie du die Arme emporhebst,
Wie die geschäftige Hand bändigt die Fülle des Haars!
Leise knistert die Seide des Leibchens; sie bebt vor Begierde,
Und die Fülle der Brust sprengt fast die Enge der Haft.
Und kein Backfischchen rollt so zierlich das Mieder zusammen,
Eh' es die Kerze verlöscht und sich im Bette vergräbt.
Dann, dann bist du ein kleines Mädchen und kicherst und jubelst,
Und dein begehrlicher Mund küßt sich die Kindheit zurück ...


III.
"Seine Verse sind gut gebaut, doch frostig wie Marmor;
Gab ihm die Glätte Apoll, gab er ihm doch nicht die Glut!
Nicht ein Tropfen der lodernden Leidenschaft kocht ihm im Blute,
Klug, ein Meister der Form, nützt er bedächtig sein Pfund!"
Liebste, liebst du mich noch? Unmöglich! Zerknirscht und vernichtet
Bringt dir dein "kalter Poet" fröstelnd das strenge Verdikt.
Auch in der südlichen Wärme Canossas starrte ein Winter,
Ach, im Canossa der Kunst steh' ich zu Eise erstarrt!
Liebste, du lachst? Und glühend umschlingen mich eng deine Arme?
Deine bacchantische Glut macht doch den Marmor nicht heiß!
Und du jubelst und küssest: "Ich liebe dich, eisiger Dichter!
Leidenschaftsloser Poet, heischst du noch bessre Kritik!?"


IV.
Welche Fülle der Form und doch, welche Anmut der Glieder!
Schlafe, liebes Geschöpf, gönn' mir die Wonnen des Blicks:
Wie das zärtliche Hemd dem blühenden Busen sich anschmiegt,
Wie der kräftige Arm lieblich den Lockenkopf stützt.
Sorglich löschte sie erst das Licht, nun liegt sie und schlummert;
Doch mein begehrliches Aug' litt es im Dunkel nicht mehr.
Brennt ihr mein Blick auf der Haut? Sie glüht, wie der Gletscher am Abend.
Pulst ihr, noch eben geebbt, wieder bacchantisch das Blut?
Über die trotzigen Lippen, welch Schauspiel, fühlert das Zünglein,
Und die irrende Hand lüftet die Bürde des Betts.
Rubens und Tizian, dich, euch ruf' ich, euch gönn' ich den Anblick!
Still, ihr drängt euch zu sehr! Dunkel. Sie seufzt. Sie erwacht.


V.
Wäre die Landschaft groß, bewacht von ragenden Bergen,
Und ein gewaltiger Strom trüge die Bildung ins Land;
Wäre ein Marmorpalast das Haus meiner schönen Geliebten,
Und aus dem Pinienhain leuchtete hell ihr Gewand;
Wären die Männer ringsum helläugig, freier und schöner,
Und die Töchter des Lands wert ihre Frauen zu sein:
Wahrlich, der glühende Traum, der mich zum Helden erkoren,
Würde ein ewiger Sang, Sang von Liebe und Glut!
Aber die Landschaft ist klein und flach, und winklig das Städtchen,
Und ein Krämergeschlecht sorgt für den kommenden Tag!
Ängstlich in Felder geteilt, bewacht von geizigen Blicken,
Dankt mit kärglicher Frucht zögernd das trockene Land.
Flieh', Geliebte, entflieh' mit mir! Ein helles Gestade
Weiß ich, und mächtigen Schwungs weist uns ein Adler den Weg!
Weh, du zögerst? Du fürchtest die Menschen? Auch ich fürcht' die Menschen!
Und mein ewiges Lied stirbt und verblutet im Sand ...


VI.
Der unterbrochene Rhythmus
Einsames Lager, vom Monde beglänzt, was gähnst du und höhnst du?
Kühle Kissen, versucht, ob ihr das Blut mir versöhnt.
Kühle Kissen, ihr glüht. Ich will in griechischen Versen
Zähmen die buhlende Lust, bannen das lockende Bild.
Heil dir, griechisches Maß, du zwingst zu edlerem Rhythmus,
Bändigst sorgsam und klug mir das bacchantische Blut.
Dir vertrau ich mich an; die jähen Wogen des Meeres
Orpheus sang sie zur Ruh: Rhythmus ist Sitte und Kunst.
Denk' ich jetzt der Geliebten, o freundliche Wirkung des Verses,
Nicht als lockendes Weib, steht sie als Statue da;
Kalt um die herrlichen Glieder und wunschlos flutet der Mondschein,
Schmiegt sich an Schultern und Arm, wärmer an Nacken und Brust.
Eine Locke des buhlenden Haars liegt weich auf dem Busen,
Und der Busen ... Da brach jäh der Pentameter ab.
Er will nicht mehr folgen; ich will nicht mehr zählen,
Ich will meinen Leib ihrem Leibe vermählen,
Sie an mich reißen und an mich pressen
Und im heißen Taumel die Welt vergessen,
Ich will im Rausche glücklich sein! ....
Was höhnst du mich, flimmernder Mondenschein?!

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900 (S. 72-81)
_____


Bild

Gleichwie ein Wandersmann, der Tag war heiß,
Am Brunnen reicht das schlanke Mädchen ihm
Den Krug, daß er die trockne Kehle netze;
Nun nimmt er ihn in seine beiden Hände,
Den Kopf nach rückwärts beugend, trinkt und trinkt:
So nehme ich dein liebes Angesicht,
Mein liebes Lieb, in meine beiden Hände,
Und presse meine Lippen an den Mund,
Den Kopf zurückgebeugt, und trinke, trinke. 

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 12)
_____


Liebeslied

's giebt Menschen, die nicht lieben können,
Wenn Lieben heißt: in Glut entbrennen,
Auflodern plötzlich hell in Brand -,
Die nur mit stillem Herzen lieben,
Ganz flammenlos, ohn' Funkenstieben,
Doch ruhig, fest und unverwandt.

Sie lieben auch! Nicht, wie die Quelle,
Die stürmisch an des Tages Helle,
Des Drucks befreit, hellschäumend schießt,
Sie lieben auch, doch gleich dem Bache,
Der unterm dichten Blätterdache
Stillmurmelnd zwischen Auen fließt.

So bin auch ich! Mit glüh'nden Sinnen,
Mit trunkner Lust nicht kann ich minnen,
Mit schäumend wilder Herzensglut:
Ich kann nur still ins Aug' dir schauen
Und felsenfest auf dich vertrauen,
Treu kann ich sein, recht treu und gut.

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 16)
_____


Die Nackenlinie

Wenn auf einem weißen Halse
Sich ein schwarzes Lockenköpfchen
Lächelnd wendet, giebt es eine
Wunderschöne Nackenlinie.

Diese wunderschöne Linie
Hab' ich hundertmal bewundert,
Wenn mein Liebchen mir noch einen
Letzten Abschiedsblick vergönnte.

Aus den Augenwinkeln glänzte
Ihr dann Liebe, Glück und Freude,
Ihre schwarzen Nackenlöckchen
Kräuselten sich vor Vergnügen.

Nun in ihrem Mädchenzimmer,
Das ich heut' zum ersten Male
Durft' betreten - in der Göttin
Heiligtum dacht' ich zu wandeln-

Find' ich einen wunderschönen
Tito Conti, eine süße,
Dunkle Schönheit aus Italien,
Aus den Augenwinkeln blitzend.

Auf dem vollen, weißen Halse
Wendet sie das schwarze Köpfchen,
Lachend ihre Zähne weisend,
Und die Nackenlöckchen kichern;

Fragen kichernd: "War's die Liebe,
Die des Liebchens Kopf verdrehte,
Wenn sie dir noch einen letzten,
Gnädigen Abschiedsblick vergönnte?

Oder war es die bewußte
Kenntnis dieser schöngeschwungnen
Und koketten Nackenlinie
Auf dem Bild des Tito Conti!

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 21-22)
_____


Der Sommerhut

Dein Sommerhut, Liebchen, gefällt mir gut,
Es ist ein richtiger Mädchenhut,
Der mit dem gelben, breiten Rand
Dein Haupt, wie ein Heiligenschein, umspannt.

Aber ich hab' im Vorübergehn
Heut in der Stadt einen Hut gesehn,
Der müßte dir ausgezeichnet passen,
Den sollt'st du dir nicht entgehen lassen.

Der Name "Hut" paßt eigentlich nicht,
Es ist mehr - ein lyrisches Gedicht,
Oder ein heller Sommertraum,
Oder ein Flöckchen Wellenschaum!

Dies Wunder aus Blumen und weißem Band
Ist kaum so groß wie meine Hand
Und müßte mit deinen schwarzen Haaren
Zur schönsten Harmonie sich paaren.

So weit wär' nun freilich alles gut.
Nur ist's ein "Junger Frauen-hut",
Und um dies Wunderstück zu erlangen,
Müßtest du stillen erst mein Verlangen.

Müßtest du endlich dein Herz erweichen
Und mir dein trotziges Händchen reichen.
Nun, mein Liebchen, bedenk' es gut!
Es ist ein entzückender Sommerhut!


aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 25-26)
_____


Sommermittag

Traumverlorene Wölkchen
Schwimmen im flimmernden Blau,
Summende Bienenvölkchen
Schweben über die Au,
Langsam, vom Zephyr geschaukelt,
Sinken die Blüten vom Baum,
Und ein Schmetterling gaukelt
Durch den Duft, wie im Traum.

Manchmal rauscht's in den Blättern
Oder es ächzt ein Ast;
Träumt er von dröhnenden Wettern
Oder von schneeiger Last?
Manchmal in streifigen Schatten
Neigt sich das Gras; ein Hauch;
Und von den fernen Matten
Hebt sich ein bläulicher Rauch.

