Karl Simrock (1802-1876) - Liebesgedichte

 


Karl Simrock
(1802-1876)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Trost

Klage nicht, es sei verschwunden
Von der Welt der Liebe Glück:
Wär es hin, in selgen Stunden
Brächt es dir dein Herz zurück.

Liebe darf nur nicht verzagen,
Denn allmächtig ist ihr Ruf.
In den ersten Schöpfungstagen
War die Liebe schon und schuf.

Schuf die Welt und alle Räume
Füllte Sehnsucht süß und mild,
Sehnsucht schuf die Liebesträume
Und der Traum ein süßes Bild.

In den Traum der Lust versunken
Lag des Neugeschaffnen Leib
Und der hohe Götterfunken
Seiner Brust erschuf das Weib.

Hoffe Du auch noch zu finden
Was die Seele wünscht und liebt:
Glauben doch die armen Blinden,
Daß es Licht und Farbe giebt.
(S. 4)
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Der scheidenden Nachtigall

Nachtigall, du regst die Schwingen,
Einem fernen, fremden Land
Jenen Frühling anzusingen,
Der uns allzufrüh entschwand.

Keinen Lenz macht eine Schwalbe,
Aber eine Nachtigall,
Die erweckt ihn allenthalbe
Durch der Töne Wunderschall.

Unterm Eise schlafbefallen
Liegt die Erde: da erklingt
Der Gesang der Nachtigallen
Und des Eises Rinde springt.

Alles eilt sich zu erheben
Aus dem langen Wintertraum,
Schatten vor der Gluth zu geben
Kleidet sich in Grün der Baum.

Blumen keimen, Quellen rauschen,
Vögel flattern hin und her,
Süße Liebeszeichen tauschen
Erd und Himmel, Land und Meer.

Alles weicht aus seinem Gleise,
Selbst das Alter träumt sich jung,
Und der Jüngling ward zum Greise,
Faßt ihn nicht Begeisterung.

Also hast du hier mit Tönen
Neue Gluthen angefacht;
Andre Welten zu verschönen
Fliehst du dieser Blüthen Pracht.

Wenn der Nachhall deiner Lieder
Hier verklingt in Herz und Sinn,
Kehr uns zu beglücken wieder,
Süße Weltverschönerin!
(S. 5-6)
_____



Gruß

Wenn die Knospen wieder schwellen,
Schweigt nicht mehr der Vögel Chor,
Und die süßen Lieder quellen
Aus der freien Brust hervor.

Mit des Schmetterlinges Flügel
Schwingen sie sich leicht und kühn
Über Thäler, über Hügel,
Über Baum und Wiesengrün.

Zieht ihr leicht beschwingten Töne
Auch in ihr geliebtes Thal,
Seht ihr dann die Holde, Schöne,
O so grüßt sie tausendmal.

Sagt, es sei ein Sehnen wieder,
Süß Verlangen heimatwärts,
Lockend, wie ihr Frühlingslieder,
Eingezogen in mein Herz.
(S. 7)
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Liebesboten

Als der Sommer war gekommen,
Aller Rosen Gluth verglommen,
Schickt ich einen Sonnenstral
Zu dem Mädchen meiner Wahl:
"Schau ihr in des Busens Schrein,
Ob sie noch gedenke mein?"
Als der Sonnenstral ihr naht,
Trifft er sie im kühlen Bad;
Kommt zurück und spricht: "Nein, nein:
Die gedenket nicht mehr dein."

Als der Herbst nun war gekommen,
Alle Bäume Laub genommen,
Schickt ich einen Regenwind
Zu dem herzgeliebten Kind:
"Schau ihr in des Busens Schrein,
Ob sie noch gedenke mein?"
Weht der Wind ihr um die Brust,
Wird ihm da so flau vor Lust,
Kommt zurück und spricht: "Nein, nein:
Wie gedächte die noch dein?"

Als der Winter war gekommen,
Hell des Heerdes Gluth entglommen,
Schickt ich Frost und Schnee hinaus
Zu der Allerschönsten Haus:
"Schau ihr in des Busens Schrein,
Ob sie noch gedenke mein?"
Bläst der Frost ihr untern Hut,
Schmilzt er fast vor Liebesgluth,
Kommt zurück und spricht: "Nein, nein,
Die vergaß schon lange dein."

Als der Frühling war gekommen,
Wieder Rosen leuchtend glommen,
Schickt ich Maiensonnenschein
Zu dem schönen Mägdelein:
"Frage Du mein süßes Kind,
Ob sie mir noch treu gesinnt?"
Maienschein kommt an den Ort,
Möcht erst gar nicht wieder fort,
Läuft zurück und spricht: "Ja doch:
Dein gedenkt die Holde noch."
(S. 8-9)
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An den Mond

Silbermond, mit bleichen Stralen
Pflegst du Wald und Feld zu malen,
Giebst den Bergen, giebst den Thalen
Der Empfindung Seufzer ein.
Sei Vertrauter meiner Schmerzen,
Segler in der Lüfte See:
Sag Ihr, die ich trag im Herzen,
Wie mich tödtet Liebesweh.

