Richard von Schaukal (1873-1942) - Liebesgedichte

Richard von Schaukal



Richard von Schaukal
(1873-1942)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 




Traurige Mär

Ich gab mein Herz einem blonden Kind.
Sie nahm's und lachte.
Ich wußte nicht, wie Kinder sind,
ich freute mich und dachte:
"Nun legt sie's zärtlich in den Schrein
und wird's verwahren."
Sie aber warf's in den Tag hinein:
der Stundenwagen fuhr polternd drein -
da ward es überfahren.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 70)

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Nachklang

Als ich dich liebte, damals, o wie war
voll Duft und Glanz dein flockenleichtes Haar,
wenn meine Finger selig es durchbebten!

Ich weiß nicht mehr, ob deine Augen blau
wie früher leuchten, kleine Frau,
als sie im Lichte meiner Liebe lebten.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 78)

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An Fanny

Ich hab dich lieb. Warum? Warum?
Weil es hat müssen kommen.
Ich schau mich nicht nach Gründen um.
Weil ich dich lieb hab, Kind, darum
hab ich dich mir genommen.

Und wehrtest du dich gegen mich
auch trotzig mit Gedanken,
ich küsse dich, und du hast mich
ja doch gemocht. Und so hab ich
mich gar nicht zu bedanken.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 80)

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Kleine Frau

Deine Augen in Tränen, kleine Frau,
sind wie der Enzian im Tau.

Deine Augen, wenn sie lachen und blitzen,
sind sonnenfunkelnde Berberitzen.

Dein Mund, wenn er Alltagsdinge erzählt,
ist ein Rothengst, der im Geschirr sich quält.

Dein Mund, wenn er küßt und von Liebe spricht,
ist ein reimetrunkenes Lenzgedicht.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 82)

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Huldigung des Chevalier de ... an die Duchesse de ...

Wie volle weiße Maienblüten,
rund und mit rosigen zarten Spitzen,
sind deine jungen Brüste, Geliebte.

Über dem schmalen geschmeidigen Leibe
stehen sie hoch und reifen schwellend,
süße Granaten am biegsamen Stamme.

Du beugst dich und sie senken sich ruhig.
Du kniest und über die weichen Arme
gleiten sie mit den rosa Schnäbeln.

Du stehst und wirfst mit erhobenem Kinne
dein widerwilliges Haar in den Nacken:
stolz fordernd heben sie sich und starren.

Birgst du die drängenden in Spitzen und Seiden,
steigen sie wie aus Nebelschleiern
weiße Kuppeln stiller Bergestempel,
ungebändigt unter den scheuen Hüllen.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 85)

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O süße Sehnsucht

O süße Sehnsucht, holdes Leid,
im Herzen dein Flattern und Drängen!
Ich glätte darüber mein Alltagskleid,
die Flügel dir zu zwängen.

Da willst aus meinen Augen dich,
Gefangene, ergießen:
Geliebte, lächelnd laß sie mich
mit glänzenden Fenstern verschließen.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 138)

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Walzer

Halt ich im Arm dich wie einst?
Haucht mir wie damals die Wange
zärtlich dein Atem im Flug?
Der ich dich Feinste umfange,
wie du mein Eigen mir scheinst,
lieblich schwindender Trug!

Schimmert mir duftig dein Haar,
such ich die Augen, die blauen,
drück ich die schmiegende Hand?
Bin ich dir, der ich dir war?
Laß mich dem Spiegel vertrauen,
drin ich uns wiederfand.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 178)

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Gedenktag

Sonne schien wie heute hell,
da wir - ist es schon so lange? -
zwischen Halmen schritten. Bange
war das Herz und schlug uns schnell.

Aber als wir Hand in Hand
legten, still zurückzugehen,
sahn wir erst ihr Leuchten stehen
über dem beglänzten Land.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 179)

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Damals

Sonntag war's. Wir gingen durch das Korn,
wo verborgen blaue Blumen brannten.
Ob sie deinen Blick zu Boden bannten?
Unsichtbare Grillen sangen vorn.

Folgten wir dem lockenden Getön?
Was ich zu dir sprach, hab ich vergessen.
Was du schwiegst, kannst du es noch ermessen?
Sommer war es, und die Welt war schön.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 200)

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Und es ist doch Liebe ...

Was die Menschen sagen,
weiß ich alles schon,
aber was sie tragen,
flüstert kaum ein Ton.