Dort auf dem glitzernden Sande
Neben der sonnigen Flur
Schwebt was im blauen Gewande -
Oder träum' ich es nur?
Mit goldwelligen Haaren,
Flatternd im Sonnenlicht,
Und mit wunderbaren
Augen im Angesicht..... 

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 28-29)
_____


Frühlingsfeier

Ein Blütenzweig, blaßrosa, weiß und grün,
Die Welt hat tausend solcher Blütenäste,
Da darf der eine auch für uns erblühn
Und darf verblühn bei unserm Liebesfeste.

Befrei' das schwere Haar von Kamm und Band
Und laß die schwarzen Fluten niederwallen
Auf dieses blumenhelle Lenzgewand,
Und laß die neidischen Achselspangen fallen!

Nun nimm den Blütenzweig. - Wie wunderbar
Die Blüten glühn von deines Pulses Schlägen -
Und rühre mir die Stirne und das Haar
Und sprich dazu den heiligen Frühlingssegen:

"Blick auf, der Lenz ist kommen über Nacht,
Die Welt ist voll von Liebe und Erbarmen!"
Ich blicke auf; der Frühling ist erwacht;
Ich halt' den ganzen Frühling in den Armen! 


aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 59)
_____



Ewige Treue

Sie starb als Braut, die schmerzerstarrte Hand
Des Liebsten einmal noch zum Munde führend,
Daß ihre Seele auf der Lippen Rand
Die Finger streifte, leise sie berührend.

Und da sie zu des Paradieses Thor
Geflogen kam, die Bäume rauschten leise,
Die heilige Maria trat hervor:
Tritt ein, mein Kind, hier endet deine Reise.

Sie aber schüttelte das bleiche Haupt
Und bat: Vor diesem heilig schönen Garten,
Du Mutter Gottes, sei es mir erlaubt,
Den Liebsten mein in Treuen zu erwarten.

Ich will hier unter diesem Baume stehn
Und, wenn er kommt, ihn an den Händen fassen,
Mit ihm ins selige Leben einzugehn:
Er wird mich nicht zu lange warten lassen. 


aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 66)
_____


Pan

Auf dem weichen, grünen Rasen
Lieg' ich, als ein Hirt verkleidet,
Um mein seltsam Flötenblasen
Werd' ich ringsum arg beneidet;
Eine kommt schon, der die Töne
In das keusche Herz gedrungen,
Neben mich hab' ich die Schöne
Schnell ins weiche Gras gezwungen.

"Meine Süße, Heißgeliebte,"
Quillt nur so von meinen Lippen,
Drücke sie, der Vielgeübte,
Fester stets an meine Rippen;
Meine Finger nesteln gierig
An dem Mieder und ich glühe:
Ist auch diese Arbeit schwierig,
Lohnt sie sich fürwahr der Mühe!

Ihr wird schwül und angst und wehe,
Soll sie lachen oder weinen?
Oben sucht sie meine Nähe,
Stößt mich weg mit ihren Beinen.
O, ich weiß ein Weib zu reizen,
Daß ihr hoch die Pulse springen,
Weiß ihr tüchtig einzuheizen
Und sie recht in Schweiß zu bringen.

Und sie weint, von Glut durchschauert,
Daß sich ihrer Zeus erbarme!
Unentrinnbar eingemauert
Ist sie zwischen meine Arme.
Und ihr Sträuben, immer schwächer
Wird's, sie schließt die Lider,
Und den Mund, ich Wollustzecher,
Senk' ich auf den ihren nieder.

Ihre Arme, wie sie pressen,
Ihre Lippen, wie sie saugen!
Heiß, wie aus der Hölle Essen
Trifft ihr Atem meine Augen.
Sie ist mein, die Maske falle,
Wenn sie noch so sehr erschrecke:
Ich bin ich, mein Pansruf schalle,
Ich bin ich, der Gott der Böcke!

Und sie sieht mich an, erschrocken,
Furcht und Abscheu in den Mienen:
Zwischen meinen Schäferlocken,
Ist ein Hörnerpaar erschienen,
Um das weiche Kinn schon starrt es
Struppig von dem Ziegenbarte,
Und ein Fell, ein borstig hartes,
Deckt die Haut, die weiche, zarte.

Sträubst dich jetzt? Ja, schrei und weine,
Winde dich in meinen Armen,
Beiße, du bist doch die Meine,
Und ich kenne kein Erbarmen!
Schlag um dich, am Fell die Wangen
Reibe wund und wund die Brüste:
Deine Angst schürt mein Verlangen,
Und ich stille mein Gelüste! -

Stets gelaunt zu Liebeshändeln,
Kitzelt's euch, mit mir zu spielen,
Reizt es euch, in leichtem Tändeln
Euer Mütchen abzukühlen!
Wenn dann meine Hüllen fallen,
Seid ihr grenzenlos beklommen. -
Laß ich meine Flöte schallen,
Wirst auch du mir wiederkommen!


aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 74-76)
_____



Erinnerung

Zünd' festlich im Salon die Kerzen an,
Zieh aneinander fest des Vorhangs Spitzen,
Ich schiebe zum Kamin die Sessel dann,
Dort laß uns, uns umarmend, niedersitzen.

Denn sieh, an solchem Winterabend oft
Bin als Student ich durch die Stadt gegangen,
Mein Auge, das Erfüllung nie gehofft,
Ist oft an solchen Lichtes Schein gehangen.

An Lampenschein, der mild ins Dunkel bricht,
An Fenstern, draus ich frohe Stimmen hörte,
An Schatten hinterm Vorhang, eng und dicht,
Indes die Sehnsucht drunten mich verzehrte.

Heut ist ein solcher Abend, kalt und rauh,
Das Glück vertieft sich mir in diesen Räumen:
Lehn' fest dein Haupt an mich, geliebte Frau,
Recht fest an mich - und laß mich träumen, träumen! 

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 77)
_____



Stilles Glück

Wir sitzen am Tisch beim Lampenschein
Und sehn in dasselbe Buch hinein;
Und Wange an Wange und Hand in Hand,
Eine stille Zärtlichkeit uns umspannt,
Ich fühle ruhig dein Herzchen pochen:
Eine Stunde schon hat keines gesprochen,
Und keins dem andern ins Auge geblickt.
Wir haben die Wünsche schlafen geschickt.

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 93)
_____



Mit Rosen

In die helle Sommerfrische,
In das grünumrankte Haus
Folgt dir dieser träumerische,
Sehnsuchtsschwere Rosenstrauß.

O, ich weiß, aus Rosenfluten
Hebt sich euer Tuskulum,
Wie ein Haus aus Flammengluten:
Rosen, Rosen um und um!

Dennoch bring' ich dieses Sträußchen
Dir in sichrer Liebesruh',
In das volle Taubenhäuschen
Fliegen neue Tauben zu.

Mag dich Rosenduft umkosen,
Rosenflammen dich umglühn,
Bring' ich doch nach Schiras Rosen,
Wie in Schiras keine blühn:

So von heißer Liebe glühende,
Ganz ihr Leben weihend dir,
Also demutsvoll erblühende
Rosen, so wie diese hier!

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 99-100)
_____



Auf dem Wege nach Rom

Auf dem Wege nach Rom unter Pinien fand ich ein Mädchen -
Oder war es ein Weib? - eng einen Säugling im Arm.
Lieblich war sie und voll; unter herrlichen römischen Flechten
Formt sich zum reinsten Oval blühend ihr schönes Gesicht;
Unter geschwungenen Brau'n bedrohten mich feurig zwei Augen,
Wie ich schönere nie, auch nicht im Traume, gesehn.
Unter Pinien saß sie und drückte den lächelnden Knaben
- Fühlt' er die Wonne des Orts? - fest an die wogende Brust.
Armes Jahrhundert, wo zögert dein Raffael, dacht' ich, im Grünen
Sitzt hier das schönste Modell, harrend der göttlichen Kunst!
Und ich saß neben ihr. "Ein Dichter bin ich aus Deutschland,
Auf dem Wege nach Rom hat mich die Sonne verwirrt."
Und sie blitzte mich an: "So schließe die Augen, du Armer!"
- "Grausame, neidest du mir, was mich, vernichtend, beglückt?"
Und ich legte den Arm um ihre Schultern; ein Weilchen
Fühlt' ich den göttlichen Leib warm an der pochenden Brust.
Da erwachte das Knäblein; und sie, vom Moos sich erhebend,
Reichte es lachend mir hin: "Sing' mir den Knaben in Schlaf!
Aus dem sprudelnden Quell im Walde bring' ich den Trunk dir,
O, er sänftigt dein Blut!" Sprach's und verschwand im Gebüsch.
Auf dem Wege nach Rom unter Pinien saß ich und wiegte -
Sehnsucht füllte mein Herz - singend das Kindlein in Schlaf.
Und ich sang und sang und wiegte Eia popeia,
Doch das römische Kind weinte zum rauhen Gesang.
Strampelnd streckt es die Händchen aus seinem ärmlichen Kissen,
Plötzlich, wie ist mir geschehn?, strampelt sich Amor heraus!
Und er schwebt über mir und zwinkert lustig die Äuglein:
"Ach, ich kenne dich wohl, deutscher Dichtergesell!
Erst mit Eia popeja beschwichtigt ihr schläfrig den Knaben,
Fliegt euch Amor vorbei, - macht ihr ein dummes Gesicht!"
Lächelnd flog er davon. Und lachend klang's aus dem Walde,
Wie ein Echo: "Was macht der für ein dummes Gesicht!" 

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901 (S. 102-104)
_____



Das Liebeslied

Noch ist mir nicht das eine Lied gelungen,
Das ich dir weihen dürfte, dir allein!
Es müßte sprechen, wie mit Engelszungen,
Und müßte doch voll irdischer Sehnsucht sein.

