Ernst Schulze 
      (1789-1817)
      
      
      Psyche
      
      ein griechisches Märchen in sieben Büchern
      
      
      
      Angefangen im Sommer 1807
      
      
      Erstes Buch
      
      
      Auf Tempe's holder Flur, in einem Hain von Myrten,
      Durch den sich der Penëus schlängelnd wand,
      Entblühte still und unbekannt
      Ein holdes Kind im Kreise frommer Hirten.
      Sie hieß Psycharion; und Keiner fand
      Ringsum auf Tempe's weiten Auen
      Ein Mädchen, das ihr glich an Reizen und Verstand.
      Sie schien mit Göttern mehr als Sterblichen verwandt;
      Auch sagte mancher Hirt dem Nachbar im Vertrauen,
      Daß eine Huldgöttin in süßer Schwärmerei,
      In Paphos Hain, auf einem Rosenbette,
      Mit einem jungen Gott sich einst vergessen hätte,
      Und Psyche kurz darauf im Hain gefunden sey.
      Doch, was man nun auch von ihr glaubte,
      Das wußten alle, daß ihr Blick
      Dem, den er traf, im Augenblick
      Das Herz aus seinem Busen raubte.
      
      So schön und noch so jung? Dann wehe ihrem Geist
      Und ihrem Herzen! wird der strenge Eifrer sagen.
      Verzeihe, lieber Freund. In jenen goldnen Tagen
      Hielt man den goldnen Spruch, den Salomo beweist,
      "Auf dieser Welt ist Alles eitel"
      Für wahr und handelte danach.
      Und wenn man auch vom Fuße bis zum Scheitel
      So schön war wie der junge Tag,
      Je nun, man grämte sich nicht drüber,
      Doch, daß man so, wie jetzt, im eitlen Hochmuthsfieber
      Sich aufgebläht und manchen armen Tropf
      Und manchen Biedermann, nachdem man ihm den Kopf
      Verdreht, mit Hohn zurückgewiesen hätte,
      Davon erzählt mein Mährchen nicht.
      Man kannte damals noch der Treue süße Pflicht,
      In keinem Wörterbuch stand schon das Wort: Kokette;
      Und wenn man's drin gesehn, ich wette,
      Es wäre Närrin übersetzt.
      
      Zwar war Psycharion schon jetzt
      Geschmückt mit all den dreißig Gaben,
      Die Coringer zum Schönheitskanon macht;
      Doch hatte sie noch nie gedacht,
      Nur eine einzige zu haben.
      Sie war erst vierzehn Sommer alt,
      Und Amors reizende Gewalt
      Hielt noch ihr Herzchen nicht gefangen.
      Sie ahnete noch nicht das schmachtende Verlangen,
      Das in der Jahre Lenz die trunkne Seele füllt,
      Und das nur heiße Liebe stillt.
      Zwar war zuweilen schon im Traum ein holdes Bild
      Vor ihrem Blick vorbeigegangen
      Und hatte mit verschämtem Bangen
      Ihr argwohnloses Herz gefüllt;
      Doch kaum vergingen wenig Stunden,
      War es aus ihrem Geist schon wiederum entschwunden.
      
      Wohl mancher Hirt, der mehr für sie empfand
      Als Freundschaft, sprach von Gluth und süßem Triebe
      Und von den Tändelein, worin in Cypris Land
      Im stillen Blüthenhain sich Amors Jünger üben;
      Doch nie vermochte sie zu lieben,
      Da sie noch nie ein Herz dem ihren gleich gekannt.
      Nein, wie man Schwestern oder Brüder,
      Wie Freunde man und Aeltern liebt,
      So liebte sie die Hirten wieder;
      Doch was der Liebe erst die schönsten Reize giebt,
      Dies holde, schmachtende Verlangen,
      Nur Einem Wesen anzuhangen,
      Den leisen Händedruck, den halbverstohlnen Blick,
      Dies gab sie ihnen nicht zurück.
      
      So floh im süßen Rausch der holden Jugendspiele
      Ihr noch ein froh durchträumtes Jahr,
      Und nach und nach nahm sie veränderte Gefühle,
      Die sie noch nie gekannt, in ihrem Herzen wahr.
      Sie fühlte, daß sie jenen lieber
      Als diesen sah, und wenn bei'm Pfänderspiel
      Auf sie das Loos, den Kuß zu geben, fiel,
      So stahl sich unvermerkt ihr Blick zu dem hinüber,
      Der ihr vor Andern mehr gefiel.
      
      Einst ging sie bei der Sonne Sinken
      Im Myrtenwald, der ihre Hütt' umzog,
      Den düftevollen Hauch der Kühlung einzutrinken.
      Wo der Peneus sich im dichtsten Haine bog,
      Sah sie, vom Fluß geformt, ein rundes Becken blinken,
      Das eine Rosenwand im halben Kreis umzog.
      Der Ort war rings so heimlich und so stille,
      Die Wellen plätscherten so sanft durch's Ufer hin,
      Und durch der Blätter grüne Hülle
      Sang leis' und schwermuthsvoll der Haine Königin,
      Der Nachtviolen Kelch ergoß die süßen Düfte,
      Der Abendsonne letzter Strahl
      Sah matt und zitternd noch ins dämmerliche Thal,
      Und kosend flüsterten durch's zarte Laub die Lüfte.
      
      Der Schönen schien der Ort zum Baden recht gemacht:
      Ringsum des Waldes dunkle Nacht,
      Und dann der kleine Teich, so glänzend wie ein Spiegel,
      Vor jedem Lauscherblick versteckt
      Durch rankendes Gebüsch und waldbewachsne Hügel.
      Sie sieht sich sorgsam um, und als sie nichts entdeckt,
      Beginnt sie scheu, mit sanften Herzensschlägen,
      Das luftige Gewand erröthend abzulegen.
      
      Schon sank der zartgewebte Flor,
      Des holden Busens keusche Hülle,
      Und in der reinsten Jugendfülle
      Stieg sanftbewegt die Brust, der Fesseln frei, empor.
      Jetzt fiel der letzte dünne Schleier,
      Und wie zu Cypris sanfter Feier
      Stand unverhüllt die schöne Jungfrau da,
      So hold, wie einst Idalia
      Der königliche Hirt auf Ida's Gipfel sah.
      
      Sie steigt in's Bad und plätschert in den Wellen
      Vergnügt umher und scherzend, und erschrickt,
      Wenn an die Brust, vom Weste sanft gedrückt,
      Die kleinen Wogen rauschend schnellen.
      Der Schönheit Zauber schien die Dämmrung zu erhellen,
      Von ihrem Anblick war rings die Natur entzückt:
      Die Weste, die in Blüthenbüschen
      Sanftflüsternd gaukelten, verließen ihre Lust,
      Und, sie mit Kühlung zu erfrischen,
      Umflatterten sie Psyche's Brust;
      Der Vögel Chor erwachte auf den Zweigen
      Und sang mit doppelt süßem Laut;
      Ein jeder Blumenkelch, mit Perlennaß bethaut,
      Schien sich vor ihrem Blick zu neigen,
      Und durch das Dunkel strahlt' ein rosenfarbnes Licht.
      Zwar diese Huldigung merkt' unsre Schöne nicht,
      Denn Keiner hatte noch ein Mädchen so bescheiden
      Und Keiner noch so argwohnlos gesehn.
      
      Indeß begann der Mond am Himmel aufzugehn,
      Und Psyche trat an's Land, sich wieder anzukleiden.
      Schon hüllte faltig das Gewand
      Sich um die schön geformten Glieder,
      Und züchtig barg der Flor den holden Busen wieder.
      Zwar manches Zephyrs lose Hand
      Versucht', um noch einmal die Lüsternheit zu stillen,
      Den dünnen Flor verräthrisch zu enthüllen;
      Allein vergebne Müh, zu fest hielt ihn das Band.
      
      Ihr glaubt nun, diese Badescene
      Mit allen Wundern sey allein von der Natur
      Aus Liebe gegen unsre Schöne
      Bewirkt. Da irrt ihr sehr. Was uns auch Epikur
      Von ihrer Kraft und Allmacht dichtet,
      Glaubt mir's, die gute Mutter regt
      Nicht Hand, nicht Fuß, wenn sie ein Stärkrer nicht bewegt.
      Drum hört, wie mir das Mährchen es berichtet!
      Ob's wahr sey oder nicht, das pflegt
      Hier einerlei zu seyn. Matt von der Liebe Siegen
      Flog Amor nach Idalia zurück.
      Hoch aus den Lüften sah sein Blick
      Peneus holde Ufer liegen,
      Den steten Aufenthalt von ländlichen Vergnügen
      Und von dem reinsten Erdenglück.
      Der holde Ort reizt ihn, herabzufliegen;
      Und als er sich der Erde naht,
      Sieht er Psycharion sich baden.
      Süßlächelnd steht sie da. Erst eben hat
      Sie sich der letzten Hüll' entladen,
      Und zitternd tritt ihr Fuß in's sanftbewegte Bad.
      Wie anmuthsvoll ihr Wuchs! So blühten
      Selbst nie die lächelnden Chariten,
      So reizend war Cythere selber nicht.
      Voll Unschuld war ihr Blick, die holden Wangen glühten
      Von süßer, keuscher Scham; ihr reizendes Gesicht
      Sah fröhlich in der Wellen Wiederscheine
      Sein holdes Bild, das sich im Glanz der Wogen bricht,
      Der rings die Thäler und die Haine
      Mit halber Dämmerung bestreut und halbem Licht.
      Des Gottes Herz zerschmilzt in zärtliches Entzücken.
      So wünscht er ewig sie voll Sehnsucht anzublicken.
      Er strebt nicht mehr, die Menschen zu berücken,
      Er denkt an seine Macht, an seine Pfeile nicht;
      Kurz, er, der kleine Bösewicht,
      Sonst nur bereit, der Menschen Ruh zu morden,
      War schnell zu Platons Amor jetzt geworden.
      
      Ist das denn jener Amor nicht,
      Der uns so oft um unser Herz betrüget,
      Nachdem er den Verstand in süßen Schlaf gewieget,
      Und dann so schnell entfliehet? spricht
      Hier manches schöne Kind. Nein, jener ist es nicht;
      Doch hütet euch, daß euch sein redliches Gesicht
      Nicht, wie schon oft geschehn, betrüget!
      Wenn jener unser Herz durch seinen Pfeil gewinnt,
      Fängt dieser es durch List. Er ist ein sanftes Kind,
      Das demuthsvoll zu unsern Füßen lieget,
      An unserm Anschaun nur sein zärtlich Herz vergnüget,
      Deß Seele schwärmend sich an unsre Seele schmieget
      Und ganz in Eins mit ihr zusammenrinnt.
      Doch soll er oft, wenn Ort und Stunde günstig sind,
      Wenn er in einem dunklen Haine,
      Wo Luna's Licht mit zauberischem Scheine
      Durch dunkle Myrtenlauben blitzt,
      An unsre Brust geschmieget sitzt,
      Dann soll er oft sich schnell verwandeln
      Und ganz so wie sein loser Bruder handeln.
      Drum fliehet Amorn, welcher es auch sey!
      Sie sind am Ende einerlei,
      Bald weiß er so, bald so sich einzudrängen,
      Er war es, der im Doctorkleide sich
      In Heloisens Kammer schlich
      Und dort in feinen Uebergängen
      Von mönchischer Philosophie
      Und trockener Theologie
      Zur Liebe endlich kam. Daß Platons Amor nie
      Auf unsrer Erdenwelt gewandelt haben sollte,
      Das sag' ich nicht; allein, wer mit ihm tändeln wollte,
      Dem müßten Grazien den zarten Sinn
      Und Sokrates die strenge Tugend schenken.
      
      Doch ruhig! wo gerath' ich hin?
      Laßt zu Psycharion zurück uns wieder lenken,
      Die Amor unterdeß versteckt und ungesehen
      Begleitete. Rings blühn an den Gesträuchen
      Jasmin und Rosen auf, und von des Aethers Höhn
      Entschweben Töne, die so sanft in's Herz sich schleichen.
      Die Schöne bleibt verwundert stehn
      Und blickt umher, den Zauberer zu sehn,
      Der solche Wunder schafft. Wie? soll sie vorwärts gehn?
      Soll sie es nicht? Sie geht und kömmt an einen Rasen,
      Wo, gleich Rubinen und Topasen,
      Ein duftend Heer von bunten Blumen glänzt;
      Rings bilden üppige Jasminen,
      Mit Rosen hie und da bekränzt,
      Ein Obdach, werth, zum Sitz dem Liebesgott zu dienen,
      Und in des Kreises Mitte steht
      Ein Wagen aus geflochtnen Myrten,
      Von Rosenzweigen überweht,
      Vor dem vier weiße Tauben girrten.
      Wo bin ich? ruft die Schön' und bebt,
      In staunendes Entzücken ganz verloren.
      Hat diesen Ort ein Gott zum Wohnsitz sich erkoren?
      Hat Cypris dies Gebüsch zu stiller Lust gewebt?
      Und horch, aus hohen Lüften schwebt
      Ein süßes Lied zu ihren Ohren,
      Der Aeolsharfe gleich, wenn sie der West belebt:
      
      Zittre nicht, du Holde! Laß kein Beben
      Sich in deiner keuschen Brust erheben!
      Du bist eines Gottes süße Braut.
      Auf, besteige seinen Blumenwagen,
      Laß dich hin in seine Reiche tragen,
      Wo die Liebe dir Altäre baut!
      
      Dort sollst du in aller Herzen thronen,
      Sollst in köstlichen Palästen wohnen,
      Rings umstrahlt von nie geseh'ner Pracht.
      Strebe nicht, dein Schicksal zu ergründen!
      Luftig wird das Glück dir sonst entschwinden,
      Wie ein Traum der kurzen Sommernacht.
      
      Die Schöne steht verzückt im Hören und im Schauen.
      Was soll sie thun? Soll sie den Worten trauen?
      Soll sie es nicht? Doch ach! der Stimme Flehn,
      Es klingt zu süß, sie kann nicht widerstehn.
      Mit Beben steigt sie in den Wagen,
      Und, durch die Wolken fortgetragen,
      Strebt er durch weite Räume hin.
      Sanft trugen ihn die lauen Lüfte
      Und hauchten um die Herrscherin
      Der Blumen schönste Nektardüfte.
      
      Allmählig senkte sich der Wagen nun herab
      Und ließ Psycharion ein holdes Land erblicken,
      Wie nie Armidens und Alcinens Zauberstab
      Ein ähnliches erschuf, um Helden zu bestricken.
      Rings schien die gütige Natur
      Mit vollen Händen alle Gaben,
      Die sie besaß, auf diese Flur
      Mit Liebe ausgestreut zu haben:
      Ein weites, grünes Thal, von sanften Höhn begränzt,
      Das tausend Quellen rings durchirrten,
      Erschien dem frohen Blick; dort zog von duft'gen Myrten
      Sich eine Wiese hin, und vom Gebüsch umkränzt,
      Wallt heimlich dort ein See und küßt mit sanften Wellen
      Des Ufers blühend Grün; in wilden Wasserfällen
      Stürzt hier ein Bach sich schäumend durch's Gefild,
      Doch leise fließt er bald und mild,
      Und Blumen wölben sich ob seinen klaren Fluthen;
      Dort schützet vor des Mittags Gluthen
      Den Wanderer ein stiller Felsengrund,
      Vom hohen Wald umweht, wo bunt
      Und duftend Ros' und Nelk' und Veilchen und Jasminen
      Sich um den Preis zu streiten schienen;
      Hier lockt ein dichter, dunkler Wald,
      Wo Früchte sich an Früchte drängen;
      Und Feld und Thal und Hain erschallt
      Von wunderlieblichen Gesängen.
      
      Doch, ach! umsonst versuch' ich, euch
      Die holde Gegend zu beschreiben.
      Die Schilderei kömmt nie dem wahren Urbild gleich,
      Wie immer auf der Welt, denn alles Thun und Treiben
      Des Menschen, der sich fühlt, ist schwaches Streben nur,
      Das Ideal, das die Natur
      Zum Ziel ihm stellte, zu erreichen.
      Stets wandelt er auf seiner Spur;
      Glaubt er es schon erreicht, sieht er es schnell entweichen,
      Es winkt an einem rauhern Pfad;
      Zwar Blumen schmücken stets den Weg, den es uns führet,
      Doch dem sind Götter hold, der ihm so weit genaht,
      Daß er des Kleides Saum ihm leise nur berühret.
      