Und es ist doch Liebe,
was zusammenhält,
die sonst sinnlos bliebe,
diese wirre Welt.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 226)

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Nur die Liebe

Nur die Liebe, die im Herzen lebt
und sich unerschöpflich draus ergießt,
also daß es bebend überfließt
und im Spiegel ihres Stromes schwebt,

nur die Liebe, die sich nie erfüllt
und vergebens Ewigkeit ersehnt,
ist das Band, das sich hinüberdehnt,
wo sich einmal aller Sinn enthüllt.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 244)

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Los der Liebe

Liebe blüht und reift gleich einer Frucht,
ihrem Stamm und ihrer Art getreu:
sie gedeiht in stiller Eigensucht
sich zu Lust und Leiden ohne Reu.

Weh ihr aber, wann sie wahnentbrannt,
statt sich darzubringen, fordern mag,
von der eignen Fülle weggewandt,
andern lauschen will als ihrem Schlag!

Der ihr gnädig sonst, der Gott, vergibt
zürnend nimmer solche Ungebühr,
und er züchtigt, die um Liebe liebt,
hart als ihr Entgelt mit Haß dafür.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 248)

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Am 20. August
An Fanny

Laß mich dir den fernen Tag beschwören,
dessen Stunden uns allein gehören!

Wieviel Jahre sind seitdem vergangen,
als wir unser Leben angefangen!

Siehst den See du noch, den, tief verschwiegen,
einst in Gipfelnähe wir erstiegen?

Lag's nicht so vor uns, ein stiller Weiher,
eingehüllt in lichte Morgenschleier?

Alles war dem blinden Blick verborgen:
Glück und Leiden, Seligkeit und Sorgen.

Wallend hat das Dunkel sich erschlossen,
seine Gaben ohne Wahl ergossen.

Und wir haben sie dahingenommen,
dankbar oft und manchesmal beklommen.

Aber Wunder, unter seinem Siegel,
was er bot, behält derselbe Spiegel.

Was in Wirklichkeit hervorgegangen,
hat er als getreues Bild gefangen.

Und wir schaun es wieder in dem Weiher,
der sich langsam hüllt in Abendschleier.

Laß mich dir den fernen Tag beschwören,
dessen Stunden uns allein gehören!

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 256)

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Gebet

Mein Gott, gewähr mir Eines,
ich bitte sonst um nichts:
im Glanz des ewgen Lichts
flackert verstört mein kleines.

So fleh ich tausendmal:
Erhalt mir meine Qual,
laß mich in meiner Pein
vor Liebe selig sein!


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 264)

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Aus der Tiefe
Meiner Frau

Aus der Tiefe meiner Leiden,
meines Elends, meiner Not,
ruf ich mit erhobnen beiden
Händen nach dem Retter Tod.

Alles kann ich wunschlos meiden,
was sich mir im Leben bot:
nur von Dir zu früh zu scheiden,
ist der Schatten, der mir droht.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 281)

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Damals

Als die Linden am Wege blühten
und fern die Kuppen der Berge glühten
und leise Luft
von den Höhen her
um die Wangen mir schmeichelte
alles in Morgenduft
wie in Schleiern lag
zärtlich erschauernd vor dem Tag:
damals ...!
O ihr rotblühenden Hecken der Träume
wie sind meine Augen müd von Tränen
wenn ich erwache vor Sehnen
vor Sehnen ...

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 14)

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Der Braut

Mit weissen Schuhen weissen Schleifen
Myrthen in den weichen Haaren
gehst du gegen alle Gefahren
die nach uns greifen.

Und unterm Schleier wirst du schauen
mit bangem Blick auf hohe weisse Kerzen
mühsam mit heftig kämpfenden Brauen
scheuchst du die Tränen nach deinem Herzen.

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 27)

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Du

Wie aus tiefen Wäldern bist du
wo keine schweren Menschen gehen·
wie in der Waldquelle
seh ich mich rein und wahr in dir.
Ich bin ein heisser unzufriedener Mensch
mit einem herrischen Kinderherzen.
Tau liegt auf meinen Haaren aus den
Nächten der Sehnsucht·
meine Hände zittern nach Glück.
Und meine Seele kann fliegen
hoch über den Tagen:
ich seh ihr nach und staune
lächle und weine.
Manchmal aber bin ich wie ein König ...
Und alles ist dein·
dein ward es ohne Schenken·
du kamst und es war dein·
ich bin so sicher dein zu sein mit allem.

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 28)

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Über deine Augenlider
zärtlich sacht
strich mit weichem Flaumgefieder
der Wundervogel der Nacht.

Seine grossen grünen Schwingen
sind von Träumen schwer.
Horch: er will singen
von Palmenwäldern und seltnen süssen Dingen·
weit weit kommt er her ...


Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 30)

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Sommerabend

Lautlos tanzt ein Mückenschwarm
wirbelnd in der Sonnenschräge·
kommt ein Lied im Lindenduft
sonntagabend bang und träge
durch die laue weiche Luft
leise her aus den Alleen
wo die jungen Mädchen gehn
Arm in Arm ...


Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 31)

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Morgen

Und aus der tiefen dunkeln Nacht
beladen schwer mit Schweigen
bin ich im grossen Licht erwacht:
verwunden Traum und Schwüle·
die grünen Blätter schwanken
in klarer Morgenkühle
und tau-beseligt neigen
die Rosen sich und danken·
die Welt steht hell in Gnaden.
Nun Herz tu ab dein Bangen:
sieh rings auf allen Pfaden
bist du beglückt empfangen.


Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 32)

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Dein

Ich bin nun ganz dein eigen und noch mehr:
mit deines jungen Lebens Last beladen·
der Schatten deiner Seele schon ist schwer
wenn Tränen deine lieben Augen baden.

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 34)

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Meiner Frau

Dein Bild aus frühern Tagen
das ich so lange trug:
ich kann mich nicht genug
nach seinen Zügen fragen.

Du bist mir so vertraut
dass die Vergangenheiten
sich dicht wie Schleier breiten
um eine Perserbraut.

Nur denken darf ich mich
in jene fernen Stunden
da ich Geliebte dich
noch als mein Ziel empfunden.

Nun bist du schon so sehr
mit meinem Tag vereinigt:
wie Wanderschaft gepeinigt
begreift mein Glück nicht mehr.

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 37)

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Dir

Noch hat es viele Möglichkeiten·
dies unser Leben ist so reich!
Lass uns vertrauend weiterschreiten
in hoher Sonne Strahlengleiten:
was kommen mag wir tragen gleich.

Und unsrer Liebe gutes Zeichen
ist über unsern Pfad gestellt·
das leuchtende darf nicht erbleichen:
das Herrlichste was wir erreichen
liegt doch im Kreise unsrer Welt.

Aus: Richard Schaukal Ausgewählte Gedichte
Erschienen im Insel-Verlag Im Jahre 1904 (S. 71)

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An meine Frau

Lass, Vertrauteste, zusammen
uns den steilen Pfad ersteigen:
meine Sehnsucht wird in Flammen
wallend uns die Wege zeigen.

Schatten schleichen in den Talen,
drücken auf die dumpfen Tage.
Mich verlangt nach heissen Strahlen,
der ein heisses Herz ich trage.

Nebelt's gleich aus schroffen Schründen,
spreizen sich die Hindernisse:
unter Hängen, neben Schlünden
wag ich mich ins Ungewisse!

Aus: Richard Schaukal Buch der Seele Gedichte
Bei Georg Müller München & Leipzig 1908 (S. 4)

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An die Schönheit

Ich möchte die Schönheit in mich trinken,
die Schönheit, die schon meiner harrt.
Wo bleibst du, sagt sie, ich steh erstarrt,
und ich will erweichen und will versinken
in eine lebende Gegenwart,
ich will in einen untertauchen,
der mich nicht allen andern zeigt,
der mich verschlingt und mich verschweigt,
aus seinem Atem will ich hauchen
und wie vergangen in ihm ruhn,
auf dass er mich erst wieder dichte,
ich will in seinem Augenlichte
und auferstehn in seinem Tun.
Denn diese, die da suchend schleichen,
sich bücken, näher mich zu sehn,
und mich umwandeln auf den Zehn,
mich messen und mit sich vergleichen,
ach, alle diese sind wie Diebe,
ihr Blick, wenn er sich hebt, entweiht.
Ich aber bin alt wie die Zeit
und unbesiegbar wie die Liebe
und gross wie Gottes Schöpfersinn,
und weil ich unermesslich bin,
will ich in einem untergehn,
der unersättlich ist an mir,
nicht ein getragenes Panier,
nicht eine Helm- und Panzerzier,
als eine Flamme will ich wehn
aus ihm für mich und er aus mir.

Aus: Richard Schaukal Buch der Seele Gedichte
Bei Georg Müller München & Leipzig 1908 (S. 22)

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Seele

Sehnend schau ich hinaus:
riefst du mich, liebliche Seele?
Bang in der hämmernden Kehle
fühl ich das lastende Haus.

Schwingen wachsen mir schon.
Seele, Seele, ich nahe!
Dass ich dich wieder empfahe,
kündets der bräutliche Ton?

Wellen heben empor
sich aus dem bleiernen Weiher.
Flatternd zerreissen die Schleier
mir um Auge und Ohr

und ein Dröhnen im Blut
kündet die seligste Feier:
Seele, wie flammt dein Freier!
Herz, wie stürmt deine Glut!


