Georg Scherer (1828-1909) - Liebesgedichte

Georg Scherer



Georg Scherer
(1828-1909)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 

 



Komm!

Der Mond bestrahlt die Mauern
Der Burg in träumender Ruh,
Des Waldes Wipfel schauern
Heimliche Küsse sich zu.

Die goldenen Sterne neigen
Sich tief in die blaue Flut,
Es zittern auf schilfigen Teichen
Die Lilien in Liebesglut.

Mit blühenden Armen umschlingen
Die grünen Zweige sich all;
Drin lockt mit traulichem Singen
Den Buhlen die Nachtigall. -

Nur ich irr' einsam im Dunkeln,
Von Sehnsucht und Hoffnung durchglüht,
Und seh' deine Kerze funkeln
Durch Rosen und Rebenblüt'.

Du kennst meines Liedes Weise;
Komm, öffne das Fenster sacht
Und flüster' ein Wörtlein leise
Mir zu in verschwiegener Nacht!

Ich nahe dir selig erschrocken;
O laß mich ins Antlitz dir sehn,
Und laß deine duftigen Locken
Um die heißen Schläfen mir wehn!

Dann löst, in dein Anschaun versunken,
Des Herzens Geheimnis der Mund,
Und die Lippen besiegeln trunken
Den heiligen Liebesbund.
(S. 58-59)
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Mein!

Nun mir dein Herz gestanden,
Was lang dein Mund verhehlt,
Hat es mit heil'gen Banden
Dem meinen sich vermählt.

Wie dich in sel'gem Schweigen
Mein Arm umschlungen hält,
So bleibst du nun mein eigen
Vor Gott und aller Welt.

Schlag nicht die Augen nieder,
O sei nicht scheu und bang!
Ich laß dich nimmer wieder
Mein ganzes Leben lang.
(S. 60)
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Die Stunde sei gesegnet!

Die Stunde sei gesegnet
In Zeit und Ewigkeit,
Da du mir bist begegnet
In meiner Einsamkeit.

Ich stund im Weltgetriebe
Verlassen und verkannt,
Du aber hast voll Liebe
Den Blick mir zugewandt.

Du hast zu mir gesprochen
So süß, so wunderbar,
Und hast den Bann gebrochen,
Dem ich verfallen war.

Du küßtest mir die Schmerzen
Vom kampfesmüden Haupt,
Gabst Frieden meinem Herzen,
Den mir die Welt geraubt.

Und manch geknicktes Streben
Hebt nun voll Lenzeslust
Das Haupt zu neuem Leben,
Von dem es nie gewußt.

Laß mich dein Auge küssen,
Das mir solch Heil gebracht!
Es wird mir leuchten müssen
Durch aller Zukunft Nacht.
(S. 61-62)
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Laß mir im Aug' die Thräne beben!

Laß mir im Aug' die Thräne beben,
Sie ward ja nicht aus Schmerz geweint.
Siehst du doch auf der Blume schweben
Den Tau, wenn ihr der Tag erscheint.

Sie stund die lange Nacht in Trauer,
Geschloßnen Auges trüb und schwer;
Frühmorgens fiel ein kühler Schauer,
Lag dichter Nebel rings umher.

Doch mit der Sonne kam gezogen
Hoch vom Gebirg der junge Tag;
Da war der Nebel bald verflogen,
Bis er im Kelch als Perle lag.

So schwand die Nacht aus meinem Leben
Durch dich, du sonnengleiche Frau.
Laß nun im Aug' die Thräne beben,
Es ist im Blumenkelch der Thau.
(S. 63)
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Abschied

Wir schieden stumm; nur einmal hat
Nach mir sich noch dein Haupt gewandt,
Hat mir dein Aug' an Mundes Statt
Den letzten lieben Gruß gesandt.

Doch lag in diesem einen Blick
Der reichsten Liebe Seligkeit,
Daß er in allem Mißgeschick
Mir bleibt ein tröstendes Geleit.

So strahlt die Sonne allen Glanz,
All ihrer Farben glüh'nde Pracht
Auf Erd' und Himmel, eh' sie ganz
Hinabsinkt in den Schoß der Nacht.
(S. 64)
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Nachtreise

Dort sinkt hinab der Frühlingsabend,
Verklärt im gold'nen Purpurschein,
Und still kehrt, Lust und Leid begrabend,
Sein Frieden mir im Herzen ein.

Und wie die Glocken fern verklingen,
Ist auch des Tages Lärm verhallt;
Schon breitet ihre grauen Schwingen
Die Dämm'rung über Feld und Wald.

