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Charlotte Sophie Sidonie
Seidel
(1743-1778)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Lied
Zerfliess in Dank für Ihn gerührte Seele!
Preis Ihn, den Herrn! Lobsinge seine Macht!
Dich hat aus dunkler Nacht und aus des Grames Höhle,
Sein helles Licht hervorgebracht!
Er winkt' und ich entrann den Finsternissen!
Sah seiner Güte, sah der Weisheit Plan!
Dies hat (dacht ich jezt bei des Lebens Kümmernissen)
Mein Gott, die Liebe selbst, gethan.
Auf goldner Harfe singt Ihn, meine Lieder!
Preist Ihn, preist Ihn den Herrn der Welt!
Und Himmelsfreude sag' es meinem Herzen wieder,
Ob Ihm mein Stammeln wohlgefällt.
Verstummt des Kummers und der Wehmuth Klagen!
Mein Schutz ist er, ist aller Frommen Gott!
Es sollens laut die frohen Jubellieder sagen:
Mein Schutz ist aller Frommen Gott!
Ich seh der Liebe, seh der Güte Spuren,
Im Stürmevollen Meer, im stillen Hain.
In Wüsten will ich Ihm, und auf beblümten Fluren
Will ich des Dankes Weihrauch streun!
(S. 30-31)
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Liebe, die des Herzens Mängel
Durch Erbarmen gütig deckt,
Gieb, wenn einst des Todes Engel
Schon den Arm des Schreckens streckt,
Süssen Trost für meine Seele,
Dass, durch Christus Unschuld frey,
Sie von Schuld, vom Schwachheitsfehle,
Dir ein reines Opfer sey!
Friede wohn in meinem Herzen,
Ueber die Vernunft erhöht,
Der noch unter Todesschmerzen
Mit dem Geist ins Leben geht.
Mag Verwerfung diese Glieder
Auf des Todes stillen Hain
Bey der Asche meiner Brüder
In den Schoos der Erde streun;
Mächtiger - zum Auferstehen
Rufst Du meinen Staub zurück!
Dich, den Quell der Liebe sehen,
Ist alsdann mein höchstes Glück!
(S. 38)
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Ich bitte nicht um süsses Glück der Erde,
So viels dem Herzen Freude schafft;
Nur dass ich, Gott, Dir treu' erfunden werde
Dazu gieb meiner Seele Kraft.
Lass mich Dein Wort zu meinen Pflichten stärken
Und fördre jeden guten Trieb,
Lass allzeit mich auf Deine Wege merken
Und, wo ich fehle, da vergieb.
Herr! Deine Tröstung lass mich sehen,
Wenn mich des Lebens Sorge drückt,
Und mich nicht unruhvoll den letzten Schlaf erflehen,
Der in der Erde Schoos erquickt.
Ach! wenn dahin ich frohe Blicke lenke,
Voll mancher reinen Himmels Lust
Und ihn mit Wonne-Zähren denke,
So sey Dein Fried in meiner Brust.
(S. 45)
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Die Sehnsucht nach Elysium
In Elysiens Gefilden rauschet Harfenklang -
Töne mir herüber schmelzender Gesang!
Ich vergehe - meine Seele
Löst sich auf in Symphonie.
O! warum so weich geschaffen?
Warum dies Gefühl für sie?
Alles lispelt Wehmuth, alles weinet um mich her,
Und die Schöpfung lächelt meinem Blick nicht mehr;
Wie das Gleiten eines Baches
Ueber Kiesel durch die Flur,
Schleichen leise deine Triebe
Sonst belebende Natur.
Und so wie durch dicke Nebel Morgendämmrung dringt,
Und am trüben Himmel Lunens Schimmer blinkt,
Dünkt mir jede Erdenfreude,
Wenn die Hoffnung mich erfüllt,
Dass die losgewundne Seele
Sich nun bald in Aether hüllt.
Regenbogenfarben schwimmen noch vor meinem Blick -
Ach! vielleicht dein Schatten du mein künftig Glück! -
Ich erwache. Welche Träume!
O Selid! es ist für mich
Kein Elysium auf Erden,
Keines jenseits ohne dich.