Aus: Richard Schaukal Buch der Seele Gedichte
Bei Georg Müller München & Leipzig 1908 (S. 30)

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Wiedersehen

Wenn in den reineren Regionen
sich deine Seele meiner eint,
wird Lächeln in uns beiden wohnen,
das hell die Erdenform durchscheint,

wird seliges Erbeben künden
von gnadenvoller Reinigung:
hoch über zweifelengen Schlünden
hält uns der ewige Flügelschwung.


Aus: Richard Schaukal Buch der Seele Gedichte
Bei Georg Müller München & Leipzig 1908 (S. 33)

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Manchmal mein ich es zu halten
mitten in der Nacht,
was in wechselnden Gestalten
mich so selig macht.

Und es ist mir dann am Tage
unter meinem Kleid,
dass ich etwas an mir trage,
das von Ewigkeit.


Aus: Richard Schaukal Buch der Seele Gedichte
Bei Georg Müller München & Leipzig 1908 (S. 35)

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Pierrot und Colombine
oder
Das Lied von der Ehe
1902

Dem Geiste des Watteaus in Andacht

Mai

Bist du endlich gekommen,
rosenfingriger Mai?
Töne deiner Schalmei
sind in Lüften geschwommen.

Leise sind an den Bäumen
in einer seligen Nacht
aus verschlafenen Träumen
weiße Blüten erwacht.

Hoch vom Himmel hernieder
spannt sich leuchtendes Blau,
und in glänzendem Tau
funkeln die Gräser wieder.

Schauernd gleitet der Bach
unter den Küssen der Winde,
stärker schon rauschen der Linde
Wimpel über dem Dach.

Über Wald und Wiesen
liegt der Mondenschein,
zögert an den Fliesen
in das Haus hinein.

Rings an Zaun und Bäumen
Käferfunkelpracht,
stummes Tagesträumen
atmet durch die Nacht.

Pierrot mit leiser Mandoline
flötet klagend in der Maiennacht
unterm Fenstersims von Colombine,
die vom schmeichelnd-süßen Klang erwacht.

Alle Apfelbäume stehn in Blüte
silberzart und mondscheinschleierweiß.
Nach der großen Schokoladentüte
tastet sie verschlafen, träumeheiß.
(S. 11-12)
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An Colombine

Ich möchte leise weinen
in duftende Blumenkelche,
die Blumen zum Strauße vereinen
und dir auf die Kissen legen

und kommt die Nacht gegangen
auf leichten Flügelsohlen,
dann duftet mein heißes Verlangen
aus offenen Blumenkelchen.
(S. 13)
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Vor dem Tore

Vor dem Tore auch ist Lenz,
junges Volk muß tanzen.
Kommt der Pfarrer: Reverenz
vor dem Würderanzen.

Glockenklang und Ringelspiel,
Bretzen, Marzipane,
Tusch und Flatterfahne,
Kasperle und Kletterziel.

Pierrot gebeugt und blaß
schleicht sich durch die Menge,
einsam im Gedränge:
lieber Leser, merkst du was?
(S. 14)
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Ballfest

Bei dem Schmettern von Trompeten
und dem Silberton der Geigen
dreht sich fröhlich schon der Reigen,
Hände fiebern, Seufzer steigen.
Pierrot ist auch gebeten:
höflich naht er mit Verneigen.

Seine puderbleiche Miene
wandelt grinsend sich zu Fratze,
und er schlängelt sich zum Platze
mitten durch das Schuhgekratze:
die beringte Kätzchentatze
reicht ihm gnädig Colombine.
(S. 15)
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Werbung

Mein Fräulein, ich bin, so viel ich weiß
Ihnen nicht unbekannt,
und bin, vergeben Sie, selten heiß
in Liebe zu Ihnen entbrannt.

Ich bin ein guter Kerl, Sie
werden mich bald verstehn.
Ach wenn Sie wüßten, Süße, wie ...!
- doch lassen wir das jetzt gehn.
(S. 16)
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Mondnacht

Auf verstimmter Leier
klimpert Pierrot,
und ein Kater-Freier
lockt hoch irgendwo.

Die Akazienbäume
duften mit Gefühl,
rings die Nacht ist schwül
und beschäftigt Träume.

Dichter zählen Reime
an den Fingern her;
fest beim Gerstenschleime
sitzt die Bürgerwehr.
(S. 17)
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Vorfrühling

Gurgelnd geht der kieselklare
morgensonnenlichterhelle
breite Bach im sanften Tale,
frühlingsstark in Glitzerschnelle.

Über den smaragdnen Auen
aus den gelbgestrichnen Höfen
flattern die gemütlich blauen
Wolken dicht von Herd und Öfen.

