Johann Gottfried Seume (1763-1810) - Liebesgedichte



Johann Gottfried Seume
(1763-1810)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Weibliche Unschuld

Without the graces, innocence imparts,
You never win others nor secure your hearts.

Die Allgewalt des lieblichen Geschlechtes
Beherrscht mit schöner Zauberey . . .,
Der Stolze trägt nur härtre Sclaverey
Im Traume des verlornen Rechtes . . .,
Beherrscht den Geist des Königs wie des Knechtes:
Der edelste bleibt nicht der Fesseln frey.

Es schäme sich der unsichtbaren Ketten
Kein Mann, so groß er immer war.
Die Parce webt Uranien ihr Jahr,
Und webet es von Blumenbetten:
Nur wer nicht fühlt, vermag es sich zu retten,
Und lächelt kalt und spottet der Gefahr.

Der Weise lebt beglückt in sanften Banden,
Die, süße Herzenssympathie
Und leiser Hauch der Seelenharmonie
Zum Heil des Lebens um ihn wanden,
Dankt für sein Glück den Göttern, die es sandten,
Küsst frey und froh die Kett' und segnet sie.

Die Schönheit rührt, doch nur die Anmuth sieget,
Und Unschuld nur behält den Preis,
Die Unschuld die von keiner Schminke weiss
Und überwindet und nicht krieget,
Und mehr allein durch ihre Reize wieget,
Als aller Kunst gemessner Modefleiss.

Das Herrlichste, was wir auf Erden schauen,
Was magisch oft Barbaren zähmt,
Und selbst die Hand des Bluttyrannen lähmt,
Ist, bleibt ein Weib, das voll Vertrauen,
Sich kaum bewusst, den Rest gemeiner Frauen
Durch Tugenden von hohem Werth beschämt.

Die Anmuth thront auf ihrer heitern Stirne,
Und ihre schöne Seele malt
Sich in dem Blick, den sanft ihr Auge strahlt:
Sie dreht als Phöbus Lieblingsdirne,
Nicht ein System mit Aufwand von Gehirne,
Dem Schmeicheley nur kalten Beyfall zahlt.

Mit ihrem Ton haucht ihre Harmonieen
Sie wilden Unholdsseelen ein.
Wenn sie es reicht, wird Wasser Chier-Wein;
Sie kommt, und Zorn und Zwietracht fliehen,
Und selbst der Knecht der stygischen Harpyen
Hört Einmahl auf ein Bösewicht zu seyn.

 Die Unschuld blickt, und selbst der Wüstling schweiget,
Und sein verworfnes Herz wird rein,
Als kehrt' ein Gott zu seiner Rettung ein:
Kein Funke seiner Sünde steiget
Entflammend auf, wo sie ihr Antlitz zeiget,
Und tief fühlt er sich nur verächtlich klein.

Mit Lieblichkeit spielt an der Mutter Händen
Die kleine Schmeichlerin, und blickt
Mit Unschuld auf, in der sie schon entzückt:
Wer kann den Blick einst von ihr wenden,
Wird die Natur ihr schönes Werk vollenden,
Das sie schon jetzt mit Zauberzügen schmückt?

Mit Lust entschlüpft sie ihrem Flügelkleide
In froher Unbefangenheit,
Und jeder Tag, der sie zum Liebling weiht,
Ziert sie mit mehr als funkelndem Geschmeide,
Die Unschuld schmückt mehr als Gewand von Seide,
Und Frohsinn mehr, als Glanz der Eitelkeit.

Die Jungfrau geht, mit Glorie umgeben,
Und alle Herzen folgen nach;
Und manches Wort, das ihre Lippe sprach,
Erweckt ein schwerverborgnes Beben,
In welchem sich die leisen Seufzer heben,
Und leise wird der Liebe Sehnsucht wach.

Die Sittsamkeit glänzt sanft in ihren Blicken;
Wie ungleich jenem Angesicht,
Wo jeder Zug nur Aphroditen spricht,
Wo in der Lockung frechem Nicken,
Und jedem Wort Begierden sich verstricken,
Wo jeder Wink der Tugend Schranken bricht!

Ihr trägt ein Mann sein ganzes Herz entgegen,
Sieht sie wie eine Gottheit an,
Und rühmet sich mit Stolz, dass ers gethan,
Und hält sie froh für einen Segen
Aus Eden noch auf seinen Pilgerwegen;
Und was er glaubt, ist kein erträumter Wahn.