(S. 50-51)
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Arie
Das, was ich mir als Glück erwähle,
Wie selten ist dies Glück und Gut?
Was zagt denn muthlos meine Seele
Bey dem, was Gottes Weisheit thut?
Bey dem, was doch sein hoher Rath
Zu meinem Glück beschlossen hat.
(S. 58)
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Selide an Selid
Komm, Selid, komm! Mit sorgenfreier Seele
Lass uns der Lust entgegen gehn!
Ich habe, glaube mir, schon junge Weste
In unserm lieben Thal gesehn.
Sie weilten da auf kleinen Rasenhügeln,
Und übten sich im Sonnenschein,
Und flatterten geschäftig um die Erde,
Und lächelten und hauchten drein.
Da sprossten blaue Veilchen eine Menge
Hervor, und manches Kräutchen kroch
Dem hellen Tag mit Wohlgeruch entgegen,
Und grünt und blüht bald schöner noch.
Komm, zärtlichster Gefährte meines Lebens:
Denn schöner lacht mir jede Lust
An Deiner Hand, bey Deiner sanften Stimme
Gelehnt an Deine treue Brust.
Da lass es mich, von Wonne trunken, fühlen,
Was Du, mein Redlicher, mir bist!
Und denke dann, wenn eine Zähre fliesset,
Dass es der Freude Zähre ist.
(S. 63-64)
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Selidens Antwort an Selid
Wohl dem Weibe, das sich den Gefährten
Ihres Lebens auch zum Freund gewann!
Holder Anblick jugendlicher Schöne
Fesselt freilich auch den edlen Mann.
Aber ach! in welchen Händen
Und in wessen räubrischer Gewalt
Ist der Reiz des schönsten Mädchens
Und der herrlichsten Gestalt?
Ha! mich sahe das Geschick nie zürnen,
Dass es mir auch nicht den kleinsten Reiz geschenkt,
Der den Jüngling zur Bewundrung
Hinreist' und die Herzen lenkt.
Siehst Du, Selid, dieser Seele,
Eines Gatten Achtung werth,
Ward, da Du mich liebtest, alles,
Ward ihr stolzer Wunsch gewährt.
Sprich, was gäben aller Feen
Zauber-Glück und Schicksal mir
Für die kleinste dieser Freuden,
Einer Schmeicheley von dir?
(S. 65)
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An meinen Seidel
Den 31. Jan. 1774
Die junge Rose blüht. Gebohren
Ward sie vom West im Morgenthau,
Der Knospe unenthüllte Reize
Entschlüpften, und ihr Wunderbau
Stand zum Entzücken da. Die Schöne
Lud jedes Aug in stiller Pracht
Sie zu bewundern ein. Zur Freude
Sah jedes sie hervorgebracht.
Weit schöner aber noch, in süsser
Geliebtrer Unschuld lächelt so,
Als sie, ein blühend holder Knabe
Im Schoss der Mutter, kindlich froh.
Mit welcher Wollust ruf ich heute,
Mein Selid, jenen sanften Blick
Von Deinem jugendlichen Auge,
Im mütterlichen Arm, zurück.
Von unsichtbarer Hand geleitet,
Begann für Dich der sichre Pfad
Der Tugend damals schon, den muthig
Dein Fuss, als Jüngling, früh betrat.
Der Keim zum göttlichen Vergnügen,
Am Guten, ruhte damals tief
In zarter Brust schon, wo der Funke
Der werdenden Vernunft noch schlief.
Entfernt von Dir, zu mancher Thräne
Bestimmt, doch damals noch im Schoss
Des besten Glücks, mit Lieb' umgeben,
Fiel mir auch meines Lebens Los.
Du kennst die ungetrübte Freude,
Die um sich her nur Wonne sieht,
Wenn sie durch Unschuld im Vergnügen,
Auf jugendlicher Wange glüht.
Doch jene Tage, wo sich Leiden
Mit Leiden für mein Herz vereint,
Dir nahten; in Zypressenhainen,
Mein Selid, hab' ich sie verweint.
O Du, den eine Vorsicht wählte,
Mir mehr, als irdisch Glück zu seyn,
Wie dank ich diese Seligkeiten
Der treusten Liebe Dir allein!