Pierrot steht auf der Brücke,
lauscht dem Schnatterruf der Enten,
einem kleinen arg verflennten
Kinde reicht er Kupferstücke.
(S. 18)
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Die Trauung

Und Colombine an der Seite
tritt Pierrot zum Traualtar.
Er fragt sich bebend: ist es wahr,
daß ich sie heut hieher begleite?

Die weißen Kerzen flackern leise
der Monsignore aber spricht:
nun sagen Sie distinkter Weise:
wollen Sie diesen oder nicht?
(S. 19)
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Abreise

Pierrot im gelben glatten
knöchellangen Regenrocke
mit dem dicken Staudenstocke
wirft wohlsituierte Schatten.

An dem Schalter löst er Karten,
und er zahlt stets mit Banknoten;
abschiednehmend breite Pfoten
legt die Dogge auf die zarten

Schultern Colombinens eben,
und Jean Jacques, der feiste brave
nagelneu livrierte Sklave
hat fünf Koffer aufgegeben.
(S. 20)
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Sorrent

Vor dem leichten Balkone
dehnt sich glänzend das Meer,
ein Segel leuchtet her:
es ist nicht ohne.

Gelbe Orangen hängen,
auch gibt es Pinien hier
in Mengen:
das kennen wir.
(S. 21)
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Siesta

Im beizenden blauen Rauche
ägyptischer Zigarette
liegt träumend auf dem Bauche
Madame Pierette.

Ein grünes türkisches Kissen,
zierlich mit Gold gestickt,
drei schlanke hohe Narzissen
ihr müdes Auge erblickt.

Leis über das Mauerlaub
durch eine grüne Vitrage
schleicht Flimmern von Sonnenstaub
zitternd zu ihrer Visage.
(S. 22)
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Seegondelieren

Drei weiße Schwäne ziehen Colombine
auf fliederblütenüberschneitem See.
Sie schlürft mit schlaffen Lippen Grenadine
und knuspert fatiguiert ein Praliné.

Am Steuer sitzt, vom Lieben bleich und hager,
mit aufgerißnen Augen Pierrot
und hält ein Windspiel, rosarot und mager,
am Silberhalsband, namens "A-pro-pos".
(S. 23)
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Die Hängematte

In einer Hängematte ganz entkleidet
im flockenleichten Hemde Colombine,
und Pierrot, der ihr die Nägel schneidet
mit angstdurchbebter Dilettantenmiene.

Er spitzt mit einer Schere ihr die Krallen
die rosaroten zierlich-zarten Zacken.
Ein weißer Kakadu sitzt ihr im Nacken
und rollt die Augen rot wie Blutkorallen.
(S. 24)
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Geburtstag

Colombine hat Geburtstag heute.
Pierrot sitzt im Geschenkehafen,
ehrerbietig harrt die Dienermeute,
und sie naht in Spitzen und verschlafen.
(S. 25)
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Die neue Katze

Eine große graue Katze
schenkte seiner Colombine
Pierrot. Mit Gönnermiene
gab sie ihm den kleinen Finger
ihrer weichen Sammettatze,
küßte dann den Rattenschlinger,

und mit ihrem kleinen Munde
reicht sie dem großen Schnurrer
Zuckerstückchen: "Siehst du, Murrer",
sprach sie zu dem dicken Tier,
"dieses ist mein Gatte hier,
und nun komm zu meinem Hunde."
(S. 26)
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Der Dachs

Mit ihrem weißen schwarzgefleckten Dachs
spielt auf dem Perserteppich Colombine:
sie kleidet ihn mit einer Krinoline
aus jais-besätem weichen Seidenlachs.

Auf seinen Kopf stülpt sie ihr Seidenhäubchen
und legt ihn sorgsam in das Ehebett:
"Lieg still, mein Pucki, kusch dich, Turteltäubchen,
du bist jetzt Gattin, spiel die Rolle nett!"
(S. 27)
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Familienszene

Der Mond schleicht auf dem Balkone
mit seinem traurigen Licht,
wie eine Wassermelone
ist sein bleiches Gesicht.

Er preßt es an die Scheiben
und leuchtet ins Zimmer herein,
Pierrot lädt ihn zum Bleiben
mit einer Verbeugung ein.

Im Lehnstuhl Colombine,
umlagert von Katze und Hund,
steckt jedem eine Rosine
abwechselnd in den Mund.
(S. 28)
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Theater

Gehen wir, sprach Colombine,
gehen wir heut ins Theater:
erst ist Tanz und Pantomine
und zum Schlusse speit ein Krater.

