Notturno
Dunkelblau ist der Himmel über den Bäumen,
Der Mond steht hoch.
Komm zu mir und lass uns träumen.
Dunkelblau ist mein Park - du weisst es doch:
Ich wohn' auf einem Berge
Im stillen Mondenschein,
Die Riesen und die Zwerge,
Die langen Silberstrahlen,
Die Brunnen, die sie malen,
Sind mein . . .
Komm ans Fenster, sieh!
Die Nacht ist voll Seligkeit.
In mein Fenster glänzt sie weit
Mit dämmernder Türme funkelnden Spitzen.
Nun lös' deinen rotbraunen Haars Gewicht
Und lass es dem Licht:
Welch Märchenflimmern und -blitzen!
Goldseidenumwallt
Entflutet mir deine Gestalt.
Wie selig ist mein Gemach!
Hab' ich ein elbisch Geschöpfe
Unterm mondspiegelnden Dach!
Komm, ich führ' dich hinaus, ich schöpfe
Dir Sterne aus dem schimmernden Bach.
Aus der wellenschimmernden Flut
Schöpf' ich dir Tau und Mondenglut.
Im blauen Traumpokale,
Du trink' es deinem Gemahle.
Liebchen, hörst du die silbernen Geigen?
Durchs Laub rinnt Licht und Ton,
Der Höhe lebendiges Schweigen
Drängt sich an uns, ich bin ihr Sohn,
Ich bin der seligen Wüste Sohn,
Ich bin ihr Sohn, ihr König,
Gesalbt mit Mondenschein,
Von ihrer Weihe tön' ich,
Als wie des Memnon Stein.
Von deinem wallend reichen Haar
Gold leuchtet das Geheg,
Gold leuchtet der Kies - wunderbar
Schön ist der Weg
Durch Bäume den Höhen zu,
Leg' deinen Arm um mich,
Er ist die Ruh'.
Liebchen, verdunkle mich,
Süsse Nacht, bist du
Sinkest auf mich nieder
Mit Zaubers Macht,
Deck' mich mit deinem Gefieder,
O Schwan der Nacht . . .
Wie ruhig bin ich nun,
So wollt' ich immer ruhn,
Wie ruhig bin ich, wie reich,
Ich hab' ein Königreich,
Ich führ' dich, es ist nicht fern,
Ich schenke dir einen Stern,
Ich bin ein armer Träumer - ich sag es dir gleich.
Über stille Wipfel, Abgrundstimmen,
Zu des Himmels fernestem Erglimmen
Trag' ich dich hin.
Einsam steht ein Baum und ferne, lichtversunken,
Meine Seele hat der Baum getrunken,
Dass ich mir nun selber ferne bin.
Baum bin ich und du nun Mondenschein,
Alle Blätter saugen kühl dich ein,
Ah, wie mir's durch alle Fasern rinnt,
Lächle, Mondschein, leuchte, leuchte, Kind!
Einsam steht ein Baum und ferne, lichtversunken,
Meine Seele hat der Baum getrunken,
Dorten ist das Tor der Einsamkeiten,
Sieh ich bin das Tor der Dämmerweiten,
Und ein Vogel sitzt tief in der Krone,
Singt im Traume durch der Träume Zone.
Draussen lacht die Öde durch die Gauen,
Lässt der Wunder ewige uns schauen,
Selige Wüste ist dort ausgesponnen,
Lebensleer und rings von Gold beronnen,
Goldne Stille, goldnes Strahlensingen,
All des Alls unendlich weites Klingen,
Liebchen, sind wir selbst nur trunkne Schatten?
Nun ein Traumbild auf den glühenden Matten??
- - - - - - - - - - - - - - - - - -
Dunkelblau ist der Himmel über den Bäumen,
Der Mond steht hoch.
