An den Schlaf
      
      Komm, süsser Schlaf, und schau auf meine Zähren,
      Und höre, was mein Herz von dir zu bitten wagt!
      Komm, senke dich herab, das Glück mir zu gewähren,
      Das mir des Tages Neid versagt.
      
      Sie, die mein Herz so unaussprechlich liebet,
      O mahle du sie mir im holden Traumgesicht!
      Mit allem Frühlingsreiz, der jenen Mund umgiebet,
      Aus dem die schönste Seele spricht,
      
      So, wie sie oft, von Engeln rings umgeben,
      Bey Cronegks Liedern sich der Morgenstunde freut,
      So, wie im schönen Aug' ihr sanfte Thränen beben,
      Die sie Clarissens Schicksal weiht.
      
      Laß mich ihr nahn, laß mich zu ihren Füssen,
      In Ehrfurcht hingebeugt, ihr meine Glut gestehn,
      Mit froher Zärtlichkeit die schöne Hand ihr küssen,
      Für meine Lieb' um Hoffnung flehn!
      
      Doch, holder Schlaf, laß mich nicht kühner werden,
      Viel lieber müsse mich dein Labsal nie erfreun!
      Das unbefleckte Herz der Würdigsten auf Erden
      Müß' auch im Traum mir heilig seyn! 
      (S. 120)
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      An Daphne
      
      Wenn ich an deiner Seite bin,
      Wie flüchtig fliehen sie dahin,
      Die angenehmen Stunden!
      Was sich in stillen Wünschen oft
      Mein Geist gemahlt, doch nie gehofft,
      Hab' ich in dir gefunden.
      
      Wie rein, wie zärtlich lieb' ich dich!
      Dein Bild allein begeistert mich
      Mit himmlischem Entzücken.
      Dir eilt mein Herz beständig zu,
      Nur, wo du bist, genießt es Ruh,
      Es lebt von deinen Blicken.
      
      Den Wanderer in Wüsteneyn
      Kann so die Quelle nicht erfreun,
      Die seine Zunge kühlet,
      Als mich ein süsser Kuß von dir,
      Ein Balsamtropfen, den in mir
      Die ganze Seele fühlet!
      
      Nichts ist, das meinem Glücke fehlt,
      Zum Freunde hast du mich gewählt,
      Ich darf dich Freundinn nennen.
      O! meines Lebens Seligkeit!
      Laß keinen Zufall, keine Zeit,
      Dies sanfte Band zertrennen! 
      (S. 121)
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      An Phyllis
      
      Laß mich es tausendmal dir sagen,
      Der schönste Tag von meinen Tagen
      War der, der mich dir zugeführt;
      Und nie gedenk' ich seiner Stunden,
      Daß nicht, was ich durch ihn gefunden,
      Mich zu vergnügten Thränen rührt.
      
      Hätt' ich, umringt von Finsternissen,
      Der Jahre Lenz verweinen müssen,
      In Kerkern, wo das Schrecken wohnt,
      So wär', o Phyllis, vom Geschicke
      Durch Einen dieser Augenblicke
      Mir jeder Schmerz genug belohnt.
      
      Seit es mir dieses Gut gegeben,
      Begann für mich ein neues Leben,
      Ein neuer Himmel strahlt für mich.
      Die Zärtlichkeit, die mich beseelet,
      Der Trieb, dem aller Ausdruck fehlet,
      Vermehrt mit jeder Stunde sich.
      
      Laß mich dein holdes Aug' es lehren,
      Laß mich von deinem Munde hören,
      Daß meine Liebe dir gefällt.
      Du wirst, rührt dich mein zärtlichs Flehen,
      In mir den treusten Jüngling sehen,
      So wie den seligsten der Welt. 
      (S. 122)
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      Petrarchisches Lied
      
      Schönste meiner Lebensstunden!
      Ach wie schnell bist du entflohn!
      Was mein Herz in dir empfunden,
      War der reinsten Triebe Lohn.
      
      Sey mit deinen Dunkelheiten
      Ewig heilig sey du mir,
      Wald, in dessen Einsamkeiten
      Daphne saß, und ich mit ihr!
      
      Ach! wie oft führt deinem Schatten
      Angenehmer Gram mich zu!
      Wo sie saß, auf jene Matten
      Sink' ich hin, und athme Ruh.
      