Und es sind erhöhte Preise
und man geht tief dekolletiert,
hoffentlich auf diese Weise
ist man köstlich amüsiert.
(S. 29)
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Vom Ehebette aus

Die Schatten werden schmal und bleich,
der Spiegel dunkelsatt:
nun ist erst alles reich und weich,
gedämpft, rund, ruhig, matt.

Nur auf der Ampel vor dem Bett,
die Messingstreber heben
glänzt ein gemeines Leben,
gelb, glatt, gesellig, fett.
(S. 30)
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Märzschnee

Und über Nacht fiel Frost, die Blumen starben,
der Garten deckte sich mit bleichem Schnee,
die Lindenknospen in der Flußallee,
die sich hervorgewagt, verdarben.

Und Pierrot kommt stark verschnupft nach Haus
zum großen Ärger von Frau Colombinen:
"die rote Nase ist mir stets ein Graus,
und deine Augen sind ja wie Rosinen!"
(S. 31)
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Palmsonntag

Palmkätzchen an den Kirchenstufen
bieten die Bettelweiber aus,
und unter ihren lauten Rufen
strömt vieles Volk ins Gotteshaus.

Gemessen, zaghaft wie ein gutes
vom Morgenschlaf hold ausgeruhtes
bescheidnes Kind voll Osterbangen
mit zarten knospenroten Wangen

tritt Colombine durch die Hallen
gesenkten Hauptes. Mit der Linken
läßt sie die Seidenröcke fallen:
hier innen schweigt das Wadenwinken.
(S. 32)
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Ostern

Geht ein starker Fiedelstrich
schütternd durch die Herzen,
an den Bäumen feierlich
leuchten Blütenkerzen.

Grüner warmer Wiesenglanz,
Bach und Flüsse stürmen,
Schwalbenschwarm und Mückentanz,
Glocken von den Türmen.
(S. 33)
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Haustheater

Heute abend wird sich Colombine
aphroditengleich dem Publikum
auf der Bühne zeigen: Melusine
heißt das neueste Dramatikum.

Ängstlich putzt die elfenbeinern glatten
Kerzen an den Wänden Pierrot,
riesengroß und zitternd wächst sein Schatten,
und der Saal erfüllt sich gästefroh.
(S. 34)
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Colombinens Sekretär

Weißer Lack mit feuergoldnen schlanken,
zart verzweigten feinen Pflanzenranken,
mitten drin ein großer Silberschwan.

Eine grüne wie gehauchte Vase,
und zwei Lilien in dem kühlen Glase
sehen sie mit bleichen Blicken an.
(S. 35)
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Cassander
(Entrée)

Ich bin ein moderner Dichter
und beuge mein Genick
vor der allmächtigen Clique
und der souverainen Kritik:
sie ist mir Berater und Richter.

Mein großes Ziel auf Erden
ist die erhabene Clique,
der Polsterstuhl der Kritik:
dann wird mein gebeugtes Genick
schon wieder aufrecht werden.
(S. 36)
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Hazard

Um einen Tisch aus Mahagoni sitzen
gesenkten Hauptes die drei Kartenspieler.
Die Ringe an den magern Händen blitzen,
und Pierrot ist der Gewinnerzieler.

Da, wie sein Blick sich von dem Haufen Golde
verschlafen hebt, sieht er im Spiegel lüstern
sein Weib Cassander winken; ach die Holde
steht hinter ihm mit hochgezognen Nüstern.
(S. 37)
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Colombine spricht zu Pierrot

Im Walde das Vogelsingen
ist gar so ennuyant.
Reim drauf noch "Quellenspringen"
und "deutsches Vaterland",

sing auch vom "blauen Himmel"
und noch vom "Sonnenschein",
bald wirst mit dem Gebimmel
ein "teutscher Tichter" sein!
(S. 38)
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Konversation

Cassander kommt zu fragen,
wie es Frau Colombine
gegangen in den Tagen
da sie bei der Cousine.

Sie sitzt im Morgenkleide,
hat nichts darunter an:
die blütenweiße Seide
ist nur ein Hüllenwahn - -
- - - - - - - - - - - -

"Wir waren lauter Frauen,
es war kein Mann dabei,
wir spielten mit einem grauen
reizenden Papagei."
(S. 39)
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Gespenster

In der Nacht
über ein Rascheln erwacht
aufrecht im Ehebette
sitzt Pierrot und weint;

silbern scheint
tröstender Mond durchs Fenster:
leer ist die Lagerstätte,
draußen tuscheln Gespenster.
(S. 40)
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Ahnungen

Mit den weiten Pantalönern
wandelt in den Prunksalönern
seiner Gattin Pierrot,

und er sieht mit Scham und Schrecken
starke Hirschgehörne stecken
über seinem Bilde: o! ...
(S. 41)
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Gedanken

Wie blau und duftig ist die Nacht:
sie flutet wie weiche Seide.
Der Wind schläft im Getreide
und atmet sacht.