      
      Zweites Buch
      
      
      Die Schöne übersah mit wonnevollen Blicke
      Das holde Thal, wohin die Macht
      Des Gottes sie im schnellen Flug gebracht.
      Wo bin ich? ruft sie voll Entzücken,
      Wer wohnt auf dieser Zauberflur?
      Wer herrscht hier über die Natur,
      Mit Himmelsreiz dies Thal zu schmücken?
      Ist dies der Huldgöttinnen Thron?
      Hat den Adonis einst Cythere hier gefunden?
      Sind Lunen hier der Dämmrung holde Stunden
      Einst mit Endymion im süßen Rausch entflohn?
      
      Und sanft und lieblich, gleich wie in Olympus Hallen
      Der Grazien und Musen Lieder schallen,
      Entbebt den Aetherhöhn ein wonniglicher Ton:
      
      Kalter Reif umzog hier einst die Wälder;
      Ew'ger Schnee bedeckte rauh die Felder;
      Oed' und traurig war hier die Natur.
      Dir zu Lieb' ist Schnee und Eis entschwunden,
      Eine Gottheit, die du überwunden,
      Formte dir zur Wohnung diese Flur.
      So sprach die Stimm' und schwieg. Der zephyrleichte Wagen
      Ward itzt zu einem Schloß getragen,
      Das Kunst und Reichthum schwesterlich
      Zu einem wahren Göttersitze
      Geformt. Doch hoffet nicht, daß ich
      Hier die Gelegenheit benütze,
      Wie Scudery im Alarich,
      Ein Schloß euch zu erbaun, dem nie ein andres glich.
      Die Kunst der Perraults und Vitruve
      Ist meine Sache nicht. Darum zurück, damit
      Mir die Kritik nicht in die Ohren rufe:
      Steig nur, so hoch du kannst, und höher keinen Schritt.
      
      Solch ein Palast hier in des Waldes Mitte?
      Denkt Psyche und erstaunt. In diesem holden Thal
      Erwartete sie wohl nur eine Schäferhütte,
      Bey der ein klarer Wasserfall.
      Hernieder rieselte, wo die bemoosten Wände
      Des Weines grüne Reb' umwände,
      Und wo der müde Gast bei'm ländlich frohen Mahl
      Die Sitten Tempe's wiederfände,
      Doch zürnte Psyche nicht, betrogen sich zu sehn;
      Denn so getäuscht zu seyn, ist wahrlich immer schön.
      
      Indessen hoben unsichtbare Hände
      Vom Wagen sie, und sanft, von Zephyrs Arm umfaßt,
      Schwebt sie bei lieblichem Gesang in den Palast:
      
      Komm herein in deines Schlosses Hallen,
      Komm herein, du süße Königin!
      Laß dir unsre Dienste wohlgefallen,
      Blicke mild auf unser Streben hin!
      Früh, wenn sich Apollons Rosse heben,
      Spät, wenn Hesperus die Flur bethaut,
      Ewig wollen wir dich treu umschweben,
      Komm herein, des Gottes süße Braut!
      
      Mit der Liebe sehnendem Verlangen
      Harret zärtlich der Geliebte dein.
      Komm herein, ihn wonnig zu umfangen,
      Seine holde Königin zu seyn.
      Hörst du nicht die Myrtenkränze wehen?
      Hörst du nicht der Harfen süßen Laut?
      Komm herein, die Feier zu begehen!
      Komm herein, des Gottes süße Braut!
      
      So sang's. Und Harfentön' und Flöten um die Wette
      Begleiteten das wollustvolle Lied.
      Die Thüren öffnen sich, und Psyche sieht
      In einem Saale sich, wo selbst ein Sybarit
      Sein höchstes Gut gefunden hätte.
      Dort bot ein sanftes Kanapee,
      So weich, wie neu entkeimter Klee,
      Mit koischem Geweb' umhüllet,
      Den Schooß der süßen Ruhe dar.
      Dort lockt' ein goldner Tisch, mit Speisen angefüllet.
      Und winkte sie, so eilte unsichtbar
      Ein Heer von kleinen, weichen Händen,
      Das Köstlichste, das Schönste ihr zu spenden.
      Rings wallt ein süßer Nektarduft;
      Begleitet von der Laute holden Tönen,
      Floß ein Gesang sanft schwellend durch die Luft,
      Und wiegt ihr Herz in namenloses Sehnen.
      
      Daß jetzt Psycharion, nachdem sie etwas sich
      Von ihrer Fahrt erholt, des Schlosses weite Zimmer
      Durchirrt, und daß ringsum hier alles königlich
      Von Gold und Edelstein gestrahlt, so daß vom Schimmer
      Die Augen übergehn, das wißt ihr ohne mich.
      Doch jetzt verlaßt mit mir des Reichthums todte Schätze,
      Und folgt mir in die lebende Natur.
      Dort trifft man häufiger der Musen holde Spur,
      Und Amor spannet dort die unsichtbaren Netze.
      Schon öffnet sich des Gartens Lustrevier,
      Und auch mit uns ist Psyche hier.
      
      Durch Rosen und Jasminengänge
      Durchirrte sie den Feenaufenthalt.
      Bald führt sie schlangengleich und enge
      Der Pfad durch einen dunklen Wald;
      Bald schwindet das Gesträuch, und bange
      Steht sie an einem Felsenhange,
      Der in ein holdes Thal sich scharf hernieder streckt,
      Wo mancher See, umkränzt von blühenden Gehegen,
      Und mancher Bach, vom Laube halb versteckt,
      Das Auge lockt. Auf rauhen Wegen
      Klimmt sie herab. Ein wilder Wasserfall
      Ergießt sich neben ihr in schäumenden Kaskaden
      Und schlängelt hüpfend sich in blumigen Gestaden
      Durch's holde Thal, wo manche Nachtigall,
      Im duftigen Gesträuch verhüllet,
      Mit sanfter Zärtlichkeit der Schönen Herz erfüllet.
      Mit blassem Dämmerlicht sah Luna auf die Flur,
      Und träufelte, voll süßer Milde,
      Des Schlummers Zauber auf's Gefilde,
      Und jeder leise Laut erstarb in der Natur.
      Und sieh, es hebt aus dem Gebüsche,
      Das bunt und zauberisch des Mondes Licht beglänzt,
      Ein Tempel sich empor, von Rosen rings umkränzt.
      Die Holde tritt hinein. In einer Marmornische
      Steht lächelnd Cytheräens Bild,
      Ein Bild, wie Miron einst und Polyklet es schufen.
      Der Stein schien von der Kunst zum Leben aufgerufen;
      Zu reden schien der Mund, die Augen lachten mild;
      Ein banger leiser Seufzer quillt
      Aus Psychens Brust, ein süßes Ahnen füllt
      Ihr sanft das Herz, ihr Auge schwimmt in Thränen.
      Sie scheint sich anders itzt, als sie noch eben war.
      Wie ist mir? ruft sie aus. Was bebt so wunderbar
      Mir durch dies Herz? Wer schafft dies süße Sehnen?
      Wer singt vom ew'gen Glück in leisen Zaubertönen
      Mir in die Brust den ach! so holden Wahn?
      Hast du dies Wunder, Göttliche, gethan?
      O sey dem Opfer hold, das Freud' und Dank dir spenden.
      
      Sie eilt hinaus, nimmt von des Tempels Wänden
      Der Kränze schönsten, naht mit schüchternem Gesicht
      Der Göttin sich, legt ihn mit bangen Händen
      Auf den Altar, sinkt auf die Knie, und spricht:
      
      O nimm sie an, die kleine Gabe!
      Ich opfre sie mit reinem Sinn,
      Ich opfre alles, was ich habe,
      Und gebe mich dir ganz dahin.
      Du hast mein Wesen umgestaltet,
      Des Lebens holder Mai beginnt.
      Nimm an, du, die so gütig waltet,
      Des jungen Lenzes schönstes Kind!
      
      Kaum war der Kranz geweiht, so werden rings die Hallen
      Mit lieblichem Gedüft erfüllt.
      Ein schönrer Glanz umfließt der Göttin holdes Bild,
      Und Harfentön' und süße Lieder schallen:
      
      Das erste Opfer hast du jetzt gebracht,
      Du hast dich ganz Cytheren hingegeben.
      O folge stets der süßen Triebe Macht!
      Geliebtseyn nur und Lieben sey dein Leben!
      
      So sang's. Und sanft, wie wenn ein leiser West
      Ein Rosenblatt, das von des Sommers Schwüle
      Schon halb vertrocknet war, ergreift, und in die Kühle
      Des klaren Quells es fallen läßt,
      Um neues Leben ihm zu spenden,
      So ward Psycharion von kleinen weichen Händen
      Zu Amors Heiligthum gebracht.
      Die schönste Grotte war's, wo eine kleine Quelle
      Dem Marmorkrug entsprang. Rings herrschte dunkle Nacht;
      Nur stahl zuweilen sich des Mondes sanfte Helle
      Durch's duftende Gebüsch. Ein Lager, sanft und kühl,
      Zwar nur von Myrtenlaub, doch von den Amoretten
      So weich gestreut, wie Eiderbetten,
      Empfing die holde Braut. Ein seliges Gefühl,
      Wie in Elysiums Blumengründen
      Die frommen Seelen es empfinden,
      Durchzuckte sie. Ein süßes Ahnungswehen
      Flog durch ihr Herz, das hier zu finden,
      Was sie bisher in Träumen nur gesehn.
      
      Und plötzlich, horch! ein leises Säuseln
      Schlich durch der Grotte Dunkelheit,
      So wie sich sanft des Baches Wellen kräuseln,
      Wenn in des Haines Einsamkeit
      Sich eine Huldgöttin in kühle Fluthen tauchet.
      Es nahet sich, und leise hauchet
      Ein unsichtbarer Mund, gleich einer Melodie,
      Die bald sich schwellend hebt, bald sanft in Luft verhallet,
      So süße Worte aus, wie selbst Cythere nie
      Zu ihrem Liebling sprach. Der Schönen Busen wallet
      Von süßer Angst, von nie empfund'ner Lust.
      Was schadet es, ihm zuzuhören?
      Zu grausam wär' es doch, das Reden ihm zu wehren.
      Doch halt, das ist zu kühn! Von ihrer holden Brust
      Sucht eine weiche Hand den Schleier wegzuziehen,
      Und tausend heiße Küsse glühen
      Auf Busen, Mund und Hand. Sie hebt
      Sich schnell vom Lager auf, um zu entfliehen;
      Doch eine Stimme, die ihr Inneres durchbebt,
      Hält sie zurück: Du willst entfliehen?
      O du, für die allein nur meine Seele lebt?
      Verweile noch! bei jenen Zauberstrahlen,
      Womit Selenens Blick zur Erde niederschaut,
      Bei jenem Rosenkelch, von Perlennaß bethaut,
      Bei jenen Blumen, die im klaren Quell sich malen,
      Beschwör' ich dich, verweile, süße Braut!
      
      Wer hätt' es Psychen nicht verziehen,
      Daß sie gefesselt ward durch dieses Schwurs Gewicht?
      Und dennoch mußte sie entfliehen,
      Ruft manche Prüde hier. O laßt zu streng uns nicht,
      Nein, laßt uns Menschen menschlich richten.
      Setzt euch nur selbst in Psychens Fall hinein.
      Denkt in die Grotte euch, vom dichten
      Gebüsche rings versteckt, von Luna's Zauberschein
      Mit jener Dämmerung umgossen,
      Die, ach! so leicht das Herz zur Zärtlichkeit bewegt;
      Denkt eure Sinnlichkeit von Wundern aufgeregt,
      Von Götterduft berauscht, euch an die Brust geschlossen
      Von einem Wesen, das so süße Worte spricht,
      Und dann, versteckt die Wahrheit nicht,
      Sprecht, hättet ihr euch losgewunden?
      
      Kurz Psyche blieb. Sie kam, die seligste der Stunden,
      Der Schönen holdes Auge bricht
      In süßer Lust. Mit heißen Armen
      Umfaßt er sie; an ihrer warmen,
      Hochangeschwellten Brust fühlt sie die seine glühn.
      Ach! sie versucht nicht mehr zu fliehn,
      Sie kämpft nur noch mit matten Bitten.
      Ihr schwindet und ihm mehrt sich stets der Muth;
      Sie weicht, sie sinkt, es mischt sich Gluth in Gluth,
      Und die Natur hat ihren Sieg erstritten.
      
      Betäubt vom wonnigen Genuß,
      Sank in des Siegers Arm die Schöne.
      Ein süßes Schmachten folgt. Nur leise Liebestöne
      Und mancher sanft geraubte Kuß
      Verkünden ihre Lust. Wie eine reine Quelle
      Vom Felsenhang sich schäumend niedergießt,
      Doch plötzlich wieder sanft durch ihre Ufer fließt
      Und nur zuweilen noch aufhüpfend mit der Welle
      Des Randes Blumen netzt, so schmolz der Wonne Glühn
      In süße Ruh'. O welche Seligkeiten
      Empfand Psycharion! Ein neues Leben schien
      Sich reizend vor ihr auszubreiten,
      Ein schönres Leben, wo ein ew'ges Frühlingsgrün
      Der Seele lacht, wo in dem Strom der Zeiten
      Die Jahre wohl, doch nie die Freuden fliehn,
      Wo nie der heitre Aether trübe
      Und nie die Flur verödet ist,
      Wo man so schnell das Leid, doch nie die Lust vergißt,
      Das Leben der beglückten Liebe.
      
      Zwar sah Psycharion im Schooße der Natur
      Auch manche Freuden schon entsprießen;
      Doch solche Freuden, die man nur
      In seinem Innern zu genießen,
      An fremder Brust nicht zu ergießen
      Vermag, wie arm sind sie! Zwar schön war Tempe's Flur,
      Allein das Volk, das sie bewohnte,
      Glich den Nomaden noch; noch thronte
      Dort nicht der Sittlichkeit verfeinerte Kultur,
      Durch die sich Lieb' und Lust zur Göttlichkeit erhöhen.
      Noch hatte keiner dort den blühenden Apoll
      Durch Hain und Thal der Heerde folgen sehen;
      Noch rührte Orpheus nicht, vom Geist der Gottheit voll,
      Der Rohen Herz durch süßer Töne Wehen;
      Noch sah man nicht der Huldgöttinnen Spur
      An des Penëus blumigten Gestaden.
      Der launenvolle Pan strich einsam durch die Flur,
      Und Demeter, mit goldner Frucht beladen,
      Regiert' allein die gütige Natur.
      Wie können solche Götter bilden?
      Zwar Ceres schließt der Sterblichen Verein;
      Doch was gefühlvoll sie und fein
      Und liebenswürdig macht, was sie mit milden
      Und holden Sitten schmückt, zu Menschen schafft aus Wilden,
      Das geben Musen nur und Grazien allein.
      
      Psycharion war ein zu feines Wesen,
      Als daß durch solch ein Volk, so viel
      Des Schönen wir von ihm auch im Guarini lesen,
      Ihr Herz befriedigt sey. Jetzt hatte sie das Ziel
      Von ihrem Wünschen, ihrem Hoffen,
      Von alle dem, was einst die jugendliche Brust
      Geahnet und gesucht, getroffen.
      Wie schmiegte sie sich nicht im süßen Rausch der Lust
      An ihres Gatten Herz und sprach in Schmeicheltönen
      Der holden Liebeständelei,
      Was die entzückte Schwärmerei
      Und ihrer Brust erfülltes Sehnen
      In's Herz ihr gab, doch was, wär' er von den Kamönen
      Auch selbst erzogen und zum Liebling auserwählt,
      Kein Dichter wieder euch erzählt.
      
      Soll ich nicht dein süßes Bild erkennen?
      Soll ich dich nicht bei deinem Namen nennen?
      Laß die Hülle, die dich mir entzieht!
      Halb ist nur der Liebenden Entzücken,
      Wenn nicht wechselnd aus den trunknen Blicken
      Seligkeit durch beider Seele glüht.
      
      So sprach Psycharion, von Sehnsucht hingerissen,
      Indem sie zärtlich ihn umschlang.
      Doch plötzlich fühlte sie bei ihrem heißen Küssen
      Des Gatten Augenpaar von Thränen überfließen.
      Ein schwerer, leiser Seufzer drang
      Aus seiner Brust, und sanft sprach er und bang:
      
      Forsche nicht! Nur in der Dämmrung Feier
      Oeffnet sich der Nachtviole Schooß;
      Hebt der Tag den zauberischen Schleier,
      Steht sie düfteleer und anmuthlos.
      Froh sehn wir die Schmetterlinge fliegen,
      Mit der Farben buntem Glanz geziert,
      Aber schnell entschwindet das Vergnügen,
      Wenn ein rauher Finger sie berührt.
      