Sag Ihr, über tausend Meilen
Sehne sich mein Herz nach Ihr.
"Keine Ferne kann es heilen,
Nur ein holder Blick von dir."
Sag Ihr, daß zu Tod getroffen
Diese Hülle bald zerfällt;
Nur ein schmeichlerisches Hoffen
Sei's, daß sie zusammenhält.
(S. 10)
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Die Sterne Liebesboten

In die Wälder will ich schleichen,
In die süße Doppelnacht,
Wo der Himmel durch die Eichen
Vollgestirnt hernieder lacht.
Weinen darf ich hier und zagen,
Darf empor zum Himmel sehn,
Darf die holden Sterne fragen:
Warum muste das geschehn?

Sterne, die mit süßem Flimmern
Boten seid der beßern Welt,
Ach, was hilft es, Wem zu Trümmern
Früh die irdische zerfällt?
Gebt ihr einmal euch für Boten,
So verdient schon hier den Preis,
Da man in dem Reich der Todten
Nichts mehr von der Liebe weiß.

An die Sterne will ich heften
Meinen liebefeuchten Blick,
Will von euch mit allen Kräften
Fordern meiner Liebe Glück.
Und gewiß, sie wird uns segnen,
Wenn auch Liebchen aufwärts weint:
Wenn die Blicke sich begegnen,
Sind wir wieder neu vereint.
(S. 11)
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Augensprache

Ich sah sie im schimmernden Saale,
Die Tafel war fürstlich besetzt:
Wir haben uns nicht an dem Mahle,
Nur an einander geletzt.

Wohl sah ich winken und lauschen
Im Glase den goldenen Wein;
Ich suchte mich nur zu berauschen
An der lieblichen Augen Schein.

Trompeten und Hörner erschollen
Zu des Mahles festlicher Zier:
Gern hätt ich sie missen wollen
Um ein einziges Wörtchen von ihr.

Doch saß sie herrlich erhoben,
Weit von dem Freunde gebannt
An der länglichen Tafel oben,
Ich unten von Keinem gekannt.

Uns giengs in dem fremden Hause,
Wie Liebenden immer geschah:
Ob ein Meer dazwischen brause,
Sie bleiben einander nah.

Es wandelten durch die Reihen
Vier Boten wohl ab und auf,
Behender als all die Lakaien
In ihrem geschäftigen Lauf.

Sie entboten freundliche Grüsse
Hinüber, herüber viel:
Sie betrieben verstohlen das süße,
Das trauliche Wechselspiel.

Die Boten sollte man ehren
Und preisen im ganzen Land:
Die Sprache, worin sie verkehren,
Ist Liebenden einzig bekannt.
(S. 14-15)
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Der Jäger

Mancher Schuß gelang mir heute
Auf den Feldern, an dem See:
Hühner, Hasen meine Beute
Und ein zierlich junges Reh.

Sprang ein Wild im Jagdreviere,
Stieg ein Vogel himmelwärts,
All die muntern, klugen Thiere
Büßten meinen Liebesschmerz.

Wollte Sie der Treue lohnen,
In mein enges Hüttchen ziehn,
Alles Wildes wollt ich schonen,
Meine Büchse gäb ich hin.

Dieses Schweifens mich entschlagen,
Unstät über Berg und Land,
Nur nach ihren Blicken jagen
An der Vielgeliebten Hand.
(S. 16)
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Neues Treiben

Ich mag nicht denken,
Nur lieben, lieben;
Ich mag nicht trinken,
Nur küssen, küssen.
Doch denk ich Liebe
Und trinke Küsse,
So werd ich Weiser
Und Trinker sein.

Viel schwarze Lettern
Stehn in den Büchern,
Die bilden alle
Der Liebsten Namen.
Im goldnen Becher,
Aus tiefem Grunde
Blickt mir entgegen
Der Liebsten Bild.

So will ich denken
Wie ich dich preise,
Und Lieder dichten
Zu deinem Ruhme;
Auch will ich trinken
Mich zu begeistern
Und jeder Becher
Sei Dir gebracht.

Daß ich dich dachte
Macht mich zum Dichter;
Daß ich dir zechte
Macht mich betrunken.
Ein trunkner Dichter
Von Wein und Liebe,
Wird den verstehen
Die nüchterne Welt?

Läßt Du mich lesen
In deinen Augen,
So stehts geschrieben,
Daß du's verstanden.
Und zum Beweise
Reichst du dem Sänger
Den Kelch der Lippen
Belohnend dar.
(S. 18-19)
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Die hübsche Seilerin

Mir will ein schönes Mädchen
Nicht wieder aus dem Sinn:
Sie heißt im ganzen Städtchen
Die hübsche Seilerin.