Komm zu mir und lass uns träumen,
Dunkelblau ist mein Park - du weisst es doch:
Ich wohn' auf einem Berge,
Drunten die Welt - Schatten und Schein -
Wimmeln die schlafenden Zwerge,
Der Wachende ist allein.
Ewig durchbrennt ihn sein Tag,
Ewig durchzuckt ihn das Licht,
Sei mir ein dunkler Hag,
Sei mir ein lustschwer Gewicht.
Komm wir wandern, Mondschein im Haar,
Über beglänzte Fluren,
Und umschlungen wunderbar
Traumes tönende Spuren.
Komm und sieh mit mir hinab,
Ich zeig' dir die Welt, das prunkende Grab,
Die Schimmerschatten im Tale.
Die Marmorbilder im Saale,
Die nächtlichen Flüsse, die glatt
Funkelnde Stadt.
Es tönt noch durch die Gassen
Die alte Brunnenweise
Das alte Brunnennachtlied: Ruh'.
Gott ist die Ruh' - nun wandelt leise!
Die Liebe ist Ruh' - versunkene Gleise,
Die Melodie ist Ruh' -
Gott, Liebe, Melodie bist du!
Nun komm und lass uns träumen,
Dunkelblau ist mein Park - über den Bäumen,
Der Mond steht hoch . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 9-13)
_____
Der Nachtwandler
Wege der Seligkeit
Unter den Bäumen,
Und in den Sternen-
Lüften der Nacht.
Seht ihn! Seht ihn!
Jauchzen die Brüder
Und zeigen mit ihren
Fingern auf ihn.
Er sieht sie an
Und lächelt: Liebchen.
Und stolpert ins Feld.
Ähren rauschen ihm
Kühl durch die Finger.
Er steht still und horcht:
Liebchen.
Der Mond geht auf,
Der rötliche Mond
Über den langen
Dämmergrünen Hügeln.
Und er kniet auf dem Felde,
Und betet mit dem hellen
Angesicht der Verzückung:
Liebchen, Liebchen.
Am Abgrund legt er sich hin,
Sein Haupt ins Gras,
Und blickt hinauf,
Und blickt glückselig
Hinunter,
Und lächelt träumerisch
Bei den Ungeheuern:
Liebchen, Liebchen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 14-15)
_____
Junge Blüte
Wenn Mädchen in den Tagen junger Blüte
Die ersten Liebesküsse träumend spüren,
Sie fühlen sich so seltsam selig müde,
Sie liegen still und mögen sich nicht rühren.
Wie fremdes Blut durchrinnt es ihre Glieder,
So schwer, so schmeichelnd, das sie nicht verstehen,
Und selig senken sie die Augenlider
Und lassen alles still mit sich geschehen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 18)
_____
An einem Grabe
Tief unter den Wipfeln der Sommernacht,
Wie ist das Gras so weich -
O weisst du es noch?
Es zog ein Weg wie im Märchen
Durch die verdämmernde Pracht.
Das Feld um den schlafenden Garten,
Wie es zog zu den Höh'n -
O weisst du es noch?
Bedeckt mit Traumgetön
Rings um den schlafenden Garten.
Wie wir im Gras lagen,
Wie war dein Lachen voll -
O weisst du es noch?
Wie war dein Herz von Lachen voll,
Wie fühlt' ich es an meinem schlagen.
Wie drücktest du das Gras so tief
Und ruhtest mir in vollen Armen,
Wie ruhten wir in Lusterwarmen,
Wie drückt' ich dich ins Gras! Wie stieg -
O weisst du es noch?
Der runde, lichte Sommermond
Herauf mit dämmerndem Gesange,
Kornähren küssten ihm die Wange,
Dem runden, lichten Mond.
Wie voll von Kornfeldern
Die Höhe hing -
O weisst du es noch?
Wie der Wind ging
Vollatmend in den Kornfeldern.
Wie an den Nussbäumen
Die Blätter im Mondlicht gingen -
O weisst du es noch?