Die Sterne zittern und zappeln
und zerren an ihrem Band.
Die schwarzen schweigenden Pappeln
wandern weit ins Land.

Auf einem Meilensteine,
das Haupt in die Hand geneigt,
den Ellenbogen am Beine,
sitzt Pierrot und schweigt.

Er schweigt vor lauter Gedanken,
die zittern und zappeln im Hirn,
er trommelt mit den schlanken
Fingern an seiner Stirn.

Der Wind hat sich erhoben,
steigt langsam aus dem Korn.
Der Mond hat sich verschoben:
die Schatten sind jetzt vorn.
(S. 42)
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Ausflug zur Ruine

Im Burghof bei Rabengeflatter
wird heute das Frühstück serviert:
vielstimmiges Damengeschnatter
Käuzchen und Eulen geniert.

Wo sich verkrüppelte Hecken
längs des Grabens ziehn
mit Necken und Verstecken
Pärchen lachen und fliehn.

Beim Braten der Kartoffeln
berußt sich Pierrot,
mit klappernden Pantoffeln
facht er das Feuer loh.
(S. 43)
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Der Lauscher

Die Nacht ist lau, die Glitzer-Sterne blitzen,
die schwarzen Pappeln spiegeln sich im See.
Auf der Terrasse mit Cassander sitzen
sieht Pierrot sein Weib - im Negligé.

Behutsam schleicht er sich zum Lindenbaume
und klettert in das dichteste Geäst,
von wo er zitternd wie im Fiebertraume
mit keinem Blick das Liebespaar verläßt.

Bei jedem Kusse zuckt sein Herz getroffen,
er klammert sich am Stamme fest und zählt,
mit schmalen Lippen, und ihr Haar ist offen,
sie hat sein Lieblingsnachtkorsett gewählt.
(S. 44)
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Einsamer Kummer

"Milder Mond mit matter Miene,
du verstehst mich jedenfalls:
küßtest du doch oft den Hals
meiner Gattin Colombine.

Sänftige mit Glanz und Gnade
mein verworrenes Gemüt!
Ach es ist doch wirklich schade,
daß für sie mein Herz noch glüht!"

Also an der Gartenmauer,
die mit Scherben scharf geschmückt,
monologisiert voll Trauer
Pierrot, den Schmerz bedrückt.
(S. 45)
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Pierrot ereifert sich

Würdenträger, Ordensritter,
Mamelucken, Mandarinen,
Aktenhocker, Klassenzwitter
- lieber sind mir Apfelsinen,
Pelerinen und Rosinen,
holpernde Lokalbahnschienen,
Mädchen mit Entsagungs-Mienen,
Waffenräder und Turbinen,
Hummeln, Wespen, Mücken, Bienen,
Busenschützer, Krinolinen,
Kellner, welche faul bedienen,
Tanten, Vettern und Cousinen,
Badeweiber, Medizinen:
denn ich bin ein Privatier ...
Colombine kommt! o weh!
(S. 46)
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Herbst

Oktoberwind liegt auf dem Bauche
und wirbelt frech mit kaltem Hauche
die welken Blätter in die Welt.
Die blassen Fensterscheiben zittern,
die Bäche sind erschreckt und flittern,
die Hasen ducken sich ins Feld.

Du, hohe Sonne, kämpfst vergebens
mit schwachem Strahle kranken Lebens:
der Winter wartet auf dem Berg.
Die Verse sind ganz steif gefroren,
sie haben allen Schwung verloren
und humpeln wie ein alter Zwerg.
(S. 47)
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Sonntag

In der Messe gewesen,
spazieren gewandelt,
Plakate gelesen,
ein paar Veilchen erhandelt.

Gegähnt zu Hause
Glas Sherry getrunken
- kleine Pause -
aufs Sofa gesunken.
(S. 48)
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Spaziergang

Eine Frau, die was erhofft,
sieht man auf der Straße oft.

Colombine kann mit Grauen
nur auf solche Mahnung schauen,

und errötend im Spazieren-
gehen sagt sie zu Cassander:
"dieses darf uns nicht passieren,
o Geliebter, miteinander".
(S. 49)
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Die Rute

Zum "Nicolo" bringt eine große Rute
die Post ins Haus, dazu noch unfrankiert.
Kopfschüttelnd hält der Gatte sie, der Gute.
Er lächelt schüchtern, doch er ist blamiert.