Und tief in der Erinn'rung Wogen
Senkt träumend sich die Seele ganz;
Da kommt durch leicht Gewölk gezogen
Der Mond in seinem feuchten Glanz.

Und wie sein Licht, sein silberklares,
Sich auf die stummen Wälder gießt,
Wie kommt's, daß plötzlich wunderbares
Gefühl durch meine Seele fließt?

Nun fürcht' ich nichts auf dunklen Steigen,
Du bist bei mir im fremden Land
Und wirst den rechten Weg mir zeigen,
Ein Engel, mir zum Trost gesandt.

Denn klar, wie mich des Mondes weiches
Und träumerisches Licht umspinnt,
Lebst du in mir, du blondes, bleiches,
Du schmerzverklärtes Dichterkind!
(S. 65-66)
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Der erste Reif

Du musterst, hold zu mir geneigt,
So seltsam lächelnd Haupt und Bart;
Du schelmisch Kind, hast du vielleicht
Gar schon ein weißes Haar gewahrt?

Bei Gott! das ist der erste Reif,
Der unvermerkt aufs Haupt mir fiel;
Es mahnt der lichte Silberstreif:
"Nun werden deine Tage kühl."

Sei's drum, daß auf des Hauses Dach
Der Winter schon sein Wesen treibt,
Wenn mir nur innen im Gemach
Der Frühling deiner Liebe bleibt.
(S. 73)
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Die Blume

Die Sonne ist hinabgesunken,
Es geht der müde Tag zur Ruh';
Gekehrt nach innen schließt sich trunken
Der Blume holdes Auge zu.

Doch einen letzten Strahl der Sonne
Barg sie im tiefen Kelche sacht;
Der soll von Frühlingslust und Wonne
Ein Traum ihr sein in dunkler Nacht.

So blieb auch mir von sel'gen Stunden
Nur der Erinn'rung süßer Schmerz -
Du bist der Sonne, die entschwunden,
Die Blume ist mein dunkles Herz.
(S. 78)
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Gedenk' ich dein zur Stunde

Gedenk' ich dein zur Stunde,
Du, die ich längst verlor,
Blüht mir im Herzensgrunde
Ein Frühlingstag empor
Voll Blumenduft und Sonnenschein,
Und Kinderstimmen jubeln drein -
Gedenk' ich dein zur Stunde,
Du, die ich längst verlor.

Und wie des Blutes Welle
Dem Herzen strömet zu -
In dir, in seiner Quelle,
Geht all mein Leid zur Ruh'.
All mein Verlangen zieht zu dir
Und Furcht und Bangen flieht zu dir,
Gleichwie des Blutes Welle
Dem Herzen strömet zu.
(S. 79)
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Unwandelbar

Daß dich, du Einzige, mein Herz erkoren,
Daß du mein Hort und meines Lebens Licht -
Nie hab' ich dir's gestanden noch geschworen,
Doch wußtest du's; das aber ahnst du nicht,
Daß auch, nachdem du längst für mich verloren,
Sich noch dein Bild in meine Träume flicht.
So bleibt, ist auch die Sonne untergangen,
Noch lang ihr Strahl am Haupt des Berges hangen.
(S. 82)
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Liedeszauber

Ich weiß, ihr längstverklungnen Lieder,
Welch stiller Zauber auf euch liegt,
Daß euer Anblick immer wieder
Mein Herz in Jugendträume wiegt.

Es hat, in holden Traum versunken,
Der Liebsten Aug' auf euch geruht,
Ihr habt den warmen Hauch getrunken
Des Atems und der Wangen Glut.

Oft habt mit ihrem süßen Munde
Geheime Zwiesprach ihr geführt,
Ja, in verschwieg'ner Dämmerstunde
Die frommen Lippen scheu berührt.

Was Wunder, daß ein Duft und Schimmer
Auf euch, vergilbten Blättern, liegt,
Und euer Anblick mir noch immer
Das Herz in Jugendträume wiegt!
(S. 85)
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Venetianische Nächte

1.
"Odysseus" hieß das Schiff, das uns im Flug
Von des Piräus klassischen Gestaden
Auf Adrias Wogen nach Venedig trug,
Mit einem wirren Menschenschwarm beladen.

Der Völker Sprachen trafen bunt das Ohr
Und ihre Trachten mischten sich noch bunter;
Auch blüht' an Bord ein schmucker Damenflor,
Doch du erschienst uns allen fast ein Wunder.

Solch königliches Weib - nie sah ich es,
Als wär' leibhaftig unter uns erschienen
Die Aphrodite des Praxiteles
Mit einem Zug des Schmerzes in den Mienen.