Es müßte sein wie blaue Frühlingstage,
So festlich heiter, träumerisch gerührt,
Und doch beklommen, wie des Baumes Klage,
Wenn ihm der Herbst das erste Blatt entführt.

Wie Abendsonnenschein auf grünen Matten,
Bevor die Sonne sich in Schleier hüllt,
Und zärtlicher und sanfter, als der Schatten,
Der deines Busens keusches Tal erfüllt.

Es müßte sein wie meine ganze Liebe,
Und Augen haben, stolz und bang und treu.
So müßt' es sein. Und wenn ich es dann schriebe,
Ich kenn' mein Lied, es bliebe stumm und scheu!

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 20)
_____



Frühling

Frühling ist ein buntgestalter,
Farbentrunkner Riesenfalter,
Schaukelt bunt im Sonnenstrahl
Gaukelnd über Berg und Tal,
Regt die siebenfarbigen Schwingen,
Leuchten in die Welt zu bringen.

Seine Farben sind so prächtig,
Seine Schwingen sind so mächtig,
Streuen ihren bunten Staub
Nieder auf das junge Laub,
Daß in roten, grünen, blauen
Farben leuchten Flur und Auen.

Einen hellen Farbenregen,
Schneit er seinen Blütensegen
Nieder auf die weite Welt,
Und im Wald und Hag und Feld
Eifern Saat und Sproß und Hecken,
Sich mit Farben zu bedecken.

Stand in meinem engen Tale
Nüchtern heut im Morgenstrahle,
Als das Wunder just geschah.
Plötzlich kam der Falter da
Bunt am blauen Himmelsbogen
Farbenstreuend hergeflogen.

Flieh, du ödes Winterdarben,
Welch ein Wunder, ganz in Farben
Steh' ich, wie ein junger Baum!
Grünes Hoffen, bunter Traum!
Und mein Blut in roten Wellen
Fühl' ich heiß den Busen schwellen!


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 23-24)
_____



Die Augen der Seele

Und bist du tausend Meilen fern,
So weiß ich, du geliebte Frau,
Ob deine Seele Sonne hat,
Ob deine Seele dunkel ist.
Ich bin wie der blinde König.

Er liebte das Harfenspiel so heiß,
Und seine Augen waren tot.
Der Harfner spielte und sang dazu
Und stand im leuchtenden Sonnentag
Und sang vor dem blinden König.

Und wie das Lied dem Harfenklang
Sich in der warmen Luft vermählt,
Ein Wolkenschatten fiel darauf.
"Jetzt fällt ein Schatten auf dein Lied!"
So sprach der blinde König.

Und bist du tausend Meilen fern,
So weiß ich, du geliebte Frau,
Ob deine Seele Sonne hat,
Ob deine Seele dunkel ist.
Ich lieb' dich von ganzer Seele.


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 25)
_____



Tiefe Sehnsucht

Gott, mag mir der Himmel nur immer vergönnen,
Nach wem mich zu sehnen, wen lieben zu können,
Die Lider recht innerlich einzudrücken,
Um hell meiner Sehnsucht Gefäß zu erblicken,
Und mag mir geben, den Seufzern und Küssen
Ein hold vergebliches Ziel zu wissen!
Dann will ich ganz still sein und ohne Klagen
Entsagen und selig die Tage ertragen,
Dann will ich das seltsame Leben verstehn
Und lächelnd dem Abend entgegengehn ... 

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 27)
_____



Nachtliedchen

Ich hätte doch heut in der Nacht,
Aus dem Traume erwacht,
Das kleine Liedchen aufschreiben sollen!
Die Nacht war selber wie ein Gedicht,
Sie sah mir so innig ins Angesicht,
Daß über die Lider die Tränen mir quollen.

Und dazu sang eine Nachtigall
Mit süßem Schall
Im Garten. Nie wollt' ich's den Dichtern glauben,
Wie süß eine Nachtigall singen kann,
Wie hold ihr Schluchzen erklingen kann
Aus den blühenden, duftenden Taxuslauben!

Und da fiel mir ein ganz kleines Liedchen ein:
Der Mondenschein
War drin und der Sang der Nachtigallen.
Doch war mir so hell und so glücklich zu Sinn,
Und so schrieb ich mein kleines Nachtlied nicht hin;
Und nun wird es Tag und es ist mir entfallen ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 29)
_____



Dolche und Küsse

In einem Hefte längst vergess'ner Lieder
Fand Anselm Poitou ein klein Gedicht;
- Einst schrieb er's hin, da glühte sein Gesicht -
Es hieß: Auf einen Dolch. Kaum kannt' er's wieder:

"Nun ist's genug der Blumen und der Lieder!
Nun poch' ich an dein Herz, mir wehrst du nicht,
Das heiße Wort, das meine Zunge spricht,
Zwingt endlich deinen kühlen Hochmut nieder.

Ich will der Schlüssel sein zu deinem Herzen,
Ich öffne mir das stolz verwehrte Haus,
Auf seiner Schwelle enden alle Schmerzen!"

Und Anselm lacht: "Ist das ein Wiederfinden!
Ein schlecht' Gedicht!" Er streicht den Titel aus:
Auf einen Liebesbrief. Und schickt's Lucinden.


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 30)
_____



Wundernacht

In den Strahlen des Monds, die zur Erde staunen,
Ist mein Gärtchen ein herrlicher Garten geworden,
Voll Blumen der seltensten Arten geworden,
Die Märchen duften und Düfte raunen.

Und mein blühender, glühender Goldregenstrauch
Läßt zu des Pfades silbernen Kieseln,
Wie ein Springbrunn, die Goldtropfen niederrieseln,
Und die Tropfen verstäuben berauschenden Hauch.

Und mir ist und ich kann mich nimmer besinnen;
Will den Goldregen sacht auseinanderbiegen,
Ob nicht eine Danaë da mag liegen,
Den mondweißen Leib an mich zu schmiegen;
Und daß ich heut nacht sie mir könnte gewinnen ... 

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 38)
_____



Statt einer Serenade

Das ist ein Abend, wie ich keinen sah,
Ein Abend, voller Sehnsucht, voller Gnade,
Die Luft so mild, der Himmel uns so nah;
Nur einen Wunsch noch, Liebster, hätt' ich da:
Die stillen Töne einer Serenade.

Musik, wie unsere Abendträume weich,
Zärtliche Klänge, lind die Locken streichelnd,
Und den verbuhlten Abendwinden gleich,
An träumerischen, süßen Düften reich,
Sich bis in meine tiefste Seele schmeichelnd.

Ich bin so glücklich, daß du bei mir bist,
Und willig beut mein Mund sich deinen Küssen,
Doch, daß dein Mund das Bitten nicht vergißt,
Sollt' er vom Garten her, der dunkel ist,
In einem weichen Lied drum bitten müssen.

Du willst nicht singen, Liebster, vor dem Tor?
Und willst, auch nicht ein Weilchen nur, mich meiden?
So neige deinen Mund zu meinem Ohr
Und sing' mir ein verschwiegnes Liedchen vor
Von Lieb und Sehnsucht und von Lust und Leiden. 

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 51)
_____



Die Abende

Italia, du schöne Buhlerin,
Wie locktest du mir Herz und Glut und Sinn,
Wie machtest du den Abschied mir so schwer!
Wenn nicht dein Abend ohne Seele wär'!

Denn Abende sind nur in Deutschland schön,
Wenn stille Pärchen durch die Felder gehn,
Der kühle Mond wird warm und lächelt mild,
Und jede Sehnsucht findet ihr Gefild.

Da wird der ganze Abend zum Gedicht:
Das scheue Bächlein traut sich vor und spricht,
Die Bäume raunen und der Wald erwacht,
Und jeder Stern am Himmel blinkt und lacht.

Durch deinen Abend, schöne Buhlerin,
Schau ich voll Sehnsucht nach dem Norden hin,
Will wieder durch den deutschen Abend gehn
Und Lieb' und Glück und Träume wiedersehn ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 52)
_____



An blauen Frühlingstagen

Vom stolzen Glück des eignen Werts getragen,
Als brächt' ihr Blühn der Landschaft erst Gewinn,
Gehn schöne Fraun an blauen Frühlingstagen
Wie Königinnen durch die Menge hin;
Als hätt' der Knabe Frühling nur im Sinn,
Das Krönungsvließ um ihren Leib zu schlagen
Und, wie ein Page, seiner Königin
Mit stillem Dank die Schleppe nachzutragen ...


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 55)
_____



Abschiedsbrief

Dies ist mein Abschiedsbrief und letzter Bote;
Sanft sei sein Schritt und mild sein Angesicht,
Und jedes Wort sei Frieden, das er spricht.
Weh, wenn er deines Herzens Ruh bedrohte.

Gott Amor hob die Fackel und sie lohte.
Ich liebte dich. Du warst mein Stern und Licht.
Er senkt die Fackel, doch er löscht sie nicht,
Und heißer loht sie auf, die glühendrote.

Du kennst den Gott, der seine Fackel wendet:
Es ist der Gott, der jeden Kummer heilt,
Es ist der Gott, der jede Liebe endet ...

Dies ist mein Abschiedsbrief. Die Stunde eilt.
Drei Kreuze setz' ich drunter; eins für mich.
Ein kleiner Friedhof. Ach, wie liebt' ich dich ...


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 56)
_____



Sulamith

Ich bin der König Salomo
Und bin der große König;
Und Berg und Hügel, Meer und Strand
Und Wüstensand und Ackerland
Sind meinem Winke untertänig.

Ich bin der König Salomo
Und bin doch meines Reichs nicht froh;
Und Berg und Hügel, Strand und Meer
Sind mir zu viel und doch zu wenig.
Wie gäb' ich sie so gerne her,
Wenn ich nur Herr der beiden Hügel wär'!