      Psycharion vernahm mit Zagen
      Das Wort. So schau' ich nie dein lächelndes Gesicht,
      Nie deiner Züge Reiz, der Augen holdes Licht?
      Ach, mag ein andres Herz es tragen,
      Die arme Psyche trägt es nicht!
      So hallte lange noch von ihren leisen Klagen
      Die dunkle Nacht, bis endlich sanft und süß
      Der Schlaf die Flügel ausgebreitet,
      Und, von der Träume Schaar im frohen Tanz begleitet,
      Auf ihre Wimpern sich voll Milde niederließ.
      
      
      Drittes Buch
      
      Der Morgen kam, die leichtbeschwingten Stunden
      Eröffneten Aurora's gold'nes Thor,
      Und rings entschwand der Dämmrung düstrer Flor.
      Psycharion, des Schlummers Arm entwunden,
      Sah hocherröthend rings umher,
      Den Gatten zu erspähn; doch ach! der Platz war leer,
      Wo er geruht. So ist er doch entschwunden?
      So seufzte sie betrübt, und ihres Gatten Wort
      Fiel drückend ihr auf's Herz. Doch tausend frohe Spiele
      Verscheuchten bald die düsteren Gefühle,
      Und jagten schnell den Gram aus ihrem Busen fort.
      
      Von Harfen und Flöten begleitet,
      Reizt bald ein lieblicher Chor
      Ihr fröhlich lauschendes Ohr;
      Im bunten Nachen gleitet
      Sie bald auf silberner Fluth,
      Wo Myrten und Rosenhecken
      Sie duftend vor der Gluth
      Der brennenden Sonne verstecken,
      Wo sanft balsamisch und kühl
      Sich scherzende Zephyretten
      Auf ihrem Busen betten,
      Und rings im frohen Gewühl
      Sich Nymphen und Najaden
      Im klaren Gewässer baden.
      Bald tanzt ein fröhlicher Chor
      Von Faunen und muntern Mänaden
      Aus nahen Gesträuchen hervor.
      Sie wirbeln und drehen und winden
      Sich scherzend im schwebenden Reihn,
      Bis sie allmählig im Hain
      Und in die Grotten entschwinden.
      
      So floh Psycharion der Tag.
      Als es nun kühler ward, und rings die Schatten
      Der Haine sich verlängert hatten,
      Ging sie, im Traum versenkt, dem Lauf der Quelle nach.
      Erst blühten Wiesen rings, doch bald verlor der Bach
      In düstern Wäldern sich, die nie der Sonne Schimmer
      Mit heitrer Luft erhellt. Die Schöne tritt hinein.
      Bald hemmt umranketes Gestein
      Den wüsten Pfad, bald irrt durch öde Trümmer
      Der müde Fuß. Und sieh! es gähnet eine Kluft
      Sie plötzlich an, umgraut von dunklen Thränenweiden.
      Sie kehrt sich ab, den wilden Ort zu meiden;
      Doch ein geheimer Zauber ruft
      Sie unbezwinglich hin. Vergebens wehen
      Sanft warnend Stimmen aus der Luft
      Ihr zu: laß ab, hinein zu gehen!
      Mit eigner Hand störst du dein süßes Glück!
      Doch ach, umsonst! Ein feindliches Geschick
      Zwingt die Unglückliche; sie kann nicht widerstehen.
      
      Sie tritt hinein. Von düsterm Zwielicht war
      Die Grott' erfüllt. Es schwebten wunderbar
      Ringsum unkenntliche Gestalten,
      Die bald in Nebelhauch verwallten,
      Bald wieder aus dem trüben Duft
      Zu neu gebildeten Phantomen sich entfalten.
      Ein blasses Licht durchschimmerte die Luft,
      Das rastlos hier und dorthin irrte
      Und wechselnd jeden Gegenstand
      In ein unkenntliches Gemisch dem Blick verwirrte.
      Im dunkeln Hintergrunde stand,
      Umkettet rings von bunten Schlangen,
      Ein weißgeformtes Marmorbild
      Mit ungewissem Blick und eingefallnen Wangen:
      Die Haare starrten, fürchterlich
      Mit Nattern untermischt. In seinen Händen strahlte
      Ein glänzender Krystall, worin dem Blicke sich
      In steter Wechselung ein wildes Chaos malte,
      Wo Wahrheit dem Betrug, Betrug der Wahrheit glich.
      Bald zeigte sich in holder Schöne
      Ein anmuthstrahlendes Gesicht
      Mit einer Glorie von sanftem Rosenlicht,
      Doch bald entfloh die milde Scene,
      Der holde Zauberglanz entschwand,
      Und schrecklich, hundertköpfig wand
      Ein Ungeheuer sich durch düstre, leere Räume.
      So kamen und entflohn, mit sich im ew'gen Streit,
      Die eitlen Phantasien, wie in der Dunkelheit
      Der Nacht das Volk der luft'gen Träume
      Die Sterblichen durch steten Wechsel neckt,
      Bald durch ein holdes Bild der Sehnsucht Gluth entzündet,
      Bald mit Phantomen sie und Feuerdrachen schreckt,
      Bis Beides schnell in eitle Luft entschwindet.
      
      Die düstre Zweifelsucht, von Furien gezeugt,
      Sie war's, die diese Kluft zum Wohnsitz sich erkoren,
      Sie, deren gift'gem Hauch der Scherz und Frohsinn weicht,
      Sie, welche Freuden, die das Glück uns kaum geboren,
      Mit ihren grausen Schwingen scheucht.
      Sie fürchteten die fernsten Nationen
      Und huldigten der Göttin Macht;
      Aus niedern Hütten ward und von erhabnen Thronen
      Manch traurig Opfer ihr gebracht.
      Nicht Freuden schuf sie, nichts als Schmerzen,
      Denn jedem, der ihr nahte, ließ
      Sie in den Spiegel schaun, und mit verwelktem Herzen
      Kehrt' er zurück. Selbst dieses Paradies,
      Wo Amors mächt'ger Wink regierte,
      Blieb nicht von ihr verschont, denn von dem Unglücksort,
      Wohin einmal des Schicksals Macht sie führte,
      Trieb sie kein Gott, selbst Zeus nicht fort.
      Zwar hatte Cypris Sohn mit tausend Amorinen
      Die Kluft umringt; der Gott, dem süße Träume dienen,
      Und Himeros und Pothos wachten dort.
      Doch ach! wie konnten sie der Starken widerstehen,
      Die den Gebieter selbst der Götterwelt besiegt?
      Auch Psychen zwang ihr Wink, in den Krystall zu sehen,
      Und sanft in Träume eingewiegt,
      Erblickte sie sich ohne Schleier
      Auf ihrem Bett; doch ach! an ihrer Seite liegt
      Ein fürchterliches Ungeheuer,
      So grausend, als es je der Menschen Furcht erfand.
      Des Löwen glich sein Haupt, mit Zähnen war der Rachen
      Dreifach verzäunt, und hinten wand
      In schnellen Kreisen sich der Schweif des größten Drachen.
      Schon naht sein Schlund der holden Schläferin,
      Die Zunge lechzt, ihr Blut zu trinken;
      Laut schreiet Psyche auf, die starren Kniee sinken,
      Und halb entseelt stürzt sie zu Boden hin.
      
      Wie aufgeschreckt aus düstern Phantasien,
      Fuhr endlich Psyche auf. Das gräßliche Gesicht
      Schwebt noch vor ihrem Blick. Wohin soll ich entfliehen?
      Ihr Götter, o verlaßt die arme Psyche nicht!
      Ruft sie verzweiflungsvoll. Doch nach und nach verfliegen
      Des Traumes Bilder ihr, und vor der Grotte fand
      Sie sich auf weichem Rasen liegen.
      O welch ein Kummer übermannt
      Die Arme jetzt! Von welchen goldnen Höhen
      War sie herabgestürzt! Ein wilder Streit entstand
      In ihrer wunden Brust. Bald wehen
      Mitleid'ge Genien ihr Hoffnungsbilder zu;
      Doch ach! wie leerer Schaum vergehen
      Sie bald. Unglückliche! so ruft sie, mußtest du
      Deshalb der Lieben Kreis, die jugendlichen Freuden,
      Der Kindheit argwohnslose Ruh,
      Der Aeltern süße Küsse meiden,
      Um ohne Grab, von keinem Freund,
      Von keinen blühenden Gespielinnen beweint,
      So früh des Orcus Pfad zu gehen!
      Doch warum folgtest du dem heuchlerischen Flehen,
      Dem falschen Schein, der ach! so oft betrügt?
      Unglückliche, du liebtest die Gefühle,
      Womit ein loser Gott dein schwaches Herz besiegt.
      Du freutest dich der süßen Liebesspiele,
      Des holden Traums, der ach! so schnell verfliegt,
      Und findest jetzt, bei'm traurigen Erwachen,
      Den Tod in eines Unholds Rachen.
      
      Doch nein, sie sind nicht wahr, die eitlen Luftgebilde,
      Sie sind Betrug, von Furien erdacht.
      Er, der in jener süßen Nacht
      So zärtlich dich umfing, er, der so milde,
      So holde Worte sprach, er sollt' ein Unhold seyn?
      So schlau kann sich die Tücke nicht verstecken,
      Solch eine Gluth kein Ungeheuer wecken.
      Frag' ich mein Herz, so spricht es zärtlich: Nein!
      
      So dachte Psyche. Doch nicht lange
      Blieb dieser süße Wahn. Gleich einer bösen Schlange,
      Die, wenn wir schaudernd fliehn, sich schlau in's Gras verbirgt,
      Und, wenn wir uns dem Untergange
      Entflohn schon glauben, rasch hervorspringt und uns würgt:
      So nahte, wenn sich kaum der wonnigliche Glaube
      Von des Geliebten Treu' in ihren Busen schlich,
      Des Traums Erinnerung der Seele fürchterlich,
      Und gab das arme Herz dem düstern Gram zum Raube.
      Nein! ruft sie rasch, und Muth durchzucket ihren Geist,
      Ich kann ihn länger nicht ertragen,
      Den Kampf von Lieb' und Haß, der meine Brust zerreißt.
      Mit kühnen Händen will ich's wagen,
      Die wilden Zweifel zu verjagen,
      Und sterben oder glücklich seyn.
      
      Entschlossen eilte sie, als schon des Mondes Schein
      Am Horizont sich zeigte, durch den Hain
      Zum Hochzeitlager und versteckte
      Bei'm Bett ein Lämpchen, matt genährt;
      Und kühn, mit einem Dolch bewehrt,
      Bestieg sie jetzt die sanften Kissen.
      
      Und der Geliebte kam. Mit zephyrleichten Füßen
      Schlich er durch's Dämmerlicht der Nacht.
      Er fragt mit leisem Ton, ob seine Psyche wacht,
      Und eh sie reden kann, ist er schon liebetrunken
      An ihren Busen hingesunken.
      
 O süße Macht der Liebenswürdigkeit,
      Der Huldgöttinnen schönste Gabe,
      Durch welche Ninon noch, so nah dem späten Grabe,
      Beglückter Liebe sich gefreut,
      Mit welcher Macht gebietest du den Herzen!
      Auch Psyche, bei dem süßen Scherzen
      Der wonniglichen Zärtlichkeit,
      Vergaß der Zweifel bange Schmerzen,
      Und fast schon hatte sie's bereut,
      Daß sie dem Argwohn Raum gegeben.
      Doch als der Rausch der Wonne schwand,
      Und ihr des Athems leises Beben
      Des Gatten Schlaf verhieß, da fand
      Des Zweifels düstrer Geist, den sie noch kaum verbannt,
      In ihrem Busen neues Leben.
      Halb zagend, halb entschlossen, wand
      Sie sich aus des Geliebten Armen.
      Ihr Schutzgeist ruft umsonst: Halt ein! o hab' Erbarmen
      Mit deinem eignen Glück! Vergebens; ihre Hand
      Hält schon die Lamp' empor, und von des Lichtes Strahlen
      Wird rings die dunkle Grott' erfüllt.
      
      Du Meister in der Kunst zu malen,
      Du, dessen Blicken sich die Grazien enthüllt,
      O Wieland, male jetzt des Liebesgottes Bild!
      Ein Tröpfchen nur aus jener Feenquelle
      Der zauberischen Phantasie,
      Die mild dir die Natur zum Eigenthum verlieh,
      Nur Einen Ton der süßen Harmonie,
      Mit der dein Vers, gleich einer sanften Welle,
      Die leise murmelnd durch das blühnde Ufer schlüpft,
      Im grazienhaften Tanz dem Ohr vorüberhüpft,
      Nur einen kleinen Theil von diesen Göttergaben
      Verleihe mir zu Amors Bild!
      
      Mein Blick wird hell, die Musen haben
      Des Herzens heißen Wunsch erfüllt,
      Der Vorhang reißt, der mir die Götterwelt verhüllt.
      Ich sah ihn ruhn, nicht jenen losen Knaben,
      Der seinen Muth so gern an fremden Leiden stillt,
      Nein, einen Jüngling, hold und mild,
      Antinous an Kraft und Ganymeden
      An blühnden Reizen gleich, so daß in mancher Nacht
      Die keusche Luna selbst, die Königin der Spröden,
      Statt zu Endymion, zu ihm sich hingedacht,
      Und oft die Küsse nun bereute,
      Die sie dem ew'gen Schläfer weihte.
      Wie reizend lag er da! Ein süßes Lächeln floß
      Um seinen kleinen Mund. Der Wangen Reiz erhöhte
      Aurorens milde Purpurröthe.
      Ein weiches Goldgekräusel goß
      In sanften Wellen sich auf seine Brust hernieder,
      Und aus den zarten Schultern sproß
      Ein sammtnes farbiges Gefieder.
      Rings schmiegte sich um seine holden Glieder
      Ein unnennbarer Reiz, aus sanfter Schüchternheit
      Und kühner Lust gewebt, woraus die Charitinnen
      Der Liebesgöttin Gürtel spinnen.
      Wie süß er schläft, wie sanft in sich hineingeschmiegt,
      Als wär' er zauberisch vom Lied der Nachtigallen
      In leisen Schlummer eingewiegt!
      Wie klopft sein Herz! wie seine Pulse wallen,
      Beschwingt vom schönsten Traum, der seine Stirn umfliegt!
      Sieh her, Psycharion, ist das das Ungeheuer,
      Das deine Phantasie so schrecklich dir gemalt?
      Du schweigst erstaunt? In deinen Blicken strahlt
      Der heißen Liebe zitternd Feuer;
      Dein Aug' ist reuevoll zur Erde hingewandt;
      Du bebst; es zittert in der Hand
      Die Lampe dir, mit Rosenöl getränket.
      O stör' ihn nicht, den süßen Traum der Lust,
      Der seinen Geist umschwebt! Umsonst; ein Tropfen senket
      Sich brennend auf die zarte Brust -
      Und er erwacht.
      
      Wie einem Menschen ist, den mit den schönsten Träumen
      Ein Gott beschenkt, wo hold der Liebe Blick ihm lacht,
      Wo rasch die Freuden fliehn und rascher wieder keimen,
      Und nie das Uebermaaß die Lust ihn hassen macht;
      Wie diesem ist, wenn er erwacht,
      Und jetzt nun in die dürre Wüste
      Der Wirklichkeit versetzt sich sieht:
      So ward Psycharion. Der Genius entflieht,
      Der sonst ihr äußres Glück durch innre Ruh versüßte,
      Und wenn sie auch die That mit ihrem Leben büßte,
      Nichts hält den Fliehenden zurück.
      Mit trübem, kummerschweren Blick,
      Nicht voll von Zorn, nein, voll von Zähren,
      Sieht Cypris Sohn sie an. So muß ich dir entfliehn?
      Ach! sollte denn das Glück nur wenig Stunden währen,
      Das mir in deinem Arm Aeonen würdig schien?
      O meine süße Braut! Betrogene Geliebte!
      So lebe wohl! Das Schicksal ruft - ich muß -
      So lebe wohl! Nimm diesen letzten Kuß
      Und hasse nie den, der dich nie betrübte!
      