Im Spitzenschleier leicht das Haupt verhüllt,
Im dunklen Haar die Blüte der Granate,
Dein Gang, dein Thun von solchem Reiz erfüllt,
Als zög' die Grazie selber deine Pfade.

Und sangst in deines Volkes Weise du,
Welch süßer Wohllaut strömte dir vom Munde!
Wir hörten dir entzückt, begeistert zu,
An dich gefesselt war die ganze Runde.

Mit scheuem Tritte folgten wir dir nach,
Wie unsrem Schiff die friedlichen Delphine;
Du zeigtest uns Odysseus' Felsendach
Und der Phäaken qualmende Kamine.

Wir staunten an in mondbeglänzter Nacht
Des Südens Glanzgestirn am Himmelsbogen,
Und unter uns des Meeres Funkenpracht
In Furchen, die des Dampfers Kiel gezogen.

Der schönen Künste keine war dir fremd,
Doch bleibt dein Element das Reich der Farben;
Drum zieht's dich hin, wo nichts dein Streben hemmt
Und du nicht mußt an geistiger Nahrung darben. -

Stets hatten in der bunten Menge leicht
Und sicher unsre Augen sich gefunden;
Und als Venedigs Hafen wir erreicht,
Da waren auch die Herzen fest verbunden.
(S. 103-104)


2.
Als "Cicerone" lieb' ich es zumeist,
Durch Kirchen und Museen dich zu führen,
Die Wirkung höchster Kunst auf deinen Geist
Und dein empfänglich Frauenherz zu spüren.

Stets bleiben unsrer Wandrung erstes Ziel
Bellinis "heilige Conversationen";
Sie tönen fast wie Sang und Saitenspiel
Der Engel vor der Jungfrau Marmorthronen.

Giorgione, Palma, Paolo Veronese,
In deren Heiligen wir verkörpert schauen
Venedigs Reichtum, Pracht und Macht und Größe,
Der Männer Stolz, die Schönheit seiner Frauen.

Dann Tizian, ein Fürst in seiner Kunst!
Er lebte wie ein Fürst, in dessen Reichen
Nie sank des Ruhmes Sonne; seine Gunst
Sucht' mancher Fürst, ihn achtend seinesgleichen.

Er stürmt empor die steile Ruhmesbahn
Von Sieg zu Sieg, zu immer höherm Streben;
Er hält uns fest in seinem Farbenbann
Und zieht in der "Assunta" uns hinan,
Bis mit der Jungfrau wir entzückt entschweben.
(S. 105)


3.
Die Gondel trägt uns leise hin
Durch der Lagune Wogen,
Gleichwie die Sterne schweigend ziehn
Am blauen Himmelsbogen.

Mein Haupt in deinen Armen ruht,
Dir lind ans Herz geschmieget,
Wie dort der Mond in sanfter Glut
Sich auf den Wellen wieget.

Doch wenn ich dir ins Auge schau,
Recht tief hinein - wie gerne
Vergeß' ich da des Himmels Blau
Und all die goldnen Sterne!

Mich dünkt, als ob da innen mir
Geheime Zauber winken,
Als müßt' ich durch die Augen dir
Hinab ins Herze sinken

Und mich in seinen Tiefen bang
Und sehnsuchtsvoll verbluten,
Wie unsres Schiffers weicher Sang
Auszittert auf den Fluten.
(S. 106)


4.
Tief am Fuß des Lykabettus
Liegt in einem schattigen Garten
Hold versteckt dein Vaterhaus,
Wo die Bienen des Hymettus
Summend ihres Amtes warten,
Emsig fliegend ein und aus.

Unter Rosen, unter Myrten
Lagst, ein Kind mit braunen Wangen,
Hier in duftigen Blumen du;
Hoch im Laub die Tauben girrten,
Und Ilissos' Wellen sangen
Leise murmelnd dich zur Ruh.

Und die Bienen, die im Kreise
Rings an all den Blumen nippen,
Flogen rasch zu dir heran,
Legend ihren Honig leise
Auf die kleinen Purpurlippen,
Wie dem Plato sie gethan.

Traun, ich wundre mich nicht wieder,
Da solch Wunder sich begeben,
Daß die Küsse, holdes Kind,
Daß die Worte, daß die Lieder,
Die den Lippen dir entschweben,
Noch voll attischen Honigs sind.
(S. 107-108)


5.
Nun flutet wie scheidendes Grüßen
Durchs Fenster das Abendlicht;
Ich sitze dir schweigend zu Füßen
Und schau dir ins Angesicht.