Der Gatte geht mit Zuversicht und Liebe,
Wohin ihn das vereinte Glück
Oft ruft, und sieht mit Misstraun nicht zurück;
Als ob den Bund ein Engel schriebe,
Für ihn allein das Paradies noch bliebe:
Die Unschuld bürgt mit ihrem Seelenblick.

Wer spricht es aus, wenn er auf ihrem Schosse
Die kleinen Gaukler scherzen sieht,
Und sie ihn sanft in diese Gruppe zieht?
Ein Krösus ist mit seinem Loose
Ein Bettler dann, und klein der erste Grosse,
Der hoch entflammt um Dunst der Ehre glüht.

Die Unschuld ist die Grazie der Schönen,
Die lieblich jede Freude würzt,
Genuss vermehrt und Kummerstunden kürzt.
Kein Frevler wagt es, sie zu höhnen;
Vielleicht um sich der Tugend auszusöhnen,
Wenn rund um ihn die Hoffnung nieder stürzt.

Sie lächelt frey, wenn, wie am Königsthrone,
Ein Sklavenheer sich um sie drückt,
Und schmeichlerisch im Glanz der Schönheit bückt.
Dem Mädchen reichet sie die Krone;
Bringt Heiterkeit und Ehrfurcht der Matrone,
Wenn sich das Haupt mit Silberlocken schmückt.

Sie denket froh an jeden Tag von gestern,
Der ohne Tadel ihr verstrich;
Ergetzet schon des nächsten Morgens sich,
Und Freud' und Ruh sind ihre Schwestern:
Und wagts der Neid, die Göttliche zu lästern,
Der Skorpion stirbt an dem eignen Stich.

Wenn stille Schuld der Wangen Blüthe tödtet,
Den schönsten Schmelz der Augen dämpft,
Und in dem Mark mit Feuergifte kämpft;
Wenn sich umsonst der Frühling röthet,
Verzweiflung kocht, wenn Philomele flötet,
Und Marterangst das Herz zusammen krämpft;

Wenn in den Kreis der schwachen kranken Kinder
Der Mutter scheues Auge fällt,
Und jeder Blick Gewissenspein enthält,
Wenn stets geschwinder und geschwinder
Im Fieberpuls der hingelebten Sünder
Ein Rächer sich mit seiner Rechnung stellt:

Dann sieht verklärt die Tugend ihre Knaben,
Die in dem buntesten Gewühl
Mit Jugendkraft und hohem Frohgefühl
Sich um sie her versammelt haben:
Die Seele kann sich an dem Anblick laben,
Und Engel sehn mit Lust ein solches Spiel.

Wenn zauberisch im jungen Ebenbilde
Die muntre kleine Tochter fliegt,
Und lauschend sich an ihre Mutter schmiegt,
Und ihre Mutter dann mit Milde
Sie sanfter drückt und hinblickt ins Gefilde;
Hat Dichtung je so schönen Traum gewiegt?

Kühn blickt der Mann und muthig in Gefahren,
Den seiner Seele Würde hebt;
Er schreitet fest, wenn feig der Weichling bebt;
Die Tugend stählt in Winterjahren
Ihn noch mit Kraft auch unter grauen Haaren,
Wenn keiner mehr der Zeitgenossen lebt.

Die Unschuld bringt der guten frohen Alten
Den Schwarm der Enkel um das Knie:
Sie sieht und küsst und lehrt und segnet sie,
Wenn sie sich fester an sie halten;
Und Freude glänzt aus allen ihren Falten
Und jedes Wort ist reine Sympathie.

Hoch ehret sie in ihrer Tugend Lohne,
Bey eurer Hoffnung ehret sie,
Ihr Mädchen; sonst erreichet ihr sie nie.
Der Vater lebt in seinem Sohne,
Und Enkel sind die Zierde der Matrone:
Ein solches Stück ist Seelenharmonie.

Geht, opfert ihr, der Unschuld, die euch schützet,
Die euch mit jedem Reize ziert,
Durch die allein ihr edle Herzen rührt,
Was ihr besitzt, durch sie besitzet,
Und ohne die euch alles wenig nützet;
Geht, opfert ihr, die euch zum Heile führt.