      So ruft er weinend aus, naht sich mit leisem Flug,
      Küßt sie auf Stirn und Mund, und sieh, mit leisem Wehen
      Naht' eine Wolke sich und trug
      Den Gott empor zu lichten, goldnen Höhen.
      
      Als kaum der Liebesgott entschwand,
      Verbargen jammervoll die Nymphen und Najaden
      In düstre Klüfte sich, hoch braust an den Gestaden
      Der Bäche Fluth empor und überschwemmt das Land,
      Schnell flieht der Vögel Chor die duftigen Gesträuche,
      Es welkt der Wiesen frisches Grün,
      Und Hain und Flur und Thal verblühn,
      Und mit der Erde Schmuck entfliehn
      Die Brüder Amors schnell in Cytheräens Reiche.
      
      
      Viertes Buch
      
      
      Doch jetzt, ihr Freunde, setzt mit mir
      Euch in den zauberischen Wagen
      Der Phantasie! und laßt euch hin nach Cypern tragen.
      Seht, in die Lüfte schweben wir
      Schon hoch hinauf. In grauer Tiefe ragen
      Der alten Troja Thürm' empor.
      Jetzt flieht das Land. Hört, wie an euer Ohr
      Der Wogen dumpfe Donner schlagen!
      O zittert nicht! Seht ihr den holden Götterort?
      Der Wagen sinkt, wir stehn in Cytheräens Lande.
      
      Seht ihr die Göttin, wie sie dort
      Im losen, flatternden Gewande
      Auf jenem Throne sitzt? Voll Kummer ist ihr Blick,
      Und unbekränzt und ordnungslos umfließen
      Die Locken Hals und Brust; gebeugt zu ihren Füßen
      Liegt der Chariten Chor, entflohn ist alles Glück
      Von Paphos goldner Flur, die zarten Amoretten
      Sehn freudenlos sich an, kein süßes Lied erschallt,
      Oed' ist es auf der Flur und öd' im duft'gen Wald;
      Gefesselt an des Grames Ketten
      Liegt alle Lieb' und Lust. Was ist es für ein Schmerz,
      Der Cypris trauern macht, der Freud' und heitern Scherz
      Von des Vergnügens Flur verscheuchet?
      Und Alles senkt den Blick, und jede Wang' erbleichet,
      Und Alles ruft: Wir klagen Cypris Sohn;
      Der Gott der Lieb' ist uns entflohn!
      
      Schon mancher Tag war jetzt entschwunden,
      Seit Amor Cypria verließ.
      Ach! in der Liebe Paradies,
      Im süßen Rausch der holden Schäferstunden,
      Wie konnt' auch ein Gedanke nur
      An seines Reiches goldne Flur,
      An seiner Mutter Angst, an der Chariten Schmerzen
      In seiner Brust entstehn? Er, der so viele Herzen
      Mit seinem bittern Pfeil besiegt,
      Der stolze Gott, er unterliegt
      Dem eigenen Geschoß; und als sein Glück entfliegt,
      Als Psyche ihn verräth, kann er den Gram nicht tragen,
      Er flieht und birgt betrübt sich in die tiefste Kluft
      Des Kaukasus, und seine lauten Klagen
      Verhallen fruchtlos in der Luft.
      
      Ein Freund der fliehenden Najaden,
      Der gern, wenn unbesorgt sich holde Nymphen baden,
      In dichtem Laube sich versteckt
      Und lüstern seinen Hals durch die Gebüsche reckt,
      Ein Faun, der grad' ein Mädchen jagte,
      Das ihm entfloh, kam in die Einsamkeit,
      Wo Cypris Sohn, dem Grame nur geweiht,
      Sein schmerzliches Geschick beklagte.
      Das Faunenvolk lauscht gar zu gern;
      Drum birgt auch dieser sich nicht fern
      Vom Orte, wo die Tön' erschallen,
      In ein Gebüsch und horchet lauschend zu.
      
      Wo bist du hin, du holde Ruh,
      Rief Amor weinend aus, die in den Myrtenhallen
      Von Paphos mich beglückt? Wo bist du, heitrer Sinn,
      Der mich so oft im Hain der Nachtigallen,
      Wenn ich mit einer Huldgöttin
      Auf jungen Blumen saß, belebte?
      Ach Psyche, süße Braut, mit dir, mit dir entschwebte
      Mir jede Lust und jedes Glück!
      Und ehe dich mir das Geschick
      Nicht wiedergiebt, kehr' ich nach Paphos nicht zurück
      Und nicht zum Göttersaal. Bei'm Styx sey es geschworen!
      
      Der Satyr wackelt mit den Ohren,
      Als er das Wort vernimmt. Da ist er ja, der Sohn,
      Denkt er, den Cypria verloren.
      Die Nachricht bringet mir ein gutes Botenlohn,
      Ein Küßchen oder zwei. Nur nicht zu sehr gezaudert!
      Denn Ohren hat der Wald, und Ohren hat die Flur.
      Leicht könnt' es seyn, daß, eh' ich Armer nur
      Cytherens Land erreicht, ein Andrer schon geplaudert.
      
      So spricht er und enteilt, und nach zwei Stunden schon -
      Die Götter reisen schnell - ist er vor Cypris Thron.
      O Göttin, die du oft, wenn Amor dir entlaufen,
      So sprach der Faun, die frohe Nachricht dir
      Von seinem Aufenthalt mit Küssen zu erkaufen
      Versprochen hast, was giebst du mir
      Für meine tröstungsvolle Kunde?
      Zwei Küßchen nur und noch ein drittes in den Kauf
      Für meiner Füße schnellen Lauf
      Zur Stärkung von dem Rosenmunde!
      Du siehst, daß fast der Athem mir gebricht.
      
      Was thut die Mutterliebe nicht!
      Auch Cypris, welcher sonst ein Küßchen zu verdienen
      Kaum einer schön genug von allen Göttern war,
      Sie reichte jetzt mit holden Mienen
      Dem Faun die Rosenlippen dar;
      Und der erzählt, halb taumelnd vor Entzücken,
      Was er gehört. Doch wie erstaunt er nicht,
      Als mit des Unmuths düstern Blicken
      Die Liebesgöttin zürnend spricht:
      Deswegen flieht er mich, der stolze, eitle Knabe?
      Um eine Sterbliche verläßt er Paphos Hain,
      Verläßt er mich, die ich im Schooß gewiegt ihn habe,
      Und meiner Huldgöttinnen Reihn?
      Um eine Sterbliche, die kaum ein Tausendtheilchen
      Der niedrigsten von meinen Nymphen gleicht?
      Fällt ihm Cytherens Zorn so leicht?
      Es ginge noch, wär's nur ein kurzes Weilchen,
      Doch treu zu seyn! O Amor, schäme dich!
      Wo ist das Mädchen, welches mich
      Und meine Nymphen so beleidigt?
      Wir wollen sie doch sehn. Sucht sie und bringt sie her!
      Weh' ihr, wenn sie sich nicht, so wie ich will, vertheidigt!
      Sie fühle dann, der Götter Zorn sey schwer!
      
      Nein, solcher Rachsucht ist Cythere,
      Die Lächelnde, nicht fähig, spricht
      Wohl mancher Hörer hier. O traut dem Scheine nicht!
      Verletzt das sanfteste Geschöpf an seiner Ehre,
      An seiner Eitelkeit, schnell wird es zur Megäre.
      Die Eitelkeit regiert die Welt:
      Sie macht aus Frommen Bösewichter,
      Sie schafft Minister, Fürsten, Dichter,
      Und ehe sie den Busen ihm geschwellt,
      Ward mancher ernste Sittenrichter
      Oft als ein Schelm und Dieb am Pranger ausgestellt.
      
 Indeß Cythere nun in die entferntsten Lande
      Berschlagne Boten schickt, die Feindin zu erspähn,
      Irrt diese in dem dürren Sande
      Der Wüst' umher. Rings war kein Baum zu sehn,
      Kein kühler Quell, die Lippen zu erfrischen,
      Kein Beerchen an den Dornenbüschen
      Bot sich zur kargen Labung dar.
      Ach, wie so ganz verschieden war
      Das Jetzt vom Jüngst, da sie an Göttertischen
      Ambrosia gespeist, und sanft von zauberischen
      Gesängen eingelullt, auf Rosenbetten schlief!
      O arme, arme Psyche! rief
      Sie weinend aus, so sollst du hier vergehen,
      Und nie der Heimath trauten Hain,
      Nie deine Aeltern wiedersehen?
      O fänd' ich einen Fluß, ich stürzte mich hinein;
      Doch ach, zu schrecklich ist des Schmachtens lange Pein!
      Indem sich so ihr Schmerz in lauter Klag' ergießet,
      Hört sie ein Rieseln, silberrein,
      Wie wenn durch Klippen und Gestein
      Ein rascher Quell herniederfließet.
      Sie eilt dem holden Tone nach,
      Sie naht, und denkt euch ihr Entzücken,
      Ein tiefer, wilder Felsenbach
      Wälzt sich mit rascher Fluth vor ihren frohen Blicken.
      O süßer Tod, ruft sie erfreut,
      O süßer Tod, so darf ich dich umarmen!
      Du schaust mich an, mit Blicken voll Erbarmen;
      Der Fackel Gluth erlischt, und mit ihr alles Leid.
      Sie ruft's, und will herab sich stürzen,
      Doch eine starke Hand hält plötzlich sie zurück.
      Sie steht erstaunt. Vor ihrem Blick
      Schmückt blühend sich die Flur, und tausend Düfte würzen
      Die reine Luft, und aus der Fluthen Grund
      Hebt eine Nymphe sich, von Götterglanz umschienen.
      Sie schauet Psychen an mit wundersüßen Mienen,
      Und wie Gesangeston entbebt aus ihrem Mund:
      
      Höre auf zu klagen und zu weinen!
      Weinen nicht, nur Buße frommet hier.
      Erst nach langer Prüfung wird mit dir
      Wiederum dein Gatte sich vereinen.
      Traue meiner Rede freudig nur!
      Künft'ges gab ein Gott mir zu verkünden.
      Willst du deinen Gatten wiederfinden,
      Gehe hin nach Paphos Blumenflur.
      Zwar wird dort, nach Cypris strengem Willen,
      Manches Leiden grausend dich bedrohn.
      Harre muthig aus! Groß ist dein Lohn,
      Herrlich wird dein Schicksal sich enthüllen.
      
      So spricht der süße Ton. Die holde Nymphe sinkt
      In die geschwollne Fluth, die steigend sie umringt.
      Wie wenn auf holde Aun, wo lang des Sommers Schwüle
      Heiß und verzehrend rings geweht,
      Und jeder Baum verdorrt, und welk die Blume steht,
      Aus Wolken plötzlich sich die lebensvolle Kühle
      Des milden Regens niedersenkt
      Und jeden Baum erfrischt und jede Blume tränkt:
      So fühlte Psyche schnell mit Tröstung sich erfüllet,
      Der Schwermuth düstrer Schleier schwand,
      Der sie vorher mit grauser Nacht umhüllet;
      Vor ihrem Geiste lag ein schönres, beßres Land,
      Voll grüner Aun und blühnder Triften,
      Durchweht von nektarsüßen Düften,
      Voll Quellenlaut und Liebesharmonie.
      Mit welcher Sehnsucht strebte sie
      Nach diesem Lande hin! Zwar manche rauhe Pfade
      Sind noch davor und manche steile Höhn;
      Doch o, wie kühlet nicht am glücklichen Gestade
      Der Liebe Palmenkranz so schön!
      Nur Muth, mein Herz! Bald ist der Sieg erstritten,
      Bald langst du froh im frischen Hafen an.
      Süß schlummerst du im Arm des Gatten dann
      Und fühlst den Gram nicht mehr, den du zuvor erlitten.
      
 So ruft Psycharion in süßer Schwärmerei
      Und eilt, um Paphos zu erreichen.
      Verschwunden ist nun sie, die grause Wüstenei
      Rings blüht die schönste Flur, besät mit Duftgesträuchen,
      Benetzt von Quellen, die durch Veilchenthäler schleichen,
      Begränzt von blühnden Höhn. Voll süßer Träumerei,
      Getrieben von des Herzens Sehnen,
      Irrt Psyche, nicht gedenk der Thränen,
      Die sie erwarten, durch die Flur.
      Bald folgt sie eines Bächleins Spur,
      Der eine duft'ge Au mit sanfter Fluth bespület,
      Bald ruhet sie, vom Hauch des Wests gekühlet,
      Von Duft umweht, im dunklen Myrtenhain,
      Und hört den Liedern zu, die durch die Zweige schallen;
      Und wenn der Mond mit Silberschein
      Die Fluren deckt, schläft sie, umtönt von Nachtigallen,
      Auf weichen Blumenbetten ein.
      
      O holdes Land, wo Göttern nur zu wallen
      Vergönnt ist, holdes Land der Unschuld und Natur,
      Fänd' ich doch einst in dir den langersehnten Frieden!
      O wohnt' ich doch auf einer Feenflur,
      Durch ferne Meeresfluth vom Sturm der Welt geschieden,
      Wo, von des eisernen Berufs Geschäften frei,
      Aus keinem süßen Traum die strenge Pflicht mich schreckte,
      Wo ewig schön und ewig neu
      Der junge Morgen mich zum jungen Leben weckte,
      Wo ich an der Geliebten Hand,
      Wie in Endymions Traum, mein Daseyn froh verlebte,
      Bis es zuletzt in ein noch schönres Land,
      Wie Aeolsharfenklang langsam verhallend, schwebte!
      
      Doch ach, zu schöner Traum, entflieh!
      Mich setzte das Geschick auf irdische Gefilde,
      Und deine holden Luftgebilde,
      Sie herrschen nur im Reich der Phantasie.
      Zum Loos ist Thätigkeit den Sterblichen beschieden;
      Drum sey auch Thätigkeit des Menschen höchstes Ziel!
      Verletzt auch oft das Unglück euren Frieden,
      So denkt, die Erde hat der Freuden doch so viel.
      Wie schön ist nicht das lohnende Gefühl
      Nach der vollbrachten That! Wie süß der Dank für Leiden,
      Die ihr gemildert! Wenn die Freuden
      Der Liebe euch beseligen,
      Wenn Freundesherzen treu an eurem Herzen schlagen,
      Dann könnt ihr froh und muthig sagen:
      Auch ich bin in Arkadien.
      
      Indeß naht Psyche schon des Meeres hohem Strande;
      Und ungewiß und zweifelsvoll
      Steht sie jetzt da und sinnt, wer sie nach Cypris Lande
      Auf wilder Fluthen Bahn hinüber bringen soll.
      Indem sie so auf's Meer herniedersieht, erspähet
      Sie einen Kahn, der wie ein Blatt, das leicht
      Ein sanfter West durch blaue Lüfte wehet,
      Dem Ufer naht. Kein Schiffer zeigt
      Sich drin. So hat ein Gott zu dem, was ich geflehet,
      Ein gütig Ohr herabgeneigt?
      Ruft Psyche aus, und muthig steigt
      Sie in den schmalen Kahn. Ein lauer Zephyr blähet
      Das Segel auf, und wie beflügelt streicht
      Das Schifflein durch die Fluth. Von Psyche's Reiz betrogen,
      Glaubt der Gewässer Volk Cytheren hier zu sehn.
      Delphine heben sich aus den getheilten Wogen
      Und schwärmen um das Schiff, und Nymphen, wunderschön,
      Umtanzen froh den Bord und singen süße Lieder.
      Der Schwan mit glänzendem Gefieder
      Läßt sanfte Töne durch die stillen Lüfte wehn.
      Froh sitzt Psycharion, umhüpfet
      Von manchem holden Traumgesicht,
      Und keine schwarze Ahnung schlüpfet
      In ihre sichre Brust. Sie denkt der Zukunft nicht,
      Da mit so holdem Rosenlicht
      Die Gegenwart sich zeigt. Unglückliche, es eilet
      Der Kahn so schnell dahin! Das Land
      Cytherens zeigt sich schon, schon weilet
      Das Schiff an deiner Leiden Strand.
      Sie steigt hinaus, und schnell durchdringet
      Ein tobendes Geräusch ihr Ohr.
      Scheu und erstaunt blickt sie empor
      Und sieht von Faunenvolk und Nymphen sich umringet,
      Die sie mit schmähndem Spott und Hohn,
      Zum Chor vereinigt, überschütten.
      Man fesselt sie; nichts helfen ihre Bitten,
      Nichts hilft ihr Trotz. Mit wildem Drohn
      Reißt man sie fort, von blinder Wuth erhitzet,
      Und bringt sie an den Platz, wo auf erhabnem Thron,
      Als strenge Richterin, der Liebe Göttin sitzet.
      