      Glanz ergoß aus ihren Blicken
      Sich durch deiner Bäume Nacht;
      Alles fühlte mein Entzücken,
      Ihrer Stimme Wundermacht.
      
      Deine Sänger horchten nieder,
      Stumm vor ihrer Siegerinn;
      Zephyr senkte sein Gefieder,
      Sanfter floß der Bach dahin.
      
      O! wie sprach aus jedem Zuge
      Er, der Geist, der sie belebt,
      Sie mit täglich stärkerm Fluge
      Ueber diese Welt erhebt!
      
      Wie zerfloß mein Herz in Thränen,
      Dieses Herz, von Dank entzückt,
      Für den Vater alles Schönen,
      Der sein Bild ihr eingedrückt.
      
      Von der Erde losgewunden
      Schwang ich mich zu seinem Thron.
      Schönste meiner Lebensfunken,
      Ach wie schnell bist du entflohn! 
      (S. 123-124)
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      Das Thal
      
      Verborgnes Thal, das ich voll Freuden grüsse,
      Nimm endlich mich in deine Schatten ein!
      In eurem Schooß, ihr grünen Finsternisse,
      Wohnt wahre Lust; in Städten wohnt ihr Schein.
      
      Hier find' ich dich, holdsel'ge Schöne, wieder,
      Gesundheit, dich! du fliehst der Städte Rauch,
      Fliehst ihre Pracht. Durch alle meine Glieder
      Strömt neue Kraft von deinem Balsamhauch.
      
      Bey dem Gesang der sanften Philomele,
      Rührt mächtiger Petrarchens Lied mein Herz;
      Und stärker reizt die sorgenfreye Seele
      Cervantens Witz, und Fiedlings süsser Scherz.
      
      Ich neide nicht der Reichen Götterfeste,
      Mich speist ein Mahl, das Hunger schmackhaft macht;
      Mir rauscht der Bach, mir lispeln junge Weste,
      Kein finstrer Traum beschweret meine Nacht.
      
      Verbirg auf stets mich dem unheil'gen Volke,
      O stilles Thal, das mich so sehr entzückt!
      Wo über mir auf einer Silberwolke
      Die Muse schwebt, mit Daphnens Reiz geschmückt.
      (S. 125)
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      Klagen einer Schäferinn
      
      Wo fliehst du hin aus meinem Herzen,
      O Kaltsinn, der es sonst bewacht?
      Ach! nun empfind' ich jene Schmerzen,
      Die ich in Thyrsis oft verlacht.
      Stets ungerührt bey seinen Tönen
      Nannt' ich sein Leid erträumtes Leid;
      Und nun vergieß ich selbst die Thränen
      Der Schwermuth und der Zärtlichkeit.
      
      Seit jener Stunde voll Entzücken,
      Da ich den jungen Damon sah,
      Ihn, den so seltne Reize schmücken,
      Ist mir sein Bild beständig nah.
      Ich will ihm meine Glut bekennen,
      Grausame Quaal! ich darf es nicht!
      Wie schwach ist doch mein Herz zu nennen!
      Und wie tyrannisch ist die Pflicht!
      
      Was gleicht der Blüte seiner Wangen?
      Dem hohen Geist' in seinem Blick?
      Von seinem theuren Arm umfangen
      Mit ihm zu leben, welch ein Glück!
      O Liebe, sieh auf meine Zähren!
      Laß mich im Kummer, der mich nagt,
      Von Damons Mund nur Einmal hören,
      Was Thyrsis mir zu oft gesagt! 
      (S. 126)
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      Lied der Sappho
      
      O selig, wem bey dir der Tag entfliehet,
      Der so dich reden hört, dich lächeln siehet!
      Ihm ist es leicht, den Göttern ihre Freuden
      Nicht zu beneiden.
      
      Wenn du erscheinst, fühl' ich mit stärkern Schlägen
      Und schnellerm Lauf sich Blut und Herz bewegen;
      Ich steh betäubt, verlohren im Entzücken,
      Dich anzublicken.
      