Durch sie nur wird und ihren hehren Schleyer
Die Schönheit göttlichen Geschlechts;
Nur sie allein gibt das Diplom des Rechts
Und macht Vollkommenheiten theuer,
Veredelt Lieb' und macht allein sie freyer
Als Dienstbarkeit des nur gemeinen Knechts.

Nur sie allein schafft Segen auf der Erde,
Und sichert euer Paradies,
Das einst ihr Hauch aus Wüsten werden liess,
Verbannet Kummer und Beschwerde,
Baut den Olymp an Baucis kleinem Herde,
Und wehet sanft, wenn hoch der Sturmwind blies.

Sie mischt den Kelch, den euch der Gram verbittert,
Mit Trost aus ihrem Vaterland,
Führt in dem Glück, reicht im Orkan die Hand,
Und hauchet, wenn der Sünder zittert,
Weil schwarz heran die Donnerwolke wittert,
Euch Frieden zu, von Gott herab gesandt.

Sie reicht mit Huld, wenn einst die Saat der Halmen
Zur grossen Erndte niedersinkt,
Und ernst und hehr des Schnitters Sichel blinkt,
Den Kindern ihren Kranz von Palmen,
Wenn zu dem Chor der neuen Jubelpsalmen
Ihr Angesicht im Strahlenkreise winkt.
(S. 44-49)
_____



Minna an der Harfe

Elastisch fliegt
Ihr Finger durch die Silbersaiten,
Und Engelharmonieen gleiten,
Aus ihrer Seele Harmonie gewiegt,
In mein entzücktes Ohr,
Und tragen mich zu Gottes Chor
Auf Fittichen des Hochgefühls empor.

Von ihrem Mund
Sinkt aus des frommen Herzens Fülle
In meine Brust geweihte Stille,
Und um mich her ruht tief das Erdenrund:
Die trunkne Seele lauscht,
Wenn sie durchs Tongewebe rauscht,
Und um Empfindung sanft Empfindung tauscht.

Wenn ihr Gesang,
Wie junger West am Rosenstrauche,
Der Harfe folgt mit Flötenhauche,
Wird meine Seele lauter lauter Dank,
Und heisse Rührung steigt,
Wenn jede Erdenrührung schweigt,
Hinauf, wo sich der Seraph betend beugt.

 Ihr Feuerschwung,
Wenn schwebend ihrer Lieder Wellen
Empor zu Gottes Lobe schwellen,
Hebt meinen Busen zur Begeisterung,
Und froh der Welt entrückt,
Steh ich am Throne, wo entzückt
Des Lichtes Engel sich mit Lichte schmückt.

Ihr Lautenton
Spielt in dem hingegebnen Herzen
Mit süsser Wollust süssen Schmerzen,
Und adelt magisch jeden Erdensohn
Im seligsten Genuss
Zu hohem göttlichen Entschluss,
Wie auf dem Berg' Eloahs Morgengruss.

Das Paradies
Glüht um sie her, wenn ihre Saiten
Der Tugend Hochgesang begleiten,
Schön wie es Gott in Edens Gärten wies:
Die ganze Schöpfung lacht
Wie nach des Mayes schönster Nacht,
Wenn Florens Hauch durch ihre Harfe wacht.

Sie führet mich
Mit Zauber fort in ihrem Spiele
Durch Labyrinthe der Gefühle,
 Und meine Seele kettet freundlich sich
Auf ihrer Zauberbahn,
Jetzt sanft hinab, jetzt wolkenhoch hinan,
Mit leisem Zug an ihre Seele an.

Mit starker Hand
Lässt sie in langen Feuerbächen
Den Donner aus den Saiten brechen,
Und webet dann ein glühendes Gewand
Gebietend um die Flur:
Es schmelzen ihre Töne nur
Und Ruhe sinkt herab auf die Natur.

Melancholie
Zieht durch der Leidenschaften Stille
Um meinen Geist die Trauerhülle,
Wenn feyerlich die Klagemelodie
Ihr von der Lippe sinkt,
Und ihrer süssen Schwermuth winkt,
Die dann mein Herz zum Götterfrieden trinkt.

Die Liebe spricht,
Wenn sie mit holder Freude lächelt,
Wie Zephyr um die Blumen fächelt,
Mit allem Reiz von ihrem Angesicht;
Und schweigend nah' ich mich,
Und schwöre still und feyerlich
 Dem Göttermädchen: Ja, ich liebe dich!