Zwei Hügel weiß ich, weiß wie Schnee,
Und blühen ganz in meiner Näh
Und kann sie doch nicht erwandern.
Sie blühen ganz in der Nähe hier,
Ein neidisch Linnen verwehrt sie mir.
Weh! Blühn sie gar für einen andern?!

Sagt, bin ich Herr in diesem Reich?
Darf ich nicht winken: ergebet euch!
Wer ist der Herr der Täler und Hügel?
Ach Gott, im Traum hab' ich die Macht,
Ach Gott, mein Traum senkt jede Nacht
Auf ihren Schnee die seligen Flügel!

O Sulamith, Herrin, und wehrst du dich mir,
So sehr ich mich sehne, so dank' ich dir!
Wie könnt' ich noch leben und glücklich sein,
Wär' wirklich alles, alles mein,
Und hätt' nichts mehr zu erhoffen!
Verwehr' dich mir, schließ fest dein Tor.
Dann steh ich in Sehnen und Träumen davor
Und - find' es doch einmal offen!


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 59-60)
_____



Lied am Fenster

Wie oft find' ich mich am Fenster stehn
Und voller Sehnsucht in's Freie sehn,
Und hält mich doch niemand ins Grün zu gehn!

Doch ist mir aber ums Herz so schwer,
Und meine Seele sehnt sich so sehr,
Als ob ich in Ketten gefangen wär'!

"So geh doch, der Lenz liegt drauß auf den Aun,
Und Mägdlein lustwandeln und blühende Fraun,
Oder freut's dich nur, sehnend hinauszuschaun?"

Ach, laßt mich nur ruhig am Fenster stehn
Und traurig hinaus in's Grüne sehn!
Es sehnt sich ja niemand, mit mir zu gehn ... 

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 61)
_____



Sanfter Regen

Vom Himmel fallen müde Tropfen nieder,
Doch ist er blau, kein Wölkchen ist zu schaun:
Wie blauer Mädchenaugen sanfte Lider
In sehnsuchtsvoller Liebe übertaun.

Und Schwalben fliegen durch die großen Tropfen,
Und jeder Tropfen blitzt im Sonnenlicht:
Wie bei des Herzens liebebangem Klopfen
Ein Strahl des Glücks aus Mädchenaugen bricht ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 65)
_____



Das verfolgte Mädchen

Ich fühl' ihn, ich fühl' ihn hinter mir gehn,
Ich möchte den Kopf so gern nach ihm drehn,
Nur würd' er mir dann in die Augen sehn,
Und dann, dann wär' es um mich geschehn ..

Ich fühl' seinen Blick, er streichelt mich leis,
Er ruht auf mir und ich weiß, ich weiß,
Sein Blick hat Lippen und küßt mich heiß,
Und mein Herzschlag stockt und mein Blut wird zu Eis!

Wie in einer Wolke geh ich daher;
Ach Gott, wenn ich nur schon zu Hause wär'!
Wie setz' ich die Füße so plump und so schwer!
Ach, wenn ich nur schon beim Tore wär'!

Und da ist das Tor. Und nun - Mutter vergib! -
Ich muß ihm zeigen, wie ich ihn lieb'!
Wie traurig er schaut! Ach, dürft' ich's nur wagen!
Ich möcht' ihm ja so gern was Liebes sagen ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 66)
_____




Die Boten

Meine Mutter hört' ich einmal sagen,
Daß Gebete von der Lippen Rand
Englein nehmen und im Nest der Hand
Sie behutsam in den Himmel tragen.

Lächelnd hört' ich's. Ach, in jenen Tagen
Hat mein Herz die Sehnsucht nicht gekannt,
Die zum Flug die dunklen Schwingen spannt,
Liebesseufzer und der Sehnsucht Klagen!

Englein, Englein mit den lieben Händen,
Wollt ihr mir den Botendienst versagen?
Der Geliebten möcht' ich Botschaft senden,

Eurer Schwester sollt ihr Grüße tragen.
Englein, liebe Englein, hört mein Flehen!
Euren Händen soll kein Leids geschehen ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 70)
_____




Der heiße Blick

"Wenn die Sonne sinkt, muß ich fort von dir!" -
- "Ach, Sonne, Sonne, bleibe noch hier!"
Und mein Liebstes schaut durch den Tränenflor
Zu den ruhig schwimmenden Wölkchen empor.

Und sie spricht - und sagt es ganz feierlich,
Und doch, als spräche sie nur zu sich -:
"Ob so ein Wölkchen am scheidenden Tag
Wohl fühlt, wie viel Sehnsucht ihm folgen mag?"

Und sie schaut empor, und ihr Blick ist so tief,
Und alles Sehnen, das in ihr schlief,
Erwacht im Blick und glüht und loht:
Wird das Wölkchen, darauf sie schaut, ganz rot!

Ganz rot und hat einen glühenden Rand
Und grüßt hernieder. Und Hand in Hand
Schaun wir ihm nach, wie's langsam verschwimmt
Und gleich uns vom Tag seinen Abschied nimmt ... 

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 73)
_____




Der Page

Der Page war schon alt genung,
Nur in der Liebe war er jung,
Jung, jung und dumm.
"Ach, wär' ich nur ein bißchen kühn,
Wenn ihre Augen auf mir glühn!
Ach Gott, was gäb' ich drum!"

"Was gäbst du drum?" so flüstert's leis.
Die Nacht war heiß, vom Monde weiß.
"Sprachst du im Schlaf zu mir?" -
Die Herrin stand bei ihm. Sie lacht:
"Hältst du so laute Pagenwacht
Vor meiner offnen Tür?" -

"Ach, Herrin, ach, ich muß vergehn,
Ich bin so jung, ihr seid so schön,
So schön, so stolz und rein!
Mein Traum -" Sie schloß die Tür zum Gang,
Sie schaut ihn an so tief, so lang:
"Nun sind wir ganz allein!"

Ihm war, als stürb' er gleich vor Glück,
Da er sein Haupt vor ihrem Blick
Ins Kissen tief vergrub.
"Du Hasenherz, so fürcht' dich nicht!"
Sie stand vor ihm im Mondenlicht
In Höschen wie ein Bub.

"Graut dir vor Frau'n? So schau doch her!
Ich bin ein Bub, wie du!" - Und er?
Er schaut und traut sich kaum,
Er traut sich kaum und schaut empor ...
Dann zog der Mond den Vorhang vor,
Vor einem Traum ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 76-77)
_____




Rosige Wölkchen

Über den Abendhimmel sind rosige Wölkchen zerstreut,
Wie Rosen über das Tanzkleid einer Geliebten;
Ach, wenn mich nur nicht an Abenden, sanft wie heut,
Immer so traurige, dunkle Gedanken betrübten!

Abendsehnsucht, was machst du das Herz mir so weh und bang,
Daß mir die Augen vor Sehnen übergehen?
Hätt' ich doch eine bei mir auf dem Abendgang,
Die mich liebte und könnte mein Sehnen verstehen!

Eine wüßt' ich; doch die! Ihre Lippen sind rot,
Und sie lachen nur so ins blühende Leben
Und verstünden nicht meines Herzens Not;
Und das könnt' ich ihr nimmer, ach nimmer vergeben ...


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 84)
_____





Beim Tanze

Um deine Stirn, die helle,
Wind' ich, indeß wir uns wiegen,
Flüchtige Ritornelle:

Tirilirende Lerchen!
Laß dir das Herz nicht bestricken
Von all' den schmeichelnden Herrchen!

Zankende Spatzen!
Ihr Herz ist stumm und öde,
Derweil ihre Lippen schwatzen.

Seufzende Nachtigallen!
Ich kann nicht schmeicheln und heucheln
Und - möcht' dir so gern gefallen.

Girrende Tauben.
Du drückst mir ganz leise die Finger?
O, dürft' ich dem Händedruck glauben!

Schweigende Schwäne!
Du kannst ja nicht wissen, du Reine,
Wie lang' ich mich schon nach dir sehne,
Wie innig und gut ich es meine!


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 85)
_____




Vereinigung der Leiber

Nun muß ich meine Glut nicht zügeln mehr,
Nun reiß' ich dich an mich, nun hab' ich dich,
Nun bist du mein, ich geb' dich nicht mehr her!

Ich bin der Sieger, bin der Herr der Welt!
Drück' dich an mich, du seliges Weib, an mich,
Und sträub' dich nicht: ich bin dein Gott, dein Held.

Noch einmal laß die irren Augen sehn.
Nun schließ sie zu, stirb meinen Küssen, Weib,
Wir wollen küssend, küssend untergehn.

Mein ganzer Leib ist nur ein heißer Mund,
Und tausend Lippen hat dein junger Leib,
Und tausend Küsse segnen unsern Bund ... 


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 88)
_____



Vereinigung der Seelen
Zu einem Bilde von Max Švabinsky

Und wenn uns Beide alle Himmel trennen,
Werd' ich am jüngsten Tag aus tausend Chören
Dein Lied und deine Stimme gleich erkennen:

Denn durch die Sehnsucht aller Ewigkeiten
Werd' ich nur deine liebe Stimme hören,
Wird mich ihr holder, sanfter Klang begleiten.

Durch all die weißen, heilgen Engelscharen
Wird meine Seele, liebes Seelchen, fliegen,
Wird sich mein Wölkchen deiner Wolke paaren.

Da will ich mich auf deine Wolke schwingen
Und will mich eng an deine Seele schmiegen
Und mit dir knien und preisen, beten, singen ...

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 89)
_____



Der Pelz

Meine Muse friert im hohen Norden,
Und ein Pelzlein ist ihr Traum geworden,
Weiches Fell! Ihr müßt sie hören schwärmen,
Wie das prächtig kleiden soll und - wärmen.