      
      Fünftes Buch
      
      O Hoffnung, holde Lügnerin,
      Wie groß ist deine Macht in unsern schwachen Herzen!
      Bald schaffst du Lust, bald bittre Schmerzen,
      Und unwillkürlich giebt sich jeder Mensch dir hin.
      Wohl ihm, wenn deiner Morgenröthe
      Die Sonne, die ihr folgt, entspricht.
      Doch weh ihm, wenn dein holdes Licht
      Sich schnell verhüllt und durch die Blumenbeete
      Geträumter Seligkeit ein wilder Sturmwind bricht.
      Weh ihm, dann steht er ganz verlassen
      Von allem Glück, das ahnend seine Brust
      Geschwellt, und ach, die bange Lust
      Der Hoffnung selbst muß er dann zürnend hassen!
      Die süßen Träume fliehn, an die er sonst geglaubt;
      Ein Hafen nur steht noch dem Müden offen,
      Der letzte, bittre Trost, zu hoffen,
      Daß bald der Tod ihm Qual und Freude raubt.
      
      Auch Psychen täuschten die Gebilde,
      Die ihr mit so viel Reiz die Hoffnung vorgemalt.
      Schon glaubte sie in Paphos Lustgefilde
      Im Arm des Gatten sich, vom Glanz der Lieb' umstrahlt,
      Als sie so plötzlich jetzt aus ihres Himmels Freuden
      Zur Erde niedersank.  Ist das die Zauberin,
      Die Amorn um Verstand und Sinn
      Gebracht? Nun sein Geschmack ist wahrlich zu beneiden,
      Ruft Cypris aus. Welch ein unschuldiges Gesicht!
      Man möchte wahrlich doch fast glauben,
      Daß es ihr an Verstand, verliebt zu thun, gebricht.
      Und solch ein blödes Kind soll meinen Sohn mir rauben?
      
      Wie konnte Cypris Sohn wohl so geschmacklos seyn,
      Sich solch ein Mädchen zu erlesen?
      Mein gutes Kind, man kann nicht ewig sich erfreun;
      Du bist jetzt Göttin lange gnug gewesen,
      Jetzt kannst du auch einmal wohl meine Sclavin seyn
      
      Mit sanften, demuthsvollen Mienen
      Und thränenschweren Blicken spricht
      Psycharion: O Göttin, kränke nicht
      Mein armes Herz so sehr! ich will dir ewig dienen.
      Gehorsam sey jetzt meine Pflicht.
      Befiehl das Schwerste mir, ich will es gern verrichten.
      Und wenn's an Kraft dem schwachen Arm gebricht,
      Mag dann dein Zorn mich ganz vernichten;
      Allein, mein Herz, o Göttin, kränk' es nicht!
      
      Nun wohl, sprach Cypria mit schadenfrohen Blicken,
      Siehst du die Kränze dort, die meines Tempels Wand,
      In schöne Reihn geordnet, schmücken?
      Nur einen hat die Sonnengluth verbrannt;
      Verwelkt senkt er das Laub, das schwache Weste pflücken.
      Nimm diesen Kranz und geh in jenen dunkeln Wald,
      Wo nie der Sonne Licht erwärmend niederschaute;
      Die finstre Zweifelsucht erbaute
      Dort einen Tempel sich mit trauriger Gewalt.
      Umkränz' ihr Bild und ihre Weihaltäre!
      Zwar schmückt den Kranz kein frisches Grün;
      Allein, was ist's, das dir nicht möglich wäre,
      Da Götter selbst vor deinen Reizen knien?
      Durch deine Zauberkunst muß dieser Kranz entblühn;
      Wo nicht, so fürchte mich und meines Zornes Schwere!
      Nicht biegsam wahrlich ist, wenn man sie reizt, Cythere,
      Nicht leicht wirst du der Mächtigen entfliehn.
      
      Psycharion erschrickt, sie sinket fast zurücke,
      Ihr Aug' umhüllet düstre Nacht.
      Mit welcher schadenfrohen Tücke
      War der Befehl nicht ausgedacht!
      Er heischt, daß sie das Ungeheuer schmücke,
      Das von dem höchsten Erdenglücke
      In's tiefste Elend sie gebracht.
      Weh dir, Psycharion, kannst du es wagen?
      Nahst du noch einmal dich der wilden Herrscherin?
      Wirst du den grausen Anblick tragen?
      Sinkst du nicht regungslos zu ihren Füßen hin?
      Ach, wer wird hülfreich dann an deiner Seite stehen?
      Wer läßt den Kranz entblühn mit zauberischer Hand?
      Umsonst suchst du der Rache zu entgehen,
      Im Tode nur winkt dir der Ruhe Land.
      
      So denkt Psycharion und eilet,
      Dem Leben zu entfliehn, hin zu des Meeres Strand;
      Doch eine leise Ahnung weilet
      Den raschen Fuß. Vielleicht wird deinem Flehn
      Sein gütig Ohr ein mildes Wesen neigen;
      Und wenn dann Glaub' und Hoffnung schweigen,
      Dann wird es von des Himmels Höhn
      Erbarmend zu dir niedersteigen
      Und Muth und Zauberkraft in deine Seele wehn.
      Ermanne dich, mein Herz! Die Göttlichen verlassen
      Die Liebe nie, der Gram und Kummer dräut;
      Sie müßten ja ihr eignes Wesen hassen,
      Denn nichts sind sie als Lieb' und Zärtlichkeit.
      
      So ruft sie aus und geht mit festem Schritte
      Dem fürchterlichen Walde zu.
      Rings herrschte todte Grabesruh,
      Dumpf bebt der Grund zurück bei jedem ihrer Tritte,
      Es traurt der öde Wald, der Blätter welke Last
      Hängt winterlich um den zernagten Ast,
      Von keinem West erfrischt, von keinem Thau gekühlet;
      Kein froher Vögelschwarm durchspielet
      Die Zweige, Fledermäuse nur
      Und scheue, unglückschwangre Eulen
      Durchrauschen das Gebüsch; rings tönt der Wölfe Heulen,
      Und gelbes Gift befleckt der Drachen öde Spur;
      In grausiger Gestalt durchstreifen Schreckphantome
      Die falbe Dämmerung, bald hoch emporgedrängt,
      Bald wieder tief zu Boden hingesenkt;
      In einem halbzerfallnen Dome,
      Von gift'gen Pflanzen rings umrankt,
      Hebt sich der Göttin Bild. Die bange Psyche wankt,
      Als sie der Grausen naht. Du, die mein Glück zerstöret,
      Ruft sie mit leisem Ton, nimm dieses Opfer hin!
      Und wenn dein Ohr das Flehn der Unschuld höret,
      So mildre deinen Zorn, du wilde Herrscherin.
      So fleht sie und mit bangen Händen
      Naht sie dem Bilde sich; doch wie sie es berührt,
      Fährt sie zurück laut schreiend, und verliert
      Den Kranz aus ihrer Hand. Ich muß es doch vollenden,
      So ruft sie zitternd aus, das kühne Wagestück,
      Und naht zum zweiten Mal, mit abgewandtem Blick.
      Von höherm Muth fühlt sie ihr Herz durchdrungen,
      Schon ist der Kranz um den Altar geschlungen,
      Und im erzwungnen Schmuck hohnlächelnd prangt das Bild.
      
      Jetzt sinkt sie auf die Knie - und fleht mit leisen Tönen:
      O ihr, auf deren Wink die Fluren sich verschönen,
      Du, Ceres, deren Hand die goldne Frucht entquillt,
      Und du, o Flora, die du mild
      Die Flur mit Blumen schmückst, Göttinnen, o erfüllt
      Der Flehenden Gebet! Laßt euren Segen fließen
      Aus diesen welken Kranz, schmückt ihn mit neuem Grün!
      Laßt frische Blumen ihm entsprießen,
      Und in der ersten Pracht ihn schön und herrlich blühn!
      
      So betet sie, und horch, mit wundersüßem Klange
      Hört sanfte Töne sie der stillen Luft entwehn,
      Und mit sanfttröstendem Gesange
      Schwebt eine Stimm' herab aus goldnen Wolkenhöhn:
      
      Kein Rosenstrauch wird ohne Dorn gefunden,
      In ew'ger Ruh liegt keine Seligkeit.
      Zwiefach erduldet der, der sich vor Unglück scheut;
      Wer muthig widersteht, der hat es überwunden.
      
      So sprach die Stimm' und schwieg. Ein leises Wehen fliegt
      An Psychens Ohr. Sie blickt dem Ton entgegen,
      Und sieh, ein Täubchen schwingt mit raschen Flügelschlägen
      Leichtflatternd sich herab. In seinem Schnabel liegt
      Ein Rosenblatt, mit Ichor angefüllet,
      Mit jenem Balsam, der aus Götterwunden quillet
      Und Alles, was er trifft, mit neuer Kraft belebt.
      Dreimal, mit leisem Fittig schwebt
      Um Psychens Haupt sie her und gießet
      Dann auf den welken Kranz den wunderbaren Saft.
      Und welch ein Wunder! Plötzlich fließet
      Durch das verdorrte Grün des Frühlings junge Kraft.
      Dort keimt der Nelke Pracht, dort sprießen Amaranthen,
      Hier frische Rosen auf, das blaue Veilchen hebt
      Sich schüchtern und versteckt, doch prangend aufwärts strebt
      Der Tulipanen Kelch, Heliotrope wandten
      Zum Sonnenstrahl ihr duftend Haupt empor,
      Hier blühten Lilien und würzige Jasminen,
      Dort hauchten süße Balsaminen
      Aus dem prunklosen Strauch den schönsten Duft hervor.
      Psycharion bemerkt mit wonnevollem Zagen
      Das frohe Wunder, sprachlos biegt
      Den Göttern sie die Knie und fliegt,
      Cytheren des Gebets Erfüllung anzusagen.
      
      Schon aus der Ferne ruft mit schadenfrohem Blick
      Ihr Cypris zu: Ist sie geschehen,
      Die That? Nicht wahr? Du kehrst als Siegerin zurück?
      Zu leicht war mein Befehl! - Mein kindlich frommes Flehen
      Erhörte mild ein Gott, die Schuld ist mir verziehn.
      Die Göttin steht geschmückt, des Kranzes Blumen blühn,
      Spricht Psyche demuthsvoll und beugt sich bis zur Erde.
      In Cypris feindlicher Geberde
      Versteckt sich kaum der Zorn; doch bald erhält die List
      Die Ueberhand.  Wenn du so mächtig bist,
      Daß, dir zu helfen, selbst die Götter sich bemühen,
      So hab' ich noch ein Werk für dich.
      Siehst du den Felsen dort, um dessen Gipfel sich
      Der Wolken graue Nebel ziehen?
      Zwar ist er nie erklimmt, doch leicht wird ja ein Gott
      Voll Mitleid zu dir niederschweben
      Und zu dem Gipfel dich auf seinen Flügeln heben.
      So ruft ihr Cypris zu mit Blicken voller Spott.
      Durch wildbewachsne Klippen fließet
      Dort in der Höh des ew'gen Lebens Fluth,
      Die frische Lebenskraft und neu beseelten Muth
      In den verstorbnen Busen gießet.
      Nimm dies Gefäß und füll' es mit dem Trank,
      Doch hüte dich, daß deine Lippen
      Nicht kühn aus jener Quelle nippen,
      Die nicht für Sterbliche, für Götter nur entsprang.
      Nun geh, und kannst du dies vollenden,
      So sey befreit, und nimm Cytherens Dank.
      So wie dem Sclaven ist, der, von Korsaren Händen
      Gefesselt an die Ruderbank,
      Schon manches Jahr sich härmt und, tief in Schmerz versunken,
      Umsonst um Tod zum Himmel fleht;
      So wie ihm ist, wenn er ein heimisch Schiff erspäht
      Und dann der Kräfte letzten Funken
      Versammelt, um dem Bord durch raschen Ruderschlag,
      Dem freundlichen, zu nahn: so ward auch unsrer Schönen;
      Sie trocknete des Schmerzes Thränen
      Von ihren Wangen ab und flog dem Wege nach,
      Der zu des Felsens Fuß sie führte.
      Sie nahte sich. Vergebens spürte
      Ihr Blick nach einem Pfad. Rings starren rauh und wild
      Zerstreute Klippenreihn, geschützt durch grause Klüfte,
      Die ew'ge Nacht in ihren Schleier hüllt;
      Gigantisch hebt der Fels in graue Nebeldüfte
      Sein kahles Haupt; kein Falke schwingt
      So hoch sich auf, das schärfste Auge dringt
      Mit Mühe nur zu der beschneiten Spitze;
      Den todten Grund umpanzert ew'ges Eis;
      Hier grünt kein Baum, kein blühend Reis
      Schmückt karg die schroffe Wand; aus jeder Felsenritze
      Zischt eine Schlang' empor, und Drachen, braun gefleckt,
      Und Vipern, im Gestein versteckt
      Bedrohn die Schaudernde. Mit wundgeritzten Händen
      Klimmt sie an den zerspaltnen Wänden
      Voll Todesangst empor. Ihr Götter, hört ihr nicht
      Die Flehende? Ist dein Gericht
      So streng, du milder Gott? Willst du nicht Hülfe senden
      Der einstgeliebten Braut? Umsonst; kein Trost erscheint;
      Die Thränen, die die Arme weint,
      Gerinnen schnell zu Eis; erbarmungslose Lüfte
      Verwehn der Seufzer klagend Ach;
      Und schwach nur hallt die Nacht der bodenlosen Klüfte
      Der Armen laute Klagen nach,
      Und höher klimmt sie auf. Durch starre Eisgefilde,
      Die nie der Sonne warme Milde
      Zersprengte, führt der Weg. Die letzte Kraft entflieht
      Der Matten jetzt. Ach, wenn sie aufwärts sieht,
      Wie weit ist noch das Ziel! und wenn sie niederblicket,
      Welch einen kurzen Raum ist sie erst fortgerücket!
      Es ist vorbei, ruft sie verzweifelnd, ihr entflieht,
      Der Hoffnung rosenfarbne Träume!
      Sie sind verwelkt, des Lebens schönste Keime.
      Es ist vorbei, und wüthend winkt der Tod.
      So ruft sie aus und sinkt auf's starre Eis hernieder,
      Sie schließt die Augen. O entflieh,
      Du schöne Seele, nicht so früh
      Der armen Welt! Umsonst! Doch sieh,
      Dort schwingt mit schattendem Gefieder
      Der Vogel Jupiters sich auf die Erde nieder.
      Er nimmt den Kelch aus Psychens Hand
      Und schwingt sich auf in finstre Wolkenhöhen.
      Das Auge sieht ihn nicht, das Ohr nur hört das Wehen
      Des raschen Flugs. Doch sieh, aus fernem Wolkenland
      Kehrt er zurück, der Becher ist gefüllet,
      In silberhellen Perlen quillet
      Der Geist am Rand empor. Der rasche Adler schwingt
      Zum Orte sich, wo Psychens Glieder
      Am Boden leblos ruhn. Ein kleines Tröpfchen sinkt
      Aus dem Pokal auf ihren Mund hernieder,
      Und der Viole gleich, die bei des Tages Licht
      Den festverschloßnen Kelch zur Erde trauernd senket,
      Doch, wenn der Dämmrung Thau die matten Fluren tränket,
      Die Knospe aus einander bricht,
      Und durch die stille Nacht verstohlne Düfte hauchet:
      So blüht auf Psychens Angesicht
      Das Leben wieder auf. In sanftes Roth getauchet
      Ist Wang' und Mund, der Lippen Purpur bebt,
      Und leis' und lieblich wallend hebt
      Die zarte Brust sich athmend wieder,
      Es schließen sich die Augenlieder
      Zum Leben staunend auf. O süßer Augenblick!
      Die düstern Leiden sind entschwunden,
      Geheilt des Herzens tiefe Wunden,
      Ein neues Wesen, kehrt in's Leben sie zurück.
      Die Hoffnung bietet ihr ein nie getrübtes Glück,
      Mit Rosen scheint die Zukunft ihr umwunden,
      Versöhnt das feindliche Geschick.
      Sie nimmt den Kelch und eilt mit schnellen Füßen
      Den Pfad zurück. Kein Drache schreckt sie mehr,
      Entflohn ist Schnee und Eis, am ebnen Wege sprießen
      Die schönsten Blumen auf, und alles grünt umher.
      
