René Schickele (1883-1940) - Liebesgedichte

Rene Schickele



René Schickele
(1883-1940)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



Denk ich an deinen Mund, o Frau,
du Liebe,
blühn Himmel warmen Bluts, das dargebracht
aus Liebe.
Denk ich an deinen Leib,
ich durfte mich ihm liebend nahn,
gehn Meere weißen Lichts,
wie es die Frommen sahn,
sie sagten auch, daß Gott darinnen lebt.
Dies Weiß und Rot steht vor der großen Nacht
wie ein verschwommen Angesicht,
wie eines Freudenschlosses Flammenuntergang,
aus dem, ein Phönix, sich der Mond erhebt.
(S. 5)
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Lobsprüche

1.
Wer könnte dich behalten?
Du hattest hundert Gestalten.
Du warst in ärgster Leidenschaften mitten,
Heilige und Geliebte überall.
Du wurdest viel beglückt, du hast noch mehr gelitten.
Die Welt ist voll von deinem Widerhall.
(S. 9)


2.
Schließe ich die Augen, um dich so in mir zu schauen,
wie du im Kranz die Rosen zu den Lilien fügst,
erschaure ich. Denn strömst du nicht die Gnade
der grenzenlosen Liebe
in Mädchenküssen über mich, gerade
als ob du jenes schwere Herz gereifter Frauen
in einem unberührten Leibe trügst?
(S. 10)


3.
Ich sehe - selber müd - im Kornfeld deinen Leib,
wie du durch so viel glüh'nde Schwermut gehst,
vor Schlankheit weinen.
Doch als du leuchtend unter dunkeln Bäumen stehst,
da merk ich endlich, daß schon lang im Sonnenuntergang
der Abendstern aus seiner Feuerknospe sprang.
(S. 11)


4.
So wie der Abendstern aus Sonnenuntergängen bricht,
steigt aus der Wollust und der Schwermut Tiefen dein Gesicht.
Und immer bist du wieder,
als hättst du nie geweint und nie gebrannt.
Stets neu wie Morgen, Quelle, Diamant,
Schneeball und weißer Flieder.
(S. 12)


5.
Laß mich dir stumm entgegenschreiten,
die mir von fern den Frühlingsgruß entbeut,
wo die grünen Bäume lichtbestreut
den Schattenteppich deinen Füßen breiten:
dein Blick erweckt die jubelnden Gesänge,
wohin er fällt, in Baum und Strauch,
um dich weht hell urholder Erdenrauch,
mit dir gehn die schweren Himmelsklänge.
(S. 13)


6.
Als ich sie abends im Garten sprechen sah

Sind ihre Lippen nicht schon ihre Brust und Hüften ganz? ...
Die Lippen, die sich regen, nicht schon ihres Leibes leiser Tanz
und ihre Müdigkeit schon ihres Schlafes Blumenglut:
ein Mondleib, überschwemmt von Rosenblut,
und mehr noch - ganz?
(S. 14)


7.
Wie warst in diesen Tagen du allein
und konntest es kaum tragen!
Es wird noch oft so sein -
doch mußt du dir dann sagen:
Um keine Trauer ist es schad,
wer Liebe hat, darf sie nicht schelten.
Der Sternenvogel steigt aus geäscherten Tagen,
strahlend im Auferstehungsschein,
sein Gefieder sind blühende Klagen,
sein Gesang ist Seelenwein.
Er schlägt sein silbernes Rad
und jubelt über die Welten.
(S. 15)


8.
Dein Gang nimmt Zorn und Weh von mir,
und wie sich deine Hüften wiegen,
fühl ich die Erde mit uns fliegen
durch Himmelsbläue für und für:
O schöne Fahrt, so leicht wie Wind,
vor dem die Fernen sich entfalten!
Wir wollen uns für Götter halten,
die auf der Hochzeitsreise sind.
(S. 16)