Du neigst dich herab, und die feuchten
Locken umhüllen mich sacht,
Dein Mund und dein Auge nur leuchten
Herein in die dämmernde Nacht.

Mich dünkt, ich lieg' unter dunkeln
Wogen versunken im Meer -
Korallen und Perlen funkeln
Um den seligen Träumer her.
(S. 109)


6.
So still und stumm verlebst du manchen Tag
Und schlägst dein dunkles Auge träumend nieder,
Als hingst du längst versunk'nem Glücke nach,
Du sinnst und suchst, und ach! es kehrt nicht wieder.

Und eine Pilgerin von seiner Gruft
Schleicht dir ins Aug', die einsam stille Thräne,
Als ob sie sich aus schwüler Grabeslust
In deiner Wimper kühlen Schatten sehne.

So träumst du fort, bis seinen Frieden gießt
Der Abend auf des Tags erregte Wogen,
Bis Dämmerung die Erde sanft umfließt
Und leise kommt die Nacht heraufgezogen.

Dann ist die Zeit, in der dein Geist erwacht
Und, ganz er selbst, in neuem Leben waltet,
Gleichwie die Lotosblume ihrer Pracht
Geheimste Zauber nur dem Mond entfaltet.
(S. 110)


7.
Vom Niketempel schautest gern
Du weithin über Meer und Land,
Wenn am Parnaß verglühend fern
Im Purpurgold die Sonne schwand.

Die Theseusstadt rings um dich her,
Die Wunder der Akropolis,
Und draußen das saronische Meer,
Aegina dort, hier Salamis.

Dann des Piräus Mastenwald
Und weiterhin Akro-Korinth,
Moreas Berge, kahl und kalt,
Bei Hydra Flaggen hoch im Wind.

Doch sieh! nun glänzt mit einemmal
Der Parthenon in goldnem Duft,
Den eingesog'nen Sonnenstrahl
Ausströmend in die klare Luft.

Bei Sunion schwellt der Abendhauch
Noch weiße Wimpel und - o Schmach! -
Dorthin entfloh der Falsche auch,
Der frevelnd dir die Treue brach.
(S. 111)


8.
Mein Kind, wir haben uns gefunden
Nicht in der Freude Wunderland;
Uns hat das bitt're Leid verbunden,
Des gleichen Schicksals schwere Hand.

Ein Schmerz, der herbste aller Schmerzen:
Die gänzliche Verlassenheit,
Hat fest vereint zwei fremde Herzen
Für alle Zeit und Ewigkeit.

Was Glück erschafft, das kann verschwinden
Leicht wie des Glückes Sonnenschein;
Doch die im Unglück sich verbinden,
Mein Kind, die trennt der Tod allein.
(S. 112)


9.
O frage nicht, warum oft leise
Ins Aug' mir eine Thräne fließt,
Wenn eines schönen Liedes Weise
Dein Mund mit einem Kusse schließt!

Du weißt ja nicht, welch tiefe Wunde
Dein Singen meinem Herzen schlägt,
Das schon das Weh der Scheidestunde,
Die Angst der Zukunft in sich trägt.

Nun eilst du bald auf spiegelglatten
Meerwogen in dein Heimatland,
Wo einst in der Platane Schatten
Die Wiege deiner Kindheit stand.

Doch ahnst du kaum, wenn dir im Süden
Tiefdunkel Meer und Himmel blau'n,
Wie kalt auf mich, den Wandermüden,
Des Nordens Nebel niedertau'n,

Und wie zu dir in späten Jahren
Noch immer die Gedanken fliehn,
Wenn über mir in dichten Scharen
Die Kraniche gen Mittag ziehn.
(S. 113)


10.
Sie werden in die dunkeln Haare
Dir einst die blü'nde Myrte winden
Und führen dich zum Traualtare,
Dem fremden Mann dich zu verbinden.

Sie werden deine Schönheit preisen,
Der Ehe Glück, des Hauses Segen,
Viel goldne Tage dir verheißen
Und - was sie sonst zu reden pflegen.

Doch du wirst stumm die Blicke senken,
Dem Schlage deines Herzens lauschen
Und sinnend jener Tage denken,
Verträumt bei der Lagune Rauschen.
(S. 114)


11.
Nun ist dahin die goldne Zeit,
Des Abschieds bange Stunde schlägt;
Schon liegt das Schiff zur Fahrt bereit,
Das dich zurück zur Heimat trägt.

Die Flagge flattert hoch am Mast,
Geschwellt vom regenfeuchten Nord,
Und jedes eilt in wilder Hast
Mit seiner Habe noch an Bord.