      Wie einem Täubchen ist, das arglos in die Schlingen
      Des schlauen Jägers fiel und jetzt von Angst durchbebt
      Die Netze zu durchbrechen strebt,
      Indeß mit Tönen, die das Herz ihr tief durchdringen,
      Der nahe Tauber lockt; so wie der Armen ist,
      Wenn eine Masche reißt, durch die sie froh entschlüpfet
      Und auf den sichern Ast zu dem Geliebten hüpfet,
      Und dort mit ihm vereint der kurzen Angst vergißt:
      So war auch Psychen jetzt. Sie sollt' ihn wiederfinden,
      Den holden Gott, zu dem ihr Herz sich sehnt.
      Betrogne, die das Wort Cytherens redlich wähnt!
      Ein Schwur ist nur ein Hauch, entführt von raschen Winden.
      Gekränkter Weiberstolz wird nicht so leicht versöhnt.
      
      Von fern erblickte jetzt Cythere
      Die Eilende. Sie sieht den Kelch gefüllt.
      Ihr Auge rollt, und eine Zähre
      Des Zorns und nicht des Mitleids quillt
      Aus ihrem Aug'. Ihr Götter, ruft sie wild,
      Soll diese Sterbliche die Göttin stets besiegen?
      Soll Paphos Herrscherin sich ohne Rache sehn?
      Sie senkt den Blick, in ihren Zügen
      Malt sich der bittre Groll. Doch wie, wenn Windeswehn
      Des grauen Nebels düstre Wogen,
      Die des Gebirges Haupt mit dunklem Flor umzogen,
      Im raschen Fluge scheucht, die waldbekränzten Höhn
      In bunter Pracht mit Grün bekleidet stehn:
      So wandeln schnell in Cypris Blicken
      Des Zornes Gluthen sich in feindliches Entzücken.
      Ich bin gerächt, ruft sie mit wildem Ton;
      Verwegne, buhle jetzt nicht mehr um Cypris Sohn!
      Noch eine That will ich dir übergeben.
      Allein wirst du auch jetzt das ferne Ziel erstreben,
      Erweichst du Hades harten Sinn,
      Dann kämpf' ich länger nicht; nimm den Geliebten hin!
      Dann muß ein Gott in deinem Busen leben.
      
      
      Sechstes Buch
      
      O sonderbares Loos des Bürgers dieser Welt!
      Bald wildem Grame hingegeben,
      Bald durch sein innres Glück den Göttern beigesellt,
      Dreht sich im wilden Kampf sein unruhvolles Leben.
      Ein jedes Wesen flieht den Feind,
      Mit wilden Löwen wird das Lamm sich nie verbinden;
      Nur in des Menschen Busen finden
      Sich Schmerz und Freude eng vereint.
      Wer ist's, der von sich rühmen möchte,
      Daß nie der Gram sein Inneres durchwühlt?
      Und wen verfolgte so des Schicksals starke Rechte,
      Daß er den Sonnenschein des Glückes nie gefühlt?
      Doch sollen wir uns mit dem Glück entzweien,
      Weil es so wunderbar das Feindliche gepaart,
      Daß wir nach herbem Schmerz der Wonn' uns süßer freuen,
      Und daß durch Lust die Unlust milder ward?
      Darum getrost! Wenn auch, verscheucht von tausend Qualen,
      Sich Glaub' und Hoffnung schon verlor,
      So steigen endlich doch des Glückes heitre Strahlen
      An unserm Horizont empor.
      Froh müssen wir uns in das Loos ergeben,
      Das wandelbar uns aus der Urne fiel;
      Wir sind nicht bloß des Schicksals blindes Spiel,
      Ein höhres Wesen lenkt mit weiser Hand das Leben;
      Kein Unmuth fruchtet hier, kein eitles Widerstreben,
      Es führt uns dunkel oft, doch sicher stets an's Ziel.
      
      Mit Blicken, voll von Hoffnung und von Freude,
      Mit Wangen, die der Liebe Purpur malt,
      Naht Psyche jetzt dem Thron. Sie wähnt die Schuld bezahlt,
      Die Gläubige, sie traut Cytherens Eide,
      Und hält die Schadenlust, die Cypris Blick entstrahlt,
      Für der Verzeihung Pfand. Doch wehe, wie erschrocken
      Bebt sie zurück, wie plötzlich stocken
      Die Pulse ihr, als so die Göttin spricht:
      Du hast die That vollbracht, die ich dir aufgetragen;
      Allein durch eigne Kraft? Ich glaub' es wahrlich nicht.
      Verdient es der, daß er die Palme bricht,
      Dem ohne Müh' ein Gott mit schnellerm Flug den Wagen
      Beschwingt, für den ein Gott mit starker Rechte ficht?
      Drum hoffe nicht, daß dir Verzeihung werde,
      Bevor du nicht noch Eins vollbracht.
      Geh hin, wo tief, im dunklen Schoos der Erde,
      Der finstre Hades wohnt, in nie erhellter Nacht.
      Und wenn du dann des Styx Gewässer überschritten,
      Wenn du den Cerberus in Schlummer eingesenkt,
      Befehl' ich dir, Persephone zu bitten,
      Daß sie ein Teilchen mir von ihren Reizen schenkt.
      Schwer ist die That, doch hast du sie vollzogen,
      Ich schwör' es bei den heil'gen Wogen
      Des Tartarus, dann sey mein Zorn gedämpft,
      Dann hast du meine Gunst und meinen Sohn erkämpft.
      
      Dem Wandrer gleich, der in der Wüste Sande
      Von Durst zu Boden fast gedrückt,
      Jetzt an des Horizontes Rande
      Ein schimmerndes Gedüft, dem Wasser gleich, erblickt,
      Entzückt dem Scheine folgt, der immer mehr entschwindet,
      Und ach! zuletzt nur Nebelstreifen findet:
      Ihm gleich verzweifelte jetzt Psychens armes Herz,
      Getäuschter Hoffnung herbe Qualen
      Sind bitterer, als hoffnungsloser Schmerz.
      Erträumtes Glück ist nie mit Golde zu bezahlen,
      Mit keinem Königreich, nicht mit der ganzen Welt.
      Wo ist der Fürst, dem nie der Schmerz den Busen schwellt?
      Allein der Hoffnung Traum, er gleicht den heitern Strahlen
      Des Diamants, den nie der kleinste Fleck entstellt.
      Dem Maler gleich, der aus verschiednen Auen
      Die schönsten Theile wählt, dort einen stillen Hain,
      Hier einen See und dort umranketes Gestein,
      Dort ein Gebirg, um das der Wolken Nebel grauen,
      Und so der Landschaft reizend Bild
      Mit Allem, was sein Blick nur Schönes sah, erfüllt:
      So sucht die Hoffnung auch zu ihren Schildereien
      Die schönsten Farben nur hervor,
      Und alle Gruppen, die das holde Bild entweihen,
      Verhüllt sie uns mit ihrem Zauberflor.
      Was glich dem Schmerze nur, der Psychens Brust durchbebte,
      Als jetzt der milde Schleier schwand,
      Und, statt der grünen Flur, sie öden tiefen Sand
      Und wildes Moor, um das ein gift'ger Nebel schwebte,
      Statt klarer Silberquellen fand.
      Wie fern war noch das Ziel, zu dem sie sehnend strebte,
      Wie rauh die Wüste nicht, durch die der Pfad sich wand!
      Ach, durch der Schatten düstres Land
      Ging jetzt der Weg zu ihrem Glücke!
      Und welches Gottes starke Hand
      Führt sie aus jener Kluft zurücke,
      Die von des Tages Licht auf ewig uns verbannt?
      Doch warum zögr' ich noch? Was frommt das öde
      Leben?
      So ruft Psycharion. Im Tode flieht das Leid;
      Wo keine Sorgen mehr den Busen stürmisch heben,
      Da nur ist Ruh, da nur ist Seligkeit.
      Hinab, hinab, die Palme zu erstreben,
      Die mir nach bangem Kampf die süße Ruhe beut!
      So ruft sie aus und eilt durch Wald und Thal zum Strande.
      Dort steht ein Kahn, das Segel hoch geschwellt,
      Sie tritt hinein, und rasch, vom Ufer fort geschnellt,
      Entflieht er pfeilgeschwind dem Lande.
      
      Rasch eilt das Schiff. Schon zeigt kein Land sich mehr,
      Der Blick sieht nichts als bunte Luftgefilde,
      Und ringsum braust hoch auf das ungeheure Meer,
      Nur schaun zuweilen noch, wie zarte Duftgefilde,
      Zerstreute Inselgruppen her.
      Jetzt fliehn erst Asiens, dann Kreta's holde Auen
      Dem Blick vorbei, und bald zeigt Griechenland,
      Das, dem Gewölke gleich, des Morgens Düft' umgrauen,
      Am Horizont des Meers den segenreichen Strand.
      Schon sind umschifft Cythera's duft'ge Wälder,
      Messeniens fruchtbare Felder
      Entziehn dem Meere schon den flachen Uferrand,
      Jetzt thürmen Elis steile Höhen
      Sich am Gestad' empor, Achaja's Spitze blickt
      Ein Weilchen jetzt daher, und rasche Winde wehen
      Das Schiff von Samos Strand, mit holdem Grün geschmückt;
      Nun läßt sich schon das Felseneiland schauen,
      Wo einst die göttliche der Frauen
      Der Freier Uebermuth mit frommer List bestrickt;
      An Akarnaniens Gestad mit Windesschnelle
      Flieht jetzt das Schiff vorbei, Epirus Ufer nahn,
      Und rasch hinweggewälzt von hoher Meereswelle,
      Naht sich dem Hafen jetzt der leichtbeschwingte Kahn.
      
      In eine Felsenbucht, vom hohen Wald umsäuselt,
      Wo außerhalb das Meer sich thürmt, hoch am Gestein,
      Doch innen friedlich sich die stille Welle kräuselt,
      Führt jetzt der Kahn Psycharion hinein.
      Sie steigt an's Land, ein dunkler Fichtenhain
      Empfängt gastfreundlich sie in seine kühlen Schatten,
      Und sanftes Moos, vom klaren Quell erfrischt,
      Mit Majoran und Veilchen untermischt,
      Schenkt die gesehnte Ruh der Matten.
      Ein süßer Schlaf, aus goldnen Höhn gesandt,
      Senkt sich, mit freundlichem Gefieder
      Auf ihre müden Augenlider
      Und leitet ihren Geist in holder Träume Land.
      Sie wähnt, es steh', umhüllt von bunten Regenbogen,
      Der Liebe Gott vor ihrem Blick.
      Voll Scham und süßer Angst bebt sie erstaunt zurück,
      Doch, mächtig von ihm angezogen,
      Naht sie sich wiederum. Sein Blick ist sanft und mild,
      Kein Vorwurf schaut aus seinen Zügen,
      Nur zarte Schwermuthswölkchen fliegen
      Um seine Stirn, mit Thränen füllt
      Sein Auge sich, als er die Hold' erblicket.
      Psycharion, so ruft er wehmuthsvoll,
      Unglückliche, erkennst du mich noch wohl?
      Er ist dahin, mein Traum, der einst mein Herz beglücket,
      Schon lange blüht die Freude mir nicht mehr.
      Und ach, doch fällt es stets so schwer,
      Dem zu entfliehn, was einst das Herz entzücket!
      Rauh ist der Prüfung Pfad, zu der dich Cypris schicket,
      Drum komm' ich dir zu helfen her.
      Nimm diesen Ring! Mit zaubrischem Gesange
      Hat Hekate ihn einst geweiht,
      Und jeder Sterbliche ist unsichtbar, so lange
      Er ihn am Finger hegt mit strenger Sorgsamkeit,
      Nimm ihn und geh, das Große zu vollführen!
      Und wohl uns, wenn dein Flehn den untern Zeus bewegt;
      Dann kann ich, holde Braut, dich nimmer mehr verlieren,
      Dann fesselt ewig uns der holden Liebe Band.
      
      So rief der Liebesgott und schwand.
      Dem Wanderer, dem auf verirrten Wegen,
      Wenn über ihm ein wilder Sturm erwacht,
      Am Horizont ein blaues Wölkchen lacht,
      Das ihn schon fröhlich hoffen macht,
      Das Wetter werde bald sich legen,
      Doch schnell entschwindet es, und fürchterlicher kracht
      Des Donners Wuth mit zehnfach stärkern Schlägen,
      Und schmetternd rauscht der winterliche Regen
      Herab durch die gespensterschwangre Nacht:
      Ihm glich Psycharion, als sie vom Schlaf erwacht.
      So hat mich nur ein süßer Wahn betrogen?
      Rief sie bekümmert aus, als sie allein sich fand.
      Ach wallt' ich ewig doch an holder Träume Hand!
      Des Lebens Aether ist mit Wolken stets umzogen,
      Und nur im Traume blüht der Wonne Vaterland.
      Sie senkt den trüben Blick; doch schnell mit neuem Leben
      Schaut sie empor, sie glaubt ihr Auge trügt;
      Denn sieh, an ihren Finger schmiegt
      Das goldne Kleinod sich, das Amor ihr gegeben.
      O Wonne! ruft sie aus, so war es denn kein Wahn?
      So ist mein Bild noch nicht aus seiner Brust
      entschwunden?
      Er liebt mich noch? O seligste der Stunden!
      Jetzt wandl' ich ruhig fort die fürchterliche Bahn.
      Bald werd' ich schön verklärt an seiner Seite schweben,
      Bald froh mit ihm der Götterwelt mich nahn,
      Euch Schatten segn' ich jetzt, die bald mich trüb' umfahn,
      Denn aus des Todes Schoos entkeimt mein schönres Leben.
      