Wie uns Welten vergingen,
Ruhend im Gras unter nachtflüsternden Bäumen.
Wie war dein goldnes Haar Gesang,
Wie war dein Mund, dein Aug', dein Arm -
O weisst du es noch?
Gesang der Liebe, so laut und warm,
Wie war dein Blick Gesang.
Wie lang uns zu Häupten glühte
Die weite Sommervollmondnacht -
O du, nun unter Zypressen,
O du, die mich und alles vergessen -
O weisst du es noch?
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 27-28)
_____
Wir lachten viel,
Nun sind wir traurig,
Wir waren froh,
Nun weinen wir.
Wenn wir uns küssen,
So küssen wir das Gestern,
Wenn wir nun weinen,
Sind es die alten Tränen.
Ach das Gestern
Ist nie ausgeträumt,
Und das Vergangene
Atmet süss.
Wenn ich jetzt das Fenster
In die Nacht öffne,
So atmet das Vergangene
Mit dem Vollmond herein.
Ach unser Glück
Ist in Licht zergangen,
Wir aber sind im Dunkeln
Geblieben.
Und seit ich deinen Mund
Weinen hörte,
Hör' ich den Mund
Aller Dinge weinen.
Wenn ich jetzt das Fenster
Dem Mond öffne,
Ist mir des Mondes
Goldne Fülle - Traurigkeit.
Der Mund der Traurigkeit
Ist vergoldet,
In goldner Klarheit
Schwimmt eine Traurigkeit.
Ach ich fürchte die Nacht,
Die ich liebe,
Denn sie ist süss
Von Vergangenem.
Die Blume des Vergangenen
Wird nicht vergehen,
Wenn wir selbst vergehen
Und längst vergangen sind.
Lass uns vergehen, Liebchen,
Im Hauch des Vergangenen,
Dass die Blume des Vergangenen
Süsser atme . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905
(S. 38)
_____
Lampenlicht lächelt,
Mein Kindchen schläft.
Sein Atem fächelt
Die Blumen der Seele,
Den Rosenstrauch
Der Liebe, erblüht
In seinem Hauch -
Schlafe, schlafe.
Leis rauschen die Stunden
Über sein Bett,
Atem des Kindes,
Mit Blumen umwunden,
Rosige Lampen
Erglühen im Traume,
Wie seine Wangen
Im Traume glühn -
Schlafe, schlafe.
Hauch deines Mundes,
Süsse Weise,
Öffnet die Türe
Des Himmels leise -
Blüten fallen
Wie Engelslöckchen
Silberne Glöckchen
Singen und fallen:
Schlafe, schlafe.
Schlafe, mein Kind,
Wie der Duft in der Blume -
Süsse haucht
Die Rose deines Schlafes
Haucht wie Rosen
In alle Dinge,
Bis sie wie Geigen
Zittern und singen:
Schlafe, schlafe.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905
(S. 40-41)
_____
Ein goldner Regen
Fällt über dich,
Fällt über den Teppich,
Und du gehst schlafen,
Deine kleinen weissen Füsse
Stehen in Gold,
Wie kleine weisse Schiffe
Im abendlichen Hafen.
Deine Füsse rühren
Blaue Blumen,
Blaue Blumen,
Rankend im Licht,
Deine Hände rühren,
Wie an Harfen,
An meine Seele,
Du weisst es nicht.
Deine Füsse tragen
Flügel aus Träumen,
Eine Wolkendecke
Mit hellen Säumen
Zieht über dich hin -
Du wirst lächelnd fassen,
Du wirst lächelnd lassen
Des Lebens Sinn.
Liebst du mich?
Oh du weisst es nicht,
Doch ein süsses frommes Licht
Kommt aus deinem Munde,
Fliegt als wie ein Lächeln fort,
Lächelt mit mir
Am dunklen Ort
In der dunkeln Stunde.