Die Glocke tönt, es gellt ein Pfiff,
Zum Ufer fliegt zurück mein Kahn;
Aufzischt der Dampf, es rauscht das Schiff,
Sich brüstend wie ein stolzer Schwan.

Hoch stehst du an des Schiffes Rand,
Und unter Thränen lächelst du,
Das Tüchlein schwenkend mit der Hand,
Den letzten Scheidegruß mir zu.

Fahr wohl, fahr wohl! Du nimmst mit dir
Mein ganzes Herz und all mein Glück
Und lässest in der Fremde hier
Trostlos und einsam mich zurück.
(S. 115)


12.
Nach Jahren wieder wandl' ich hin
An Lido's langgestrecktem Strand,
Und unvermerkt ist Herz und Sinn
Dem schönen Hellas zugewandt.

Von Süden her weht Lenzesluft,
Die weithin weiße Segel schwellt,
Und Veilchen- und Orangenduft
Durchströmt die sonnbeglänzte Welt.

Und sieh! erstrahlt auf Wolken nicht
Im fernen Süd dein holdes Bild,
Verklärt von überird'schem Licht,
Und grüßt herüber engelmild? -

Hoch wie mein Herz wallt auf das Meer
Und trägt als einen fernen Gruß
Mir zwischen Tang und Muscheln her
Den grünen Oelzweig vor den Fuß.

Ich nehm' ihn auf - er kommt von dir -
Und drück' ihn an die Lippen sacht.
Hab Dank! er ist ein Zeichen mir,
Daß du in Frieden mein gedacht.
(S. 116)
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Sonette vom Tegernsee

1.
Sie sprach: "Draußen ist der Lenz gekommen,
Die Lerche jubelt seinem Gruß entgegen,
Die Knospe schwimmt, die Blüte will sich regen,
Und Duft und Klang kommt durch die Luft geschwommen."

Ich hatte seinen Ruf noch nicht vernommen,
Mir frommte nicht sein reicher Blütensegen;
In mich gekehrt ging ich auf stillen Wegen,
Das Aug' umdüstert und das Herz beklommen.

Doch als mir deiner Stimme Ton erklungen,
Fühlt' ich den Lenz im Herzen mir erstehn,
Als hätten tausend Lerchen sich erschwungen.

Nun muß ich wieder durch den Frühling gehn,
Ein Träumer fast, auf Pfaden reich verschlungen,
Um einzig dich, Holdselige, zu sehn.
(S. 117)


2.
Die Sonne sank, die Abendglocken klangen;
Wir kehrten heim auf tauigen Wiesenwegen
Tief aus des Waldes schweigenden Gehegen,
Wo uns ein Tag in reiner Lust vergangen.

Und aus dem Klee, darüber Lerchen sangen,
Sah lockend mir ein Blatt des Glücks entgegen;
Ich brach's, um es in deine Hand zu legen,
Du nahmst es halb mit Freude, halb mit Bangen.

O hüt es mir! So manch vergebnes Streben
Soll noch ein günstig Schicksal mir vergüten,
Und späte Freude hoff' ich noch im Leben.

Verkündet einen Lenz mit reichen Blüten
Mir dieses Blatt, dann muß ich dir es geben,
Und treu und sorglich wirst du es behüten.
(S. 118)


3.
O könnt' ich all mein Fühlen und mein Denken,
Mein ganzes Leben, reich an Freud' und Leiden,
An Höhn und Tiefen, hell' und dunklen Seiten,
In deines Herzens stillen Grund versenken!

Wie sicher würdest du mein Schifflein lenken,
Welch heitern Himmel mild darüber breiten!
Zu deinem Sang wie klängen meine Saiten!
Dein wäre, was mir holde Musen schenken.

Statt dessen ziehst du, still wie du gekommen,
In deiner Heimatberge heil'gen Frieden
Und ahnest kaum, was du mit dir genommen.

Ich aber wandre, da du nun geschieden,
Fort in die Fremde, stumm und schmerzbeklommen,
Und weiß nicht, wo mir Ruhe wird hienieden.
(S. 119)


4.
Ich hatte keinen Garten, drein zu setzen
Dich, wundersame, zauberduft'ge Rose;
Mich durft', als ich dich fand im Waldesschoße,
Nicht dein Besitz, dein Anblick nur ergetzen.

Ich sah den Morgentau dein Auge netzen
Und goldne Lichter zittern auf dem Moose -
Wie warst du schön! Ich hörte das Gekose
Der Nachtigall mit süßem Lied dich letzen.