      So ruft sie aus, und wandelt kühn
      Den unbetretnen Pfad. Bald hemmet eine Klippe
      Bald eines Stromes Lauf, bald dornigtes Gestrippe
      Die matten Füße, bald umziehn
      Die öden Felder steile Höhen;
      Nichts schreckt sie ab. Doch jetzt entschwindet alles Grün
      Der durst'gen Au, nichts ist als Sand zu sehen,
      Und schwüle, gift'ge Lüfte wehen
      Verderben auf die Flur, die Haine stehn verbrannt,
      Fremd scheint der Himmel hier, roth glimmt der Sonne Feuer,
      Und Acherons umschilfter Weiher
      Wirft seine schwarze Fluth lauttönend an den Strand.
      Am Bord des Sees erhebt hochauf in finstre Lüfte
      Ein kahler Fels sein ungeheures Haupt.
      Kein Eppig, keine Rank' umlaubt
      Mit kargem Schmuck den Schlund der schaudervollen Klüfte,
      Die gähnend ihn umziehn. Dem Land des Todes nah,
      Scheint ihm das Leben fremd. In eine hohe Pforte,
      Von ew'ger Nacht bewohnt, stürzt sich des Sees Fluth,
      Hinab zu jenem dunklen Orte,
      Wo alle Freude schweigt und aller Kummer ruht.
      Psycharion betritt mit fürchterlichem Zagen
      Den schmalen Pfad, an dem der Strom sich niederrollt.
      So soll sie jetzt dem süßen Licht entsagen?
      Zwar viel hat sie im Leben schon ertragen,
      Und ach, doch lächelt ihr das Leben noch so hold.
      Doch nur getrost! Was sollte der nicht wagen,
      Der nichts mehr zu verlieren hat?
      Hinab, hinab den fürchterlichen Pfad!
      Giebt Amor dir nicht freundlich das Geleite?
      Schwebt Lieb' und Hoffnung dir nicht lächelnd an der Seite?
      Reißt deine Sehnsucht dich nicht hin zur raschen That?
      Der Kämpfer strebt nach Sieg und Ruhm im Streite,
      Doch nie ward Sieg und Ruhm noch ohne Schweiß erreicht;
      Doch wenn der Liebe Hand das Schwert des Helden weihte,
      Wie wird ihm dann der Sieg und wie der Tod nicht leicht?
      Die Liebe überschifft des Meeres tiefe Gründe,
      Die Liebe trotzt der Elemente Macht,
      Sie kämpft und siegt in wilder Männerschlacht,
      Sie bahnt sich einen Weg durch nie betretne Schlünde,
      Und taucht sich froh in's enge Reich der Nacht.
      So ruft sie aus, und geht, halb muthig, halb mit Zittern,
      Dem Strome nach, der gleich entfernten Ungewittern
      Dumpfmurmelnd braust und lacht. Ein jeder leise Tritt
      Scheint den benetzten Grund elektrisch zu erschüttern,
      Und ringsum bebt die Fluth, die Wände beben mit.
      Umhüllt von dicht gewebten Schatten,
      Hört sie nur noch der Wogen dumpf Gebraus.
      Doch plötzlich dehnet sich ein weiter Himmel aus,
      An dem sich Nacht und Tag, in sich verfließend, gatten.
      Ein Dunkel herrschet hier, kein Licht.
      Der schauerlichen Dämmrung Schleier
      Durchglimmert ein bewegtes Feuer,
      Dem es an Glanz und Helligkeit gebricht.
      Psycharion erbebt. So bist du denn im Lande,
      Das Keinem je die Wiederkehr vergönnt,
      Wo der Vernichtung Hand des Lebens schönste Bande
      Zerreißt und Herz vom Herzen trennt,
      Wo ohne Gram und ohne Klage
      In langen Schlaf der müde Pilger sinkt,
      Indeß mit nassem Blick am düstern Sarkophage
      Um den entflohnen Freund der Freund die Hände ringt!
      So bist du denn in diesen öden Weiten,
      Wo Schatten nur die Dämmerung durchgleiten,
      Die einzig Lebende! Gedanke voller Graus!
      Hier schlägt kein Herz dir liebevoll entgegen,
      Die bleichen Wesen fliehn auf nachtumhüllten Wegen,
      Und keines hält den Blick des Lebens aus.
      So denket sie, und unbegrenztes Bangen
      Ergreift die Zögernde. Doch schnell ermannt sie sich,
      Sie schreitet fort. Schon rennen fürchterlich
      Mit blassen, eingefallnen Wangen,
      Die faltenreiche Stirn umzischt von gelben Schlangen,
      Und das zerstörte Kleid mit schwarzem Blut befleckt,
      Die Furien heran. Rings grinsen Ungeheuer,
      Und Natternbrut, im Orcus ausgeheckt,
      Versperret jeden Pfad. Bewehrt mit regem Feuer,
      Streift dort Chimära her und, tief im Sumpf versteckt,
      Zischt Lerna's Drache dort, von jedem Fuß gemieden.
      Harpyen flattern hier, dort grause Stymphaliden,
      Dort ruht das Ungethüm, das Perseus hingestreckt.
      Doch seht, schon naht sie sich den Wogen
      Des schwarzen Styx. Der graue Fährmann weilt
      Am Strand, auf's Ruder hingebogen,
      Bis sich der Nachen füllt. Mit leisen Schritten eilt
      Psycharion herzu und, jedem Blick verschleiert,
      Betritt sie kühn das Schiff. Schon flieht das Land zurück,
      Und langsam jetzt und schwer durchsteuert
      Das morsche Boot die Fluth. Noch einen nassen Blick
      Wirft Psyche wehmuthsvoll zum fliehnden Uferrande,
      Und schauet stumm und starr dann auf die Fluth hinab.
      Du siehst das Leben fliehn und eilest in dein Grab,
      Raunt ihr die Furcht in's Ohr; doch schnell zum süßen Pfande,
      Das Amor ihr geschenkt, blickt sie ermuntert hin,
      Und Rosen blüh'n im düstern Schattenlande,
      Und heitrer wird der tiefgebeugte Sinn.
      Jetzt naht der Kahn des Orcus düsterm Strande,
      Und leise, wie ein West um junge Blumen hüpft,
      Die seinen Kuß kaum fühlen, schlüpft
      Psycharion heraus. Mit grimmiger Geberde,
      Das Schlangenhaar gesträubt, die Zähne scharf gewetzt,
      Springt Cerberus hervor. Wild peitscht sein Schweif die Erde,
      Die weiten Rachen sind mit schwarzem Blut benetzt,
      Laut brüllt er auf. Bei'm schrecklichen Geheule
      Erbebt der Grund, und lang' hallt Echo es zurück.
      Psycharion erblaßt, sie wendet ihren Blick
      Hinweg, und flieht in rascher Eile
      Dem Ungethüm vorbei. Und sieh, aus Marmor hebt
      Sich jetzt ein Dom hoch in die schwarzen Lüfte,
      Von keiner Kunst geschmückt, von keinem Reiz belebt.
      Einfach und groß, so wie Aegyptens Königsgrüfte,
      Ragt er empor. Ein ew'ges Schweigen schwebt,
      Die Flügel weit gespannt, um seine düstern Zinnen,
      Und jeder Ton, der hier dem Mund entbebt,
      Scheint lautlos und gedämpft zum Flüstern zu zerrinnen.
      Zwei Sphinxe sind dem Thor als Hüter zugesellt;
      Sie ruhn bewegungslos, nur ihrer Augen Blitze
      Sind ihres Lebens Pfand. Den Busen bang geschwellt,
      Naht Psyche jetzt des Hades ödem Sitze.
      Sie tritt hinein, und auf erhabnem Thron
      Sitzt hier an seiner Gattin Seite
      Der Gott, den nie der Schmerz, nie süße Lust erfreute,
      Saturnus ew'ger ernster Sohn.
      Wild ist des Gottes Blick. Auf seinen Augenbraunen
      Ruht sinnend düstre Majestät.
      Die Schöne beugt die Knie und dreht
      Den Ring vom Finger ab, und Staunen
      Ergreift des Gottes Herz. Wer bist du, ruft er aus,
      (Und wie entfernter Donner tönet
      Der Stimme Laut) die bis in Hades düstres Haus,
      Zu dem noch niemals sich ein Sterblicher gesehnet,
      Dich unsichtbar genaht? O Gott, Erhabner, spricht
      Psycharion, nicht frevelndes Gelüste,
      Nein, eine stärkre Macht und eine höh're Pflicht
      Zwang mich herab zu des Kocytus Küste.
      Drum zürne, Mächtiger, der armen Psyche nicht!
      An deine Gattin hat Cythere mich gesendet.
      O wenn dein Herz das süße Mitleid kennt,
      So sprich ihr zu, daß sie zu reden mir vergönnt,
      Daß sich ihr Blick nicht zornig von mir wendet,
      Von mir, die Glück und Leben von ihr fleht!
      So ruft sie zitternd aus, und geht
      Gebeugt hinzu, und wirft sich nieder,
      Küßt demuthsvoll des Herrschers hohen Thron,
      Hebt schmachtend dann die holden Augen wieder
      Und flüstert, flehnden Blicks, mit sanftgedämpftem Ton:
      
      Persephone, vom Schicksal herbeschieden,
      Erschein' ich scheu vor dir mit demuthsvollem Blick.
      In deiner Hand ruht meines Herzens Frieden,
      Ruht mein Verderben und mein Glück.
      Nicht wagt' ich es, vor deinen Thron zu treten,
      Wenn höh're Macht mich nicht zum Orcus
      hergeschickt.
      Darum erhöre mich! Mit schüchternen Gebeten
      Liegt Amors Braut vor dir im Staube hergebückt.
      Ach einst erblickt' ich schönre, bessre Tage,
      Mit Rosen kränzte sie der Liebe Zauberhand;
      Doch jetzt verdammt zum Gram, verdammt zu ew'ger Klage,
      Such' ich nach Trost im düstern Schattenland.
      Du kannst ihn mir verleihn! O rette, Göttin, wehre
      Dem wilden Gram, der nie in meinem Busen schweigt!
      Zwar Großes ist's, was ich von dir begehre,
      Doch milden Herzen wird das größte Opfer leicht.
      Von deinen Reizen wünscht Cythere
      Ein Theilchen sich; wenn sie den Wunsch erreicht,
      Dann ruh' ich froh, umfaßt vom Arm des holden Gatten.
      Allein gewährst du mir die bange Bitte nicht,
      Dann kehr' ich nimmer heim, im Reich der düstern Schatten
      Bleib' ich zurück, auf ewig fern vom Licht.
      O hast du je der Liebe Glück empfunden,
      Hat je ihr süßer Hauch im Busen dir geweht,
      Sind jemals dir die rosenfarbnen Stunden
      Schnell wie ein Morgentraum im süßen Rausch entschwunden,
      So horche mild auf mein Gebet!
      Und hast du je die Qual der Trennung fühlen müssen,
      Hast du umsonst nach Rettung je gespäht,
      Sind jemals unter süßen Küssen
      Der Gatte, der Geliebte, dir entrissen,
      So horche mild auf mein Gebet!
      Bei Luna's goldner Flur, bei deiner Mutter Schmerzen,
      Bei den Gespielen, die das Haar dir einst bekränzt,
      Bei deinem Thron, bei deines Gatten Herzen,
      Bei jenem Strome, der dein düstres Reich begränzt,
      Beschwör' ich dich, erfülle mild mein Flehen!
      Laß mich nicht rettungslos von deinen Füßen gehen!
      
      So spricht Psycharion, und schaut empor, und schweigt.
      Die Göttin fühlt ihr Herz von Mitleid sanft erschüttert,
      Und selbst die harte Brust des Gatten wird erweicht.
      O Wunder, eine Thräne zittert
      In seinem Aug', und huldvoll neigt
      Den Scepter er herab. Die hehre Göttin reicht
      Bedauernd ihre Hand der Armen
      Und spricht: Ermuntre dich, des Schicksals Zorn entweicht.
      Den finstern Hades selbst ergreift Erbarmen,
      Drum sey auch mir Cytherens Bitte leicht.
      So ruft sie tröstend aus und steigt
      Vom Thron herab und füllet eine Flasche
      Mit ihrem Reiz und giebt sie Psychen hin.
      Geh, sag' an deine Herrscherin,
      Wenn sie ihr Angesicht mit diesem Balsam wasche,
      Dann sey sie doppelt schön. Doch, daß dein kühner Sinn
      Von diesem Zaubertrank nicht selbst zu kosten suche!
      Denn schnell, wenn deine Hand das heil'ge Siegel bricht,
      Stirbst du dahin, erreicht von Proserpinens Fluche,
      Schaust nie den Gatten dann, und nie das süße Licht.
      
      So wie dem Schiffer ist, dem wilder Stürme Wehen
      Den Kahn zerschmetterte, und der ein Brett erreicht,
      Auf dem er hofft dem Tode zu entgehen;
      Schon kann sein Blick das ferne Ufer sehen,
      Schon naht er sich, doch plötzlich steigt
      Ein Wogenberg empor, er kömmt mit Pfeilesschnelle,
      Schon sieht der Zagende sich an des Todes Schwelle,
      Verzweifelnd läßt er schon das Brett, das er umspannt,
      Jetzt naht sie sich, sie packt ihn wild, die Welle,
      Hoch hebt sie ihn empor und schleudert ihn an's - Land:
      So war der Holden jetzt. Vergessen und vergeben
      Ist alle Schuld. Im lichten Morgenglanz
      Sieht sie die Zukunft jetzt vor ihren Blicken
      schweben.
      Sie fühlt in ihrer Brust ein ätherreines Leben,
      Und reizend winkt der Liebe Myrtenkranz.
      Sie fühlt ihr Herz von Wehmuth überfließen,
      Küßt sprachlos und gerührt Persephonens Gewand,
      Wirft demuthsvoll dem Herrscher sich zu Füßen,
      Und schnell enteilet sie dem düstern Schattenland.
      Doch wer beschreibt der Seligen Entzücken,
      Als ihr zuerst das Licht der Sonne wieder strahlt!
      Sie irrt umher mit trunknen Blicken,
      Und Alles scheint ihr neu. Mit reinerm Purpur malt
      Die Rose sich, gelinder wehn die Weste,
      Mit frischerm Laub kränzt sich der grüne Hain,
      Ein weichrer Teppich scheint die Quellen zu umziehn,
      Und ringsum die Natur, wie aufgeschmückt zum Feste,
      In schönrer Lebenskraft zu blühn.
      Sie lagert sich in dunkle Schatten
      Und athmet tief mit süßer Lust
      Der Lüfte milden Hauch in ihre warme Brust.
      Sie denkt an's Wiedersehn, denkt an den holden Gatten.
      Allein ein Zweifel zuckt ihr plötzlich durch den Sinn.
      Wird Amor immer auch mir seine Liebe schenken,
      Mir, die ich nur ein Erdenmädchen bin?
      Ach könnt' er noch einmal durch seine Flucht mich kränken,
      Ich trüg' es nicht, dem Tode sänk' ich hin.
      Wie schwach ist doch mein Reiz, mit jenem Reiz verglichen,
      Der eine Ewigkeit aus Götterwangen blüht!
      Bald ist das Braun des weichen Haars verblichen,
      Bald hat dies Auge ausgeglüht;
      Doch jene strahlen fort in immer frischem Glanze,
      Umwunden von der ew'gen Jugend Kranze,
      Ist keine, die den Schnee des fernen Alters sieht.
      Doch wie? hab' ich den Balsam nicht in Händen,
      Der ewig jung und ewig reizend schafft?
      Ein Tröpfchen nur braucht' ich der Flasche zu entwenden,
      Nie würd' ich alt und nie vom Tode hingerafft.
      Doch hat Persephone es mir nicht streng verboten?
      Droht mir ihr Fluch bei'm Ungehorsam nicht?
      Ach, jene herrscht im fernen Reich der Todten;
      Wer sieht's, wenn meine Hand das schwache Siegel bricht?
      So schwankt sie zwischen Lieb' und Pflicht.
      Doch ach, in solchem Kampf, wann siegt die Liebe nicht?
      Sie zweifelt, bebt; doch schnell, mit festem Willen
      Bricht frevelnd sie das Siegel jetzt.
      Ach schon bereut sie es, daß sie es kühn verletzt;
      Die Flasche raucht, und schwarze Düfte füllen
      Die reine Luft ringsum, sie hüllen
      In gift'gen Dampf die arme Frevlerin;
      Und ach! so nah dem schwererkämpften Ziele,
      Sinkt Psyche, halb erstickt, im ängstenden Gefühle;
      Bewußtlos auf den Boden hin.
      
      
      Siebentes Buch
      
      O schwere Kunst, sich zu begnügen!
      Wann wird ein Sterblicher dich endlich ganz verstehn?
      Mag ihn auf einen Thron auch das Geschick erhöhn,
      Mag er den Süd, mag er den Nord besiegen,
      Ha, welch ein ärmlich Loos! denn seine Wünsche fliegen
      Stets höher auf, je mehr sie sich befriedigt sehn.
      Dem Bettler scheint die kleinste Hütte,
      Mit Stroh bedeckt, ein ungegrenztes Glück;
      Kaum hat das günstige Geschick
      Ihm seinen Wunsch gewährt, folgt schon die zweite Bitte:
      Ein Gärtchen noch, dann werd' ich glücklich seyn!
      Dem Garten folgt ein Feld, dem Felde reiche Heerden,
      Bald ist sein Häuschen ihm für seinen Stand zu klein.
      Ein schöneres muß aufgerichtet werden;
      War es von Holz, so werd' es jetzt von Stein.
      So jagt ein Wunsch den andern immer,
      Und jedes neue Glück wird schnell zur neuen Pein.
      
      Doch hat dies ewig rege Streben
      Nach einem schönern, fernern Ziel
      Zur Plage die Natur den Sterblichen gegeben?
      O nein! verkennet nicht dies herrliche Gefühl,
      Dies Ahnungswehn von einem bessern Leben,
      Wenn sich das eitle Puppenspiel
      Des Lebens endiget, und hier der Vorhang fiel!
      Den Thoren nur, die zu den engen Kreisen
      Der Außenwelt ihr stumpfer Sinn verbannt,
      Ward dieser süße Trieb zum Peiniger gesandt.
      Die Unzufriedenheit des Weisen
      Ist seiner ew'gen Dauer Pfand.
      