Ach, ich kann ihr keinen Wunsch versagen.
Meine Muse wird ihr Pelzlein tragen,
Und am Weihnachtstag sollt ihr sie sehen
Stolz und schön im neuen Pelze gehen.

Was er kostet? Hört denn: unter Brüdern,
Einen ganzen Band von Liebesliedern,
Frühlingsliedern, Liedern stillen Glückes!
Und ich schau ihn an verklärten Blickes:

Was in tiefster Brust begann zu keimen,
Was ich faßte dann in bunten Reimen,
Was ich ihr verdanke, Lenz und Lieder,
Geb' ich ihr am Weihnachtsabend wieder.

Wahrlich, keiner Königin auf Erden
Kann ein Krönungspelz verliehen werden,
Wie ich meiner Muse ihn verbräme!
Wenn nur schon der Weihnachtsabend käme!

aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 90)
_____



Konzert

Du saßest lauschend und das Lied verklang;
Doch bebte noch die Luft von seiner Macht.
Mein Blick lag heiß auf dir und sehnsuchtsbang;
Da bist du von der Glut des Blicks erwacht.

Du sahst mich an, du sahst den frevlen Traum,
Der noch im Dunkel meiner Augen schlief,
Und unbewußt zogst du des Kleides Saum,
Und, wie zum Schutz vor meinem Blicke, tief.

Nun ist des Liedes Nachklang längst verhallt.
Mir aber ist die Luft voll Melodien,
Voll heißer Wogen, die mich mit Gewalt
In ihren tiefsten Strudel niederziehn ...


aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 93)
_____




Der Ausblick

Vor unserm Fenster liegt die Stadt gebreitet,
Die Burg, die hundert Türme und ein Meer
Von Kuppeln, Giebeln, Dächern um sie her,
Und breit der Strom, der unter Brücken gleitet.

Und wenn der Abend unsere Herzen weitet,
Hat unser Aug', vom Licht des Tages schwer,
Nach diesem Bild der stillen Stadt Begehr,
Eh' sich der Lampe Traulichkeit bereitet.

Dein Haupt an meiner Schulter, blickst du nieder,
Du schweigst und schweigst. Nun hebst du sanft die Lider:
"Sag, Liebster, sag, war's je so schön wie heut'?"

Ein Kuß wie ein Gebet: o Himmel, immer
Laß unserm Blick der Liebe feuchten Schimmer,
Der täglich uns der Schönheit Bild erneut!

aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 21)
_____



Glühende Wogen

Meine Verse kommen wie rollende Wogen
Aus der brandenden Flut meiner Leidenschaft
An den weißen Strand meiner Liebe gezogen.

Zeile nach Zeile in schäumender Kraft
Rollen sie her, du Venus am Strande,
Durch deine Nähe emporgestrafft,

Donnern sie her zum dröhnenden Lande
Und verschäumen schmeichelnden Schaums
Vor deinem Knöchel im durstigen Sande,

Göttin du meines glühenden Traums ... 


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 46)
_____



Mit geschlossenen Lidern

Sonst, wenn mein Herz in Liebe sich verzehrte
Und ich die Lider schloß, ihr nah zu sein,
Sah ich die Liebste, mädchenhaft und rein,
Daß sich mein sündig Herz zur Buße kehrte.

Voll strenger Zucht erschien mir die Verklärte
So keusch, wie treu. Bis in den Schlaf hinein
Umstrahlte mich der Liebe Heiligenschein,
Daß selbst dem Traum der Keuschheit Engel wehrte.

Auch jetzt schließ' ich die Lider: seliges Dämmern,
Draus schlank und weiß der schönste Körper lacht!
O warmer Marmor, drin die Pulse hämmern!

Die Lider preß ich zu. O Lichtgefunkel,
Hell strahlt ihr Leib und leuchtet durch die Nacht.
Und wär' ich blind, wär' selig doch mein Dunkel ... 

aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 47)
_____




Im Lehnstuhl

Ich kann nicht dran vergessen,
Muß immer und immer dran denken,
Wenn meine Lider sich senken,
Bebend vor buhlendem Neid,

Wie du so dagesessen,
Dich in den Lehnstuhl schmiegend,
In seinen Armen liegend
In deinem schmiegsamen Kleid;

So zärtlich hingegeben,
So wohlig ausgegossen,
So eng von ihm umschlossen!
Hüt dich, so scheu du bist:

Es sind viel Dinge im Leben
Verwunschen, hölzern zu scheinen!
Wer weiß denn, wer in deinen
Lehnstuhl verzaubert ist! 

aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 49)
_____



Der Verschmähte

Da hab' ich mit meinem Herzen
Gesprochen so sanft und lind
Und hab' ihm besprochen die Schmerzen,
Wie einem kranken Kind:

"So sei doch nicht gar so bescheiden,
Du Herz, und wählt sie ihn,
Du wirst ihn doch drum nicht beneiden!
Sei stolz und laß sie ziehn.

Die Liebe, die tiefe und echte,
Die hat ein andres Gesicht,
Und wär' es gewesen die rechte,
Fürwahr, sie verriete dich nicht!"

So ruhig bin ich gewesen
Und hab's so vernünftig gemeint ...
Dann hab' ich den "Werther" gelesen
Und hab' mich fast blind geweint ... 


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 50)
_____



Der ewige Fluch

Weh meinen Versen, die segnen sollten
Und fluchen müssen,
Die von innigen Küssen,
Von Liebe und Seligkeit klingen wollten,
Die jubeln und jauchzen und preisen möchten
Und Rosen um deine weiße Stirne flechten,
Und die nun hassen und ächzen
Und nach Rache lechzen,
Und die doch wissen,
Daß selbst ihre Flüche deiner Schönheit noch huldigen müssen.

Weh, daß ich dich treffen mußte,
Du deiner Schönheit bewußte,
Du, deiner Glieder und deines Ganges Künstlerin!
Was ich all mein Leben lang
An Zärtlichkeit im Busen trug,
Was aus dem Knabenherzen bang
Die ersten, irren Funken schlug,
Der Jünglingsliebe süßen Trug,
Der tollen Lust Sirenensang,
Alle Sehnsucht, alle Zärtlichkeit wecktest du,
Du Buhlerin du, kaltlockende Buhlerin,
Und darum fluche ich dir,
Darum bin ich so außer mir,
Weil du mit deiner sündigen Schönheit Macht
Mich so weit gebracht,
Daß ich, mein Leben lang in der Schönheit Bann,
Der Schönheit fluchen kann!

Und dies ist mein Fluch:
In deiner Siege, deiner Triumphe Zug
Hast du noch lang' nicht Opfer genug!
Und hast du Hundert mit deinem falsch gewährenden Blick
Um ihr bißchen Glück betrogen,
So hat er noch lang' nicht genug gelogen,
Und Tausend, Tausend müssen noch ihre Seligkeit lassen,
Müssen dir ihr Leben und ihre Seele geben,
Damit mein Fluch unendlich werde, wie mein Hassen!

Und dies ist mein Fluch:
Wenn einst deine Stunde schlug,
Und Charons Boot dich über den finstern Orkus trug,
Dann soll dein Gang zu Plutons Palast ewig sein, wie deine Pein.
Dann sollst du allein den endlosen Weg zum Hades schreiten
Und niemand soll dich geleiten.
Aber zu beiden Seiten deines Weges sollst du deine Betörten sehn
Wie gräßliche Säulen stehn
Mit geschlossenen Lidern,
Und wenn du nahst, sollen sie sich dir entgegendrehn
Und die Lider, wie im Leben, dir entgegenheben, um dich zu sehn.
Und dann sollst du, die ich verfluche
Und deren Blick ich doch immer noch hündisch suche,
Dann sollst du dich in ihren Augen sehn,
Wie sie dich einst gesehn,
Nackt, von ihrer Wollust Polypenarmen gepackt,
Entstellt durch ihre Gier.
Und so sollst du von einem Gräul zum andern
Wandern und wandern
Bis zu mir ...
Und vor meinem Antlitz sollst du stehn,
Und in meinen Augen sollst du sehn,
Wie ich dich einst rein gesehn,
Und dann will ich noch einmal die Lider schließen
Und sollst dich sehn müssen, wie ich dich später in Wahrheit gesehn,
Du Buhlerin du, du deiner Schönheit Kupplerin,
Ewig verfluchte Verführerin!

Dann, mag sein, kann ich dein Erlöser sein
Von deinem entsetzlichen Büßergange:
Wenn über meine verhärmte, vertrocknete Wange
Für dich eine Träne fließen kann,
Dann, dann ...
Vielleicht dann wird mein Mund, der krank ist von deinen Küssen,
Nicht mehr fluchen müssen,
Dann, vielleicht dann, daß deine Seele und meine Seele Ruhe finden kann.

aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 51-54)
_____



Ernüchterung

Wie Buhlerinnen sich zum Feste schmücken
Mit Schleiern, Blumen, funkelndem Geschmeid':
"Heft noch die rote Rose an mein Kleid,
Die Perlen noch, den Kühlen zu entzücken!" -

Und glaubt doch jede, mit geübten Blicken,
Mit Lippen, stets zu heißem Kuß bereit,
Mit Busenwogen, flinker Zärtlichkeit,
Auch ungeschmückt, die Herzen zu berücken:

So zwingst du meine schlichten, warmen Worte
In Prunkgewänder, schöne, stolze Frau,
Und läßt sie fröstelnd knien vor deiner Pforte.

Wie Buhlerinnen?! Meine keuschen Worte?!
Weh dir, du herzlose, verbuhlte Frau!
Auf, aus dem Staub, mein Lied! Fluch dieser Pforte! 


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 55)
_____



Die zwei Menschen

Als ich anfing zu dir zu gehen,
Schienst wenig Schritte vor mir zu stehen,
Ich war jung und leicht mein Gang,
Und du sahst mich mit kühlem Ergötzen
Schritt vor Schritt dir entgegensetzen -
Und so schreit' ich ein Leben lang.