Die goldnen Finger meiner Sehnsucht
(Lächelnde, liebst du mich?)
Die goldnen Finger meiner Sehnsucht
Berühren dich,
Berühren dein Haar,
Den zarten Schnee
Deiner Schultern
Berührt mein fernes Weh.
Der goldne Regen
Fällt über dich,
Du legst die Hände
Träumend zusammen.
Der zarte Schnee
Deines Bettes leuchtet,
Die Wände
Sind wie müde Flammen . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 42-43)
_____
Im Spiegel
In meines Spiegels tiefstem Raum
Will ich dir ein Geheimnis zeigen,
Den grünen und den schwarzen Baum,
Die seltsam ineinander sich verzweigen.
Sie sind wie Liebende, die sich
Auf wunderbare Art umschlingen,
Aus deren Blicken nie der Taumel wich,
Das Irrlichtspiel von den geheimen Dingen.
Der eine ist von Purpurblüten schwer,
Die aus dem andern sich begierig ranken,
Sie sind wie Liebende, die sich sehr
Verwirren mit ihren Haaren und Gedanken.
Die Äste sind wie trunkne schwarze Arme
Einer Orgie zusammengeflochten.
Die Blätter sind wie ein Gemisch von Lippen
Und Fingern, die sich nie zu trennen vermochten.
Es ist der Baum des Lebens und des Todes,
Die sich wie Liebende umschlingen und nie trennen,
Und ihre Blüten sind die purpurnen Lippen,
Die uns kühlen, indem sie uns verbrennen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 69)
_____
Sie gab mir einen Kuss auf den Mund,
Da ward ich ein Kind,
Sie gab mir einen Kuss auf die Augen,
Da ward ich blind.
Sie flüsterte: Ich liebe dich,
Da ward ich taub,
Sie neigte sich in der Nacht über mich,
Da fielen die Sterne wie schwarzer Staub.
Und als die Türe wieder ging,
Und als sie wieder von mir ging,
Da klirrte, o, da klirrte laut
An meinem Fuss der Eisenring.
Wohin ich mich nun wende,
Sind schwere, schwere Wände,
Blutig hämmert mein Herz,
Blutig hämmern meine Hände.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 76)
_____
Sie schob leise den Riegel
(O Kind, was tust du?)
Sie schob leise den Riegel
Und gab mir den Zauberspiegel,
Darinnen stand geschrieben
(O Kind, was tust du?)
Darinnen stand geschrieben,
Wir müssten uns ewig lieben.
Ich musste sie an mich ziehen
(O Kind, was tust du?)
Ich musste sie an mich ziehen,
Und ich sah alle Mauern fliehen.
Und ich sah ein Schwert in den Lüften
(O Kind, was tust du?)
Und ich sah ein Schwert in den Lüften
Und den Mond weinen auf unseren Grüften.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 77)
_____
Die Blumen werden in Rauch aufgehn,
Und der Wald wird voll Spinnweben stehn,
Die Blätter werden von den Bäumen abfallen,
Das kahle Gezweig wird sein wie Krallen . . .
Wir werden an alle Türen klopfen,
Und das Blut wird von unsern Fingern tropfen,
Sie werden mit ihren Fingern auf uns zeigen,
Und wir werden gehn und - schweigen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 78)
_____
Sie streichelte mein Haar
Und sprach: Bleib' nicht!
Sie streichelte mein Haar
Mit ihrem Finger, der golden war.
Sie gab mir auch von dem Brot
Und sprach: Iss nicht!
Sie gab mir auch von dem Brot,
Das war wie ihre Lippen so rot.
Sie holte auch von dem Wein
Und sprach: Trink' nicht!
Sie holte auch von dem Wein
Aus ihrem Schlafkämmerlein.
Es ward Nacht, es ward Tag,
(Iss nicht! Trink' nicht!)