Verlassen mußt' ich dich. Doch noch zur Stunde
Pocht laut mein Herz: "Wie ist dein Los gefallen?"
Und neuer Schmerz durchzuckt die alte Wunde.

Schmückst du mit reichem Duft nun stolze Hallen?
Wie, oder ist dein Reiz im Waldesgrunde
Verschollen, gleich dem Lied der Nachtigallen?
(S. 120)


5.
Zwei Sterne, die in ihrem ew'gen Gleise
Am Himmel gehn, begrüßen sich von fern;
Sie nähern sich, sie ziehn sich an - wie gern
Vollbrächten sie zusammen ihre Reise!

O kurzes Glück! Schon trennt unmerklich leise
Das Schicksal sie. "Fahr wohl, du schöner Stern!"
Blinkt jeder, denn er fühlt im tiefsten Kern,
Daß er um eine andre Sonne kreise.

So zogst auch du mich einstmals mächtig an,
Ein lichter Stern in meiner Nacht hienieden;
Du schiedest, und der holde Traum zerrann.

Doch was auf dieser Welt an Glück und Frieden
Durch Frauenhuld dem Manne werden kann -
Es ward mir voll und reich durch dich beschieden.
(S. 121)


6.
Siehst du den Wandrer auf des Berges Rücken?
Tief ruht im Thal die Heimat ihm zu Füßen
Im Abendrot, und seine Augen grüßen
Zum Abschied sie mit thränenfeuchten Blicken.

Ihr Bild soll ihn, steigt er bergab, erquicken,
Soll ihm die bittre Wanderschaft versüßen,
Und mag ihn auch das fernste Thal umschließen,
Er hängt daran mit wonnigem Entzücken.

So möcht' ich, eh' in meinem Pilgerleben
Es Abend wird, nur einmal noch dich sehn
Und mich an deinem Frieden noch erheben.

Mag dann des Lebens Sonne niedergehn -
Dein Bild wird um mein letztes Lager schweben,
Wenn niemand ist, mir segnend beizustehn.
(S. 122)
_____



Jenes Lied der liebedurchglühten Sappho:
"Gleich den sel'gen Göttern ist Der zu achten,
Der, ins Aug' dir blickend, der Rede Wohllaut
Horchend belauschet

Und des Mundes sinneverwirrend Lächeln" -
Lächelnd selber las ich's, der Worte Honig
Zwar begierig schlürfend, jedoch der Glaube
Fehlte dem Herzen.

Ja, ich schwur, nicht könne des Weibes Schönheit
Noch der Anmut Zauber berücken jemals
So den Mann, daß völlig ihm schwinde Fassung,
Sinn und Gedanke.

Weh! da sah ich dich - wie geschah mir Armen?
Plötzlich, sieh! erbebte mein Herz im Busen,
Gleich erstarb auf flammender Zung' und Lippe
Jegliches Wort mir.

Durch die Glieder strömt' mir ein zartes Feuer,
Nacht umfing mein Aug' und im Ohr mir klang es
Dumpf - O, rief ich, naht mir der Tod von Eros'
Rächenden Pfeilen?
(S. 139)
_____



Was ist es nur, daß ich so gerne
Mag deiner Stimme Zauber lauschen
Mein Herz erbebt, als hört' es ferne
Die Jugendzeit vorüberrauschen.

Mir ist, als klängen Wiegenlieder
Und Märchen in der Dämmerstunde,
Als käm' die erste Hoffnung wieder,
Die erste süße Liebeskunde.

Als hört' ich Elfenreigen locken
Im Mondschein aus des Waldes Tiefen
Als ob des Heimatdorfes Glocken
Mich Sonntags früh zur Kirche riefen.
(S. 140)
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Du schläfst, und die goldenen Träume
Die gehn bei dir ein und aus;
Mein Lied und die blühenden Bäume
Umrauschen im Dunkel dein Haus.

Du hebest das Haupt erschrocken
Und lauschest und regst dich nicht
Es wallen die duftigen Locken
Dir über das Angesicht.

Da senkest du sinnend die Lider
Und denkest: Es war wohl der Wind. -
Schlaf ruhig und träume nur wieder,
Du einsames, schüchternes Kind!
(S. 142)
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Es wirft das Meer, vom Sturm erregt,
Dir seine Muschel an den Strand;
Du öffnest sie mit froher Hand,
Ob sie wohl eine Perle hegt?

So legt mein Herz, von dir bewegt,
Sein tiefstes Lied zu Füßen dir;
O schau, wie es als einz'ge Zier
Nur dich, du selt'ne Perle, hegt!
(S. 143)
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Voll strahlender Schönheit wandelst du
In der Jungfrau'n blühendem Reigen,
Und alle Blicke fliegen dir zu;
Du aber lächelst in seliger Ruh',
Wie nur den Göttern sie eigen.