      Mein Aug' erlischt, mit tiefer Nacht umgeben,
      Es scheint mein Geist, da Schauder mich durchbeben,
      Mich Schweiß bedeckt, die Wangen mir erblassen,
      Mich zu verlassen. 
      (S. 137)
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      Das neue Leben
      
      Sonst gieng der Lenz mir ungenossen,
      Der Morgen ohne Lust vorbey,
      Der Liebe war mein Herz verschlossen,
      Den Mutterlehren zu getreu.
      Seit Damon dieses Herz gerühret,
      Den Amor selbst mir zugeführet,
      Ward alles meinen Augen neu.
      Itzt seh ich erst den Frühling lächeln,
      Itzt fühl ich erst des Zephyrs Fächeln,
      Itzt weiß ich erst, was Leben sey.
      
      Noch stets gedenk' ich jener Stunde,
      Da er im dunkeln Hayn mich fand,
      Und mir mit seufzervollem Munde
      Die Regung seiner Brust gestand.
      Zu meinen Füssen hingesunken,
      Lag er, von süssem Schmerze trunken,
      Und drückt' und küßte mir die Hand.
      O welche Blicke! welche Zähren!
      Mein Herz vergaß der Mutter Lehren,
      Und wagte keinen Widerstand. 
      (S. 138)
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      Am ersten Tag im May
      
      Schau, der May senkt sich zur Erde nieder,
      Schöne Daphne, Philomelens Lieder
      Tönen schon durch Feld und Hayn.
      Von des Zephyrs sanfter Hand geleitet,
      Naht die Blumengöttinn sich, und leitet
      Junger Scherze muntre Reihn.
      
      Doch du zeigst dich, vom Geschmack gekleidet,
      Flore sieht es, seufzet, und beneidet
      Deinen Reiz und dein Gewand.
      Zephyr eilt hinweg von ihrer Seite,
      Schöne Daphne, daß er dich begleite,
      Und verschwört den Unbestand.
      
      Du erscheinst und singst; und Philomele
      Rühret nun nicht ferner Damons Seele,
      Flora reizt auch ihn nicht mehr.
      Wenn ihn deine Gegenwart beglücket,
      Ist es May; wenn er dich nicht erblicket,
      Ist es Winter um ihn her. 
      (S. 139)
      _____
      
      
      
      An Daphnen
      
      Daß manch entferntes Land mich kenne,
      Und daß man meinen Namen nenne,
      Wenn man von grossen Dichtern spricht,
      Den Ruhm, o Daphne, wünsch' ich nicht.
      
      Daß ich, wenn ich im Schoos der Erde
      Längst Asche bin, gepriesen werde,
      Vom lauten, lärmenden Gerücht,
      Den Ruhm, o Daphne, wünsch' ich nicht.
      
      Ich lache der Unsterblichkeiten,
      Wenn nur ein Laut von meinen Saiten,
      O schöne Daphne, dir gefällt;
      Du bist mir eine ganze Welt! 
      (S. 140)
      _____
      
      
      
      Das Glockenspiel
      
      Hörst du den feyerlichen Klang?
      Empfindung füllt mein Herz,
      Die es noch nie zuvor durchdrang,
      Entzücken, Andacht, Schmerz!
      
      O Daphne, dieser Augenblick
      Bekrönt ein liebend Paar,
      Es schwört sich seines Lebens Glück
      Am heil'gen Traualtar.
      
      Belohnt ist nun der Tage Reih,
      In Seufzern hingebracht,
      Und jede, der Melancholey
      Geweihte, lange Nacht.
      
      Sieh diese Thräne, welche mir
      Durchs Auge zitternd bricht!
      Dein Herz, o Daphne, sag' es dir,
      Was diese Thräne spricht! 
      (S. 141)
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      Der glückliche Liebhaber
      
      Es ist in Amors weitem Reich
      Dem Mädchen, das ich liebe,
      Kein andres an Verdiensten gleich,
      Kein Jüngling mir an Liebe.
      
      Nehmt ihr der äussern Reize Glanz,
      Die sie so herrlich schmücken;
      Sie wird durch Reize des Verstands
      Und Witzes stets entzücken.
      
      Ach! wenn du einst die Meine wirst,
      Begeisternde Gertrude!
      Dann werd' ich grösser als ein Fürst,
      Und reicher, als ein Jude. 
      (S. 151)
      _____
 
Aus: Daniel 
      Schiebelers
      Auserlesene Gedichte
      Herausgegeben von Johann Joachim Eschenburg
      Hamburg 1773 Bey J. J. C. Bode
 
      Biographie:
      
      
      http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Schiebeler