Es ward Nacht, es ward Tag,
Bis ich zitternd in ihren Armen lag.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 79)
_____
Immer sanfteres Reh,
Immer lieber umschlungen,
Immer süsseres Weh
Der langen Umarmungen.
O immer dunklere Luft,
In der wir uns lächelnd anschauen,
O immer tiefere Gruft,
Die wir mit Kuss um Kuss uns bauen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 80)
_____
Ein Kranz ist um mein Haupt gewunden
Und du hast ihn gebunden,
Drum sind alle Blumen daran wie Wunden.
Wie könnt' ich ihn zerreissen,
Wie möcht' ich ihn zerreissen,
Er ist ja stark wie aus glühendem Eisen.
Und seine Blumen sind wie Dornen,
Die lieblichste der Todes-Nornen,
Du - machst im Vorübergehn
Immer mehr Blumen aufgehn.
Und immer, wenn eine Blume aufgeht,
Ein Schwert sich in meinem Herzen dreht,
Dann spricht meine Seele ein süsses Gebet.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 84)
_____
Sie sitzt des Nachts im Mondenschein,
Sie sitzt des Nachts auf einem Stein,
Und wenn ich zum Fenster hinunterseh',
So seh' ich in ihre Augen hinein.
Ich weiss nicht mehr, dass der Mond dasteht,
Ich seh' nicht mehr, wie die Wiese weht,
Ich seh' nur, wie sie aus ihrem Haar
Feine, feine Schlingen dreht.
Mit ihren Fingerchen geschwind,
Wie die Wellen und wie der Wind,
Dreht sie aus ihrem braunen Haar
Tödliche Schlingen und lacht wie ein Kind.
Oh diese feinen, feinen Schlingen,
O wie sie mich überall umschlingen,
Mein Herz sitzt wie ein Vogel darin,
Mein Herz muss wie ein Vogel darin singen . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 86)
_____
Sie liebt, mich mit ihrem Lachen
(Oh ich weiss es wohl)
Sie liebt, mich mit ihrem Lachen
Traurig zu machen.
Und ich liebe ihr Lachen,
(Oh ich weiss es wohl)
Und ich liebe alle Sachen,
Die traurig machen . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 87)
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Die Blätter seufzen hier,
(Ach wo bist du?)
Die Blätter seufzen hier,
Der Wind weint nach dir.
Die Luft ist voll von den Tränen,
(Ach wo bist du?)
Die Luft ist voll von den Tränen
Der Menschen, die sterben vor Sehnen . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 88)
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Oh ich bin nicht ruhig,
Oh ich bin nicht froh,
Oh ich bin nicht ruhig,
Mein Herz, mein Herz quält sich so.
Doch am Abend kommt ein Mund
Und haucht es an,
Doch am Abend kommt ein Finger
Und rührt daran . . .
Und der Wald wird stillstehn
Gleich einem langen schwarzen Rauch,
Und der Wald wird stillstehn
Und mein Herz auch . . .
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 90)
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Die Sonne ist die Sonne nicht mehr,
Die Luft ist wie Blei so schwer,
Die Sonne ist nur noch ein roter Flecken,
Die Sonne bleibt im Nebel stecken.
Die Winde werden alle kalt,
Die Winde machen niemehr Halt,
Und wenn sich unsre Blicke nicht finden,
Müssen auf ewig wir erblinden.
Wir haben nur noch drei Tropfen Blut,
Wir haben nur noch drei Funken Glut.
Das Blut will ich für deinen Mund bewahren,
Die Glut will ich für deine Fingerchen sparen.
Wir haben nur noch eine einzige Nacht,
Dann wird kein Mund mehr sein, der lacht,
Dann sind alle Sterne heruntergefallen,
Dann sind wir die Allerärmsten von allen.
Aus: Gedichte von
Karl Schloss
München und Leipzig
Bei R. Piper & Co 1905 (S. 91)
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Geniessen ist wie Traum
Wir sinken von den Dingen
Hinab mit schweren Schwingen
Zu dämmerndem Gelingen.