Vor dir zunichte wird Wunsch und Begier,
Selbst Amor mußt' es erfahren:
Du trägst als leuchtende Siegeszier
Den gold'nen Pfeil, den er sandte nach dir,
Noch heut in den duftigen Haaren.
(S. 146)
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O Lust, zur Seite dir zu sitzen,
Von göttlicher Musik umrauscht!
Zu sehn, wie deine Augen blitzen,
Tief atmend deine Seele lauscht,

Wenn nach dem Takt dein Haupt sich schmieget,
Und auf der Töne gold'ner Flut,
Dir selbst entrückt, dein Geist sich wieget,
Hold, wie ein Schwan auf Wogen ruht.

Du neigst dich, hauchst verlor'ne Worte,
Und, Seele ganz, blickst du mich an -
Ein Blick, ach! der mir weit die Pforte
Ins Land der Wunder aufgethan.
(S. 151)
_____



Tief dein Bild im Herzen geh' ich
Einsam hin durch Flur und Wald,
Und des nachts im Traume seh' ich
Wieder deine Lichtgestalt.

Und wenn dämmernde Gedanken
Locken mich in ihre Nacht,
Daß mir alle Sinne schwanken -
Wieder hab' ich dein gedacht.

Und ich muß die Augen senken
Und gesteh' mir selber kaum:
Zauberin! mein Thun und Denken
Wandelst du in lichten Traum.
(S. 156)
_____



Ich seh' deine Lippen blühen
Ich fühl' deines Atems Wehn,
Ich fühle dein Aug' mich durchglühen -
Da ist es um mich geschehn!

Es gehn die Sinne mir unter,
Es geht das Herz mir auf;
Die Erde versinkt, o Wunder!
Es thut sich der Himmel auf.

Ich neige das Ohr, zu lauschen
Gesängen voll himmlischer Lust;
Die Brunnen der Ewigkeit rauschen
Durch meine selige Brust.
(S. 157)
_____



Wie auf des Ganges heil'gem Grunde
Die Lotosblume wächst und ringt
Empor, bis daß in guter Stunde
Die Knospe auf zum Lichte dringt:
So wuchs die Neigung, bis in Fülle
Sie sich entfaltet wonniglich;
Heut sprengt die Knospe ihre Hülle -
Die Blume blüht: Ich liebe dich.
(S. 158)
_____



So nahst du mir noch einmal wieder,
O Liebe, die du mir genaht,
Da noch die Jugend ihre Lieder
Und Rosen streut' auf meinen Pfad,
Da deine Schauer mich erhoben,
Dein Strahl mein tiefstes Herz durchdrang,
Draus, wie aus Sonnengold gewoben,
Noch hell des Liedes Saite klang.

Doch nicht wie einst kommst du gegangen,
Ein schüchtern Kind, so schlicht und hold,
Ein Lächeln auf den Rosenwangen,
Maiblumen in der Locken Gold.
Nein, fester schlingst du deine Bande:
Den Myrtenkranz im dunklen Haar
Nahst du mir heut im Brautgewande
Und winkst mir schweigend zum Altar.

Und welch ein wundersam Gewühle
Durchwogt gewaltig mir die Brust?
Das sind nicht irdische Gefühle,
Nicht dieses Lebens flücht'ge Lust.
Ich fühl', daß sie vom Himmel stamme,
Die heil'ge Glut, die mich durchloht,
Daß mich verzehret Gottes Flamme,
Stark und gewaltig wie der Tod.

Ich fühle all mein irdisch Wesen
In dieser Flamme untergehn
Und mein unsterblich Teil genesen,
Ja neugeboren auferstehn.
Mir ward so wunderbarer Frieden,
Wie ihn die Welt nicht kann verleihn;
Und daß mir solches Glück beschieden -
Dir dank' ich's, Göttliche, allein.

Wohlan, geweiht sind dir die Hallen,
Und hoch erhöht ist dir der Thron;
Des Dankes Opferdüfte wallen,
Es hallt Gesang und Orgelton.
Wie pocht mein Herz so froh erschrocken,
Sich ganz nur deinem Dienst zu weihn!
Schon rufen laut des Festes Glocken:
Zieh ein, o Königin, zieh ein!
(S. 159-160)
_____



(Beethoven Op. 90, Rondo)
Die Wolken versanken
Dem fernen Westen zu;
Die trüben Gedanken
Gehn alle nun zur Ruh'.