Stets deine harten Augen in meinen,
Stapft' ich und stapf' ich mit ruhlosen Beinen,
Aber jetzt steh' ich am Ende der Kraft!
Ist das denn möglich, kann es das geben?
Kann denn ein Mensch so sein ganzes Leben
Weihn einer einzigen Wanderschaft?

Du aber stehst noch stets auf dem gleichen
Fleck und ich werde dich nicht erreichen,
Und doch drängt's mich noch immer dir nah!
Und du weißt doch: ein Schritt mir entgegen,
Könnt' ich mein Herz an das deine legen!
Warum stehst du so frostig da?!


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 56)
_____



Cello

Er neigt sich tief zum Saitenspiele nieder,
Das wie ein Kind ihm sanft das Knie berührt.
Er fühlt, indes er breit den Bogen führt:
Du gibst mir meine ganze Seele wieder.

Was in mir lebt, mein tiefgeheimstes Leben,
Was in mir zittert, was mein Herz erfüllt,
Willst du mir Alles, liebevoll enthüllt,
Und schluchzend, aber freudig, wiedergeben.

Und unter seinen Bogenstrichen beben
Die Saiten voll und, was sein Herz erfüllt,
Was sich verschämt dem Blicke sonst verhüllt,
In innigen Tönen wacht es auf zum Leben.

Verklungnes Spiel. Wer beugt sich zu ihm nieder?
Die Liebste: "Weh dem Spiel, das dich entführt!"
Nun hält er sie im Arm. Er fühlt gerührt:
Du gibst mir dein' und meine Seele wieder...


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 60)
_____



Der Spiegel

Spieglein, Spieglein an der Wand
Im Zimmer meiner Geliebten,
Tröst' du des tief Betrübten,
Einsam Verliebten Unverstand!

Sie will bald wiederkommen,
Ist fort kaum erst zwei Tage lang;
Mir aber ist so bang,
Als wär' sie mir genommen!

Spieglein, Spieglein an der Wand,
Ihr Freund und ihr Vertrauter,
Gar liebreich Angeschauter,
Birgst du für mich kein Unterpfand?

Kein Brief zum Trost und Lieben!
Kein Endchen Band, kein Blümchen! Nichts.
Nicht mal der Abglanz ihres Gesichts
Ist dir zurückgeblieben!

Bist in den kurzen Tagen
Ganz grau geworden, matt und trüb;
Was soll dann ich erst sagen,
Der ich sie so vom Herzen lieb'!


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 76)
_____



Blasses Mädchenangesicht

Du blasses, schmales Mädchengesicht,
Glaub meinen schmeichelnden Worten nicht,
Ich warne dich! Ich warne dich!

Kann so süßen Gesichtern nicht widerstehn,
Fühl' gleich die Seele übergehn,
Ich kenne mich, ich kenne mich!

Wenn meine Sehnsucht ein Antlitz hat,
Ist's solch' ein blaß-blasses Teerosenblatt,
Wie dein Gesicht, dein süßes Gesicht!

Und sag' ich dir: "Mädchen, ich liebe dich",
So spricht meine Sehnsucht nur zu sich,
Du hast nur ihr Antlitz. Glaub mir nicht!


aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 91)
_____



Ständchen

Ich hab' die ganze Frühlingsnacht
Vor meines Liebchens Haus gewacht,
Der Himmel war voll Sternenglanz,
Mein Herz war eingesponnen ganz
In Sehnsucht und in Liebe,
In Sehnsucht und in Liebe.

Wollt' mir das Herz fast aus der Brust,
Hab's immer halten nur gemußt,
So sehnt es sich: das heißt auch was,
Trennt einen nur ein Fensterglas
Von seiner süßen Liebe,
Von seiner süßen Liebe!

Nun steht die Sonne schon im Tag,
Doch, wie sie immer strahlen mag,
Ich seh' am Himmel, nah und fern,
Noch neben ihr die tausend Stern',
Die Sternlein meiner Liebe,
Die Sternlein meiner Liebe.

So wach doch auf, du Schläferin!
Lockt's dich denn nicht zum Fenster hin,
Wie Sonn' und Stern am Himmel stehn,
Mit Wunderaugen anzusehn,
Und mich und meine Liebe?
Und mich und meine Liebe... 

aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 92-93)
_____



Traumengel

Heut hat Traumkönigin die lichten
Traumenglein in die Nacht geschickt,
Die wissen Träume zu erdichten,
Vom Baum der Wünsche abgepflückt.

Nun flattern sie durch alle Gassen.
"Wo fliegst du hin?" - "Zu einem Kind."
"Und du?" - "Ich darf mich niederlassen,
Wo ich ein willig Ohr mir find'!"

Husch hier, husch dort! An tausend Ohren
Erklingt der holde, süße Trug.
Ein Engel nur fliegt noch verloren,
Ihm scheint kein Schläfer wert genug.

Da, wie er durch den Mondschein gleitet,
Bannt ihn an einem Giebelhaus
Ein dunkles Fenster. Weh, da breitet
Ein andrer schon die Flügel aus.

"Laß mich hier meinen Träumer finden!"
Doch Amor lacht: "Den schirme ich!
Dem mußt du keine Märchen künden!
Er liebt! Der träumt auch ohne dich!"


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 34-35)
_____



Der Wettlauf

Von Leben glühend in mein lichtdurchhelltes
Poetenstübchen trat mein Mädchen ein
Und neigt ihr Haupt, ihr sonnig blondgewelltes,
Auf mein, der Muse harrend, schräggestelltes
Schreibpult herab: der schiere Sonnenschein!

Sie lacht: "Die griechische Dame scheint zu schmollen!
Sie kommt dem Herrn heut nicht zum Stelldichein!
Schon wollte ich der Göttin eifernd grollen,
Nun lad' ich deine Muse mir zum tollen
Wettdauerlauf um deine Liebe ein."

Schon eilt sie hin, mir jeden Plan erschlaffend;
Doch - ist's ein Spuk? - ihr nach im Sonnenschein
Seh' ich, des Chiton strenge Falten raffend,
Die Muse schweben: und ich stehe gaffend,
Und meine Verse jagen hinterdrein... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 36)
_____



Die kalten Finger

Heut hielt ich lang' die grabkühle Hand
Einer Sterbenden in der meinen:
Nun will mir's immer noch scheinen,
Ihr Frost sei mir in die Finger gebannt.

Und nun, du holdes Leben,
Mein Lieb, kommst du mit deiner Glut,
Mit offenen Armen und heißem Blut -
Und ich steh' kalt daneben?!

Nennst du mich kalt? Ich bin's nicht! Nein,
Nur meine Finger frieren
Und möchten dich nicht berühren! -
Liebe muß abergläubisch sein! 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 39)
_____



Stille der Nacht

Die Nacht hat tausend Ohren
Und allen sage ich,
Ganz in die Nacht verloren:
"O Liebste, liebst du mich?"
Die Nacht hat tausend Ohren.

Du Nacht, du heiligstille,
Geheimnisvolle Nacht,
Durch deines Schweigens Fülle,
Ist sie vielleicht erwacht!
Du Nacht, du heiligstille!

Du Nacht, was sagt dein Rauschen?
Gib Antwort, hört sie mich?
Andächtig will ich lauschen,
Voll Sehnsucht frag' ich dich,
Du Nacht, was sagt dein Rauschen? 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 40)
_____



Trotz

Meine Liebe zu verschmähen
Ist dein Recht; doch mir zu wehren,
Dich vom Herzen zu verehren,
Kann kein Gott dir zugestehen.

Denn mein Herz ist wohl dein eigen,
Doch es läßt sich nichts befehlen,
Und es ist zu stolz, zu hehlen,
Und es kann und will nicht schweigen!

Drum verzeih du meinen Wangen,
Wenn sie aufglühn und erbleichen!
Aber nie wirst du's erreichen
Und du darfst auch nicht verlangen:

Daß ich lächle, statt zu klagen,
Noch, daß Antlitz und Gebärde
Mir zum Mimenkunstwerk werde!
Denn mein Herz läßt sich nichts sagen! 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 41)
_____



Altmodisches Frühlingslied

Die Sonne lacht und es blitzt der Tau,
Und fröhliche Vögel schwingen
Sich jubelnd empor ins selige Blau;
Und mir ist, ich muß dir, du vielliebe Frau,
Ein altmodisch Frühlingslied singen:

Du hast wie ein leuchtender Frühlingstag
Dem Herzen den Winter genommen;
Da ward mein Herzschlag zum Amselschlag,
Und es lacht die Aue, es leuchtet der Hag
Und mein Lenz, mein Lenz ist gekommen!

Ich stehe in Knospen, ein junger Baum,
Und meine Äste dehnen
Sich dir entgegen in Tag und Traum.
Und ich stehe in Blüten und weiß es kaum
Vor Lust und Liebe und Sehnen...

Das ist ein altmodisch Frühlingslied,
Zum Klange der Laute zu singen.
Doch wenn's dich in meine Arme zieht,
Dann ist es ein junges Frühlingslied,
Blutjunges Frühlingslied!
Tät nimmer ein beßres gelingen! 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 43-44)
_____



Am Klavier

Spiel was von Mozart! Ich liebe dich sehr:
Spiel was von Mozart! Dann lieb' ich dich mehr!
Mädchen, von Mozartwohlklang umflossen:
Alle Schönheit liegt drinnen verschlossen.

Ich seh' auf den Tasten den hüpfenden Reigen
Schlanker Finger sich tummeln und neigen,
Zehn Finger hüpfen im wirbelsichern,
Jubelnden Tanz und die Töne kichern.

Das strömt so hell aus den Saiten heraus,
Wie Kinder aus einem dunklen Haus,
Ist rein und klar, wie Frühlingslüfte,
Und süß und innig, wie Frühlingsdüfte.