Die Seile, die sie windet,
Bestricken Herz und Hand,
Das schlanke Mädchen bindet
Damit das halbe Land.

Steht sie an ihrem Lädchen,
So kommt die ganze Stadt
Und kauft die saubern Fädchen,
Die sie gesponnen hat.

Ihr dürft nicht lange weilen,
Weil eh ihrs denkt und wißt
Das Herz an ihren Seilen
Gar schlimm gefangen ist.

Sie warf die schönen Schlingen
Mir hurtig übern Kopf:
Wie soll ich mich entringen,
Ich allzudreister Tropf?

Gönnt mir das hübsche Mädchen
Nicht bald gewognen Blick,
Kauf ich in ihrem Lädchen
Mir ehstens einen Strick.

Dann wird sie doch beklagen,
Daß sie mich so gekränkt,
Und seufzend wird sie sagen:
"Den hab ich selbst gehenkt."
(S. 20-21)
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Offenbar Geheimniss

Die Lieb ist schwer zu hehlen;
Die Liebe kund zu thun
Mögt ihr, verliebte Seelen,
Nicht rasten und nicht ruhn.

Ich habs in Sand geschrieben
Wie ich ihr eigen bin,
Die Hirtenknaben trieben
Die Heerde drüber hin.

Grub ich es dann mit Weinen
In frischen Winterschnee,
Die Sonn hub an zu scheinen:
Weg schmolz mein Liebesweh.

Malt ichs mit allen Farben
An eine Lehmenwand,
Die Farben blichen, starben
Und Niemand sah den Tand.

Aus aller Bäume Rinden
Verwächst es über Nacht;
Doch sehen selbst die Blinden
Was Lieb an mir vollbracht.

Die Tauben und die Stummen
Verhandeln drüber laut:
Es grüßen uns die Dummen
Schon Bräutigam und Braut.
(S. 22)
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Eitler Vorwand

Gar Mancher thut, als schade dir
Der seltnen Schönheit Preis;
Er hofft wohl gar noch Dank dafür,
Daß er zu schweigen weiß.

Denn singen könnt er, ohne Scherz,
Ein zweiter Phöb-Apoll,
Und schweigt allein, damit dein Herz
Nicht eitel werden soll.

Doch eitel ist ein solch Bemühn,
Ist eitel Ziererei:
Die Flammen, die im Herzen glühn,
Die lodern gerne frei.

Die Liebe, die mein Herz beschlich,
Die predigt auch mein Mund,
In tausend Tönen thut sie sich,
In tausend Liedern kund.

Und an der Sonne wirds erprobt,
Daß Lob nicht eitel macht:
Die Hehre ward noch mehr gelobt
Und scheint in alter Pracht.
(S. 23)
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Der Unverwundbare

Locken sind geliebte Schlangen:
Mancher wird des Sinns beraubt,
Wenn sie ringelnd niederhangen
Von des lieben Mädchens Haupt.

Süß mit solchen Schlangen spielen,
Doch es ist verwegner Scherz,
Denn sie züngeln, denn sie zielen
Und getroffen zuckt dein Herz.

Ich in krausen Lockenhaaren,
Sie bedeuten krausen Sinn,
Wag es auf und ab zu fahren,
Weil ich unverwundbar bin.

So durchschoßen, so getroffen,
Wund an Wunde, Stich an Stich,
Darf mein Herz nun Frieden hoffen,
Unverletzlich weiß es sich.

Schüttler nur die krausen Locken,
Schlangen, zischt und sprühet Gift,
Läute, Stadt, mit allen Glocken,
Wenn es heile Stellen trifft.
(S. 24)
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Vermächtniss

Und als mein Mädchen zu sterben kam,
Da lachten die Engelein droben;
Die Lilien senkten vor Schmerz und Gram
Die Kronen aus Schimmer gewoben.

"Geliebte, und wenn du nun scheiden musst,
Was soll aus den Lilien werden?"
Die Lilien lege mir an die Brust
Und bring uns zusammen zur Erden.

"Geliebte, und wenn dich nun birgt die Gruft,
Was wird aus den duftenden Rosen?"
Die Rosen laß mit der Maienluft
Mir über dem Hügel kosen.

"Geliebte, und bist du den Engeln gesellt,
Mein Herz, wie kommt es zu Sinnen?"
Dein Herz vermach ich der ganzen Welt
Und rühmlichem, ernsten Beginnen.
(S. 25)
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Fensterpromenade

Hier unter diesen Bäumen,
Da wandelt ohne Rast
In bösen Fieberträumen
Ein seltner Schmerzensgast.
Nach jenem Fenster schickt er
Die Blicke naß und weich;
Nach diesem Zimmer blickt er
Wie in sein Himmelreich.