Und wenn erfreut
Mein Geist sich an ihr Antlitz hänget,
Und auf Gefühl Gefühl sich dränget,
So lehret mich ihr Blick Unsterblichkeit,
Und Ueberzeugung schau,
Hell wie den Glanz im Morgenthau,
Ich fest in ihres Auges Himmelblau.

Die Freude quillt
Durch lange tiefgegrabne Schmerzen
Bey ihrem Ton in wunde Herzen,
Wenn er in Gluth zu hoher Andacht schwillt;
Die Klagen werden stumm,
Und zauberisch wird rund herum,
Wo ihre Lieder wehn, Elysium.

Ruf du mir zu,
Giess du mir, Minna, mit Gesange
In meine wogende und bange
Und öde Seele deines Himmels Ruh,
Wenn über Gott und Welt,
Wo Laster steigt und Tugend fällt,
Der Zweifel mich mit Angst gefangen hält.

Von deiner Hand
Strömt durch der Weisen Irrgewimmel
Mir Glaube zu an Gott und Himmel,
Mir Glaube zu ans bessre Vaterland:
Die Dunkelheit wird Licht,
Wenn deine Seele Hymnen spricht;
Dann bet' ich mit, und bet' und zweifle nicht.
(S. 65-67)
_____



Fragment über den Kuss

Nun ja, ich habe, dass ihrs wisst,
Ihr würdet sonst doch wenig von mir halten,
Ich will bekennen, in der alten
Und in der neuen Welt geküsst,
Trotz meiner Stirne finstern Falten:
Verstehet sich in allen Ehren,
Wie es seit Karls des Grossen Zeit
In alter deutscher Züchtigkeit
Die strengsten Regeln nicht verwehren.
Nun fraget ihr mich, ohne Scherz
Die Hand aufs Herz,
Was ich von Küssen sage?
Verfänglich ist mir allerdings die Frage.
Ihr meint vor allem, wenn man küsse,
Dass man zum ganzen herrlichen Genuss
Des Himmlischen in einem Kuss
Auch die Geküsste lieben müsse.
Ey, freylich das; und ich bekenne klar,
Dass dieser Fall auch meiner war:
Und überdies, - da hört ihr gleich,
Dass ich euch nicht belogen habe, -
Es war ein Mädchen, herrlich, schön und reich
An jeder seltnen Göttergabe.
Ich habe selbst mir oft geschworen,
Sie hätte des Olympus Horen
Mit ihrem Seelenblick besiegt;
Und hätte sie die Fabelwelt geboren,
Es hätte sie Urania vergnügt
Sich zur Begleiterin erkohren,
So hatten sie die Grazien gewiegt.
Ein Mädchen war es, das so oft, wenn mich
Ein Phantasienrausch beschlich
Und mich mit Paradies belog,
Wo ich entzückt durch sieben Himmel sah,
Weit mächtiger mich nach Kolumbia
Als Washington und Franklin zog.
Nun denkt euch, Freunde, so ein Kuss,
Den ich erst halb der stolzen Brittin raubte,
Und denn sie dann mir ganz erlaubte,
Und selbst zurückgab, wie ich glaubte,
War doch wohl noch ein Kuss.
Von einem köstlichen Genuss.
Auch sag' ich, kann ich gleich vor Zärtlichkeit nicht schmachten,
Ein solcher Kuss ist gar nicht zu verachten,
Doch aller Küsse Quintessenz,
Vom Rosenlenz bis zu dem Rosenlenz,
Ist, glaub' ich, . . . und ihr glaubt es kaum,
Doch könnt' ich, wolltet ihr es hören,
Auf mein Gewissen es beschwören, . . .
Ist, nun was meint ihr? ist ein Kuss im Traum.
Ihr lacht? So wahr ich ehrlich bin,
Ich werde mein Gefühl doch wissen;
Ich lass' euch zwanzig Jahre küssen,
Und gebe nicht den Kuss, wie ich ihn küsste, hin.
Das war doch noch ein Kuss von Sinn.
Der grobe Sinnling mag in Rotten
Nur meine hohe Schwärmerey verspotten:
Der Kuss war, das versichre ich
Bey Ehr' und Wahrheit, wenig körperlich.
Ein Mädchen, das kein Künstler euch beschreibt,
Vor dem die Dichtung zagend stehen bleibt,
Und dessen Möglichkeit in stiller Weihe Stunden
Ich nur ganz leise vorempfunden,
Ein Urbild von Urania
Stand mit dem Zaubergürtel da.
Die Glut, die mein Gesicht umhüllte,
Die aus dem Puls des Herzens sich
Schnell und doch sanft durch alle Adern schlich,
Und magisch schnell mein ganzes Wesen füllte,
War nicht die Glut in groben Sinnen,
Wenn sie, zu Stürmen angefacht,
Von Mitternacht zu Mitternacht
Den Kampf der Leidenschaft beginnen.
Es war ein helles, reines Feuer,
Erhöhter, himmlischer und freyer,
Das durch die ganze Seele fuhr,
Als ich auf einer Blumenflur
Mich zu dem göttlichen Phantome beugte,
Und die Gestalt mir halb entgegen kam,
Die Huldigung von meiner Lippe nahm,
Und sich ambrosisch seitwärts neigte.
Aus allen seinen Paradiesen
Durch seine ganze Ewigkeit
In einer einzigen Minute Seligkeit
Der Freuden ganzen Schatz zu giessen,
Hat Gott für Seelen, die es kennen,
Die glühen und die nicht verbrennen,
Das Meisterstück der Güte durchgedacht,
Und einen solchen Kuss gemacht.
Der Hauch der Göttlichen erhöhte
Mit Himmelsathem mich, so sanft und süss und warm;
So ruhte sie an meinem Arm,
Und ihr Gesicht war Morgenröthe.
In ihrem Blick war hell das Glück zu lieben
Mit reiner Feuerschrift geschrieben;
Mit einer Schrift, die jeder nicht versteht,
Der an dem Lenkseil niedrer Sinne,
Dass er die Hesperidenfrucht gewinne,
Sich in der Erde Taumel dreht.
Ha, wenn ich hundert Jahre lebe,
Wer bürgt mir, dass ich noch einmahl
Mich aus dem tiefumwölkten Thal
Zu dieser Seligkeit erhebe?
Wer war die Himmlische, die aus Erbarmung sich
Zu mir, dem Träumer, nieder schlich,
Um mir von einem Götterleben
Ein leises Vorgefühl zu geben?
Wer goss Unnennbarkeit in meinen Busen?
Asträa, die sich noch einmahl
Auf unsre Sündererde stahl?
Wars eine von den jüngsten Musen?
Wie, oder küsste mich zum Lohne,
Dass ich bisher so ruhig trug,
Und frevelnd nicht nach ihrem Scepter schlug,
Die Tochter selbst der göttlichen Dione?
So war vielleicht ihr erster Kuss,
Als Aphrodite mit dem Silberfuss
Zum schönsten Sieg
In Paphos an das Ufer stieg:
So war vielleicht nach Adams Traum,
Den er auf einer Blumenmatte
Vom ersten Mädchen sich geträumet hatte,
Der Kuss an dem Erkenntnissbaum:
So ist vielleicht einst unser Kuss,
Wenn Genius und Genius
Einander in die Arme sinken,
Und, von der Erde Last befreyt,
Zu dem Genuss der Ewigkeit
Entzückung aus der Strahlenquelle trinken.
(S. 80-83)
_____