Da wird der Wohllaut zur Farbe und glitzt
Und schimmert und flimmert und leuchtet und blitzt!
Fünfhundert Falter mit funkelndem Glanze
Schweben um dich in sprühendem Tanze!

Singende Falter! Du Zauberin du,
Selig schau' ich dem Märchen zu,
Und mein klingendes Herz auf Falterschwingen
Wiegt sich inmitten den Schmetterlingen... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 45-46)
_____



Baumblüte

Der Eilzug rollt durch das blühende Elbtal.
Apfelblüte. Duft, Duft bis in den Wagen.
Mir ist, tausend weißrosa Schmetterlinge
Haben sich draußen auf die Zweige gesetzt;
So lieblich ist Apfelblüte! Wenn ein Lüftchen weht,
Schweben die Blütenfalter zur Erde nieder.
Lachende Kinder haschen nach ihnen.
Ich bin wie berauscht!
Und jetzt trägt gar der Wind eine Blüte
Mir in den Wagen. Ich fange dich, Blüte,
Und ich drücke dich, Kühle, warm an den Mund:
Gruß meiner Heimat...
Prag! Meine lachende Liebste erwartet mich.
Nun küss' ich sie. "Wie deine Lippen duften, Geliebter!"
Ich lächle beseligt. Ich fühle dankbar:
Gruß meiner Heimat... 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 47)
_____



Heißer Kuß

Nun sich im Kusse unsre Lippen finden,
Du mir so nah und alle Welt so fern!
Da sieht mein Aug' den Demant sich entzünden
An deinem rosigen Ohr, den Liebesstern.

Sein Feuer glüht, loht auf und bricht zusammen.
O Seligkeit der Liebe, ich und du!
Wir stehn in purpurroten Liebesflammen
Und ihre Glut schließt uns die Lider zu.

Mit starken Armen halt' ich dich umfangen,
Ich trinke deine Seele, du bist mein!
Was bebt dein Mund? Nein, küß mich ohne Bangen,
Du sollst an meiner Brust geborgen sein.

Sie neigt die Stirne. Durch den Spalt der Lider
Schau' ich sie an. O Welt, wie warst du fern!
Wie traulich winkt mir jetzt der Demant wieder
Am Ohr der Liebsten! Holder Liebesstern! 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 48)
_____



Gedächtnis

Wenn der Lenz die ersten Blumen streut,
Muß ich dein in stiller Wehmut denken:
Ach, wie oft, beim Frühlingsblumenschenken
Hat sich mir dein Frühlingsreiz erneut!

Mit gesenkter Wimper, rot vor Scham,
Im Beglücken frei, scheu im Empfangen,
Botest du mir deine keuschen Wangen -
Bis ein neid'scher Lenz dich zu sich nahm.

Drum so macht der erste Frühlingsgruß,
Erste Blumengruß mich tief beklommen,
Weil beim Frühlingsblumenwiederkommen
Ich der Frühverwelkten denken muß:

Bis ich unter Tränen lächeln kann;
Frühlingskinder, Tröster meiner Leiden,
So vertraut, so rein, so hold bescheiden
Schaun mich eure lieben Augen an ... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 49)
_____



Der Blick

Den sie schon ausgesandt nach mir, den Blick,
Der mir ein Glück verheißen wollt', den Blick,
Den ich ersehnte, wie den ersten Blick
Der Blindgewesene, Genesene: den Blick
Rief sie zurück im Gehn, da ihr mein Blick,
Der sie erwartende, vielleicht als Blick
Zu heischend schien, mein arm demütiger Blick,
Vielleicht zu sklavisch schien, und ließ den Blick
An mir vorübergehn, die grausame Verschwenderin!
Dort traf ihn in der leeren Luft mein Blick
Und, ihm vermählt und ausgelöscht, ihr Blick
Fiel grau und tot aufs Straßenpflaster hin
Und ward zertreten von der Menschen Füßen.
Nun steh' ich da und such' mit leerem Blick
Den lichterweckenden, den Gnadenblick
Und werde wohl mein Lebtag suchen müssen ... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 50)
_____



Genesene Ophelia

Du klare, alabasterweiße Stirne,
Darauf der Abglanz aller Keuschheit thront,
- Gleichwie im Diadem der Nacht der Mond -
Heut' bist du wieder rein, wie Eis der Firne.

Ach, hinter dir, im arg verwirrten Hirne,
Hat gestern noch ein trüber Geist gewohnt,
Der selbst so reine Lippen nicht verschont
Und sie verzerrt zum Munde einer Dirne!

Heut' sind die Lippen, die nie wissen dürfen,
Wie sie ein Dämon schänderisch mißbraucht,
Sanft und gerührt und lächeln selig wund,

Da sie erstaunt des Lebens Odem schlürfen;
Und heilig glänzt die Stirn, da nun mein Mund
Auf ihren Schnee den Kuß des Mitleids haucht... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 53)
_____



Don Juan-Menuett

Tiefsinnige Mädchenklugheit!
's ist lange her, viel lange Jahre her!
Sie denkt gewiß an mich schon lang nicht mehr!

Schwarzlockiger Mädchenkopf!
Ich traf sie in des Zimmers Dämmerschein
Endlich zum ersten, ersten Mal allein.

Tiefdunkle Mädchenaugen!
"Ich lieb' dich! Küsse mich! Mich drängt's zu dir!"
Sie wehrt mir? Flieht? Sucht Hilfe beim Klavier?

Heißglühende Mädchenlippen!
O seliger Kuß! Mir schwindet Zeit und Ort!
Hell klingt's: "Bst, bst! O schöne Masken dort!"

Tändelnde Mädchenhände!
Ich glüh'; sie spielt. In göttlich heitrer Ruh'
Spielt sie das Menuett. Du Kalte, du!

Silbernes Mädchenlachen!
Sie blitzt mich an: "Du Don Juan! Hab' ich dich?!
Hörst du das Menuett, so denk an mich!"

Tiefsinnige Mädchenklugheit!
Wie oft mahnt's mich an sie die Jahre her!
Sie denkt gewiß an mich schon lang nicht mehr ... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 54-55)
_____



Das letzte Geschenk

Warum er es tat, das war ihm nicht klar,
Ihm war nicht zum Denken zumute;
Er wußte nur, daß sie gestorben war
Und daß sie im Sarge ruhte.

Da trug er zwei Tage sein großes Weh
In die Wälder, als müßt' er was suchen,
Und fand zwei Federchen, weiß wie Schnee,
Bei des Wildsees blutdunklen Buchen.

Zwei weiße Federchen, Flügelflaum
Aus eines Schwanes Gefieder,
Die nahm er und küßte sie, wie im Traum,
Und legt sie im Sarge nieder.

Er hat sich dabei nichts Rechtes gedacht,
Er wollt' ihr zum Abschied was bringen;
Da hat er ihr die zwei Federn gebracht
Für ihre Engelsschwingen ... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 59)
_____



Das Tor der Träume

In sanften Angeln geht das Tor der Träume;
Mit Fingern eines Blinden tastest du
Dem leichten Riegel an dem Tore zu
Durch lange Gänge und durch weite Räume.

Im offnen Tor der Wunder und der Träume
Wird leicht dein Fuß, als trüg' er Flügelschuh',
Und auf beglückten Sohlen wandelst du,
Verwirrt und klar, im Schatten heiliger Bäume.

Der Garten winkt; das Paradies! Und hier -
Eva, bist du's? Mein Wunsch, mein Traum, mein Glück,
Im schlanken Ebenmaß der jungen Glieder? -

"Ich bin's!" - Ein Wirbelsturm reißt dich zu ihr
Und hebt dich hoch und schleudert dich zurück, -
Und vor dem Tor der Träume sinkst du nieder! 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 60)
_____



Junge Witwe

Das Schicksal hat ihr zertrümmert,
Was ihr das Liebste war;
Sie hat nicht geschrien und gewimmert
Und nicht gerauft das Haar,
Nein, sie ist hart geworden.

Nun kommt mit ihrer schiefen
Weisheit die Welt: "Bleib weich!
Der Schmerz wird dein Herz vertiefen,
Der Schmerz macht gut und reich!"
Wie sie die Worte ekeln!

"Das Herz wird rein durch Leiden!"
Ihr Lügner, das Glück macht rein!
Ich kann nur hassen und neiden,
Und ich bin fühllos, wie Stein!
Weh mir, und auch das ist erlogen ... 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 61)
_____



Lauschender Pan

Hinter Bäumen versteckt lauscht Pan einem Liebespaar:
"Mädchen, wie lieb' ich dich innig, wie lieb' ich dich rein und wahr!
Welch ein Wunder geschah mir! Wie fühl' ich mit staunendem Beben,
Deine Liebe, sie hat die Reinheit mir wiedergegeben!
Daß ich geruhigen Blicks dir tief in die Augen zu schauen,
Daß ich voll heiligen Glücks dich zu küssen mich darf getrauen!"

Hinter Bäumen versteckt lauscht Pan einem Liebespaar:
"Liebster, wie soll ich dir danken! Wie schau' ich jetzt alles so klar!
All mein Sehnen war wie die Wege im Abendgarten,
Die auf die Silberpantoffel des Reigens der Mondelfen warten.
Du hast mein Sehnen gestillt! Wie wunschlos ist doch die Liebe!
Und nur ein Wunsch erfüllt mich: Ach, wenn es doch immer so bliebe!"

Hinter Bäumen versteckt lauscht Pan einem Liebespaar.
Ei, wie strotzt dem Burschen der Nacken braun unterm Haar!
Hei, wie wölben die runden Brüste dem Mädchen das Mieder!
Und wie üppig fließt das Kleid von den Hüften ihr nieder!
Pan lacht auf! Das Pärchen verstummt. Die Bäume krachen.
Durch den rauschenden Wald von fernher schmettert sein Lachen ...