Mit denen mir ein Tag willkommen
Und heilig für zwo Welten ist;
An den - o fühle mein Vergnügen! -
An dem Du mir gebohren bist!
(S. 66-68)
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Selide an Selid
Wo aus dem Strom des grossen Meers der Zeiten,
Dem Schöpfenden sein kleines Bächlein quillt,
Da ward auch Dir für Ewigkeiten
Das Maas Erschaffener gefüllt.
Da sahst Du, wie von heitrer Morgensonne,
Ein allbelebendes Entzücken floss,
Und fühltest, wie des Lebens Wonne
Sich in die weiche Seele goss.
Komm, Hand in Hand, des Mittags Strahl zu tragen!
Lass uns vereint bedeckte Wege gehn,
Und bey der Lust in stillen Tagen,
Nicht freudenleer vorübergehn!
Uns schützt ein ruhig Thal vor jenem Blicke
Des Falschheit; und in seinem sanften Schoss
Nennt man nicht frech der Bosheit Tücke
Des ränkevollen Buben gross.
Uns ist der Gruss des Mannes in der Hütte
Willkommner, wenn er echte Tugend denkt,
Als dessen Blick, der in der Mitte
Des Pomps erbettelt Glück verschenkt.
Komm, lass uns den erhöhn, dem für die Stunde
Der Prüfung, die er oft vorüber führt,
So heisser Dank aus unserm Munde,
Als für das schönste Glück gebührt.
Anbetend lass vor ihm in heilgem Feuer
Der Andacht unsre beyden Seelen glühn!
Denn dieses Tages frohe Feier,
Mein Einziger, gehört für ihn.
(S. 69-70)
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An Selid
Antwort den 24. Nov.
1773
Wo bin ich? Wie? bist du noch eben diese
So leidenvolle Sorgenwelt?
Wo hätt' ich mir auch wohl ein Theil vom Paradiese
In deinen Kreisen vorgestellt?
War für mein Herz noch so viel süsser Frieden,
Noch so viel sanfte Ruh in dir? -
Nur solch ein selig Glück, nur solch ein Gut hienieden,
In Phantasien dacht' ich mir!
So schwebte von Elisiens Gefilde,
Im reizend schönen Morgentraum,
In dem von mir erst dort erwartet heiterm Bilde,
Belohnendes Entzücken kaum.
Die reinste Lust aus tausenden zu wählen,
Mein Selid, Freund! wie nenn ich sie?
Sprich, Lieber! ist es nicht für gleichgestimmte Seelen,
Nur edler Herzen Harmonie?
(S. 79-80)
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An Herrn L*z
Der, den sein Geist zu Sternen nie getragen,
Dem der Begeistrung Flamme nicht
Das Herz durchglüht? wie kann der sagen?
Dies soll der Dichter, soll er nicht.
Mir gab einst mein Geschick für alles Schöne
Der reizenden Natur Gefühl,
Und eine Gottheit diese Töne
Für dich mein kleines Saitenspiel.
Da braucht man nicht ein langsam künstlich Weben,
Ein Anblick überrascht uns leicht -
Empfindung nur - kein ängstlich Streben -
Kühn, wie ein Wunsch der Seele steigt,
Sey dann mein Lied, schnell werd ich hingerissen
Und meine Laute schall empor!
Der weiss von keinen Hindernissen,
Der in Entzücken sich verlohr.
Mir wird es schwehr mit kaltem Blut zu denken
An das, was über Sonnen schwebt,
An Weisheit, an des Schicksals Lenken
Und den, der dieses All belebt.
Denn wo die Schöpfung jene reine Freuden
Verbreitet, die des Lebens Lust
Erhöhn, fand ich den Quell der Leiden
Und jedes Glücks in meiner Brust.
Lass Muse, bat ich, da lass dies Vergnügen
Den Schmerz, der oft im Innern brennt,
Mich zeichnen, wenn in Mahlerzügen
Ein Sterblicher die Seele kennt.