Die Tante Adelgunde legt die Ohren
mit einem Ruck zurück, und einen Bissen
noch kauend spricht sie ganz kaffeeverloren:
"Nun, Colombinchen dürfte schon was wissen!"
(S. 50)
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Geraune

Vergessene Worte tauchen herauf
und raunen und rieseln leise:
auf diese Weise
kommt man "darauf".

Die Leute sind gefällig: von ferne
erzählen sie einem Geschichten,
und manchmal dichten
sie auch noch gerne:
tiefsinnig wird der Ehemann
und fragt sich öfters: wo und wann?
(S. 51)
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Geheime Visite

Zu Colombine kommt die weise Frau
- die Jalousien sind herabgelassen -.
Sie untersucht das Leibchen ganz genau,
da Rock und Taille bedenklich nicht mehr passen.

Die Brille auf der Nase und mit Schmunzeln
versetzt die Alte dem bestürzten Fragen:
- und grinsend glätten sich die tiefen Runzeln -
"die gnädige Frau darf mir kein Mieder tragen!"
(S. 52)
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Das Taufgedicht

Pierrot mit einer Riesenfeder
sitzt und schwitzt ein großes Taufgedicht,
rutscht verzweifelt auf dem grünen Leder,
weil es ihm an Reimen ganz gebricht.

Colombine aber macht Toilette:
ihre Kammerfrau ist aufgeregt,
weil die Gnädige im Wochenbette
jeden Rest von Sanftmut abgelegt.
(S. 53)
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Taufschmaus

Zum Taufschmaus ist auch Cassander geladen,
er hält eine Rede mit Inbrunst und Stolz:
"... am guten grünen Holz
kommt keine Frucht zu Schaden".

Zum Schlusse läßt er den Vater leben,
stößt mit ihm an, das Glas zerbricht.
"Soll's denn schon wieder Taufe geben?",
die weise Frau gar freundlich spricht.
(S. 54)
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Nächtliche Suche

Zu der hohen Wiege
schleicht sich Pierrot:
eine große Fliege
plagt die Amme so.

Er sucht mit einer Leuchte
im schlummernden Gesicht.
Die Stirn wird ihm so feuchte:
er sucht und findet nicht.
(S. 55)
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Waschung

Mit dem Lappen und dem Schwamme
wäscht den kleinen Pierrot
sehr behutsam grad die Amme
und mit Liebe - irgendwo.

Pierrot der Mann und Vater
steht mit düstrer Miene dabei.
Colombinen im Theater
ist das wieder einerlei.
(S. 56)
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Freitag

Der Diener war besoffen,
die Amme trank Liqueur,
die Küchenmagd darf hoffen:
sie hatte ein Malheur.

Der Kutscher hat die Pferde
gestern zugrund gejuckt,
mit höhnischer Gebärde
die Achseln nur gezuckt.

Die Köchin hat heut Launen,
und Colombinen liegt
tief in den Eiderdaunen
von der Migräne besiegt.
(S. 57)
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Colombine wünscht sich

Ein Schloß am Waldesrande
mit einem Teich im Park,
Eichen breitästig und stark,
und ich im Jagdgewande.

Mein Wagen und meine Hunde
harren in der Allee:
in einer Viertel-Stunde
mach ich schon ein Doublé.
(S. 58)
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Lenz

Die Sonne liegt in breiten Streifen
still auf dem Boden ausgestreckt,
den sie mit warmem Glanz bedeckt,
drin Stäubchen auf und nieder schweifen.

Madame ruht lieblich hingegossen
in frühlingsmatter Schläfrigkeit.
Die Beine lugen aus dem Kleid
schlank, schwarz und rund und sehr verdrossen.
(S. 59)
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Abendfrieden

Die Sonne ist untergegangen:
ihr purpurroter Schein
lugt noch voll Verlangen
ins offene Fenster herein.

Vor seiner leeren Kasse
sitzt Pierrot erschreckt:
"Wo hat sich, das ich hasse,
das ganze Geld versteckt?"
(S. 60)
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Der Ring

Am kleinen Finger der Rechten
blitzt weiß der Diamant:
in dunkeln tiefen Nächten
hat wie Feuer in Schächten
sein kaltes Licht gebrannt.

Einst hat ihn Colombinen
zärtlich dem Gatten geschenkt,
er hat der Teufeline
dunkelrote Rubine
in die kleinen Ohren gehängt.
(S. 61)
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Ausklang

Die Sonne liegt auf diesen Stunden
und wärmt sie mit verliebtem Glanz,
behaglich schwingt ein Mückentanz.
O Pierrot du wirst gesunden.

Horch, Blätterrieseln rauscht herein
in deine brütenden Gedanken,
und an die offnen Fenster schwanken
grüne Zweige im Sonnenschein.
(S. 62)

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_von_Schaukal


 

 


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