Wohlthat des Herzens

Kalt und erstarrt liegt rund die Flur umher,
Wo der Gedanke nur die Gruppen stellt;
Und ohne Herz ist unsre schöne Welt
Ein todtes Bild, und aller Freude leer.

Das Herz nur schafft in süsser Sympathie
Aus jedem Gegenstand sich Hochgenuss,
Hört in dem Sturm der Liebe Morgengruss,
Und sammelt Freuden aus des Lebens Müh.

Das Herz giesst neu die Farben um sich her,
Und haucht ein neues, glühendes Gewand
Mit schönem Zauber um das nackte Land,
Macht Arme reich, und gibt den Reichen mehr.

Das Herz schattirt der Auen Purpursaum,
Wo sorgenlos der frohe Knabe lief;
Und Heiligthum ist, wo der Vater schlief,
Die kleine Laube mit dem alten Baum.

Dem Herzen ist das Oertchen eingeweiht,
Wo oft die Mutter einst mit milder Hand
Mit ihrem Butterbrot zur Spende stand,
In unsrer Jugend schöner Rosenzeit.

Das Herz schafft sich die kleine Rasenbank,
Wo ländlich auf des Lenzes weichem Gras
Jüngst fröhlich das geliebte Mädchen sass,
Zum hohen königlichen Marmorgang.