9.
Sie machte hinter mir die Türe auf und sagte: Gute Nacht.
Ich nickte ein "Bin bei der Arbeit". Stunden verstrichen.
Den Tag, der nahte, hört ich nicht. Er kam geschlichen
und drückte sein eselgrau Gesicht an die Scheiben.
Gott, wie sah er drein!
Mir ward eiskalt bei seinem welterfüllenden "Und ob ich frier!"
Er stand bis an die Knöchel noch in Nacht und
fraß den Lampenschein.
Vielleicht ist das ein Ofen, dachte er, oder ein Krug voll Wein? ...
Da, als ich aufstand, hört ich plötzlich, wie ein Echo: Gute Nacht.
Das ganze Zimmer wurde warm von ihr.
(S. 17)


10.
Am Abend stehe ich zu Straßburg auf dem Wall,
von wo ich dir die blitzenden Gedichte sende,
die mir, mein ich, wie Schwalben aus dem Herzen schießen,
und sehe dich mit andern Tennis spielen. Überall
biegt sich dein Leib und leuchten deine Hände.
Der Himmelsfleck, worauf du stehst, scheint mild und warm.
Dein Haar zieht überall die Sonne mit.

Nachts träume ich von deinem weißen Arm,
und wie er Kurven in den Himmel schnitt,
die Silberspuren hinterließen,
und daß, wohin du trafst, die Himmelsglocke gleich in Risse sprang,
durch die das schöne Wasser mit den Sternenfischen
und dem Mondhai drang.
(S. 18)


11.
In deiner Treue will ich tief begraben sein.
Ich weiß, dies Haar, das mich bedeckt, ist mein,
und weiß, daß diese Hände mich behüten.
Mit starken Engeln steht dein Herz im Bund.
Alle Stunden, ob sie dunkel, ob sie fröhlich blühten,
hingen als ein Lächeln sich an deinen Mund.
(S. 19)


12.
Zum erstenmal seit vielen Jahren bin ich wieder still
und weiß, daß - ja und nein - man tut und nicht tut, was man will.
Daß alle Menschen einfach sind, und daß sie alles, was sie treiben,
sich selber aufgegeben haben - wie die Kirchenväter schreiben.
Und dennoch wieder nicht, und daß sie wohl nicht anders können
und so sind oder so und bleiben, wie sie's anders auch ersönnen.
Daß Lust und Schmerz süß oder bitter, schlecht und gut
wie alle unsre Dinge sind und heißen sollen,
worauf die Tage und die Nächte ihre Flut
von Licht und Dunkel rollen.
Und da du mir gegeben bist und ich es weiß,
lieb ich das Dunkel und das Hell, das Kalt, das Heiß.
Ich streiche meine Hand, die nachts auf deiner Hüfte lag,
ich schmecke deinen Kuß, den ich wie Blut auf meinen Lippen trag,
ich fühle deinen Blick in allem und auf allem beben.
Wo immer eine Schönheit wirkt, stehst du daneben.
(S. 20-21)


13.
Geliebte! So zittert die Meute um ihren Herrn,
wie meine Gedanken dich bestürmen, bist du mir fern.
Das ist, weil dein Herz wie eine Sonne in deinem Leibe strahlt,
weil Ihr Brüste den Glanz im Dickicht von Sommerwäldern stahlt,
weil schon deine Hände ihre stolze Sanftmut offenbaren.
Weil deine Wimpernschläge sich wie Krieger um mich scharen,
dann wie Tauben sich auf meinen Worten wiegen und dein Gesicht
Berge versetzt und die Tore der Finsternis erbricht.
Darum müssen meine Gedanken, bist du mir fern,
zitternd um dich sein, wie die Meute um ihren Herrn.
(S. 22)


14.
Um dein Gesicht ist ein Glanz
wie das Feuer eines Edelsteins um seinen Kern.
Ich seh es immer, wie's - eine Vase, ein Kelch -
dein Zimmer erhellt.
Es versinkt in unsern Umarmungen
und geht wieder auf wie ein Mond,
den deine Liebesglut erhält.
Wenn ich von dir gehe,
starre ich lang in den Himmel. Es fällt ein Stern,
und meine Liebe steht, ein gewaltiger Erzengel,
vor dem Mond und hütet ihn.
(S. 23)