Wir träumen, wenn wir lachen,
In einem bunten Nachen
Von Geisterhand bewegt,
Der nie ans Ufer legt.
Und wenn wir weinen, sehn
Wir uns vorübergehn,
Den grünen Schatten gleich
An einem Mond, der bleich . . .
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 225)
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Nachtlied
Alle Wonne schlürft mein Ohr
Der Einsamkeit -
Selig wer die Welt verlor
Wie ein dunkles Kleid.
Nackt steh ich, mir enthüllt
Im dunklen Thal
Von mir selber angefüllt,
Ein goldner Pokal.
Lust will glühen und Leid
Wie Stern an Stern
Und dies Feuerkleid
Trag ich gern.
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 226)
_____
Die Blume des Vergangenen
Wir lachten viel
nun sind wir traurig,
wir waren froh
nun weinen wir.
Wenn wir nun küssen
so küssen wir das Gestern,
wenn wir nun weinen,
sind es die alten Thränen.
Ach, das Gestern
ist nie ausgeträumt,
und das Vergangene
atmet süss.
Wenn ich jetzt das Fenster
in die Nacht öffne,
so atmet das Vergangene
mit dem Vollmond süss herein.
Ach, unser Glück
ist in Licht zergangen,
wir aber sind im Dunkeln
geblieben.
Ach, seit ich deinen Mund
weinen hörte,
hör ich den Mund
aller Dingen weinen.
Wenn ich jetzt das Fenster
dem Mond öffne,
ist mir des Mondes
goldne Fülle - Traurigkeit.
Der Mund der Traurigkeit
ist vergoldet,
in goldner Klarheit
schwimmt eine Traurigkeit.
Ach ich fürchte die Nacht,
die ich liebe,
denn sie ist süss
von Vergangenem.
Die Blume des Vergangenen
wird nicht vergehn,
wenn wir selbst vergehn
und längst vergangen sind.
Lass uns vergehen, Liebchen,
im Hauch des Vergangenen,
dass die Blume des Vergangenen
süsser atme . . .
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 227-228)
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Nächtliche Feier
Ich sah den grünen Baum der Nacht -
hoch wölbt er sich ins Firmament
hoch wölbt er sich ins Firmament
und seine Aeste rauschten sacht
ein Feierabendlied ohn' End -
die Sterne waren aufgewacht
die Sterne waren aufgewacht
und rings verdunkelt das Geländ.
Auf grossen Flügeln rauschte mir
ein Segen in die wunde Brust
ein Segen in die wunde Brust
und träumend schweift ich wie das Tier -
der Erde Duft war tiefste Lust -
voll Regen dampfte das Revier
voll Regen dampfte das Revier
und Ewiges ward mir bewusst.
Und steigend in der Stunden Chor
umfing mich eine dunkle Bahn
umfing mich eine dunkle Bahn
einsamer war ich denn zuvor -
mit Ruhe war mein Leib umthan -
geschlossen stand der Sehnsucht Thor
geschlossen stand der Sehnsucht Thor -
dem Schweigen ward ich unterthan.
Und alle Berge schritt ich her
und segnete als wie im Traum
und segnete als wie im Traum
die Felder all, von Regen schwer -
ich stand an jedem Wiesensaum
und heiligte sein Dämmermeer
und heiligte sein Dämmermeer
und kniete unter jedem Baum.
Die Höhen lagen dort so gross -
ein nächtig Beten der Natur
ein nächtig Beten der Natur
nahm mich in seinen tiefen Schoss -
durch Ernten bückt sich jede Spur -
Kornfelder rauschten mir ein Los
Kornfelder rauschten mir ein Los
auf götterreicher schwüler Flur.
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 228-229)
______
Wunder
Wenn mir die Lampe singt
warme goldne Lieder,
fühle ich euch wieder,
Herz an Herz erklingt.