Das Herz erhebt, in Lunens Silberschein,
Wo jüngst entzückt in zephyrleichtem Flug
Zum Abendlied sie ihre Triller schlug,
Den kleinen Wald zu einem Götterhain.

Es zaubert sich aus einer Felsenwand
Ein Blumenbeet zum Feyerkleid hervor,
Wo still die Lauscherin mit leisem Ohr
Bey ihrer Schwester Philomele stand.

Das Herz erhöht die Hütte sich zum Thron,
Macht harte Kost zur schönsten Feerey,
Spricht Schuldner los und gibt Verdammte frey,
Und grüsst als Freund den letzten Erdensohn.

Die ganze Trift wird harmonieenvoll,
Zur Oreade jeder Echolaut,
Und jeder Quell den Himmlischen vertraut,
Und jeder Flötenhirte zum Apoll.

Das Paradies ist eine Wüsteney,
Wo das Gefühl die Schöpfung nicht beseelt;
Und wo Vernunft nur ihre Pulse zählt,
Elysium ein schales Einerley.

Lass, Himmel, mir,. . .  und klaget mir der Schmerz
Zuweilen noch in meiner stillen Ruh
Ein Elegienstück der Wehmuth zu, . . .
Lass, Himmel, mir zum Troste nur mein Herz.
(S. 97-98)
_____



Nika da kai sidhon -

Soll auch ich den Zauberkelch noch trinken?
Und vor Amors Pfeile niedersinken,
Der die Könige zu Bettlern macht?
Führet mich auch noch ein Rosenmädchen
Links und rechts an einem seidnen Fädchen,
Wenn sie zauberisch mir blickt und lacht?

Neue Glut durchströmet meine Adern,
Heisser fühl' ich Hirn und Herz schon hadern;
Höher lodert mir die Phantasie,
Höher in des Paradieses Bildern,
Mir die Götterexistenz zu schildern,
Die Urania der Erde lieh.

Einsam schleich' ich nur mit Einem Bilde
Durch die weiten, herbstlichen Gefilde,
Und der Männerstolz ergrimmt und bückt
Knirschend sich, wie der Magnet dem Pole,
Vor dem schönen lächelnden Idole,
Wenn ihr Auge reinen Himmel blickt.

Mädchen, wenn du leicht vorüber schwebest,
Und mich rund in deinen Zauber webest,
Steht der Cherub mit dem Flammenschwert
Nicht mehr schrecklich neben Edens Thüre,
Und ich schwöre hundert Feuerschwüre,
Unsre Erd' ist noch des Himmels werth.

Wie das Garn sich um die Spindel windet,
Drehet mein Gedanke sich, und findet
Magisch überall in der Natur
Einzig dich nur; merket, höret, siehet,
Wo auch hin mein Fuss um Ruhe fliehet,
Wie im Lufthauch noch dein Bildniss nur.

Heisser Seele möcht' ich zu dir treten,
Glühend niederfallen, anzubeten,
In der schönen grossen Schwärmerey;
Möchte wonnetrunken hochvermessen,
Ganz den Meister in dem Werk vergessen,
Zu der heiligsten Abgötterey.

Alle meine Weisheit vom Katheder
Flog davon wie eine leichte Feder,
Wenn dein Blick nach meinem Auge schlich;
Seit ich diesen Pulsschlag mir erworben,
Ist die ganze Schöpfung ausgestorben,
Und nur du allein bist Weib für mich.

Und nur du, mir Einzige auf Erden,
Sollst und kannst und wirst mein Weib nicht werden:
Gähnend liegt die alte Kluft vor mir;
Knirschend heb' ich, ohne mich zu retten,
Tiefen Grimmes an des Schicksals Ketten,
Und durchbräche gern sie hin zu dir.

Wahrlich, wie ein glatter Rosenknabe
Wein' ich nicht an meines Glückes Grabe.
Starrten mich auch Todtenschedel an:
Aber wenn ich einst mein Herz entwöhne,
Ohne dich mit meinem Loos versöhne,
Dann hab' ich ein Männerwerk gethan.

Wie die Sonne lächelst du mir, Holde;
Aber fluchen möcht' ich deinem Golde,
Welches mir dein Sonnenlächeln bricht.
Muth hab' ich, im Glutenkampf zu sterben;
Aber Muth, mir Schätze zu erwerben,
Liebstes, bestes Mädchen, hab' ich nicht.