15.
Kommen deine Augen und sehn mich an,
weiß ich, warum mein Leben in deines rann.
Weil sie Himmel erbauen, so tief,
als ob ein ferner Wald darinnen schlief -
und liebst du, ist's ein Wald, der rauschend
um einen Brunnen steht,
in dessen goldener Tiefe
ein Stern zergeht.
Als ob ich dich von weitem riefe,
ist dein Gesicht mir zugewandt
in allen meinen Gedanken: lauschend
ernst und unverwandt.
(S. 24)


16.
Schmerzt dich mein "Ich weiß nicht mehr",
sprichst du von unserm frühern Glück? Wie ein Verneinen
deiner Jugend klingt's dir, die du mir geschenkt?
Sieh, meine Vergangenheit ist so leer,
als hätt ich das alles vor tausend Jahren gelebt.
Einmal ward ich gekrönt, ein andermal gehenkt,
wahrscheinlich hab ich auch verraten:
mir träumt von den verschiedensten Taten ..
Dann, wenn dein Mund so wie bei Kindern bebt,
bevor sie weinen,
möcht ich dir sagen: "Du warst gewiß das Ziel
all meiner Sehnsucht. Soviel
und noch viel mehr
streckt aus dem Dunkel Arme dir entgegen,
du bist meine ewige Wiederkehr."
Doch blendet meine Zukunft mich mit ihren tausend Wegen.
(S. 25)


17.
Ich liebe dich so, daß ich manchmal denke:
"Du liebe, süße, alte Frau!"
und dir viel gute Gedanken schenke,
wie alte Leute sie wohl haben mögen
in einem hellen Gartenzimmer.
Ich wünschte nicht, daß meine Augen mich trögen:
heut morgen bist du ein wenig grau
um Schläfen und Augen und lächelst ahnungslos
ernst und groß,
als wärst du frisch wie immer.
Ich sehe deinen Händen zu, den Freudebringern ...
Die Haare schlafen noch,
und doch streichst du darüber, als überglänzten
sie sich und wollten, müßten sie besänftigt sein.
Im Spiegel welkt der Schein
von Rosen, die dich gestern bekränzten,
und meine Liebesworte all
funkeln wie Ringe an den Fingern
einer müdgetanzten Frau,
die, heimgekehrt vom strahlenden Ball,
sich im Morgenlicht entkleidet.
Ihr Blick, der sie im Spiegel sucht und meidet,
weiß selbst nicht mehr genau,
ob sie noch schön sein will.
Und plötzlich fühlt sie sich so still,
fühlt sich so sanft,
als ob sie ihre eigne Mutter wäre,
ihre junge Mutter, die liebeschwere,
müdgeliebte Arme sinken läßt -
bis eine Träne ihre Lider näßt,
kleine Vögel, die schlagen,
in ihrem Käfig hin und her gehetzt ...
Törin, warum weinen,
will mir doch die Stunde köstlich scheinen!
Wenn wir nie geliebt uns hätten,
liebten wir uns sicher jetzt.
(S. 27)


18.
Man hatte mich begraben. Ich hörte sagen,
ich sei tot.
Aber als der Schauer der Auferstehung durch die Erde lief
und die Fluten der Ewigkeit zu mir kamen
mit ihren ungestirnten blauen Tagen,
erwachte ich in deiner Augen Schein und rief,
rief lautlos deinen Namen.
Du küßtest mich, da war ich so, wie deine Lippen sind:
ein wenig blaß, im Kusse blutig dunkelnd
und froh geschweift, war eine hohe Rose, dein Mund im Wind,
dem sie, aus ihren Purpurtiefen funkelnd,
sich schwer gebeugt zum Kusse bot.
(S. 28)
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Wenn es Abend wird

Die Engel der Liebkosung steigen nieder,
von weitem kommen deine Hände wieder,
und deine Augen sind so mild, so weit,
daß alle Dinge drin verklärt gen Himmel fahren.

Mein Zimmer ist ein Wald, der sich erinnert, wie deine Worte sangen,
im Kleinsten, das einmal deinen Atem gespürt, lebt brünstiges Verlangen,
wie Lampen gehn die Spiegel an, die schon voll Dunkel waren.