Am Fenster sitzt ein Mädchen,
Die hats ihm angethan,
An ihrem Zauberfädchen
Hält sie den armen Mann.
Er sauget Luft und Leben
Aus ihrer Augen Schein:
Wenn die nicht Glanz mehr geben,
Bricht ihm die Nacht herein.

Und war sein Gang vergebens,
Ihr Anblick nicht der Lohn,
Ist ihm die Lust des Lebens
Im Augenblick entflohn.
Darf bei so treuem Herzen
Der arme Knabe ruhn?
Er wird es leicht verschmerzen
Den zweiten Gang zu thun.

Nun theile sein Entzücken,
Nun heile seinen Schmerz
Und gieß mit holden Blicken
Ihm Balsam in das Herz:
Daß er den Kelch der Leiden
Nicht auf den Grund genießt;
Daß Wonnen ihn bescheiden,
Ob Lust aus Liebe sprießt.
(S. 28-29)
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Betrug

Alles liegt und schlummert nun,
Nur die goldnen Sterne,
Die den ganzen Tag sich ruhn,
Wandeln in der Ferne.

Nur in Finsterniss und Nacht
Muß ich einsam schleichen,
Denn dein Bild, das ewig wacht,
Will nicht von mir weichen.

Sinnend schau ich, wie du liegst
Auf dem weichen Flaume
Und die zarten Glieder wiegst
In dem schönsten Traume.

Wonnetrunken knie ich hin
Nieder dir zu Füßen,
Senke mich mit Herz und Sinn
In das Bild der Süßen.

Länger zähm ich nicht die Lust
Göttertrank zu nippen:
Und ich küsse Arm und Brust
Und die Rosenlippen.

Doch der Irrthum läßt mich los,
Schrecklich wird es helle,
Denn ich fühl, ich küsste bloß
Deine kalte Schwelle.
(S. 30)
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Der Kuckuck

Seit ich dein Bild gesehn,
Drin alle Süße wohnt,
Muß ich durch Wälder gehn,
Worin der Kuckuck thront.

Den seltsamen Kumpan
Hab ich mir auserwählt,
Der Haide, Busch und Plan
Mit seinem Ruf beseelt.

Zwar hab ich oft gedacht,
Wie wir verschieden sind:
Er preist sich Tag und Nacht,
Ich dich nur, süßes Kind.

Doch ist er nicht so schlimm
Als wohl die Welt es glaubt,
Die ihm in ihrem Grimm
Das Glück der Liebe raubt.

Es hat wohl Grund und Ziel,
Daß er den Namen preist,
Da Die ihm wohlgefiel
Ganz wie er selber heißt.
(S. 31)
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Ständchen

Athme nur leise,
Wenn ich die Kreise
Zieh um dein kleines befriedetes Haus;
Gaukelnde Töne,
Schaukelt die Schöne
Nicht aus dem goldigen Schlummer heraus.

Säusle gelinde,
Blühende Linde,
Wecke sie nicht aus dem lieblichen Traum,
Daß sich den Tönen
Liebend versöhnen
Mag dein Geflüster, du kosender Baum.

Träume sind Lieder,
Die dir hernieder
Singen die Sterne vom himmlischen Land;
Lieder sind Träume:
Spielende Reime
Machen das innerste Wünschen bekannt.

Drum in die Lieder
Immer und wieder
Stiehlt sich dein lieblicher Name so gern:
Selige, Reine,
Wäre der meine
Deinen entzückenden Träumen nicht fern.
(S. 32)
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Veränderung

Sie hat die Stadt verlaßen;
Die engen dumpfen Gaßen
Wie sind sie öd und leer;
Aufs Land ist sie gezogen,
Und alle Freuden flogen
Sogleich mit ihr hieher.

Wie frisch und blühend schauen
Die Thäler und die Auen,
Der Hügel und der Hain.
Eh sie euch noch bewohnet,
Die hier als Fürstin thronet,
Wie traurig saht ihr drein!

Wo ihre Augen glühen,
Muß Alles gleich erblühen
Vom Abglanz ihrer Zier.
Mich einzig läßt sie darben,
Bis alle heitern Farben
Gewichen sind von mir.
(S. 33)
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Erneuter Schmerz

Schritt an Schritt nur frisch gereihet
Durch der Felder junges Grün:
Alles blüht und lacht und maiet,
Jede Rose will erglühn,
Jede Knospe will zerspringen
Seit des Frühlings Ruf erklang,
In die blauen Lüfte dringen
Jede Lerche mit Gesang.

Durch die Ebne glanzgeröthet,
Wandl ich mit beschwingtem Fuß
Und der Hirt, der droben flötet,
Winkt mir seinen Morgengruß.
Treibe nur die muntern Ziegen
Auf der Weide vor dir her!
Dieser Berg ist bald erstiegen:
Sieh, ich schreite schon daher.

Singe nun vom Bergeshange,
Daß die Ebne rings erschallt
Und dem kräftigen Gesange
Busch und Felsen wiederhallt.
Doch er singt in tiefem Tone
Von verlorner Seligkeit,
Wie die Liebe stäts zum Lohne
Statt der Wonne Schmerz verleiht.