Da gab sie, wo bey Gräbern hingegossen
Ich lag, wo jede Freude flieht;
Voll Mitleid, wenn die Zähren flossen,
Mir süsse Wehmuth für mein Lied.
Sie war es, die in rauhen Wüsteneyen
Mir manches Veilchen blühen liess
Und mir, von Paphos Zaubereyen
Entfernt, der Unschuld Würde pries.
Gefährtin meiner einsam süssen Stunden,
Durch keinen Schmuck, durch keine Kunst
Verschönert, für mein Herz gefunden,
Erhalte stets mir deine Gunst.
Ich will dich nimmer um des Ruhms Posaune
Lauttönenden Gerüchte flehn -
So kann bey gut und böser Laune
Mich niemand loben, niemand schmähn.
(S. 91-93)
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Fliesst hin, ihr meine Tage,
Gleich diesem stillen Bache
Zum grenzenlosen Meere
Der frohen Ewigkeiten!
Lasst diesen müden Körper,
Lasst der Verwesung Glieder
Zum Seyn hinüber schlummern!
Was zögert ihr? - Eilt Stunden!
Schon seh' ich Edens Fluren,
Schon rührt mein Ohr das Jauchzen
Der englischen Gesänge!
Mir glänzt, mit Amaranthus
Gekränzt, der ew'ge Frühling.
O eilt zu träge Tage!
Bringt mich ins Thal des Todes,
Des Todes? - Nein der Freude!
Ins Thal, das Fürsten fürchten.
Vor dem die Wollust grauet,
Mir ists ein Thal des Friedens.
(S. 94)
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An das Veilchen
Warte noch im Schosse mütterlicher Erde,
Liebstes Veilchen! Keime nicht hervor!
Denn betrüglich steiget eines falschen Lenzen
Sonne lächelnd über dir empor.
Hat sie deiner Hülle tückisch dich entschmeichelt,
So verbirgt sie unter Wolken sich,
Und die Schneegestöber, und der Fröste Schauer,
Die bedecken, trautes Veilchen, dich!
Warte, bis in deiner Unschuld sanften Blüthe
Dich kein Hauch des rauhen Nords mehr stört,
Bis zu dieses stillen Thales Freuden,
Theon, der dich liebet, wiederkehrt.
(S. 102)
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Die verwelkten Veilchen
An Theon
Sie sind schon Staub; o Theon schon,
Dahin gewelkt, sie rettete
Nichts, Deine Veilchen, die ich, ach!
Einst an dem schönsten Frühlingstag
Für Dich, voll reiner Zärtlichkeit,
Gepflückt, für Dich, dem Seligkeit
Der Unschuld sanfte Freuden sind,
Dem mehr, als Glück der Könige
Auch in der kleinsten Scene mehr
Das sanftere Vergnügen gilt,
Das Dir Dein fühlend Herz verleiht.
Dahin sind Deine Veilchen! nicht
Geschützet von der Unschuld, nicht
Von jener höhern Zärtlichkeit,
Die meinem Angedenken stets
Wird heilig, wird gesegnet seyn.
Sie sind dahin! Dir aber blüht
In meinem Herzen das Gefühl
Der edlen Freundschaft stets, die uns
Einst selbst noch in den Wohnungen
Der Wonne und der Seligkeit
Den ew'gen Lenz verschönern wird.
(S. 103-104)
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Gedichte
aus: Charlotta Sophia Sidonia Seidelinn
gebohrner Langinn hinterlassene Schriften
Nürnberg 1793
Biographie:
Seidel Charlotta Sophia Sidonia (geb. Lange),
geb. 24. 11. 1743 Burg . b. Magdeburg, gest. 29. 05. 1778 Etzelwang;
Tochter eines Arztes, verbrachte einige Jahre bei ihrem Onkel Pastor S. G.
Lange in Laubling. 1773 heiratete sie Johann Christian Heinrich Seidel;
Mitarbeit an Almanachen, geistliche Lyrikerin.
Schriften: Hinterlassene Schriften (Hrsg. J. P. Sattler 1793)
aus: Deutsches
Literatur-Lexikon. Begründet von Wilhelm Kosch.
Dritte, völlig neu bearbeitete Auflage. 17. Band 1997
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