Schon rufen deine Schritte die Blumen auf im Garten,
daß ihre kleinen Seelen erschauern und im Dunkel warten.
Die Bäume werden atemlos und stehn beklommen,
die Bäche horchen auf, ein tiefer Traum belauscht dein Kommen,
am Weg, auf dem du nahst, ist Stern an Stern gereiht,
Wunderbare Trunkenheit!
(S. 34)
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Hymne

In ihren Umarmungen blühte die Erde,
ihr Herzschlag in diesen Nächten rührte die Welt.
Der Morgen hob mit sorgsamer Gebärde
den Vorhang von dem Himmelszelt,
worin unsre Herzen schliefen.

Ihre Augen im Tau der Frühe waren diamantne Schächte.

Wir horchten, wie in unserm Blut die Stunden liefen,
Hand in Hand, und durch den Abend dann, von Gluten triefend
in die grenzenlosen Ebenen der Nächte.

Sie stürzten umschlungen, als auf einmal Nachtigallen riefen.

Auf der Sanftmut ihrer Haare senkten Dämmerungen sich hernieder,
schimmernde, bestirnte Himmel waren ihre Glieder,
zwanzig Nachtigallen litten Lust in ihrer Kehle.

Unter der Berührung ihrer Hände bebte die verschlungne Seele.

Aus ihren Haaren stieg der große Mond.
(S. 55)
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In der Theaterloge

Dein ist die Hand, die diesen Fächer hält,
und dein bin ich, auch hier.
Erlischt das Licht, wend ich mich rasch zu dir
und wieder, wenn der Vorhang fällt,
und du erinnerst dich, nicht wahr?
und weißt: ich bin sehr schön.

Ich fächle den geliebten Duft dir zu,
ich will in deine Arme wehn.
Ja, manchmal schließe ich die Augen, du ...
so bin ich dein, kannst du das sehn?
und ganz, wie ich es heut und gestern war.
(S. 62)
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Ballade von der Frau Minne

Dein glühend Reich dehnt sich von Ost nach West,
zehn Tagemärsche sind von einer Lust zur andern.
Vieltausend Helden wollten dich durchwandern,
denn deine ferne Sonne schien ein Fest.

Sie fielen in die Schlünde deiner Augen.
Erblindeten an deiner Brüste Rand.
Es stach mit Wahnsinn sie der Sonnenbrand,
sie mordeten, um frisches Blut zu saugen.

An deinen Lenden endete das Schlachten nie,
mit letzten Kräften kämpften sie vor deinen Toren.
Manch Heldenlied ward unter Schwertern da geboren,
doch jeder, der es sang, verstummte jäh und schrie.

In deinem Haar, das über Berge klettert, wohnen
die Geister jener Helden, die dein glühend Reich verschlang,
sie spielen Minne wie die Kinder, Ewigkeiten lang,
sie sprechen wie Musik und tragen kleine Kronen.
(S. 63)
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Madame

Er:
Löst Eure Flechten, Madame! Der Mund, wenn
die Finger im Sturme irren, lacht.
So strahlen Eure Zähne wie Blickfeuer in der Meeresnacht.
So gleicht Euer Mund einer fleischigen Frucht, die springt ...
Und Euer Höschen, Madame, das Höschen singt.
Wie dreitausend Nachtigallen, ganz kleine, schneeweiße,
die sich auf einer einzigen Birke wiegen
und zitternd, singend sich aneinanderschmiegen.

Ich will, daß ihre Sehnsucht, halb Flamingo, halb Geier,
wie um einen glanzerstarrten Weiher,
ein schluchzender Planet, um den Mondball kreise ...
um Euren Leib. Und nein, eure Schenkel, Madame, die sind die Welt,
die schmelzend unter lauter Sternenregen zusammenfällt.
(S. 66)
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Ballade

Madame will wissen, wer ich bin?
Madame will wissen, wo ich steh?
Madame will wissen, welchen Weg
ich kam aus einem frühern Leben?
Ich schwebe, stürze ich noch hin,
und sinke, wo ich geh,
ich wandre weit, wenn ich mich leg,
und gehe stets mit mir daneben.