Armer Knabe, sollst mich dauern,
Wenn du solchen Lohn empfiengst;
Doch du wirst ja wohl nicht trauern,
Denn du weist nicht was du singst;
Habe Dank und laß mich eilen
Von der Höhe niederwärts,
Daß die Maienwinde heilen
Den erneuten Liebesschmerz.
(S. 34-35)
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Mit Liebchen

Und kommt der Abend lind und warm,
Thun wir nach altem Brauch:
Ein Jeder nimmt sein Lieb an Arm
Und meines nehm ich auch.
Durch laute Stadt und grünes Feld
Laß uns zusammen wandeln
Wie künftig durch die Welt.

Vor jeder Hütte wirbt ein Paar
Um Kuss und Minnesold,
Die Sternlein in des Mondes Schar
Sind sich einander hold;
Er selber blickt mit bleichem Schein
So sehnlich und begehrlich
In unsre Lust hinein.

Das Bächlein, das vom Felsenhang
Ins Thal hernieder hüpft,
Das Vöglein, das mit Lustgesang
Durch Blüthenzweige schlüpft,
Die Abendwinde lau und schwül:
Was kommen sie zu suchen
Als Lieb und Mitgefühl?

Hier rasten wir auf moos'gen Höhn,
Wir haben ja nicht Eil:
Was all die Andern suchen gehn,
Das ward uns schon zu Theil:
Des eignen Wesens Wiederklang
Und im verwandten Busen
Der gleichen Wünsche Drang.

Nun schalle Busch und Haideplan
Von Kuss und Minnelaut:
Ihr Sterne, nehmt ein Beispiel dran
Und koset süß vertraut:
Kein schöner Glück ist auf der Welt
Als wenn sich stäte Liebe
In treuen Armen hält.
(S. 36-37)
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Mit Liebchen am Bache

Liebchen, wandelst du mit?
Mit des Bächleins eilendem Gange
Halten wir gleichen Schritt.

Hörst du, wie klagend es rauscht?
Mit Sehnsucht flüsterndem Klange
Hat es sein Brausen vertauscht.

Doch nicht die Wellen allein
Hat Liebeswonne bezwungen:
Sieh auch die Blümelein.

Sie balsamen die Luft,
Sie haben nicht andere Zungen,
Dir mit dem würzigen Duft.

Eines am Bächlein spricht
Aus blauen herzigen Augen:
"Holde, vergiß mein nicht!"

Liebchen, an deiner Brust,
Gewölbt dran Leben zu saugen,
Sterb es den Tod der Lust.
(S. 38)
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Seligkeit im Schmerz

Zwischen Leiden, zwischen Sorgen
Fließt das Leben selig hin:
Heute Schmerzen, Leiden morgen,
Ist ein jeder Tag Gewinn.

Süße Tröstung von den Wangen
In der Thräne niederquillt,
Leuchtend in dem Tropfen prangen
Seh ich das geliebte Bild.

Alter Zeiten süß Gedächtniss,
O wie hab ich dich so lieb,
Als das einzige Vermächtniss,
Das der Armen übrig blieb.

Und die Zeiten, die ich meine,
Waren sie doch kaum so schön
Als sie mit des Himmels Reine
In mein Herz geschrieben stehn.

Zwischen Schmerzen, zwischen Leiden,
Laßt mich schwelgen immerhin:
Machen euch doch eure Freuden
Nicht so selig als ich bin.
(S. 39)
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Vielliebchen

1.
Wenn der Duft der Mandelbäume
Durch die Frühlingslüfte zieht,
Dann erklingen alle Träume
In ein selig Minnelied.

Denn die Lieb ist auferstanden
Aus dem Eis und Nebelflor:
Jung und frisch und frei von Banden
Dringt sie an das Licht hervor.

Soll sie schlummern bis die Rose
Wonne duftet in das Herz?
Nein, es wecket ihr Gekose
Schon der erste Tag im März.

Schon der Duft der süßen Mandel
Bringt der Liebe Wonnetraum
Und von nun an ohne Wandel
Heiße Sie der Liebe Baum.


2.
Einsam in der rauhen Hülle
Ruht der süße Mandelkern:
So verbirgt sich in der Stille
Unbeglückte Liebe gern.
Einsam in sich selbst verschloßen
Meidet sie des Tages Licht,
Die Gemeinschaft der Genoßen
Und der Menschen Angesicht.

Doch die schönste Augenweide,
Wenn zwei süße Kerne nun
Sich zur Freude, uns zum Neide
In dem Schooß der Mandel ruhn.
Eins dem Andern hingegeben,
An Vielliebchens treuer Brust
Leben sie das schönste Leben
Reiner Seligkeit und Lust.

So umfangen von dem Thale
Ihres lieblichen Vereins,
Sind sie in der engen Schale
Doppelt und doch ewig eins:
Zwillinge, die sich erlesen,
Ewig mein und ewig dein:
Von der Liebe tiefstem Wesen
Sollt ihr mir ein Gleichniß sein.


3.
Ein Jüngling wandelte her und hin
Bei schattenden Mandelbäumen:
Er dachte der liebenden Gärtnerin
Verloren in seligen Träumen.

"Ihr Mandeln kennet der Holden Sinn,
Sie hat euch zu Trauten erwählet:
Hat nie die liebliche Gärtnerin
Ein Wörtchen von mir euch erzählet?

Ihr schüttelt die Wipfel über mich hin,
Ihr werft mir die Mandel zu Füßen:
Soll Sie von der lieblichen Gärtnerin
Wohl gar die Kunde verschließen?

O läg ein doppelter Kern darin,
So wüst ich wohl was es bedeute:
So dürft ich die liebliche Gärtnerin
Vielliebchen nennen noch heute."

"So öffne die Schale mit hoffendem Sinn:
Was frommt es bange, zu säumen?"
So weckte die liebliche Gärtnerin
Den Jüngling aus seinen Träumen.

"Die Mandel kennet der Liebenden Sinn,
Trau ihrem geheiligten Munde:
Von deiner lieblichen Gärtnerin
Hat Sie die gewisseste Kunde."

Er öffnet die Schale und findet darin
Zwei Liebende die sich umschlingen,
Wie jetzt die liebliche Gärtnerin
Und der Jüngling sich kosend umfangen.

"Die Mandel warf ich dir selber hin
Und wuste wohl was sie verhülle:
Dich hat die liebliche Gärtnerin
Schon lange geliebt in der Stille.


4.
Ich habe mir aus der Mandel Gebein
Eine luftige Gondel geschnitzet:
Die laß ich schwimmen im goldenen Wein,
Der im Glase funkelt und blitzet.

Die Gondel vergleich ich der Fröhlichkeit,
Die im Weine will wogen und schwimmen;
Doch dünkt sie uns ekele Nüchternheit,
Wenn die Funken der Liebe nicht glimmen.

Drum zünde ich die zierliche Gondel an
Am Lichte der stralenden Kerzen,
Und trink ich hinunter den glühenden Kahn,
So lodern sie ewig im Herzen.

Ich trink ihn hinab auf des Jünglings Glück,
Der das erste Vielliebchen findet,
Und sich an der lieblichen Nachbarin Blick
Die Gondel der Freuden entzündet."
(S. 88-91)
_____



Mit einem Kranz

1.
Kränze hab ich viel geflochten
Blüth an Blüthe, Stern an Stern,
Stäts in Blumen sprechen mochten
Dichter und Verliebte gern.

Doch nicht Blumen, wie im Lenze
Blühen, wand ich sonst zum Kranz,
Nein, es waren Liederkränze
Manchmal ohne Duft und Glanz.

Doppelkränze dir zu winden
Gönnt mir nun ein hold Geschick.
Sind auch Blumen schwer zu finden,
Liebe stralt von Blick zu Blick.

Aug in Auge magst du lesen
Was zu sagen selten glückt,
Wie du Seele, Sinn und Wesen
Mir berauscht hast und entzückt.

Horche nicht dem Klang der Lieder,
Diese Blumen sind nur Tand,
Küsse mich und küsse wieder,
Fühle so was ich empfand.


2.
Könnt ein Lied so zärtlich sagen
Als ein Kuss, ich bin dir hold,
Wollt ich stäts die Saiten schlagen,
Nicht begehren Minnesold.

Doch Gesang muß viel verschweigen
Was beredt in Küssen spricht:
Lippen, wollt ihr Liebe zeigen,
Küsset nur und singet nicht.

Kurze Lieder, lange Küsse,
Ist verliebten Sängers Brauch,
Daß er nicht verschmachten müße,
Schmilzt sein Lied und wird ein Hauch.


3.
Dich können Blumen nicht verschönen,
Vor dir sind alle todt und bleich.
Wer wollte dich mit Rosen krönen,
Die Ros und Veilchen bist zugleich?

Bescheidenheit ist eine Krone
Mehr werth als alle Kaiserpracht:
In eigner Anmuth prang und throne,
So schämt sich Demant und Smaragd.

Wozu noch Schmuck? Wozu Gepränge?
Du schmückst ein einfach häuslich Kleid;
Was sollen Ketten, Uhrgehänge?
Bei dir vergißt man alle Zeit.

Wirst du mit falschen Reizen pralen?
Dein schönster Reiz ist, du bist wahr.
Doch willst du selbst dich überstralen,
So flicht die Mirthe dir ins Haar.


4.
So früh ersehnt, so spät erworben,
Der schon des Jünglings Herz gebebt!
Wär ich verzweifelnd hingestorben,
Doch hätt ich nicht umsonst gelebt.

Dein Auge lehrte mich empfinden,
Und denken dein unschuldig Wort,
Den Reim dem Reime zu verbinden
Riß mich dein süß Gedächtniß fort.

Der Wunsch der Werthen werth zu bleiben
Hielt mich empor, wo Mancher fiel,
Aus nichtgem Wesen, schalem Treiben
Hob mich das kaum erhoffte Ziel.

Zu Schutz und Warnung mitgegeben
Wird Jedem früh ein guter Geist,
Um Haupt und Schläfe fühlt er schweben
Den Engel, der ihn unterweist.

Warst du mein Schutzgeist, du mein Engel?
Vollende denn was du begannst,
Du kennst die Fehler, kennst die Mängel,
Die du allein ergänzen kannst.

Noch Viel gebricht mir, doch am Meisten
Wars dein Besitz, der mir gebrach.
Hier magst du schleunig Hülfe leisten;
Das Andre kommt von selber nach.
(S. 92-94)
_____



Zwist und Sühne
Romanze

Mädchen
Schnür den Bündel denn zum Wandern,
Schaue nicht nach mir zurück:
In den Armen eines Andern
Find ich bald ein schöner Glück.
Mancher ist mir still ergeben,
Viele sind, die um mich frein:
Ohne dich kann ich schon leben,
Ohne dich kann ich schon sein.

Knabe
Kannst du solchen Abschied sagen,
Laß ich gern dein enges Haus
Und mein Rösslein soll mich tragen
In die schöne Welt hinaus.
Blaue Berge tragen Reben,
Grüne Reben bringen Wein:
Ohne dich kann ich schon leben,
Ohne dich kann ich schon sei.

Mädchen
Ach, Geliebter, kannst du scheiden
Ohne Gruß und ohne Wort?
Alle Andern mag ich meiden,
Aber dich laß ich nicht fort.

Andern bleibt mir nichts zu geben,
Alles was ich hab ist dein:
Ohne dich kann ich nicht leben,
Ohne dich kann ich nicht sein.

Knabe
Darf, Geliebte, darf ichs glauben,
Scheid ich nicht bevor ich muß:
Aller Saft der süßen Trauben
Ist so süß nicht als dein Kuss.
Alles Andre mag verschweben,
Berg und Thal und Sonnenschein:
Ohne dich kann ich nicht leben,
Ohne dich kann ich nicht sein.
(S. 99-100)
_____



Das Stelldichein
Romanze

Im Garten durchs Gegitter
Wer schlüpft im Mondenschein?
Die Dame heißt den Ritter
Mit Huld willkommen sein.

Es singen Nachtigallen
Ein Lied, das Sehnsucht haucht,
Die zwei Verliebten wallen,
Das Herz in Lust getaucht.

Wo durch die Rosenlaube
Ein schwacher Schimmer bricht,
Da steht vom süßen Raube
Der Ritter ab und spricht:

"Mir half euch zu gewinnen
Kein Sieg durch Ritterkunst,
Mein Sang, mein zärtlich Minnen
Erwarb mir nimmer Gunst.

Fast wär ich schon gestorben
Vor Schmerz und Liebesleid:
Wie hab ichs nun erworben,
Daß ihr so gnädig seid?

Kam euch vielleicht die Kunde
Wie krank eur Ritter sei?
So reicht vom rothen Munde
Noch Labung und Arznei."

Die Dame spricht mit Scherzen:
"Zwar traf ich freie Wahl,
Doch dankts nach meinem Herzen
Auch meinem Ehgemahl.

Ein Falke kam geflogen
Dieß Gartenfeld entlang,
Ihr hinterdrein gezogen
Mit Ruf und Hörnerklang.

Da sprach zu mir der Gatte:
Wie frisch blüht seine Kraft!
Nie einen beßern hatte
Die stolze Ritterschaft.

Er ist zum Ruhm erkoren,
Im Waffenfeld gezeugt,
Auf edelm Ross geboren,
Im Ritterhelm gesäugt.

Ist stäter Treue Siegel,
Der Ehre fester Schild,
Der reinsten Sitte Spiegel,
Großherzig, kühn und mild.

Ein Fest ists ihn zu schauen,
Man denkt der alten Zeit;
Und lieben ihn die Frauen,
So ist es Niemand leid."

"Von diesem Wort des Alten
Ward euch sein Weib so hold;
Ich hab es wohl behalten:
Er meint' es treu wie Gold.

Genießet denn der Güter,
Die er euch selbst beschert:
Er ist kein karger Hüter
Und weiß, ihr seid es werth." -

Der Ritter hats vernommen,
Da spricht er unverweilt:
"Dieß Wort es soll mir frommen,
Es hat mich schnell geheilt.

O hättet ihr geschwiegen!
Nicht um die halbe Welt
Möcht ich den Mann betriegen,
Der mich so hoch gestellt.

Verdank ich seinem Lobe,
Daß euer Herz mir hold,
So wär es üble Probe,
Daß ers verdient gezollt.

Ich muß euch Abschied sagen,
Reicht mir zum Kuss die Hand,
Will eure Farben tragen
Im fernen Gottesland.

Und meldet euerm Gatten,
Sein hochgepriesner Held
Sei doch wohl kaum ein Schatten
Der alten Ritterwelt."
(S. 103-105)
_____



Die Befreiung
Romanze

Mädchen
Des Geliebten Spur zu finden,
Den des Kerkers Nacht bedeckt,
Sing ich, wo ein Thurm den Winden
Kühn das Haupt entgegenstreckt.
Keine Antwort tönt hernieder
Von der Zinnen hohem Rand,
Nimmer reimen sich die Lieder:
Ihm nur ist der Reim bekannt.
Bergen dich die starren Wände,
So gieb diesem Lied den Schluß:
Liebe beut am letzten Ende
Schmerz und Thränen statt Genuß.

Der Gefangene
Welche süße Stimme dringet
In des Thurmes alte Nacht?
Und die Weise, die sie singet,
Hab ich selber einst erdacht.
Sonnenglanz und Tageshelle
Dringen leuchtend schon herein:
Dieser Töne süße Schwelle,
Muß der Mund der Liebsten sein.
Höre denn des Liedes Ende,
Lieblich lockend wie der Kuss:
"Süßer doch ist ihre Spende
Als der Freuden Überfluß.


Der Fürst
Hinter diesen alten Mauern
Horcht ich euerm Liederstreit:
Treue Liebe soll nicht trauern,
Dein Geliebter sei befreit.
Zu der Seinen trautem Kreise
Führ ihn aus den Banden heim;
Singt ihr künftig jene Weise,
So vergeßt nicht diesen Reim:
Liebe bricht durch Thor und Gitter;
Aus des Kerkers enger Haft
Führt sie den erwählten Ritter
Durch der Treue Wunderkraft.
(S. 106-107)
_____



Ballate von der Lorelei

Wer singet dort so holde Melodei?
Das Schifflein säumt und gleitet sacht vorbei. -
Mein Nachbar sprach: Es ist die Lorelei.

Da droben thront sie auf des Felsen Spitze
Strält in den Rhein ihr goldnes Lockenhaar,
Und Geisterchöre tönen wunderbar
Im Rebenland an ihrem Herrschersitze;
Doch wie der Stral durch trüber Wolken Ritze,
So dringt hindurch der Wunderton der Fei.

Ihr Singen regt beglückten Erdensöhnen
Die höchste Lust und alle süße Pein;
Wer sie vernimmt, muß ihr ergeben sein
Und kann sein Herz des Wohllauts nicht entwöhnen:
Gefeßelt huldigt er der Macht des Schönen
Und lebt und stirbt im Dienst der Lorelei.

Noch hat sie nie sich einem Mann ergeben,
Ob sie auch Vielen gnädiger geblickt:
Ein Ritter einst, von Sangeslust bestrickt,
Sann mit Gewalt zu fahn ihr holdes Leben:
Das Hifthorn tönt, die frechen Knechte streben
Schon berghinan zur Jagd der Lorelei.

Sie klimmt empor die höchsten Felsenstellen,
Der Frevler folgt, schon faßt er ihr Gewand:
Da schwingt sie sich hinab vom Bergesrand,
Und unten hört man sein Gebein zerschellen.
Sie aber singt lustwandelnd auf den Wellen:
"Mich zwingst du nicht, denn meine Gunst ist frei.

Den nach der Hand der Lorelei gelüstet,
Umschwebe Wohllaut schon im Mutterschooß;
Früh ringt das Lied sich seinem Busen los
Frei von der Lüge, die sich Wahrheit brüstet:
Es naht dereinst mit Sängerkraft gerüstet
Und Bräutigam begrüßt ihn Lorelei."

Und als er kam auf stolzem Schiff gezogen
Den Strom hinab vom goldbeglänzten Main,
Da wandelt sie zum bräutlichen Verein
Dem Freund entgegen auf des Rheines Wogen;
Da kommt ein Wind von Osten hergeflogen,
Entführt das Schiff und trauernd steht die Fei.

"Er war mein werth und konnt er mich verschmähen?
So welke, Kranz, der höchsten Ehren Lohn.
Nein, grüne fort, denn einem treuern Sohn
Hat dich zum Schmuck der Himmel ausersehen:
Zwar werden noch Jahrzehende vergehen,
Doch treu des Lieblings harrt die Lorelei."

Ballate, sag den Unberufnen frei,
Daß Musengunst nicht zu erzwingen sei:
Komm Liebling bald der schönen Lorelei!
(S. 245-246)
_____


Aus: Gedichte von Karl Simrock
Leipzig In der Hahn'schen
Verlagsbuchhandlung 1844
 

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Simrock


 

 


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