Jetzt zum ersten Mahle könnt' ich wollen,
Dass mein Werth nur mit Dukatenrollen
Sich erwiese, nach gemeinem Sinn;
Oder wärst du arm, wie ich, und kämest
Sittig freundlich halb zu mir und nähmest
Herz um Herz zum herrlichsten Gewinn.

Mit gestähltem Muthe wollt' ich ringen,
Dir den kleinen Unterhalt zu bringen,
Den Natur den frohen Kindern beut:
Froh an deiner Seite wollt' ich sitzen,
Und um den Genuss des Lebens schwitzen;
Und die Mühe wäre Seligkeit.

Mit Madonnenanmuth würdst du fliegen,
Dich an meine Schulter anzuschmiegen,
Und ich spräche mit dem schönen Lohn
Allen grossen königlichen Sündern,
Die für ihre Wollust Länder plündern,
Göttlich froh an deinem Nacken Hohn.

Dich mir noch im Kampfe zu ersiegen,
Wollt' ich über Andenschedel fliegen
Durch des Ozeanes Felsenbahn;
Mich zu deinem Liebling aufzuschwingen,
Durch des Krieges Todessaaten dringen,
Wechselnd Kluft hinab, und Himmel an.

Ha, ich wollte mit dem Würger schlagen,
Mich für dich hinab zur Hölle wagen:
Mädchen, kauf mit Golde, wenn es gilt,
Dir ein Herz, bereit für dich zu bluten,
Und das heisse Leben wegzufluten,
Bis der letzte Tropfen von ihm quillt.

Unaufhaltsam rollen unsre Jahre;
Mit des Mannes erstem grauen Haare
Sinkt vom Weiberauge die Magie.
Werde glücklich, und ich will mein Leben
Selber hin für deine Ruhe geben,
Ohne Rausch der süssen Sympathie.

Rettet mich, ihr Götzen, Stolz und Ehre,
Wenn ich taumelnd die Vernunft nicht höre;
Drückt das schöne herrliche Gefühl,
Bräche gleich das Herz im Drucke, nieder;
Und nach tiefem Sturme bringet wieder
Feste kalte Ruh aus dem Gewühl.

In dem gelben glänzenden Metalle
Liegt für meine Seele keine Falle,
Wenn es blendend auf und nieder flockt;
Und ich wollte neben seinen Schimmern
Selbst mein letztes kleines Glück zertrümmern,
Eh es mir nur einen Wunsch entlockt.

Mädchen, wenn mein Herz in Wüsten narbet,
Und zum Grabe fastend einsam darbet,
Soll dein Nebelbild mich noch erfreun;
Und wie an dem Blumenkelch die Biene
Häng' ich an dem Nahmen Wilhelmine;
Und er wird mir noch Erquickung seyn.
(S. 98-101)
_____



Ein Lied
im gewöhnlichen Ton

Varium et mutabile semper -

Ich sahe sie, wo Zollikofer dachte,
Und leise zog mein Herz ihr zu;
Doch wars, als ob in dem Verlust der Ruh
Mir neu gehaucht die Schöpfung schöner lachte.

Sie sprach zu mir, da floss von ihren Lippen
Der Seele süße Harmonie;
So lieblich tönt, so magisch fliesset sie
Geweihten nicht herab von Aganippen.

Ich stand verstummt; nur jede Saite bebte,
Wenn sie die Harmonieen sprach,
Mit Einklang in des Wesens Tiefe nach,
Dass ich durch sie ein neues Leben lebte.

Mein Auge hing mit Angst an ihrer Miene;
Der Blick nur sprach, die Zunge schwieg,
Bis kühn empor die stolze Hoffnung stieg,
Dass ich vielleicht des Himmels Glück verdiene.

Das Siegel brach; nun war mein Herz ihr offen;
Mit schöner hoher Schwärmerey
Gestand sie bald, dass sie gewonnen sey;
Befahl mir selbst, das Herrlichste zu hoffen.

Gerührt mit Dank sank ich zu ihren Füssen:
Gerührt zog sie mich auf zu sich,
Und taumelnd warf ich wonnetrunken mich
Ihr um den Hals, und schwor mit Flammenküssen.

Als wollte sie den ganzen Himmel leeren,
Als wollte sie, so hielt sie mich,
Den Trunknen, fest, hochglühend fest an sich,
Mit einem Kuss die Ewigkeit verzehren.