Die Mutter tat mich in ein zart Gewand
und hieß mich mit ihr beten,
ich trug den Traum durch Mondscheinland,
wo Liebestauben wehten,
ein ewig Licht am Neigesterz,
der Mond hing da, ein groß weiß Herz,
darunter bebte, seiner Schmerzen froh,
ich armer, kleiner, heiliger Pierrot.

Dann reichte mir der Vater einen Stock
und stieß mich auf die Straße,
und kam ich heim, in Strähnen Haar und Rock,
sagt er: Hund oder Hase,
wenn du gehauen werden sollst, so hau
zuerst, bevor die anderen im Schwung,
die Tage waren rot, die Nächte blau,
und in die Kniee sank ich aus dem Sprung.

Oft gleit ich nun die Abende entlang,
weiß nicht, wohin die Strömung der Gedanken
mich zieht, ob durch den alten Laubengang
in Gärten, die im Mond versanken,
ob in das ferne Feld von rotem Mohn,
dem Blutbad heller Kampfgestalten.
Ich bin Pierrot, von Marie Blanche der Sohn,
deß fromme Hände Messer halten.

Ich war mit tausend und allein
und trug von manchem starken Licht
den Flügelstaub im Angesicht,
so fremd, wie mein,
ich bin mein Sieg und mein Gericht,
so groß wie klein,
bin, wollt Ihr noch ein Gleichnis hören,
ein Menschenschrei aus Engelchören.

Ich bin des D-Zugs Troubadour,
Ausrufer an den großen Plätzen,
ein Amselschlag auf Frühlingsflur,
plötzlich entschlüpft aus dumpfen Hetzen.
Ich glaube an den roten Stier,
Im Traum hör ich Geklirr und Schüsse -
Madame, wißt Ihr genug von mir?
Nun frage ich - Sag "Du" und küsse!
(S. 67-68)
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Nachtfest

Du saßt, als hättest du gewartet,
wie ich durch den Garten kam,
Du gabst dein Haar und bogst dich lächelnd,
da ich's in die Hände nahm.

Schrittst du vor mir, begann dein Leib
sich leise wie für mich zu drehn.
Du tanztest inniglich!
Ich sollte dich in meinen Träumen sehn.

Ach jedesmal, wenn sich dein Gang an meinem wiegte,
dein Blut wie Wellen rauschte unter dir und mir,
traf mich dein Blick, da sanken deine Kleider schier
und wurden vor mir Glühendem zu Asche.
(S. 69)
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Geistliches Trinklied

Hoch leben die heiligen Frauen,
die unsre himmlischen Geliebten sind!
Ihre Liebe ist groß und bedingungslos.
Sie lassen wie in nächtiger Blumen Schoß
ihren Blick auf unsre Herzen tauen,
ihr Lächeln ist Sterne säender Wind.

Sie öffnen den Himmel und gehn um die Erde mit sanftem Schritt,
sie beugen sich nieder und trösten den Armen, der Ängste litt
an Abenden ohne Vertrauen.

O Erfüllung, die von ihren lauen Hüften zur Erde sinkt!
O Mondhals! o weiße Brüste, an denen Sehnsucht trinkt!
o Freudenhäuser im Blauen ...

Hoch leben die heiligen Frauen!
(S. 76)
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Der Gläubige

Zu Tod und Verklärung lockt der Frauen Schoß.
Das ist die Nacht, die auf unsern Augen ruht,
und das ihr Lächeln wirr und groß.

Der Glaube: noch einmal das Rätsel zu kennen,
um das jede von ihnen die Sehnsucht vermehrt.
Die Botschaft endlich, die unsern Stolz zerbricht:

Der du übermenschlich zu glühen begehrt,
sollst an ihrer Knöchel ungewissem Licht
dein Riesenherz verbrennen.

Und das ist gut.
(S. 89)
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Gieb!

Die Nacht ist in der Stadt so still,
die Liebe aller scheint gestorben,
da kommt, die mich entzücken will
die Lächelnde, die mich verdorben.