Meine Hand - Seligkeit!
gehalten von eueren Händen!
o Fülle in diesen Wänden!
o Stunde warm und weit!
Mein Herz - heimgekehrt
an euere Wangen -
o Glück! - allumfangen!
blüht an einem Schwert . . .
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 230)
_____
Schwüle
Wie ein Becher gelber Wein
Ist der Mond kredenzt -
Sieh, sieh seinen Regenschein
von den Bäumen hängen.
Und wie dunkle Fackeln sieh
Wolk' an Wolke rauchen
und wie Hymnen ihr Geglüh
auf dem Berge rauchen.
Und du fühlest: Erdenlust
dunkelt in den Sternen,
deine ganze junge Brust
wühlt in trüben Sternen.
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 230)
_____
Wiegenliedchen
Lampenlicht lächelt -
mein Kindchen schläft,
sein Atem fächelt
die Blumen der Seele,
die Blumen der Seele,
den Rosenstrauch
der Liebe, erblüht
in seinem Hauch -
schlafe, schlafe.
Leis rauschen die Stunden
über sein Bett,
Atem des Kindes,
mit Blumen umwunden.
Rosige Lampen
erglühen im Traume,
wie seine Wangen
im Traume glühn -
schlafe, schlafe.
Hauch deines Mundes,
süsse Weise,
öffnet die Thüre
des Himmels leise -
Blüten fallen
wie Engelslöckchen,
silberne Glöckchen
singen und lallen
schlafe, schlafe.
Schlafe, mein Kind
wie der Duft in der Blume -
Süsse haucht
die Rose deines Schlafes,
haucht wie Rosen
in alle Dinge,
bis sie wie Geigen
zittern und singen
schlafe, schlafe.
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46
(S. 231-232)
_____
Glück
Dunklem Land entgegen!
o könnt ich meine Stirne
in die Fluren legen,
wie in Gottes Hand . . .
Du dunkler Abendwind
du grosser, umgiebst mich -
o könnt ich auf den Knien
weinen: du liebst mich.
Du weinst, wo
wir mit tiefstem Mund hangen -
aus dem warmen Schoss der Nacht
sieh mich, sieh mich hinaus verlangen.
Jetzt, jetzt mit dem übervollen
Herzen hinaus
über diese dunklen Schollen -
welche Sehnsucht! welches Glück!
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 232)
_____
Abendlied
Ueber den Weiden
ist der Mond
aufgegangen -
Ueber den Weiden
ist mein Leiden
in Licht zergangen -
Ueber den Weiden
ist Friede
und seliges
Empfangen.
Aus: DIE INSEL
Herausgegeben von Otto Julius Bierbaum /
Alfred Walter Heymel / Rudolf Alexander Schröder /
Zweiter Jahrgang Drittes Quartal April bis Juni 1901
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig
Erschienen im Verlage der Insel
bei Schuster & Loeffler Berlin S. W. 46 (S. 233)
_____
Liebeslied
Ich weiß einen Rosengarten
Voll wonniglichem Duft,
Gefärbt ist von den zarten
Rosen Licht und Luft.
Darin spaziert,
Geputzt, frisiert,
Die Frau, die alle Wege ziert.
Ihre Äuglein liebkosen
Mein Herz so lind und weich,
Um ihrer Wange Rosen
Sind meine Wangen bleich,
Küßt sie mich,
So taucht sie sich
In mein Blut, herzinniglich.
Es geht ein holdes Schweigen
Ihr immerdar zur Hand.
Voll Engeln, welche geigen,
Wölkt sich ihr zart Gewand,
Scham ist ihr schönstes Kleid,
Ihr Mund ist Herzeleid,
Ich küß' ihn wohl in Ewigkeit.
Aus: Hyperion
Drittes Heft 1908
(S. 83-84)
_____
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Schloß