Und wie das Licht
Durch Wolken bricht,
Gehst du mir auf im Herzen,
Du meines Lebens Licht -

Erfüllst mit deinem Frieden
Die ganze Seele mir;
So sind wir ungeschieden,
Ich lebe ja in dir.
(S. 161)
_____



O laß den schönen Traum mich träumen,
Der einmal nur auf dieser Welt,
Wie ein Geschenk aus Himmelsräumen,
In eine Menschenseele fällt!

Den Traum, da unser ganzes Wesen
Ans Herz der ew'gen Liebe sinkt
Und dort, vom Irdischen genesen,
Unsterbliches Genügen trinkt.

Und kannst du hier ihn nicht gestalten
Zur Wirklichkeit - laß ihn die Nacht
Des kurzen Lebens um mich walten,
Bis dort im Licht mein Geist erwacht!

Er wird noch in den ew'gen Kreisen
Verklären mich; es wird die Schar
Der Seligkeit mich glücklich preisen,
Daß er mir einst beschieden war.
(S. 162)
______



Wer, heilige Liebe, deinen Kelch getrunken
Und süßberauscht, ein überseliger Mann,
Dir einmal nur ans volle Herz gesunken,
Der ist verfallen deinem Zauberbann.
Fort glimmt's in ihm wie lichte Himmelsfunken;
Und ob er deinen Banden auch entrann -
Früh oder spät wird er mit frohem Bangen
Nach deiner holden Unruh' heim verlangen.
(S. 168)
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Dein Mündchen ist ein kleines Rosenbeet,
Das immerfort in voller Blüte steht.

Zur Rosenzeit nun laß mich Rosen pflücken,
Mit ihrem Duft und Tau das Herz erquicken.

"Ein Diebstahl? Nein, den kann ich nicht erlauben;
Man darf den Garten nicht des Schmucks berauben."

Und doch ist's Rosen-Art: je mehr man pflückt,
Je reicher sich das Beet mit Blumen schmückt.

"Verwegner Dieb! Ich werd's der Mutter sagen." -
Und ich bei'm Liebesgott dich selbst verklagen:

Für mich allein läßt er die Rosen glühn
Und will nicht, daß sie ungepflückt verblühn.

Drum gib sie! Solcher Reichtum, solcher Reiz
Verträgt sich schlecht mit launenhaftem Geiz.

Und reut dich das Geschenk - bei meinem Leben!
Mit Zinseszins will ich's zurück dir geben.

Du zögerst noch? ... (Ich hab' ihn doch bekommen,
Den ersten Kuß, - die andern rasch genommen!)
(S. 182)
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Was auch die andern von dir haben,
Und wie sie sich zu jeder Frist
An deines hohen Geistes Gaben,
Am Reichtum deines Herzens laben -
Sie wissen nicht, was du mir bist.

Sie ahnen nichts von jenem Bunde,
Draus meines Lebens Quelle fließt,
Und wie seit einer sel'gen Stunde
Mein Herz in seinem tiefsten Grunde
Unlösbar sich an deines schließt.

So stehn, mit Blüten übergossen,
Zwei Bäume in des Waldes Hut,
Aus einer Wurzel nur entsprossen,
Drin, von der Erde Schoß umschlossen,
Vereint ihr Doppelleben ruht.
(S. 187)
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Aus: Gedichte von Georg Scherer
Mit Illustrationen von Paul Thumann
Vierte, vermehrte Auflage
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien 1894
 


Biographie:

Georg Scherer
Geb. 16.3.1824 (urkundlich nachgewiesen; 1828 gab er selber an)
Dennenlohe, gest. 21.9.1909 Eglfing. Besuch des Lehrerseminars in Altdorf, studierte dann Philosophie und Philologie in München und Tübingen. Erzieher. Dr. Phil. Nach größeren Reisen 1869 Privatdozent. 1872 Prof. am Polytechnikum in Stuttgart. 1874-75 Italienreise. Nach seiner Rückkehr 1877-80 Verwaltungsbeamter und Bibliothekar an der Königl. Kunstschule in Stuttgart. Lebte seit 1881 als freier Schriftsteller in München, seelisch krank lebte er zuletzt in Nervensanatorium in Eglfing.
Er stand mit vielen Persönlichkeiten im Briefwechsel, u. a. mit M. W. Jensen und W. Raabe. Jugendbuchautor.
Aus: Dt. Literaturlexikon. Biographisches und bibliogr. Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch. 3. völlig neu bearbeitete Auflage Francke Verlag Bern 1992


 

 


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