Sie öffnet ihren hohen Mund,
so schwer, und ihre Wollust alle,
ich seh der Liebe Schreckensgrund,
und noch, indes ich schwindelnd falle,

versengt mich dieses Blutgericht,
das wir aus Schicksal uns bereiten,
der Betten rasend Flügelbreiten
von Wand zu Wand im wilden Licht.

Gieb mir die Welt mit deinem Mund,
schaff mir die Welt aus deinen Brüsten,
sieh mich an deinem Leib verdürsten
nach flachem Grün, nach blauem Rund.

O öffne die verschlungne Nacht,
gieb Wolken, Land und Wege,
die Wiese gieb, wo ich mich sacht
in eines Kirschbaums Schatten lege.
(S. 92)
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Lied

In ihrem Herzen hat
für mich die Stunde schon geschlagen.
In ihren Augen hat
man mich zu Grabe schon getragen.

Von ihrem Körper sind
meine Umarmungen geglitten.
Die schwarzen Ritter sind
im Licht über mein Grab geritten.
(S. 93)
_____



Grabspruch

Starb eine Geliebte,
kam in weißen Nächten wieder,
war groß wie die Nacht
und verwelkte,
als der Mond abnahm.
(S. 94)
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Erinnerung

Hab ich dich damals in den Armen denn gehalten
und fest an mich gedrückt?
Versank ich nachts entzückt
in Zärtlichkeiten, die wie Gottes Hände walten?

Wenn ich dich suchte, um dich nicht mehr fort zu lassen,
und dich von weitem sah,
war ich von Sinnen da
und nahm dich wie ein Kind und stürmte durch die Gassen?

Was waren deine Worte, die die Welt umbauten,
so daß ich heute noch
erzittern muß? Und doch
weiß ich nicht mehr, wann du sie sprachst, und wie sie lauten.
(S. 103)
_____

Aus: Weiss und Rot Gedichte von René Schickele
Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920
 


Biographie:

Schickele, René, auch: Sascha, Paul Savreux, Eugène de la Poudroie, H. Daul, Paul Merkel, * 4.8.1883 Oberehnheim/Elsaß (heute: Obernai), † 31.1.1940 Vence/Südfrankreich. - Erzähler, Lyriker, Dramatiker, Journalist, Übersetzer.
S., Sohn eines deutschstämmigen Polizeikommissars u. Weingutbesitzers u. einer frz. Mutter, wurde früh durch die Sonderstellung des Elsaß zwischen Deutschland u. Frankreich geprägt. Er studierte seit 1901 in Straßburg, München, Paris u. Berlin Literaturgeschichte, Naturwissenschaften u. Philosophie. Bereits als Student u. auch später war er, z. T. zusammen mit seinem Jugendfreund Flake, Mitarbeiter u. Herausgeber verschiedener Zeitschriften (»Literarische Warte«, »Der Stürmer«, »Das literarische Echo«, »Das Leben«) u. veröffentlichte mehrere Gedichtbände. Reisen führten ihn nach Italien, Griechenland, Ägypten u. Indien, eine Korrespondententätigkeit nach Paris (1909).
Im Dez. 1914 wurde S. Herausgeber der »Weißen Blätter«. Unter seiner Ägide publizierten bedeutende Autoren (U. a. Max Brod, Kasimir Edschmid, Franz Blei, Annette Kolb, Robert Musil, Franz Werfel) u. machten »Die weißen Blätter« zum wichtigsten Organ der expressionistischen Bewegung. Im Sept. 1915 verlegte S. wegen des polit. Drucks der dt. Reichsregierung die Redaktion der »Weißen Blätter« ins Schweizer Exil. Im Ersten Weltkrieg war er entschiedener Pazifist. Nach dem Krieg lebte S. kurze Zeit im schweizerischen Uttwil am Bodensee, nach 1919 in Badenweiler. Im Nov. 1932 emigrierte er in die Provence. Aus dieser Zeit stammt sein Briefwechsel mit Annette Kolb. 1935-1945 waren seine Bücher in Deutschland indiziert.
Pantheistische Naturseligkeit, hymn. Einschwingen in den großen Entwurf der Schöpfung, christl. u. nichtchristl. Mythologie u. Themen wie Liebe, Leidenschaft, Einsamkeit u. Kunst dominieren S.s frühe Lyrik (Sommernächte. Straßb. 1902. Pan. Sonnenopfer der Jugend. Ebd. 1902). S. feiert den Künstler emphatisch als »Naturphänomen«, »Anarchist der Gesellschaft« u. gottgleichen »Schöpfer«.
Der Roman Der Fremde (Bln. 1907) verbindet, wie später Symphonie für Jazz (Bln. 1929), das traditionelle Modell des Bildungsromans mit innovativer expressionistischer Stilgestik. Erzählt wird von der erot. Initiation u. Befreiung Paul Merkels, der sich während seiner Studienjahre von einer starken Mutterbindung löst. Rasch wechselnde Liebesverhältnisse werden hier ebenso wie in dem heiter-iron. Roman Meine Freundin Lo (Bln. 1911. Erw. 1931) dargestellt. Die Essays u. Feuilletons dieser Jahre (Schreie auf dem Boulevard. Bln. 1913) u. der gemäßigt unter dem Einfluß des Expressionismus stehende Roman Benkal der Frauentröster (Lpz. 1914) haben Ironie u. Esprit u. bezeugen S.s Gespür für neue künstlerische Entwicklungen. Erotik, Kunst u. Politik bilden das Erzähltableau seiner Prosawerke. Hauptfigur im Künstlerroman Symphonie für Jazz ist der Musiker John von Maray, der auf Konzert-, Bildungs- u. Initiationsreise geht u. ohne Tabuschranken homo- u. heterosexuelle Erfahrungen sammelt. Durch seine Kompositionen reich u. berühmt geworden, aber vom Alkohol zerstört, versucht er, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Der Roman ist stilistisch meisterhaft erzählt, Jazzliedverse u. Lautmalerei dienen ihm als Leitmotive.
In S.s späteren dramatischen u. erzählerischen Schriften fällt auf, daß existentielle u. weltanschaul. Gegensätze (Mann/Frau, Kunst/Natur, Tradition/Moderne, Judentum/Christentum etc.) durch konträre Figuren dargestellt werden. So erzählt S. in seinem Hauptwerk, der Romantrilogie Das Erbe am Rhein (Maria Capponi. 1925. Blick auf die Vogesen. 1927. Der Wolf in der Hürde. 1931; alle Mchn.), von der Liebe eines Deutschen (Claus von Breuschheim) zu einer Italienerin (Maria Capponi) nach dem Einzug der Franzosen ins Elsaß (1918). S.s Generalthema, der dt.-frz. Gegensatz am Beispiel des Elsaß, spiegelt sich hier in einem feindl. Brüderpaar. Während Claus
eine »Indianerreservation« für das Elsaß befürwortet, steht sein Stiefbruder Ernst, ehemals dt. Offizier, für eine harte Linie in der frz. »Anschluß«-Politik ein. Die Überwindung von Nationalismus u. Opportunismus durch die pazifistische Idee wird als europ. Utopie formuliert. Gedämpftere Töne haben den expressionistischen Gestus abgelöst. S.s letzter großer Roman, Die Witwe Bosca (Bln. 1933), thematisiert in der Titelfigur eine boshaft-verlogene, egoistisch-geldgierige Kriegerwitwe, die der Lust am Tod u. götzenhafter Besitzverehrung verfällt. Parallel dazu wird vom heftigen Glücksverlangen ihrer Tochter Sibylle erzählt, deren Liebesbeziehung von Todesängsten überschattet wird.
S. gilt auch heute noch als der bedeutendste Schriftsteller des Elsaß, obgleich seine Rezeption nach 1945 zurückgegangen ist. Hermann Kestens Gesamtausgabe u. mehrere Taschenbuchausgaben seiner wichtigsten Werke konnten daran nicht viel ändern.
Aus: Autoren- und Werklexikon: Schickele, René, S. 4. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon.

 

 

 


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