      O welch ein Quell von bitterm Kummer
      Ward für Psycharion der kühnen Wünsche Macht!
      Starr lag sie da, umfaßt vom kalten Todesschlummer,
      Bis sie zuletzt, da laut der Sturm den Hain durchkracht,
      Ach! nicht zum Glück, zu neuer Qual erwacht.
      Sie fährt empor mit stieren Blicken,
      Und grausend lagert dunkle Nacht,
      Dem Nebel gleich, den nicht an hohen Bergesrücken
      Die Luft zusammenballt, sich drückend um sie her,
      Wild rast der Sturm, des Waldes Häupter brechen,
      Und prasselnd rauscht in tausend Bächen
      Aus schwarzer Wolken Schoos ein neu geschaffnes Meer,
      Laut tönt die Felsenkluft den Donner zehnfach wieder,
      Und wenn der Blitz das schwarze Chaos hellt,
      Durchschweben scheu, mit wankendem Gefieder,
      Phantome den Tumult. Ein grauses Heulen gellt
      Durch das Gebrüll des Sturms. Weh! ruft es, Psyche, wehe!
      Du brachst den Schwur der Königin der Nacht.
      Nichts frommt es, daß dein Mund zu tauben Göttern flehe,
      Sie fodert Blut, drum werd' ihr Blut gebracht!
      Ja, ruft Psycharion mit wildverwirrten Sinnen,
      Ich folg' euch gern; geworfen ist mein Loos.
      Hinab, hinab in der Vernichtung Schoos!
      So ruft sie aus und eilt mit schnellen Füßen
      Durch Sturm und Nacht hinweg. Wild flattert ihr Gewand,
      Und rauh, vom Sturm gepeitscht, umfließen
      Die Locken Hals und Brust. Die Geißel in der Hand,
      Geführt von wilder Reu' und fürchterlichen Schrecken,
      Folgt über Distel, Dorn und Hecken
      Ihr der Erinnyen Schaar. Jetzt hemmt des Meeres Strand
      Den Lauf der Fliehenden. Vom Wahnsinn angetrieben,
      Ruft sie: Willkommen, süßes Grab!
      Als alle Rettung schwand, bist du mir doch geblieben.
      Sey mir gegrüßt! Und rasch stürzt sie hinab.
      
      Du, die mit zephyrleichten Schwingen
      Im Rosenkranz um Hain und Hügel schwebt,
      Du, deren Blicke kühn durch heil'ge Nebel dringen,
      Du, die den Quell und die den Hain belebt,
      Du Reizende, die du bei Mondenglanze
      Im Wiesenthau die zarte Wange kühlst,
      Das frische Grün durchschwebst, im körperlosen Tanze,
      Und mit dem Duft der jungen Blüthen spielst,
      O Tochter des Olymps, mit allen deinen Bildern
      Komm jetzt herab, gepriesne Phantasie!
      Der Ueberraschung Glück, es ist so schwer zu schildern,
      Und fehlt dein Beistand mir, ha, dann vermag ich's nie.
      O schweb herab mit jenen Zauberblicken,
      Womit dein Bild so oft vor Wieland's Geiste stand!
      Nur eine Blume laß aus deinem Kranz mich pflücken,
      Des sanften Mitgefühls belebendes Entzücken,
      Als fühlt's ich selbst, was Psychens Brust empfand!
      
      Ha, sie erwacht! Umstrahlt von goldnem Scheine,
      Blüht das Gefild süß duftend rings um sie.
      Ein rosenfarbnes Licht durchstrahlt die bunten Haine,
      Und jeder Blüthenstrauch ertönt von Harmonie.
      Und dreien Rosen gleich, von einem Stamm entsproßen,
      Von einem Thau genährt, von einem West gekühlt,
      Stehn lächelnd, Arm in Arm geschlossen,
      Drei Schwestern vor ihr da. Ein Reiz, der sich nur fühlt
      Und nicht beschreiben läßt, der, trauend seinem Siege,
      Sich hinter zarter Scham und süßer Zucht versteckt,
      Halb Lüsternheit, halb Ehrfurcht weckt,
      Umwallt die reine Form, belebt die schönen Züge.
      In ihres Blickes Spiegel malt
      Sich Liebe, Mitleid und Entzücken.
      Sie nahn Psycharion und drücken
      Sie sanft an ihre Brust. Aus Psychens Antlitz strahlt
      Der Ueberraschung Glück. Umsonst sucht sie zu sprechen.
      Erstaunen, Angst und Lust versiegeln ihren Mund,
      In Seufzern nur und nur in Thränenbächen
      Thut ihres Herzens Sturm sich kund,
      Sie schaut umher mit ungewissen Blicken,
      Traut ihrem Aug' und ihren Sinnen nicht;
      Doch endlich löst das sanftere Entzücken
      Der Zunge Band, sie blickt empor und spricht:
      O süßer Traum, verweile noch, verweile,
      Du goldner Strahl, der durch das Dunkel lacht!
      O nicht zurück in jenes Wuthgeheule
      Des wildes Sturms, in jene grause Nacht,
      Wo hart, vom Arm der Furien geschwungen,
      Die Schlangengeißel traf! Doch wär' es wirklich wahr?
      Wär' ich empor geschwebt aus jenen Dämmerungen,
      Aus jener öden Kluft voll Kummer und Gefahr?
      Seyd mir gegrüßt, Elysiums Gefilde!
      Seyd mir gegrüßt, ihr Seligen darin!
      Ihr nahet mir mit Blicken voller Milde?
      Ach, ihr umarmt die schwache Sünderin?
      Nur Liebe war mein einziges Verbrechen;
      Empfandet ihr wohl je, was Lieb' in's Herz uns giebt?
      Ihr lächelt sanft, und eure Augen sprechen:
      Dir ist verziehn, wir haben auch geliebt.
      So ruft sie aus. Gleich einem Heil'genscheine
      Verklären Schüchternheit und Sehnsucht ihr Gesicht,
      Und von den Dreien naht die Eine,
      Die reizendste, sich ihr und spricht:
      
      Noch nahst du nicht Elysiums Myrtenhütten,
      Cytherens Haine sind's, die duftend dich umblühn.
      Doch sey getrost, du hast geweint, gelitten,
      Mit dem Geschick und mit dir selbst gestritten;
      Die Göttin ist versöhnt und deine Schuld verziehn.
      Umarme mich und stille deine Klagen!
      Das Glück ist lieblicher nach überstandnem Schmerz.
      Fühlst du dein Herz nicht lauter in dir schlagen?
      Verstehst du nicht, was meine Blicke sagen?
      O komm empor an deiner Mutter Herz!
      
      So ruft Aglaja aus und schließt mit milden Zähren
      Die Zitternde an ihre heiße Brust.
      Du meine Mutter, du? O Uebermaß der Lust!
      Noch einmal laß dies holde Wort mich hören!
      Kein andres klingt dem Herzen mir so süß.
      So war es denn kein Traum, daß oft in Tempe's Haine,
      Im Duft der Dämmerung, umwebt vom Mondenscheine,
      Ein göttlich Wesen sich zu mir herniederließ
      Und mich geliebtes Kind und süße Tochter nannte
      Und künft'ge Wonne mir und Götterglück verhieß?
      Wie liebt' ich es, obgleich ich es nicht kannte!
      Wie weint' ich, wenn es mich verließ!
      O laß uns nie jetzt von einander scheiden!
      Du bist mein Trost, du bist mein Alles nun.
      Ach, es ist süß, nach tausend bittern Leiden
      An einer Freundin Brust vom Kummer auszuruhn.
      
      Indeß Psycharion zum ew'gen Liebesbunde
      Die Arme fest um ihre Mutter schmiegt,
      Steht mancher Hörer hier und staunt mit offnem Munde
      Und zweifelt noch, ob auch sein Ohr nicht trügt.
      Bewundert nichts, wie euch die Stoa lehret!
      Ist es so sonderbar, daß eine Huldgöttin
      Mit warmem Blut und weichem Sinn,
      Vom Reiz der Dämmerung, von innrer Gluth bethöret,
      Von Phöbus Arm umfaßt, ein wenig von der Bahn
      Der strengen Sittlichkeit gewichen
      Und einen kleinen Schritt gethan,
      Dem üble Folgen nachgeschlichen?
      Und daß sie Psychen drauf, der stillen Liebe Pfand,
      Durch eine Dryas im Vertrauen
      In Tempe's weitentlegne Auen
      Zu einem Hirten hingesandt,
      Um einem schmerzlichen Gerüchte vorzubauen,
      Das, wenn es gleich sich nicht beweisen ließ,
      Doch stets ein weites Feld dem Momus zum Gespötte
      Und Cynthien zum Hohn gegeben hätte.
      Was ist natürlicher, als dies?
      
      Indessen naht mit ihrem holden Kinde
      Aglaja sich Cytherens Blumenthron.
      Rings war die Traurigkeit entflohn,
      Die Paphos sonst beherrscht. Des Haines Irrgewinde
      Durchschwärmte froh der Nymphen leichter Chor,
      Aus jedem Strauche sah ein Amorskopf hervor,
      Auf jeder Wolke wiegt mit goldenem Gefieder
      Ein junger Zephyr sich, rings tönen süße Lieder.
      Päane wirbeln sich lautjauchzend durch die Luft,
      Weithallend singt, versteckt in kühler Felsenkluft,
      Der Echo Ton den Ruf der Freude wieder,
      Und aus den Wolken thaut ein rosenfarbner Duft
      Auf die verjüngte Flur mild und erquickend nieder.
      Hier schien der Liebe Gluth und zarte Schüchternheit,
      Ein seltnes Paar, sich traulich zu verbinden,
      Und Jedes seine Lust in heißer Zärtlichkeit
      Und Jedes seine Pflicht in keuscher Zucht zu finden.
      Auf ihrem Throne sitzt, nicht mehr von düsterm Gram
      Umhüllt, nicht mehr umstarrt von seelenlosem Schweigen,
      Das Lockenhaupt umkränzt mit frischen Myrtenzweigen,
      Cythera's Königin. Der Reue sanfte Scham
      Verschönert ihr Gesicht. Kaum wagt sie aufzublicken.
      Komm, ruft sie aus, o laß an meine Brust dich drücken!
      Viel hast du mir, ich nichts dir zu verzeihn.
      Nicht diesen scheuen Blick! Er weckt in meiner Seele
      Des alten Unrechts Schmerz. Komm, laß uns Freunde seyn!
      Sanft trägt der Freund des theuren Freundes Fehle,
      Gerecht ist oft der Zorn, doch schöner das Verzeihn.
      Vergiß, was einst aus mir die blinde Wuth gesprochen!
      Schwer ward mir stets des wilden Unmuths Sieg.
      Oft hat dein frommer Blick mein hartes Herz bestochen,
      Allein die Selbsucht sprach und zartes Mitleid schwieg.
      O, wußt' ich denn, daß du aus Götterblut entstanden,
      Mir gleich an Rang, mir gleich an Reizen kamst?
      Das sah ich nur, daß du mit deinen Zauberbanden,
      Du, eine Sterbliche, den holden Sohn mir nahmst.
      Komm an mein Herz, vergiß in Götterreichen
      Die Dornenkränze, die des Schicksals Strenge flicht!
      Wer nimmer Gram empfand, der kann sich nimmer freuen,
      Wer Liebesschmerz nicht kennt, den kennt die Liebe nicht.
      
      So ruft sie aus, und tief erschüttert
      Sinkt Psyche an Cytherens Brust.
      Kein Rachgefühl, kein stiller Groll verbittert
      Das holde Sühnungsfest. Welch eine Götterlust,
      Durch Stärke das Geschick, durch Großmuth Haß besiegen,
      Und liebend und geliebt an Feindes Busen liegen!
      Nur Einer fehlt zur vollen Seligkeit;
      Was weilt er noch an deine Brust zu fliegen,
      Psycharion? Doch laß von Furcht dich nicht betrügen,
      Glückselige! der Eine ist nicht weit!
      
      Denn froh von lieblichen Gesängen
      Ertönt ringsum die blaue Luft,
      Die Rosen spenden süßern Duft,
      Und niegesehne Blumen drängen
      Aus ihren Knospen sich, der buschumkränzte Bach
      Wird zur Harmonika, die Luft zum Nektarmeere.
      Es naht der Gott! so ruft Cythere;
      Es naht der Gott! ruft Thal und Hügel nach.
      Und sieh, auf einem Blumenwagen,
      Leicht wie ein Rosenblatt vom Hauch der Luft getragen,
      Schwebt Cypris Sohn daher. Im Amorinenchor
      Wallt raschen Flugs der Jüngling vor.
      Der holde Gott der Liebesabenteuer,
      Der frohe Scherz, die süße Tändelei,
      Der Genius der zarten Träumerei
      Umringen seine Bahn, und still im Zauberschleier
      Folgt das Geheimniß nach. Mit freuderfülltem Blick
      Schaut Cypris Volk empor. Rings tönen süße Lieder:
      Heil uns! der Herrscher kehret wieder.
      Heil uns! er bringet Lust und Glück
      In Cytheräens Brust, nach Paphos Flur zurück.
      
      O warum ist des Menschen Zunge
      So schwach, so dürftig, so beschränkt?
      O warum naht sie nie des Geistes kühnem Schwunge,
      Der seinen Flug durch leichte Wolken lenkt?
      Warum ward dem Gefühl kein Ausdruck doch gegeben,
      Warum ist doch das Wort kein klares, frisches Bild
      Von dem, was uns mit regem Leben,
      Mit tiefer Innigkeit den heißen Busen füllt?
      Welch eine Sprache wagt die Scene auszudrücken,
      Wenn treue Liebe sich am Ziel der Leiden sieht?
      Und welch ein Mund umfaßt das taumelnde Entzücken,
      Die Seligkeit, die jetzt in Psychens Busen glüht?
      Stumm steht sie da. In ihren Blicken
      Malt Staunen sich und süße Lust.
      Ein ganzer Himmel wohnt in ihrer heißen Brust,
      Und jede Regung scheint Empfindung auszudrücken.
      Ha, wie ihr Auge weint! wie ihre Brust sich hebt!
      Welch ein Erröthen, welch Erblassen!
      Kaum kann ihr Herz die Sehnsucht fassen,
      Die, wie ein fluthend Meer, ihr Inneres durchbebt.
      Ha, welch ein Wechsel zarter Triebe!
      Welch eine süße Angst, welch eine Seligkeit!
      Schon wallt sie im Olymp, entflohn der Sterblichkeit,
      Sie fühlt nicht Liebe blos, ihr ganzes Seyn ist Liebe.
      
      An ihren Busen hingeschmiegt,
      Mit liebender Gewalt von ihrem Arm umschlungen,
      Ruht jetzt der Gott: Heil mir, ich habe dich errungen!
      Versöhnt ist das Geschick, und Liebe hat gesiegt.
      Jetzt sollst du nie aus meinen Armen scheiden,
      Nie laß ich dich von meiner Brust entfliehn.
      Empor, empor zu jenen Götterfreuden,
      Wo Treu' und Zärtlichkeit als ew'ge Blumen blühn!
      
      So ruft er aus, umfaßt sie stärker
      Und schwingt sich sanft mit ihr empor.
      So wie dem Manne ist, der in dem tiefsten Kerker
      Von Kindheit an des Daseyns Glück verlor,
      Wenn seine Fessel fällt, und er nun voll Entzücken
      Der Freiheit Lüfte trinkt, die schmeichelnd ihn umwehn,
      Neu scheint das Licht und neu der Himmel seinen Blicken,
      Doch dieses ahnet er, daß er ihn einst gesehn:
      So ist der holden Braut. Sie glaubt sich neu geboren,
      Doch ahnet sie, daß sie für dieses bessre Land,
      Für dieses schönre Seyn erkoren,
      Und daß schon einst ihr Geist die neue Bahn gekannt.
      An ihrer Seite schwebt Cythere,
      Aglaja folgt mit ihrer Schwestern Paar,
      Im Tanz umschweben sie der Liebesgöttin Chöre,
      Und bunt umgaukelt sie der Zephyretten Schaar;
      Und leichter scheint die Luft die Liebenden zu tragen,
      Und sanfter ist der West, der ihren Busen kühlt,
      Zum Nektar wird sein Hauch, zum goldnen Duft der Wagen,
      Um den der Wolken Heer mit buntem Fittig spielt.
      Aus dem Olymp entfliehn in fröhlichem Getümmel
      Die Göttlichen, sich an den Zug zu reihn,
      Und triumphirend schließt der Himmel
      Geprüfte Lieb' in seine Wonnen ein.
       
Aus: 
      Sämmtliche poetische Werke
      von Ernst Schulze
      Neue Ausgabe mit sechzehn Kupfern
      Dritter Theil
      Leipzig Brockhaus 1822
      (S. 225-320)
       
siehe auch:
      Teil 1 (Elegien)
      Teil 2 (Vermischte Gedichte)
      Teil 3 (Die bezauberte Rose Romantisches 
      Gedicht in drei Gesängen)