Sie schwor mir ernst und feyerlich die Treue.
Ich rief voll Angst ihr: Schwöre nicht;
Entsetzlich ists, wenn man die Schwüre bricht!
Entsetzlich, ja; sprach sie, und schwor aufs neue.

Von lieblichem, bethörenden Geschwätze
Troff nun beredt ihr Zaubermund,
Als wäre, wie Orion unser Bund,
Und ewig fest, wie Gottes Weltgesetze.

Wie Heiligthum mit Strahlenglanz umflossen,
Sank sie voll Ruh mir in den Arm,
Und sicher ward das Herz am Herzen warm;
Der Tugend nur war dieser Bund geschlossen.

 Ich hing entzückt an allen ihren Reizen,
Als könnt' ich in der Sympathie,
Wenn flüsternd sie sich wiegt' auf meinem Knie,
Das Paradies zurück zur Erde geizen.

Sie rief mir zu, dass nur durch meine Liebe
In ihrem Leben Leben sey;
Und elend wärs und eine Wüsteney,
Wofern mein Herz nicht ihrem Herzen bliebe.

Die hohe Fluth durchbrach mir fast den Busen
Im Ungestüm der Seligkeit:
Empfindung ist stets Unaussprechlichkeit;
Sie sagt selbst nie der Liebling aller Musen.

Ich lebte, wie vor Gott ein Auserkohrner,
In jenes Lebens Rosenlenz;
Für sie nur fühlt' ich meine Existenz,
Froh, froh wie einst der Schöpfung Erstgeborner.

Gluth war die Schrift, die sie mir täglich schickte,
Und jedes Wort ein Feuerzug,
Der doppelt heiss in meine Seele schlug;
Und Himmel war ihr Auge, wenn sie blickte.

Ha, hätt' ich je im Traum nur freveln können,
Da mir bey ihrem hohen Schwur
Ein Wonnestrahl durch alle Sehnen fuhr,
Es werde je die Flamme niederbrennen!

Doch glänzten kaum mir hundert Morgenröthen,
So rief sie mit der Stoa Ruh,
Mit kaltem Ernst, zum Lebewohl mir zu:
Geh' an den Pol zu deinen Samojeten!

Als wäre mir von Gottes Wolkenfunken
Das Mark gedörrt, so stand ich da;
Und als ich sie sich schnell entfernen sah,
Als hätt' ich schon des Todes Kelch getrunken.

So stand ich da, mit Folter im Gesichte,
Und glühend quoll mir Zorn und Schmerz
Vom Augenlied herab wie siedend Erz:
Ein Sünder steht einst so am Weltgerichte.

Schon mancher Mond ist nun vorbey geflossen;
Noch glüht mir täglich neu der Schmerz,
Und wühlet tief, tief in das wunde Herz:
Die Rechnung ist nun mit dem Glück geschlossen.

Ich kann, ich will, ich werde nicht vergessen;
Denn mein Gefühl ist Ewigkeit:
Und sollte mir zu meiner Lebenszeit
Der Himmel wie den Patriarchen messen.

Verrätherin, geh, opfre stolz der Mode,
Und bey dem Opfer spotte mein;
Mein Leben wird, soll deine Strafe seyn:
Das Schicksal straft vielleicht mit meinem Tode.

Wie konnt' ich mich so knabenhaft verlieren?
Ich Thor, ich hatte ja kein Gold.
Mit Seckeln nur kauft man der Liebe Sold:
Und man gewinnt nur sicher durch Summieren.

Mag mich der Tross der Alltagswelt verkennen;
Für Herz um Herz vermöcht' ich kühn
Am Lebensjoch mit Kraft und Muth zu ziehn:
Der Rest ist kaum mir werth, ihn nur zu nennen.

Mit Wehmuth füllt mich einsam der Gedanke,
Mit Wehmuth die Empfindung mich;
Und dieser Ton, so bebt es innerlich,
Verhallt selbst nicht dort vor der grossen Schranke.

Ich darf und will als Mann nicht weibisch klagen:
Geh, Mädchen, du zerstörtest mir
 Des Segens viel, und ich verzeihe dir.
Was ich jetzt war, kann einst der Greis nur sagen.
(S. 102-105)
_____


Aus: Gedichte von Johann Gottfried Seume
Vierte, vermehrte und verbesserte Ausgabe Leipzig 1815

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottfried_Seume


 

 


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