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 62-63)
_____



Der Sandmann

Sie standen weinend ums Bett herum,
Aber der Sterbenden Mund war stumm,
Denn mitten in ihr Klagen und Beten
War still der Tod an ihr Lager getreten.

Und sie konnt' ihn ganz deutlich winken sehn
Und konnt' es doch nimmer und nimmer verstehn,
Daß der Tod, vor dem ihr so bangte und graute,
Mit des Liebsten treulieben Augen schaute.

Und da sprach sie: "Macht doch dem Wilhelm Platz!
Ich dank' dir in Ewigkeit, Amen, mein Schatz,
Du kommst, mir wieder Gesundheit zu spenden
Und hältst gar ein hübsches Geschenk in Händen!"

Und sie lächelt ihn an mit wehem Mund,
Selbst der Tod ihren Blick nicht ertragen kunnt',
Er klopft ans Sandglas; da barst es. Und nieder
Rieselt der Sand auf die müden Lider.

Da schlief sie ein, den tiefen Schlaf,
Darin sie die Sense des Sandmanns traf.
Und sie hörten sie gar nicht seufzen und röcheln.
Um ihren Mund war das selige Lächeln ... 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 65-66)
_____



Zwei Töne

Auf dem braunen Zweig des kahlen Baumes,
Der mein Fenster streift, sitzt nun ein Vogel
Jeden Früh.
Er ist jung und übt mit großem Eifer
Eine neue, aber gar nicht leichte
Melodie.

Nur zwei Töne; mit gesenktem Köpfchen
Probt er immer wieder diese neue
Melodie.
Wie ein junger Priester bei der Messe
Beugt er sich zum Zweiglein und ist fleißig
Jeden Früh.

Aber heute, da die Sonne leuchtet,
Übt er nicht mehr, heute singt er seine
Melodie:
Frühling heißt sie! Und ein grünes Knösplein
Hat er aus dem Zweig herausgesungen
Heute früh. 


aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 67)
_____



Lied des deutschböhmischen Mädchens

Der Pawel von den Böhmischen drüben,
Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn nicht.
Er sagt mir und klagt mir, ich müsse ihn lieben,
Und nennt mich "mein Täubchen" und "Engelsgesicht".

Und - spricht er - sein Herz sei ihm schwer zum Brechen,
Vor mir sei er niedrig und sei doch sonst stolz,
Wie so die Böhmischen eben sprechen,
Und "dich möcht' ich küssen, wie's heilige Holz".

Und tausend so Worte, und er nimmt sich's zum Herzen
Und steht alle Abend vor unserem Haus;
Und er tut mir auch leid und ich glaub' seine Schmerzen,
Und er sieht wie die Leiden Christi aus!

Und doch, sein Schmeicheln und Betteln und Klagen
Geht mir kein bissel ins Herz hinein,
Und ich weiß einen Burschen, der müßte nichts sagen,
Nur wollen: so wär' ich vom Herzen sein! 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 79-80)
_____



Alleesonett

O du Allee aus jungen Greisenbäumen,
Wie lieb' ich dich als stillen Zufluchtsort
Mit deinen märchendunklen, kühlen Räumen,
Fernnah der Großstadt überlautem Wort!

Kein Sommer glüht in dir, kein Herbst verdorrt,
Die Wandrer Lenz und Winter aber säumen
Und gehn nur zögernd, ungern aus dir fort:
Wer dich betritt, sinkt gleich in tiefes Träumen.

Nur andre Einsame begegnen mir,
Die mich, mit sich beschäftigt, gar nicht sehen
Und, dunkle Schatten, durch das Dunkel gehen.

Heut trifft mich hier ein Freund. "Was tust du hier?"
Staunt er mich an. Ich, ohne Wimpernsenken:
"Ich? Ich geh her an meine Liebste denken ..."

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 89)
_____



Weißer Nacken

Ein Saal voll Beethovenergriffenheit.
Ich fühl's, wie allen rings das Aug sich feuchtet,
Wie aus den Seelen ihr den Alltag scheuchtet,
Wie ihr jetzt alle fromme Dichter seid.

Und doch, so einsam ihr euch alle deuchtet,
Ich seh entzückt, zum Küssen nah, doch weit,
Wie vor mir warm und weich, aus dunklem Kleid,
Ein Schnee im Mondschein, weiß ein Nacken leuchtet.

Ein Frauenhals, so hold und heiß verlockend,
Mein Sünderherz, im warmen Busen stockend,
Nicht höchste Kunst kann jetzt dein Glühn verwehn.

Ihr Lauscher rings, die jetzt der Rhythmus adelt,
Lauscht, lauscht! Ich trag's, wenn ihr mich tadelt!
Mich laßt nur schaun und ganz im Schaun vergehn ...

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 90-91)
_____



Der Liebesblick

Im Kreise deiner Freundinnen standst du,
Nicht weit von euch bei meinen Freunden ich.
Scheinbar ganz sein, nickt' ich dem Sprecher zu,
Doch mit der Seele sucht' ich dich, nur dich.

Wenn sie jetzt herblickt, flüstert es in mir,
Herblickt nach mir - ums Herz ward mir ganz heiß -,
Als Botschaft nehm' ich es, als Gruß von ihr,
Als ihrer Liebe heiligen Beweis.

Und da, da kam dein holdes, sanftes Kinn
Der keuschen Rundung deiner Schulter nah,
Ein rascher Augenblick, ein Her und Hin,
In Flammen, glühend stand ich selig da.

Mich sieht dein Aug', mich, mich erwählt dein Blick!
Halt' aus, du Brücke, Steg von ihr zu mir!
Du trägst auf dir ein unermeßlich Glück,
Und alle Engel schweben über dir!

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 91)
_____



Lauscherandacht

Sprich, Liebste, sprich! Laß mich die Augen schließen,
Ich will ein Blinder sein, der klangberauscht
Den Wunderquell sanfter Musik belauscht,
An dessen Rand ihm alle Blumen sprießen.

Einst mag mir Trost aus deinen Worten fließen,
Wenn meine Liebesandacht mir verrauscht
Und uns das Leben Lieb' in Freundschaft tauscht;
Heut will ich deiner Stimme Klang genießen.

Dereinst mag sich dem Klang, der mich beglückt,
Die edle Frauenklugheit hold verbünden,
Wie im Choral sich Klang und Weisheit eint.

Doch heut laß mich nur lauschen, erdentrückt,
Und mit den wachen Ohren eines Blinden,
Dem die Musik Klang, Licht und Farbe scheint ...

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 91-92)
_____



Liebchens Heimkehr

Mädchen, warst Wochen im Wald.
Nun kehrst du heim, die Gestalt
Tannenschlank, waldduftumflossen,
Hellgrünen Waldwiesenschein
Bringst du zur Stadt mir herein
Drein mich mein Sommer verschlossen.

Mädchen, neig' nieder dein Haupt,
Was ich nie möglich geglaubt,
In deinem Aug' kann ich's finden.
In deinen Augen ist Wald,
Dunkel träumender Wald,
Drin laß mich selig verschwinden ...

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 92)
_____



Der Alternde

Ich hatte jetzt nach liebesöder Zeit,
Die mein Gemüt verdorren ließ zur Wüste,
Ein Traumerlebnis voller Zärtlichkeit,
Die mich mit aller Glut der Jugend grüßte.

Ganz Weib, nur Weib, so standest du vor mir,
Und ich vor dir, dir wortreich Treu zu schwören:
Doch wortlos zogst du mich empor zu dir,
Um mir, ganz hingegeben, zu gehören.

O Seligkeit, mein Herz stand hell im Brand,
O Glück der Zärtlichkeit, die nicht erkaltet!
So lieg' ich da, erwacht, dankübermannt
Und fromm die Hände auf der Brust gefaltet ...

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 92-93)
_____


Ferngruß

Tag- und Nachtfahrt hinter mir,
Alpenglanz in wachen Blicken,
Drängt es mich, Geliebte, dir
Meinen Ferndrahtgruß zu schicken.

Ein paar Worte: Namen, Ort;
Denke dein, du innig Süße,
Alles blüht hier, Baum wie Wort,
Liebe blühn sie. Tausend Grüße.

Aus dem Postamt tretend, steh'
Ich im Alpensonnenblitzen.
Auf dem Ferndraht droben seh'
Singend ich die Amsel sitzen.

Was du singst aus voller Brust,
Jetzt nur heb' nicht deine Schwinge!
Liebe, Freude, Daseinslust,
Amselfreundin, singe, singe!

Klammre um den Draht den Fuß,
Amsel, sing aus vollster Kehle!
Durch den Draht surrt jetzt mein Gruß,
Amsel, gib ihm deine Seele.

Daß, den Ferngruß in der Hand,
Meine Liebste lacht vor Freude:
Ahnt sie ja nicht, daß wir beide,
Du und ich, ihn abgesandt.

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 93-94)
_____



Glühender Morgen

Da du mit mir dies schlichte Lager teilst,
Du heißgeliebtes, königliches Weib,
Mit mir glutspendend in den Morgen weilst,
Ward königlich durch dich mein schwacher Leib.

Und da der Morgen nun durchs Fenster bricht,
Wie sagt Ahn König David: "Hab's nicht not,
Daß mich zum Wachsein weckt das Morgenlicht;
Ich selbst, ich selber weck' das Morgenrot."

Ist das nicht schön? Doch du bist müd'. Schlaf ein!
So sag' ich's anders königlich: O Glanz,
Du magst dem Volke rings der Morgen sein!
Ein Wink von mir, so bist du Mondenschein
Und flichst uns in das Haar den Schlummerkranz!

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 95)
_____

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Salus

 





 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite